Ludovico Ariosto
Rasender Roland, Band 4
Ludovico Ariosto

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Einundvierzigster Gesang.

Dudo, durch Rogers Edelmut besiegt, entläßt ihn mit den Gefangenen nach Afrika (1–7). Roger erleidet Schiffbruch (8–22). Das verlassene Schiff treibt nach Biserta, wo Roland es findet (23–29). Rolands und seiner Freunde Fahrt nach Lipadusa (30 –36). Brandimarts Unterredung mit Agramant (37–45). Rogers Rettung aus dem Schiffbruch und Taufe (46–59). Von seinem Tode und anderen künftigen Dingen (60–67). Der Kampf der drei Heidenkönige mit Roland und seinen Freunden (68–102).

Der Duft, der sich mit wohlgepflegtem Bart
Und schönem Lockenhaar und Schmuck und Spangen
Anmut'ger Jüngling' oder Mädchen paart,
Die Amor manchmal weckt mit nassen Wangen,
Wenn der nach vielen Tagen Kraft bewahrt,
Daß wir von seinem Hauch noch Kund' empfangen,
So zeigt die Wirkung sicher an und klar,
Daß er von Anfang gut und trefflich war.
Bacchus gab dem laconischen König Icarus (Icarius) Wein; der König theilte davon den Schnittern mit, welche, als sie die berauschende Wirkung spürten, sich für vergiftet hielten und den Herrn in einen Brunnen stürzten. – Die Raubzüge der Gallier nach Italien werden auf die Anziehungskraft des italienischen Weins zurückgeführt; in Gallien gab es noch keine Reben.  Der edle Saft, den sich zum eignen Leid
Icarus seinen Schnittern einst gespendet,
Von dem gelockt die Gallier alter Zeit
Über die Alpen ihren Schritt gewendet,
Beweist, daß er begann in Süßigkeit,
Wenn süß er bleibt, nachdem ein Jahr geendet.
Der Baum, der laubig bleibt im rauhen Wetter,
War sicherlich im Lenz voll grüner Blätter.160
Das stolze Haus, das stets als ein erlesen
Vorbild der edlen Sitte sich erwies,
Und jetzt noch glänzender als es gewesen,
Läßt uns vermuten, wer bestritte dies?
Daß der erlauchte Ahn der Ferraresen
In allem, was man je als löblich pries,
Was Menschen je zum Himmel hat erhoben,
Hat glänzen müssen wie die Sonne droben.
Wie Roger hohen Mut und Höflichkeit
In allem, was er that, an hellen, klaren
Proben zu zeigen pflegt' und mit der Zeit
Nur immer mehr Großmut zu offenbaren,
So zeigt' er es in diesem letzten Streit
Mit Dudo, dem er (wie ihr schon erfahren)
Die Kraft verheimlichte, die in ihm wohnte,
Aus Mitleid, weil er gern sein Leben schonte.
Indessen hatt' auch Dudo wohl erkannt,
Daß Roger es vermied ihn umzubringen.
Er sah, daß er sich Blößen gab, und fand
Daß seine Kräfte rasch zu Ende gingen.
Als er begriff, daß Roger seine Hand
Zurückhielt und verschmähte vorzudringen,
Wollt' er es ihm, wenn nicht an Kraft im Streit,
Doch wenigstens gleichthun an Höflichkeit. 161
»Bei Gott, Herr, (hob er an) ich bitt' um Frieden.
Ich sehe wohl, der Sieg wird nimmer mein.
Mein wird er nie, die Sach' ist schon entschieden.
Großmut hat mich besiegt, und ich bin dein.«
Roger versetzt': »Ich bin es gern zufrieden,
Nicht weniger als du; nur willig' ein,
Die sieben Könige, die du gefangen,
Mir auszuliefern, daß sie heimgelangen.«
Er wies auf jene Könige dabei,
Die tiefgebeugten Haupts am Wege standen,
Und weiter sagt' er, daß er Willens sei,
Mit diesen Herrn in Afrika zu landen.
So wurden jene sieben wieder frei;
Denn Dudo war mit allem einverstanden;
Auch eins der Schiffe, das ihm tüchtig schien,
Räumt' er ihm ein und ließ ihn ruhig ziehn.
Mit vollen Segeln stieß man ab vom Strand
Und gab sich in des falschen Windes Gnade.
Der trieb zuerst die bausch'ge Leinewand
Zur Freude des Patrons auf richt'gem Pfade.
Das Ufer trat zurück, die Küste schwand,
Das Meer sah aus, als hab' es kein Gestade.
Des Windes Tück' und Falschheit lernte man
Erkennen, als die Dunkelheit begann. 162
Die Ausleger verstehen unter der »weißen Herde« die Delfine und großen Fische, welche Proteus hüte. Das »Brüllen« scheint dazu nicht recht zu stimmen, und ich würde eher an die als Pferde vorgestellten schaumflatternden Wellen denken.  Er springt vom Heck hinüber zum Gallion;
Es ist, als ob das Schiff gekreiselt werde;
Bald ist er vorn, bald hinten; der Patron
Steht ratlos da mit ängstlicher Geberde.
Die stolzen Wellen bäumen sich und drohn,
Über die See hin brüllt die weiße Herde.
So viele Wasser an das Fahrzeug schlagen,
Vor so viel Toden zittern sie und zagen.
10  Ins Antlitz weht es und vom Rücken her,
Bald treibt der Wind sie vor, bald rückwärts wieder;
Ein andrer dreht das Schiff im Kreis' umher,
Und immer fürchten sie, nun geh' es nieder.
Am Steuer sitzt ein Mann und seufzt so schwer,
Und vor Entsetzen schlottern ihm die Glieder.
Vergebens schreit und winkt er mit den Händen,
Man soll die Raen senken oder wenden.
11  Denn wenig hilft das Schrei'n und Winken heute:
Zu sehn verwehrt die finstre Regennacht;
Der Ruf wird ungehört der Luft zur Beute,
Der Luft, die ja mit ungleich stärkrer Macht
Der allgemeine Schrei der Schiffersleute
Erschüttert und der Lärm der Wasserschlacht.
