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Dritter Aufzug

1

Nacht. Weideplatz mit alten Eichen, auf einer Seite ein großer Stein, auf der andern eine Kapelle, im Hintergrunde die Burg Neugleichen. Gottschalk sitzt vor der Kapelle, hält in der Hand eine brennende geweihte Kerze und liest halblaut in einem großen Buche. Barbara läuft mit einer Rute um den Stein und macht murmelnd Kreise, wirft auch abwechselnd auf ein kleines Kohlenbecken allerlei Weihrauch. Norbert, Gangolph und Joseph arbeiten daran, den Stein überzukippen, mit Schaufeln und Stangen.)

Norbert: Hier frisch eingestochen, hier muß der Stein überkippen.

Gangolph: Es war mir eben, als hörte ich einen dort unten schnarchen.

Norbert: Das wird wohl ein Maulwurf gewesen sein, die schnarchen so gewaltig, daß die Erde Nasenlöcher bekommt.

Gangolph: Ich wollt', sie hülfen uns, ich dampfe schon wie ein Turnierpferd.

Joseph: Wär's nur am Himmel ruhig.

Gangolph: Hör nicht darauf, wir müssen eilen, es tagt früh.

Gottschalk (mitten im Lesen, ohne aufzusehen): Eilt euch, ihr armen Grafen, ich lauf sonst davon; sieht mich der Schloßvogt, so werde ich gefangen, denkt daran, es ist ein Grenzstein.

Barbara (ohne im Gehen sich unterbrechen zu lassen): Lese Er, sonst holt uns Satanas leibhaftig.

Norbert: Eilt euch, eilt euch! – was stehst du wieder müßig, Joseph? ich treff dich mit dem Grabscheit.

Joseph: Die Arme brechen schier, und das Herz bricht mir aus Gram um die Mutter; es tagt, da gibt sie mir den Segen, und nun findet sie mich nicht mit ihrer lieben Hand.

Norbert: Warum muß sie dir auch immer den Segen geben und uns nicht; du nimmst uns das Fett vom Segen ab.

Gangolph: Halt Frieden mit dem Knaben. Der Stein bewegt sich, ja, wenn er Haare hätte, da wollte ich ihn packen.

Norbert: Ich stoße ihm die eiserne Stange in den Leib. Es geht. Joseph, krieche her und stecke die andre Stange unter diese her.

Joseph: Haltet ihr nicht den Stein, so bin ich platt gequetscht wie eine Maus in der Falle.

Gangolph: Wir halten schon. Nur noch ein Ruck, und der Zahn ist heraus; wie die alte Erde bluten wird . .

Norbert: In lauter Goldströmen!

Joseph: Glück auf, der Stein kippt über.

(Der Wächter in Neugleichen bläst.)

Gottschalk: Rettet euch, der Wächter bläst den Tag an. (Er läuft davon.)

Barbara: O weh, o weh, er liest nicht mehr, der Satan packt mich mit seinen heißen Krallen; hau nicht so grimmig mit den Nesseln um meine Beine, weh mein Kopf in den Hörnern. (Sie läuft davon.)

Norbert: Die Törin, sie saß in einem dürren Ast, das, meinte sie, wären Teufelshörner. Wie dumm von dir, daß wir uns mit dem Volk belastet haben, sie werden doch etwas vom Schatz uns abverlangen.

Gangolph: Es ist geschehn, und bei uns steht's, wieviel wir ihnen geben. Spring hinein, Joseph, und hol uns die erste Hand voll Edelsteine aus dem Grabe.

Joseph (springt hinein): Tief genug ist's, aber ich kann nichts finden, es ist ein glatter Boden wie in einer Braupfanne, es laufen ein paar alte Kröten darauf umher, weiter finde ich nichts.

Gangolph: Auch nicht Kohlen? die werden an der Luft zu Geld.

Joseph: Nichts, überall nichts, auch in den Ecken nichts.

Gangolph: Nichts, das ist der Teufel! Wäre uns nur der Gottschalk nicht fortgelaufen, so hätte der Teufel den Schatz nicht verstecken können.

Norbert: Kein Teufel, Spitzbuben haben den Schatz gestohlen.

Joseph: Ach Gott, wie wird mir angst!

Gangolph: Wer hat's verraten? Wem hast du's erzählt, Joseph? gleich bekenne, oder wir lassen dich nicht heraus.

Norbert: Arm und Bein zerschlag ich dir, Joseph, wenn du nicht gleich bekennst.

Joseph: Ihr ruft mich so grimmig an, als ob ich schon verdammt wäre. Laßt mich heraus, die Blindschleichen umschlingen meine Füße.

Gangolph: Erst bekenne, wem du von unserm Schatze erzählt hast, das mildert deine Strafe.

Joseph: Niemand, niemand – ausgenommen neulich – der sagt nichts wieder, der stiehlt nicht – der ist so fromm.

Gangolph: Wer? wer?

Joseph: Dem alten geistlichen Herrn, der mir immer an der wüsten Kirche Unterricht gibt im Lesen und Schreiben, er lächelte darüber und sagte: Fleiß und Sparsamkeit sei der beste Schatz.

Norbert: Welcher Geistliche? Nie leid ich das müßige Volk im Schlosse.

Gangolph: Ich höre auch zum erstenmal von ihm, sicher läßt ihn die Mutter kommen.

Joseph: Nein, die Mutter kennt ihn nicht und wundert sich immer, wenn ich von ihm erzähle.

Norbert: Das ist sicher der Schatzgräber, der schon seit Jahren hier im Lande herumzieht, der hat ihn gehoben; es ist, als ob mir der Zornteufel die Kehle zuschnürte, ich möchte mir das eigne Fleisch von den Knochen reißen.

Gangolph: Norbert, hältst du nicht, so kippt der Stein nieder, ich kann nicht mehr gegenstämmen, die Glieder zittern mir.

Joseph: Helft, helft, Erbarmen!

Norbert: Laß ihn fallen! (Der Stein stürzt nieder.) Ich wollte, der Himmel stürzte zusammen, so schlüge er alle Vögel tot, die uns ausspotten.

Gangolph: Der Tag leuchtet, wir sind zu müde, den Stein aufzubringen; was wird die Mutter sagen, wenn Joseph ausbleibt?

Norbert: Sie hat ihn nicht uns zum Aufheben gegeben. Barbara sagte, sie könne allein wissen, ob Joseph den Schatz heben dürfe. Hier scheidet sich Echtes vom Unechten. Der Teufel holt immer seine Beute auf andre Art, als der Mensch denkt. Haben wir keinen Schatz gefunden, wir sind des Barstards los.

Gangolph: Wenn er Luft hat, so kann er unten noch lange leben, wir retten ihn heut nacht, wenn alles finster.

Norbert: Bist in allem halb, darum ist dein eines Auge blau, das andre braun. Joseph soll nicht leben.

Gangolph: Aber wohin mit uns? Sollen wir Gottschalks Rat folgen und mit den Freijägern Neugleichen erobern?

Norbert: Du bist ein echter Gleichen! Nach dieser Nacht wag ich alles.

Gangolph: Fort, fort, sonst erregen wir Argwohn.

(Gangolph und Norbert bleiben im Hintergrunde stehen, die Markesa als Ritter gekleidet und bewaffnet tritt mit Galeratus auf, der ebenfalls gewaffnet ist.)

Markesa: So meint' ich doch, da stehe Ritter Plesse,
Und Bernhard wollte sich vor mir verstecken.

Galeratus: Die sehen eher Räubern gleich als Rittern,
Ich hab den Dolch bereit, seid ruhig, Frau.

Markesa: Ein schlimmer Streich, daß wir uns heut verirrten;
Es ist noch keine Viertelstund', als ich
Gedankenvoll den Schritt beschleunigte
Und ihren Schritt noch hinter mir vernahm.

Galeratus: Das war mein Schritt,
der Eurer Eil' nachstrebte.

Gangolph (zu Norbert): Sie sprechen leise; haben sie gelauscht,
Sie könnten uns verraten.

Norbert: Will sie fangen!

Galeratus (zu Norbert): Ihr Herrn, wo geht der rechte Weg nach Hanstein,
Zu Ritter Bernhards Burg?

Norbert (zieht den Dolch): Bleibt doch bei uns,
Kommt mit zu uns, der Weg dahin ist schlecht.

Galeratus (zeigt seinen Dolch): Ein blinkender Wegweiser, Herr;
doch seht,
Nicht wen'ger blank ist dieser hier nach Hanstein,
Und zweie gegen zweie sind sich gleich.

Gangolph: Nun, Ihr verstehet Scherz, dort geht der Weg,
Seht da das Schloß im blauen Wälderkreis,
Nehmt das Geleit mit Euch.

Galeratus: Zum Dank ein Trunk!

Gangolph (trinkt): So recht, mir war recht hellig.

Norbert: Laß mir auch was!
Das hat gemundet, lebet wohl, ihr Herren!
(Gangolph und Norbert ab.)

Markesa: Oh, wäre dies die letzte Angst gewesen,
O könnte diese Angst die Liebe tilgen.

