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Romneys »göttliche Lady«

Wenn man die Sitten des englischen Hochadels im 18. Jahrhundert kennt, kommt einem der fast märchenhafte Aufstieg eines armen Mädchens aus den niedersten Sphären des Volkes, wie ihn Emma Lyon, spätere Lady Hamilton erlebte, nicht mehr ganz so unglaublich und vereinzelt dastehend vor, als es, ohne Kenntnis der Zeit, den Anschein haben könnte. Und außerdem gibt es Frauen, Virtuosinnen des Lebens, sie schenken und nehmen Genüsse und Glück durch den Reichtum ihres Wesens, ihrer Gaben und Talente, ihrer physischen Reize. Sie tauchen unter in dem Strudel des Lasters, ohne in ihrem Innersten davon berührt zu werden. Sie verkaufen vielleicht ihren Körper, nicht aber ihre Seele. Mit liebenswürdigem Leichtsinn überspringen sie alle Gesetze der bürgerlichen Moral, ihr Leben ist aufgelöst in Skandalaffairen, offiziellen und heimlichen Liebesverhältnissen, sie sinken und steigen mit dem Mann und seinem Milieu. Sie sind Lebenskünstlerinnen im wahren Sinne des Wortes. Ihr Geschick, ihr Instinkt, ihre Anpassungsfähigkeit an alle Lebenslagen und Verhältnisse und die Macht ihrer außerordentlichen Schönheit öffnen ihnen alle Tore. Die Gesellschaft duldet oder übersieht in ihrem Leben Dinge, die sie bei anderen scharf kritisiert oder verachtet. Solche Frauen können nicht mit dem sittlichen Maßstab bürgerlicher Wohlanständigkeit gemessen werden. Sie bleiben, wie sie auch seien, anziehend und reizend. Unter vielen derartigen Frauen hat Emma Lady Hamilton Aufsehen erregt. Sie besaß allerdings auch vor vielen ihresgleichen die größere Liebenswürdigkeit und die bedeutenderen Talente. Ja, sie war, trotzdem ihr Emporkommen durch die freieren Gewohnheiten einer toleranten Gesellschaft erleichtert war, eine der außerordentlichsten Erscheinungen ihres Jahrhunderts. Ihr Leben bestand aus einer Kette galanter Abenteuer. Ihre Schönheit und Talente sind zum Gegenstand allgemeiner Bewunderung geworden. Es werden ihr Glück, Ehren, Reichtum, eine angesehene Stellung in der Welt zuteil, bis ihr abenteuerliches Leben in Armut endet. Ein Schicksal, wie es nur das 18. Jahrhundert hervorbringen konnte. Als Tochter armer Eltern lernte sie Not und Elend früh kennen. Sie wurde in der Welt herumgeworfen: erst als Kindermädchen, dann als Kellnerin in Matrosenkneipen, als Gesellschaftsdame berüchtigter Vergnügungslokale, als Modell von Künstlern, die zum Teil durch ihre Schönheit berühmt wurden, und denen sie für ihre Bilder nicht nur ihr entzückendes Gesicht und die schlanken Linien ihres Körpers zur Verfügung stellte, sondern auch ihre hervorragende mimische Kunst. Sie vermochte alles darzustellen, was der Maler von ihr verlangte: eine Bacchantin, eine Kalypso, eine Circe, eine Spinnerin, eine Kassandra, eine Magdalena, eine heilige Cäcilie, eine Pythia. Kein Gefühl war dem Ausdruck ihrer Züge fremd. Freude, Ausgelassenheit, Wildheit, Schmerz und Leid, Empfindsamkeit, Naivität und Lasterhaftigkeit, kühlen Stolz und leidenschaftliche Hingabe, alles das vermochte sie auszudrücken. Romneys Biograph sagt: »Die Natur beschenkte die schöne Emma mit den bezauberndsten Talenten für die beiden befreundeten Künste: die Musik und die Malerei. In der Musik erwarb sie sich große Fertigkeit und Gewandtheit. Für die Malerei bewies sie einen so ausgesuchten Geschmack und eine solche Kraft des Ausdrucks, daß sie für einen Maler ein begeisterndes Modell sowohl für zarte und sanfte als auch für große Charaktere darstellte. Gleich Shakespeare's Sprache vermochten ihre Züge alle Gefühle, alle Abstufungen der Leidenschaften mit hinreißender Wahrheit wiederzugeben. Romney war entzückt, wenn er die wunderbare Gewalt sah, mit welcher sie ihre sprechenden Gesichtszüge zu beherrschen wußte ... und immer belebten und veredelten die Kraft und die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks ihrer Empfindungen die Werke des Künstlers.« –

Die Natur hatte Emma Lyon wirklich verschwenderisch mit Schönheit und Liebreiz ausgestattet, aber auch hilf- und haltlos in das Leben hinausgestoßen. Es konnte nicht fehlen, daß sie als unerfahrenes, unbehütetes junges Mädchen in einer Stadt wie London Verführern verfiel, die sich ihre Jugend, ihre Sinnlichkeit und ihre unerhört reizvolle Anmut und Schönheit zunutze machten. Sie besaß einen wundervollen Wuchs und etwas unbeschreiblich Liebliches und Anziehendes im Ausdruck ihres sehr schönen Gesichts. Leicht und heiter schritt sie trotz Armut und Abhängigkeit durchs Leben. Ihre Strümpfe waren zerrissen, ihr Kleid schäbig und abgenützt. Darum kümmerte sich Emma Lyon oder »Amy«, wie sie in ihrem heimatlichen Dialekt genannt wurde, wenig. Der Gebrauch einer Stopfnadel und Nähnadel war ihr fremd. Sie lebte heute, um das Morgen machte sie sich keine Gedanken. Da ihre Mutter eine arme Näherin war, mußte Amy sich frühzeitig ihren Lebensunterhalt verdienen. Ihre erste Brotherrin, Mrs. Thomas, eine Arztfrau in Hawarden in der Grafschaft Chester, hatte viele Mühe, sie zur Häuslichkeit und Ordnung zu erziehen. Das damals dreizehnjährige Mädchen war indes gut und willig und äußerst leicht zu leiten. Frau Thomas nahm sich seiner mit wahrhaft mütterlicher Sorgfalt an. Lady Hamilton auf dem Zenit ihres Glückes hat darum auch diese Dame niemals vergessen und sich nicht geschämt, sie des öfteren zu besuchen, deren Kinder sie gewartet und ausgefahren hatte. Noch ein zweites Mal diente sie als Kindermädchen in der Familie eines anderen Arztes, Dr. Budd's. Dann aber lockte die Großstadt, lockte London. Amys Mutter hatte erfahren, daß in der Familie des Komponisten Linley ein Platz frei sei. Sie forderte ihre Tochter auf, nach London zu kommen und die Stelle bei den Linleys anzunehmen. Mrs. Linley war Teilhaberin am Drury-Lane Theater und hatte dort ihre Privatloge. Amy oder Emily, wie sie sich jetzt nannte, mußte sie zu den Vorstellungen begleiten und des öfteren Aufträge von der nicht immer gutgelaunten Theaterdirektorin den Schauspielern und Schauspielerinnen hinter die Kulissen bringen. Das Kulissenleben machte Eindruck auf das kleine Mädchen, das selbst in sich bereits alle Gaben eines großen mimischen Talentes vereinigte. In dieser Schauspielerfamilie versuchte Emily zum erstenmal – vielleicht noch heimlich in ihrer Kammer – die »Attitüden« oder wie wir heute sagen würden, die lebenden Bilder, die sie später so berühmt machten. Ihre reizende Gestalt begann sich immer vorteilhafter zu entwickeln. »Schon zeigte sie in ihrer Haltung und in ihrem ganzen Wesen«, schreibt einer ihrer Zeitgenossen, »jene Kühnheit und Sicherheit, die ihr vorwaltender Charakterzug blieb.« Manche Familie der Aristokratie wäre froh gewesen, ein so reizendes Kind als Tochter zu haben. Sie besaß so feine Züge, eine so vornehme Erscheinung, daß sie ohne weiteres mit den aristokratischen Mädchen des englischen High-Life konkurrieren konnte. Bereits als kleines Mädel, wenn sie als Kinderwärterin mit ihren Schützlingen über die Straße ging, erregte sie Aufsehen. Spaziergänger blieben stehen und schauten ihr nach, bis sie außer Sehweite war, und die Bettler Londons segneten sie wegen ihrer sylphenhaften Schönheit mit den Worten: »God bless you, my lovely child.« Jugend, Leichtsinn, Unerfahrenheit oder einfach das Leben mit seinen lockenden Genüssen mögen dieses hübsche Mädchen veranlaßt haben, den ersten folgenschweren Schritt zu tun, der sie auf die schiefe Ebene brachte. Nachdem sie ihre Stelle bei den Linleys plötzlich verlassen hatte, – man sagt, weil sie den Tod des jungen Linley, den sie liebte, nicht in der Umgebung verschmerzen konnte – verdingte sie sich in St. James Market bei einem Obst- und Weinhändler als Kellnerin. Allerdings muß hinzugefügt werden, daß das zweifelhafte Genre der Kellnerin in England unbekannt war und auch noch ist. Die »waitress« des 18. Jahrhunderts war nicht ausschließlich zum Bedienen und Unterhalten der Gäste da, sondern verrichtete nebenbei alle Hausarbeiten, war also mehr Magd als Hetäre. Im Lokal des Weinhändlers in St. James' Market verkehrten übrigens auch Damen, wenn auch sicherlich nicht Damen der ersten Kreise. Der Weinhändler wird die junge Schönheit in der Hoffnung engagiert haben, sie werde ihm neue und viele Kunden zuführen, ebenso wie jene »lady of fashion«, von der Emily wenige Monate darauf direkt aus der Obstweinschänke weg als »Gesellschafterin« gemietet wurde, um »ihre Salons« für die fashionablen Müßiggänger anziehender zu gestalten. Was diese »Lady« für eine Dame war, und daß ihre Salons nichts anderes gewesen sein mögen als eines jener Rendezvoushäuser, die es nicht nur in Paris, sondern auch in London gab, ist nicht schwer zu erraten. Sie hieß Mrs. Kelly und hatte den Spitznamen »Die Äbtissin«. Wer die Volkssprache der Engländer versteht, weiß, daß »Abbess« Kupplerin bedeutet. Ihre »Salons« befanden sich in einem Hause der Arlington Street. Emily Lyon war außerordentlich gutmütig, sinnlich, liebenswürdig; ihr heiteres Wesen, ihre Jugend und Schönheit und ihre vielseitigen Talente waren wie geschaffen für ein solches Haus. Sie beteiligte sich eifrig an den Theateraufführungen, mußte tanzen und singen und die Männer bezaubern, was ihr nicht schwer fiel. Es begann für sie ein Wirbel von Vergnügungen, die ihre leicht erregbaren Sinne berauschten und ihr Herz betörten. Die »Hausfreunde« der »Lady« waren alle von dem anmutigen Mädchen begeistert und hingerissen. Emily erlebt ihre ersten Triumphe als Schönheit. Sie ist kaum vierzehn und noch nicht ganz auf der Höhe ihrer berückenden Weiblichkeit, aber der Dämon der Sinnlichkeit ist bereits in ihr. Jeder Mann, der ihr begegnet, fühlt das, und einer wird ihr Verführer. Dem späteren Admiral John Willet Payne führt ein Zufall das junge zur Liebe und zum Genuß geschaffene Wesen in die Arme. Er nimmt ihre Gunst als Dank für einen Dienst, den er ihr für einen ihrer Verwandten leistet. Ein Vetter Emilys aus Flintshire, ihrer Heimat, war im amerikanischen Krieg zum Matrosen gepreßt und auf ein Kriegsschiff gebracht worden. Zu Hause läßt er Weib und Kind in Armut zurück. Emilys gutes Herz sucht Mittel und Wege, ihn vom Kriegsdienst zu befreien, und findet sie. Sie eilt selbst zum Kapitän des Schiffes, dem einzigen, der die Freilassung des Matrosen befürworten kann. Es ist John Willet Payne, ein noch junger schöner Mann. Emily übt einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus. Er kann der Versuchung nicht widerstehen, als Preis für sein Entgegenkommen den Besitz dieses jungen Mädchens zu fordern, und Emily wird seine Geliebte, vielleicht nicht nur aus Dankbarkeit, sondern weil auch ihr der hübsche Seeoffizier gefiel. Ehe noch die Fünfzehnjährige einem Kinde das Leben schenkte, war Kapitän Payne längst wieder auf See. Einige Monate hat er für ihren Unterhalt gesorgt, sich aber später nicht mehr um sie gekümmert.

