Achim von Arnim
Die Kronenwächter
Achim von Arnim

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Zweites Buch

Erste Geschichte
Die wunderbare Heilung

Die Gewohnheiten und der Schmuck des täglichen Lebens verwandeln sich früher in der zerstörenden und schaffenden Hand der Zeit und des Menschen, als das sonntägliche, kirchliche Wesen; die Kunst insbesondere versucht sich erst im Weltleben und überlebt ihre meisten Irrtümer in demselben, ehe das Geheiligte die Verwandlung erfährt, ja es scheint, daß sie sich zuweilen, nach dem Erreichen einer gewissen Höhe, unter dem Einflusse ewiger Ahndungen ganz von dem heiligen Kreise wendet, um mit frischer, neu begründeter Kraft sich demselben von andrer Seite zu nahen. Es ist leicht, durch den Anblick von älteren Kirchen uns in die Zeiten Luthers, Dürers, Raphaels zu versetzen, schwerer ist's, das häusliche Leben jener Zeit noch irgendwo ungestört erhalten zu finden. Der Bau unsrer Häuser hat sich so gänzlich verändert, wie unser Verkehr, wir glauben bequemer zu wohnen; im Bau und Schmuck der Kirchen dagegen ist bei allen verschiedenartigen Glaubensbekennern noch kein wesentlicher Fortschritt gemacht. Hat ein Teil der Christen sich der Kunst in Kirchen geschämt (Reformierte), so hat ein andrer durch bedeutungslose Anwendung derselben (man vergleiche alle prachtvolle Jesuiterkirchen), sie weder gefördert, noch den Dienst verherrlicht und beides wird vor einer neuen Kunst verschwinden, deren Strahlen uns aus der Dämmerung erwärmen; vielleicht wird ungestört fortgearbeitet werden, wo Cranach, Dürer und Raphael ihre Pinsel niederlegten, wo die edlen Bilder vor den toten Augen unter Staub oder Kerzendampf verblichen, oder wo die blinde Wut sie herabriß. Ehe aber diese Zeit eintreten kann, muß Alltägliches und Sonntägliches, muß Haus und Kirche aus einem Stück gebildet sein, wie damals, als unser Dürer den heiligen Hieronymus mit seinem .Löwen in sein eignes Wohnzimmer setzte, als Cranach den Melanchthon zur Taufe, den Luther zur Kreuzigung Christi führte. Das Himmlische war damals noch nicht so weit der Erde entrückt, sondern wohnte vertraulich unter den Wahrhaften, der Künstler brauchte sich nicht in eine andre Welt hinauf zu schrauben, er sah die Seinen im erhöhten Sinn an. Wer zu Wittenberg in Luthers Wohnzimmer geblickt hat, muß die innige, eigene Entwickelung jener Zeit erkennen, wie Blatt und Blüte, Krone und Wurzel einer Pflanze auf einander deuten, so natürlich fühlt sich jene Zeit von ihrem innern Reichtum auch äußerlich durchdrungen, ohne es selbst zu wissen; denn lebte gleich Luther nach allen Nachrichten prachtlos und einfach, so ist doch das Getäfel, der kunstreiche Ofen, mit edlen Bildern der Wissenschaften und Künste geschmückt, unendlich besser, einiger mit dem Stil des ganzen Gebäudes, als wir jetzt die Zimmer eines Geistlichen finden würden. Derselbe Geschmack herrschte im nördlichen wie im südlichen Teil Deutschlands, nur war letzteres damals durch die Nähe und den Verkehr vieler reichen, freien Handelsstädte noch reichlicher von jeder Art Künstlern befruchtet, besucht und geschmückt, und da sich die Kunst erst damals anfing, nach Völkern zu trennen, auch noch weniger bloß mechanische Scheinblüten trieb, so störte es noch nicht so unangenehm, wie späterhin, Niederländer und Italiener neben deutschen Künstlern an der Ausmalung oder Verzierung desselben Hauses arbeiten zu sehen. Manchen dieser Fremden trieben Staatsverhältnisse nach Deutschland, andre der Erwerb, noch andre in der ungebändigten Leidenschaftlichkeit jener Zeit unselig vergossenes Blut und Familienrache, aus gleichem Grunde besuchten auch deutsche Künstler die Fremde, ohne eben mit diesen Reisen nach Bildung und Unterricht zu streben, ohne sich die heutige Narrheit auszusinnen, als ob die Kunst nur in Rom ausgeheckt würde, Die deutschen Künstler wußten und konnten alles, was von ihnen verlangt wurde, und mehr forderte keiner, als sie zu leisten vermochten, auch hatte jede Stadt ihre Künstler lieb, weil sie ihr von Gott nicht anders beschert waren, und suchte sie zur Ehre der Stadt zu beschäftigen, und hungerten zuweilen auch damals die Künstler, so hungerten sie nicht als Künstler, sondern mit der ganzen Stadt.

Auch Berthold hatte sein vollendetes, großes Haus von den Steinmetzen, Tischlern und Glasmalern der Stadt einrichten lassen, so schön als die guten Leute vermochten, die mit rechter Anstrengung alles zur Dauer durch Wahl der Stoffe und zur Lust durch künstliche Ausführung eingerichtet hatten, er kümmerte sich nicht darum, als Fingerling ihm versicherte, es gäbe in Augsburg noch kunstreichere Männer, er suchte seine Waiblinger Künstler und Arbeiter zu bilden, das segnete Gott durch manche kunstreiche Hand, die sich unerwartet hervor tat. Selbst den alten Maler Fischer verschmähte er nicht, der mit sterbender Hand die Mutter Gottes mit dem Kinde auf die Wand über der Haustüre gemalt und aus Schreck, daß er sie so bleich und hinfällig dargestellt, gestorben war. Obgleich sich nun mancher durchreisende Maler zur Besserung dieses verblichenen Bildes gemeldet hatte, so wies doch Berthold alle ab, denn er fühlte sich allmählich absterbend dem Fleische und auflebend im Geiste. Wie hat sich der fröhliche Knabe verändert, seit Reichtum und Ehre ihn mächtiger rüsteten, wie war er so ohnmächtig und siech geworden und nur in dem engen Raume seines Zimmers, wo die zierlichen Gitterschränke mit seinen Handschriften vom bunten Glase der beiden Fenster mit wechselnden Strahlen beschienen wurden, da fühlte er sich selig erweitert zur frohen Stimmung seiner Jugendtage. Der Neujahrstag war ihm besonders schmerzlich, weil er ihm zugleich den Verlauf eines neuen Lebensjahres seit dem unbewußten Eintritt auf dem Turme bezeichnete und weil Frau Hildegard es sich nicht nehmen ließ, am Morgen, ehe es tagte, im mit einem Kuchen die Augen zu blenden, um welchen schon mühsam der Wald vergangener Jahre durch eben so viele kleine, brennende, bunte Lichter ausgedrückt war. Ach die Jahre brannten tief in sein trauerndes Herz, als wären's unbewußte Sünden, und er dachte der vielen verlornen Zeit, der vielen geleerten Medizinflaschen und wie er weder in Ehre noch Minne gleich seinen Lieblingen in den Büchern irgend etwas getan, obgleich er in seiner Stadt die höchste Ehre, die Stelle als Bürgermeister erreicht hatte. Dann sah er alle die gemalten Briefe durch, die er am Jahreswechsel erhalten, und wünschte sich die Zeit zurück, als er noch selbst dergleichen für den Bürgermeister Steller mit demütiger Ehrfurcht geschrieben; da flossen seine Tränen häufiger, denn er fühlte die Sehnsucht nach der verschollenen Apollonia wieder erwachen, die er nach einigen Nach richten nur jenseits der Grenzen dieses Lebens wieder zu sehen hoffen durfte. Unwillig setzte er den Trank, den er einnehmen sollte, in den Schrank zurück, nahm das Buch von Tristan und Isalde in die Hand und sah nachdenkend die schönen, feinen Bilder an, mit denen es durchweg geschmückt war. »Er ist unglücklich wie ich«, dachte er, »aber er hat doch etwas erfahren und er starb früher als seine Isalde.«