Galeratus: Wir können nun den Weg nicht mehr verfehlen,
Er ist quer durch den dichten Wald gekerbt.
Ach, fänden wir den Weg nur nach Venedig.

Markesa: Erst sei mein Herz versöhnt, und auch der Rat
Muß erst durch Geld von mir versöhnet werden:
Ach dort, da werd ich ihn erst recht vermissen.
(Markesa und Galeratus ab.)

Bilibald (kommt vom Schlosse mit einer Pergamentrolle):
So hab ich mich ein volles Jahr bezwungen,
Nicht aus den Mauern unsrer Burg zu treten!
Das Wetter ist zu schön, ich halt's nicht aus,
Der Meistersänger übermannt den Schloßvogt,
Ich muß hinaus, wer wird auch heute kommen,
Gerade heute und warum just heute?
Sollt' sich ein unbekannter Feind uns nahen,
Die Welt ist ja von ew'gem Frieden selig,
Und durch die Blumen springt mein fernes Liebchen.

Anneliese (kommt): Herr Schloßvogt, seid gegrüßt, saht Ihr den Joseph,
Den jungen Herrn von Altengleichen, heut?
Er ist uns fortgeschlichen, und die Mutter
Besorgt, daß ihm ein Unglück sei geschehen.

Bilibald: Ein Glück ist ihm geschehen – ja, ich wette –
Wie mir, daß ich dir hier begegnen muß.
Ich hab mich hier verirrt, zeig mir den Weg
Zu deinem Munde, liebes süßes Kind.
Ich helf dir suchen deinen jungen Herrn.

Anneliese: Ach Herr, dies ist mir eine große Gnade.

Bilibald: Sieh, wie die Vögel ziehen über uns,
Und wir, wir sollten hinter Mauern lauern?

(Bilibald drückt ihr die Hand.)

Anneliese: Wenn des Frühlings Heere ziehen,
Lerche frisch die Trommel rührt,
Ach da möchte ich entfliehen,
Ach da werd ich leicht verführt,
Handgeld, Händedruck zu nehmen,
Und ich kann mich gar nicht schämen.
Bäume wie die Lanzen blinken,
Helle Knospen brechen auf
Und wie Federbüsche winken,
Zieht hinüber Windes Lauf;
Blüten auf die Lippen fallen,
Und ich muß so lockend schallen.
Schwinge deine Blütenfahnen,
Apfelbaum im Morgenschein,
Frühlingskrieger anzumahnen,
Daß sie schwören, treu zu sein.
Die im Frühlingskrieg verbunden,
Einen sich zu ew'gen Stunden.

Bilibald: Du Engel, hast mein Lied so hübsch gesungen,
Komm mit, ich will im Wald dir andre lehren.

(Er geht fort mit ihr.)

Gottschälkchen (hat sich leise genähert, singt):
Wie gefährlich sind die Zeiten,
Wenn die Bäume schlagen aus,
Nachtigall schlägt drauf von weiten,
Jedes Blatt macht sich so kraus;
Nach den beiden muß ich sehen,
Die im Grünen sich ergehen. (Er schleicht ihnen nach.)

2

(Ritter Plesse und die Gräfin treten gerüstet auf. In der Ferne erklingt eine Laute.)

Plesse: Jener Töne fernes Irren
Führte nicht vom Wege ab,
Schon mit bangendem Verwirren
Hemmt das Aug' den Wanderstab;
Hier eröffnen sich die Äste,
Endlich blicken wir hinaus,
Und es war doch Gleichens Feste,
Dieses rätselhafte Haus.

Gräfin: Gleichen war es, was wir sahen
Mitten durch den Blütenglanz
Wie ein bleiches Haupt uns nahen,
Das geschmückt mit frischem Kranz.
Schmerzenheimat, Haus der Leiden,
Enge Mauern, drückend Dach,
Daß der treue Freund will scheiden,
Klagt aus dir der Winde Ach!

Plesse: Nein, die Welt erglänzt von Freuden,
Und der Wind jagt allen nach,
Schäflein auf dem Walle weiden,
Zu der Mühle stürzt der Bach,
Und ich mein, dieselben Fluten
Sah ich sonst wie jetzt am Tor
In den frühen Strahlen bluten,
Blutend stand mein Herz davor.

Gräfin: Aber ach, die flut'gen Wellen
Kehren nie zu ihren Quellen,
Und der Menschen leichter Kahn
Fährt wohl nie dieselbe Bahn.

Plesse: Was ist Fliehen, was ist Scheiden,
Wenn die Wipfel alle blühn,
Und in tausend sel'gen Leiden
Die Gedanken himmlisch glühn!
Ach, da bleibt ein Wetterleuchten,
Wenn die Sonne unterging,
Und die Tränen frisch befeuchten,
Was den Kopf zu traurig hing.

Gräfin: Ja, ich fühle in dem Leiden,
Daß dein Bild wie eingebrannt
Auch nach dieser Sonne Scheiden
In mein Auge bleibt gebannt:
Ach, in dieser Wipfel Rauschen
Schallet deine Stimme mir,
O wie oft werd ich hier lauschen,
Wanderst du schon fern von hier!

Plesse: Was ist Fliehen, was ist Scheiden,
Wenn die Wipfel alle blühn
Und wir in den fernen Weiten
Wie in lieber Nähe glühn!
Doch wenn Geistes Blätter fallen,
Wolkenzug den Himmel deckt,
Und kein Herz im Frost kann wallen,
Nichts die öden Sinne weckt,
Wenn der Vogel uns begrüßet
Mit dem letzten Abschiedsschrei,
Und ihm keine Träne fließet,
Und das Herz von Sehnsucht frei:
Dies Vergessen, dies Entfallen
Aller Blüte aus dem Geist,
Wend, o Liebe, ab von allen,
Die du hier in Schmerzen weihst;
Dies Vergessen und Vergehen
Aller Lust der Frühlingszeit,
Laß dem Treuen nicht geschehen,
Nimmer sei sein Herz zerstreut,
Daß kein frühes Bild erblasse,
Frühes Wort sich nie vermißt,
Daß es Gegenwart nicht fasse
Und die Zukunft ganz vergißt.
So laß fliehen, so laß scheiden
Meiner Tage ernste Zahl.

Gräfin: Nahe leuchtet diesem Leiden
Einer Zukunft Hoffnungsstrahl.

Plesse: Immer ernster wird mein Denken,
Immer treuer wird mein Sinn,
Und ich darf die Blicke senken
Zu der tiefsten Tiefe hin,
Denken darf ich an das Scheiden,
Daß ich dich nicht wiederseh;
Dich zu sehen, dich zu meiden
Brachte mich zur schwersten Höh'.
Fort, nun muß es leichter gehen,
Diesseit bleibt zurück der Graus,
Jenseit winken andre Ehen,
Geistesnähe baut das Haus,
Und das Schöne der Gestalten
Ist auch Geist und blüht da auf,
Kein Erkalten, kein Veralten
Kennet da der Sterne Lauf.

Gräfin: Mir die ernsten Träume schenke,
Die entfliehen deiner Brust,
Wenn ich deiner dann gedenke,
Wirst du meiner auch bewußt,
Daß in künft'gen ew'gen Stunden
Eins den andern wiederkennt;
Weil wir innerlich verbunden,
Uns der Herr der Welt nicht trennt.

(Die Melodie aus der Ferne schweigt.)

Plesse: So sind wir schon verbunden; ja beim Himmel,
Als ich Euch tot in meinen Armen trug,
Da fühlt' ich, daß Ihr unsichtbar in mir,
Und dieser Leib war nur der Schönheit Sarg,
Die mich mit Euch zur Ewigkeit verbunden.
Begreif ich's, wie ich Euch verlassen konnte,
Als uns die Jugend freundlich wollte einen?
Wohl ist ein Teufel in des Menschen Willen,
Ein stiller Wahnsinn den Verstand umlauert.

Gräfin: Notwendiger scheint nicht dies neue Scheiden,
Nennt Eure Heimat dieses Schloß, Ihr habt
Durch treuen Dienst hier Eigentum erworben.
Der Graf, gekettet an die junge Liebe,
Die ihm im Glanz des Morgenlands erschien,
Wird dieses innre Band uns nicht mißgönnen.
Denkt, unsre Liebe ist kein Kindermärchen,
Wo keiner weiß, wohin es führen kann,
Kein ird'scher Wunsch kann jemals sie erfüllen,
Wir können sie vor aller Welt enthüllen.

Plesse: Ich fühl mich nicht so stark in meinem Herzen,
Mit diesem Jahre habe ich gerungen,
Und dieser Sieg er hat mein Herz gebrochen.

Gräfin: Ich kenne Euch, Ihr schauet tief in Euch!
So ist es wirklich Zeit, Euch abzulohnen?
Was schenk ich Euch für so viel treue Dienste,
Für so viel Mühe um mein armes Leben?
Und dieses Scheiden will ein dauernd Zeichen.

