Ludovico Ariosto
Rasender Roland, Band 4
Ludovico Ariosto

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Sechsunddreißigster Gesang.

Von barbarischer Kriegführung der Neueren (1–9). Bradamante's Zusammentreffen mit Marfisa (10–23) und mit Roger (24–41). Roger, Marfisa und Bradamante treffen und entzweien sich am Grabe des Atlas (42–58). Der Geist des Atlas spricht aus dem Grabe und bewirkt ihre Versöhnung (59–68). Roger belehrt Marfisa über ihre Abkunft (69–75). Marfisa fordert Rache für ihres Vaters Tod (76–83).

Ein adlich Herz wird ritterlich sich zeigen,
Wo es auch sei; es kann nicht anders sein;
Natur und Übung giebt ihm das zu eigen,
Was nie sich wieder ändert hinterdrein.
Wo es auch sei, wird stets das Herz des Feigen
Sich niedrig offenbaren und gemein;
Zum Bösen neigt Natur; Gewohnheit dann
Tritt noch hinzu, die nichts mehr ändern kann.
Diese Strophen beziehen sich auf den Krieg zwischen den Venezianern und den Kaiserlichen (1509), in welchem Hippolyt von Este den im 3. Gesange gefeierten Sieg über die ersteren davontrug. Die Kaiserlichen hatten Padua belagert, Hippolyt unterstützte sie mit ferraresischen Truppen. Die Belagerung mußte aufgehoben werden, und die Venezianer ergossen sich plündernd und sengend in das Gebiet des Herzogs von Ferrara. Hippolyt trieb sie nach Polesella zurück, wo sie sich verschanzten. Bei einem Angriffe auf ihre Stellung wagten Hercules Cantelmo, Sohn des Herzogs von Sora, und Alexander Ferrusino sich zu weit vor; letzterer entkam, Hercules Cantelmo ward von den im Dienste Venedigs stehenden Sclavonen gefangen und, weil diese unter sich über das Recht an dem Gefangenen sich nicht einigen konnten, Angesichts der Ferraresen an Bord eines Schiffes geköpft.  Des ritterlichen Edelmuts Exempel
Trifft man gar oft bei Rittern alter Zeit
Und selten bei den neuern; denn der Stempel
Der Barbarei macht jetzt sich allzu breit.
In jenem Kriege, Herr, als ihr die Tempel
Mit Fahnen schmücktet und nach heißem Streit
Eroberte Galeren, reichbeladen,
Mitführtet nach den heimischen Gestaden, 2
Ward jede Frevelthat verübt, und schlimmer
Als was der Türke that und der Tartar,
Nicht auf Geheiß Venedig, das ja immer
Ein Muster der gerechten Tugend war,
Wohl aber von verruchten Händen grimmer
Soldaten, von Venedigs Mietlingsschar.
Das sag' ich nicht, weil sie die schöngepflegten
Gärten und Villen uns in Asche legten;
Obwohl es Rache war der rohsten Art,
Vornehmlich weil sie wider euch sich wandte,
Wohlwissend, gnäd'ger Herr, daß ihr es wart,
Der, während Cäsar Padua berannte,
Gar manches doch vor Flammen hat bewahrt,
Ja, Feuer hat gelöscht, wo es schon brannte,
In Dörfern und in Tempeln, weil der Drang
Der angebornen Großmut dazu zwang.
Nicht dies Gedächtniß will ich jetzt erneuern,
Noch andrer Greuel, die sie dort vollführt;
Jetzt red' ich nur von dem, was Ungeheuern
Thränen entlockt, so oft man es berührt.
An jenem Tage, Herr, als ihr die euern
Zum Angriff auf die Schanzen habt geführt,
Wohin die Feinde sich, von Furcht ergriffen,
Zurückgezogen hatten von den Schiffen, – 3
Wie Hector mit Aeneas vom Scamander
Bis in die Flut zum Brand der Flotte schritt,
So sah ich damals, wie ein Alexander
Mit einem Hercules zum Sturme ritt,
Wie allzu kühn, Roß neben Roß, selbander
Dies edle Paar jenseits der Schanze stritt,
Zu weit vorauf; denn mühsam nur befreite
Der erste sich, gefangen blieb der zweite.
Befreit ward Ferrufin, es blieb Cantelm.
Mit welchem Herzen, welcher grimmen Laune
Herzog von Sora, sahst du, wie der Helm
Dem edlen Sohn abfiel, der ganz zerhau'ne,
Und wie an Bord man ihm gleich einem Schelm
Den Kopf herunterschlug! fürwahr, ich staune,
Daß du nicht von dem bloßen Anblick schon
Gestorben bist, wie durch das Schwert dein Sohn.
Unmenschlicher Sclavon, wer lehrte dich
Den Kriegsgebrauch? wo wird man Scythen finden,
Die den Gefangnen tödten, wenn er sich
Entwaffnen läßt und seine Hände binden?