Ein wohlhabender, aber skrupelloser Rake, Sir Henry Featherstonehaugh, wird Paynes Nachfolger und führt die schöne Emily auf seinen Landsitz »Up Park« in Surrey. Hier und in London, wohin er sie bisweilen nach Vauxhall führt, lernt das junge Mädchen zum erstenmal Luxus und Wohlleben kennen. Featherstonehaugh war freigebig. Er wollte seine Geliebte schön und elegant gekleidet sehen. Er sparte keine Kosten, um ihre Schönheit ins rechte Licht zu setzen. Emily, das Proletarierkind, paßte sich dem neuen Lebensstil mit verblüffender Leichtigkeit an. Es war, als hätte sie ihr Leben lang in dieser Umgebung gelebt. Der junge Lebemann steht spät auf. Um drei Uhr nachmittags frühstückt er mit Emma; gallonierte Diener bedienen sie und die jeden Tag anwesenden Gäste. Nach Tisch geht man zum Reitstall. Die Ställe ihres Freundes bergen prächtige Pferde, und sie, die bisher noch nie auf einem Pferde gesessen hat, wird eine vorzügliche Reiterin. Sie hätte sich im Hyde-Park mit den kühnen Aristokratinnen, jenen »pretty horsebreakers«, von denen Rodenberg schwärmt, messen können. Abends beim Diner trägt sie schöne tiefdekolletierte Kleider, Rubinen und Smaragden an Hals, Armen und im Haar. Allerdings ist dieser Schmuck im Vergleich zu den herrlichen Juwelen, die sie als Lady Hamilton später besaß, sehr bescheiden. Aber sie ist glücklich. Ihre vielen Talente und Vorzüge, ihr heiterer und unbefangener Charakter, ihre Lebenslust und ihre Talente erfreuen die lustigen Gesellschaften der jungen Lebemänner und deren Mätressen, die Featherstonehaugh bei sich empfängt. Emily Lyon ist immer der strahlende Mittelpunkt. Dieses Glück währte nur einen Sommer. Featherstonehaugh kehrte nach London zurück. Er konnte oder wollte dort sein Verhältnis zu Emily nicht fortsetzen. Man sagt, er habe in Emily Lyons Gesellschaft ein Vermögen vergeudet. Kurz, er verließ sie, nachdem er ihr eine kleine bescheidene Wohnung gemietet und ihr gerade so viel Geld gelassen hatte, daß sie in der Postkutsche zu ihrer Großmutter Kidd, einer armen Tagelöhnerin, bei der sie ihr Kind gelassen hatte, in ihre Heimat reisen konnte. Sie blieb nicht lange in ihrem Dorf. Das Leben in der Großstadt trat aufs neue mit seinen Versuchungen an sie heran. Sie war schön. Sie wußte es. Alle hatten es ihr gesagt. Sie war keine Novize in erotischen Dingen. Sie kannte das genießerische, wollüstige Leben junger reicher Wüstlinge und wollte es weiter genießen, skrupellos genießen. Über die Mittel, sich ein solches Genußleben zu verschaffen, grübelte sie nicht nach. Ein Scharlatan kreuzte ihren Weg, und sie verfiel auch ihm. Als »Vestina« oder »Göttin der Gesundheit« diente sie diesem Doktor Graham zur »Erläuterung« seiner Wunderlehre und stellte allabendlich die verführerischen Reize ihres »göttlichen Körpers« einem leichtgläubigen neugierigen und lüsternen Publikum zur Schau, das in Massen zu Grahams »Tempel der Gesundheit« und seinem »himmlischen Bett« gepilgert kam. Vielleicht hatte sie nie darüber nachgedacht, welchen Zwecken sie mit diesen Schaustellungen diente. In den Lebekreisen, in denen sie bisher ihr Dasein verbracht hatte, wurde nie moralisiert, nie abgewogen, was man tun konnte oder nicht; man gab sich allen Genüssen hin und fragte nicht danach, ob sie unzüchtig oder unmoralisch waren. Emily Lyon diente Graham mit ihrer Schönheit ebenso wie sie den anderen Männern gedient hatte. Vielleicht sah sie sogar bewundernd zu ihm auf. Man darf nicht vergessen: sie war ein Kind des Volkes! Ein Kind des an Scharlatanismus und Quacksalbern so reichen 18. Jahrhunderts! In ihren Augen erschien dieser Scharlatan als ein hochgelehrter Mann. Ließen sich doch sogar Leute aus den höchsten und gebildetsten Kreisen von seiner Wunderkur verblüffen. England scheint im 18. Jahrhundert das Idealland für alle Kurpfuscher und Scharlatane gewesen zu sein, besonders für die Wunderkuren auf sexuellem Gebiete. Bereits 1750 »heilte« der berüchtigte Joshua Ward mit »magischen Tropfen« die allzu große Leidenschaft alter Lebemänner und machte Mädchen, die einen Fehltritt getan hatten, wieder zu Jungfrauen! Und dieses Pfuschertum blühte noch mehr zur Zeit Emmas, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Jeder Scharlatan nannte sich Doktor, ohne diesen Titel an einer Universität erworben zu haben. Wie Graham hatten diese »Doktoren« meist ein paar junge hübsche Mädchen zur Hand, mit deren Schönheit und Jugend sie wahrscheinlich am meisten bei ihren »Wunderkuren« Erfolg hatten. Viele Leute kamen daher auch nur zu Graham, »um dieses neuen Genusses der Wollust teilhaftig zu werden«, wie Archenholtz in richtiger Beobachtung sich ausdrückt. »Junge Leute, die, mit Geld reichlich versehen, aus der Provinz kamen, um sich eine kurze Zeit in London zu vergnügen, Offiziere von der Marine und Kaper, die große Summen für Prisen bezogen haben ... Leute, die, mit Reichtum beladen, aus Ostindien kommen; unterhaltene Mätressen der Grafen, die Lust haben, diese neue Art der Wollust zu versuchen ... diese waren die Hauptkunden unseres Doktors, ohne die Menge anderer Verschwender zu rechnen.«

Diesem Scharlatan, »welcher entschieden am raffiniertesten von allen auf die sexuellen Instinkte seiner Klientel spekuliert hat, dem wahren Cagliostro der Kurpfuscherei«, war Emma Hart also verfallen. Er ist der berühmte Erfinder des »himmlischen Bettes« und des »Tempels der Gesundheit« ... Im Mai 1779 eröffnete Graham seinen berühmten »Tempel der Gesundheit« in den Adelphi, mit dem darin enthaltenen »himmlischen Bette«, das allein 16 000 Pfund Sterling gekostet haben soll. Es sollte die Wirkung haben, »die Unfruchtbarkeit der Frauen zu heben, sie zu Müttern zu machen und dem bejahrten Manne seine ursprüngliche Kraft wiederzugeben«. Jeder, der dieses Bett, das Graham »Magneto Elektric« nannte, benutzen wollte, mußte eine Karte für 50 Pfund Sterling dazu lösen. Und der Zuspruch der Damen und Herren war groß, um so mehr, als Graham betonte, er und seine Leute wollten nicht wissen, wer die Personen sind, die in diesem Bette einige Stunden ruhten. Er nannte daher auch das Zimmer, worin das Bett stand, das »Sanctum Sanctorum«. Das himmlische Bett ruhte nach Archenholtz auf sechs massiven transparenten Säulen. Die Bettücher waren von Purpur und himmelblauem Atlas und lagen über Matratzen, mit arabischen und anderen morgenländischen Essenzen parfümiert im Geschmack des persischen Hofs, wie es in den Gemächern der Lieblingsfrau des Sultans sich befinden sollte. Aus einem Nebengemach hörte man eine sanfte, weiche, sinnliche Musik, wie Graham sich ausdrückt: »die melodischen Töne einer Flöte, Cölestina und Harmonika, angenehmer Stimmen und einer Orgel«.– Aber nicht nur dieses herrliche Bett war die große Anziehungskraft für die neugierigen Engländer. Graham zeigte auch bei seinen Vorlesungen, gleichsam als bekräftigenden Beweis für seine Lehre, die »Vestina, die rosige Göttin der Gesundheit«. Diese »Vestina« war meist ein sehr schönes, wundervoll gestaltetes junges Mädchen, das er sich unter den Töchtern des Landes wählte. Die sehr schlecht beleumundete Schwester der tugendhaften Schauspielerin Mrs. Siddons, Mrs. Curtis, diente ihm unter anderen als Assistentin und eine Zeitlang, wie erwähnt, auch die entzückende Emily Lyon oder, wie sie sich schon damals nannte, Emma Hart, spätere Lady Hamilton!