Plesse: Euch danke ich die Kunst, in Schrift zu lesen,
So habt Ihr mir die heil'ge Schrift enthüllt,
Und näher rückte mir die Welt der Gnade.
O sel'ge Stunden in Jerusalem,
Als ich am heil'gen Grab des Herren Taten,
Sein heil'ges Wort durch Euch, mit Euch gelesen:
O schenket mir das Buch zum Angedenken,
Das aufgeschlagen lag an jenem Morgen
Im Gärtchen, wo wir beide uns erklärten.
Es hat die Kraft von Eurer lieben Nähe
So oft empfangen, daß es mich Euch naht;
Könnt Ihr es missen, so verleiht es mir.

Gräfin: Ich ließ es wohlbewahrt im Schloß zurück,
Es sei das erste, was ich such im Schlosse,
Wohl ist's ein Buch, wie Euer Herz es braucht.

Plesse: Ihr werdet ungern dieses Buch vermissen.

Gräfin: Bald fehlt mir doch die gute Zeit zum Beten,
Denn mit dem Grafen zieht der Wirtschaft Sorge
Zu Fest und Ritterspiel ins stille Schloß.
O betet dann für mich und denket mein;
Ich eile, Euch dies Büchlein herzubringen.

Plesse: Ich seh Euch sicher noch?

Gräfin: Was zweifelt Ihr? –
Wohl heute noch einmal und künftig öfter!
Wohin Ihr geht, hieher ist Euer Ziel.

Plesse: Die Flüsse winden sich in ihrem Lauf
In tausendfacher Krümmung, und der Wandrer,
Der ihnen immer wieder ist begegnet,
Glaubt nicht, daß sie die Erde je verlassen,
Und endlich stürzen alle doch ins Meer.

Gräfin: Ja alle, nur durch kurze Zeit geschieden.
Das Menschliche verlangt nach seinem Ende,
Es gibt ein Ziel, wohin die Zeit uns treibt.

(Sie geht nach dem Schlosse, Ritter Plesse legt Rüstung und Wanderstab bei der Kapelle nieder, die Laute tönt aus der Ferne.)

Plesse: Der Blinde schleicht am Wanderstabe,
Weiß nicht, daß schon die Sonn' im Meer,
Er trägt an seiner Last so schwer,
Die Last ist seine einz'ge Habe:
Den Knaben trägt er heut zu Grabe,
Der treu ihn durch die Welt geführt,
Ihn hat der Hungertod berührt,
Als er für ihn gefleht um Gabe.
Die Gabe, die geschenkt dem Kleinen,
Die er ihm sterbend dargereicht,
Das Brot, mit Tränen eingeweicht,
Kann er nicht sehn und nur beweinen.
Er sucht geweihte Erd' zu finden
Und scheut zu missen seine Last,
Wenn er die kalte Hand nicht faßt,
Was soll ihn noch der Welt verbinden;
Dem Blinden kann sich auch verkünden,
Der ihn im hohen Himmel kennt,
Er hat ihn von der Welt getrennt,
Daß er soll ihn allein hier finden.
Der Müde sinkt, und an der Stelle
Fühlt er des Altars heil'gen Stein,
Er gräbt den ird'schen Führer ein,
Des Himmels Führer strahlt ihm helle,
Des Himmels Frühling ist erschienen.
Bei seines Lieblings ird'schem Grab
Es wurzelt ein der Wanderstab,
Das dürre Holz will wieder grünen.
Es wächst zum Blütenkranz am Grabe,
Und der im Himmel richtend liebt,
Hat ihn aus Liebe nur betrübt,
Der Gott im Menschen war der Knabe.

(Er steigt langsam in die Kapelle, aus dem Walde kommt der Graf von Gleichen mit einer Laute langsam, nachdenkend gegangen, ohne aufzublicken.)

Graf: Ich trug der Einsamkeit Vertraute,
Die Laute, wie die Braut geschmückt,
Ans Herz hab ich sie festgedrückt,
Bis ich vor mir die Jungfrau schaute.
Die Jungfrau sang vor sich, die Laute
Klang lieblicher aus ihrem Mund,
Er tat ein andres Herz mir kund,
Daß mir in dem Entzücken graute.
Der Liebe Töne mich erweckten
Aus meiner Freundschaftsträumerei,
Ich sah, daß etwas wirklich sei,
Daß jene Träume mich nur neckten.
Die Laute will der Hand entfallen
Und hier im Grase liegen bleibt,
Wen Liebe aus der Welt vertreibt,
Dem wird sie Trost der Freundschaft schallen.
Sie konnt' in meinem Herzen lesen,
Sie tritt so still in sich zurück,
Wo sie erschaut der Liebe Blick,
Sonst wär' es Freundschaft nicht gewesen.

(Er legt die Laute beiseite neben der Kapelle nieder.)

So eilt nun alles ungehemmt zum Glück.

(Er blickt sich um und erschrickt.)

Hier öffnet sich die Aussicht, und mein Gleichen
Liegt vor mir wie die Richtstätt' dem Verbrecher.
Schon wieder anders wird mir hier zu Sinne!
Ich hatte es so schön mir vorgestellt
Und ging voraus, ganz ungestört zu schwelgen
In der Erinnerung vergangner Zeit.
Und kein Entzücken hier, nur düstre Ahndung!
Hat sich's verwandelt, oder bin ich anders?
Ist denn die Seele nicht das ewig Eine,
Das in dem Wechsel aller Zeit besteht?
Ach, meine Seele ist in sich entzweit,
Wie kann sie fortbestehn? Sie geht hier unter
Und kämpft sich nicht zum ew'gen Leben durch.
O dieser Untergang, er ist entsetzlich.
Noch gestern dacht' ich Amra ganz besiegt,
Die Gräfin herrschte ganz in meiner Seele,
Als Freundin wollt' ich ihr die Fremde bringen
Und mich ergeben in des Glaubens Willen
Und allen eignen Willen von mir werfen.
Mit diesem Eichenschatten kommt das Bild,
Das ich mit meiner Jugend lang genährt,
Von einer Morgenländerin mir wieder,
Die hier vorüberzog mit fremden Pilgern
Und auf den Schoß mich nahm mit süßer Wollust
Und mir erzählte von dem Wuchs der Palme
Und von der Ruhe in der heißen Glut
Und mich schon mit sich nehmen wollte, als
Der Hartmann in den Weg trat wie ein Eichbaum.
Die Eiche windet qualenvoll um nichts
Die tausend Äste; ach, so sind wir hier,
Und diese edle Palme, die ich mir
Gewonnen, soll mir ohne Frucht verblühn?
Dasselbe Wähnen, Zweifeln kehrt zurück,
Wie in dem Jahreslauf unsicher Wetter,
Obgleich der Himmel ganz kristallhell schien!
Zur Sonne habe ich gesehn vertrauend
Und doppelte Gestalt, wie bunte Flocken,
So schweben die Geliebten vor den Augen.
Dort naht die Gräfin mir und kennt mich nicht,
Und Amra scheint erschrocken zu verweilen,
Vernunft ergötzt sich an der Unvernunft
Und wird nicht satt der schmerzlichen Gewalten.

(Die Gräfin ist in weiblicher Kleidung vom Schlosse herabgekommen und blickt, ohne umzuschauen, in das Gebetbüchlein.)

Gräfin: Wie hat mich Scheu mit diesem Kleid umgeben!
Mein treuer Freund, was Ihr begehrt, sei Euer.

Graf (läßt sich auf ein Knie nieder): Ich hab dich wieder, nichts begehr ich weiter
Als deinen Segen, denn du hast gebetet;
Leg deine Hand auf meine heiße Stirn.

(Sie blickt ihn verwundert an, legt die Hand auf ihn.)

Gräfin: Du bist der Segen, den wir lang vermißt.
Das freud'ge Volk wird deinen Einzug segnen.

Graf: Du hast mit seltner Treue mein gewartet,
Wie soll ich dir vergüten diese Jahre?
Du hast so treue Boten mir gesendet,
Der Bruder rettete mich vom Verrat,
Sprich nicht von ihm, daß nichts die Stunde trübe.

Gräfin: Was ihm geschehen, das geschah auch mir.

Graf: So dank ich dir, was er für mich getan,
Und meine Lieb' zu ihm ist dir gewonnen.
Wir stehn in Gottes Hand, der heut uns schenkt
Ein Wiedersehen nach so langen Jahren:
Es gibt ein Wiedersehn, ein Auferstehn
Von allen Lieben, die wir hier vermissen.

Gräfin: Der Himmel war so gütig, raubte keinen.

Graf (vor sich): Sie weiß noch nichts von dem verlornen Bruder,
O hätte ich das Wort von ihm vermieden.
(Laut) Du bleibst doch mein, wen könnte ich vermissen.
Doch ja, nach einem Diener muß ich fragen,
An dessen Pflege du mich einst empfohlen:
Ist Hartmann nicht hieher aus Rom gekommen?
Er hatte diese Zeit vorausbestimmt.

Gräfin: Noch hat sein Kommen niemand mir gemeldet.
Wird er dir Heil vom heil'gen Orte bringen?

