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Zwölftes Kapitel. Langsame Versöhnung

Elisabeth wird in Hampton Court einige Zeit in strenger Klausur gehalten und scharf beobachtet. Vierzehn Tage lang sieht sie keinen Menschen vom Hofe, außer den König einmal kurz nach ihrer Ankunft. Philipp hatte so viel von seiner jungen Schwägerin gehört, daß es begreiflich ist, wenn er so bald wie möglich die Frau kennen lernen will, um deren Persönlichkeit sich die halbe Politik Englands und des Auslands dreht. Ihre Zimmer liegen direkt neben den seinen. Es ist die ehemalige Wohnung des Herzogs von Alba, der inzwischen nach Brüssel abgereist ist. Philipp macht ihr also einen Besuch. Noailles und auch der Venetianer Giovanni Michieli berichten darüber an ihre Höfe. Der eine schreibt an Heinrich II. von Frankreich, der andere an den Dogen. Es ist demnach ein nicht geringes Ereignis für die Politiker. Elisabeth hat Weisung bekommen, sich für diesen hohen Besuch so prächtig wie möglich zu kleiden. Sicher ist sie diesem Wunsch gern nachgekommen, denn sie hat natürlich längst erfahren, daß Philipp sich als ihr Gönner aufspielt. Elisabeth weiß, was sie in einem solchen Fall zu tun hat. Sie präsentiert sich Philipp in ihrem besten äußeren und inneren Licht. Was sie miteinander bei dieser ersten Begegnung gesprochen haben, ist nie an die Öffentlichkeit gelangt. Wahrscheinlich aber hat Elisabeth mit jener ihr eigenen großen Kunst faszinierender Weiblichkeit und raffiniertester Lebensklugheit schon damals auf Philipp Eindruck gemacht. Auf alle Fälle nimmt sein Interesse für ihr Schicksal, seitdem er sie kennt, zu.

Maria hingegen läßt Woche um Woche verstreichen, ehe sie die Schwester zu sich ruft. Elisabeth hat Zeit. Sie kann jetzt warten. Seit sie weiß, daß sie auf Philipp auch als Frau gewirkt hat, trägt sie den Kopf noch höher. Wenn die Königin sie nicht empfangen will. Gut! Dann wird sie um eine Unterredung mit dem Staatsrat nachsuchen. Sie wird und muß sich Gehör in ihrer Sache verschaffen.

So vergehen vierzehn Tage nach dem Besuch des Königs. Dann wird zu Elisabeth ihr Großonkel mütterlicherseits, William Howard, geschickt. Sie ergreift sofort die Gelegenheit, ihm ihr Anliegen vorzubringen. Die Bitte wird ihr gewährt. Ein paar Tage darauf erscheinen die Staatsräte Graf Arundel, Graf Shrewsbury, der Sekretär Peter, geführt vom Lordkanzler und Erzbischof Gardiner. Alle beugen das Knie vor der Prinzessin. Sicher nehmen sie an, sie werde jetzt endlich ihren Trotz aufgeben und reumütig darum bitten, zur Königin geführt zu werden, um ihre Verzeihung zu erflehen.

Elisabeth aber steht in ihrer herben Jugend vor den an Jahren und Erfahrung gereiften Männern. Nicht wie eine gebrochene, von langer Haft zermürbte Gefangene, sondern wie eine Königin gibt sie ihnen ihren Gruß zurück und sagt:

»Ich bin glücklich, Sie zu sehen, meine Herren. Lange genug bin ich von Ihnen fern gehalten worden. Verlassen und verzweifelt. Wollen Sie bitte jetzt meine Vermittler bei der Königin und dem König sein, damit ich endlich aus meiner langen Haft entlassen werde!«

Gardiner, ihr Feind, kniet noch vor ihr. Er hofft, sie doch noch dazu zu bringen, bei der Königin um Gnade zu bitten. Wenn sie das täte, sagt er, würde sie ohne weiteres alles erreichen, was sie wünsche.

Sofort bäumt sich Elisabeths Stolz. Nein, um Gnade kann sie nicht bitten! Nicht einmal um den Preis ihrer Freiheit. Sie verlangt Gerechtigkeit, keine Gnade.

