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Achtes Kapitel. Die Verschwörung

Ehe Maria Tudor Philipp erwählte, waren ihr verschiedene Heiratsprojekte vorgeschlagen worden. Anfangs hatte sie sich eigentlich geweigert, überhaupt zu heiraten. Doch das Land verlangte eine männliche Führung. Außerdem hoffte Maria durch eine Ehe ihrem Throne doch noch einen Erben zu geben. Dann war die Frage der Thronfolge Elisabeths sowieso gelöst. Doch weder der Neffe des Kaisers Karl V., Erzherzog Karl noch Heinrich II. von Frankreich noch König Christian III. von Dänemark noch der Infant Don Luis von Portugal, auch nicht der Herzog Emmanuel Philibert von Savoyen kamen für die Königin von England in Betracht. Kaiser Karl schlug ihr einige davon zwar der Form wegen vor, im Grunde aber dachte er nur an seinen Philipp. Damit begünstigte er nicht nur seine eigenen politischen Pläne, sondern kam auch einem persönlichen Wunsch der Königin entgegen. Sein Gesandter Renard verstand es, der in Philipp verliebten Maria den zukünftigen Gatten in einem so glänzenden Lichte zu schildern, daß sie schließlich keinen andern mehr haben wollte als ihn. Ihr früherer Vorsatz – wenn sie je heiraten sollte –, nur einen Mann zu wählen, der in ihrem Alter oder älter sei, war plötzlich vergessen. Philipp war trotz seiner Jugend schon acht Jahre verheiratet gewesen und hatte einen siebenjährigen Sohn, den später so unglücklichen und von seinem unmenschlichen Vater so roh behandelten Don Carlos. Philipps Charakter, versicherte ihr Renard, – der »Seelenberater«, wie sie ihn nannte – sei über alle Kritik erhaben. Er sei bescheiden, sehr gemäßigt und gütig. Dann sandte ihr die Königin Maria von Ungarn, Karls V. Schwester, ein von Tizian gemaltes Bild ihres Neffen Philipp. Es stellte ihn zwar noch jünger, als 23 jährigen, dar, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Maria hatte sich entschieden.

Am 29. Oktober 1553 empfing sie auf höchst mystische und dramatische Weise, nur in Gegenwart ihrer Ehrendame Lady Clarence, den Abgesandten Kaiser Karls noch am späten Abend in ihrem Zimmer. Als Renard eintrat, lag die Königin vor dem Heiligen Altarsakrament, das in der Mitte aufgestellt war, auf den Knien und sang das »Veni Creator«. Sowohl die Hofdame als auch der Gesandte sangen es leise nach. Darauf erhob sich Maria und gelobte Gott, der allein sie zu dieser Ehe inspiriert habe, niemand anderen als den spanischen Prinzen zu heiraten, ihn immer zu lieben und ihm nie Grund zur Eifersucht zu geben. Sie geriet in Verzückung, verkündete Philipp als den »für die jungfräuliche Königin Erwählten des Himmels, den ihr keine Macht der Welt entreißen oder von ihr abwendig machen könne«.

Es dauerte jedoch noch drei Monate, ehe alle Verhandlungen mit Spanien abgeschlossen waren.

Erst am 2. Januar 1554 trafen die Hochzeits-Gesandten Karls V. und Philipps mit dem Ehevertrag in London ein. Maria schickte ihnen zum Empfang den jungen schönen Grafen von Devonshire, Eduard Courtenay, entgegen. Als sich der Zug durch Londons Straßen bewegte, erhob sich kaum eine Stimme zur Begrüßung der Fremden. Im Gegenteil, die Leute drehten die Köpfe auf die Seite oder senkten ihre Blicke, um die spanische Gesandtschaft nicht ansehen zu müssen. Es herrschte eisige Stille. Vor der Stadt war das Gefolge von Straßenjungen mit Schneeballen bombardiert worden.

Ein paar Tage später, am 12., wurde der Ehevertrag Marias und Philipps unterzeichnet. Es gab die üblichen Feste und Belustigungen bei dieser Gelegenheit. Niemand war jedoch zufrieden, weder der Adel noch das Volk. Trotzdem der Kanzler erst im Hause der Lords, dann vor dem Lord-Mayor und den Aldermen in einer glänzenden Rede hervorgehoben hatte, welche Vorteile England aus dieser Familienverbindung ziehen werde, und daß seine Freiheit durch den fremden Fürsten absolut unangetastet bleibe. Man stand dieser Heirat höchst skeptisch gegenüber.