Der Diener trat ein und meldete einen niederländischen Maler Sixt an. Berthold fuhr bei dem Namen aus seiner Träumerei mit offenem Visier dem Ankommenden entgegen, der demütig, klein und krummbeinig vor ihm reverenzte. »Seid Ihr's, lieber Sixt«, sagte Berthold, »ja Ihr seid's, der meiner Mutter Begleiter gewesen, ihr hülfreich in ihren Arbeiten beistand und sie damals vor etwa dreißig Jahren hier verließ.« – »Verzeihet es mir, Herr Bürgermeister«, antwortete der gekrümmte Maler, »ich glaubte mich nicht recht sicher bei der edlen Gräfin, denn die Leute sprachen so verschieden von ihrer Herkunft und der Baumeister wußte mir immer Arbeit nachzuweisen, da hielt ich es für meinen Unterhalt sicherer, mit ihm nach Straßburg zu ziehen. Es ist mir aber allda sehr konträr ergangen, weil ich da lange vom leidigen Satanas geplagt wurde, die Leute in kontrafetischen Bildnissen durch ihre seltsamen Züge getreulich darzustellen, die sie nicht gern an sich erblickten, also daß sie sich durch ihre eigne Leiblichkeit denigriert fanden gegen die gute Meinung, die sie so lange von ihren schadhaften Angesichtern bewahrt hatten. Jetzt aber bin ich meine Aberration inne geworden und male die Leute, wie sie gern sein möchten und empfehle mich bestens mit dieser meiner neuen Manier.« – »Nein alter Freund«, rief der Bürgermeister, »nicht in dieser neuen Manier, in der alten malt mich, daß ich um so williger sterbe, wenn meine Leiche mir schon im Abbild des Lebenden entgegenfriert.« – »Hoffe zu kontentieren, Eure Exzellenz«, rief der Maler, und packte sogleich aus allen Taschen sein Malerbrett, seine Staffelei zum Zusammenlegen, seine Farbenscheibe, wohl belegt mit allem Farbenreichtum, seine blecherne Büchse mit Pinseln aus und stand jetzt, nachdem er sich der Last entledigt hatte, als ein feiner, wohl gebildeter, nur etwas buckliger Mann vor dem Bürgermeister. »So schnell dachte ich nicht, diese Arbeit zu unternehmen«, rief dieser, »inzwischen bin ich heute frei von Geschäften, und wer weiß, ob ich morgen noch lebe.« – »Bemerke nur wenig von dem hippokratischen Gesichte an Ihro Hochunvermögen!« sagte der Maler. Während der Arbeit erzählten einander beide, was sie während der langen Zwischenzeit betroffen, denn Meister Sixt war sehr neugierig und suchte Neuigkeiten durch Gegenerzählungen zu bezahlen. Berthold brachte ein Gemälde mit dem Gewebe, das nach diesem, beides aber von der Hand seiner rechten Mutter gemacht, mit einem Seufzer aus dem dunkelsten Schranke hervor. »Damals trug ich noch Farben auf den Wangen, Hoffnung im Herzen«, sagte er, »seht, so kunstreich ist mein Mantel aus Blüten aller Art von der Mutter erfunden und ausgeführt und ein Kranz von singenden Vögeln schwebt über dem Haupte, das begeistert den Himmel offen und tausend Engelköpfe in der schimmernden Bläue erblickt, die Mutter ist tot, die Blüten sind verwelkt wie meine Wangen und wie mein Herz mit allen Hoffnungen.« – »Wann starb Eure verehrte Mutter?« fragte der Maler, indem er schon mit schneller Hand die Grundfarben in den Umriß peitschte. »Es war am Fronleichnamsfeste vor zwanzig Jahren«, antwortete der Bürgermeister, »als sie einen großen Schreck, den die Ihren ihr bereitet, nicht überleben konnte.« – »An dem Tage beliebte auch der Baumeister zu sterben«, sagte der Maler., »und mich unredlich in meinem Geschäfte zu verlassen. Es ließe sich viel darüber sagen, wenn ich nur Zeit hätte.« Aber Berthold bat ihn, sich Zeit zu nehmen, er wolle sie ihm bezahlen, als ob er während derselben gemalt habe.- Sixt berichtete nun, daß der Baumeister viel von dem Tode der Gräfin an jenem Tage mit ihm gesprochen habe, dann sei er auf die Spitze des Münsters, auf den Turm zur rechten Hand des Ausgangs, der allein seine Spitze vollendet trägt, hinauf gestiegen, kletterte zu allem Erstaunen an den Knopf hinan und warf die Fahne hinunter, welche das von ihm auf den Knopf gesetzte Marienbild festgeschnürt, bedeckt hatte. Mit der Fahne flatterten unzählige gedruckte Blätter zur Erde; seht Herr, eins habe ich immer als ein teures Andenken bewahrt und trage es bei mir: Leset es ruhig, die Augen nach dem Schranke gerichtet, weicht nicht aus der Lage.« – Berthold las aber laut vor:

Laß, o Herr, das Werk der Zeiten,
Das dein Hauch hat angereget,
Heut durch meinen Mund ausdeuten,
Großes Wort sich schwer beweget,
Schwer und langsam wie die Steine,
Die aus rauhem Fels gespalten,
Sich erhoben zum Vereine
Und den hohen Turm gestalten.

Gott erschuf am zweiten Tage,
Der vom Wasser schied die Erde,
Zeugen dieser heiligen Sage,
Felsen sich zum Opferherde.
Erwin sah die heil'gen Zeugen
Drüben harrend an dem Rheine,
Und im Geiste ward ihm eigen,
Was ein jeder sag und meine.

