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Der Todtenkopf.

Der klare Abend, welcher sich beruhigend einem schwülen Sommertage anschloß, hatte den neuen Gutsbesitzer, Obersten Kielholm, mit seiner kleinen Familie auf die steinerne Bank vor dem Herrenhause gelockt. Um mit den einzelnen Unterthanen allmählig bekannt zu werden, gefiel es ihm, manchen Vorübergehenden um sein Treiben und Thun zu befragen, und mancher Beschwerde durch Rath oder auch wohlthätige Unterstützung abzuhelfen. Eine besondere Freude gewährte es der Familie, daß der schrägüberliegende Gasthof, der unter seinem vorigen Inhaber ein abstoßendes, schmutziges Ansehen gehabt hatte, mit jedem Tage sich stattlicher herausputzte. Es freute sie um so mehr, da der neue Gastwirth, der zuvor Jahre lang ihrem Dienste eifrig vorgestanden, schon jetzt die guten Folgen seiner Verbesserungen lobte und in dem neuen Gewerbe sich überaus wohlgefiel, das ihn und seine junge Frau nebst den Zugehörigen künftig einmal reichlich zu nähren versprach. Wo sonst, trotz der lebhaften Straße, kein Mensch so leicht gewagt hatte, eine Nacht zuzubringen, da kehrten jetzt tagtäglich Gäste ein. Immer standen Kutschen im Hofe und vor dem Hause, und die insgemein recht freundlichen Mienen der zur Abreise wieder Einsteigenden gaben dem Wirthe, der mit abgezogener Mütze am Kutschenschlage zu stehen pflegte, ein unzweideutiges Zeugnis für die Güte und Billigkeit seiner Anstalt.

Ein eben verschwundenen, beweglicher Gemälde dieser Art lieh jetzt den Stoff zur Unterhaltung, als eine seltsame Equipage, die von der andern Seite herankam, die Aufmerksamkeit des Obersten und der Seinigen an sich zog. Einem langen, mit Kasten und allerlei Geräthe beladenen Leiterwagen waren zwei in Größe, Gestalt und Farbe durchaus verschiedene und von einander lächerlich abstechende Pferde vorgespannt, welche dem Hungertode allmählig entgegen zu gehen schienen. Ein zweiter, vermuthlich durch Beraubung des benachbarten Waldes erst zum Theil zur Laube eingerichteter, unförmlich langer und breiter Wagen hatte vier, nicht viel bessere Pferde aufzuweisen. Das wunderliche Völkchen, das auf diesem Wagen saß, frappirte die Gesellschaft am meisten. Mit Kindern und Erwachsenen, mit Männern und Weibern war er vollgestopft. Aber kein Augenpaar schien dem andern freundlich zugeneigt. Aus den braunen Gesichtern sprach theils Mißbehagen, theils entschiedener Haß und Widerwille. Das war keine Familie, sondern ein aufgeraffter Troß, der, vermuthlich nur durch Furcht und Bedürfnis der Nahrung, locker zusammengehalten wurde.

Der scharfe Blick des Obersten entdeckte dies schon in ziemlicher Entfernung. Er sah auch deutlich, wie sich aus dem Laubgewölbe im Hintertheile des Wagens ein besser als die Uebrigen gekleideter Mann hervorbewegte, und auf ein ermahnendes Wort von ihm alle sich nach dem Hause zukehrten, und mildere Geberden annahmen, auch Haar und Kleider in bessere Ordnung zu streichen suchten.

Der vordere Wagen hielt schon am Gasthofe, als der andre beim Herrenhause vorüberkam, und äußerst demüthige Grüße die Gewogenheit der Gutsherrschaft erbitten zu wollen schienen.

Kaum stand der zweite Wagen still, als auch schon alles herausgesprungen war. Jedes beeiferte sich der Nähe des Nachbars baldigst zu entkommen. Das überaus flinke und künstliche Herabspringen selbst gab den sichersten Aufschluss über das Gewerbe der Leute. Unfehlbar waren es Equilibristen.

Der Oberste äußerte, daß sie ohngeachtet der ehrerbietigen Grüße ihre Künste wohl schwerlich hier Preis geben, sondern allem Vermuthen nach ohne Verzug der Residenz zu reisen würden, weil es sich kaum der Mühe verlohne, die reiche Losung, welche sie dort erwarte, des dürftigen Gewinnes halber, auf den sie hier rechnen könnten, auch nur einen Tag später einzunehmen.

»Wir haben diese Leute,« sagte er, »von ihrer schlechtesten Seite gesehen, ohne die Hoffnung, sie auch von der guten kennen zu lernen.«

Seine Gemahlin schien eben ihre Abneigung vor allen halsbrecherischen Künsten ausdrücken zu wollen, als der besser denn die Uebrigen gekleidete Mann herüberkam, und nach einer tiefen Verbeugung um Erlaubniß bat, sich einige Tage hier aufhalten zu dürfen. Der Gutsbesitzer konnte um so weniger etwas dagegen haben, da der höfliche Fremde zu gleicher Zeit einen ganz unverdächtigen Paß überreichte.