Sogar Marias Vertrauensmann Renard war sich bewußt, daß die Lage der Königin sich durch die Verbindung mit Philipp dauernd verschlechtern würde. Er schrieb seine Befürchtungen schon im September an den Bischof von Arras. Er sprach sich darüber aus, wie sehr er in dieser Beziehung die Franzosen fürchte. Am meisten aber Elisabeth. Ihr traute er nicht über den Weg. In vielen Punkten seines Briefes sollte er recht behalten. Am selben Tag, als der Kanzler dem Parlament und dem Magistrat den Ehevertrag Marias mit Philipp von Spanien mitgeteilt hatte, schrieb Noailles an Heinrich II. durch Vermittlung seines Vertrauensmannes La Marque: »Die beiden Kammern werden nie gestatten, daß der Spanier ihr König wird.« Lieber wollen sie alle, Hochadel, Gentry und Volk, in einer Schlacht gegen ihn für ihre Freiheit sterben, als sich in eine solche Knechtschaft begeben. »Eines Tages«, fuhr er fort, »werden sie die Waffen ergreifen, um die Königin vom Throne zu verjagen.«

Maria war in Gefahr. Schon grollte es unterirdisch. Es sah nach Bürgerkrieg aus. Das ganze Land schien wie aufgewühlt. Die Parteien zerfleischten sich im gegenseitigen Haß. Man wollte die spanische Ehe nicht, man wollte Philipp nicht in England. Die französische Partei, auf deren Seite Elisabeth stand, wühlte und intrigierte unter der Führung des Gesandten Noailles. Es war eine Verschwörung gegen die Königin im Gange. Durch eine Indiskretion Courtenays brach der Aufstand zwei Monate früher aus, als beabsichtigt war. Am 25. Januar 1554 marschierte Thomas Wyatt, der Sohn eines Dichters und Höflings, von Kent aus gegen Maria, um sie zu stürzen. Er war ihr anfangs ergeben gewesen. Auf dem Markt von Maidstone hatte er ihr als einer der ersten bei ihrer Erhebung gehuldigt. Doch die spanische Heirat ließ ihn Böses für England befürchten. Wyatt hatte viele Jahre als Geschäftsträger des englischen Hofes in Spanien gelebt. Er kannte die Grundsätze, die Intrigen und die Gewalttätigkeit dieses Hofes und seine unfaire Politik sehr genau. Vor diesem Einfluß hoffte er England zu bewahren.

Gleichzeitig bemühten sich noch andere Edle des Landes um die Rettung vor der Fremdherrschaft. Peter Carew und Nicolas Throckmorton in Devonshire, James Croft in Wales, der von Maria begnadigte Herzog von Suffolk in der Grafschaft Warwickshire und Leicestershire. Keiner von ihnen hatte Erfolg. Alle wanderten in den Tower. Suffolk, Jane Greys Vater, hatte nun endgültig sein Leben verwirkt.

Nur Wyatts Aufstand gewann anfangs ein drohendes Ansehen. Maria sandte ihm die Londoner Miliz entgegen. Sie ging zu ihm über. Auch den Garden konnte sie nicht trauen, denn die meisten waren Protestanten. Und wie es um die Bevölkerung Londons bestellt war, wußte sie. Marias Lage war höchst gefährlich. Es galt, alles daran zu setzen, sich ihren Thron nicht entreißen zu lassen. Sie bewies dabei einen Mut, der selbst für einen Mann bewunderungswürdig gewesen wäre.

Noch ehe Wyatts Truppen die Hauptstadt erreicht hatten, dachte sie daran, sich der Person ihrer Schwester Elisabeth zu bemächtigen. Sie war von deren Anteilnahme an der Verschwörung überzeugt, obwohl sie keinen bestimmten Beweis dafür hatte. Aber Karl V. riet ihr dringend, jetzt endlich zu handeln und Elisabeth unschädlich zu machen, zumal man erfahren hatte, daß Wyatt der Prinzessin noch vor kurzem den Rat erteilte, sie solle sich sofort von Ashridge nach Donnington Hall in Berkshire begeben. Es liegt auf der Südseite der Themse, nur einen Tagesmarsch von Kent entfernt. Dort konnte sie sich aufhalten, bis Wyatt Herr der Situation war. Auch Sir James Croft riet ihr dazu.