Wie sie alle ihm gebieten,
Daß er sie hinüber führe,
Daß sie heil'gen Dienst behüten,
Daß die heil'ge Kunst sie ziere;
Daß aus felsenfestem Kerne
Sich erbaue Gottes Kirche,
Darum treiben Gottes Sterne
Goldne Adern durchs Gebirge.

Seht, mit diesem Goldgewinne,
Den sie zu dem Rheine senden,
Regen sie der Menschen Sinne,
Wirken sie in fleiß'gen Händen,
Daß sie große Gaben schenken,
Zu der großen Münsterkirche,
Die der Erwin will erdenken
Aus den Felsen im Gebirge.

Erwin reißt mit schnellem Bleie
Viele Pläne zu dem Baue,
Doch es fehlt die rechte Weihe,
Daß er auch das Rechte schaue,
Zu der Wildnis jener Berge
Dringt er in Verzweiflung weiter,
Klagt, daß Wahrheit sich verberge
Auf des Schönen Himmelsleiter.

Betend kommt er so zur Kirche,
Die der erste Christ erbaute,
In dem wildesten Gebirge,
Daß er seinen Herren schaute;
Sieht ein zierlich Bild des Stalles,
Wo der Herr einst ward geboren,
Und das geht ihm über alles,
Und er hat es gleich erkoren.

Die Kapell aus Stabgeflechten
Ist mit Blumen reich verzieret,
Und was andre bilden möchten,
Diesem Plan der Preis gebühret;
Nein, kein Tempel alter Zeiten,
Kann entzücken wie die Hütte,
Soll sich Dauerndes bereiten,
Steigt es nur aus frommer Sitte.

Wo die Krippe einst gestanden,
Ist der Altar aufgerichtet,
Wo das Kind, die Hirten standen,
Hat der Morgen ihn umlichtet,
Und zwei Türme, wo der Tauben
Keusch getrennte Liebe wohnet,
Sich erheben, wie der Glauben,
Der im Geist hoch oben thronet.

Unser guter Meister sinnet,
Daß der Bau in Stein sich gründet,
Bischof Konrads Herz gewinnet,
Und der Bau wird weit verkündet,
Und Vergebung aller Sünden
Wird zu diesem Bau verliehen,
Jedem, der sich da wird finden,
Treu und mutig im Bemühen.

Bischof Konrad, wohl beraten,
Kommt mit heil'gem Öl und Weine,
Mit dem Stabe, mit dem Spaten,
Legt geschickt die Gründungssteine.
Ringsum stehn die Arbeitsleute,
Alle Geistliche des Landes,
Alle Zünfte graben heute,
Selbst die Herren edlen Standes.

Als die Weihung ist vollendet,
Tritt der Bischof still zurücke,
Doch ein Streit hat bald geschändet
Dieser Sonne Gnadenblicke,
Wohl mit Recht ist lang verkündet,
Daß der Teufel sich bestelle,
Wo die Kirche wird begründet,
Seinem Dienste die Kapelle.

Eh' der Bischof sie kann trennen,
Ist ein Kampf da ausgebrochen,
Brüder wild im Kampf entbrennen,
Und der eine ist erstochen.
»Wer hat diesen Streit entzündet?«
Ruft der Bischof mit Entsetzen,
»Neu sei dieser Bau begründet,
Nicht mit Blut dürft ihr ihn netzen.«

Und es sprach der Mordgeselle:
»Wo dein heil'ger Arm gegraben,
Von der lieben Gnadenstelle,
Stieß er mich wie einen Knaben;
Weiß, ich hab den Tod verdienet,
Daß ich Bruderblut vergossen,
Doch es sei die Welt versühnet,
Ihr zum Heil sei es geflossen.

Wißt, es fließen hier im Grunde
Zwei versteckte böse Quellen,
Stopft ihr nicht die Doppelwunde,
Werdet ihr den Turm nicht stellen.
Ganz umsonst sind hier die Pfähle,
Steine, Mörtel ganz vergebens,
Wenn ich's nicht zum Grab erwähle
In der Fülle meines Lebens.

Eine Quelle will ich laben
Mit des armen Bruders Leiche,
Und ein Grab mir selber graben,
Daß das Wasser schaudernd weiche.
Dann erst ist der Turm begründet,
Und das Wasser ist bezwungen,
Und die Säulen hoch verbündet
Sind vom Sumpfe nicht verschlungen.

Eilet euch ihr starken Hände,
Daß ihr euer Grab vollendet,
Weh ihr glüht wie Feuerbrände,
Erde reinigt, was sie schändet.
Seid begrüßt, ihr Rein'gungsquellen,
Schaudert nicht vor mir zurücke,
Ich umspanne eure Wellen,
Bin des Heiles feste Brücke.«

Und der Bischof sieht zum Heile
Hier das Unheil ausgedeutet,
Viele Schuh tief grub in Eile
Dieser Mörder und erstreitet
Sich ein Grab in tiefen Quellen,
Die dem Meister sich verbargen,
Sicher kann er Mauren stellen
Auf den Leichnam dieses Argen.

Wo die Brüder eingegraben,
Weiht der Bischof neu die Stelle,
Friedlich werden böse Knaben
Nun des heil'gen Baues Schwelle,
Und der Turm ersteigt in Eile
Ohne Streit die höchste Höhe,
Wo ich jetzt zu meinem Heile
Zu der Gnadenmutter flehe.

Flehe, daß sie mich von hinnen
Zu dem Bau des Himmels nehme,
Neue Lehre zu gewinnen,
Denn als Meister ich mich schäme,
Daß ich diesen Turm verdorben,:
Weil der Plan schon hier erfüllet;
Was vollendet, ist gestorben
Und die Sehnsucht nicht mehr stillet.

Ja ich fleh um Ungewitter,
Flehe um der Blitze Strahlen,
Daß sie durch das graue Gitter
Dieser Steine Flammen malen,
Daß sie brechen und zerschmettern
Diesen Turm, den ich geschlossen,
Und schon blick ich zu den Wettern,
Fest entschlossen, unverdrossen.