23. Lady Hamilton als »Ambassadress«.
Farbstich von Appleton nach G. Romney. London, um 1799

Durch diese hüllenlose Schaustellung ihres jungen Körpers wurde Emma als die »englische Venus« bekannt, von der ganz London schwärmte. Die Zahl ihrer Verehrer ward immer größer. Viele Künstler, darunter manche bedeutende, unter anderen auch der exzentrische George Romney, begehrten sie als Modell. Sie saß ihm unzählige Male zu den verschiedensten Gemälden und berauschte ihn jedesmal aufs neue durch ihre unvergleichliche Schönheit. Er nannte sie stets nur seine »göttliche Lady«. Und später noch, als sie längst die gefeierte Lady Hamilton war, gewährte sie ihm Sitzungen zu Gemälden, die ihn unsterblich machten.

Als Emma Hart den Malern Modell stand, kannte sie einen Jüngern Weltmann, Sir Charles Greville, den Sohn des zweiten Earl of Warwick. Er nahm sie zu jener Zeit zu sich und enthob sie bald aller Sorge um ihren Unterhalt. Übrigens scheint er das schöne Mädchen schon gekannt zu haben, als Lord Featherstonehaugh ihr Geliebter war. Da er Emmas gute Anlagen kannte und Verständnis dafür hatte, sorgte er nicht nur für ihr leibliches Wohl, sondern auch für die weitere Ausbildung ihrer Talente und die Bildung ihres Geistes. Er gab ihr Musik- und Tanzlehrer, unterwies sie in allen Dingen eines guten Lebensstils, las mit ihr Bücher, ließ sie in Französisch und Italienisch unterrichten, kurz, machte aus ihr eine Dame, mit der er sich in der besten Gesellschaft sehen lassen konnte, wenn er das gewünscht hätte. Daß sie nicht orthographisch schrieb, war keine Ausnahme in der damaligen Zeit. Die Damen der höchsten Kreise schrieben nicht besser. Emma lebte einige Jahre sehr glücklich und idyllisch, wenn auch sehr zurückgezogen mit Greville. Es war ihre erste echte Liebe – vielleicht die einzige und größte in ihrem Leben, denn später liebte Nelson sie mehr als sie ihn. Greville riß sie aus dem Schmutz, bewahrte sie vor dem Abgrund, in den sie zu versinken drohte. Er war der erste Mann, der sie anständig behandelte. Sie liebte ihn und war ihm dankbar dafür. Sie war nicht nur eine sehr intelligente und gelehrige Schülerin, sondern auch eine entzückende Geliebte, eine Zauberin in jeder Beziehung, eine Sirene. Sie ist die verkörperte Wollust. Gleichzeitig aber ist etwas Zartes, Feines, etwas unendlich Weibliches und Gütiges in ihr. Sie ist der Prototyp der englischen Schönheit. Ein echtes englisches Mädchen aus dem Volke: freimütig, wenig sentimental, gutmütig und äußerst dankbar gegen ihre alten und neuen Freunde. Ein sweet-heart im besten Sinne des Wortes. Lord Hamilton schrieb später von ihr: »Sie ist besser als sonst ein Wesen, das die Natur hervorgebracht hat. In ihrer Eigenart ist sie feiner als irgend etwas in der antiken Kunst.« Die Männer, die in ihren Bann geraten, kommen schwer von ihr los und sind ihr, wie Charles Greville, auch nach der Trennung noch Freunde. Selbst wenn sie sie betrügt, sind sie ihr noch zugetan.

Vielleicht hätte Greville sich nie von einer so schönen und reizenden Geliebten getrennt, wenn er nicht durch seine zerrütteten Vermögensverhältnisse dazu gezwungen gewesen wäre. Emma liebte ihn wirklich. Sie waltete vier Jahre lang in seinem Hause als liebenswürdige graziöse Herrin. Unnachahmlich war ihre Anmut, wenn sie am Teetisch hantierte. Seine Freunde nannten sie »The pretty teamaker«. Sie war schön und elegant, temperamentvoll, geistreich, intelligent und talentvoll, kokett und reizvoll, kurz, mit allen Gaben ausgestattet, die einen Mann fesseln können, dabei nicht geldgierig, wie die meisten galanten Frauen. Sie folgte stets ihrem Impulse. Sie nahm das Leben, wie es sich ihr bot. Sie war freigebig, aber nicht verschwenderisch im wahren Sinne des Wortes. Ihr Lebensstil war immer den Umständen angepaßt. Reich, großzügig, anspruchsvoll, wenn der Mann die Mittel dazu besaß; bescheiden und einfach, wenn ihr Geliebter nicht im Überfluß lebte. Dem Manne, der sie aus dem Sumpf gerettet hatte, war sie ewig dankbar, und nie hat sie ihre von so außerordentlichem Glück und Reichtum begünstigte Karriere hochmütig gemacht. Immer gedachte sie ihrer armen Herkunft und schämte sich auch nicht als Freundin einer Königin einzugestehen, woher sie gekommen war. Als sie längst die Gattin des englischen Gesandten in Neapel war und bereits viele Jahre am Hofe gelebt hatte, schrieb sie von Nelsons Schiff »The Foudroyant« aus, im Jahre 1799, an ihren alten Freund Greville: »Meine Mutter ist in Palermo (bei der Königin)... Sie können sich nicht vorstellen, wie sie von allen geliebt und geachtet wird. Sie hat sich eine Lebensart angeeignet, die entzückend ist. Sie hat eine schöne Wohnung in unserm Hause, lebt stets bei uns, ißt mit uns, und so weiter. Nur wenn sie es selbst nicht mag (zum Beispiel zu großen Diners), sagt sie selbst ab und hat dann immer eine Freundin bei sich. Und ›La Signora Madama dell'Ambasciatora‹ ist in ganz Palermo bekannt, geradeso, wie sie es in Neapel war. Die Königin ist in meiner Abwesenheit sehr freundlich zu ihr gewesen. Sie hat sie besucht und ihr gesagt, sie könne sehr stolz auf ihre berühmte Tochter sein, die in den letzten qualvollen Monaten soviel getan hätte. Ich sage Ihnen das, damit Sie sehen, daß ich nicht unwürdig bin, einst Ihre Schülerin gewesen zu sein. Gott segne Sie.«

Greville war, obwohl der Sohn eines Earls und Mitglied des Parlaments, kein sehr reicher Mann. Er konnte seiner Emma weder eine Equipage noch ein eigenes Palais halten, wie es seine Freunde für ihre Mätressen taten. Auch konnte er ihr keine außergewöhnlich kostbaren Toiletten, Brillanten und Schmucksachen kaufen, sie nicht mit Glanz und Luxus umgeben. Er wünschte nur, sie glücklich zu sehen und aus ihr einen guten gebildeten Menschen zu machen. So lebte sie in seinem schönen künstlerischen Hause in Edgware Row wie eine Dame aus seiner eigenen Sphäre, ebenso diskret vornehm und elegant wie eine andere Lady, die einen wohlhabenden, aber nicht reichen Aristokraten geheiratet hatte. Sie war stets wie eine Lady angezogen; einige ihrer Kleider stammten von der besten Schneiderin in London, Mrs. Hackwood, aber ihre Schneiderrechnung durfte, solange sie mit Greville lebte, nicht 20 Pfund im Monat übersteigen. Sie hatte zwei Dienstboten, ein Haus- und ein Stubenmädchen, aber weder Diener noch Kutscher, denn Greville konnte sich keinen Wagen leisten. Hingegen lebte Emmas Mutter in Grevilles Haus und ersetzte ihr eine sehr wichtige Hausangestellte. Mrs. Cadogan – sie hatte inzwischen ebenso wie ihre Tochter mehrmals ihren Namen umgeändert – war eine vorzügliche Köchin und, wie es scheint, ein äußerst verträglicher und gutmütiger Mensch. Denn alle stellen dieser Mutter nur das beste Zeugnis aus. Sie war immer bei ihrer Tochter und stieg mit ihr von Stufe zu Stufe. Sowohl Greville als auch Sir William Hamilton und Lord Nelson achteten Mrs. Cadogan und behandelten sie so ehrfurchtsvoll, als wäre sie eine Dame aus ihren Kreisen.