Graf: Ich hoffte einst, jetzt brauch ich nicht dies Heil,
Ein andermal will ich es dir erzählen.

Gräfin: Lebst du noch in dem Willen dieses Alten?

Graf: Hier kenn ich nichts als deinen lieben Willen;
Der Alte hat mir oftmals treu gedient,
Vergessen wir nur das Vergangne ganz,
Es bleibt noch mancher Abend zum Berichte,
Wie seltsam mich der Himmel umgetrieben.
Komm an mein Herz, da wohntest du beständig,
Es ist dein Haus, nun sei es dein allein!
Wie sehnte ich mich manchen Tag nach dir,
Doch wie ich wirklich dich umfassen will,
Da übernimmt mich die Gewalt der Freude.
(Vor sich) Amra, du trittst gespenstisch zwischen uns,
Den ersten Gruß gönn der Verlassenen.
Du heft'ger Strom hast mich der Quell' entrissen,
Ich kehr zu ihr, die alles schöner spiegelt.

Gräfin: Was überfällt dich, lieber Graf, welch Beben?
Und welche Röte überfliegt die Wangen?
Es wenden einwärts sich die offnen Augen.

Graf: Es ist das Morgenlicht, das mich bestrahlt
Es ist die Morgenluft, die mich durchbebt,
Es ist die Morgensonne, die mich blendet,
Es hat das Morgenland mich so verwöhnt,
Es hat die Sorge meine Kraft geschwächt.

Gräfin: Du hast so viel gelitten für den Glauben,
Hier wird die Ruhe deinen Körper frischen,
Daß er des Geistes Heftigkeit erträgt.

Graf: Gedenk nichts Ängstliches bei diesem Schauder,
Doch kann er wohl ein Keim von Krankheit sein.

Gräfin: Gestatte, daß mein Arm dich unterstütze.

Graf: Ich mag dich nicht berühren, daß nicht Krankheit
In meinem Anhauch tückisch dich umstricke.

Gräfin: Gönn mir ein gleich Geschick, und wär's der Tod!

Graf: Ich sink an deinen liebevollen Mund,
Doch weh, ich find die Stelle schon besetzt.

Gräfin: Den Mund berührte nie ein andrer Mund.

Graf: Gibt's Geisterspiel hier unter diesen Eichen?
Ich meine, daß ich einst als Kind gehört,
Daß Geister diesen großen Stein bewachen.
Ich seh ein Mädchen, das dich zärtlich küßte,
Du stehst wie eine Lilie weiß und kalt
Und nimmst die Zärtlichkeit wie den Tribut,
Und jene flammt umher wie Weihrauchfeuer.
Du scheinst so kalt, daß ich bei dir erfriere,
Und jene heiß, daß ich verbrennen muß.

Gräfin: Ich sehe nichts, was mich umschlungen hält,
Wie kann ich zärtlich sein der leeren Luft;
Du aber fliehest meine Zärtlichkeit,
Ein heftig Fieber füllet deine Sinne
Mit wesenlosem Schein aus krankem Blute.
Ich pflegte in der Zeit so viele Kranke,
Wie sorglich werd ich dein, des Herren, warten.

Graf: Wo ist der Arzt, der mich ganz heilen kann!

Gräfin: Der Schloßkaplan weiß manch bewährtes Mittel.

Graf: Hier hilft kein Mittel, denn kein Übergang
Ist zwischen dem, was ewig sich will fliehen! –
Nicht Geist und Körper darf der Mensch zugleich
Beschauen mit demselben Augenlichte:
Mit geist'gem Auge Körper schaun ist Traum,
Und Geister sehn mit körperlichem Auge
Ist Untergang, ist geistige Verwesung.

Gräfin: Wen siehst du denn mit scheuem Aug' bei mir?
Hat dich denn je ein Wolkenbild erschreckt,
Und schien es auch ein Berg, der niederstürzt?

Graf: Das ist nicht Luftgestalt, was ich erblicke,
So tief ziehn nicht die Wolken, so nahe
Stellt nicht der Regenbogen seinen Fuß;
Das ist kein Wesen, von den kranken Sinnen
Aus Dunst und Licht im trüben Geist gewoben,
Es ist die Schuld, die ich umsonst verschweige.
Ja, Amra ist's, die sich jetzt dir vereint
Und mich verläßt, der sie verraten hat,
Der ich verheimlichte, daß ich vermählt,
Die mich aus Sklavenketten hat befreit,
Die mir gefolgt ist in dies rauhe Land,
Um sich mir ehelich hier zu verbinden;
Unmögliches hab ich ihr angelobt,
Jetzt steht sie zwischen uns, um mich zu strafen.

Gräfin: Dein zart Gewissen stellt sich zwischen uns,
Du bist wohl treuer noch als viele Männer,
Die sich der Liebe Gunst von Frauen rühmen;
Verzeihe dir, von mir ist dir verziehen,
Und wie sich alles fügt, laß uns bedenken.

Graf: Du bist so gut, ich will dein würdig sein.
Ich will bekämpfen, die uns mächtig trennt,
Sie legt sich an dein Herz, die tück'sche Schlange,
Sie beißt hinein, du ahndest es nur nicht,
Die deutschen Schlangen haben so kein Gift.
Ist dies ein Teufelsschein, ich banne ihn,
Bei Gott, ich bin noch nicht im Dienst des Bösen.
Mit diesem Messer, das mir einst gedroht,
Will ich der Schlange in die Augen stechen,
Die deinem Herzen sich so frevelnd naht,
So weiß ich doch, wozu es mir geblieben.

(Er zieht sein Messer und sticht in die Luft nahe der Gräfin, Amra ist von der andern Seite herangetreten und hält ihm den Arm.)

Graf: Und das wär' Trug, wie mich ihr Arm ergreift,
Ihr ernster Blick mir allen Willen lähmt!
Ist dieses auch ein Bild erhitzter Sinne,
So bin ich's auch, so ist's mein ganzes Dasein,
So bin ich nur ein Spuk im Hirn des Teufels:
Auf, mutig! mit dem Messer will ich's prüfen.

Gräfin: Bei allen Heil'gen, mäßigt jetzt die Wut,
Die gegen Geisterschein Euch hat ergriffen,
Denn dies ist keiner, ist ein edles Bild,
Und wär's nur Luftgestalt, Ihr müßtet's lieben,
Und was Ihr sahet, scheint mir Ahndung jetzt,
Sie legt sich an mein Herz, steht zwischen uns,
Doch wie ein Engel, der uns neu verbindet.

Graf: So ist sie's wirklich! Gräfin, ja die ist's,
Die mich errettet hat, der ich gelobte,
Sie als mein Weib in diese Burg zu führen;
Ich habe nicht die Stirn, es ihr zu sagen,
Daß du mein Weib, und daß ich sie betrog.

Amra: Sie ist dein Weib! Und Amra ist verstoßen!
Zur Gräfin flüchte ich und fleh um Rache,
Nie ward ein Weib betrogen so wie du
Und keine Jungfrau je wie ich betrogen.
Doch hör auch, Graf, daß du betrogen bist,
Seit ich den Bruder sah der edlen Gräfin –
Ich möchte sagen, daß sie's selber war,
Denn gleiche Liebe fühl ich gegen sie –
Ja, seit Venedig herrschest du nicht einzig
In meinem Herzen, und verzeihender
Bin ich auch gegen dich und deine Untreu;
Der Gräfin bin auch ich wie du ergeben,
Und immer tiefer dringt sie in mein Herz,
Sie ist's allein, die ich im Bruder liebte,
Und auch in dir hab ich nur sie geahndet.

Graf: Wie kann ich loben, was dich mir entreißt,
Wie kann ich tadeln, was ich selbst verbrochen,
Zu teilen, was ganz unzerteilbar ist!

Amra: Ich teile nicht, der Gräfin bin ich ganz
Ergeben, sie ist Wahrheit, du bist Lüge.

Gräfin: Noch schone uns, so eigen ist der Fall,
Ich faß ihn nicht und kann es noch nicht ahnden,
Ob sich ein Glück so seltsam kann begründen.

Amra: Mir ist dies seltne Glück schon fest begründet.
Du magst mich Sklavin oder Schwester nennen,
Nichts ändert das, ich lasse nicht von dir,
Es sei der Graf mein Bruder oder Herr.

Gräfin: So sicher führt die Leidenschaft zum Ziele,
Und nur aus Leidenschaft stammt sichre Wahrheit,
In deiner Neigung söhnt die Welt sich aus,
Du sahst den Ausgang, wo wir andern irrten.

Amra: Du rühmst mich, und es tut mir gar zu wohl,
Doch weiß ich nicht, wie ich das Lob verdiente.

Gräfin: Seh' heiter in die Welt, mein teurer Graf,
Die schwerste Stunde geht so leicht vorüber;
Sei du der liebe Bruder von zwei Schwestern,
So sind wir dreie gleich und fest verbunden
Und brauchen nicht des heil'gen Vaters Nachsicht.
Frei können wir zu aller Welt hinschauen,
Und alle Welt muß ehren unsern Bund.