»Nein«, rief Berthold und sprang auf, »nein Herr, keine Blitzstrahlen sende in mein Haus, obgleich ich des Hauses auch zuweilen überdrüssig bin, nun ich es überall vollendet habe; wegen meiner alten Mutter Hildegard schone des Hauses.« – »Domine«, sagte der Maler betroffen und wischte zitternd ein halbes Dutzend Farben auf der Scheibe zusammen, die nicht zusammen gehörten, »was fehlt Euch? Das Poema ist nicht auf Euer Haus, sondern auf den Straßburger Münster gemacht; soll ich einen Doktor rufen?« – »Ich danke Euch«, sagte Berthold und setzte sich wieder in die rechte Lage, »der Baumeister hat manche Beziehung auf mich gehabt, ohne ihn hätte ich nie die hohe Liebe einer wahren Mutter kennen gelernt und hätte nie eine tiefe Einsicht von der Nichtigkeit gewonnen, welche die Welt in ihren Herrschern verehrt, wäre in eitlem Sinn in die Absichten der Überklugen eingegangen, welche der Zeit Gewalt antun möchten. Lassen wir das, erzählt mir weiter von dem Baumeister.« – »Es alteriert Euch«, sagte der Maler, »darum will ich mich der Kürze befleißigen, mit einem Worte, der Baumeister kniete oben auf dem Knopfe vor dem Marienbilde, wie ein kleines Figürchen, dergleichen am Eingange stehen in Stein; kein Mensch wußte, was daraus werden sollte, und das Volk wurde gar sehr ungeduldig. Es wurden Schieferdecker und Zimmerleute aufgefordert von dem Rate, den Baumeister herunter zu schaffen, aber sie versicherten alle, es sei zu viel gewagt, weil er mit der Fahne auch die kleine Leiter fortgestoßen habe, welche ganz notwendig sei, um auf den Knopf hinauf zu steigen, es scheine, daß er nicht zurück verlange. Aber der Rat wollte nun einmal nicht, daß er da oben bleibe, da erbot sich ein verruchter Mensch, für einen großen Beutel mit Geld hinauf zu steigen und den Baumeister herunter zu werfen, wenn er nicht die Zitation des Rats annehme, die ihm sogleich schriftlich ausgefertigt, auch mit dem großen Wachssiegel bedruckt wurde. Der Signor Birbante machte sich auf den Weg, aber viel Zeit war über die Ausfertigung der Zitation vergangen, und so hell es vorher war, daß wir sehen konnten, wie der Baumeister die Hände rang und beten wollte, so wurde es jetzt allmählich trübe am Himmel, die Wolken zogen gegen den Wind, es blitzte in der Ferne. Der verruchte Bote ließ sich nicht abhalten, der Teufel hatte ihn mit dem Gelde verblendet. Wir sahen ihn noch die Treppen der Schnecken, wie ein Wiesel lustig hinauf rennen, eben wollte er hinaus, paff, – ›da haben wir's‹, schrien alle, die nicht davon liefen.« – »Was, was?«, rief Berthold, »so laßt doch den Pinsel aus dem Munde, oder tut's nachher.« – »Es sind nur ein paar Härchen, die ich abbeißen muß«, antwortete der Maler, »nun ist es wieder ganz gut, das kann mancher Mensch nicht mit seinen Zähnen leisten.« – »Nun erzählt nur weiter, was geschah«, rief Berthold und hielt sich am Stuhle fest, »ich habe mir in der Zeit schon dreimal das Genick gebrochen, es ist ein schwindelndes Unternehmen, aus der Schnecke heraus zu treten, ich kenne sie dort aus dem Risse und kann ihn nur selten ansehen.« – »Besonders, wenn die Mauer so vom Winde bebt«, antwortete der Maler, »da ist das Heraustreten nicht recht praktikabel, die Stufen waren auch glatt vom Regen und ein Mensch, der keine Praktik in solchen Klettereien hat, meint schon in den Schnecken, er könne wohl ausgleiten und durch die mannshohen Nasenlöcher der Steinhaube, die wie eine Brüsseler Spitze gelöchert ist, hindurch fallen.« – »Racker«, schrie Berthold auf und faßte den Maler am Kragen, »sprichst du noch ein Wort von der Schwindelei, so bin ich des Todes: was wurde aus dem Wagehals, was wurde aus dem Baumeister, sag's mit einem Worte!« – »Impossibile«, sagte der Maler kalt, »mit einem Worte kann man nicht exprimieren; Ihr müßt einen Arzt gebrauchen, ich erzähle Euch kein Wort mehr von selbigem Vorgange.« – »Ihr sollt aber«, rief Bertold, »sonst friert mir alles Blut in den Adern.« – »Nun«, antwortete der Maler, »auf Eure Gefahr; als der Galgenvogel den einen Fuß hinaufsetzte, zischte ein Blitzstrahl an ihm vorbei auf die große Glocke nieder, daß diese ganz fein aufschrie, da kriegte sein Cranium auch eine Erderschütterung, er ging sacht zurück, als ob er's nicht gewesen wäre, und wieder schmetterte ein Blitz hinter ihm auf das Bleidach zwischen beiden Türmen. Da ging mir schon der Regen durchs Hemde, ich zog mich zurück wegen meines Zipperleins und habe erst am andern Tage gehört, der bewußte hochhalsige Galgenvogel sei von Blitzen beständig turbieret worden, bis er sich unter dem Münster in dem Wassergewölbe, das über den beiden Brüdern steht, geflüchtet, sich auf einen Kahn gesetzt und vom Lande gegen des Kirchners Rat abgestoßen habe. Der Bandit ist auch nimmermehr wieder gesehen worden, am andern Morgen schwamm sein Kahn umgekehrt und zerrissen auf dem Rheine, so daß wir erkannten, ein Arm des Rheins fließe unterm Münster, und die Kirche mußte sich einen neuen Kahn bauen lassen, um jährlich die Gewölbe zu untersuchen.« – »Und der Baumeister?« fragte Berthold ruhiger. »Ja der«, antwortete der Maler, »der sah am Morgen so grau aus vor dem Marienbilde, als wäre er auch von Stein, doch kniete er noch lange davor und die Leute erzählten, er sei wohl zu Asche verbrannt. Allmählich hat ihn der Regen herunter gewaschen, es ist nichts mehr von ihm zu sehen.« Berthold wurde jetzt so blaß, daß der Maler einmal über das andre rief: »Cospetto di bacco, ich habe nicht so viel Bleiweiß bei mir, ich muß immer mehr darauf streichen, und es will immer noch nicht käseweiß werden, wie Ihr ausseht.« – Allmählich erholte sich nun wieder Berthold und erzählte dem Maler, daß er diese Kränklichkeit seit jener Zeit schon in sich trage, da er ihn als einen frischen Gesellen bei seiner Mutter gesehen. – »Ihr waret rot wie ein Apfel«, sagte der Maler, »habet Euch vielleicht den Pfeilen des Gottes Amors zu viel Preis gegeben.« – »Wär es nur das«, antwortete Berthold, »so wäre doch etwas mir geblieben, aber nein, mein Leben ist mir verkümmert worden, ohne daß ich einen Genuß, oder eine höhere Absicht des Himmels darin erraten kann, das Schicksal hat mich zertreten, wie der Mensch einen Wurm, der ihm zu gering ist, als daß er seinetwegen den Fuß eine Linie weiter setzen sollte. Ihr wißt, daß ich damals meine Mutter gefunden hatte, ich führte sie in den Seitenflügel, der damals allein noch stand, zu meiner Pflegemutter, um ihr die Rechte unsrer Bürgerschaft gegen ihre Verfolger zu sichern. Es schien auch für den Augenblick, als ob diese sich beruhigten, seitdem sie sich von dem Baumeister losgesagt hatte. Nun müßt Ihr wissen, daß mein Pflegevater Berthold damals gefangen saß wegen einer Kränkung, die wir dem neuen Türmer angetan hatten. Der Türmer war aber mit einer Seite des Turmes herabgestürzt, es fehlte also der Ankläger. Ich schlich mich heimlich zum Gitter vor dem Gefängnisse des Vaters, fragte ihn, was ich tun könne, er reichte mir einen Schlüssel zu seinem Schreibtisch, wo eine Anklage gegen den Bürgermeister schon aufgesetzt liege, die ich einem Zunftmeister übergeben sollte. Ich eilte nach Hause, ich las diese Anklage, es war darin unwiderleglich erwiesen, daß der hochmütige Bürgermeister die Bürger bei öffentlichen Bauten betrogen habe. Da stand ich in gräßlichem Zweifel, ob ich dem lieben Pflegevater folgen und die einzige Hoffnung meines Herzens in ihrem Vater von mir stoßen und vernichten sollte. Halb tot übergab ich endlich nach langem Kampfe diese Anklage in die rechten Hände. Es wurde eine Versammlung der Bürger gehalten in den größten Trinkstuben, ich fühlte mich so unglücklich, wie ein Verbrecher und mochte niemand um den Ausgang befragen. Am Morgen erzählte mir Fingerling mit großem Triumph, der Bürgermeister sei mit seiner Tochter und seinen kostbarsten Sachen entwichen, weil er durch Zuträger vernommen, daß sein Betrug verraten sei und er von der Bürgerschaft in Untersuchung genommen werde. Bleich und zitternd fiel ich dem erschrocknen Fingerling in die Arme, ein Blutsturz machte mir Luft, ich lag schwer darnieder und konnte mich nicht freuen, als der Vater in Ehren heimkehrte, ich war krank zum Sterben, ich war so vernichtet in meinem Herzen, daß ich gern sterben wollte.« – »Signor«, sagte der Maler, »den Kopf etwas höher, alles übrige schadet mir nichts, erzählt, das belebt die Züge.« – »Eine kränkliche Schwäche blieb mir nach der Gefahr«, fuhr Berthold fort, »die beiden Mütter waren beständig in liebevoller Sorgfalt bei meinem Bette versammelt, ich fühlte mich zärtlich geliebt, aber von der, die ich über alles liebte, konnte mir niemand berichten, ob sie meiner Hülfe nicht dringend in der Fremde bedürfe. – Der Bürgermeister hatte um so mehr Grund sich zu verbergen, weil der Vogt aus seinen Papieren erfahren hatte, daß er abwechselnd mit den Kronenwächtern und mit den Städten heimliche Verbindungen angeknüpft habe, um die Stadt reichsfrei zu machen. Auch über Apollonia hatte die Bosheit der Menschen ihr Gift verbreitet. Die Nonnen gaben ihr schuld, daß sie wegen heimlicher Liebeshändel dem Kloster entwichen sei. Auf mich häufte sich alle Qual der Stadt im Gespräche der Mütter, endlich auch noch das drückende Geschäft des Bürgermeisters, als der Vater Berthold mehr in der Verlegenheit, als aus Überlegung von den Bürgern dazu erwählt war. Auf mich fiel die Arbeit ganz, als der Vater durch meine fürstliche Mutter in eine zeitraubende Frömmigkeit eingeweiht wurde, beide beteten Tage lang mit einander und in der Kirche. Auf mir, dem jedes Schreiben eine Anstrengung kostete, ruhte das mühsame Geschäft während des Städtekrieges. Als der gute Vater kurz vor dem Tode meiner Mutter an seinem kleinen Hausaltare tot gefunden worden und mich der Schmerz noch mehr geschwächt hatte, erwählte mich die Bürgerschaft einmütig in seine Stelle und wählte mir zugleich einen Stellvertreter für alle die Geschäfte, denen ich in meiner Kränklichkeit nicht vorstehen konnte.« – »Darüber freute sich noch gestern im Ratskeller ein alter Bürger, der es vorgeschlagen«, unterbrach ihn der Maler, »mit der Stadt sei es so schön vorwärts gegangen, wie mit Eurem Hause und Eurer Weberei und jedermann wisse jetzt vom Städtlein Waiblingen in der Fremde zu rühmen, wie von Eurem Tuche, daß es nicht besser als in Waiblingen zu finden. Aber sagt mir, habt Ihr die Mutter sterben sehen?« – »Nein«, antwortete Berthold, »ich war damals so krank, daß mir das Unglück lange verschwiegen blieb.« – »Die Leute«, meinte der Maler, »wollen sie vor einiger Zeit im Kloster gesehen haben.« – »Torheit des wundersüchtigen Völkchens, sie konnte keine Stunde ohne mich leben«, erwiderte Berthold, »wie hätte sie mir in so vielen Jahren kein Zeichen ihres Daseins geben wollen. Übrigens könnt Ihr denken, lag manches Schmerzliche für sie in dem Verhältnisse zu meiner guten lieben Mutter Hildegard, sie mußte ihr die Hälfte ihres teuersten Rechts auf mich abtreten, und Hildegard fühlte oft nicht, wo sie auch jene andre Hälfte tief kränkte, oder an sich riß. Dieser Zwiespalt zeigte sich besonders bei neuen Heilmitteln, welche mir die eine, oder die andre zubrachte, da wollte keine zurücktreten und ich mußte verschlucken und einreiben, was der Wahn von Jahrhunderten in den Köpfen der Leute an Geduldsmitteln für Kranke zusammengebracht hat. Seht da alle Flaschen, Kruken und Schachteln Arzneimittel in diesem Schranke, die ich während der Jahre ausgeleert habe, ein gräßliches Kriegesheer des blassen Todes. Auch verheiraten wollten sie mich mehrmals und stritten sich darüber, mich den Schwachen, der mit seinem Polsterstuhle vermählt ist.« – »Domine«, sagte der Maler, »in den Flaschen, Kruken und Schachteln steckt Eure ganze Krankheit, mein Paracelsus und mein Doktor Faust aus Kindlingen, der jetzt hier ist, haben die ganze Heilkunde transfiguriert, sie ätzen, schneiden, brennen, wo die andern leise überstrichen, sie schmeißen den Pinsel gegen das Bild, wo keiner fertig malen konnte, und siehe, immer treffen sie damit den rechten Fleck, ich hole den Doktor Faust, Ihr seid gesund, Signor.« – Berthold lächelte über den eifrigen kleinen Mann und sprach: »Mir hilft keiner, ich habe schon so viele von diesen Gelddieben befragt, so viel von vergeblichen Mitteln leiden müssen, daß ich seit Jahren aller vergeblichen Quacksalberei entsagte; mag sein, weil ich so seltsam entsprossen bin, daß mir die Heilkunde andrer Menschen nicht anschlägt. Seht Meister Sixt, ich tat in der Begierde nach Gesundheit noch mehr, studierte selbst die alten Bücher der Ärzte, lernte von einem flüchtigen Griechen, mit Namen Laskaris, das Altgriechische, um den Hippokrates lesen zu können. Die Sprache ist mir ein Trost, aber die Heilmittel des alten Arztes haben mir nicht geholfen. Ich meine, daß ich für meine inwohnende Kraft seit den heftigen Blutstürzen zu lang gewachsen bin, nur wer mich zusammendrängen könnte, der könnte mich heilen und verjüngen.« – »Das kann Faust gewißlich«, rief Sixt, »er hat mir schon so eine Geschichte erzählt, wie er die Konfiguration eines Menschen kondensiert und konzentriert habe, um ihn von dem horrorem vacui zu heilen; ich ruf ihn, bester Herr Bürgermeister.«