Im Jahre 1786 trat ein Mann in Emmas Leben, der ihrem Schicksal die entscheidende Richtung gab. Sir William Hamilton, englischer Gesandter am Hofe von Neapel, ein noch gut aussehender Weltmann von 60 Jahren, kam in Privatangelegenheiten, vielleicht, um sich eine zweite Frau zu suchen, auf einer Urlaubsreise nach London und besuchte bei dieser Gelegenheit seinen Neffen Sir Charles Greville. Er sah die schöne vollkommene Geliebte, »the pretty teamaker« des jungen Grandseigneurs und war sofort von ihren Reizen gefangen. Und als er sie tanzen sah und singen hörte, war er vollends bezaubert. In den edlen Linien ihres Körpers sah er, der Kenner und Sammler antiker Kunst, die wundervollen Konturen griechischer Plastik verwirklicht. Und er beschließt, sie mit nach Neapel zu nehmen, unter dem Vorwand, ihre Talente noch weiter auszubilden, in Wahrheit aber, um diese göttliche Frau zu seiner Geliebten zu machen. Sir Charles Greville willigt ein. Er sieht darin den einzigen Ausweg, sich von Emma zu trennen, ohne sie einer ungewissen und für ihren sinnlichen, leicht zu beeinflussenden Charakter gefährdeten Zukunft auszusetzen. Er selbst ist nicht mehr in der Lage, pekuniär für sie zu sorgen. Schließlich wird alles zur gegenseitigen Zufriedenheit geregelt. Sir William Hamilton übernimmt das schöne Mädchen, das bald darauf im März 1786 in Gesellschaft der Mutter und des Malers Gavin England verläßt und über Deutschland nach Neapel reist. Vorläufig weiß Emma nicht, welcher Pakt zwischen Neffen und Onkel geschlossen wurde. Noch sieht sie in dem alten Herrn nur einen Gönner. Zahllose ihrer Briefe an den ehemaligen Geliebten Greville beweisen es. Sie hängt an ihm, sie sehnt sich nach ihm, bis sie begreift, daß der englische Gesandte nicht ganz uneigennützig gehandelt hat, als er sie zu sich nahm, und daß auch Greville, ihr Geliebter, mit dieser Handlungsweise einverstanden war. Sie ist enttäuscht über den einen und von Bewunderung und Dankbarkeit erfüllt für den andern, der sie mit galanter Aufmerksamkeit umgibt und ihr mit seinem Herzen seinen Reichtum, sein Haus und seine Stellung in der Welt zu Füßen legt.

Ein neues Leben umgibt sie in Neapel. Sir Hamilton verwöhnt sie, überschüttet sie mit Luxus und Reichtum. Kein Land, keine Stadt war besser als Rahmen für Emmas Schönheit und reiche Gaben geeignet. Neben den großen Vergnügungszentren Paris, London und Wien ist Neapel um diese Zeit die Stadt, die die meisten Zerstreuungen bietet und an Eleganz keiner der größeren Städte Europas nachsteht. Sir Hamilton war einer »jener englischen Epikuräer«, wie ihn Dühren nennt, »die sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im sonnigen Italien niedergelassen hatten, um hier in einer milden Natur und umgeben von den herrlichsten Kunstschätzen, im Verkehr mit Gelehrten und Künstlern, die Freuden des Lebens in reichstem Maße zu genießen.« In seinem Hause lernt Emma ein äußerst vielseitiges Genußleben kennen. Ihre Kunst wird durch die Bekanntschaft mit den berühmten griechischen Kunstwerken veredelt, die ihr Freund und Gönner als Archäologe sammelt. Sie beginnt in der neapolitanischen Gesellschaft, besonders in der englischen Kolonie in Neapel, eine Rolle zu spielen. Man scheut sich nicht, die schöne und liebenswürdige Mätresse Lord Hamiltons als gleichberechtigt anzuerkennen, und die in solchen Dingen sonst strengen Engländer, die nach Neapel kamen oder dort ansässig waren, suchten eifrig Emmas Bekanntschaft zu machen. Die Herzogin von Argyll, Lord und Lady Elcho und viele andere Mitglieder des hohen englischen Adels hatten dieses Mädchen aus dem Volke so ins Herz geschlossen, daß sie bald ihre engsten Freunde wurden. Emmas vertrauter Umgang mit der schönen und vornehmen Herzogin von Argyll und Lady Elcho wurde in der ganzen englischen Gesellschaft mit Staunen bemerkt. Allerdings sollen diese englischen Freunde sich selbst eingeredet haben, Emma sei längst Hamiltons heimliche Gattin. Damit beruhigten sie entweder ihr moralisches Empfinden, oder sie wollten wenigstens nach außen hin den Schein wahren. Denn ein Lord konnte, wie gesagt, im 18. Jahrhundert wohl eine Dirne zu seiner Gattin erheben, ohne Anstoß in der Gesellschaft zu erregen, aber die Gesellschaft konnte nicht im Hause einer Frau verkehren, die nur seine Mätresse war. So legten sich also auch die Gäste, die im Hause des Gesandten in Neapel aus- und eingingen, das Verhältnis Sir Williams zu Emma Hart zurecht, wie sie es wünschten. Hamilton widerlegte die Gerüchte über seine heimliche Ehe mit Emma nie, aber in Wahrheit heiratete er sie erst, nachdem sie fünf Jahre seine Mätresse gewesen war. Und nicht nur die englischen durchreisenden Aristokraten und die vornehme neapolitanische Gesellschaft bemühten sich um das junge reizende Mädchen, das Sir Williams Geliebte war. Die Befehlshaber fremder Schiffe, die im Hafen von Neapel vor Anker lagen, luden sie mit dem Gesandten an Bord und veranstalteten zu Ehren der jungen Schönheit Feste und Bälle. Die eleganten Seeoffiziere waren ihre glühendsten Bewunderer. Als der Kommodore Melville von der holländischen Flotte mit zwei anderen holländischen Schiffen im Jahre 1787 vor Neapel lag, veranstaltete er ein Bankett, zu dem er außer Sir William und dessen Freundin auch Emmas Mutter, Mrs. Cadogan, einlud. Der Kommodore, der Kapitän und vier andere Offiziere erwarteten die Gäste, als wären sie die allerhöchsten Persönlichkeiten, am Ufer und brachten sie in ihrer Pinasse zu dem Schiff, auf dem für sie das Bankett stattfand. Emma trug bei solchen Gelegenheiten stets ihr Lieblingskostüm: ein weißes duftiges Musselinkleid mit einer breiten blauen Seidenschärpe. Ihre goldbraunen Haare waren aufgelöst und fielen in langen Locken bald bis zu den Füßen herab. Als sie die Pinasse bestieg, wurde sie mit den Salutschüssen von 20 Kanonen begrüßt, und während das Boot sich langsam dem Schiffe näherte, feuerte die Fregatte der holländischen Schiffe alle ihre Geschütze ab. Die Tafel an Bord des Kommodoreschiffs war für 50 Personen gedeckt, und Emma Hart hatte daran den Ehrensitz. In ganz Neapel hörte man die Ehrensalven, die um eines jungen, aus den untersten Schichten des Volkes hervorgegangenen Mädchens willen abgegeben wurden. Das Diner verlief glänzend. Abends war der Besuch der Oper vorgesehen. Emmas und Lord Hamiltons Loge befand sich ganz in der Nähe der Hof löge. Die schöne Mätresse des englischen Gesandten gedachte an diesem Abend ganz besonders elegant zu sein, denn sie wußte, daß der ganze Hof erscheinen und sie neugierig betrachten werde. Noch war sie nicht offiziell von der Hofgesellschaft anerkannt. Sie hatte sich zu diesem Zweck ein neues rotes Atlaskleid, einen weißen Atlasüberwurf, der über und über mit Goldflitter bestickt war, und eine frisch aus Paris gesandte entzückende weiße Federtoque bereitgelegt. Nach dem Diner an Bord wollte sie in die Gesandtschaft zurückkehren, um große Toilette zu machen. Ihre Enttäuschung war daher groß, als Sir William Hamilton sich nicht von den liebenswürdigen holländischen Gastgebern trennen konnte und mit ihnen eine Flasche nach der anderen auf das Wohl »der entzückendsten Frau der Welt«, wie sie Emma Hart nannten, trank. Als sie dann endlich das Schiff des Kommodore verließen, war es zum Toilettemachen zu spät. Emma hatte gerade noch Zeit, so wie sie war, in ihrem weißen, in weichen Falten herabfallenden Sommerkleid und dem blauen Hut, mit ihrem offenen Haar, in den Wagen zu steigen und mit Sir William und den holländischen Offizieren in die Oper zu fahren. Hier fiel sie durch ihre mädchenhafte Schönheit und Anmut mehr auf, als wenn sie in der elegantesten Abendtoilette gewesen wäre.

24. Amor löst den Gürtel der Venus.
Ölgemälde von Joshua Reynolds. Um 1790, Leningrad

Bald erregten Emmas Schönheit, ihre »lebenden Bilder« und ihr verführerischer Schaltanz so großes Aufsehen, daß sie in Frankreich sowohl wie in Deutschland Nachahmer fand. In Paris sind es die schöne Julie Récamier, die exzentrische Theresia Tallien und Josephine Beauharnais, die diesen berühmten Tanz in Mode bringen, in Deutschland die Schauspielerinnen Händel-Schütz und Sophie Schröder. Aber Emma Hart, die Geliebte des englischen Gesandten in Neapel, ist die Erfinderin. Ganz Europa ist begeistert von ihr. Selbst Goethe erwähnt in der »Italienischen Reise« ihre Kunst mit den Worten: »... Eine Engländerin von etwa zwanzig Jahren. Sie ist sehr schön und wohlgebaut. Er (Sir Hamilton) hat ihr ein griechisch Gewand machen lassen, das sie trefflich kleidet. Dazu löst sie ihre Haare auf, nimmt ein paar Schals und macht eine Abwechslung von Stellungen, Gebärden, Mienen und so weiter, daß man zuletzt wirklich meint, man träume. Man schaut, was so viele Künstler gerne geleistet hätten, hier ganz fertig in Bewegung und überraschender Abwechslung; stehend, kniend, sitzend, liegend, ernst, traurig, neckisch, ausschweifend, bußfertig, lockend, drohend, ängstlich und so weiter, eins folgt aufs andere und aus dem andern. Sie weiß zu jedem Ausdruck die Falten des Schleiers zu wählen, zu wechseln und macht sich hundert Arten von Kopfputz mit denselben Tüchern. Der alte Ritter (Lord Hamilton) hält das Licht dazu, und hat mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben. Er findet in ihr alle Antiken, alle schönen Profile der sizilianischen Münzen, ja den Belvederschen Apoll selbst.« Der deutsche Maler Friedrich Rehberg hat die schönsten »Attitüden« Lady Hamiltons in einem Bande von 24 Kupferstichen der Nachwelt überliefert, und auch Tischbein ließ sich von ihr zu einigen Bildern inspirieren. Barbey d'Aurevilly nennt Emma Hamilton den »besten Bildhauer«, den dieses originelle und seltsame Land Italien besitze. Lady Hamilton sei würdig gewesen, Italienerin zu sein.