Amra: Durch dich erkenn ich erst, was ich geraten,
Der flücht'ge Einfall wird durch dich zur Weisheit.

Graf: O dieses Licht, es strahlte euch von droben,
So löset sich in Frieden die Verwirrung,
Die ird'sche Lust bringt sich zum Opfer freudig.
Ein offnes Kloster wird nun unser Haus,
In unsern Herzen ruhen die Gelübde,
Die Wolken brechen, schön sind letzte Tränen.
Der Himmel will so manches mit dem Menschen,
Und wir verstehn ihn nicht in unserm Glück,
Nur in der Weisheit, die uns Not verleiht,
Da zwingt der Himmel uns zum rechten Wege,
Den seine Güte uns durch Felsen bahnte.

Gräfin: Wir können unbesorgt zur Zukunft schauen,
In unsrer Mitte sei von uns umarmt.

(Sie umarmen ihn beide.)

Graf: Geteilte Liebe, die mein Herz zerriß,
Was bei der Gräfin mich vorher erschreckte,
Das Bild der andern ihr entwandten Liebe,
Was mich bei Amra wie Verrat entsetzte,
Das alles gleicht sich aus in Bruderliebe.
Ihr seid nun beide mein in Wirklichkeit,
Der Väter Burg begrüß ich sorgenfrei,
Die Welt ist wunderbar, der Himmel gütig,
Der heil'gen Kirche will ich dankbar denken,
Und diese Stelle, die uns neu vereinte,
Soll durch die schönste Kirche dieses Landes,
Geschmückt mit aller Zierd' des Morgenlandes,
Mit Baum und Laub aus Paradieses Erde,
Auf ew'ge Zeit geweiht, bezeichnet sein,
Und dieses Tal sei Freudental S. Deutsche Sagen der Brüder Grimm II. S. 372. (Vierte Auflage, Berlin 1905, S. 467.) genannt!

(Hartmann tritt eilig auf.)

Hartmann: O seid begrüßt mit alles Glückes Segen!

Graf: Ein heiliges Gelübde lohnt sich selbst,
Und deine Ankunft ist der erste Segen.
Sei mir willkommen, treuer, alter Diener,
Was ich mir je erwünscht, ist mir verbunden.

Hartmann: So ist die Botschaft mir vorausgeeilt,
Es trieb mich nicht umsonst der Geist so mächtig,
Doch meine müden Glieder litten's nicht.
Seht hier den Brief von unserm heil'gen Papste,
Er willigt ein in Eure Doppelehe,
Kein größres Wunder ist geschehn auf Erden.

Graf: Ich dank dir viel, und immer meinst du's gut,
Die lieben Schwestern mögen jetzt entscheiden.

Gräfin: Entschieden hat ein ernster Augenblick.

Amra: Wir wollen uns allein das Glück verdanken.

Hartmann: Ich kann Euch nicht verstehen, edle Amra;
Der Papst hat Euer heilig Recht bestätigt.

Amra: Amra entsagt dem Recht, das ihr verliehen.

Hartmann: Wie hat sich alles in der Zeit verwandelt!

Graf: Erfreu dich meiner sichern Heiterkeit,
Wir sind nun als Geschwister treu verbunden;
Mag immerhin mein Stamm mit mir vergehen,
Auf Altengleichen wachsen rüst'ge Erben,
Dann folgt der Plessen lehnverwandter Stamm.

Hartmann: Wollt Ihr mit Gram mich in die Grube senken?
Euch reizt ein bodenloses Spiel der Laune!
Des Blutes Bande schließt des Himmels Wille,
Dem Menschen bleibt nicht Willen oder Wahl,
Er kann nicht hindern, daß er wird geboren,
Er kann nicht wählen, die ihm blutsverwandt,
Ein künstlich Dasein muß sich selbst zerstören;
Die Wahrheit siegt, Ihr fühlt den mächt'gen Trieb,
Den jetzt der heil'ge Papst so gnädig weiht.

Gräfin: So nenne Freundschaft die Geschwisterliebe,
Zu der wir uns mit Überlegung einten,
Und meinst du nicht, daß unsre Freundschaft Wahrheit,
Und unsre Wahrheit der Zerstörung trotzt?
Du dienst dem Grafen auch aus treuer Freundschaft,
So bist auch du ein Glied von unserm Bunde.

Graf: Sieh, Hartmann, alle meinen's gut mit dir,
Und ich bin heiter, möchte gern dir lohnen
Für alle Mühe, dennoch blickst du finster
Zu uns, wie zu den ungeratnen Kindern.

Hartmann: Mein alter Kopf ist stumpf, begreift so schwer.
Ihr seid vereint, mein mühsam Werk zu stören.
Wozu hab ich nun über Euch gewacht,
Zu aller Ehrentat Euch auferzogen,
Wenn Ihr ein Spott nun werdet allen Rittern,
Daß Ihr ein seltnes Recht nicht brauchen könnt?

Gräfin: Mit seinem Ehrenwort entführtest du
Den Grafen von dem Hochzeitfest zum Kreuzzug.

Amra: Von Ehre sprachst du auch, als du mir logst,
Der Graf sei frei von jedem Ehebande;
Dir ist die Ehre nur der Lüge Schmuck,
Sie deckt mit Zorn die innere Beschämung.

Graf: Verzeihet ihm, denn er hat mich erzogen.
Doch, Hartmann, endlich bin ich mündig worden,
Wohl etwas spät, doch, hoff ich, nicht zu spät,
Muß meiner Ehre Bahn mir selber ziehen.
Ich ehre mich als Bruder dieser Schwestern,
Und Trotz sei dem geboten, der mein spottet,
Weil ich die Lust der Liebe opferte.

(Der Graf führt die Gräfin und Amra nach dem Schlosse.)

Hartmann: Ich bin entsetzt, die Stimm' ist ihm gewachsen,
Er widerspricht dem Geiste seines Lebens:
Was ist er ohne mich? ein leeres Nichts!
Ich sag mich los, ich zieh nach Altengleichen.
(Mit zweiter tiefer Stimme.) »Du bist gebunden, Hartmann, kommst nicht
los!« –
Wer spricht aus mir, wer zwingt mir die Gedanken,
War's nicht Herr Hug, den ich zu hören glaubte?
(Mit zweiter tiefer Stimme.) »Der dich vom starren Tode hat geheilt,
Er braucht dich noch, du zwingst nicht seinen Willen.« –
Wer bist du, der du einst in Todesnot
Des Geistes Dienstbarkeit mir abgezwungen?
(Mit zweiter Stimme.) »Kein Ritter zwang mir meinen Namen ab,
Du wagst es, der leibeigen meinem Stamme?« –
(Er fällt am Steine auf seine Knie nieder.)
Ach Herr, verzeihet gnädig, straft mich nicht
Und braucht mich, wie Ihr wollt, denn ich muß dienen
Mit meinem Leib und auch mit meinem Willen.

(Während er kniend vom Stein versteckt ist, treten Bilibald und Anneliese, Barbara und Gottschalk aus dem Walde hervor, können ihn aber nicht sehen.)

Anneliese: Was will die alte Hex', ich such den Joseph,
Wer weiß, ob sie nicht dem was angetan?

Barbara: Das nenn ich suchen nach dem jungen Herrn,
Wenn sie den alten Herrn mit Rosen kränzt.

Bilibald: Ich bat sie drum, das schützet gegen Mücken,
Und ich, ich wollte heut zur Wallfahrt ziehen,
Da plagt mich solch Geschmeiß, ich bat sie drum.
(Anneliese ab.)

Barbara: Das nennt Ihr eine Wallfahrt mit dem Mädchen,
Und unterm Mantel sieht ein Netz hervor,
War das der erste Vogel, den Ihr fingt?

Bilibald: So eine Hexe denkt doch stets nur Böses.

Gottschälkchen (kommt gelaufen): Herr Schloßvogt, alles frägt nach
Euch im Schlosse,
Der Graf, die Gräfin kamen und noch eine. (Läuft fort.)

Bilibald: Ich war nicht heim, heut hat der Teufel mich
Umstrickt mit Himmelsglanz und Frühlingsluft. (Ab.)

Barbara: Ich muß mich erst von meinem Schreck erholen,
Den Eure Angst mir heute zugezogen,
Ich sah des Satans Hörner, fühlte sie.

Gottschalk: Es war der Stier, der in dem Grase lag
Und ruhig wiederkäute, – doch wer ist
Der fremde Reisige am Steine dort?

Barbara: Ich sollt' ihn kennen, und ich kenn ihn nicht.

Hartmann: Nun, alte Hexe, Schwester Barbara,
Du kennst mich nicht? Du auch nicht, Tunichtgut?

Barbara: Sonst warst du ja ein stattlich schöner Mann.

Gottschalk: Seid schön begrüßt, habt rechten weißen Bart,
Doch ich hab auch so etwas graue Haare;
Ihr habt uns lang gefehlt und Eurem Paten,
Er war soeben hier, das Gottschälkchen,
Die Leute sprachen oft, Ihr wär't der Vater,
Doch meine Frau war sicher treu und ehrlich,
Bis sie davonlief mit dem Venezianer.