»Nur ersuche ich Sie,« sagte der Oberste lächelnd, »Ihren Leuten recht einzuschärfen, daß alles Unerlaubte auch in meinen Dörfern verboten ist, damit verdrießlichen Händeln ausgewichen werde.«

»Sorgen Sie nicht, gnädiger Herr. Eine sehr strenge Disciplin greift der Ambition meiner Truppe nachdrücklich unter die Arme. Sie ist gewissermaßen ihre eigene geheime Polizei. Alle müssen mir für einen und einer für alle stehen. Jeder hat die Pflicht auf sich, das Unrecht des Andern zu entdecken. Auch wird er dafür jederzeit obendrein belohnt; wogegen die Verheimlichung immer zu einer empfindlichen Strafe führt.«

Die Gemahlin des Obersten konnte ihren Abscheu vor so grausamen Verhältnissen kaum verhehlen. Der Fremde entdeckte ihn und sagte achselzuckend: »Ein jeder muß sich in seine Lage zu fügen suchen. Ich habe gefunden, daß ohne eine Behandlung dieser Art kein Auskommen mit solchen Leuten ist; Uebrigens können Ew. Gnaden um so sichrer auf meine Wachsamkeit am hiesigen Orte rechnen, da ich das Glück habe hier geboren zu seyn, und dieserhalb doppelte Verpflichtungen gegen den Ort und dessen gnädige Herrschaft in mir fühle.«

»Von hier?« sagte die Oberstin verwundert.

»Nicht anders, gnädige Frau. Mein Vater war der Schulmeister Schuster, der vor Kurzem erst gestorben ist. Ich nenne mich Calzolaro, weil ich gefunden habe, daß mein Gewerbe unter italienischem Namen sich etwas dankbarer beweist, als unter deutschem.«

Das Interesse der Herrschaft an dem nicht ungebildet scheinenden Manne verdoppelte sich. Es war bekannt, daß der wegen der Volksmenge des Kirchspiels ziemlich reich verstorbene Schulmeister seinen einzigen Sohn auf den Pflichttheil reduzirt, und eine entfernte junge Verwandte zur Universalerbin eingesetzt hatte. Man bedauerte ihn daher nicht allein aus gewohnter Höflichkeit, sondern auch, weil durch die angenehme Gestalt des jungen Mannes sowohl, als durch sein Benehmen das Mitleid der Gutsherrschaft wirklich rege geworden war.

»Mein Vater,« sagte Calzolaro, »hat nicht väterlich an mir gehandelt. Daher glaube ich auch um so eher von dem Rechte Gebrauch machen zu müssen, was mir gegen sein Testament zu Gebote steht. Es hat einige wesentliche Mängel, und ich bin im Begriff diesen sogenannten letzten Willen förmlich umzustoßen. Doch verzeihen Ew. Gnaden, daß ich Sie mit diesen Dingen behellige, welche das Gespräch unwillkührlich herbeiführte. Nur noch eine unterthänige Bitte erlauben Sie mir. Zum Dank für die gnädige Aufnahme wünschte ich, Ihnen etwas von den Künsten meiner Truppe sehen zu lassen.

Der Oberste zeigte sich beifällig, und der Tag dazu wurde festgesetzt.

Noch an demselben Abend suchte Calzolaro den Pastor auf, um ihm sein Vorhaben gegen des Vaters Testament mitzutheilen. Der gute fromme Mann entsetzte sich davor. Er suchte ihm die Gerechtigkeit des väterlichen Zornes zu beweisen. »Denken Sie sich, junger Mann,« sagte er, »einen Greis, der dieses in seinem Berufe geworden ist, und sich eines Sohnes erfreut, in dessen Hände er diesen Beruf legen kann. Denken Sie sich einen Sohn von Talent, Kenntniß und Willen dazu. Was hat der Vater weiter zu thun, als dahin zu streben, daß dieser Sohn nach seinem Hinscheiden sein Amt erhalte. Auch hierin begünstigt das Glück Ihren Vater. Der Sohn wird zu seinem Nachfolger ernannt. Und nun, wie sich der Greis ganz geborgen und glücklich glaubt, wird dieser Sohn auf einmal durch lockere Gesellen dem zwar ziemlich unbeachteten, aber doch gewiß ehrwürdigen Kreise seiner Zukunft entrissen! Lieber Schuster, wenn Sie auch damals, als Sie Ihren würdigen Vater heimlich verließen, um zaum- und zügellos in der Welt herumzuschwärmen, seinen Kummer darüber aus Leichtsinn vergessen konnten, so dürfen Sie doch das jetzt nicht mehr; oder ich würde Sie ohne Rückhalt einen Bösewicht nennen. – Und that auch nachher Ihr Vater nicht alles, um Sie auf die gute Bahn zurückzurufen? Aber Sie verstopften Ihr Ohr dem väterlichen Worte.«

»Weil die Verbindung, in der ich damals lebte, Rechte auf mich hatte, die ich nicht wie ein mißfälliges Kleid von mir werfen konnte. Wäre ich mein eigener Herr gewesen, wie jetzt – –«

»Keine Silbe weiter darüber. Nur so viel bitte ich Sie, Ihres Vaters Gebeinen nicht durch Umstoßung seines Willens die gebührende Ehrfurcht zu versagen.«

Wirklich war der junge Mann durch diese Reden und das ehrwürdige Ansehen des Pfarrers schwankend in seinem Entschlusse geworden. Allein dieser stand schon am folgenden Tage wieder fest. Er hörte nämlich hier und da, mit welcher Erbitterung sein Vater von ihm noch kurz vor seinem Ende gesprochen hatte, und wurde dadurch so entrüstet, daß er nun nicht einmal von einem Vergleiche mit der Erbin etwas wissen wollte, den der Pfarrer in Vorschlag brachte.

