Achim von Arnim
Die Kronenwächter
Achim von Arnim

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Sechste Geschichte
Das Todaustreiben

Wie mag die Erde sich scheuen, wie möchte sie so gern ihren Lauf zurückwenden, wenn sie in den Winterhimmel tritt, der alle ihre Saaten verschüttet. Sie ringt vergebens gegen ihren eignen Umschwung. – Ob die Tiere wohl ihr Leben rühmen mögen, welche auf einen Jahreslauf beschränkt, nur Frühling und Sommer kennen? Oder ob sie neidend zu den überlebenden Geschlechtern hinblicken mögen, ehe sie sich vor der kalten Luft verkriechen? Törichter Neid, sie wissen nicht, wie die Bienen trauern, wenn sie ihren Vorrat in der Winternot angreifen müssen, denn sie hatten ihn nur zur Erinnerung der Blumenküsse zusammen getragen. Sie wissen nichts von der Gefangenschaft der Fische, wenn sich ihr Mund an der harten Eisdecke, die sie unbemerkt umschlossen hat, blutig stößt, wie sie erschrecken, wenn der Hirsch neugierig auf die Eisdecke klopft, weil ihm verlangte nach dem klaren Bache und das Wasser ihm in Stein verwandelt ist. Der Winter kommt den Tieren und den Menschen zur Verwunderung, nur wenige wissen ihre Zeit voraus, wie die Wasserlilien, die zum Blühen in rechter Zeit ihre strahlenden Häupter über die Oberfläche der Gewässer erheben, um dann genügsam und ruhig in den Abgrund seliger Erinnerungen bis zur Wiedergeburt zu versinken.

Ein harter Winter war dem schönen Herbste gefolgt und während der Most zu Wein wurde, froren die Reben, an denen er gewachsen. Berthold wurde am Neujahrstag durch ein Beben seines Bettes erweckt und wollte erst nicht glauben, die Erde habe gebebt, bis die Nachrichten von allen Seiten kamen und eingefallene Schornsteine sie bestätigten. Die treue Muttererde bebt, dachte er im stillen, die treue Mutter hat mir kein Lebenslicht zum Neuen Jahre überbracht und Anna denkt an so etwas nicht. Aber diese kleine Sorge ging ihm schnell in der schwereren für seine Stadt unter. Durch die Hoffnung eines Kindes hatten sich seine Stadtplane, die ihn schon immer beschäftigt, über das mitlebende Geschlecht hinaus, über entfernte Zukunft ausgedehnt. Die Stadt sollte sich frei und selbstständig erheben, wie Reichsstädte; nur dazu waren ihm die Anmahnungen der Kronenwächter, sich dem Schwäbischen Bunde anzuschließen, willkommen. Grünewald, der gar keine Meinung über so etwas hatte, aber alles sehr geschickt auszuführen verstand, gab ihm in allem nach, hatte er sich doch überhaupt nur darum in die Gunst des Herzogs geschmeichelt, um in der Nähe Annens mit Ansehen aufzutreten. Auch der Neujahrstag verging, wie so mancher andre Tag in vergeblichen Beratschlagungen mit ihm, wie die Unternehmung des Bundes zu beschleunigen sei, da die Erde selbst zu ungewöhnlichen Unternehmungen geneigt scheine; das Unternehmen konnte in der Kälte nicht zur Geburt kommen. Der Frost in den nächsten Tagen nach Neujahr stieg immer noch, die ältesten Eichen spalteten sich, der edle Kaiser Maximilian starb und Berthold betrauerte ihn aufrichtig und war mit den öffentlichen Trauerfeierlichkeiten beschäftigt. Da kam Botschaft vom Herzog Ulrich, der Reutlingen trotz dem Froste belagerte, daß sie die Rüstungen beschleunigen und ihm Leute senden möchten. Berthold und Grünewald stellten sich dem Willen des Herzogs ergeben, aber je eifriger sich Berthold und Grünewald zur Förderung der Rüstung anstellten, desto weniger vollbrachten sie. Der Ehrenhalt kam jetzt und versprach die nahe Ankunft der Scharen des Schwäbischen Bundes, aber es zögerte sich, wie mit allen Unternehmen, die aus dem Entschlusse vieler hervorgehen sollen. Reutlingen mußte sich ergeben, vom Geschütz in seinen wesentlichen Befestigungen zerstört, während die Gräben zugefroren waren. Der Herzog hielt einen feierlichen Einzug, die Bürger mußten ihm huldigen, die Reichsfreiheit war verloren, wenn der Schwäbische Bund noch länger zögerte. Berthold hätte verzweifeln mögen, während er Freudenfeste zur Ehre dieses Zuwachses des Herzogtums veranstalten mußte.