Und ehe noch Berthold seinen Willen drein gegeben hatte, war schon Meister Sixt die Treppe hinunter und Berthold betrachtete sein eignes Bild, das schon in den wenigen Stunden unter der Hand des fixen, vielgeübten Mannes so weit vorgeschritten war, daß jedermann die Ähnlichkeit erkennen konnte. Nun hatte sich Berthold wohl schon im Spiegel mit ganzem Gesichte, auch in einem Gemälde schon so gesehen, aber ganz von der Seite, wie ihn Sixt nach seiner unwiderstehlichen Tücke genommen, hatte er sich nie erblickt. So fehlte ihm hier, was sein Bild sonst erträglich machte, der lebendige Blick, das Friedliche und Milde des Ausdrucks im Munde und es graute ihm vor sich selbst, er meinte auf Erden nichts Gräßlicheres, keinen ärgeren Spuk in mitternächtlicher Einbildungskraft gesehen zu haben, er hätte das Gemälde zerstören mögen, aber noch lieber sich selbst; was auch der Tod ihm bringen möchte, so meinte er doch selbst bei der Verwesung nicht übler weg zu kommen. Dieser heftigen Bewegung folgte die Schwäche, Frau Hildegard fand ihn bleich und kraftlos auf seinem Ruhelager, als sie eintrat, ihn zum Mittagessen zu rufen.