Nicht Vorderdeck, nicht Back noch Steuerbord
Noch das Castell hört das Commandowort. 163
12  Der Wind, wie ein ergrimmtes Ungeheuer,
Zerrt an dem Tauwerk, daß es gräflich stöhnt.
Von häuf'gen Blitzen brennt die Luft wie Feuer;
Der Himmel, von furchtbaren Donnern, dröhnt.
Das Volk ergreift die Ruder, rennt ans Steuer,
Ein jeder thut, wie ihn der Dienst gewöhnt;
Der sucht zu lösen, festzubinden der,
Ein dritter schöpft und gießt das Meer ins Meer.
13  Horch, pfeifend kömmt die fürchterliche Böe,
Von jäher Wut des Boreas gehetzt.
Das Meer springt auf fast bis zu Wolkenhöhe,
Das Segel peitscht den Mast und fliegt zerfetzt.
Die Ruder brechen ab: kein Schiff entflöhe
Der rasenden Gewalt des Wetters jetzt.
Der Kiel muß wenden, und der See entgegen
Muß sich des Schiffs wehrlose Seite legen.
14  Die rechte Seite taucht ins Wasser ein,
Das Schiff macht Miene vollends umzuschlagen,
Und Gott empfiehlt sich jeder, alle schrein;
Daß es zu Ende geht, ist leicht zu sagen.
Unheil auf Unheil bricht auf sie herein;
Ist eins vorüber, folgen neue Plagen.
Das arme Schiff wird leck an mancher Stelle,
Und wütend stürzt sich in den Raum die Welle. 164
15  Grausam heran, mit schauerlichem Toben,
Von allen Seiten stürmt der mächt'ge Feind.
Bald sehen sie so hoch die Meerflut oben,
Daß sie den Himmel zu berühren scheint;
Bald wird das Schiff von Wellen so gehoben,
Daß in die Hölle man zu blicken meint.
Die letzte Hoffnung stirbt in solcher Not,
Vor ihnen, unentrinnbar, steht der Tod.
16  Die ganze Nacht hindurch trieb nun das Schiff
Von Meer zu Meere, wie der Wind es jagte,
Der Wind, der immer stärker um sich griff,
Statt abzunehmen, als der Morgen tagte.
Da sahn sie plötzlich vorn ein nacktes Riff;
Sie wollten's meiden, doch die Kraft versagte;
Geradeswegs trieb sie in diese Bahn
Der wilde Sturm, der schreckliche Orkan.
17  Dreimal versucht der bleiche Steuermann
Mit aller Kraft, das Steuer links zu wenden,
Ob er vielleicht den Fels umschiffen kann;
Die See jedoch zerbricht's in seinen Händen.
Der grimme Wind füllt so das Segel an,
Daß sie es einzuziehn unmöglich fänden.
Zu Hilf' und Rat ist keine Zeit mehr; gar
Zu nah schon ist die tödtliche Gefahr. 165
18  Und wie nun rettungslos Verderben droht,
Wie man das Fahrzeug für verloren achtet,
Denkt jeder nur an seine eigne Not;
Sich selbst zu retten ist's, wonach er trachtet.
Wer irgend kann, steigt schnell hinab ins Boot,
Das aber ist alsbald so überfrachtet
Von Leuten, die sich drängen, daß der Rand
Unter dem Wasser schon beinah verschwand.
19  Als Roger sah, daß Bootsmann und Patron
Und all das andre Volk das Schiff verlasse,
Da floh auch er, wie die Gefährten flohn,
Im Wams und waffenlos in die Barkasse.
Die aber fand er so belastet schon,
So viele folgten noch, daß nun in Masse
Das Wasser eindrang und das arme Ding
Mit allem, was darin war, unterging,
20  Hinab ins Meer, und riß im Untergange
Die mit sich, die vom größren Schiff entflohn.
Da hörte man, wie Stimmen, todesbange,
Um Hilf' und Gnade schrien zum Himmelsthron.
Doch währten diese Stimmen nicht sehr lange:
Es kam das Meer in seinem Zorn und Hohn
Und schloß die Thor', aus denen das Gewimmer
Und Jammern kam, auf einmal und für immer. 166
21  Der eine bleibt am Grund und kömmt nicht wieder;
Der andre wird nochmals emporgeschnellt;
Dort sieht man Hände, sieht man weiße Glieder;
Dort schwimmt ein Kopf, der sich noch oben hält.
Roger, den alle Wut des Sturms nicht nieder-
Geschlagen, kehrt zurück zur Oberwelt
Und sieht das Riff, dem er und die Gefährten
Im Boote zu entfliehn umsonst begehrten.
22  Der Schenkel und der Arme Kraft verspricht
Ihn schwimmend an den trocknen Stein zu tragen.
Er schnauft und bläst, und weit aus dem Gesicht
Wirft er die Wellen, die ihn lästig schlagen.
Wetter und Wind inzwischen säumen nicht
Das preisgegebne leere Schiff zu jagen;
Denn gänzlich war's von jenen preisgegeben,
Die ins Verderben trieb der Wunsch zu leben.
23  O Menschenvorsicht, trügerische, blinde!
Das Schiff entkam, das schon verloren schien,
Nachdem der Schiffer und das Schiffsgesinde
Es steuerlos preisgaben dem Ruin.
Als ob der Zorn vergangen wär' dem Winde,
Weil er die Menschenkinder sah entfliehn,
Ließ er das Schiff in bessre Wege treiben,
Auf tiefer See, und fern vom Lande bleiben. 167
24  Gesteuert war es aus der Bahn gekommen,
Jetzt ohne Steuer fuhr's gerad' ans Ziel.
Unweit Biserta kam es angeschwommen,
Gen Osten, in der Richtung nach dem Nil,
Und blieb, weil nun der Wind schon abgenommen,
Im dürren Sande sitzen mit dem Kiel,
Des Tags, wie ich erzählt hab', als gerade
Graf Roland sich erging am Seegestade.