Hartmann: Sie war Euch treu, denn sie war gar zu häßlich;
War unsre Gräfin auch dem Grafen treu?
Ich hatte ein Vertraun zu Eurer Aufsicht,
Weil Ihr der Untreu Folgen selbst erfahren.

Gottschalk: Ich wüßte wegen Untreu nicht zu klagen,
Der Schloßvogt Bilibald war zu genau,
Der Hunger überbot die böse Lust.
Zum Hirten brauchte er mich alten Kriegsknecht,
Bepflanzte unsre Kegelbahn mit Kohl;
Besonders seit die Gräfin fortgezogen
Mit Ritter Plesse nach dem Morgenland,
Da haben wir von bloßer Luft gelebt.

Hartmann: Die Gräfin wäre fort von hier gezogen,
Mit Plesse fort? Du irrest, alter Freund.
Mir schrieb der Graf nach Rom, daß er den Plesse
Mit seiner Gräfin Bruder hat gefunden,
Daß ihn der Plesse angefallen hat,
Und daß der Bruder ihn errettete.

Barbara: Der Gräfin Bruder ist nicht fortgezogen,
Er lebt fein ritterlich dort auf dem Hanstein.

Hartmann: So spielt sie wohl den Bruder, ja so ist's!

Barbara: Sie zog als Mann gerüstet aus, und keiner
Vermochte an dem Anstand zu erkennen,
Sie sei ein Weib; sie trug des Ritters Rüstung,
Der Ritter trug die Rüstung Hugs des Alten.

Hartmann: Die Rüstung Hugs, das stößt mein Herz noch ab.
(Mit zweiter Stimme.) »Zieh ihm die Rüstung aus, das ist mein Wille.«

Gottschalk: Wer sprach denn eben? kann das nicht anhören.
(Geht ab.)

Barbara: Ich lauschte heimlich, als er sie erwählte,
Er war um Mitternacht mit unsrer Gräfin
Zusammen in dem großen Waffensaal.
Was sie gesprochen, konnt' ich nicht verstehen,
Das sah ich wohl, er kniete vor der Gräfin.
Am Morgen ward er Marschall in dem Zuge,
Den unsre Gräfin nach dem Morgenland
Gelobt, um ihren Grafen aufzusuchen.

Hartmann: Ich weiß genug und weiß auch schon zu viel.
Geh eilig nach dem Schloß, daß junges Volk
Des ersten Willkomms Gnade dir nicht stehle;
Du bleibst mir dienstlich, denn wir stehn zusammen
Und fallen auch zusammen, das bedenke. (Barbara ab.)
Ein neuer Trug schwebt mir so ahndend vor,
Der Plesse ist nicht tot, ich wette drauf,
Und was der Graf mir davon schrieb, ist Irrtum,
Hier lauert eine Absicht still verborgen.
Ich ahnde etwas und – (Plesse tritt aus der Kapelle, nimmt auf die Rüstung
Hugs, und Hartmann versteckt sich hinterm Stein.)

nun ist's mir klar,
Als steche mir ein Blitz durchs schwarze Herz.
Ja, in Venedig gibt es schlechte Henker,
Da steht er, reißt ein Band von unsrer Rüstung!
Ich trug mich nicht umsonst mit Amras Pfeilen,
Die kleinste Wunde ist von ihnen tödlich.

Plesse: Wer im Gebete sich verlor, wird neu,
Die Welt scheint frisch geboren seinen Blicken,
Und was ihn sonst von ferne nur entzückte,
Das Saitenspiel, es ruht in seinen Händen

(Er hat die Rüstung niedergelegt und die Laute des Grafen aufgehoben und greift einige Akkorde.)

Und zaubert ihm ein nahes Paradies.
O wem verdank ich die Erinnerung?
O dieses Beben hab ich nicht vernommen,
Das aus der Laute weint zu meinem Herzen,
Seit ich die Rüstung angelegt zum Kreuzzug.
Umher ist Frühling, ich bin ohne Sünde,
Es naht der Engel mit dem Buch der Liebe.

(Die Gräfin ist vom Schlosse her genaht, sie trägt ein Buch und eine Kürbisflasche.)

Gräfin: Bald spreche ich das trauervollste Wort,
Den Abschied muß ich meinem Freunde sagen.
Warum bin ich so ängstlich, ist's verboten?
Nein, keinen Vorwurf fühl ich in der Seele,
Daß ich dem Grafen nichts davon gesagt,
Wer dieser Pilger sei, dem ich die Flasche
Mit Wein gefüllt. Der Augenblick sei mein,
Es ist der letzte, den ich mit ihm lebe –
Ich darf ihn mir gewähren nach so viel
Entsagung. – Schien der Graf doch jedes Wort
Von Plesse zu vermeiden, er ist schuld,
Daß ich bis jetzt die Wahrheit ihm verhehlte.
(Sie hat sich Plesse genähert.)
Ihr sprecht zu mir in Blicken; Melodien
Erheben mich aus meines Grames Tiefe,
O diesen Trost, ich werde ihn vermissen.

Plesse: Nehmt hin die Laute, mir zum Angedenken,
Ich fand sie hier wie eine Himmelsgabe,
Ich brauche sie nicht mehr, sie klingt in mir,
Die Zeit steht still, um mich ist Ewigkeit,
Und der Entschluß erhebt mich über mich.
Mein Dienst ist aus, nehmt auch dies liebe Band,
Mit dem einst andre Hoffnung mich erfüllte;
Ich denke einen andern Herrn zu wählen,
Mit ihm zu leben, dessen Grab wir sahen,
Mit härenem Gewand die Brust zu rüsten
Wie sonst mit Eisen, andre Fahnen winken,
Das ist mir tröstend im Gebet erschollen.

Gräfin: Ihr scheinet reif zu einem bessern Dienste,
Und Ihr verdient auch einen höhern Lohn,
Dies liebe Band ist mir durch Euch geweiht,
Es sei um Eurer Laute Hals geschlungen,
So bleibe ich von Euch umgeben hier.
O welche Stunde, als ich's Euch gereicht! –
Wo find ich Lohn für so viel treue Dienste?
So nehmt dies wen'ge, was Ihr brauchen könnt,
Die Pilgerflasche nehmt als Wegeszehrung,
Dies liebe Büchlein für die Ruhestunden.

Plesse: Wie zahlt Ihr reichlich aus für gute Tage,
Die ich in reicher Armut mit Euch lebte,
Wie kindisch scheint der kleine Kummer jetzt,
Der um den Unterhalt mich da ergriffen!
Und die Gefahr, in der ich oft zu Gott
Für Euch gerufen, nahte Euch mir ganz:
Was wünschte ich denn mehr, als was ich habe!

Gräfin: Ihr habet einen Wunsch mir stets verschwiegen,
Den Ihr zum Abschied noch im Herzen tragt.

Plesse: Er sagt sich nicht, er läßt sich nur erraten,
(Plesse kniet vor der Gräfin und faßt ihre Hand.)
Nur Ihr könnt diese Seligkeit mir schenken,
Die einen Abschied drückt wie einen Dolch
Ins Herz, daß es sich friedlich dran verblute.

Gräfin: Gibt's eine Seligkeit, die ich verleihe,
In diesem Abschiedskusse nehmt sie hin.
(Sie küßt seine Stirn.)
Wir waren uns noch nie so nah, mein Ritter!

Plesse: Ich atme noch, wohin bin ich entrückt!
Ihr könnt in meinem tiefsten Innern lesen,
Und ich, ich lese auch in Eurem Herzen,
Ich bleib Euch nah, und wär' ich noch so fern,
Ich bin so heimatlos, und doch so heiter.

Gräfin: Bleibt mir im Geiste nah, gebt mir ein Zeichen,
Wenn Euch der Himmel in Gefahren ruft,
Daß ich für Euch kann beten, ja er hört mich,
Und nicht vergessen bin ich von den Himmlischen.

Plesse: Ich will Euch nicht erschrecken, nein erfreuen,
Das möchte ich mit meinem Scheidensruf,
Und weil der Himmel uns die Laute schenkte,
So sei bedeutungsvoll uns diese Gabe,
Und kann ich auch noch dann ein Zeichen geben,
Daß ich an Euch nur denke in dem Tode,
So bebe sie von jenem Liede nach,
Das ich Euch oft gesungen: ja Ihr winkt mir,
Dann denket mein und sprecht ein Sterbewohl.

Gräfin: Lebt, lebt; lebt wohl! Gewiß, wir sehn uns wieder.
(Sie geht mit der Laute nach dem Schlosse.)

Plesse: Sanft, langsam sink ich aus der Himmelsnähe,
Daß ich erst ganz bewußt der Freude werde;
Nun ist's mir leicht, von aller Welt zu scheiden.

Hartmann (erhebt sich hinter dem Steine und spannt den Bogen):
Der Bogen spannt sich selbst in meiner Hand,
Der gift'ge Pfeil wird löschen gift'ge Flammen,
Schon zischt er durch die Luft wie eine Schlange.