Sie hatte ihn am Morgen so wohl nach seiner Art verlassen, daß sie über die schnelle Änderung herzlich erschrak. Darum hörte sie mit Freuden von dem Diener, als wär's ein Engel, daß sich ein Arzt, Doktor Faust, ansagen lasse. Meister Sixt begleitete den Wundermann, trat aber bescheidentlich, wie ein dienendes Gestirn zurück, als das feuerrote, dicke Gesicht des Arztes, mit weiß blondem Haar und kahler Platte ausgestattet, gleich einem Vollmond in dem Zimmer des Bürgermeisters aufging. Was trug der Doktor für außerordentliche, rote Pluderhosen, noch nie hatte Waiblingen so etwas Faltenreiches gesehen, die Bänder hingen daran so reichlich herunter wie an einem Erntekranze; zehn Ehrenketten beschwerten den schwarzen Wams, der nicht minder seltsam nach Venezianer Art geschnitten war; seine Finger waren mit unzähligen Ringen voll Grabsteine bedeckt; auch einen prachtvollen, türkischen Dolch trug der feurige Drache, einen Kranz mit Amuletten um seine Hüften und sein Diener stellte einen kleinen Turm voll künstlicher Scheiben, Zifferblätter in die Mitte der Stube, in welchem unzählige Räder schnurrten. In solchem Aufzuge war noch kein Arzt erschienen, es war, als ob eine kleine Welt mit ihm zöge, auch war sein Wesen dermaßen heroisch, daß Frau Hildegard, die sonst wohl ihren Platz zu behaupten wußte, verlegen an ihren Armen auf und niederstrich, als hätte der Beichtvater sie beim Fluchen über ihre Mägde angetroffen. Nun sprach Faust den Kranken lateinisch an, der ihm die Antwort in gleicher Sprache nicht schuldig blieb, und daran hatte Frau Hildegard ihre Freude, sie meinte immer, ihr Sohn wisse alles und noch etwas mehr. Doktor Faust berechnete nach dem Geburtstage die Konstellation an der Maschine und den Pulsschlag nach einem Perpendikel, den er schwingen ließ und erklärte dem Bürgermeister, er könne ohne Transfusion des Blutes nicht vierzehn Tage leben. »Aber ich habe schon dreißig Jahre so kränklich fortgelebt, warum sollen diese vierzehn Tage mehr über mich vermögen, als dreißig Jahre?« fragte Berthold. »Die Konstellation ist zu Ende«, schrie der Doktor, »es stürzt bald alles zusammen, wie an einem Gewölbe, dem der Schlußstein entnommen wird.« Die Mutter erkundigte sich, was es denn eigentlich mit dieser Transfusion auf sich habe, wie sie gekocht und abgedämpft werde. – »Ihr Narrn«, sagte Faust, »wißt ihr hier in dem Loche noch nichts von meiner neuen Heilart, mit der ich den König von Portugal und die Königin von Neapel verjüngt habe; durch eine große Saugepumpe ziehe ich das alte Blut aus den Adern des Kranken, indem ich junges, überkräftiges Blut gleichzeitig durch ein Druckwerk in dessen Adern ergieße; das Faß ist oft noch gut, wenn auch das Bier verdorben ist, so ist's auch mit dem Menschen; die Kunst des Arztes besteht darin, im alten Menschen einen neuen zu erbauen.« – »Da soll ich also wieder zum Kinde werden!« rief Berthold. – »Gewissermaßen«, fuhr Faust fort, »fanget Ihr ein neues Leben an, wie ein Mensch sich neu und frisch fühlt, der von einer Fußreise heimkehrt und weiße Wäsche angelegt hat; dreitausend habe ich erneut und jene Mühle, in der die Alten jung werden, von der das Volk erzählt, die Auferstehung selbst ist nur als Nachbedeutung meiner wunderbaren Kunst zu betrachten.« – »Ich habe sie oftmals mit großer Admiration verifiziert gefunden!« meckerte der Maler. »Mein abgelebtes Blut will ich gern opfern«, sprach Berthold, »doch niemals möcht ich einem andern sein gesundes, junges Blut für Geld abkaufen, noch weniger mag ich tierisches Blut in meinen Adern, das wäre Blutschuld, vor der mir graut.« – »O ha«, entgegnete Faust, »es leiden und sterben eben so viele an zu starkem Blute, als andre an zu schwachem, ich gleiche aus, ich helf mit einem Kunststück beiden und seltsam ist es, wo ich einen Schwachen finde, da treff ich immer einen Überstarken, als ob zwei Leben eigentlich gesellt, zusammen innerlich gehörten. Gleich hier, bei Meister Sixt, liegt krank in wilder Phantasei der starke Knabe Anton, der ist des Todes Eigentum so gut wie Ihr, wenn ihm kein schwächres Blut kann eingetrichtert werden; wenn Ihr für Euch das große Werk nicht wollt vollbringen, so tut es aus Erbarmen für den schönen Knaben, dem alle Welt in Freuden aufgeht. Ihr schüttelt mit dem Kopf, Frau Hildegard, verflucht, ich gehe augenblicklich von hier und laß den lieben Sohn krepieren; seht hier mein großes Zeugenbuch, da leset, wie ich in Spanien, Frankreich und in Rom geehrt, hier sind sie alle abgemalt, wie meine Kranken vor der Kur und nach der Heilung ausgesehn, seht diese Bleichheit, Magerkeit und hier die feisten Wangen, den dicken Wanst voll wohlgefüllter Bratwürste, wie der so ritterlich turniert, der dort vom großen Stuhl sich nicht erheben konnte.« – »Hier meine Hand«, rief Berthold mutig, »ich wag's, nichts hält mich ab und eine Kette reiche ich Euch zum Lohne, wenn ich ein Roß zum erstenmal besteige, schwerer als irgend ein König sie Euch verehrte.« – »Ich nehme den Lohn an«, sagte Faust, »aber der Ruhm, das Glück, welches ich verbreite, ist meine Hauptsache, mein deutsches Vaterland strahlt durch mich bis zu den Säulen Herkulis.« – Frau Hildegard staunte ihn gläubig an und küßte ihm die reich beringte Hand, für die Wohltat, die er ihrem Sohne erweisen wolle, und Faust hob das Kinn und zog die Falten der Stirn zur kahlen Platte hinauf, als ginge ein neuer Vorhang zur Freude der Menschen auf, dann befahl er Meister Sixt, den kranken Anton herzuführen.