»Wie kann man das von mir fordern! Ich würde ja gegen mich selbst sprechen und mich selbst beschimpfen. Was sollten da wohl der König und die Königin für einen Begriff von mir bekommen? Nein, lieber will ich mein ganzes Leben im Gefängnis verbringen. Wenn ich je gegen die Königin in Gedanken, Worten oder Taten gefehlt habe, dann bitte ich nicht um Gnade, sondern vor ein Gericht gestellt zu werden.«

In höchster Überzeugung schließt sie ihre Rede mit den Worten:

»Es ist besser, meine Herren, für die Wahrheit eingesperrt zu sein, als frei herumzulaufen und von seiner Herrscherin als verdächtig angesehen zu werden.«

Die Lords müssen sich, ob sie wollen oder nicht, vorläufig mit dieser Antwort zufrieden geben. Aber Maria begnügt sich nicht damit. Sie schickt den Kanzler nochmals zu der »Verstockten«. Sie ist geneigt, einen Gnadenakt zu gewähren, aber nicht immer wieder die Versicherung von Unschuld und Untertanentreue von ihrer Schwester zu hören. Gardiner hat Auftrag, Elisabeth zu sagen, sie müsse sich einer ganz anderen Sprache befleißigen, wenn sie frei sein wolle. Es sähe ja genau so aus, als beschuldige sie die Königin, sie ungerechterweise ins Gefängnis geworfen zu haben.

15. Kaiser Karl V.
Lithographie von Palmaroli nach einem Gemälde von Tizian

»Oh«, verwahrt sich Elisabeth, »das liegt mir fern zu behaupten. Die Königin kann mich einsperren lassen wann und wie es ihr beliebt. Sie ist ja die Herrin. Aber von meinen bisherigen Erklärungen weiche ich nicht ab. Nie werde ich mich selbst Lügen strafen. Nie werde ich um Gnade für eine Schuld bitten, die man mir nicht beweisen kann.«

Der Kanzler geht. Selten ist ihm in seiner langen Praxis am Hofe und in der Welt ein so starkes Selbstbewußtsein und so unerschütterliche Beharrlichkeit bei einem Menschen vorgekommen, dessen Leben von einem einzigen Machtwort abhängt.

Auf Philipps Zureden entschließt Maria sich endlich doch, die Schwester zu empfangen. Ungefähr nach Verlauf einer Woche nach Gardiners zweitem Besuch erhält Elisabeth ganz plötzlich und unvermutet die Aufforderung, sich zur Königin zu begeben. Es ist schon spät am Abend. Bei Fackelschein wird sie durch den Park in den Flügel des Schlosses geführt, den die Königin bewohnt. Sir Bedingfield ist immer noch ihr treuer Begleiter. Jetzt sinkt der jungen Elisabeth doch wieder der Mut. Weiß sie denn, was Maria mit ihr vor hat? Als sie ihre Zimmer verläßt, empfiehlt sie ihren Damen, für sie zu beten. Vielleicht sehen sie sich nicht wieder.

Die Königin empfängt ihre Schwester in ihrem Schlafzimmer. Sie ist gealtert, seit Elisabeth sie nicht gesehen hat. Harte Falten ziehen sich um ihren Mund. Sie sitzt in einem erhöhten Lehnsessel, ganz königliche Würde. Elisabeth tritt ein. Sie kniet nieder und wünscht der Königin, wie es Brauch ist, Gesundheit und ein langes Leben. Dann erklärt sie feierlich, daß sie stets eine treue Untertanin gewesen sei, trotz der widersprechenden Berichte, die Maria darüber wohl erhalten habe.

Maria wartet ungeduldig auf das Geständnis und die reuevolle Abbitte. Sie kommen nicht aus Elisabeths Mund.

»Ihr wollt also nichts gestehen? Ihr beharrt immer noch auf Eurer Unschuld. Gut, dann will ich Gott bitten, daß es so sein möchte, wie Ihr sagt. Aber vielleicht behauptet Ihr gar, ich hätte Euch zu Unrecht gefangen gehalten.«

»Nein«, sagt Elisabeth, »Eurer Majestät das zu sagen, würde ich nicht wagen.«

»Ja, aber zu anderen sagt Ihr es.« Sie spielt dabei auf das Gespräch ihrer Schwester mit Gardiner an. Wahrscheinlich hat er es der Königin absichtlich im verdrehten Sinn berichtet. Elisabeth läßt sich dadurch nicht einschüchtern. »Nein«, antwortet sie, »auch nicht zu anderen. Wie Sie auch über mich verfügen, Majestät, ich werde alles geduldig ertragen.«

Mehr ist nicht von ihr zu erlangen. Maria sieht ein, daß sie hier zwar einer Jüngeren, aber Stärkeren und Überlegeneren gegenübersteht. Der erste Schritt zu einer, wenn auch nur scheinbaren Versöhnung der beiden Schwestern ist getan. Elisabeth kehrt in ihre Zimmer zurück. Von dieser Zeit an wird sie nicht mehr von Bedingfield und seinen Soldaten bewacht. Sir Henry ist froh, sein verantwortungsreiches Amt bei »dieser großen Dame«, wie er Elisabeth öfters nennt, niederlegen zu können. Als er sich von ihr verabschiedet, kann sie es nicht unterlassen, ihn noch ein wenig mit spöttischer Arroganz zu ärgern.