Das alles erfuhr Maria durch Lord Bourchier, einem ihrer Höflinge und Spione. Maria schrieb sofort am 26. Januar, also einen Tag, nachdem die Rebellion in Kent ausgebrochen und die Aufständischen noch im Anzug auf die Hauptstadt waren, jenen hypokritischen Brief, der die Schwester in die Falle locken sollte:

»Teuerste und geliebteste Schwester, wir grüßen Euch. Da einige Übelgesinnte in böser und rebellischer Absicht ihre Pflicht gegen die Uns schuldige Treue verletzt haben und seit einiger Zeit schändlicherweise verschiedene unwahre und übertriebene Gerüchte verbreiten und durch andere teuflische Absichten daraufhin arbeiten, Unsere guten treuen Untertanen zu einem widernatürlichen Aufstand gegen Gott, Uns selbst und die Ruhe des Staates zu verleiten, so haben Wir es für dienlich gehalten, daß Ihr bereit sein möchtet, in größter Eile Euren Aufenthalt bei uns zu nehmen. Es leitet Uns dabei nur der Gedanke, Eure Person in Sicherheit zu bringen. Ihr könntet ja leicht Gefahr laufen, falls in der Gegend, wo Ihr jetzt seid, oder in Donnington, wohin Ihr, wie Wir hören, bald aufzubrechen gedenkt, plötzlich ebenfalls ein Aufstand ausbräche. Wir bitten Euch daher, dem nicht entgegen zu sein und versichern Euch, daß Ihr hier in jeder Beziehung sicher seid. Ebenso werdet Ihr Uns herzlich willkommen sein.

Mit der Bitte, Uns durch den Überbringer dieses Briefes Eure Gesinnung wissen zu lassen, verbleiben Wir

Eure liebende Schwester

Maria, die Königin.

Gegeben unter Unserem Siegel in St. James-Palace, den 26. Januar, im ersten Jahre unserer Regierung.«

Dieser Brief erreicht Elisabeth in Ashridge. Aber sie geht nicht auf den Leim. Sie ist krank, ans Bett gefesselt. Ob wirklich oder nur vorgeblich, ist bei der an ihr bekannten Methode nicht genau festzustellen. Auf alle Fälle entschuldigt sie sich bei der Königin mit ihrer Krankheit. Das Rheuma – mit 21 Jahren! – plage sie so furchtbar; sie habe ganz dicke geschwollene Beine. Sie sei so schwach. Sie könne sich nicht von der Stelle rühren. Sie sei verzweifelt, dem Befehl der Königin nicht nachkommen zu können. Um sich aber von der Wahrheit ihres Zustandes selbst zu überzeugen, solle Maria ihren Leibarzt nach Ashridge senden, damit er sie untersuche. Das ist ein sehr kühner, aber gefährlicher Schachzug. Wenn er mißlingt, hat sie verspielt. Elisabeth weiß jedoch, Maria hat jetzt nicht Zeit, sich mit ihrer Gesundheit zu beschäftigen. Sie muß ihren gefährdeten Thron verteidigen. Vierzehn Tage schwebt er wirklich in Gefahr. Elisabeth hat Zeit gewonnen.

Wyatt ist es inzwischen gelungen, bis zur City vorzudringen. Doch in einem verzweifelten Angriff wird er von Marias Truppen zurückgeschlagen. Die Tore von London schließen sich. Fast alle seine Getreuen werden niedergemetzelt oder gefangen genommen. Wer sich noch retten kann, rettet sich. Für Wyatt gibt es keine Flucht. Er übergibt freiwillig seinen Degen einem Offizier der Königin, Sir Moritz Berkeley. Der Sieg der Königin ist vollkommen. Sir Thomas Wyatt, dessen Vater einst Anna Boleyn in Versen besungen hat, kommt in den Tower.

Und doch hing es nur an einem Haar, und der Sieg wäre sein gewesen. Einige der Insurgenten zogen nach Whitehall, schossen mit Pfeilen in die Fenster des Schlosses, in dem sich die Königin befand. Es entstand eine wahre Panik unter den Leuten Marias. Sie schienen den Kopf verlieren zu wollen. Wäre Wyatt zur Stelle gewesen, er hätte mit Leichtigkeit die Königin und ihren Hof gefangen nehmen können. Er schlug sich inzwischen aber mit Pembroke in der City herum. Als er endlich mit kaum 300 Mann vor Ludgate ankam und mit den listigen Worten Einlaß begehrte: »Die Königin geht auf unser Verlangen ein. Sie hat uns verziehen!«, da trieb ihn Lord William Howard mit dem Rufe zurück: »Fort, Verräter! Hier kommst du nicht herein!« Maria hatte den Mut ihrer Leute durch ihre eigene Unerschrockenheit wieder angefacht. Als sie von einem Fenster aus den Tumult und die Schwäche der Ihren vor Whitehall bemerkte, soll sie gesagt haben:

»Ich will hinunter gehen und mit denen gemeinsam sterben, die mich nicht verlassen.« Das hatte gewirkt. Diese mutige Frau, ihre Königin, konnten die Engländer nicht im Stich lassen.


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