Merkwürdig ist es jedoch, daß diese schöne Frau in ihrem reiferen Leben nicht besonders graziös gewesen zu sein scheint; erst wenn sie diese lebenden Bilder stellte, kam alle Grazie in ihren Körper. Viele Zeitgenossen haben das festgestellt; auch daß ihre Füße groß und unschön gestaltet waren. Aber die Gesamterscheinung war so ideal, daß man diese Mängel gern in Kauf nahm. Wenn sie früher, als Sechzehnjährige, mit Greville im Ranelagh erschien, erregten nach der Aussage eines anonymen Zeitgenossen ihre »Nymphengestalt«, ihr entzückendes Gesicht, ihr goldbraunes Haar die allgemeine Aufmerksamkeit und solche Bewunderung, daß sie sich einmal in diesem Vergnügungslokal veranlaßt sah, dem um sie versammelten Kreise mehrerer Freunde ihres Geliebten den Genuß »einiger höchst anziehender Proben ihrer musikalischen und mimischen Talente zu geben«. Greville scheint indes diese Art Provokation seiner Geliebten nicht geschätzt zu haben, denn er machte ihr auf dem Nachhausewege Vorwürfe und nahm sie nie wieder in ein derartiges öffentliches Vergnügungslokal mit. Ebenso vermied er es, sie öfter ins Theater zu führen. Er hatte bemerkt, daß die Bühne für sie eine zu große Anziehungskraft hatte. Vielleicht wäre sie ihm eines Tages auf und davon gegangen, um als Stagegirl eine Laufbahn zu beginnen, die für ein Mädchen wie Emma verderbenbringend gewesen wäre. Bei Sir William Hamilton war sie jedenfalls besser aufgehoben. Hier konnte sie, ohne die dornenvolle Künstlerlaufbahn durchmachen zu müssen, ihre mimischen Talente, wie auf der Bühne ausbilden und verwenden. Und vielleicht hat sie sich als Dilettantin größeren Ruhm erworben, als sie es als Berufskünstlerin vermocht hätte.

Für ihre lebenden Bilder brauchte sie wenig Requisiten. Ein Stuhl, einige Schals, ein paar schöne antike Vasen, ein Blumengewinde, ein Tamburin, und für manche Posen ein oder zwei niedliche Kinder – das war ihr ganzer Apparat. Wenn sie mimte, waren alle Fenster geschlossen. Ihre Gestalt wurde nur von einer einzigen hellen Kerze beleuchtet. Sie verstand die türkischen oder indischen Schals so geschickt zu arrangieren, daß sie entweder, je nachdem sie es für ihre »Attitüde« brauchte, ein griechisches oder orientalisches Gewand darstellten oder auch in den verschiedensten Formen von Turbanen um den Kopf geschlungen wurden. Diese Verwandlungen gingen dermaßen schnell vor sich, daß keine Kostümveränderung länger als fünf Minuten dauerte. Archenholtz ist ganz hingerissen von dieser Schnelligkeit der Verwandlung. Einmal stellte sie das lebende Bild einer Madonna des Guido. »In wenigen Augenblicken, vermöge einer geringen Veränderung im Gewand und äußeren Schmuck, war die Madonna verschwunden und in eine vor Fröhlichkeit taumelnde Bacchantin, in eine jagende Diana und dann wieder in eine mediceische Venus verwandelt.«

Auch als Tänzerin leistet Emma Hervorragendes. Ihr Schaltanz ist, wie bereits erwähnt, wegen seiner überraschend graziösen Bewegungen berühmt. Sie hatte damit so großen Erfolg, daß sie von mehreren großen Bühnen Engagementsanträge erhielt. In Madrid sollte sie in der italienischen Oper »als erste Tänzerin« für eine Gage von 120 000 Mark für drei Jahre verpflichtet werden, und das Covent-Garden-Theater in London bot ihr 40 000 Schilling für eine Saison. Die ganze Skala der Empfindung wird bei ihrem Tanz zur Geste, zum getanzten Erlebnis. Jeder Schritt, jede Bewegung ihrer Arme und Hände ist eine tänzerische Offenbarung. Nationaltänze tanzt sie mit vollendeter Grazie und immer mit den ihnen zugehörigen volkstümlichen typischen Eigenarten und Temperament. Keine Italienerin tanzte eine so bacchantische, eine so wilde und leidenschaftliche Tarantella wie Lady Hamilton. Und der alte Lord ist zuweilen ihr Partner. Er, der für Sport, Jagd und alle Leibesübungen jederzeit Begeisterte, bleibt an der Seite dieses jungen lebensprühenden Weibes jung und elastisch. Noch als naher Siebziger tanzt er mit Emma – die inzwischen seine Frau geworden ist – auf einem Fest in London diesen Nationaltanz so lebhaft und andauernd, daß er seine um vierzig Jahre jüngere Partnerin ziemlich erschöpfte.

Mit solchen Tänzen, mit ihrer verführerischen Wollust, ihrer reizenden Koketterie und einschmeichelnden Liebenswürdigkeit bezauberte diese englische Sirene auch den Sieger von Abukir und vom Nil, Lord Nelson. Er sah sie zum ersten Male im Jahre 1793. Schon damals schrieb er an seine Frau: »Ich hoffe, Dir eines Tages Lady Hamilton vorstellen zu können. Sie ist eine der außerordentlichsten Frauen in der Welt. Sie ist eine Ehre ihres Geschlechts. Ihre und Lord Hamiltons Liebenswürdigkeit mir gegenüber ist größer, als ich in Worten auszudrücken vermag.« Aber erst fünf Jahre später, als Lady Hamilton zwar immer noch schön und begehrenswert war, jedoch nicht mehr jene entzückende sylphenhafte Gestalt und Jugendfrische besaß wie ehedem, – sie wurde bereits Anfang Dreißig sehr stark – verliebte er sich wahnsinnig in sie. Sie war eine jener Frauenschönheiten, die jederzeit, ob alt oder jung, den Mann fesseln. Und viele fanden sie auch viel später noch ebenso reizvoll wie zu jener Zeit, da sie Romney seine »göttliche Lady« nannte.

Zu Ehren des Siegers veranstalteten Lord und Lady Hamilton ein großes Fest. Mehr als 1800 Gäste, die schönsten und elegantesten Frauen von Neapel und aus der Hofgesellschaft, füllten die herrlich geschmückten Säle der englischen Gesandtschaft. Aber Nelson sah nur sie, die »Unvergleichliche«, dieses »außerordentliche Wesen«, wie ein sonst kühl denkender Engländer, Sir Gilbert Elliot, sie nannte. Auf Nelson, den einfachen Pfarrerssohn, der trotz aller seiner Siege und Feldzüge die Welt wenig kannte und noch weniger die Frauen, wirkte die reizende, von allen umschwärmte Gattin des englischen Gesandten vollends wie ein Zauberwesen. Ihre verwirrende sinnliche Schönheit, der Charme ihrer Unterhaltung, ihre süße lockende Stimme, ihre impulsive alles vergessende Leidenschaftlichkeit und vollkommene Weiblichkeit bestrickten ihn so, daß er ihr völliger Sklave wurde. Emma Hamilton besaß von da an sein Herz, seine Sinne, aber auch sein ganzes Denken und Handeln. Er tat nur, was sie wollte. Er dachte nur durch sie und mit ihr, sah alles nur mit ihren Augen – leider nicht immer zu seinem und seiner Mitmenschen Nutzen.