Selbst der Gutsherr suchte vergebens Vermittler zu werden, und überließ, da er dies sah, die Sache ihrem Gange. Uebrigens fand er Interesse an dem neuen Bekannten von so abentheuerlichem Gewerbe, wohnte mancher Uebung der Equilibristen bei, und ergötzte sich so sehr an der wohlgelungenen Vorstellung, welche Calzolaro zur Freude seiner Familie veranstaltet hatte, daß er ihn zu einer zweiten bewog, worauf er einigen Bekannten aus der Nachbarschaft Einladungskarten schickte.

Bei dieser Gelegenheit sagte Calzolaro: »Bis hierher haben Sie noch gar wenig von meiner eigenen Fertigkeit gesehen. Aber glauben Ew. Gnaden nicht, daß ich immer nur als Kritiker unthätig neben den Leuten stehe. Ich habe meine Kunstsphäre so gut wie diese, und behalte mir vor, Ihnen, ehe ich abreise, mit manchem magnetischen und elektrischen Stücke ein Stündchen, vielleicht nicht unangenehm, zu vertreiben.«

Der Oberste erzählte hierauf, wie er erst vor Kurzem einen Mann dieser Art in der Residenz gesehen, von dem ihm manches recht wohlgefallen habe. Am meisten sei er durch die sogenannte Bauchsprache überrascht worden, worin derselbe ganz vorzüglich gewesen sei.

»Darin grade,« antwortete Calzolaro, »glaube auch ich mich mit jedem messen zu können.«

»Das freut mich,« rief der Oberste. »Besonders müßte ein Gespräch, das jener Mann scheinbar mit einem Todtenschädel hielt, einen großen Effekt hervorgebracht haben, wenn von Gastrologie zuvor gar nicht die Rede gewesen wäre.«

»Wenn Ew. Gnaden beföhlen, so konnte man dies ja versuchen.«

»Schön!« sagte der Oberste, und fügte, nachdem Calzolaro gute Beweise von seiner Geschicklichkeit in der erwähnten Kunst gegeben hatte, hinzu: »Man müßte das Schauerliche der Sache noch durch manche Nebenmittel mehr hervorheben: z. B. durch schwarze Bekleidung des Gemachs, Auslöschen aller überflüssigen Lichter, die Wahl der Mitternachtsstunde u. s. w. Es müßte eine Art von geistigem Dessert nach dem Abendtische, ein ganz unerwartetes Schauspiel werden, wobei den Zuschauern etwas Eis über den Körper liefe, damit sie bald darauf, bei Enträthselung der Sache, reichlichen Stoff zum Lachen über ihre eigene Furcht gewännen. Denn ohne einiges Grauen wird es wohl, wenn alles gelingt, für niemand abgehen.«

Calzolaro nahm Interesse an dem Projekt, und versprach, gewiß nichts zu vernachlässigen, was dessen Gedeihen befördern könne. Ein Kabinet wurde indessen geräumt und schwarz ausgeschlagen. Aber alles möglichst geheim. Nur die Oberstin, auf deren Verschwiegenheit man bauen konnte, war von dem Vorhaben unterrichtet.

Ihr Gemahl hatte sogar einen kleinen Zwist bei dieser Gelegenheit mit ihr. Sie verlangte nämlich, daß zu dem seltsamen Schauspiele das Modell eines Todtenkopfes von Gips angewendet werde, wonach der älteste Junker zeichnete. Allein der Oberste bestand darauf, daß ein wirklicher Schädel dazu gehöre, weil sonst die Illusion der Zuschauer gar leicht gestört werden könnte, auch der Schädel, nachdem man ihn sprechen gehört hätte, zu vollkommener Ueberzeugung, daß es einer sei, den Gästen zum Anschauen herumgegeben werden solle.

»Und woher den Schädel nehmen?« fragte die Oberstin.

»Dafür wird der Todtengräber schon Sorge tragen.«

»Und welches Todten Ruhe soll durch diesen frivolen Scherz gestört werden?« fragte die Oberstin.

»Wie sentimental!« rief Kielholm, der die Sache weit leichter nahm. »Man hört es wohl, daß Du kein Schlachtfeld mit angesehen hast, wo für die Ruhe der Todten nur so lange gesorgt ist, als der Landmann es will, auf dessen Acker sie eingescharrt liegen.«

»Gott bewahre mich auch für solchem Anblick!« sagte die Oberstin und entfernte sich, da sie wohl merkte, daß der Gemahl für ihre Einwendungen durchaus keine Empfänglichkeit besaß.

Auf sein Geheiß schaffte der Todtengräber einmal des Abends einen wohlerhaltenen Schädel herbei.