25  Neugierig, ob das Schiff allein die Bahn
Gefunden, ob es leer sei, ob voll Waaren,
Ließ er hinüber sich in leichtem Kahn
Mit Brandimart und mit dem Schwager fahren.
Sie gingen unter das Verdeck und sahn,
Daß nirgend Menschen in dem Schiffe waren;
Sie fanden nur Frontin, das gute Pferd,
Dazu die Rüstung Rogers und sein Schwert.
26  Die Geschichte, wie Roland das Schwert der Fee Fallerina errang und wie Brunel es ihm entwandte, kannten Ariosts Zuhörer aus Bojardo's Gedicht.  Denn in der Hast, vom Schiffe sich zu trennen,
Fehlt' es, das Schwert zu holen, ihm an Zeit.
Der Graf erkannt' es: Balisarde nennen
Die Leut' es; er besaß es ein'ge Zeit.
Ihr alle werdet die Geschichte kennen,
Wie er das Schwert erkämpfte seiner Zeit,
Als Fallerina's Garten er verherte,
Und wie Brunel ihm durchging mit dem Schwerte, 168
27  Und wie Brunel daheim aus freien Stücken
Das Schwert dem jungen Roger überließ.
Von welcher Schneid' es sei und welchem Rücken,
Durch mehr als eine Probe wußt' er dies,
Ich meine Roland, der es mit Entzücken
Hier wieder fand und den Allmächt'gen pries
Und glaubte, wie er später oft gestand,
Gott hab' es für das große Werk gesandt,
28  Das große Werk, das er sich vorgesetzt,
Zu kämpfen mit dem Herrn von Sericane,
Der furchtbar war durch eigne Kraft und jetzt
Gar noch den Bajard hatt' und Durindane.
Die andre Rüstung kennt er nicht und schätzt
Sie nicht, als ob er ihre Tugend ahne;
Sie hatt' er nie erprobt; sie schien ihm fein
Und gut, doch mehr noch reich und schön zu sein.
29  Nicht nötig waren Rüstungen für ihn,
Der hiebfest war und den ein Zauber feite;
Drum ward die Rüstung Olivern verliehn,
Nur nicht das Schwert; das blieb an seiner Seite.
Und Brandimart erhielt das Roß Frontin,
Damit ein jeder, wie er ihn begleite,
Auch seinen Part und wohlbemessne Gabe
Von dem gemeinsam aufgefundnen habe. 169
30  Die Devise zu Olivers Wappenhund lautet im Original finchè vegna. nämlich la preda. Sie will sagen: ich halte mich ruhig, bis das Wild erscheint.  Am Kampftag wollte dieser Kriegerbund
In reicher Tracht erscheinen, wie's sich schicke;
Roland befahl, daß man in Farben bunt
Ihm Babels Thurm, den blitzgetroffnen, sticke.
Oliver wollt' in Silber einen Hund,
Lang ausgestreckt, die Koppel am Genicke,
Mit einem Spruch, der sagte: »bis sie kommen,«
Und Goldstoff hatt' er für sein Kleid genommen.
31  Doch Brandimart verlangte für die Schlacht,
Zu Ehren seines Vaters und zum Zeichen
Der Sohnesliebe, keine andre Tracht
Als nur in finstren Farben oder bleichen.
Solch eine hatt' ihm Flordelis gemacht,
Ringsum mit Säumen, zierlichen und reichen;
Mit edlen Steinen war besetzt der Rand,
Doch schlicht und schwarz das übrige Gewand.
32  Sie nähte selbst für den geliebten Mann,
Als gelt' es feinste Rüstung auszuschmücken,
Den Waffenrock und für das Pferd sodann
Die Decken über Mähne, Brust und Rücken.
Und seit dem Tag, wo sie das Werk begann,
Bis sie es fertig hatt' in allen Stücken,
Und auch hernach, verriet ihr Antlitz nie
Ein fröhlich Herz, und niemals lachte sie. 170
33  Stets lebt' in ihr die Furcht und bange Qual
Der Ahnung, Brandimart bald zu verlieren.
Sie hatt' ihn sonst in Schlachten ohne Zahl
Gesehn und in gefährlichen Turnieren
Und fühlte nie vor Angst wie dieses Mal
Die Wang' erbleichen und das Blut gefrieren,
Und diese Neuheit, Furcht zu fühlen, weckte
Zwiefache Furcht, die ihre Seel' erschreckte.
34  Als alles fertig war und wohl im Stande,
Zog man die Segel an dem Mast empor.
Astolf mit Samson blieb zurück am Lande
Und stand mit ihm dem gläub'gen Heere vor.
Die arme Flordelis erfüllt' am Strande
Mit Jammer und Gebet des Himmels Ohr
Und folgte mit dem Blick, soweit sie konnte,
Dem Segel bis zum fernsten Horizonte.
35  Astolf und Samson hatten ihre Not,
Sie fortzubringen von dem Saum der Welle;
Nun lag sie auf dem Bett, bleich wie der Tod,
Untröstlich, zitternd, drinnen im Castelle.
Inzwischen fuhr das schöne Aufgebot
Der besten Ritter hin mit Windesschnelle;
Zur Insel schwamm ihr Schiff geradeaus,
Wo vor sich gehen soll der große Strauß. 171
36  Roland wählt den östlichen Strand, um die Sonne im Rücken zu haben. Der Zug ist mehr im Sinne des sechzehnten Jahrhunderts als im Geiste des ritterlichen Ideals angebracht.  Als ans Gestade Roland von Anglant
Gestiegen war mit den zwei tapfren Degen,
Besetzt' er mit dem Zelt den Inselrand,
Der östlich lag; auch wußt' er wohl weswegen.
Am selben Tage kam auch Agramant
Und wählte sein Quartier dem Ost entgegen;
Weil aber vorgerückt der Stundenlauf,
Schob man die Schlacht bis Tagesgrauen auf.
37  Bis zum erneuten Lichte nahmen Sklaven
Und Diener hier wie dort die Wache wahr.
Noch spät ging Brandimart hinab zum Hafen,
Wo in den Zelten lag die Mohrenschar,
Und sprach (mit der Erlaubniß seines Grafen)
Zum Agramant, der ihm befreundet war;
Denn Brandimart war vormals mit den Scharen
Des Agramant nach Frankreichs Strand gefahren.