(Er hat geschossen und den Ritter getroffen.)

Plesse: Weh! Ach! Was ist's? Wo ist mein Schwert! Ich lebe noch.
In der Kapelle legte ich es nieder,
Ich darf's nicht führen, hab ihm abgeschworen,
Ach, hätte ich die Rüstung noch getragen!
Ein Pfeil hat mich dem Herzen nah getroffen,
Von Herzenswunden stirbt sich's nicht so leicht!

Hartmann: Und wär' die Haut Euch nur geritzt, Ihr sterbt,
Denn in dem Pfeil steckt Afrikanergift.

Plesse: Ihr scheinet mir bekannt! Lügt Euer Ansehn,
Daß Ihr unritterlich mich konntet morden?

Hartmann: Ich bin kein Ritter, mag es auch nicht sein,
Seit ich den Buhlenkuß des Ritters sah.

Plesse: Nun sterb ich gern, ich sterb um diesen Kuß,
Nie war ein Kuß so schuldlos hier auf Erden,
Es war ihr erster Kuß, mein letzter Segen.

Hartmann: Lügt nicht in Eurem Tod, um mich zu kränken:
Ihr knietet vor der Gräfin in der Nacht,
Als sie den Panzer Euch verliehen hat,
Den einst der Ahnherr trug in strenger Tugend.

Plesse: In Winterkälte starrt der Adern Strom,
Was hülf' es mir, zu leugnen und zu lügen?
Wie ein Gestorbner schwör ich frei von Furcht,
Als hätt' ich vor dem Richter schon gestanden,
Nie lebte eine keusch're Frau auf Erden,
Und schuldlos ward ich in der Reinen Nähe.
Wißt, in des Hauses Dienst trug ich die Rüstung,
Den Grafen aufzusuchen, der verloren,
Gebt sie zurück dem lehnsverwandten Hause.

Hartmann: So habt Ihr andre Schuld mir doch zu beichten!

Plesse: Ich hab gelitten um die schwerste Schuld,
Daß ich die Gräfin einst verließ im Zorn.
So ging sie an den fremden Mann verloren,
Der Gräfin Herrlichkeit geht mit ihr unter,
Es bleibt der Welt kein lebend Bild von ihr.

Hartmann: Ihr griffet mordlich meinen Herren an,
Als meiner Gräfin Bruder, nein, sie selbst
Aus Reue ihn von Eurer Hand befreite.

Plesse: Ich hatte keine Schuld, sie keine Reue,
Den Schuldigen wird Gottes Hand erreichen.
Die Rüstung nehmt zurück, verscharrt mich still
Und saget niemand, wo ich sei geblieben;
Zum Morgen zieh ich, zu dem lichten Kreuz,
Die Flügel rauschen, die ihr Kuß verlieh:
O leset mir aus diesem heil'gen Buche!

Hartmann (nimmt das Buch und wirft es von sich):
Ihr spottet meiner, auf dem Bild steht Kain,
Wie er den Abel schlug, das soll ich lesen?

Plesse: O seht nur weiter bis zu dem Erlöser.

Hartmann: Es liegt mir wie ein Stein auf meinem Herzen;
O Herr, was triebst du mich zu dieser Tat!
(Mit zweiter Stimme.) »Was quält dich, Alter, tatst ihm seinen Willen,
Er hatte abgeschlossen mit dem Leben.« –

Plesse: Der böse Geist, der aus dir spricht, sagt wahr.

Hartmann: Du wagst zu lästern deinen Sieger? schweig!
Sonst stoß ich dir das Messer in dein Herz.
(Mit zweiter Stimme.) »Stoß zu, mein Alter, kürze seine Leiden
Und dann begrab ihn unter diesem Stein.«

(Er will zustoßen, während Plesse die Hände faltet, zugleich rüttelt er in Angst an dem Steine, da ruft Joseph unter der Erde.)

Joseph: Erbarmen!

Hartmann: Erde, öffnest du den Mund
Und rufst Erbarmen aus der stillen Tiefe?
Zum erstenmal ergreift mich ein Entsetzen,
Von Altengleichen schallet eine Glocke,
Es ist die Sterbeglocke, die zum Beten
Uns mahnt, und ich soll einen Toten morden?
(Mit zweiter Stimme.) »Zieh hin nach Altengleichen ohne Säumnis,
Es stirbt ein edles Glied von unserm Hause.« –

(Er eilt fort, nachdem er Plesses Rüstung aufgenommen.)

Plesse: O welcher Engel wandte ab den Tod,
Um mich in neuem Schmerz für ihn zu läutern?

Joseph (unter der Erde): Erbarmt Euch meiner Jugend, ich bin lebend
Von meinen bösen Brüdern hier begraben.

Plesse: O Herr,
Gib Kräfte mir aus deines Glaubens Licht,
Gib Glauben mir an solch Verbrechen, und
Ich hebe diesen Stein in meiner Schwäche.

(Er sinkt ohnmächtig nieder.)
(Gangolph, Norbert und viele Jäger treten auf.)

Gangolph: Ich weiß nicht, wer auf Altengleichen läutet,
Ich glaub, die Mutter macht sich einen Spaß.

Norbert: Laß läuten, daß die Frösche schrein, wir finden
Wohl nicht so bald zum Kampf so lust'ge Brüder.

Jäger: Ein jeder freut sich, der uns freie Jäger
Hier fangen kann; es dreht das Spiel sich um,
In dieser Nacht erschlagen wir den Förster
Und seine Hunde führen wir hinweg.

Norbert: Und kehrt dann immer ein bei mir als Brüder,
Wenn ich die schöne Burg als Herr bewohne.
Hier könnet ihr die Stelle deutlich sehen,
Von der ihr unbemerkt den Wall beschleicht,
Dort zieh ich mit den andern nach dem Tore.

Plesse (leise): Von welcher neuen Untat muß ich hören!
Und bin zu schwach, es ihnen zu verwehren.

Jäger: Es ist ein schöner Dachsbau diese Burg.

Ein andrer: Wenn Ihr uns führt, wir kennen Euch als Jäger,
Wir nehmen aus das Nest bei Mittagszeit.

Ein dritter: Hier liegt ja schon ein Toter in dem Grase.

Gangolph: Wer weiß, ob er nicht schläft, nicht tot sich stellt.

Jäger: Ihr werdet ihn im Schlafe doch nicht morden!
Wer weiß, ob er nicht auch ein armer Jäger,
Ein armer Jägerssohn, sein Kleid ist grün.

Gangolph: So bindet ihn, daß er uns nicht verrate.

(Sie binden Plesse und ziehen fort.)

Plesse: Auch diesen Schimpf sollt' ich hier noch erleben,
Und Ohnmacht überwältigt meine Stimme.

(Er sinkt nieder.)

3

(Burg Altengleichen. Ein gewölbtes Wohnzimmer. Frau Gisella legt sich auf ein Ruhebette. Anneliese, die Magd, führt den Boten herein.)

Gisella: Mein armer Joseph, gib ein einzig Zeichen!
Bist du von deinen Brüdern, wie der Joseph,
Von dem die Bibel uns erzählt, verraten,
Bist du gerettet, oder bist du tot?
Gib mir ein Zeichen aus der Geistertiefe,
Ich brauche nichts auf Erden mehr zu fürchten,
Ich bin dir näher, wenn du tot; das Glöcklein
Ermahnt mich, von den Lebenden zu scheiden.
Der Leib ist tot, die Seele scheut Verdammnis,
Verlassen schmachte ich nach geist'gem Trost.

Anneliese: Ihr seht uns nicht, hier harrt der arme Bote,
Den ich Euch aus dem tiefen Turm geholt.

Gisella: Die Sonne blendet meine schwachen Augen,
Geh, schließ die Läden, will sie nicht mehr sehn,
Ach sie bescheint das Unglück meines Hauses.
Komm näher, du Gefangner, ich weiß nicht,
Um welch Verbrechen du bist eingesetzt,
Es bricht die Not auch deine Eisen auf,
Geh eilig nach dem Kloster, daß ein Mönch
Zu meinem letzten Stündlein mich bereite.

Bote: So schwach ich bin, ich laufe mich gern tot,
Um Euch recht bald den Seelentrost zu bringen;
Nur glaubet mir, daß ich unschuldig bin,
Daß Eure Söhne mich hier eingefangen
Aus bloßem Mutwill!

Gisella: Es sind böse Kinder! (Der Bote fort.)
Ich will noch einmal meine Sanduhr wenden,
Es kürzt die Zeit, wenn ich die Zeit ersehe.
Du, Mädchen, schließ mir auf den Linnenkasten,
Ich will dir geben, was dir zugedacht.
Denn wenn ich tot, da möchten sie's dir nehmen.
Dies Hemd bewahre mir zum Totenhemd
Und dieses feine Stück dem armen Joseph.
Wenn er noch leben sollt', bewahr es treu,
Der arme Junge läuft sonst nackt herum.