Am Morgen des für das eigene Schauspiel festgesetzten Tages sann Calzolaro eben im nahen Wäldchen über die Anrede an den Todtenkopf und dessen Antworten, auch darüber nach, wie der Schädel am besten zu placiren sei, um sogleich dem Verdacht entgegen zu arbeiten, als ob seine Antworten durch Communication mit einer versteckten Person hervorgebracht würden. Da kam der Pfarrer vom Filiale gefahren, wohin er in der Nacht zu einem Sterbenden war geholt worden. Der fromme Mann, der in diesem zufälligen Zusammentreffen einen Fingerzeig des Himmels zu finden glaubte, ließ halten, um den Abentheurer nochmals zu einem Vergleiche zu rathen. »Ich habe,« sagte er, »von der Erbin Ihres Vaters erst gestern Abend einen Brief erhalten. Um alle öffentliche Störung der letzten Verfügungen des würdigen Mannes zu vermeiden, bietet sie Ihnen die Hälfte des ihr zugesprochenen Vermögens freiwillig an. Das werden Sie doch wohl dem ungewissen Ausfalle eines für Sie an keine Weise ehrenvollen Prozesses vorziehen?«

Allein Calzolaro blieb dabei, daß die Gesetze zwischen ihm und dem Erblasser entscheiden sollten. Der rechte Gesichtspunkt war dem jungen Manne verrückt, aus dem er seines Vaters Widerwillen gegen ihn hätte beurtheilen sollen. Der Pfarrer, der alle Bitten und Vorstellungen verschwendet sah, verließ ihn im Zorne, und Calzolaro ging langsam in den Gasthof zurück, um den Equilibristen ihr Pensum für den heutigen Tag aufzugeben und ihnen zugleich zu sagen, daß er zwar nicht in der Nähe seyn, aber doch von weitem alles Vorzügliche wie alles Fehlerhafte beobachten werde. Auch das, daß er sich den Gästen nicht als Vorsteher dieser Gaukler zeigen wollte, war ein Kunstgriff auf die Nacht berechnet, wo er als ein gänzlich Unbekannter das Räthselhafte der Scene zu erhöhen dachte.

Das Voltigiren und Seiltanzen lief vorzüglich ab. Je seltener die auf dem Lande lebenden Gäste etwas Bedeutendes in diesen Künsten zu sehen bekamen, desto mehr fanden sie sich veranlaßt, die Kräfte der Truppe zu bewundern und zu erheben. Besondern Beifalls genossen die Kinder, die für ihr Alter in der That nicht wenig leisteten. Des Mitleid mit einem bedauernswürdigen Schicksale ging dem Beifall zur Seite, und die Damen beeiferten sich durch kleine Gaben freundliche Gesichter hervorzulocken.

Die Geschicklichkeit der Truppe war den ganzen Nachmittag der Gegenstand des Gesprächs, ja der Abendtisch hatte noch viel davon zu hören, bis der Hausherr, welcher bis dahin häufig ab- und zugegangen war, endlich ebenfalls festen Platz nahm und also anfing: »Ich freue mich, meine gnügsamen Freunde mit dem kleinen Schauspiele, das ich ihnen zu geben hatte, so zufrieden zu sehen. »Ich freue mich um so mehr darüber, daß ich manches Natürliche mit dem Namen: unbegreiflich belegen höre, da ich im Stande bin, noch diesen Abend etwas in der That Unbegreifliches Ihrer Prüfung zu unterwerfen. Es ist nämlich in diesem Augenblicke ein Mann auf meinem Gute, der einen so seltsamen Verkehr mit der Geisterwelt hat, daß er die Todten selbst zur Antwort auf seine Fragen zu nöthigen versteht.«

»Ei,« sagte eine Dame lachend, »machen Sie uns nicht bange!«

»Jetzt spotten Sie,« versetzte der Oberst, aber ich wette darauf, daß Ihre Laune bei der Scene ein wenig erschüttert werden soll.«

»Ich gehe die Wette ein!« war die Antwort.

Die Uebrigen traten der ungläubigen Dame bei, und erklärten sich so laut und übermüthig gegen die Wahrheit von dergleichen Schauerscenen, daß der Oberste für den Effekt der vorhabenden wirklich besorgt zu werden anfing, und gewiß die ganze Sache unterlassen hätte, wenn er nicht von seinen Gästen selbst beim Worte gefaßt worden wäre.

Die Gäste gingen noch weiter. Sie drangen in den Wirth, sie doch nicht so lange auf die versprochenen, großen Dinge warten zu lassen. Aber der Oberste, der, um nur einigermaßen seine Rolle zu behaupten, den Spott, welcher sie dazu trieb, ganz ignorirte, versicherte ernstlich, daß vor der Mitternachtsstunde das Experiment durchaus unmöglich sei.

Endlich schlug die Thurmuhr zwölfmal, und der Hausherr winkte den Bedienten, daß sie einige Reihen Stühle vor die Thür eines Seitenkabinets setzten. Dann lud er die Gäste ein, auf diesen Stühlen Platz zu nehmen, und befahl, als das geschehen war, das Auslöschen sämmtlicher Lichter.

Während dieses vor sich ging, sagte er: »Noch will ich meine Freunde vor allem Vorwitze gewarnt haben!«

Es war in der That, als ob das Ernste und Feierliche dieser Worte einen tiefen Eindruck auf die Versammlung mache, welcher schon der Schlag der Mitternachtsstunde und dann das Verlöschens eines Lichts nach dem andern einen Theil ihres Unglaubens benommen zu haben schien.