Während Meister Sixt fortwippte, trat ein Diener mit Flaschen und kalten Speisen zum Frühstück ein und der alte Fingerling, der bei seiner unermüdlichen Tätigkeit unersättlichen und doch nutzlosen Hunger hatte, zog dem Geruche nach. Der machte Augen über den Wundermann, glaubte ihn schon längst gesehen zu haben und wußte nicht wo, meinte aber, er habe einmal in Bopfingen einen bösen Gesellen hinrichten sehen durch den Strang, der habe ihm auf ein Haar geglichen, der sei wegen eines Bunds mit dem Teufel verrufen gewesen, habe auch den Leuten die Köpfe abgehauen und wieder anheilen können, doch einstmals zweie mit einander verwechselt, woraus großer Prozeß entstanden. Faust schnalzte verächtlich mit der Zunge und sprach: »Das sind Kleinigkeiten, ich habe schon mehr erlebt, ich habe alles versucht und das Hängen war nicht die schlechteste meiner Erfahrungen, es kommt nur darauf an, den Hals zu schützen und daß man zur rechten Zeit abgeschnitten wird, ich habe dabei sehr viel über den Zusammenhang zwischen Kopf und Herz gelernt und dies Mittel schon mehrmals mit Erfolg angewendet.« Fingerling saß da wie erstarrt, so ein Mensch war ihm nicht vorgekommen, er konnte kein Wort vorbringen und zog sich ohne den Rücken ihm zuzukehren, allmählich zur Türe zurück, wo er auf Sixt und dessen dicken Sohn Anton fiel, die leise eintraten. Berthold und Frau Hildegard schämten sich zu erklären, was das alles bedeute, aber sie fühlten sich immer mehr von Fausts Allmacht bezwungen, sie wagten nicht zu widersprechen. »Welch ein prächtiger Knabe«, rief Berthold dem Anton entgegen, »aber seine Augen glühen und seine feurigen Wangen glänzen, seine Worte irren und seine Arme winden sich jammervoll, er faßt an sein Haupt, es schmerzt ihm, und wenn ich stürbe und hätte dem Knaben das Leben gerettet, es sollte mir nicht leid sein.« Doktor Faust legte aber schnell seine Ehrenketten und sein Wams, seine Ringe und seinen Spitzenkragen ab, setzte eine große Brille auf die Nase, streifte sein Hemde auf, daß seine Muskeln wie Mäuse unter der Haut spielten, als er die Pumpe nun aus dem Planetenkasten hervorhob und in Bewegung brachte, sie nach der einen Seite an Bertholds Arm, nach der andern auf des betrübten Antons rechten Arm anbrachte. Nun öffnete er mit einem Schnepper die Adern der beiden, wies Sixt und Fingerling an, wo sie das Tretrad der Pumpe bewegen sollten; Frau Hildegard wollte beten, er schlug ihr aber auf den Mund und arbeitete wie ein Rasender, indem er nach allem zugleich sah; Fingerling meinte, er habe doppelte Augäpfel in diesen Minuten gezeigt. Die Hitze des Zimmers mehrte sich so schnell, daß die befrornen Fensterscheiben einen Regen herabtropften und den Lichtstrahlen freien Durchzug, als ob sie auch neugierig würden, gestatteten. Frau Hildegard bemerkte zuerst, wie der Knabe aus der dumpfen Fieberhitze erwacht, fröhlich zum, Fenster blicke und von den bunten Wappen in denselben spreche, wahr und richtig wie ein verständiger Sinn sich ausdrückt; dann sah sie mit noch größerer Freude, wie sich die Wangen Bertholds mit dem edlen Lichte des starken Blutes füllten, wie er kräftiger atme und seine Arme unwillkürlich versuche, wie ein erstarrter Vogel die angefrornen Flügel.

Endlich schlug eine Glocke unter der Pumpe, Faust löste die saugenden Schläuche von den Armen der Kranken, verband die geschlagenen Aderwunden, legte die Kranken bequem auf die wohlgepolsterten Bänke, die um das Zimmer liefen, trocknete sich die Stirn, zog aus seiner Tasche eine gläserne Flöte und blies so sanft träumend hinein, daß beide Kranke in einen festen Schlummer fielen, auch Frau Hildegard, Fingerling und Sixt sich nur mit Mühe des süßen Schlafs erwehrten. Aber im Augenblicke drangen zwei Arbeiter mit Feuergeschrei ins Zimmer, der Schornstein strecke eine feurige Zunge gen Himmel. Faust, Sixt und Fingerling, auch Frau Hildegard liefen mit den Leuten fort, so blieben die beiden Kranken allein mit den seltsamen Maschinen und Gemälden.