38  Sie grüßten sich und reichten sich die Hand;
Dann riet der Christ dem Heiden sehr zum Frieden,
Als guter Freund, mit Gründen voll Verstand,
Und zeigt' ihm, wie sie leicht den Kampf vermieden.
Er sagt' ihm zu, daß er das ganze Land
Vom Nil bis zu den Säulen des Alciden
Aus Rolands Hand zurückerhalten solle,
Wenn er Maria's Sohn anbeten wolle. 172
39  »Ich war und bin in Lieb' euch zugethan;
Drum (sprach er) rat' ich euch, daß dies geschehe.
Herr, was ich rate, hab' ich selbst gethan,
Und folglich halt' ich es für gut. Ich sehe,
Daß Christus Gott ist, Mahomed ein Wahn,
Und führt' euch gern den Weg, den ich schon gehe.
Gern nähm' ich euch und alle Freunde mit
Auf diesen Weg des Heils, den ich beschritt.
40  »Da, Herr, liegt euer wahres Glück; fürwahr,
Kein andrer Rat kann euch zum Heil gereichen,
Am wenigsten, wenn ihr durch Fechten gar
Vom Sohne Milo's etwas wollt erreichen.
Denn der Gewinn des Siegs wird die Gefahr
Der Niederlage nicht entfernt begleichen.
Nicht viel gewinnt ihr, wenn ihr triumphirt.
Verlieren müßt ihr viel, wenn ihr verliert.
41  »Wenn Roland fallen sollt' und wir zugleich,
Die wir auf Tod und Leben mit ihm gingen,
Würd' etwa unser Tod das Königreich,
Das ihr verloren habt, euch wiederbringen?
Ihr könnt nicht hoffen, daß ein einz'ger Streich
Solch einen Umschwung mach' in diesen Dingen,
Daß Karl nicht Leute hätt', um alles Land
Zu hüten bis zum letzten Thurm am Strand.« 173
42  So sagte Brandimart und hätte viel
Zu sagen noch, als ihm mit zorn'ger Stimme
Der Heidenkönig in die Rede fiel
Und so antwortete mit stolzem Grimme.
»Du treibst, beim Himmel, ein verwegnes Spiel,
Wie jeder thut, der gute oder schlimme
Ratschläge zu ertheilen sich vermißt,
Wo er zu raten nicht berufen ist.
43  »Und wenn ich glauben soll, daß, was du heute
Mir rätst, aus reiner Lieb' entsprungen ist,
So weiß ich wahrlich nicht, wie ich mir deute,
Daß du mit Roland hier gelandet bist.
Wohl glaub' ich, weil du dich bereits als Beute
Des Drachen ansiehst, der die Seelen frißt,
So möchtest du, daß wir mit dir zusammen
Hinunterführen in die ew'gen Flammen.
44  »Ob ich verlier', ob sieg', ob ich den Thron
Behaupten soll, ob in Verbannung gehen,
Das ist in Gottes Rat entschieden schon,
Den weder du noch ich noch Roland sehen.
Wie es auch komme, nie soll Furcht und Drohn
Mich beugen zu unköniglichem Flehen.
Wär' auch mein Tod gewiß, – Tod im Gefecht
Ist besser als ein Schimpf für mein Geschlecht. 174
45  »Jetzt geh, und wenn du in der Kampfesstunde
Nicht besser dich bewährst mit deiner Hand,
Als du dich hier bewährt hast mit dem Munde,
So hat der Graf sein Schiff nur schwach bemannt.«
Die letzten Worte kamen aus dem Grunde
Der zornentflammten Brust des Agramant.
Die beiden trennten sich, und beide ruhten,
Bis sich der Tag erheb' aus Meeresfluten.
46  Als es im Osten nun begann zu tagen,
Bestiegen sie die Pferd' in voller Wehr,
Die Herren hatten sich nicht viel zu sagen,
Und keine lange Pause ging vorher,
Eh wagerecht im Arm die Lanzen lagen.
Doch, gnäd'ger Herr, verging' ich mich zu schwer,
Wollt' ich mich jetzt mit diesem Kampf befassen
Und Roger mittlerweil ersaufen lassen.
47  Der Jüngling schwamm, mit Händen und mit Füßen
Das Wasser spaltend, durch das graus'ge Meer.
So feindlich Wind und Brandung ihn begrüßen,
Bedrängt ihn sein Gewissen doch noch mehr.
Er fürchtet, Christus laß' es heut ihn büßen,
Daß er die Tauf' in reiner Flut vorher
So sehr verschob, und er beginnt zu zittern,
Daß Gott ihn taufen woll' in dieser bittern. 175
48  Was er der Braut versprochen, alt' und neue
Gelübde fallen jetzt ihm wieder ein,
Was er Rinalden jüngst auf Eid und Treue
Geschworen und versäumt hat hinterdrein.
Fünfmal und zehnmal bittet er voll Reue,
Gott möge heut ihm seine Schuld verzeihn,
Und schwört mit gläubigem, aufricht'gem Sinne,
Ein Christ zu werden, wenn er heut entrinne,
49  Und nie das Schwert zu ziehn, den Speer zu senken,
Um Heiden gegen Gläub'ge beizustehn,
Zurück nach Frankreich seinen Schritt zu lenken
Und huldigend zum Kaiser Karl zu gehn,
Nie wieder Bradamante's Herz zu kränken,
Aufs Ziel der Liebe redlich loszugehn.
Und wunderbar, kaum ist der Schwur zu Ende,
So schwimmt er leicht, es wächst die Kraft der Hände.
50  Es wächst die Kraft und mit der Kraft das Wagen.
Er schlägt die Wellen und verdrängt sie gut;
Die Wellen schlägt er, die einander jagen,
Bald steigend, bald sich senkend mit der Flut.