25. Gartenfest.
Gemälde von Gainsborough. Um 1785.

Seitdem Emma Lord Hamiltons rechtmäßige Gattin geworden war, erlangte sie am neapolitanischen Hofe, vor allem durch die außerordentliche Freundschaft, die ihr die Königin Carolina entgegenbrachte, bedeutenden Einfluß. Solange sie nur Hamiltons Mätresse war, konnte der Hof sie natürlich nicht offiziell anerkennen. Aber gleich nach der Rückkehr des Gesandten aus England, wo er Emma im Jahre 1791 geheiratet hatte, wünschte Königin Maria Carolina Lady Hamilton bei Hofe vorgestellt zu sehen. Ein Brief der überglücklichen Emma an ihren alten Freund Romney über diese große Auszeichnung zeigt uns ihren guten dankbaren Charakter für alles, womit das Schicksal sie verwöhnte, und gleichzeitig ihre naive Freude über den ungeheuren Aufstieg, den sie, das kleine arme Modell und Kindermädchen, genommen hatte. »Mein lieber Freund«, schreibt sie aus Caserta am 20. Dezember 1791; »Ich habe das Vergnügen Ihnen mitzuteilen, daß wir glücklich wieder in Neapel angekommen sind. Ich bin mit offenen Armen von allen Neapolitanern beiderlei Geschlechts, von allen vornehmen Ausländern empfangen worden. Auf ihren eigenen Wunsch bin ich der Königin vorgestellt worden. Sie bewies mir die größte Liebenswürdigkeit und herzlichste Aufmerksamkeit. Kurz, ich bin die glücklichste Frau der Welt. Sir William liebt mich jeden Tag mehr, und ich hoffe, er wird nie Ursache haben, den Schritt zu bereuen, den er getan hat. Denn ich bin ihm so dankbar, daß ich glaube, niemals in der Lage zu sein, ihm seine Güte vergelten zu können. Aber warum sage ich Ihnen das? Sie kennen mich genug. Sie waren der erste liebe Freund, dem ich mein Herz öffnete. Sie müssen mich kennen, denn Sie haben mich in meinen armen Tagen gekannt. Sie haben mich in meiner Armut und meinem Glück gesehen... Oh, mein lieber Freund! Ich gestehe, eine Zeitlang war meine Tugend durch Not und Elend besiegt, nicht aber mein Gefühl für das Gute. Wie dankbar bin ich meinem lieben Mann, der meinem Herzen den Frieden wiedergab, mir Ehren, Stellung und Rang verschaffte und, was mehr wert ist, Harmlosigkeit und Glück schenkte. Freuen Sie sich mit mir, mein lieber Freund; Sie sind mir mehr als ein Vater. Glauben Sie mir, ich bin immer noch die gleiche Emma, die Sie kennen. Könnte ich nur einen Augenblick vergessen, was ich war, ich würde es nicht ertragen. Befehlen Sie mir irgend etwas, was ich für Sie tun kann. Es wäre für mich die schönste Freude. Kommen Sie nach Neapel, und ich will Ihr Modell sein; – oder etwas anderes, damit ich Gelegenheit habe, Ihnen meine Dankbarkeit zu zeigen... Wir haben hier in Neapel viele Engländerinnen, wie: Lady Malmsbury, Lady Maiden, Lady Plymouth, Lady Carnegee, Lady Wrigth und so weiter. Sie sind alle sehr liebenswürdig und aufmerksam zu mir und setzen eine Ehre darein, ausgesucht höflich mir gegenüber zu sein. Das wird Sie besonders erfreuen, weil Sie wissen, wie prüde unsere Damen sonst sind. Sagen Sie bitte Hayly, daß ich immer sein Werk: »Triumphs of temper« lese. Diesem Buche verdanke ich, daß ich Lady Hamilton bin. Denn, Gott ist Zeuge, vor fünf Jahren hatte ich genug, um meinen Charakter zu prüfen, und ich fürchte, hätte ich nicht das gute Beispiel in seinem Werk gehabt, mein Temperament wäre mit mir durchgegangen. Und wäre das geschehen, so wäre ich verloren gewesen. Denn Sir William hält mehr vom Charakter als von der Schönheit. Er wünscht daher auch, Mr. Hayly möchte kommen, damit er ihm für seine gutgeartete Frau danken kann.« Lady Hamiltons Landsitz in Caserta und ihr Haus in Neapel waren stets mit Gästen angefüllt. Manchmal hatte sie bis zu 50 Personen an ihrer Tafel. Und da sie als Frau des Gesandten die englischen Damen, die bei Hofe eingeführt werden sollten, der Königin vorstellen mußte, lebte sie in beständiger Aufregung von Festen und Bällen. Der Hof hielt sich zwar ebenfalls einen großen Teil des Jahres in Caserta auf, aber wenn er nicht da war, fand ein fortwährendes Hin und Her zwischen Neapel und Caserta statt. Es kam vor, daß Lady Hamilton in ihrem Hause in Neapel 50 Personen zu Tisch hatte, dann noch 500 Tanzteilnehmern auf ihren berühmten Bällen ein glänzendes Fest gab und erst sehr spät in der Nacht, meist erst gegen Morgen, nach Caserta zurückfuhr. Am Hofe wurde nichts unternommen, nichts beschlossen, kein Fest arrangiert ohne Lady Hamiltons Beihilfe. Beide Frauen, sie und die genießerische Königin, der man den Beinamen einer neapolitanischen Messalina gegeben hat, wetteiferten im Erfinden immer neuer Überraschungen bei den üppigen Gelagen. Emma Hamilton verdankte es der neapolitanische Hof, daß dieses schwelgerische Genußleben nicht nur in Essen, Trinken und Ausschweifungen bestand, sondern eine verfeinerte künstlerische Note erhielt. Sie war die beste Tänzerin unter all den schönen und graziösen Frauen, die Maria Carolina umgaben. Ihre mit einer schönen vollen Stimme, wenn auch nicht immer ganz rein vorgetragenen Lieder und ihre »Attitüden« machten sie zu einer der gefeiertsten Frauen des Hofes. Aber auch in politischen Angelegenheiten, die hier zu erwähnen nicht der Platz ist, besaß sie unumschränkten Einfluß. Es ist indes schwer zu sagen, ob vieles in dieser Beziehung mehr dem Gesandten selbst oder seiner Gattin zugeschrieben werden muß. Auf die Königin jedenfalls übte Lady Hamilton unbegrenzte Macht aus. Sie, die in London am Hofe der Königin Charlotte niemals empfangen wurde, hatte die Tochter der Kaiserin Maria Theresia vom ersten Tage ihrer Bekanntschaft an völlig in ihrer Gewalt. Vielleicht, weil es in ihrer beider Leben so viele Punkte gab, die sich berührten oder wenigstens scheinbar berührten. Die ausschweifende Lebensweise der Königin Carolina gab ihr nicht das Recht, über Lady Hamiltons stürmische Vergangenheit zu richten. Beide Frauen verband ihre große Sinnlichkeit, ihre Eleganz und Koketterie und das vollkommene Hinwegsetzen über alle gesellschaftliche und bürgerliche Moral. Diese letzte Eigenschaft besaß vor allem die Königin in hohem Maße. Man sagt, nicht nur Diplomatie und kluge Berechnung seien die Triebfedern gewesen, die sie zu Lady Hamilton so unwiderstehlich hingezogen habe, sondern auch ihre eigene lasterhafte Veranlagung. Sie habe in Emma nicht nur ein williges Geschöpf für ihre Feste und Gelage, sondern auch für ihre tribadischen Neigungen gefunden. Carolina belohnte diese Freundschaft mit reichen Geschenken. Als der »Foudroyant« nach der Wiedereroberung von Neapel im August 1799 vor Palermo mit Nelson und Lady Hamilton anlangte, eilte die Königin sofort zu ihrer Freundin und beschenkte sie mit einer goldenen Kette, an der das reich mit Diamanten besetzte Bildnis des Königs hing. Fünf Tage später sandte sie ihr zwei Wagen voll kostbarer Kleider und ein Juwelengeschmeide im Werte von 20 000 Mark. Im Ganzen sollen sich die Geschenke, die Lady Hamilton um diese Zeit von der Königin erhielt, auf 120 000 Mark belaufen haben.

Die Wiedereinnahme Neapels gab Lady Hamilton Gelegenheit, ihre großen gesellschaftlichen Fähigkeiten zu zeigen, ihrer Vorliebe für Feste, Bälle und Theatervorführungen Genüge zu leisten. Und während Tausende in Neapel und Malta Hungers starben, herrschte in Palermo am Hofe Üppigkeit und Verschwendung. Emma und Carolina veranstalteten Maskeraden und Bälle mit einem »Ruhmestempel«, in dem Lady, Lord Hamilton und Lord Nelson als Wachsfiguren zu sehen waren. Lady Hamilton, als »Siegesgöttin«, mit einem Lorbeerkranz in der Hand, krönt den Admiral, der, von Sir William Hamilton geführt, ihr entgegentritt. Die Festlichkeiten, Galadiners und Bälle an Bord der englischen Kriegsschiffe im Hafen hörten nicht auf. Sie wurden von der wunderschönen Lady Emma veranstaltet, und der Admiral hieß alles gut, was sie tat. Sie erschien auf dem Admiralsschiff wie eine zweite Kleopatra. Wenn sie mit allen ihren Freunden, wie mit einem Hofstaat umgeben, ankam, wurde sie, als wäre sie die Königin selbst, mit Salven von der ganzen Flotte begrüßt. Einmal hatte sie auf dem von Sir Thomas Louis befehligten »Minotaurus« ein Diner bestellt. Es wurden große Tafeln für das Gastmahl auf Deck gebracht, die Kanonen beiseite geschoben, um den mit den köstlichsten Speisen, Früchten und Weinen besetzten Tischen Platz zu machen. Das schien selbst Nelson zu weit zu gehen. Als er sah, was aus seinem Kriegsschiff gemacht worden war, sagte er ärgerlich zu einem der Offiziere: »Verflucht, ich wollte, dieses Treiben hätte ein Ende. Mein Schiff sieht ja aus wie ein Gasthaus.« Als er aber Lady Hamiltons strahlendes Gesicht, ihr glückliches Lächeln sah, als sie ihn mit ihrer einschmeichelnden Stimme beruhigte, war sein Unmut sofort verflogen und man saß noch bis spät abends beim fröhlichen Mahle. Auf Wunsch der Geliebten ließ Nelson bei Einbruch der Dunkelheit das Schiff illuminieren, und bei jedem ausgebrachten Toast wurden an Bord Salven abgegeben, die von den Forts am Festland beantwortet wurden.