Dazu erschollen aus dem Gemache, vor dem die Versammlung saß, der Geisterbeschwörung tiefe, wunderliche Töne, die von abgemessenen Hammerschlägen unterbrochen wurden, bis endlich beide Flügelthüren auseinander flogen, und aus der Weihrauchwolke, welche das ganze Kabinet ausfüllte, nach und nach die mit einfachem Schwarz bekleideten Wände zum Vorschein kamen, nebst einer ebenfalls schwarz umhangenen Ara, von der ein Todtenkopf die Gesellschaft schauerlich anblickte.

Schon jetzt schienen die Athemzüge der Anwesenden lauter und unsichrer zu werden als zuvor. Ja, die Unruhe vergrößerte sich, jemehr allmählig der Weihrauchnebel dem klaren Lichte weichen mußte, das von einer an dem Platfond befestigten großen Alabasterlampe ausging. Auch blickten die meisten sehr besorgt um sich, wie sie ein Geräusch hinter sich vernahmen, welches beiläufig gesagt, von niemand herrührte, als ein Paar Hausofficianten, denen der Oberste erlaubt hatte, die Scene in einiger Entfernung mit anzusehen.

Nach einer Minuten langen Todtenstille trat endlich Calzolaro von der Seite hervor. Ein langer Bart hatte sein noch ziemlich jugendliches Gesicht dermaßen verändert, daß er, selbst wenn ihn jemand von den Anwesenden schon früher gesehen gehabt hätte, schwerlich wieder erkannt worden wäre. Die morgenländische Kleidung, die er zu dem Akt gewählt hatte, kam dazu, so daß schon sein Auftreten allein eine große Wirkung hervorbrachte.

Um sogleich durch den Stolz auf seine höhere Kunst zu imponiren, hatte der Oberst ihm geheißen, ohne alle Verbeugung und höfliche Anrede an die Versammlung aufzutreten, auch überhaupt eine Sprache zuführen, welche von der gewöhnlichen Umgangssprache um ein Merkliches abwiche. Ein mystischer Galimatias, meinten beide, würde dabei gar nicht zu verwerfen seyn.

Calzolaro begann daher mit tiefer, erschütternder Stimme:

»Das Leben ist da, um sich in den schwarzen Schlund, den wir Tod nennen, hinabzutauchen, und dort einem ganz neuen, stillen Reiche einverleibt zu werden. Es aus diesem Reiche wieder hervorzuziehen, darin besteht der Zweck aller höhern Kunst. Mögen Thoren und Schwachköpfe von Unmöglichkeiten schwatzen, der Weise beklagt sie, die nicht wissen, was möglich oder unmöglich, war wahr oder falsch, was Licht oder Schatten ist, die die großen Geister nicht kennen und begreifen, welche aus den stummen Gruften und Gräbern, aus den zerfallenen Gebeinen der Abgeschiedenen eine so schauerliche als wahre Sprache vor das erstaunte Ohr der Lebenden bringen. – An Euch, die Ihr hier versammelt seid, vorerst ein warnendes Wort. Hütet Euch durch irgend eine vorwitzige Frage die Rache des Geistes zu reizen, der von meinem ersten Worte an diesen Todtenkopf unsichtbar über ihm schweben wird. Versuchet übrigens Euer Grauen zu mäßigen, und höret alles in Demuth und Ruhe. Denn ich nehme die Gehorsamen in meinen mächtigen Schutz, und lasse nur die Frevler von dem wohlverdienten Verderben ereilen.«

Der Oberste bemerkte mit innigem Wohlgefallen, welchen Eindruck diese hohlen, mit der nöthigen Pracht und Anmaßung ausgesprochenen Worte auf die vor Kurzem noch so ungläubige Versammlung machten.

»Die Sache gelingt besser als ich mir eingebildet hätte!« flüsterte er seiner Gemahlin zu, die jedoch kein Wohlgefallen an der Scene bezeigte, ja sie einzig ihrem Gatten zu Liebe mit abgewartet hatte.

Calzolaro fuhr indessen fort: »Betrachtet diesen Schädel. Armselig und hülflos, wie er jetzt vor Euch liegt, gehörte er einst einem der stolzesten, unmäßigsten Tyrannen. Meine geheime Kunst öffnete die Riegel, welche das marmorne Grabgewölbe einer Reihe von Fürsten verschloß. Und nun ist er da, dem Geweihten der Geister Rede zu stehen über sein ganzes, einst so furchtbares Herrscherleben. Erzittert nicht, wie sehr er auch in Drohungen gegen mich und Euch ausbrechen sollte. Denn nur vergebens wird seine Ohnmacht sich mit der verschwundenen Größe gegen meine Herrschaft über ihn zu sträuben suchen, wenn keine strafbare Voreil von Eurer Seite den stillen Gang meiner ernsten Fragen zu unterbrechen sucht.«

Nach diesem öffnete er eine der Versammlung unsichtbare Seitenthüre des Kabinets, langte eine Kohlenpfanne herein, streute Weihrauch darauf und ging dreimal damit um die Ara herum, unverständliche Laute nach allen vier Ecken aussprechend. Dabei zog er ein Schwert, mit dem er umgürtet war, aus der Scheide, und hieb damit in den Weihrauch hinein, auch einigemal mit entsetzlich verzogenem Gesichte und als ob er den Schädel zerspalten wollte, nach diesem, den jedoch sein Schwert unberührt ließ. Darauf faßte er ihn mit der Spitze des Schwertes an, hielt ihn vor sich hin und trat damit den geängsteten Zuschauern näher.