So, auf und ab, wird er dahingetragen,
Bis dann sein Fuß auf festem Boden ruht,
Und triefend, an der Seite, wo geneigter
Der Felsen abfällt, aus dem Wasser steigt er. 176
51  Die andern alle, die ins Wasser sprangen,
Waren vom Meer besiegt und blieben da;
Nur Roger sollt' ans öde Riff gelangen,
Wie durch die Gnade Gottes nun geschah.
Dann, als er oben war, der Flut entgangen,
Auf nacktem Stein, trat neue Furcht ihm nah,
Gebannt zu bleiben an die schmale Stätte,
Wo nichts ihn vor dem Hungertod' errette.
52  Doch ungebeugten Herzens und gefaßt,
Zu dulden, was der Himmel ihm verhänge,
Stieg er geradeswegs und ohne Rast
Zur Höh' empor die harten Felsenhänge.
Gestiegen war er hundert Schritte fast,
Da – welk von Alter und des Fastens Strenge –
Naht' ihm ein Mann im Eremitenkleid,
Ehrwürdig und ein Bild der Frömmigkeit.
53  Der Eingang bezieht sich auf Cap. IX der Apostelgeschichte, Sauli Bekehrung. Der Klausner wirft Rogern vor, das Fährgeld nicht zahlen zu wollen, weil er die Taufe, die Bedingung des Heils, verabsäumt hat.  »Saul«, rief der Alte nähertretend, »Saul,
Weshalb verfolgst du mich und meine Frommen?«
(Wie damals Gott gesagt hat, als Sanct Paul
Den Schlag des Heils empfing, wie wir vernommen.)
»Das Fährgeld zu bezahlen, warst du faul
Und hofftest dennoch übers Meer zu kommen;
Doch Gottes Arm ist lang und holt dich ein,
Da du gedachtest ihm entrückt zu sein.« 177
54  Und eifrig fuhr der fromme Klausner fort,
Der Nachts zuvor durch göttliche Gesichte
Erfahren hatte, daß nach diesem Port
Sich Rogers Fahrt durch Gottes Fügung richte,
(Und auch sein Leben bis zum Tod durch Mord,
Vergangne wie zukünftige Geschichte,
Hatt' ihm der Himmel offenbart, nicht minder
Rogers Geschlecht, die Söhn' und Kindeskinder,) –
55  Der fromme Mann fuhr fort ihn anzuklagen
Und dann zu trösten. Erst verklagt' er ihn,
Daß er gesäumt die leichte Last zu tragen
Und sich dem sanften Joch zu unterziehn,
Und statt, solang' er frei war, ja zu sagen,
Als Christus bittend ihn zu rufen schien,
Mit schlechtem Anstand nun erst in sich gehe,
Da er ihn mit der Peitsche kommen sehe.
56  Str. 56 spielt auf die Parabel Evangelium Matthäi Cap. 20 an, welche erzählt wie der Herr den Arbeitern gleichen Lohn zahlt, mögen sie früh oder spät sich im Weinberge eingefunden haben.  Dann tröstend sprach er, denen, die bereuten,
Verschließe nicht den Himmel Gottes Sohn,
Und sagt' ihm von dem Weinberg und den Leuten,
Die allesamt empfingen gleichen Lohn.
So fromm bemüht, die Lehren ihm zu deuten
Der wahren christlichen Religion,
Lenkt' er zur Klause langsam seine Schritte,
Die ausgehöhlt war in des Felsens Mitte. 178
57  Ein Kirchlein, dessen Thür gen Morgen schaut,
Steht oberhalb der Eremitenzelle,
Bequem genug und zierlich aufgebaut.
Ein Dickicht steigt herab von der Capelle,
Lorbern, Wachholder, Heidelberenkraut
Und fruchtbeladne Palmen, bis zur Welle,
Und stets befeuchtet es die Flut des Quells,
Der murmelnd niederrieselt vom Gefels.
58  Beinahe schon seit vierzig Jahren saß
Der Klausner auf dem Riff, vom Meer umgeben,
Das Gott als gute Zuflucht ihm erlas
Für ein zurückgezogen heilig Leben.
Nur reines Wasser trank der Greis und aß
Die Früchte, die verschiedne Pflanzen geben,
Und frisch und rüstig, ohne Leid und Last
Bracht' er es so auf achtzig Jahre fast.
59  Der Alte schob ins Feuer einen Scheit
Und brachte Früchte mancherlei zur Speise,
Und Roger trocknete sich Haar und Kleid
Und stärkte sich. Dann auf bequeme Weise
Lernt' er an diesem Ort der Christenheit
Erhabene Mysterien von dem Greise,
Und an dem reinen Quell vollzog im Laufe
Des nächsten Tags der Alt' an ihm die Taufe. 179
60  Leidlich genug für solchen Ort vergingen
Die Tag' ihm; denn der fromme Knecht des Herrn
Sagt' ihm, ein Fahrzeug, um ihn fortzubringen
Nach dem ersehnten Lande, sei nicht fern.
Inzwischen redet' er von manchen Dingen
Mit Roger, die zum Theil das Reich des Herrn
Betrafen, theils sein eignes Wohl und Wehe
Und die zukünft'gen Sprossen seiner Ehe.
61  Denn Gott, dem alles deutlich ist und hell,
Hatte dem frommen Klausner kundgegeben,
Daß Roger nach der Tauf' im Felsenquell
Nicht länger werd' als sieben Jahre leben;
Denn für den Tod des jungen Pinabel,
Den irrig das Gerücht ihm schuldgegeben,
Und auch für Bertolags vergossnes Blut
Werd' er getödtet von der Mainzer Brut,
62  Mit solcher Heimlichkeit, daß nicht ein Wort
Verlaute noch ein Merkmal sichtbar bleibe;
Denn wo man ihn umbring', am selben Ort
Werd' auch das Grab gegraben seinem Leibe;
Und spät gerochen werde drum der Mord
Von seiner Schwester und von seinem Weibe,
Und schwangren Leibes werde nah und fern
Die Gattin suchen den geliebten Herrn. 180
63  Zwischen Etsch und Brenta liegen die Euganeïschen Hügel im Paduanischen und der Stammsitz des Hauses Este, ursprünglich Ateste genannt. Phrygisch steht für trojanisch; der Trojaner Antenor soll Padua gegründet haben, und es werden deshalb die zur Zeit Karls des Großen lebenden Bewohner jener Gegend ohne weiteres als Trojaner in Anspruch genommen.  Wo zwischen Etsch und Brenta Antenor
Die reichen Äcker und die grünen Wiesen
So lieblich fand und jene sanft empor
Gewölbten Berge, reich an Schwefelkiesen,
Daß er vergaß, wie seufzend er zuvor
Des Ida Höhn und Xanthus' Flut gepriesen,
Dort werde sie im Schatten laub'ger Äste
Gebären, nah dem phrygischen Ateste.