Der Wind wendete sich, die Zeit war im Nichtstun vorgerückt, der Frühling ließ wie ein bescheidner Freund erst anfragen, während Berthold vor der Türe stand (wie er nach dem Mittagessen zu tun pflegte), um nach ihm sich umzusehen, ob er nicht bald komme. Er fühlte sich in Frühlingsahndung ganz wehmütig. Da blies es vom Turme, den er als Kind bewohnte, in großem Jubel schrieen alle aus den Häusern, doch wußte er nicht gleich, was es bedeute, weil er als Kind nicht unter die Leute gekommen war. Da sah er den beschrieenen Gast über den Markt ziehen, es war der Storch. Gleich liefen die Kinder aus allen Häusern am Markt zusammen, jedes brachte Stroh oder Lumpen und die größten verfertigten eine gewaltige Strohpuppe, während die kleinen mit Tellern in die Häuser liefen, um ihren Lohn einzufordern, daß sie den Winter aus der Stadt vertrieben; sie kamen auch zu Berthold, der sie reichlich beschenkte. Nun begann der große Zug der Kinder, die Strohpuppe wurde an einem langen Seile geschleift und alle schrieen:

Nun treiben wir den Winter aus,
Den Tod aus unsrer Stadt hinaus.

Wie junge Rosse wiehernd einen Leichenwagen ziehen, mit den Gebissen spielen, die sie lenken, sich von der Erde aufbäumen, der sie doch nicht entlaufen können, so erschien unserm Berthold in seinem betrübten Herzen der fröhliche Zug, er wußte nicht, welche Freude ihm an dem Tage bevor stand, was ihm der Storch an dem Tage gebracht hatte. Anna hatte ihn an dem Tage nicht sehen wollen, sie war krank, auch das machte ihn sehr beklemmt. Da glaubte er ein Kindergeschrei in seinem Hause zu vernehmen, er horchte noch einmal, da kam Frau Apollonia mit freudigem Auge und fast atemlos die Haustreppe herunter, und schrie: »ein Sohn, ein Sohn!« – Berthold fühlte sich selbst entrissen von Freude, er stürzte die Treppe hinauf ins Zimmer, die Tränen liefen ihm in seligem Entzücken über die Wangen, schon sah er das Kind, wie es im Bade sich allmählich von dem Ärger beruhigte, aufs Trockne versetzt zu sein. »Wie schön ist der Knabe«, rief er, »gleicht er nicht dem Christuskinde an unserm Giebel, wie soll ich dir danken Anna, alle Mühe, alle Qual, die du bei dem Kinde ausgestanden hast, und wie schön blickst du mich an aus deiner Schwäche.« Frau Apollonia war bei den Worten Bertholds erbleicht, sie sah das Kind ernstlich an, es war das vollkommenste Abbild des Kindes am Hause und dies das vollkommenste kindlichste Bild Antons. In ihrer Verlegenheit winkte sie Berthold, das Zimmer zu verlassen, es sei nicht gut, die Wöchnerinnen in ihrer ersten Ruhe zu stören. Aber er war nicht fortzubringen von dem Kinde, er saß da, betend wie einer der heiligen drei Könige und freute sich immer, daß sein Kind dem Christuskinde gleiche. Als es endlich eingeschlafen war und er fühlte, wie er nur hindre, statt zu helfen, und die Straße laut wurde, schlich er fort und trat vor die Haustüre. Da kamen die Knaben von ihrem Zuge zurück, die Winterpuppe war in die Rems geworfen, sie brachten statt ihrer eine grünende Maie und indem sie dem Bürgermeister das erste Zweiglein davon darboten, sangen sie:

So viel Blätter an dem Strauß,
So viel Kinder in dein Haus,
Wünschet dir die Engelschar.

»Mit dem einen ist's schon wahr!« fiel Berthold ein und wendete seine Tasche um, ihnen alles Geld zu spenden, was er bei sich trug, sie sollten sich an dem Tage recht lustig machen, dabei zeigte er auf seinen Giebel und sprach mit Jubel: »Seht Kinder, so sieht mein Kleiner aus.« – Apollonia stand hinter ihm und seufzte in sich und dachte: Wie soll ich den armen Mann von der unseligen Ähnlichkeit abbringen, er breitet seine eigne Schande aus, die Wartfrauen nennen schon den Kleinen ihren heiligen Anton. Berthold ahndete nichts von dem Geschwätz in seiner Seligkeit, er konnte sich nicht enthalten, Anton von Herzen zu küssen, der zufällig den Zug der Kinder mitgemacht hatte, um ihn zu zeichnen, und nun zurück kam. Er führte ihn in seine Rüstkammer zu den schönen, kleinen Puppen, mit denen er selbst einst sich die Zeit vertrieb, und freute sich mit ihm, wenn sie den Sohn da zum erstenmal hinführen, ihm die Puppen zum Spiel übergeben wollten. Anton sollte das Kind malen, sobald es nur ein wenig ausgebildet wäre. Dem Anton schenkte er für die leichte Zeichnung des Todaustreibens einen schönen, roten Mantel mit goldner Einfassung. Anton ging so stolz aus dem Hause, als ob er sich den Doktormantel verdient hätte, oder, wie die Leute sagten, als ob alles mit dem Mantel christlicher Liebe zugedeckt werden sollte. Grünewald schüttelte mit dem Kopfe, als er am Abend zu Frau Apollonien ging, und sprach erst mit ihrer Magd Sabina über Bertholds Kind und dann mit ihr, als sie gerufen worden, denn er ließ sich mit allen Leuten ein und hatte gar kein Geheimnis.


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