»Leben Sie wohl, Sir Henry«, sagt sie. »Gott verzeihe Ihnen das Vergangene ebenso wie mir. Wenn ich aber je in die Lage versetzt werden sollte, einen Gefangenen scharf beobachten und streng behandeln lassen zu müssen, dann werde ich mich an Sie wenden.« Bedingfield hat, wie erwähnt, unter ihrer späteren Regierung nicht die geringste Ungnade oder Zurücksetzung gefühlt. Im Grunde war sie mit ihrem »Kerkermeister« ganz gut ausgekommen. Er tat ihr ja trotz allem ihren Willen, und mehr verlangte sie nicht. Einige Male erschien er später am Hof Elisabeths, doch mit einem öffentlichen Amt betraute sie ihn nicht.

Elisabeth genießt jetzt ein wenig mehr Freiheit, obwohl sie immer noch nicht am Hofe öffentlich erscheinen darf. Sie sieht die Königin und den König selten und nur privat. Es ist ihr indes gestattet, einige Höflinge bei sich zu empfangen. Man gibt ihr auch ihren Hofstaat zurück. Nach und nach bildet sich wieder ein Kreis hoher und angesehener Persönlichkeiten um sie. Zu ihnen soll auch der Kardinal Pole, der päpstliche Legat, gehört haben. Man will sogar gesehen haben, daß er das Knie vor Elisabeth beugte. Es ist möglich, daß sie auch ihn faszinierte. Sie hatte es in ihrer Gewalt, auf Menschen zu wirken, von denen man es am wenigsten erwartete. Vielleicht hat sie es anfangs versucht, ihn sich zum Freund zu machen. In Wirklichkeit war er ihr Feind. Er mißtraute ihr. Er hielt vor allem ihren Katholizismus für unecht. Nach seiner offiziellen Einsetzung zum päpstlichen Gesandten besuchte er, wie es scheint, Elisabeth nicht ein einziges Mal. Sie selbst beschwert sich über Poles Vernachlässigung in einer späteren Unterredung mit dem Vertrauensmann Philipps II., dem Grafen Feria.

Der Hof blieb nicht mehr lange in Hampton-Court. Die Königin hatte sich ziemlich mit ihrer eingebildeten Mutterschaft blamiert. Als nichts daraus wurde, mußte sie den Spott ihrer Untertanen über sich ergehen lassen. Es erschienen eine Menge Flugblätter und Satiren. Sie konnte sich kaum mehr in der Öffentlichkeit zeigen, ohne Gegenstand der unverhohlensten Neugier zu werden. Sie zog sich daher erst nach Oatlands, dann nach Greenwich zurück, wo sie weniger in der Öffentlichkeit stand. Sie nahm Elisabeth mit. Die Prinzessin durfte jedoch nicht mit im königlichen Zug reisen. Sie nahm ihren Weg über die Themse in einer Barke. Zwar war sie jetzt nicht mehr von bewaffneten Wächtern und Garden umgeben, kein Tor verschloß sich mehr, kein Riegel wurde mehr hinter ihr vorgeschoben, doch ganz frei war sie nicht. Sie konnte ihren Aufenthalt nicht wählen, wo und wie sie wollte. Das bestimmte die Königin. Sie wurde zu allen religiösen Feiern und zum Anschauen der vielen Prozessionen befohlen, die Maria bei jeder Gelegenheit ihrer Geistlichkeit vorschrieb. Langsam nahm Elisabeth wieder an einem oder dem anderen Fest bei Hofe teil. Immer aber muß sie sich den Wünschen der Königin fügen. Sie fügt sich. Sie vermeidet jetzt alles, sich neue Feinde zu schaffen. Im Gegenteil, sie sucht ihren Anhängerkreis zu vergrößern. Täglich begleitet sie Maria zur Messe. Wenn sie einen neuen Höfling bei sich empfangen will, läßt sie erst die Königin um Erlaubnis fragen, ob es ihr auch angenehm sei. Ihre Freunde sind auf ihren Rat hin stets bemüht, nur nach den Wünschen Marias zu handeln. Sie wagen nicht, eine Einladung Elisabeths anzunehmen, ohne die königliche Zustimmung erhalten zu haben. Philipp kommt aufs neue auf ihre Verheiratung mit dem Herzog von Savoyen zurück. Elisabeth lehnt diesen Antrag glatt ab. Ihre Gründe dafür kennen wir. Sie läßt die Königin jedoch in dem Glauben, ihr damit einen besonderen Gefallen zu tun. Sie weiß, daß Maria diese Heirat unerwünscht ist.