»Wer bist du, elender Staub, hier auf meiner Degenspitze?« fragte Calzolaro, und das noch mit festem Auge und gut abgemessener Stimme. Aber kaum ist die Frage aus seinem Munde, so erbleicht er plötzlich, sein Arm erzittert, die Knie schwanken. Die starren, auf den Schädel gerichteten Augen vergehen ihm. Kaum daß er zuvor noch das Schwert und den Todtenkopf auf die Ara zu legen vermag, sinkt er plötzlich und mit allen Merkmalen eines grenzenlosen Entsetzens zu Boden.

Die außer Fassung gerathenen Gäste sehen den Wirth, der Wirth sieht die Gäste an. Niemand weiß, ob dieser räthselhafte Vorfall mit zur Sache gehöre, oder wie er sonst zu erläutern seyn möchte.

Die Versammlung ist aufs höchste gespannt. Man wartet noch lange, aber der Aufschluß will sich nicht finden. Endlich regt sich Calzolaro wieder und fragt, ob sein verstorbener Vater wieder hinweg sei?

Hat man sich vorher verwundert, so erstaunt man nun. Der Oberste will wissen, was diese Sonderbarkeiten zu bedeuten hätten, und ob er die Versammlung mit dem versprochenen Todtengespräche zum Besten gehabt habe?

Calzolaro äußert hierauf, er wolle sich in alles ergeben und jede Bestrafung seines unseligen Frevels gern erleiden, nur bitte er inständig, daß der Schädel wieder an seine Ruhestätte gebracht werde.

Er hatte alle Haltung verloren und stand auch nicht eher vom Boden auf, bis die Oberstin seiner Bitte nachgegeben und Befehl ertheilt hatte, den Todtenkopf sogleich auf den Gottesacker zu schaffen, um ihn wieder beerdigen zu lassen.

Bei dem so ganz unerwarteten Ausgange der Sache verwendete sich kein Auge von dem vor Kurzem noch so hochfahrenden Redner, welcher gar nicht wieder zu Athem kommen konnte und von Zeit zu Zeit flehende Blicke herüberwarf, daß man sich nur solange gedulden möchte, bis seine Kräfte wieder zum Vortrag gesammelt seyn wurden.

Der Oberste erzählte inzwischen den Anwesenden, welch ein Scherz auf eine bis jetzt noch unerklärliche Weise verfehlt worden war. Endlich fing Calzolaro sehr kleinmüthig an:

»Das Gaukelspiel, das ich vorhatte, hat gar furchtbar für mich geendigt. Zum Glücke scheint der höchstgeehrtesten Versammlung der schreckliche Anblick erspart worden zu seyn, der mich wohl um alles Bewußtseyn bringen mußte. Denken Sie sich, daß kaum, da ich den Schädel mit dem Schwerte aufgehoben und angeredet habe, er mir auch ganz in der Gestalt meines verstorbenen Vaters erscheint. Ob es mein Ohr war, das seine Worte selbst hörte, weiß ich nicht, noch wie sonst mir der Sinn der Anrede: »Erzittre Vatermörder, wenn Du nicht umkehrst und den Weg erwählst, den Du schändlicher Weise verlassen hast,« beigebracht wurde.«

Die grausende Erinnerung beengte den Athem des Abentheurers dergestalt, daß er nichts weiter zu sprechen vermochte. Der Oberste erklärte indessen der Versammlung in der Kürze, was dieser dunkel in der Rede seyn mußte.

Darauf sagte er zu dem reuigen Gaukler: »Da Ihnen Ihre Phantasie nun einmal den befremdenden Streich gespielt hat, so ersuche ich Sie, ihr, um künftigen ähnlichen Vorfällen auszuweichen, wenigstens in so weit zu gehorchen, um mit der Erbin Ihres verstorbenen Vaters den angebotenen Vergleich einzugehen.«

»Nein, gnädiger Herr,« erwiederte er, »keinen Vergleich! Dadurch würde meine Schuldigkeit nur halb erfüllt. Alles soll ihr gehören und der Prozeß niedergeschlagen werden.«

Zugleich versicherte er, daß er seine zeitherige Lebensweise aufgeben und den Wunsch seiner Vaters ganz erfüllen wolle.

Der Oberste äußerte hierauf, daß dies ein sehr guter Gedanke sei, der ihn mit dem Striche durch die Rechnung, den er ihm diesen Abend gemacht habe, gänzlich aussöhne.

Die Versammlung ermüdete nicht mit mancherlei, zuweilen recht seltsamen Fragen an den Geisterseher. Unter andern verlangte man zu wissen, ob der Kopf, der ihm erschienen sei, leichenähnlich oder gesund ausgesehen habe.