Es war dem Admiral ganz unmöglich, dieser schönen Verführerin etwas abzuschlagen. Plötzlich fiel ihr etwas ein, und schon mußte es ausgeführt werden. Sie war auch seine Begleiterin und Führerin durch die Schlupfwinkel und Spelunken Neapels. Der abenteuerliche Sinn, die Neigung zum Vagabundentum erwachten in ihr bisweilen von neuem. Dann packte sie die tolle Lust, mit dem Admiral in Verkleidung durch die berüchtigtsten Straßen und Hafenviertel zu streifen. Die Maske und der Domino oder auch ein Männerkostüm schützten sie bei derartigen Streifzügen. Gemeinsam mit dem Admiral besuchte sie die öffentlichen Dirnenlokale und verbrachte die Abende in Gesellschaft von käuflichen Mädchen. Emmas mimischer Veranlagung gelang es hervorragend gut, sich jenen Frauen gegenüber als jungen Mann auszugeben. Lord Nelson sah in diesen zweifelhaften Vergnügen und Tollheiten nur einen neuen Reiz im Charakter seiner Freundin. Sie war die Frau, die er liebte, die er begehrte, die ihm wie keine andere ein nie gekanntes Liebesglück schenkte. »Du brauchst kein Weib in der Welt zu fürchten,« schrieb er ihr einmal, »alle außer Dir sind mir nichts. Ich kenne nur eine, denn wer kann wie meine Emma sein? ... Du bist unvergleichlich. Keine ist wert, Dir die Schuhe zu putzen.«

Er war an sie für immer verloren. Im Jahre 1800 nahm er sie und ihren Gatten mit nach England. Da er nicht mehr im Hause seiner Frau wohnen wollte, mit der er viele Jahre in ungetrübter Ehe gelebt hatte, zog er zu den Hamiltons in Piccadilly. Obwohl derartig dreieckige Verhältnisse im 18. Jahrhundert durchaus nichts Seltenes waren und man annehmen konnte, Lord Hamilton habe die Beziehungen seiner Gattin zu Nelson genau gekannt, so scheint er sie doch bis zuletzt für rein platonisch gehalten zu haben, denn als er zwei Jahre später starb, sagte er in seinen letzten Augenblicken zudem Freund: »Mein tapferer und großer Nelson, unsere Freundschaft hat lange gewährt, und ich bin stolz auf meinen Freund. Ich hoffe, Sie werden Emma Gerechtigkeit von den Ministern widerfahren sehen. Sie wissen, wie große Dienste sie ihrem Vaterland geleistet hat. Schützen Sie mein teures Weib.« Dann wandte er sich an Emma und sprach: »Meine unvergleichliche Emma, du hast mich nie, weder in Gedanken noch mit Worten noch mit Taten beleidigt. Laß mich dir nochmals für deine herzliche Zuneigung in unserer ganzen zehnjährigen glücklichen Verbindung danken.« – Welche Macht, welche Geheimnisse besaß diese Frau, die selbst als heimliche Ehebrecherin noch die Achtung und Liebe ihres Gatten genoß! Sie hatte ihrem Geliebten im Januar 1801 eine Tochter geboren, die als Horatia Thompson Nelson eingetragen und von dem Admiral adoptiert wurde. Obwohl Lady Hamilton dieses Kind im Hause ihres Gatten zur Welt brachte, hatte Hamilton doch keine Ahnung davon. Ihren Zustand wußte sie geschickt vor ihm zu verbergen, wobei ihr die weiten faltigen Gewänder sehr behilflich waren. Hamilton war wohl auch zu alt und bereits zwei Jahre vor seinem Tode oft kränklich und bettlägerig, so daß er kaum das Schlafzimmer seiner Frau betreten haben wird. Als sie niederkam, sagte man ihm, sie sei krank, aber die Wahrheit ihrer Unpäßlichkeit verschwieg man. Am 20. Februar schrieb er noch an Nelson, Emma sei nicht wohl, sie habe Magenkrämpfe und Erbrechen und müsse Brechweinstein einnehmen. Der gute Alte wurde auch fernerhin getäuscht. Als die kleine Horatia geboren war, brachte man sie heimlich aus dem Hause zu einer Amme. Lord Nelson und Lady Hamilton sprachen in ihren Briefen, so lange der Alte lebte, von diesem Kinde nur als der Tochter einer Mrs. Thompson, so daß Hamilton, als die Amme das Kind eines Tages ins Haus brachte, um es dem glücklichen Vater, Lord Nelson, zu zeigen, keinen Verdacht schöpfte, als man ihm sagte, es sei Mrs. Thompsons Kind, sie wolle sich der Gunst des Admirals empfehlen.

In demselben Jahre kaufte Lady Hamilton im Auftrage Nelsons für ihn den schönen Landsitz Mertonplace in Surrey. Er sollte hauptsächlich zum späteren Wohnsitz für Emma und ihre Tochter Horatia bestimmt sein. Lady Hamilton richtete das Schloß ganz nach ihrem Geschmack ein und machte es, wie Nelson schrieb, »zum schönsten Ort der Welt«. Man verlebte dort und in Hamiltons Hause in Piccadilly einen sehr vergnügungsreichen und heiteren Winter unter fortwährenden Gesellschaften und mitunter recht wüsten Gelagen. Lady Hamilton dachte hier oft an jene Zeit zurück, als sie vor 20 Jahren in Edgware Road als Romneys Modell und Grevilles Geliebte lebte. Jetzt besaß sie alles, was sie sich wünschen konnte, und verbrachte die »Season« in London der Jahre 1801 bis 1805 im großen Stil, in Luxus und Verschwendung. In ihrem Hause verkehrte die fashionabelste Gesellschaft ungeachtet dessen, was man sich in London über sie zuflüsterte. Die englische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war toleranter als heute. Man sprach ganz offen über Lady Hamiltons Verhältnis zu Nelson, und niemand glaubte an eine platonische Liebe der beiden, außer Sir William Hamilton. Niemand nahm jedoch Anstoß daran, daß alle drei einträchtig in einem Hause wohnten. Man brachte Lady Hamilton die größte Achtung entgegen, und sogar die nächsten Verwandten Nelsons, die seine rechtmäßige Frau sehr schätzten, verkehrten wie Freunde im Hause seiner Geliebten und verehrten sie. Und dennoch war in Emmas Charakter eine große Veränderung vor sich gegangen. Aus der kleinen bescheidenen Freundin Lord Grevilles, die »absolut indifferent gegen materielle Interessen« schien, war eine sehr anspruchsvolle, geldgierige und vergnügungssüchtige Frau geworden, die weder an Festen noch an Toiletten und Tand genug bekommen konnte. Der neapolitanische Hof hatte sie verdorben. Sie machte Schulden über Schulden, ohne zu wissen, ob sie sie je würde bezahlen können. Der alte Sir William Hamilton war diesem wüsten Leben nicht mehr gewachsen. Bisweilen fühlte er sich auch von seiner Frau zurückgesetzt; sie hatte nur Auge und Ohr für Nelson, für ihre Vergnügungen, lebenden Bilder und die zahlreichen Gäste. Hamilton, der 40 Jahre seines Lebens an einem so unruhigen und geräuschvollen Hofe wie dem neapolitanischen zugebracht hatte, sehnte sich in seinen letzten Lebensjahren nach Ruhe. Mit 80 Jahren konnte er sie ja auch beanspruchen. Aber Emma war nicht der Meinung. Sie brauchte, je reifer sie wurde, den Weihrauch der Vergötterung ihrer Person und stürzte sich immer mehr in den Strudel von Vergnügungen. In solchen Augenblicken gingen manchmal dem alten Sir William die Augen auf. Einmal brachte er seinen Unmut sogar zu Papier und schrieb: »Ich habe die letzten 40 Jahre meines Lebens in Unruhe und im Wirrwarr der Geschäfte verbracht, die mit einer offiziellen Stellung notwendigerweise verbunden sind. Nun bin ich in dem Alter, wo etwas Ruhe wirklich nötig ist; ich hoffte auf ein stilles Heim, obwohl ich, als ich heiratete, überzeugt war, daß ich alt und verbraucht wäre, wenn meine Frau in ihrer ganzen Schönheit und Jugendkraft stände. Die Zeit ist nun gekommen, und wir müssen das Beste zu unserer beider Behaglichkeit tun. Unglücklicherweise sind unsere Geschmäcker in bezug auf die Lebensweise sehr verschieden. Ich wünsche vor allem in stiller Zurückgezogenheit zu leben; aber selten weniger als 12 bis 14 Gäste bei Tisch zu haben, und jeden Tag andere, ist für mich genau so ermüdend, wie das Leben in den letzten Jahren in Italien. Ich pflege keinerlei Beziehungen außer zu meiner eigenen Familie. Ich kann mich auch nicht weiter beklagen, aber ich fühle, daß meine Frau ihre ganze Aufmerksamkeit Lord Nelson und seinen Interessen in Merton schenkt. Ich kenne wohl die Reinheit der Freundschaft Nelsons zu Emma und mir. Und ich weiß auch, wie untröstlich seine Lordschaft, unser bester Freund, sein würde, wenn eine Trennung zwischen uns dreien stattfände. Daher bin ich entschlossen, alles, was in meiner Macht steht, zu tun, sie zu vermeiden. Es würde für alle Teile sehr nachteilig sein; vor allem aber würde sie für unseren lieben Freund äußerst fühlbar sein. Vorausgesetzt, daß unser Aufwand und unsere Haushaltkosten nicht ins Maßlose anwachsen – und darin sehe ich offengestanden eine große Gefahr –, bin ich bereit, auf dem gleichen Fuße weiterzuleben. Da ich jedoch nicht mehr hoffen kann, noch viele Jahre zu leben, ist jeder Augenblick für mich kostbar. Und darum hoffe ich, manchmal mein eigener Herr zu sein und meine Zeit nach meinen eigenen Neigungen verbringen zu dürfen. Entweder mit Angeln und Fischen auf der Themse oder, indem ich öfter in London die Museen, Bilderauktionen, die Royal-Society und den Tuesday-Club besuche ...«