So versucht Elisabeth in jeder Weise, ihre Stellung bei Hofe wieder zu befestigen. Eine starke Stütze hat sie in der Freundschaft Philipps und einen guten Freund auch in Thomas Pope gefunden. Er ist ihr von Maria ihrem Hofstaat als Oberintendant zugeteilt worden. Seine Güte und sein Entgegenkommen weiß Elisabeth sich zu nützen. Vorsichtig tastet sie sich weiter in dem Anschein völliger Unterwürfigkeit. Es ist für sie weniger von Wert, ob die Versöhnung mit Maria wirklich oder nur gemacht ist. Die Hauptsache ist, daß sie dem äußeren Schein nach besteht. Beide Frauen brauchen einander zur Verfolgung ihrer verschiedenen Ziele.

Da tritt ein Ereignis ein, das Maria in tiefste Melancholie versetzt. Philipp hat sich entschlossen, England zu verlassen, sich nach Flandern zu begeben, um die Krone von Spanien und der Niederlande aus den Händen seines Vaters zu empfangen. Karl V. dankte mit 55 Jahren ab und zog sich ins Kloster San Yuste zurück. Allzulange schon wartete er auf den Sohn, dem er sein Reich vererbte. Philipp haßte England ebenso sehr wie die Engländer ihn haßten. Da er sah, daß es ihm durch nichts gelang, ihre Sympathie zu erwerben – mit konstanter Hartnäckigkeit bestand das Parlament auf der Weigerung seiner Krönung zum König von England –, hielt ihn nichts mehr an ein Land gebunden, für das er Zeit seines Lebens der fremde Eindringling blieb. Die Liebe einer verblühten reizlosen Frau, die er selbst nicht liebte, trieb ihn eher fort von ihr, als daß sie ihn hielt. Er hatte nur noch auf die Geburt des Thronerben gewartet. Als diese Hoffnung sich auch als falsch erwies, segelte er über den Kanal von Dover aus nach dem Kontinent. In Greenwich nahm Maria Ende August 1555 Abschied von ihm, in der Hoffnung, ihn bald, bald wiederzusehen. Darauf lebte sie eine Zeitlang in Greenwich in beinahe klösterlicher Kasteiung in ihrem Trennungsschmerz, umgeben von den Franziskanern, die sie wieder eingesetzt hatte. Die Feier des Ablaß- und Jubeljahres des Papstes wurde von ihr in größter Demut begangen. Wochenlang vorher aß sie kein Fleisch und enthielt sich aller weltlichen Genüsse. Ihr Gebetbuch – das noch heute aufbewahrt und gezeigt wird – weist eine besonders starke Benützung an den Stellen auf, die die Gebete für die glückliche Niederkunft schwangerer Frauen und die Einigkeit der Kirche enthalten. Doch Maria muß allmählich zu der bitteren Erkenntnis kommen, daß ihr Schoß für immer unfruchtbar bleiben wird. Als Herrscherin, von der man vor allem verlangt, für die Thronfolge zu sorgen, erlebt sie die große Tragik des Alterns früher als andere Frauen. Sie ist noch nicht 40 Jahre alt. Die Entfremdung des einzigen Mannes und Menschen, den sie liebt, der in ihr spätes Weibtum eingetreten ist, erhöht ihre krankhafte Veranlagung zu heftigen Weinkrämpfen und seelischer Verstimmung. Anfangs trösten sie Philipps Briefe. Es sind zwar keine Liebesbriefe, aber immerhin Nachrichten von ihm. Er wird von Maria täglich von allen Regierungsangelegenheiten, von allen Ereignissen in England unterrichtet. Nächtelang sitzt sie und schreibt an ihn. Auch von Elisabeth ist in diesen Briefen die Rede. Nie verfehlt Philipp, die junge Prinzessin dem Wohlwollen Marias zu empfehlen. Bald erregen diese oft wiederkehrenden Bemerkungen Marias Eifersucht. Es erwacht von neuem ihr Mißtrauen gegen die »scheinheilige« Schwester, der es nun auch noch gelungen ist, den Gatten für sich zu gewinnen. Nein, sie darf die Thronfolge nicht dieser Frau, der Tochter einer »Dirne«, überlassen! Vielleicht ist Elisabeth nicht einmal Heinrichs Tochter! Maria scheut sich nicht, diese Ansicht offen auszusprechen. Und so etwas soll einst auf dem englischen Thron sitzen! Sie kann ihn nicht Elisabeth, nicht den Protestanten überlassen! Maria will, sie muß ein Kind bekommen. Sie fleht Philipp an, zurückzukehren. Er kommt nicht. Die Thronfolge von England hofft er vielleicht später in anderer Weise regeln zu können.


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