64  Und wann das schöne Kind erwachsen sei,
Das Roger heißen solle, würden diesen,
Erkennend, daß er ihres Blutes sei,
Die Troer jenes Orts zum Herrn erkiesen.
Und dann von Karl, dem in der Lombardei
Der Knabe schon hilfreiche Dienst' erwiesen,
Werd' er das Lehn empfahn des schönen Landes
Mit Rang und Titel markgräflichen Standes.
65  Und Karl werd' auf lateinisch sagen Este
Hic domini
und ihm das Land verleihn,
Und darum werd' in künft'gen Tagen Este
Des schönen Orts ruhmreicher Name sein,
Und also büße dann der Nam' Ateste
Zwei Lettern seines alten Klanges ein.
Auch hatte Gott dem Greise schon die Art,
Wie Rogers Tod gesühnt wird, offenbart. 181
66  Das treue Weib wird kurz vor Tagsbeginn
Im Traumgesichte den Gemal erkennen,
Und zeigen wird er ihr das Grab, worin
Sein Leichnam liegt, und wird die Mörder nennen.
Dann wird sie mit der treuen Schwägerin
Schloß Pontiers stürmen und es niederbrennen,
Und auch ihr Sohn nicht minder wird die That
Vergelten, wenn er erst die Jahre hat.
67  Von manchem Azzo, Albert, Obico
Erzählt' ihm noch der Greis in seiner Zelle
Von Leonello, Borso, Niccolo,
Alfons und Hippolyt und Isabelle.
Doch zügelte der Greis die Zunge so,
Daß sie die ganze Zukunft nicht erhelle;
Was zu erzählen ziemte, das erzählt' er,
Was besser zu verhehlen schien, verhehlt' er.
68  Roland und Brandimart sind unterdessen,
Mit ihnen Oliver, in vollem Zug,
Sich mit dem saracen'schen Mars zu messen
(Gradasso nenn' ich so mit gutem Fug)
Und mit den andren zwei, die nicht vergessen,
Im Schritt zu reiten sei jetzt nicht genug;
Ich rede von Sobrin und Agramant.
Laut widerhallt vom Hufschlag Meer und Strand. 182
69  Wie sie sich treffen im Galopp, zerklaffen
Die Lanzen all' und fliegen himmelan.
Es bäumt das Meer sich bei dem Schall der Waffen,
Dem Schall, den man in Frankreich hören kann.
Gradasso hat mit Roland es zu schaffen;
Gleich steht die Wage zwischen Mann und Mann,
Der Vortheil Bajards aber hilft dem Heiden,
Und er erscheint der stärkre von den beiden.
70  Er traf das minder starke Pferd des Franken
Mit so gewalt'gem Stoß, so wunderbar,
Daß es begann nach rechts und links zu schwanken
Und dann zu Boden fiel, so lang es war.
Der Graf stößt ihm die Sporen in die Flanken
Und reißt am Zaum, doch weil es ganz und gar
Vergeblich bleibt, da aus dem Sattel springt er
Und faßt den Schild, und Balisarde schwingt er.
71  Oliver rannte gegen Agramant,
Und ihrer keiner konnt' als Sieger gelten.
Sobrin fiel aus dem Sattel, umgerannt
Von Brandimart; doch wer darob zu schelten,
Ob Reiter oder Pferd, blieb unbekannt;
Zu fallen pflegte sonst Sobrin nur selten.
Ob nun die Schuld an ihm lag, ob am Pferde,
Genug, Sobrin lag plötzlich an der Erde. 183
72  Als Brandimart es sah, ließ er ihn liegen
Und griff Sobrin für jetzt nicht weiter an.
Er schwenkt', um auf Gradasso loszufliegen,
Der über Roland gleichen Sieg gewann.
Der Markgraf unterdeß fuhr fort zu kriegen
Mit König Agramant, wie er begann.
Sie waren, weil die Speer' am Schild zersprangen,
Mit nacktem Stahl zu Leibe sich gegangen.
73  Als Roland sieht, daß, kämpfend mit dem dritten,
Gradasso nicht zu ihm zurückbegehrt,
(Auch hätte Brandimart es nicht gelitten,
Der hart ihm zusetzt und zu Kopfe fährt,)
So schaut er um, und gleichfalls unberitten
Sieht er Sobrin, der auch des Kampfs entbehrt,
Und schreitet auf ihn zu. Furchtbar zu schauen,
Kömmt er daher; der Himmel bebt vor Grauen.
74  Sobrin, von so gewalt'gem Mann bedroht,
Spannt alle Sehnen an, daß er sich wehre,
Gleichwie der Schiffer, wann vor seinem Boot
Brüllend die Well' emporspringt aus dem Meere,
Das Steuer richtet und, den sichren Tod
Vor Augen, wünscht, daß er im Hafen wäre.
Sobrin hält seinen Schild dem Tod' entgegen,
Der niederfährt von Fallerina's Degen. 184
75  Die Balisard' ist von so seinem Schliff,
Daß Rüstungen vor ihr nur wenig decken,
Und jetzt mit einer solchen Faust am Griff,
Der Faust des Roland, dieses einz'gen Recken,
Schnitt sie den Schild entzwei, und sausend pfiff
Sie durch die Ränder trotz der Eisendecken.
Den Schild schnitt sie entzwei und theilt' ihn glatt
Und fuhr darunter auf das Schulterblatt.