Ward er ermordet, weil er ritterlich
Sein Land geschirmt? die Sonne müßt' erblinden,
Grausam Jahrhundert, das uns des Thyest
Und Atreus Greuel neu erstehen läßt. 4
Enthauptet haben deine Mörderhände
Den kühnsten Jüngling, den die Sonne je
Geschaut von Pol zu Pol, vom letzten Ende
Des Indus bis zur abendlichen See.
Um seine Schönheit, seine Jahr' empfände
Ein Polyphem, ein Menschenfresser Weh,
Du aber nicht, heimtückischer Sclavone,
Fühlloser als Cyclop und Lästrygone?
10  Solch Beispiel glaub' ich, wie der Bösewicht
Gab nie ein Ritter in den alten Kriegen.
Die übten Höflichkeit und Ritterpflicht
Und waren grausam nie nach ihren Siegen.
Nicht nur mishandelt Bradamante nicht
Die Gegner, welche ihrem Speer erliegen,
Sie hält das Pferd noch dem gefallnen Mann
Und hilft ihm, daß er es besteigen kann.
11  Wie diese schöne Heldin mit Grandon
Und Serpentin vor Arles hat gestritten,
Und auch mit Ferragu, Lanfusa's Sohn,
Und nach dem Kampfe wieder sie beritten
Gemacht hat, das erzählt' ich oben schon.
Auch hab' ich schon erzählt, wie sie den dritten
Zu Rogern schickt' und er zur Mauer kam,
Wo jeder sie für einen Ritter nahm. 5
12  Die Forderung nahm Roger freudig an
Und ließ die Waffen nach der Mauer tragen,
Und während er sich rüstete, begann
Von neuem unter jenen Herrn das Fragen,
Wer wohl der Fremde sei, der Wundermann,
Dem seine Lanzenstöße nie versagen,
Und Ferragu, der ihn gesprochen hatte,
Ward nun ersucht, daß er Bericht erstatte.
13  Der Spanier drauf versetzte: »Glaubet mir,
's ist keiner von den Rittern, die man nannte.
Mir schien's, als er emporschlug das Visier,
Daß ich den Bruder des Rinald erkannte;
Indeß nach solchen Proben im Turnier
(Weil so der junge Richard niemals rannte)
Glaub' ich vielmehr, daß es die Schwester sei;
Denn ähnlich, sagt man, sehen sich die zwei.
14  »Sie ist (so sagen alle, die sie kennen,)
Stark wie Rinald, wie jeder Paladin;
Ich sage, daß sie heute bei dem Rennen
Mir stärker als Rinald und Roland schien.«
Kaum hörte Roger die Geliebte nennen,
Da, wie der Morgenschimmer mit Karmin
Die Luft bestrahlt, erglühten ihm die Wangen.
Sein Herz erschrak: was ist nun anzufangen. 6
15  Vom Liebespfeil gemartert und zerstochen,
Fühlt' er da drinnen einen Flammenbrand
Und rieselnd doch zugleich durch Mark und Knochen
Eisigen Frost: den hat die Furcht gesandt,
Furcht, daß ein neuer Zorn den Bund zerbrochen,
Vernichtet habe, was sie einst empfand.
Und, so bestürzt, kann er sich nicht entscheiden,
Ob er hinausgehn soll, ob sie vermeiden.
16  Marfisen, die zugegen war, gelüstet
Gar sehr danach den Zweikampf zu bestehn.
Sie war gewaffnet schon, (denn lange müßtet
Ihr warten, wolltet ihr sie anders sehn,)
Und nun vernehmend, daß sich Roger rüstet,
Besorgt sie, der Triumph werd' ihr entgehn,
Wenn er vorangeh': also kein Besinnen,
Sie muß hinaus und will den Preis gewinnen.
17  Sie springt aufs Roß und treibt es hastig an
Und trifft die Tochter Haimons auch zu Pferde.
Herzklopfend harrt sie auf den falschen Mann,
Voll Sehnsucht, daß er ihr Gefangner werde,
Und sinnt nur nach, wie sie ihn treffen kann,
Daß ihn die Lanze nicht zu arg gefährde.
Da siehe, sprengt Marfisa ins Gefild,
Und auf dem Helm trägt sie des Phönix Bild, 7
18  Sei es aus Stolz, damit man merken sollte,
Sie sei an Stärke einzig auf der Welt,
Sei's daß sie jene Keuschheit preisen wollte,
Die sich vom Gatten frei und fern erhält.
Die Tochter Haimons sah sie an und grollte:
Das war der Ritter nicht, den sie bestellt!
Sie fragte nach dem Namen, und sie hörte,
Dies sei die falsche, die ihr Glück zerstörte.
19  Ich sollte sagen: sie, von der sie denkt,
Daß sie der Liebe Rogers schon genieße.
Es wär' ihr Tod, – so schwer ist sie gekränkt –
Wenn sie den Jammer ungerochen ließe.
In voller Wut kömmt sie daher gesprengt,
Nicht bloß zur Lanzenprobe, nein, sie stieße
Den Speer ihr gerne mitten durch das Herz
Und wäre frei von Eifersucht und Schmerz.
20  Marfisa muß denn auch bei diesem Stoß
Erproben, wie sich's hart liegt auf der Erde.