Anneliese: Verlasset Euch auf mich, ich werd doch nicht
Auf Eurem Todesbette Euch betrügen.

Gisella: Ich fahr zusammen, wie das Hoftor zuschlägt.

Anneliese: Vielleicht ein Mönch, der unsre Glocke hörte.

Gisella: Geh ihm entgegen, lasse uns allein.
(Annelieie geht fort.)
Mir ist so bang, als sollte ich gebären,
Da ich die schwere Schuld bekennen soll.

(Hartmann tritt ein, Anneliese horcht an der Türe.)

Hartmann: Das Sterbeglöcklein hat mich hergerufen,
Ich höre, daß der Joseph wird vermißt,
Wo find ich Frau Gisella, seid Ihr's selbst?

Gisella: Ich bin's und werd es bald gewesen sein.

Hartmann: Wir leben, um zu sterben; wir sterben, um zu leben.

Gisella: Ich brauch kein geistlich Sprüchlein, nein ein Herz,
Das meine Sünden wägt und meine Leiden
Und mir Verzeihung zuspricht oder Trost.

Hartmann: Bekennet, was jetzt Euer Herz beschwert:
Ist's Eure größre Liebe zu dem Joseph,
Um die er von den Brüdern ward beneidet
Und fortgeführt, da kann ich Trost Euch sagen.

Gisella: Nicht diese Liebe ist's, die mich beschwert,
Nein jene Liebe, die ich ihm entzogen,
Ein ruhig ungeteiltes Eigentum,
Vielleicht bedarf er alles dessen nicht,
Und auch sein Tod ist meiner Sünde Schuld.
Es wird mir schwer zu sagen: jene beiden,
Gangolph und Norbert, meine Zwillingssöhne,
Sie haben hier kein Recht, nur Joseph ist
Der echte Erbe des verstorbnen Vaters.
Mir ist's, als sei die schwere Schuld mir fremd.

Hartmann: Unendlich ist die Gnade wie die Tiefe,
Aus der dem Menschen die Gedanken quellen,
Ein fremder Geist erfaßt uns, eh wir's denken,
Wir sind nicht schuldig für die fremde Tat,
Und wenn die Welt den Leib dann strafend fordert,
Da trennet sich im Geist das eigne Sein
Von jenem Fremden, das uns unterworfen,
Wir leiden nur für das, was wir verschuldet.

Gisella: Ihr sagt ganz recht, wie mir's ergangen ist,
Was ich getan, ist mir so wunderbar.
Hartmann, ein alter Diener dieses Hauses,
Dem ich entsprossen bin und auch vermählt,
Er riß mich fort mit seinem mächt'gen Geist.

Hartmann: Wer weiß, ob ihn der Geist nicht fortgerissen.

Gisella: Ich war so manches Jahr vermählt, kein Kind
Gab unserm Stamme Hoffnung, fortzudauern,
Auch drüben in Neugleichen schien der Tod
Den jungen Grafen vorschnell zu entreißen,
Noch eh er sich vermählt; da war ein Trauern
In beiden Schlössern, ach, als ob kein Unglück
So gräßlich sei, als wenn ein Haus ausstirbt.

Hartmann: Wer kann die Pracht der tausendjähr'gen Eiche
Ersetzen, wenn ein Sturm sie niederwirft?
An ihrer Stelle wächst gemeines Gras.

Gisella: Hartmann, des jungen Grafen Führer, raufte
Sich Haar und Bart verzweiflungsvoll in Schmerzen,
Vergaß die Feindschaft, welche beide Häuser
So lange schied, und drängte sich zu mir
Und flehte mich mit tausend Seufzern an,
Ich möchte dieses Hauses Namen halten.

Hartmann: Wer möchte seine Vorsicht tadeln können!

Gisella: Wie er mit Wut und Gründen in mich drang,
Mich gegen meinen Willen einem andern
Als dem geliebten Manne hinzugeben:
So sagt' ich ihm, nur er sei treu dem Hause,
Ein jeder andre bring' dem Haus Gefahr,
Dem dies Geheimnis übergeben würde;
Was er erdacht, das solle er vollbringen.
Er gab mir recht, von ihm sind jene Söhne,
Die heute meinen Joseph mir geraubt
Und durch den Schreck dem Tod mich übergeben.

Hartmann: Und Joseph ist des Hauses echter Erbe?
Die Welt sprach anders über diesen Sohn.

Gisella: So trüglich ist der Ruf und doch so wahr,
Mit einem Unrecht strafet er das andre.
Die Zwillingssöhne wurden nicht bezweifelt,
Mein Graf ward heiterer in ihrer Mitte
Und liebte mich um ihretwillen doppelt.
Und manches Jahr verstrich ganz ungestört,
Bis mich das unverhoffte Glück gesegnet.
Daß ich ein echtes Kind dem Grafen brächte,
Und dies war Joseph, bald sind's nun zwölf Jahre.
Mit diesem Glück begann der innre Vorwurf,
Daß ich durch falsche Klugheit seine Rechte
Kränkte, der Anblick jener beiden Knaben
Ward mir ein steter Vorwurf; doch das Volk
Warf den Verdacht auf Joseph, der sechs Monden
Dem Tod des Vaters nachgeboren war.
Die beiden ältern Söhne lernten früh
Den Argwohn gegen ihre Mutter hegen,
Und ihre arme Mutter hegte Argwohn,
Sie möchten ihren lieben Joseph hassen.
So hütete sie ihn in stiller Sorge,
Wie einen Säugling, dem der Kopf noch offen;
Ach, diese Zärtlichkeit hat sie gekränkt!
Glaubt Ihr, daß ich Verzeihung meiner Sünde
Vor jenem ew'gen Richter werde finden?

Hartmann: Wenn Euch nicht wird vergeben, wie denn mir,
Der ich dies ganze Unheil angestiftet?
Erkennet mich in diesen weißen Haaren,
Ich bin der Hartmann, der sich hat geopfert
Dem Schutz, der Dauer dieses hohen Hauses;
Mich trieb der Geist, der mich bezwungen hält,
Mir sagt der Geist, daß Euch vergeben ist.

Gisella: Ihr wäret Hartmann, zeigt mir Eure Augen! –
Ihr seid's! – o große Gnade, Euch verlangte
Die Seele lange, die in Zweifeln bangt,
Ihr gebt mir das Vertraun zu ew'ger Gnade,
Euch kann ich Joseph, lebt er, anvertraun,
Ihr werdet das Geheimnis weise brauchen.
Ihr seid der Felsen, der uns alle trägt,
Wenn wilde Flut das grüne Tal zerspaltet;
Mir ist vergeben, da Ihr mir gesendet,
Im Himmel, auf der Erde zeuget Ihr,
Ihr seid der Geist, der mich bezwungen hält.

Hartmann: Ihr wechselt schnell die Farben, soll ich Hilfe
Euch rufen? nennt mir Eure Diener, sprecht!

Gisella: Ich habe alle fortgeschickt zum Kloster.

Hartmann: So eile ich zu einem Arzt des Leibes. (Ab.)

Gisella: Ihr dürft jetzt nicht von meiner Seite gehn,
Bald nimmt ein Seufzer alle Leiden ab.
Ach, er ist fort, und ich bin ganz verlassen.
Wo Not am größten, ist die Hilfe nahe,
Es tritt ein Geistlicher in meine Türe:
Ehrwürd'ger Herr, vergebet meine Sünden! –
Wie kühlet Eure Hand die heiße Stirne,
Ja, das ist Gnade, das ist die Vergebung. (Sie stirbt.)

(Anneliese tritt herein.)

Anneliese: Das Leichhuhn schreit so gar entsetzlich draußen,
Die Totenglocke schlug von selbst jetzt an,
Es kommt der Geistliche zu spät aufs Schloß,
Weh uns, die gute Frau ist tot, weh, weh,
Die Fenster öffne ich der lieben Seele,
Daß sie nun frei zum Himmel steigen kann.
Die Hände feiern nun, die unermüdlich,
Die Spindel ruhet aus, die nimmer schlief,
Der Webstuhl zittert noch vom letzten Schlage,
Die Kühe jammern, als ob Winter käme,
Es fehlt die Hand, die ihnen Futter reichte.
Die zahmen Hühner fliegen in den Wald,
Die Tauben fliegen hin nach Neuengleichen:
Wer mag hier mit den bösen Söhnen hausen?
In ihrem Lachen zieht des Zugwinds Grausen,
Der durch die alte Burg so tückisch streicht,
In ihren Augen droht das Blitzgeschoß,
Das jährlich flammet in das hohe Schloß.
O wehe mir, daß sie mir sind geneigt,
O wehe mir, daß ich leibeigen ihnen,
Ich hasse sie und muß doch ihnen dienen,
Den Bastardsöhnen, die nicht besser sind
Als jedes andre schlechte Menschenkind! –
Ich hab gehorcht, ich hab es wohl vernommen, –
Was muß ich sehn, wie wird mir bang beklommen? –
Die gute Alte drohend zu mir blickt,
Ich hab die Augen ihr nicht zugedrückt!


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