Er erkrankte indes und starb bald darauf im Jahre 1803 in Piccadilly. Seine Witwe mußte das Haus verlassen und zog nach Clargestreet. Teils hier, teils in Mertonplace verbrachte sie von nun an ihr Leben. Nelson betrachtete sie nach der Geburt Horatias, die er über alle Maßen liebte, und besonders nach dem Tode des Gatten, völlig als seine rechtmäßige Gemahlin. Daß sie eine natürliche Tochter, vielleicht sogar zwei Kinder als Mädchen gehabt hatte, wußte er nicht; er scheint nicht daran gezweifelt zu haben, daß Horatia Emmas erstgeborenes Kind war. Jedenfalls verstand sie es, auch Nelson eine Sache glaubhaft zu machen, die jeder andere Mann ihr widerlegt haben würde. Aber wie sie Sir William Hamilton die Geburt Horatias verschwiegen hatte, so verschwieg sie auch Nelson ihre frühere Tochter. Und er glaubte an sie. Im März 1801 schrieb er ihr: »Jetzt, mein einzig geliebtes Weib, das Du in meinen Augen und im Angesicht des Himmels bist, kann ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen, denn ich glaube wohl, daß Oliver diesen Brief getreulich abliefern wird. Du weißt, meine geliebte Emma, es gibt in der Welt nichts, was ich nicht täte, um mit Dir zusammenzuleben und unser liebes kleines Kind bei uns zu haben ... Ich liebe Dich. Ich liebe Dich wie keine andere. Niemals hatte ich ein süßes Pfand der Liebe, bis Du es mir schenktest, und Gott sei Dank gabst Du ein solches niemals einem anderen! ... Ich verbrenne alle Deine lieben Briefe; es geschieht Deiner Sicherheit wegen. Verbrenne bitte auch die meinigen, denn sie könnten Böses anrichten und uns beiden nur schaden, im Falle man sie fände. Ein Tüpfelchen von ihnen würde die Münder der Welt mehr füllen, als wir wünschten ...« – Und ein andermal: »Ich hoffe, Du sollst in kurzer Zeit meine Herzogin von Bronte werden, und dann schlagen wir ihnen allen ein Schnippchen.« Dieses ungeheure Liebesglück fand einen jähen Abbruch durch die Abberufung Nelsons zur Mittelmeerflotte im Jahre 1803. Emma hatte zwar die abenteuerliche Idee, sich mit Horatia und Nelsons Nichte, die in ihrem Hause lebte, auf der »Victory« einschiffen zu lassen und den Geliebten auf seinem Feldzug zu begleiten; aber es gelang dem Admiral diesmal doch, ihr diesen tollen Gedanken auszutreiben. Sie blieb in London. Der Schmerz über die Trennung war bald vergessen. Sie führte in Mertonplace und in ihrem Hause ein sehr ausgelassenes Leben, so daß sie mit der Rente, die ihr Sir William Hamilton ausgesetzt hatte, und mit den 1200 Pfund, die sie von Nelson für ihren Unterhalt bekam, nicht ausreichte. Umringt von einem Schwärm von Schmarotzern lebte sie in Saus und Braus. Sie umgab sich mit schönen leichtlebigen Frauen, die wie sie selbst auf ein Abenteuerleben zurückblickten. Ihre intimste Freundin war die berühmte und äußerst begabte Sängerin am Drury-Lane- und Covent Garden-Theater Mrs. Billington, eine Sächsin von Geburt. Sie führte in London und in allen Städten der Welt, wo sie auftrat, das zügellose Leben einer Hetäre. Königliche Prinzen, Herzöge, Lords waren ihre jeweiligen Liebhaber. Eine Zeitlang auch der Herzog von Rutland, Vizekönig von Irland. Wie Lady Hamilton verfügte die Billington über große und vielseitige Talente und über eine Schönheit, die den »Dämon der Sinnlichkeit in sich hatte«.

26. Die hübschen Putzmacherinnen.
Englisches Schabkunstblatt. London, 1781

Unter den Männern in Lady Hamiltons Umgebung in London war der alte achtzigjährige Herzog von Queensberry als der größte Wüstling Englands bekannt. Zwar war er ein sehr eleganter Weltmann, ein Freund des berühmten Dandys George Selwyn, ein großer Kunstkenner und Sportsmann, aber seine Ausschweifungen übertrafen alle Begriffe. Sein Haus in Piccadilly war unter den Zeitgenossen als »Hölle orientalischer Wollust« bekannt. »Er suchte den Genuß«, sagt Sir Nathanael Wraxall, der ihn noch persönlich kannte, »in jeder Gestalt und ebenso eifrig noch mit achtzig Jahren, als er es mit zwanzig tat. Nachdem er alle Freuden des Lebens erschöpft hatte, setzte er sich in sein Haus nahe Hyde Park Corner, wo er Zuschauer jener bewegten Szenen wurde, welche Johnson ›den vollen Strom des Menschenlebens‹ genannt hat.« – Sein Groom stand immer vor der Tür, um eins der hübschen Mädchen, die vorübergingen, hereinzurufen ... Sein Körper war eine Ruine geworden, aber nicht sein Geist. Es ist Tatsache, daß, als er im Dezember 1810 im Sterben lag, sein Bett mit mindestens siebzig Liebesbriefen bedeckt war, die Frauen und Mädchen verschiedenster Natur und aus den verschiedensten Gesellschaftsklassen, von Herzoginnen bis hinab zu Frauen zweifelhaftester Art an ihn gerichtet hatten. Nicht mehr imstande, die Briefe zu öffnen oder durchzulesen, befahl er, sie uneröffnet auf sein Bett zu legen, wo sie bis zu seinem Tode liegen blieben.

Dieser Herzog von Queensberry gehörte also zu Lady Hamiltons glühendsten Verehrern, und es ist möglich, daß ihre Beziehungen zu ihm auch nicht nur platonische waren. Jedenfalls war er der einzige, der ihr von ihren Freunden aus dieser Zeit etwas schenkte. Er vermachte ihr, wie noch einigen seiner ehemaligen Geliebten, ein Legat von 1000 Pfund Sterling, das allerdings wegen Erbschaftsstreitigkeiten nie ausbezahlt wurde.

Lady Hamiltons Freunde waren nicht alle selbstlos. Die meisten nützten ihre Gutmütigkeit aus, liehen von ihr Geld, das sie nie wiedergaben, praßten an ihrer Tafel, machten ihr den Hof und schmeichelten ihrer Eitelkeit, um desto mehr Vorteile von ihr zu haben. Oft ermahnte Nelson sie in seinen Briefen zur Sparsamkeit und warnte sie vor dem »Gezücht, das bei vollen Tafeln saß und sich sonst nicht um sie kümmerte«. Als er nach zweijähriger Abwesenheit im August i8o5 für kurze Zeit nach Mertonplace zurückkehrte, mißfiel es ihm sehr, daß sein schöner Landsitz auffallend dem Hof von Neapel hinsichtlich des leichten Lebens, das man dort geführt hatte, glich. Neben berühmten englischen Schauspielerinnen, Musikern, Balladendichtern, Opernsängern bildeten leichtlebige Klubmänner und Spieler, abenteuerliche Rakes, darunter auch Mitglieder des Adels und viele, deren Stand und Gewerbe höchst fraglich waren, den Gesellschaftskreis seiner unvergleichlichen Emma. Aber er war doch viel zu glücklich, die geliebte Frau und sein Kind wiederzusehen, als daß er ihr wegen ihres leichtfertigen Lebenswandels Vorwürfe hätte machen können. Solange sie sich amüsierte und wohlfühlte, solange sie als schöne Frau verehrt und umschmeichelt wurde, verzieh er und gestattete er ihr alles. In Merton ging es daher auch während seiner Anwesenheit herrlich und in Freuden weiter. Von nah und fern strömten die Besucher herbei, um den gefeierten Helden zu sehen und ihm und seiner Freundin Beweise ihrer Verehrung zu geben. Sein Verhältnis zu Lady Hamilton wurde in der Gesellschaft mit wenigen Ausnahmen so anerkannt, daß er sie stets bei Empfängen als seine Frau vorstellte und immer nur bedauernd hinzufügte, »unglücklicherweise sei sie noch nicht Lady Nelson«.

Sehr bald mußte er von neuem von der heißgeliebten Frau scheiden. Im September 1805 verließ er England auf seinem Schlachtschiff »Victory«. Im Oktober ward ihm die Schlacht von Trafalgar zum Verhängnis. Er wurde von einer Musketenkugel tödlich getroffen. Das Rückgrat war ihm zerschossen. Seine letzten Gedanken galten seiner großen unauslöschlichen Liebe. Sein Fregattenkapitän Hardy, der um ihn war, empfing den letzten Gruß des Admirals an die geliebte Frau. »Ich scheide«, sagte er. »Es wird bald mit mir vorbei sein. Hardy, geben Sie bitte meiner lieben Lady Hamilton meine Haare und alles, was mir sonst gehört ... Ach, wie würde sie sich grämen, wenn sie wüßte, wie es mir geht! ... Hardy, sorgen Sie für meine liebe Lady Hamilton! Sorgen Sie für die arme Lady Hamilton!« Und dann immer wieder zum Arzt gewendet: »Doktor, grüßen Sie mir Lady Hamilton und meine Horatia! Sagen Sie ihr, daß ich ein Testament gemacht und sie meinem Vaterland als Vermächtnis hinterlassen habe.« So treu schied Nelson von der fernen, über alles geliebten Frau. Leider ging es mit ihr nach seinem Tode sehr schnell abwärts. Sie ergab sich immer mehr ihrem ausschweifenden Leben und stürzte sich in ungeheure Schulden. Als sie nichts mehr zu verschenken hatte, wandten ihr die meisten, die an ihrer Tafel gegessen und in ihrem Hause geschwelgt hatten, den Rücken. Schon drei Jahre nach dem Tode Nelsons hatte Lady Hamilton ihr ganzes Vermögen und das ihrer Tochter verschwendet. Mertonplace mußte veräußert werden, und auch über ihren eigenen Besitz in London wurde verfügt. Schließlich kam sie 1815 ins Schuldgefängnis. Aus der schönen berühmten Frau war ein armes Weib geworden, das von der Gnade der wenigen Freunde lebte, die ihr noch blieben. Mit deren Hilfe entfloh sie auch aus dem Gefängnis nach Calais in der Hoffnung, bis nach Italien zu kommen, wo sie auf die Hilfe ihrer früheren reichen Freunde hoffte. Aber schon ein halbes Jahr später, im Jahre 1815, starb sie in Calais an einem Leberleiden. Das üppige Leben und die Freuden der Tafel hatten ihrer Gesundheit und besonders ihrer Gestalt furchtbar geschadet. Sie war sehr dick und unförmig geworden, und von der einstigen Schönheit war nichts geblieben als ihre schöne melodische Stimme und ihre hellen blauen Augen.


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