Der Fall war unerhört und beispiellos,
Es war als ob sie toll vor Ärger werde.
Kaum liegt sie da, so ist ihr Degen bloß,
Um sie zu rächen für den Sturz vom Pferde.
Die Tochter Haimons aber ruft voll Hohn:
»Was willst du noch? gefangen bist du schon. 8
21  »Höflich behandelt' ich die andren drei,
Du aber rechne nicht darauf, Marfise,
Weil ich nicht gern so frecher Büberei,
Wie man dir nachsagt, Höflichkeit erwiese.«
Marfisa hört das Wort und knirscht dabei,
Als ob in einer Klipp' ein Seewind bliese.
Sie schreit, doch wilde Töne nur, verworrne,
Und nicht gehorcht das Wort dem innren Zorne.
22  Sie zückt das Schwert, und blindlings, bald nach ihr,
Bald nach dem Pferde, nach der Brust und Weiche;
Doch Bradamante reißt am Zaum das Thier
Beiseit, damit der Hieb es nicht erreiche,
Und nun zugleich, voll Zorn und Rachbegier,
Stößt sie die Lanze vor zu neuem Streiche,
Und kaum berührt sie ihre Gegnerin,
So fällt Marfisa rücklings wieder hin.
23  Kaum liegt sie, hat sie auch sich aufgerafft
Und droht Verderben mit geschwungnem Degen.
Von neuem trifft sie Bradamante's Schaft,
Von neuem muß sie sich kopfüber legen.
Gewaltig wohl war Bradamante's Kraft,
Jedoch Marfisen nicht so überlegen,
Daß die vor jedem Stoß gefallen wär'.
Die Tugend saß vielmehr im Zauberspeer. 9
24  Verschiedne Ritter hatten sich inzwischen
(Verschiedne, mein' ich, unserer Partei)
Dort eingestellt und wohnten mitten zwischen
Den beiden Lagern dem Turniere bei,
(Denn kaum ein Stündchen Weges lag dazwischen)
Gewahrend daß ihr Mann im Vortheil sei, –
Ihr Mann, denn sie erkannten ihn nicht weiter
Als nur für einen der getauften Streiter.
25  Der König auf der Mauer nahm es wahr,
Wie sie sich näherten in größren Massen,
Und weil er nicht von plötzlicher Gefahr
Sich ungerüstet wollt' ereilen lassen,
Ließ er von Mohren eine starke Schar
Vors Thor ausrücken und die Waffen fassen,
Mit ihnen Roger, den die Kampfbegier
Marfisa's so betrog um sein Turnier.
26  Bradamante wird hier anticipando Rogers Gattin genannt, wie auch sonst bei Ariost die Verlobten als Eheleute bezeichnet werden, nach der alten Rechtsanschauung, welche dem Acte der Verlobung die ehebegründende Kraft beilegt. Im 45. Gesange Str. 103 ff. gewinnt diese Auffassung praktische Bedeutung für den Verlauf der Geschichte.  Der liebeglüh'nde Jüngling sah dem Gange
Des Kampfes zu, und ihm gerann das Blut;
Ihm war um die geliebte Gattin bange;
Marfisa's Stärke kannt' er nur zu gut.
Bang, sag' ich, war ihm im Beginn, solange
Sie auf einander jagten, wild vor Wut,
Doch als er sah, wie sich die Sache wandte,
Blickt' er vor Staunen starr auf Bradamante. 10
27  Und als der Kampf dann nicht zu Ende war,
Nicht wie vorhin beim ersten Ritt entschieden,
Ergriff ihn Furcht vor weiterer Gefahr,
Und tief im Herzen war er unzufrieden.
Das beste wünscht' er diesem schönen Paar;
Er liebte beide, wenn auch sehr verschieden
Dies Lieben war, – für jene Flamm' und Wut,
Für diese Freundschaft mehr als Liebesglut.
28  Den Kampf zu trennen unternähm' er gern,
Wenn solche Einmischung die Ehre litte;
Jedoch die bei ihm sind, die andren Herrn –
Damit nicht Karls Partei den Sieg erstritte,
(Und daß sie siegen würde, schien nicht fern,) –
Sprengen, den Kampf zu stören, in die Mitte,
Und auch die Christenritter andrerseits
Setzen in Trab sich, und man kämpft bereits.
29  Auf zu den Waffen! rufen Christ und Mohr,
Wie sie es dort gewohnt fast täglich waren.
Zu Pferde wer zu Fuß ist! Lanzen vor!
Zu seiner Fahne soll sich jeder scharen!
So rief in hellem kriegerischem Chor
Rings die Trompet', und während die Fanfaren
Die Reiter rufen, ruft auch überall
Das Fußvolk Cymbelklang und Paukenschall. 11
30  Das Kampfgetümmel mischt sich, Schwerter, Stangen,
Wie man's nur denken kann, blutig und wild.
Die Tochter Haimons ohne Furcht und Bangen,
Der wundersam das Herz von Unmut schwillt,
Weil heute sie ihr innigstes Verlangen,
Marfisa zu durchbohren, nicht gestillt,
Sprengt hin und wider, auf und ab, und trachtet
Roger zu finden, ihn, nach dem sie schmachtet.