»Vermuthlich das erste,« war seine Antwort. »Die grausende Wirkung des Ganzen hatte mich so zermalmt, daß ich das Einzelne wohl darüber vergessen mußte. Denken Sie sich nur einen Sohn, der aus dem Schwerte in seiner Hand den Kopf seines eigenen Vaters erblickt! Der bloße Gedanke könnte ja schon allein zum Wahnsinn führen.«

»Hätte ich doch nicht geglaubt,« sagte der Oberste, nachdem er den Geisterseher lange angeschaut hatte, »daß das Gewissen eines Mannes, der wie Sie die Welt durchstreift hat, seiner Einbildungskraft noch so viel zu schaffen machen würde.«

»Also, gnädiger Herr, Sie zweifeln an der Wirklichkeit der Erscheinung! Ich meines Orts bin bereit, darauf den fürchterlichsten Eid abzulegen.«

»Ihre Behauptung widerlegt sich von selbst. Wir alle hier haben ja ebenfalls Augen für das Wirkliche, und niemand sah etwas, als einen gewöhnlichen Todtenkopf.«

»Das kann ich freilich nicht erklären. Aber noch mehr; ich bin sogar überzeugt – woher ist auch mir ein Räthsel – doch überzeugt, wie von meinem eigenen Leben, daß dieser Schädel wirklich der Schädel meines Vaters selbst müsse gewesen seyn. Auch hierauf erbiete ich mich zu dem schauerlichsten Eide.«

»Ihnen den Meineid zu ersparen, soll sogleich vom Todtengräber Auskunft eingeholt werden.«

Der Oberste ging hinaus, um dies anzuordnen. Als er nach einer Weile wieder hereinkam, sagte er: »Wunderbar genug ist der Todtengräber hier im Hause, aber nicht in dem Zustande Antwort zu geben. Um das Schauspiel, welches ich meinen Gästen zugedacht hatte, ebenfalls mit anzusehen, hat er sich unsern Leuten beigesellt, welche zu demselben Zwecke die Thüre, durch welche die Rauchpfanne hereingegeben wurde, leise geöffnet haben. Zugleich mit unserm Geisterseher ist auch der Todtengräber umgesunken und bis diesen Augenblick noch nicht wieder zum Bewußtseyn gelangt, obschon alle hierher gehörige Mittel versucht worden sind.«

Einer der anwesenden Herren behauptete jetzt, daß ein starker Liquor, den er, der ebenfalls zu Ohnmachten geneigt sei, bei sich zu führen pflege, die hartnäckigsten Zufälle dieser Art jederzeit zuverlässig vertreibe.

Die ganze Versammlung begleitete ihn zu dem Kranken. Aber auch dieses Mittel schlug nicht an. »Unfehlbar ist der Mann ein Kind des Todes,« sagte der Herr.

Die Thurmuhr, welche eben die erste Stunde nach Mitternacht ansagte, mahnte zum Aufbruch. Doch die Regung, die unmittelbar darauf in dem Ohnmächtigen von selbst sich zeigte, hielt die Gäste beisammen.

»Gott sei Dank,« rief der Erwachende, »daß er nun wieder zur Ruhe ist!«

»Wer, Alter?« fragte der oberste.

»Der selige Schulmeister!«

»Hat denn der Schädel wirklich diesem gehört?«

»Ach, wenn Sie's nicht ungnädig nehmen wollen, ja. Alte Leute und Vorwitz; man sollte es kaum glauben. Aber ich habe doch welchen gehabt. Nun ist es so gekommen.«

Aus diesen räthselhaften Worten war wenig zu nehmen. Daher fragte der Oberste, wie er auf die Idee gerathen sei, just des Schulmeisters Schädel herauszuholen?

»Eben aus gottlosem Vorwitz. Da spricht man immer, daß, wenn Kinder die Schädel ihrer verstorbenen Eltern nach Mitternacht anreden, diese Schädel wieder zu leben anfangen. Das wollte ich denn versuchen, mache aber in meinem Leben den Versuch nicht noch einmal. Zum Glück ist der Schädel nun wieder zur Ruhe«.

Man fragte ihn, woher er das wisse? und er antwortete, daß er alles in seinem Todtenschlafe gesehen habe. Schlag eins sei seine Frau damit zu Stande gewesen. Dabei beschrieb er die Art ihres Verfahrens nebst allen Umständen.

Die Versammlung war von dem mancherlei Unerklärlichen wieder so munter geworden, daß sie nun auch die Rückkehr des Bedienten abwarten wollte, den der Oberste deshalb sogleich an die Frau des Todtengräbers abschickte. Wirklich verhielt sich alles, wie dieser gesagt hatte. Schlag ein Uhr war der Schädel neubeerdigt gewesen.

Die sonderbaren Vorfälle hatten sämmtlichen Anwesenden eine weit schauerlichere Nacht herbeigeführt, als der Oberste ihnen zugedacht hatte. Seine eigne Einbildungskraft war so aufgereizt, daß ihm jeder leichte Windstoß, jedes knisternde Wort als die Vorboten eines unwillkommenen Zusammentreffens mit der Geisterwelt erschienen.