76  Sie fuhr aufs Schulterblatt, und ob die Klinge
Auf doppelt Eisenblech und Ringe stieß,
Sie hemmten Bleche nicht noch Panzerringe;
Breit war die Wunde, die sie hinterließ.
Wohl focht Sobrin, doch keine Kunst verfinge
Dem Roland gegenüber: ihm erwies
Der Lenker der Gestirne ja die Gnade,
Daß seiner Haut kein Stahl noch Eisen schade.
77  Noch einmal schlägt der mächt'ge Paladin
Und denkt den Kopf vom Nacken wegzuhauen.
Die Stärke dieses Franken kennt Sobrin,
Und auf den Schild kann er nicht ferner bauen;
So weicht er aus, dem Streich sich zu entziehn,
Doch Balisarde fährt ihm vor die Brauen;
Der Hieb ist flach, doch, krachend an die Stirn,
Zerschmettert er den Helm, betäubt das Hirn. 185
78  Hin stürzt Sobrin vor dieses Hiebes Macht,
Um lange Zeit nicht wieder aufzustehen.
Graf Roland glaubt, beendet sei die Schlacht,
Und weil er denkt, um diesen ist's geschehen,
Sucht er Gradasso auf. Er hegt Verdacht,
Es könne Brandimarten schlimm ergehen:
Der Heide war an Rüstung, Roß und Degen
Und auch an Kraft vielleicht ihm überlegen.
79  Der kühne Brandimart hatt' unterdessen
Auf Rogers Pferd, dem trefflichen Frontin,
So wacker mit Gradasso sich gemessen,
Daß dieser eben nicht im Vortheil schien,
Und hätt' er solche Waffen nur besessen
Wie die des Heiden, wohl bestünd' er ihn,
Während er jetzt sich schlecht bewaffnet wußte
Und häufig rechts und links ausweichen mußte.
80  Kein Pferd, das besser als Frontin verstand
Des Reiters kleinsten Wink zu unterscheiden.
Wann Durindane kam, wußt' er gewandt
Bald hier, bald dort die schreckliche zu meiden.
Der Markgraf schlägt abseits mit Agramant
Furchtbare Schlacht, und zeigen diese beiden
Im Fechten gleiche Kunst und Wissenschaft
Und nur geringen Unterschied der Kraft. 186
81  Roland verließ Sobrin, wie wir gesehn,
Und kam, so wie er war, noch unberitten,
Begierig Brandimarten beizustehn,
Wider Gradasso schnell herangeschritten.
Und eben wollt' er ihm zu Leibe gehn,
Als er das gute Pferd Sobrins inmitten
Des Kampfgefildes sich ergehen sah.
Es einzufangen trat er rasch ihm nah.
82  Er fing den Gaul ohn' allen Widerstreit
Und war mit einem Sprung schon aufgesessen;
Die eine Hand hielt schon das Schwert bereit,
Die andre nahm den Zaum mit goldnen Tressen.
Gradasso sieht ihn wohl; ihm ist's nicht leid;
Er ruft bei Namen ihn; denn stolzvermessen
Hofft er, die Christen sollen, alle drei,
Vor Mittag glauben, daß es Abend sei.
83  Er kömmt, läßt Brandimart im Felde stehn
Und zückt das Schwert nach Rolands Panzerkragen.
Eisen und Stahl durchbohrt der Saracen,
Nur nicht das Fleisch; das muß er sich versagen.
Der Graf läßt Balisard' ins Treffen gehn;
Kein Zauber hilft, wo die beginnt zu schlagen.
Den Helm, den Schild, das Blech und Brust und Bein
Zerschlägt sie niedersausend kurz und klein. 187
84  Und Kopf und Brust und Schenkel bis ans Knie
Verwundet sie dem Herrn von Sericane,
Der, seit er diese Rüstung hatte, nie
Geblutet hat. Enttäuscht nun von dem Wahne,
Staunt er und zürnt, daß diese Klinge sie
Entzweischlug, und ist doch nicht Durindane!
Und wenn der Hieb ihn etwas näher traf,
So hätt' ihn mitten durchgehaun der Graf.
85  Er kann nicht mehr auf seine Rüstung bauen,
Wie er's gewohnt war, das ist ausgemacht.
Er fängt nun an vorsicht'ger aufzuschauen
Als seine Art, auf Deckung mehr bedacht.
Wie Roland Miene macht dareinzuhauen,
Stellt Brandimart, dem aus der Hand die Schlacht
Genommen war, sich zwischen beide Paare,
Um da zu helfen, wo er Not gewahre.
86  So stand der Kampf in dieser Morgenstunde,
Als sich Sobrin erhob aus Staub und Sand.
Wohl schmerzt' ihn sehr das Antlitz und die Wunde,
Doch konnt' er stehn und hatte sich ermannt.
Den Blick erhebend schaut' er in die Runde,
Und nach dem Platz, wo sich sein Herr befand,
Um diesem beizustehn, wandt' er sich leise
Mit langen Schritten, unbemerkter Weise. 188
87  Und hinter Oliver, der nur bedachte,
Wie König Agramant zu treffen sei,
Zielt' er dem Pferde nach den Knie'n und brachte
Dem armen Thier solch eine Wunde bei,
Daß es im Augenblick zu Boden krachte.
Und Oliver bekam den Fuß nicht frei,
Den linken Fuß, der bei dem Fall zur Erde
Im Bügel stecken blieb und unterm Pferde.
88  Sobrin holt nochmals aus und trifft ihn quer
Und denkt, er wird den Kopf herunterschlagen
Doch hindert ihn die blanke Eisenwehr,
Das Werk Vulcans, die Hector einst getragen.
Wie Brandimart es sieht, sprengt er daher
Wider Sobrin, die Beut' ihm abzujagen
Und haut ihn auf den Kopf und rennt ihn nieder.
Doch schnell erhebt der trotz'ge Greis sich wieder
89  Und kehrt sich um, damit er Olivern
Den Garaus mach' und in das Jenseits bringe.
Zum wenigsten wollt' er den Ritter gern
Festhalten unterm Pferd' in seiner Schlinge.