31  Am Adler mit dem silbernen Gefieder
Im blauen Schild erkennt sie ihren Mann.
Da macht sie Halt und schaut sich immer wieder
Mit Aug' und Seele Brust und Schultern an,
Den schlanken Wuchs, der leichtbewegten Glieder
Anmutig Spiel, und voll Entrüstung dann,
Daß eine andre deß genießen solle,
Spricht sie, bestürmt vom ungestümen Grolle:
32  »Sie also will die schönen Lippen küssen,
Den Mund, den ich nicht küssen sollte? Nein!
Die andre wird auf dich verzichten müssen:
Mir oder keiner sollst du eigen sein.
Eh ich erstick' in Wut und Thränengüssen,
Stirbst du mit mir durch mich, und geh' ich dein
Verlustig hier, so wird in jenem Leben
Die Hölle dich mir ewig wiedergeben. 12
33  »Wenn du mich tödtest, heischt die Billigkeit,
Daß ich von dir den Trost der Rach' erwerbe.
Gesetz und Recht verlangten allezeit,
Daß, wer ein Mörder ist, durch Mord verderbe.
Und dann sogar trifft dich geringres Leid:
Du stirbst mit Recht, da ich unschuldig sterbe.
Ich tödte den, der meinen Tod begehrt,
Du mich, Barbar, die göttlich dich verehrt.
34  »Weshalb denn wolltest du, o Hand, nicht wagen
Des Feindes Herz zu öffnen mit dem Stahl?
Hat er nicht Todeswunden mir geschlagen,
Unter dem Schutz der Liebe, tausendmal?
Will er nicht jetzt mich ins Verderben jagen?
Fühlt er Bedauern nur mit meiner Qual?
Wider den Frevler, starker Mut, erwache!
Sein Tod für meine tausend sei die Rache!«
35  So sprengt sie auf ihn los, doch in der Nähe
Ruft sie: »Jetzt wahr' dich, Roger, falscher Mann!
Du sollst nicht Mädchenherzen als Trophäe
Von hinnen führen, wenn ich's hindern kann.«
Roger vernimmt's und ahnt, die so ihn schmähe,
Sei jene, die er sich als Braut gewann.
Es war die Stimme seiner Bradamante,
Die unter tausenden sein Ohr erkannte. 13
36  Wohl merkt er, daß dies mehr bedeuten solle,
Als was sie sag'; er werde angeklagt.
Er merkt, daß sie dem pflichtvergessnen grolle,
Und hätte gern ein Wort für sich gesagt.
Er winkt ihr also, daß er sprechen wolle.
Schon aber mit geschlossnem Helme jagt
Sie auf ihn los, die ganz von Wut entbrannt ist,
Ihn hinzuschleudern, wo vielleicht kein Sand ist.
37  Wie er sie kommen sieht entflammt zum Streit,
Stemmt er sich fest im Harnisch und im Sitze.
Die Lanze legt er ein, doch zielt beiseit,
Damit der Stahl ihr auch die Haut nicht ritze.
Sie, die mit allem Mitleid ganz entzweit
Ihn treffen wollt' und tödten mit der Spitze,
Vermag nicht, als sie näher kömmt und nun
Zustoßen soll, die Schmach ihm anzuthun.
38  So kommt denn nichts heraus bei dem Turniere,
Und wohl genügt's, wenn Amor beider Herz
Zu treffen weiß und seine Brust wie ihre
Durchbohrt mit einem Speer aus glüh'ndem Erz.
Da sie erkennt, daß sie den Mut verliere,
Ihm wehzuthun, entlädt sie anderwärts
Den Grimm, der sie verzehrt, und von den Dingen,
Die sie vollbracht, wird fernste Zukunft singen. 14
39  In kurzer Frist jagt dieser goldne Speer
Dreihundert oder mehr noch ins Verderben.
Sie ganz allein besiegt das Mohrenheer,
Allein wird sie den Ruhm des Tags erwerben.
Durch das Gefild irrt Roger hin und her,
Bis er sie trifft und spricht: »Ich werde sterben,
Wenn du nicht hörst; was hab' ich dir gethan,
Daß du mich fliehst? beim Himmel, hör' mich an.«
40  Wie bei dem Hauch der lauen Frühlingswinde,
Die von der See mit warmem Odem wehn,
Der Schnee zerfließt, des Eises dicke Rinde
Hinschmilzt und frei die Wasserbäche gehn,
So wird das Herz dem schönen Haimonskinde
Bei dieser kurzen Klage, diesem Flehn
Zu sanfter Mild' erweicht, das Zorn und Grollen
Schon hart wie Marmor hatte machen wollen.
41  Sie kann es oder will's ihm hier nicht sagen;
Sie spornt den Rabican quer übers Land
Weitab von jenen, die sich grimmig schlagen,
Und winkt dann Rogern mit erhobner Hand.