Berthold wachte zuerst aus dem Schlafe auf und konnte sich nicht gleich erinnern, was mit ihm vorgegangen; er hatte ein Gefühl so frisch wie damals, als sich ihm der Schatz in der Nacht gezeigt hatte, den er auch jetzt wieder erwartete. Da fand er den Knaben Anton und blickte ihn wie einen Segen des Himmels, wie einen Schatz an, er fühlte ein lebendiges Wohlwollen gegen ihn, als gehörte er zu ihm, es ging ihm durchs Herz, er müsse ihn an Kindesstatt annehmen, dem er so viel danke, ja er meinte, einige Ähnlichkeit im Knaben mit seinem Bilde, das daneben stand, wahrzunehmen, obgleich jener viel stärker an Muskeln und Knochen, gewaltsamer im Ausdruck, kraushaarig und dreiahrig aus großem Überfluß der Natur entsprossen zu sein schien. Er weckte ihn mit sanftem Streicheln seiner Wangen, der junge Bullenbeißer wachte brummend auf, sprang heftig empor, sah sich um, rieb sich die Augen und setzte sich heißhungrig zu dem Frühstück, das Faust auf dem mit herrlichem Teppich bedeckten, runden, geschweiften Tische, den Adler trugen, hatte stehen lassen. »Im Himmel ist gut Leben«, sagte der Knabe mit tiefer Stimme, daß die Balken brummten, »und Ihr seid ein recht braver Herr Gott, wie haben mich die Teufel im Fegfeuer mit Hunger und Durst geplagt.« – Ehe der Bürgermeister noch antwortete, weil er in stillem Vergnügen den derben, lebenslustigen Bengel beschaute, traten Faust und die Mutter mit Sixt ein, und riefen: »Das Feuer ist gelöscht.« – »Recht so«, sagte der Knabe, »nun will ich auch meinen Durst löschen«, und leerte die irdene, mit Ritterbildern erhaben und bunt überglaste Ehrenkanne. – Meister Sixt trieb ihn aber unsanft von dem himmlischen Mahle und der Junge sagte: »Wenn Er mit in den Himmel gekommen ist, so wird es schmale Bissen geben und mein ganzer Spaß ist zu Ende.« – »Hört Meister«, sprach Berthold, »über den Knaben will ich Euch einen Vorschlag machen, jetzt muß ich zuerst unserm Retter, Erhalter, dem hochverehrten Faust danken, indem ich ihm die versprochne Kette umhänge.« – »Gebt her den Quark«, antwortete Faust, »ich will sie als ein Angedenken schätzen, sonst kann ich mir Gold genug machen und feineres, als der Bergmann scheidet, ich werde nur freilich etwas stark, die chemische Arbeit macht mir Mühe. Übrigens Herr, ich rate, Ihr wollt den Jungen haben, den lasse ich Euch nicht, ich brauch einen zum Kräutersammeln und zum Stehlen der Leichen, wenn ich meine anatomischen Untersuchungen fortsetze.« – »Ich hätte ihn an Kindesstatt angenommen«, sagte Berthold, »aber ich möchte nicht gern Eure unzähligen Menschen wohltätige Versuche stören.« – Meister Sixt aber trat zwischen und sagte: »Mit aller Devotion, die ich gegen beide Signorias habe, kann doch aus Dero wohlwollenden Desseins nichts werden, da gedachter Jovane mir von hoher Hand anvertraut ist, ich denselben auch zum Farbenreiben wegen seiner Force wohl applizieren kann, so ist es mir nicht möglich, Euch mit demselben ein Präsent zu machen.« – »Wenn Ihr mir den Jungen nicht überlaßt«, sagte Faust grimmig, »so schicke ich Euch zehn schwere Krankheiten über den Hals, Ihr sollt zugleich an Schwind und Windsucht, an Heiß und Wassersucht leiden.« – Da stellte sich der Knabe Anton mit drohender Faust vor den Doktor und rief: »Noch ein Wort, du alter Zauberer, so schlage ich dir die Zähne ein.« – »Das ist ein böser Bube«, sagte Frau Hildegard, »den leide ich nicht im Hause, geht ihr Herren, mein Sohn muß sich noch ausruhen.« – »Ihr habt recht«, sprach Faust, packte seinen großen Kasten auf Antons Schultern, »den kleinen Bösewicht will ich mir schon zähmen!« So scheltend zogen die dreie fort und jetzt erst konnte die Mutter den Sohn recht herzlich küssen und ausfragen: »Wie ist dir jetzt? Wie war dir? Glaubst du dich gesund? Wird das lange dauern? Ach ich habe kein Zutrauen zu dem grimmigen Doktor; er hatte so etwas Entsetzliches, als er den Knaben forderte, als wäre er ein Teufel, der die Seele zum Lohn nimmt, wer weiß, was er noch von dir fordert?« Aber Berthold wurde wieder müde, verschlief noch den Tag und wachte erst am Abend auf, beruhigte aber die besorgte Mutter gleich mit dem Ausruf: »Ich fühle gründlichen Schlaf, wie einen kräftigen Wein in allen Adern, mir war's im Traume, als erhielte ich mit jedem Augenblicke erfreuliche Nachricht über etwas, was mich lange bekümmert, auch kam es mir vor, als gingen die Uhren rückwärts, so wendeten sich auch die Jahreszeiten in umgekehrter Ordnung um mich her; ich sah schöne Frauen mit Anteil und auch der Schmerz um Apollonien hatte sich gemindert; ich fühle, daß ich ganz gesund werde, daß meine späteren Jahre für alles Versäumte mich schadlos halten; geben wir Gott die Ehre, aber wir sind dem Faust großen Dank schuldig!« – Die Mutter war so innig erfreut über seine veränderte Gesinnung, daß sie ihm wieder alle Bräute mit allem, was an ihnen zu loben, im Gespräche vorführte, auch hörte er ihr diesmal geduldig zu und bekannte, daß eine Heirat ihn sehr glücklich machen könnte, wenn er eine zweite Apollonia auf Erden fände. »Sieh nur um dich«, sagte die Mutter, »wähle, welche du willst, es schlägt dir kein Vater seine Tochter ab, die reichsten Geschlechter haben es mir unter der Hand durch arme Witwen sagen lassen, du brauchtest nur anzuklopfen und dir würde aufgetan; ich wüßte keinen schönern Lohn für mich, als wenn ich am Ende meiner Tage ein Kind von dir auf meinen Armen wiegen könnte.«

Der Bürgermeister versprach gerührt, das Heiraten in bessere Überlegung, als bisher, zu nehmen und Frau Hildegard ging froh von ihm und ließ eine für die Genesung des Sohnes seit lange angelobte, ewige Lampe vor dem Marienbilde am vordern Hausgiebel mit frommen Dankgebete anzünden. Die Stadt lief bei der seltsamen Erscheinung zusammen, erzählte sich von der Heilung des guten Bürgermeisters und brachte ihm unter Begleitung der kunstreichen Stadtpfeifer ein freudiges Lebehoch. Berthold war tief gerührt durch die Teilnahme der Menge, er hätte gern zu ihnen gesprochen, aber die Mutter Hildegard wollte es aus Sorge, er möchte sich erkälten, nicht dulden. Es war auch gut, denn sonst hätte er mitten durch den Jubel das Geschrei im Ratskeller gehört, was der trunkne Faust in demselben mit allerlei Katzen und Hunden anstellte, die er unter Gotteslästerungen marterte, wie er sich mit dem alten Sixt . um Anton zankte und endlich von diesem zum Keller hinausgeworfen wurde und nun auf allen vieren, weil er sich sonst nicht halten konnte, zum Spott der Knaben über das Eis hinkroch, bis ihm einer in einer Seitengasse einen Schweinestall öffnete, wo er mit seinen grunzenden Glaubensgenossen eine selige Nacht verschlief.


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