Jedoch der bessre Arm des tapfren Herrn
Ist frei und kann sich wehren mit der Klinge
Und haut und stößt und hält den Gegner leicht
So weit vom Leib' als weit der Degen reicht. 189
90  Er hofft, wenn er ein Weilchen nur den Alten
Fern hält, sich zu befrein aus dieser Not.
Von Strömen Bluts, die auf die Erde wallten,
Sieht er den Gegner ganz benetzt und rot:
Unmöglich kann er sich noch lange halten,
Er ist so matt, daß er zu fallen droht.
Vielmals sucht Oliver sich aufzuraffen
Und kann das Pferd sich nicht vom Leibe schaffen.
91  Indeß trifft Brandimart auf Agramant
Und wettert um ihn her auf seine Weise.
Rechts, links und vorne kömmt Frontin gerannt,
Frontin, der wie ein Kreisel tanzt im Kreise.
Gut ist das Roß des Sohns des Monodant,
Doch das des Mohren steht in gleichem Preise,
Der Güldenzaum, den Roger ihm verehrt,
Als er den Mandricard schlug mit dem Schwert.
92  Im Vortheil ist der Mohr durch seine Waffen;
Sie sind erprobt, von hoher Trefflichkeit.
Sein Gegner mußte schnell zusammenraffen,
So gut es ging, was nötig ist zum Streit,
Doch bessre Rüstung bald sich zu verschaffen,
Deß giebt sein kecker Mut ihm Sicherheit,
Obwohl ein Hieb, den ihm der Mohr versetzt hat,
Die rechte Schulter schon mit Blut benetzt hat, 190
93  Und eine Wunde von Gradass'os Schlägen
Ihm in der Seite sitzt, und nicht zum Tand.
Lang' auf der Lauer hatt' er schon gelegen
Bis er zum scharfen Streich die Stelle fand.
Er spaltete den Schild; dann traf der Degen
Den linken Arm und streifte rechts die Hand.
Doch diese Hiebe waren Spaß, verglichen
Mit Rolands und Gradasso's fürchterlichen.
94  Schon halb entwaffnet ist der Graf; der Heide
Hat ihm den Helm durchbrochen rechts und links;
Der Schild liegt weggefallen auf der Heide,
Und Panzerhemd und Küraß klaffen rings.
Er selbst ist fest; ihm thut man nichts zu Leide.
Noch schlimmer fährt Gradasso allerdings:
Kopf, Hals und Brust sind wund von Rolands Hieben,
Außer dem ersten Streich, den ich beschrieben.
95  Er will verzweifeln schier, sich selbst benetzt
Und so befleckt vom eignen Blut zu sehen
Und Roland, trotz den Hieben unverletzt
Und trocken noch vom Kopf bis zu den Zehen.
Er hebt das Schwert mit beiden Händen: jetzt
Soll es durch Kopf und Brust und Nabel gehen,
Und grade vor die Stirn, wie er's begehrt,
Trifft er den grimmen Feind auf halbes Schwert. 191
96  Und wär's nicht Roland, wär' es auch geglückt;
Bis auf den Sattel hätt' er durchgehauen.
Das Schwert jedoch, als hätt' er flach gezückt,
Kam rein und blank zurück von Rolands Brauen.
Betäubt indeß hat sich der Graf gebückt
Und glaubt im Sande manchen Stern zu schauen.
Der Zaum entsinkt ihm, und das Schwert entsänke,
Hielte die Kett' es nicht am Handgelenke.
97  Der Schall des fürchterlichen Hiebes klang
Dem Pferde, das den Grafen trug, verdächtig.
Es lief entsetzt die staub'ge Bucht entlang
Und zeigt' im Rennen sich geübt und prächtig.
Der Zügel hemmt' es nicht in seinem Gang,
Denn Roland war der Sinne nicht mehr mächtig.
Gradasso folgt und wär' ihm bald vorauf,
Ließ' er dem Bajard nur noch etwas Lauf.
98  Doch wie er umschaut, sieht er Agramant
In äußerster Gefahr des Todes schweben.
Denn Brandimart hat mit der linken Hand
Ihn schon am Helm gepackt und löst ihm eben
Vom Vorderstück die Schnallen und das Band
Und will ihm mit gezücktem Dolch ans Leben.
Und wehren kann der König sich nur schlecht;
Denn auch das Schwert verlor er im Gefecht. 192
99  Gradasso folgt dem Grafen nicht und schwenkt,
Um dem bedrängten König beizuspringen.
Der blinde Brandimart, der ja nicht denkt,
Daß Roland den entlassen wird vom Ringen,
Hat Sinn und Auge nur darauf gelenkt,
Das Messer an des Heiden Hals zu bringen:
Da kömmt Gradasso, und mit scharfem Schlag
Trifft er den Helm, so stark er nur vermag.
100  Vater des Himmels, im verklärten Kreise
Der Märtyrer laß deinen Diener nun
Nach überstandner sturmbewegter Reise
Die Segel einziehn und im Hafen ruhn!
O Durindane, so grausamer Weise
Dem Roland, deinem Herrn, Leid anzuthun,
Den besten Freund, der jemals ihm geworden,
Vor seinen Augen ihm ruchlos zu morden!
101  Ein Ring von Eisen lief, zwei Finger dick,
Rund um den Helm; der wurde durchgeschlagen,
Und klaffend brachen dann bis ins Genick
Die Wölbungen des Stahls, die drunter lagen.
Und Brandimart fiel mit erloschnem Blick
Vom Pferde rückwärts, ohn' ein Wort zu sagen,
Und aus dem Kopf in breitem Strome floß
Ein Blutstrom, der sich in den Sand ergoß. 193
102  Der Graf hat sich erholt und schaut umher:
Da liegt im Staub sein theuerster Gefährte,
Und über ihm, nach frischer That, steht der,
Der ihm den Freund getödtet mit dem Schwerte.
Ich weiß nicht, zürnt' er oder klagt' er mehr?
Doch weil zum Weinen er der Muß' entbehrte,
So fuhr der Schmerz zurück, der Zorn heraus.
Doch es ist spät, und mein Gesang ist aus. 194

 


 


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