Aus dem Getümmel muß der Gaul sie tragen
In ein entlegnes Thal; da drinnen stand
Ein Busch Cypressen in der Mitt' am Wege,
Gleichförmig alle wie aus einer Präge. 15
42  Aus weißem Marmor stand in diesem Hain
Ein neues Grab, das hoch vom Boden ragte,
Und wer da liege, meldete der Stein
Mit kurzem Sprüchlein dem, der danach fragte.
Der Jungfrau aber fiel es jetzt nicht ein
Zu lesen, was die Grabaufschrift besagte.
Ihr folgte Roger nach und spornt' und trieb,
Bis er im Thale war bei seinem Lieb.
43  Was macht Marfisa mittlerweil? sie war
Inzwischen wieder auf ihr Pferd gestiegen
Und suchte jene Feindin in der Schar,
Die sie genötigt hatt' im Sand zu liegen.
Und plötzlich nahm sie Bradamante wahr,
Sah Roger hinter ihr zum Thale fliegen;
Sie dachte nicht, er folg' aus Liebe nach,
Sondern zur Sühne für erlittne Schmach.
44  Sie drückt die Sporen ein und folgt der Fährte
Und kömmt sehr bald zu ihnen in den Hain.
Wie ihre Ankunft jene zwei beschwerte,
Sieht jeder, der einmal geliebt hat, ein.
Doch mehr zürnt Bradamant' als ihr Gefährte:
War nicht Marfisa Schuld an aller Pein?
Wer redet' es ihr aus in ihrem Zorne,
Daß Liebe nur zu ihm hieher sie sporne? 16
45  Und sie beginnt aufs neu' ihn anzuklagen:
»Treuloser, (ruft sie) nicht genügt es dir,
Daß ich den Treubruch weiß von Hörensagen?
Handgreiflich zeigen mußtest du ihn mir?
Ich seh', es ist dein Wunsch mich zu verjagen,
Und deinen bösen Wunsch erfüll' ich hier.
Hier will ich sterben; doch eh ich verderbe,
Stirbt sie mit mir, die Schuld ist, daß ich sterbe.«
46  Und zorniger als die gereizte Schlange
Sprengte sie auf Marfisa los und stieß
Sie vor den Schild mit der gesenkten Stange,
Daß jene rücklings fiel und in den Kies
Der halbe Helm sich eingrub bis zur Wange.
Daß sich Marfisa überrumpeln ließ,
Kann man nicht sagen, denn sie that dawider,
Was sie vermochte; dennoch schlug sie nieder.
47  Die Tochter Haimons kennt nur eine Wahl,
Tod für sich selber oder für Marfise.
Was hülf' es ihr, wenn sie zum vierten Mal
Sich überlegen mit dem Speer erwiese?
Herabhaun will sie mit dem scharfen Stahl
Den Kopf, der halbbegraben ist im Kiese.
Sie wirft die goldne Lanze weg und faßt
Das Schwert und springt vom Gaul in voller Hast. 17
48  Es ist zu spät: schon kömmt mit stolzem Schritte
Marfisa auf sie zu, von Zorn entfacht,
Daß ihre Feindin auch bei diesem Ritte
Sie abermals so leicht zu Fall gebracht.
Umsonst ist alles Rufen, ist die Bitte
Des Jünglings, den dies sehr bekümmert macht;
So blind vor Haß sind diese Kriegerinnen,
Daß sie wie rasende den Kampf beginnen.
49  »Sie suchen neue Klingen,« d. h. sie greifen zu den Dolchen, die im Nahekampfe das Schwert ersetzen müssen.  Auf halben Degen kommen sie im Nu,
Jedoch entflammt von großem Trotze dringen
Sie näher noch; nun stemmt sich Schuh an Schuh,
Sie können nur noch packen sich und ringen.
Das Werk des Schwertes kömmt von selbst zur Ruh;
Sie werfen's weg und suchen andre Klingen.
Der gute Roger bittet und beschwört;
Sein Reden fruchtet wenig; keine hört.
50  Da er nun sieht, daß Bitten nicht verschlägt,
So, denkt er, muß es mit Gewalt geschehen.
Er nimmt die Dolch' aus ihrer Faust und legt
Beiseite sie, wo die Cypressen stehen,
Und nun, da keine mehr ein Eisen trägt,
Tritt Roger zwischen sie mit Drohn und Flehen.
Es ist umsonst, der Kampf wird fortgesetzt,
Und Faust und Ferse dient als Waffe jetzt. 18
51  Er aber ruht nicht; jene bald, bald diese
Zieht er zurück beim Arme, bei der Hand,
Und treibt es so, daß wider ihn Marfise
Sich schließlich kehrt, von höchstem Zorn entbrannt.
Sie, die der ganzen Welt die Thüre wiese,
Fragt nicht nach dem geknüpften Freundschaftsband;
Von Bradamante sich losreißend springt sie
Nach ihrem Schwert, und dann auf Roger dringt sie.
52  »Beim Kämpfen andre Leute unterbrechen,
Ist bäurisch, Roger, und unritterlich.
Mein Arm soll aber bald den Frevel rächen,
Denn er ist stark genug für sie und dich.«
Roger versucht zur Ruhe sie zu sprechen
Mit sanften Worten, doch wie irrt er sich!