Mit dem ersten Morgenlichte verließ er daher sein schlafloses Bette, um am Fenster zu sehen, was für ein Leben schon vom Gasthofe her sich hören ließ. Es waren die Gaukler, welche schon fix und fertig auf den Wagen saßen, um abzufahren. Calzolaro fehlte noch. Aber bald erschien er ebenfalls an den Wagen. Man nahm wirklich Abschied von ihm. Besonders schienen die Kinder diese Trennung sehr ungern zu sehen.

Die Wagen gingen ab, und der Oberste winkte dem Zurückbleibenden.

»Fast muß ich fürchten,« redete er ihn beim Eintreten an, »daß Sie die Truppe schon heute gänzlich aufgegeben haben?«

»Und sollte ich dies nicht, gnädiger Herr.«

»Es ist meines Erachtens ein fast so übereilter Schritt als der, welcher Sie in diese Verhältnisse verflocht. Sie hätten doch darauf denken müssen, das kleine Kapital, das in der Sache steckt, mit guter Gelegenheit herauszuziehen.«

»Sie vergessen, Herr Oberster, was mir begegnet ist, und daß ich keinen ruhigen Augenblick mehr unter jenem fast nur halbmenschlichen Kreise haben würde. Der Anblick von voriger Nacht erstarrt mir noch immer das Blut in den Adern, wenn ich ihn in mein Gedächtniß zurückrufe. Alles muß sogleich zur Versöhnung des schwerbeleidigten Schattens geschehen. Uebrigens habe ich mich noch ganz leidlich aus den Verhältnissen gezogen, die wahrlich auch nichts Annehmliches hatten. Denken Sie sich nur das Unglück, einem Trupp zusammengelaufener Menschen vorzustehen, die um einen Bissen schlechten Brotes das Leben jeden Augenblick aufs Spiel zu setzen gezwungen sind. Alles dabei nichts als leerer Schein, Alles muß zusammengegeizt werden, um dem Ganzen seine kümmerliche Existenz zur Nothdurft zu fristen. Die Skelette von Pferden mögen als traurige Beweise dienen. Der Lustigmacher bei der Truppe, ein Mensch ohne alles Gefühl, hat längst nach Uebernahme derselben getrachtet. Er ist, ich weiß es sicher, schon damit umgegangen, mich auf irgend eine Weise aus der Welt zu schaffen, um zu seinem Zwecke zu gelangen. Daher kann man es wohl nicht Uebereilung nennen, wenn ich ihm auch für ein geringes Geld meine Rechte baldmöglichst abgetreten habe. Niemand dauert mich als die armen Kinder. Gern hätte ich sie ihm abgekauft, um sie der unseligen Laufbahn zu entziehen, aber um keinen Preis waren sie ihm feil. Mein Trost ist noch, daß die schlechte Behandlung, die ihrer bei ihm unfehlbar wartet, sie vermuthlich zur Flucht antreiben und so einer bessern Bestimmung zuführen wird.«

»Und Sie, was denken Sie anzufangen?«

»Was ich gesagt habe. Irgend ein kleiner unbekannter Winkel Deutschlands soll dem Berufe gewidmet werden, den mein Vater mir zugedacht hatte.«

Der Oberste bat ihn, noch einige Tage zu warten, weil er vielleicht etwas für seine Zukunft thun könne. Inzwischen kam auch die Erbin seines Vaters, um sich mit ihm zu besprechen. Als er ihr seinen Entschluß eröffnete, ersuchte sie ihn, die Hälfte der Erbschaft wenigstens als freies Geschenk von ihr nicht zurückzuweisen. Das milde gutmüthige Wesen der hübschen Person gefiel ihm dergestalt, daß er sich bald gar um ihre Hand bewarb. Er erhielt die Zusage darauf und der Oberste sorgte nun, um so lieber für den Mann, der sich sein Wohlgefallen erworben hatte. Auf einem fernen Gute, das seiner Gemahlin zugehörte, befriedigte er Calzolaro's Verlangen, seines Vaters Beruf fortzusetzen. Ehe er dahin abging, suchte er seinen deutschen Namen wieder hervor. Auch besorgte der vor Kurzem noch über seinen Starrsinn erzürnte Pastor im Beiseyn der Gutsherrschaft die Trauung des frohen Paares, dem ein artiges Fest auf dem Schlosse bereitet wurde.

Am Abend, als die Sonne kaum untergegangen war, und die Neuvermählten etwas entfernt von den Uebrigen im Laubgange sich einem tiefen Nachsinnen zu überlassen schienen, da sahen sie einander plötzlich an, und es war ihnen, als ob jemand ihre Hände ergriffe und in einander legte. Wenigstens versichern sie, der Trieb, sich die Hand zu reichen, sei so rasch und unwillkührlich in beiden zugleich entstanden, daß sie selbst ein Befremden darüber angewandelt habe.

Einen Augenblick später hätten sie auch beide die Worte gehört: »Gott segne Euch!« und zwar ganz deutlich von der Stimme des verstorbenen Vaters ausgesprochen.

Kurze Zeit darauf äußerte der neue Ehemann gegen den Obersten, daß ihn ohne diese tröstlichen Worte das schreckliche Bild aus jener frevelhaften Nacht gewiß Zeitlebens verfolgt und seine seligsten Stunden plötzlich vergiftet haben würde.

 

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