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Prolog

Im November 1558 läuteten die Glocken von St. James eine blutige Zeit zu Ende. Maria Tudor, die Katholische, hatte ihre fünfjährige grausame Regierung beendet. Es war ein harter Kampf zwischen Katholiken und Protestanten gewesen. Dreihundert Protestanten ließen, während Maria auf dem englischen Throne saß, ihr Leben auf den Scheiterhaufen von Smithfield. Sie starben für ihren neuen Glauben. Viele andere traf das Beil des Henkers, der Marterpfahl oder die Kerker des Tower. Der Tochter Heinrichs VIII., aus seiner Ehe mit Katharina von Aragon, war es gelungen, das Staatsruder in die seit zwanzig Jahren verlassenen Bahnen der katholischen Herrschaft zurückzulenken. Mit schroffer Hand, allen Gegnerschaften zum Trotz, hatte sie es verstanden, sich zu behaupten. Jetzt aber, am Tage ihres Todes, vergaßen Katholiken und Protestanten, daß sie Feinde waren. Alle atmeten auf in dem einen Gedanken: Königin Mary ist tot! Ein langer, furchtbarer Traum war zu Ende! Und auf das Sterbegeläut folgten die jubelnden Glocken, die das stark protestantisch empfindende englische Volk aufforderten, vor einer neuen, jungen Königin das Knie zu beugen und ihr zu huldigen.

Die junge Herrscherin war Elisabeth, die Stiefschwester der Verstorbenen – und ihre Gegnerin. Zu dieser Gegnerschaft wurde der Keim bereits in der Kindheit in Elisabeths Herz gelegt, teils durch die vielgefährdete und beispiellos schwierige Lage, in der sie sich der eifer- und rachsüchtigen Schwester gegenüber befand, teils durch die kirchlichreligiösen Spannungen Englands überhaupt.

Sowohl Maria als auch Elisabeth durchliefen eine harte Schule des Lebens. Ihre Kindheit und Jugend im Hause des gemeinsamen Vaters war reich an grausigen Geschehnissen. Maria Tudors Stolz wurde viele Jahre auf eine harte Probe gestellt. Heinrich VIII. ließ seine Frauen, wenn sie ihm unbequem wurden, entweder hinrichten oder er verstieß sie. Marias spanische Mutter erlitt das immerhin weniger grausame Schicksal. Sie wurde verstoßen. An ihrer Stelle erkor Heinrich eine junge, reizende Engländerin, die spätere Mutter seiner Tochter Elisabeth, Anna Boleyn. Sie endete auf dem Schafott.

Das Kind, dem Anna das Leben gab, war bestimmt, England einst zu Größe und Selbständigkeit zu führen. Aber der Weg bis zu dieser Höhe erwies sich für Elisabeth als gefahrvoll und schlüpfrig. In ihrem jungen Leben waren Hinrichtungen und Folterungen an der Tagesordnung. Lieblosigkeit, Verstellung, Intrigen, Lüge, Verrat, die stetige Angst vor einem grausamen Tode formten frühzeitig ihren Charakter zu jener diplomatischen, ausweichenden, abwartenden, ungemein überlegenen Kunst des Handelns und Wirkens als echtes Kind ihrer Zeit. Kaum dreijährig, sieht Elisabeth sich der Mutter beraubt. Man gibt sich keine Mühe, vor ihr zu verbergen, welche Todesart Anna Boleyn erlitten hat. Durch Feuer und Eisen muß Elisabeth gehen. Ein Schauder erfaßt einen, wenn man an ihre gefahrvolle Jugend denkt, und bewundernd sieht man, wie sie immer wieder die Oberhand behält. Wie sie ihr wildes Tudortemperament bezwingt, ihren unbändigen Stolz und den aufbrausenden Geist niederdrückt – bis auch an sie die Reihe kommt, unumschränkt herrschen zu können. Wundervoll die Kühle ihres Denkens und Tuns in der größten Gefahr. Außergewöhnlich das starke Persönlichkeitsgefühl. Aber erschreckend die frühe Beherrschung und Verstellung ihres wahren Charakters, ihres glühenden Empfindens in Haß und Liebe, ihres ehrgeizigen Strebens nach Ruhm und Macht. Die jugendliche Elisabeth schreitet zielbewußt auf ihrem Weg, ohne sich den Anschein zu geben, etwas anderes zu wünschen, als was die göttliche Vorsehung ihr in den Schoß wirft. Sie hat sich so in der Gewalt, daß sie auch vor der drohenden Gefahr eines frühen gewaltsamen Todes ihre Kaltblütigkeit nicht verliert. Als sie, zwanzigjährig, auf Befehl ihrer Schwester in Wind und Regen im offenen Boot über die Themse in den Tower geschleppt wird und nahe daran ist, daß auch sie, gleich ihrer Mutter, das Schafott besteigen muß, da hat sie in äußerlich kühler Haltung nur den einen Wunsch: nicht auf englische Art, mit dem Beil, sondern, wie es in Frankreich Sitte sei, mit dem Schwert geköpft zu werden. Sie will auf ritterliche Weise sterben. Damals glaubt keiner in ihrer Umgebung, daß für sie noch einmal die Sonne scheinen werde. Aber ihre Klugheit und eine merkwürdige Macht, die sie oft über Menschen gewinnt, bei denen man eine Beeinflussung von ihrer Seite am wenigsten vermuten kann, retten sie. Als Elisabeth in ihrer herben Jugend vor den Staatsräten in Hampton Court steht, um gegen die Anklage der Beteiligung an Wyatts Verschwörung mit einer Klarheit des Verstandes und raffiniertester Berechnung zu protestieren, da erweicht sie nicht nur das harte Herz ihres strengsten Richters, des Königs Philipp, sondern sie erweckt in ihm auch als Frau Bewunderung. Von diesem Augenblick an steht Elisabeth in ihres Schwagers Gunst. Doch der Grimm der langsam hinsiechenden Königin Mary verstärkt sich, je sichtbarer alle Hoffnungen und Huldigungen sich Elisabeth zuwenden. Nichts indes verrät in der Haltung der jungen zukünftigen Königin von England den nahen Triumph. Sie läßt niemand in ihre Seele schauen. Nur einem einzigen wagt sie zu vertrauen. Schon steht der Freund an ihrer Seite: Sir William Cecil, der klügste der Staatsmänner des elisabethanischen Englands.

Als endlich Maria 1558 die Augen schließt, ist für Elisabeth alle Qual, alle Angst, aller Schrecken zu Ende. Sie ist frei! Die fünfundzwanzigjährige Elisabeth dankt bei ihrer Thronbesteigung nur Gott allein für die glückliche Befreiung aus dem »Netz der Spinne«.


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