An die ergrimmte noch ein Wort zu wenden,
Das, sieht er, hieße nur die Zeit verschwenden.
53  Zuletzt zog er den Degen aus der Scheide;
Nun brannt' auch er von Zorne lichterloh.
Rom und Athen, das wett' ich, haben beide
Nie einem Schauspiel zugesehn, das so
Dem Volke hat gedient zur Augenweide,
Wie diesem Schauspiel jetzt vergnügt und froh
Zusah die eifersücht'ge Bradamante,
Das ihren Argwohn ganz und gar verbannte. 19
54  Sie hatt' ihr Schwert vom Boden aufgehoben
Und schaute zu dem Kampf des andren Paars.
Bewundernd sah sie Rogers Heldenproben, –
Nicht Roger mehr, der Gott der Schlachten war's.
Den Höllenfurien glich in ihrem Toben
Marfisa, und der andre glich dem Mars,
Obschon er im Beginn darauf bedacht war
Nicht voll zu leisten, was in seiner Macht war.
55  Er wußte, welche Kraft sein Schwert besitze,
Denn die Erfahrung lehrt' ihm tausendfach,
Daß alle Zauberkunst vor seinem Blitze
Verschwand und unnütz ward und allzu schwach.
So hielt er es zurück, um nicht mit Spitze
Und Schneide dreinzufahren, sondern flach.
Geraume Zeit sah Roger so sich vor,
Bis er zuletzt doch die Geduld verlor.
56  Sie hatt' ihm einen graus'gen Hieb versetzt,
Um ihm den Kopf zu spalten, wie sie dachte.
Er hob den Schild, eh sie den Helm zerfetzt,
So daß der Schlag auf seinen Adler krachte.
Der Schild blieb, Dank dem Zauber, unverletzt,
Obwohl der Hieb den Arm ohnmächtig machte,
Und hätt' er Hectors Rüstung nicht getragen,
Der Hieb hätt' ihm den Arm wohl abgeschlagen 20
57  Und seinen Kopf getroffen, den die wilde
Mit ihrem Schwert zu spalten Willens war.
Kaum rührt' er seinen Arm noch unterm Schilde,
Kaum hielt er noch empor den schönen Aar.
Deshalb verbannt' er aus der Brust die Milde,
Die Augen flammten wie ein Fackelnpaar;
Mit aller Macht stieß er das Schwert nach ihr;
Wenn es dich trifft, Marfisa, wehe dir!
58  Wie es nun zuging, weiß ich selber kaum,
Der Degen fuhr in der Cypressen eine
Und drang wohl einen Fuß tief in den Baum,
(Denn dicht bepflanzt war alles in dem Haine).
Da plötzlich zitterte der ganze Raum,
Es bebten Berg und Thal, und aus dem Steine,
Aus jenem Grabmal im Cypressenwald
Erscholl ein Ruf, wie Menschenruf nicht schallt.
59  Die Donnerstimme rief: »Kein Haß und Zwist
Sei zwischen euch! entsetzlich, wenn verblendet
Der Bruder Schuld am Tod der Schwester ist,
Der Schwester Hand des Bruders Leben endet!
O du mein Roger, o Marfisa, wißt
Und glaubt der Botschaft, die das Grab euch sendet:
In einem Schooß, vom selben Blut empfangen,
Habt ihr zugleich zu leben angefangen. 21
60  Agolant, König von Afrika, war mit seinen Söhnen Almont und Trojan und mit seiner Tochter Galaciella nach Europa gekommen. Galaciella vermählte sich gegen des Vaters Willen mit Roger dem Zweiten Fürsten von Risa (Reggio). Beltram, Rogers Bruder, entbrannte für Galaciella und verbündete sich, um sie zu gewinnen, mit den Afrikanern. Agolant tödtete Roger und gab seine Tochter in einem Boote dem Meere preis.  »Dem zweiten Roger seid ihr beid' entsprossen;
Galaziella hieß, die euch gebar.
Als ihre Brüder, ihre Blutsgenossen
Den umgebracht, der euer Vater war,
Ward sie, obwohl in ihrem Schooß verschlossen
Schon lebt' ein ungebornes Zwillingspaar,
Aufs hohe Meer gebracht in morschem Boote,
Woselbst die Flut sie zu verschlingen drohte.
61  »Das Schicksal aber, das euch beide schon
Erkoren hatte zu erhabnen Dingen,
Ließ ihren Nachen in die Region
Der Syrten an ein wüst Gestade dringen.
Daselbst gebar sie euch, um dann zum Thron
Der Gnade sich verklärt emporzuschwingen.
Wie Gott es wollt' und euer guter Stern,
War ich vom Orte der Geburt nicht fern.
62  »So gut ich konnt' an dieser öden Bucht,
Verschafft' ich erst ein ehrlich Grab der frommen.
Im Mantel hab' ich euch, die zarte Frucht,
Dann in Carena's Berge mitgenommen,
Und eine Löwin mußt' aus Waldesschlucht,
Die eigne Brut verlassend, freundlich kommen,
An deren Zitzen ich im Land Carene
Euch nährte zehn Monat' und aber zehne. 22
63  »Und eines Tags, da ich von Haus gegangen,
Um über Land zu reisen, traf es sich,
Daß Araber in unsre Wohnung drangen,
Raubvolk, – vielleicht ist's euch erinnerlich, –
Die nahmen dich, Marfis', am Weg gefangen,
Doch Roger, der schon besser lief, entwich.
Ich blieb zurück, um den Verlust mich grämend
Und Roger desto mehr in Obhut nehmend.
64  »Du, Roger, weißt und brauchst nicht mehr zu lernen,
Wie treulich Atlas dich behütet hat.
Du werdest einst, so las ich in den Sternen,
Umkommen unter Christen durch Verrat,
Und um den bösen Einfluß zu entfernen,
Hielt ich zurück dich, hemmte deinen Pfad;
Dein Will' indeß war stärker auf die Dauer;
Da ward ich krank und starb vor Gram und Trauer.
65  »Doch wußt' ich, eh ich starb, an diesem Orte
Werd' einst dein Zweikampf mit Marfisa sein,
Und ließ deshalb von höllischer Cohorte
Dies Grab erbaun aus mächtigem Gestein
Und herschte Charon an mit zorn'gem Worte:
Du sollst nach meinem Tod' aus diesem Hain
Mich nicht entführen, ehe Roger nicht
Daselbst erscheint und mit der Schwester ficht. 23
66  »So ist mein Geist im schattenreichen Hag,
Auf eure Ankunft harrend, wach geblieben,
Und jetzt, von Eifersucht entbürdet, mag
Auch Bradamante unsren Roger lieben.
Die Zeit ist da; ich darf vom lichten Tag
Die Fahrt ins Dunkel länger nicht verschieben.«
Hier schwieg er, und Erstaunen übermannte
Die drei, Marfisa, Roger, Bradamante.
67  Wie groß war der Geschwister Freudigkeit,
Als ihnen plötzlich die Erkenntniß tagte!
Sie küßten sich, und ohne daß der Neid
Mit eifersücht'ger Qual die dritte plagte.
Dann sich erinnernd an die Kinderzeit,
An dies und das – ich that – ich war – ich sagte –
Erkannten sie noch sichrer, daß begründet
Und richtig sei, was dieser Geist verkündet.
68  Der Schwester konnte Roger nicht verhehlen,
Wie fest sein Herz an Bradamante hing.
Herzlich und warm begann er zu erzählen,
Wie viel und liebes er von ihr empfing,
Und ließ es nicht an Bitt' und Zuspruch fehlen,
Bis aller Haß in Freundschaft unterging.
Dann mußten freundlich sie zum Friedenszeichen
Einander küssen und die Hände reichen. 24
69  Marfisa frug nach ihrem Vater dann,
Was er und welches Stamms gewesen wäre,
Wer ihn getödtet hab' und wie und wann,
Ob in den Schranken oder vor dem Heere,
Und wer den unbarmherz'gen Plan ersann,
Daß ihre Mutter sterben sollt' im Meere.
Sie hatt' als Kind vielleicht davon vernommen,
Doch war es längst ihr aus dem Sinn gekommen.
70  Und Roger sagt' ihr, welches Stamms sie waren,
Der im Geschlechte Hectors einst begann.
Astyanax, entkommen den Gefahren
Und Schlingen, die Ulisses listig spann,
(Da man ein andres Kind von gleichen Jahren
Ihm unterschob,) Astyanax entrann,
Durchirrte lang' die Meere hin und wider
Und ließ als Fürst sich in Messina nieder.
71  Dann herschten seine Enkel in den Landen
Calabriens diesseits der engen Flut;
Die späteren Geschlechter aber fanden
Den Anbau in der Stadt des Mars für gut.
Kaiser und Könige voll Ruhms erstanden
In Rom und anderswo aus ihrem Blut,
Vom Kaiser Constans und von Constantin
Bis zum berühmten Sohn Königs Pipin. 25
72  »Der erste Roger zählt dahin, Johann,
Bovo, Rambold und Roger, jener zweite,
Der, wie du schon von dem begrabnen Mann
Vorhin gehört hast, unsre Mutter freite.
Den hohen Ruhm, den unser Haus gewann,
Lehrt die Historie dir auf jeder Seite.«
Dann sprach er von der Ankunft Agolants,
Almonte's und des Vaters Agramants,
73  Und wie die Tochter Agolants mit ihnen
Gekommen war, die solche Kraft besaß,
Daß sie den Kampf bestand mit Paladinen,
Und wie sie Roger liebt' und sich vermaß
Dem Könige zu trotzen, Gott zu dienen,
Und Christin ward und ihn zum Mann erlas,
Und wie ihr Schwager Beltram für verruchte
Liebschaft die reine zu gewinnen suchte
74  Und beide Brüder, Vater, Vaterland
Verriet, in Hoffnung, jene werd' ihn lieben,
Und Risa preisgab in der Mohren Hand,
Die dann nach ihrer Art es drinnen trieben.
Mit seinen Söhnen stieß dann Agolant
Galaziella, die bereits seit sieben
Monaten schwanger war, ins Meer hinaus
Mitten im winterlichen Sturmgebraus. 26
75  Mongrana und Claramont heißen nach den fabelhaften Genealogien der Ritterromane die beiden vornehmsten Häuser, welche ihren Ursprung auf Astyanax, Hectors Sohn, zurückführen. Jenes, zu welchem Roger gehört, von König Chlodwig, dieses vom Kaiser Constans abstammend.  Wie Roger sprach, stand mit verklärten Wangen
Marfisa da und horchte voll Begier.
Daß sie aus solchem Quell hervorgegangen,
Quell so berühmter Ströme, schmeichelt' ihr;
Sie wußte ja, daß ihm zwei Ström' entsprangen,
Dort der von Claramont, Mongrana hier,
Die in der Welt seit vielen, vielen Jahren
So reich an Heldenglanz wie keiner waren.
76  Kaum aber hatt' ihr Bruder die genannt,
Die hinterlistig Roger niederstießen,
Großvater, Vater, Ohm des Agramant,
Und die sein Weib in Elend sterben ließen,
Da hielt sie nicht mehr an sich; zornentbrannt
Rief sie: »Mein Bruder, mag's dich nicht verdrießen,
Du hast versäumt, was deine Pflicht gebot,
Daß du nicht rächtest unsres Vaters Tod.
77  »Trojan zwar und Almonte lebten nicht
So lang', um dir Genugthuung zu geben,
Doch war die Rach' an ihren Kindern Pflicht.
Da Roger lebt, kann Agramant noch leben?
Nie wirst du diesen Makel vom Gesicht
Abwaschen, daß du solche Schuld vergeben
Und nicht nur nicht den König umgebracht hast,
Nein, auch um Sold dich dienstbar ihm gemacht hast. 27
78  »Beim Christengott – denn ihn will ich bekennen
Und ehren, wie mein Vater ihn geehrt, –
Ich will mich nicht von meiner Rüstung trennen,
Bis ich den Mord gesühnt mit meinem Schwert.
Mir brennt das Herz und ewig wird es brennen,
Wenn Roger jetzt zurück zum Heere kehrt
Des Königs oder eines andren Mohren,
Es sei denn, um die Frevler zu durchbohren.«
79  O wie bei diesen Worten vor Vergnügen
Ihr schönes Antlitz Bradamant' erhob!
Sie sprach ihm zu, den Pflichten zu genügen,
Die ihm Marfisa ins Gewissen schob;
Gleich soll' er sich zu Kaiser Karl verfügen,
Der heute noch mit Ehr' und hohem Lob
Den Namen Rogers, seines Vaters, nenne
Als eines Kriegers, wie er wen'ge kenne.
80  Verständig ward von Roger eingewandt,
Im Anfang hätte das geschehen sollen;
Doch weil er erst die Sache nicht gekannt,
Hab' er versäumt zur rechten Zeit zu grollen;
Jetzt aber diesen König Agramant,
Der ihm das Schwert umknüpfte, tödten wollen,
Das wär' ein arger Frevel, ein Verrat,
Weil er in seinen Dienst freiwillig trat. 28
81  Wohl wiederholt' er seiner Braut die Schwüre,
Die er schon einmal schwor: er woll', um frei
Zu werden, jeden Weg und jede Thüre
Versuchen, wenn's mit Ehren möglich sei;
Und wenn's noch nicht geschehn sei, so gebüre
Die Schuld dem Könige der Tartarei,
Dem Mandricard, der seinen Plan ihm störte
Durch jenen Kampf, von dem sie sicher hörte,
82  Wie die bezeugen könne, die ihn dort
Auf seinem Lager täglich fast gesehen.
Die Tochter Haimons fragte denn sofort
Und ließ Marfisa Red' und Antwort stehen.
Der letzte Ratschluß und das letzte Wort
War, Roger solle nur zur Fahne gehen,
Zu seinem Lehnsherrn, bis ein Grund sich fände,
Daß er mit gutem Fug zu Karl sich wende.
83  »Laß ihn nur gehen,« sprach Marfisa sacht
Zu Bradamante, »mach' dir keine Sorgen:
Daß ihn nicht lange mehr des Königs Macht
Festhalten soll, dafür werd' ich schon sorgen.«
So sagte sie; jedoch was sie erdacht
Zu diesem Zweck, das hielt sie noch verborgen.
Zuletzt nahm Roger Abschied von den beiden
Und wandte sich zurück zum Heer der Heiden. 29
84  Da aus den nahen Thälern scholl ein banges
Ängstliches Jammern, so daß alle drei
Die Ohren spitzten; allen dreien klang es
Wie eines Weibes flehendes Geschrei.
Hier, will ich, sei das Ende des Gesanges,
Und was ich will, dem stimmt nur immer bei;
Denn ich versprech' euch noch viel schönre Dinge,
Falls ihr euch einstellt, wann ich weiter singe. 30

 


 


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