Ludwig Anzengruber
Der Sternsteinhof
Ludwig Anzengruber

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22. Kapitel

Monate verstrichen, der alte Sternsteinhofer und die junge Sternsteinhoferin liefen einander, sich nicht suchend, noch meidend, ungezählte Male über den Weg; wohl bemerkte er den mißgünstigen Blick, der ihn bei jeder Begegnung seitwärts streifte, ohne daß es ihn zum Nachdenken brachte, wie derselbe stets gleich und unverändert blieb, selbst, als er offen ein immer höhnischeres Gesicht dagegen kehrte. Hat sich halt ein bissel im Reden übernommen, die Neue, und dafür, daß es bei leeren Worten bleibt, ist er der – Alte!

Es war an einem heiteren Abende, als er auf dem ihm eigenen Wägelchen von Schwenkdorf, wo er den Käsbiermartel besucht hatte, heimfuhr; er ließ das Rößlein nach Gefallen des Weges trotten, schmauchte sein Pfeifchen und sah behaglich auf die langsam vorbeistreichenden Hütten und Bäume und Hügel. Als er in Zwischenbühel über die Brücke lenkte, rappelte sich unter einem Busche etwas empor, und obwohl er gar nicht abergläubisch war, so erschrak er doch, als er im Dämmer die Gestalt eines alten Weibes, die hagern Arme mit ausdeutenden Gebärden gegen ihn reckend, auf sein Gefährt zueilen sah; lautauf lachte er aber, als er in der Herzukommenden die alte Kathel erkannte.

»Halt auf!« rief sie halblaut. »Halt auf, Bauer!«

»Öh, Braun! No, was is denn los? Gebärd'st dich ja völlig wie a Luftzauberin!«

»Sag'n muß ich dir was. Heilige Maria und Josef!«

»No, ruf nit erst alle Heiligen an. Was gibt's?«

»O, Bauer, dächt' ich nit, daß ich a Unglück verhüt', wann d' so unvorbereit't dahinterkämst –«

»Hinter was, alte Hex'? Schneid' nit lang h'rum!«

»'n Geduldengel ruf an, 'n Geduldengel, daß dich der Zornteufel nit unterkriegt!«

»Bei dir braucht mer schon a Legion Geduldengel. Na, ich sieh, dich hat was ganz aus'm Häusel g'bracht, also nimm dich z'samm, fang amal an z'reden!«

»'s wird dir was abgeh'n, wann d' heimkommst.«

»So?«

»Aber g'stohl'n is 's dir nit.«

»Was denn, in drei Teufelsnam'?!«

»Jesses, fluch' nit, nit jetzt schon, eh' d' noch was weißt!«

»Red' du, so erspar' ich's Schelten.«

»Dein' eiserne Geldtruh'n, – sie is dir nit g'stohl'n –«

»Mein' 's, dö steckt keiner in' Sack.«

»Aber wegg'führt is 's word'n.«

»Bist überhirnt? Wer sollt' mir an die g'rührt hab'n?«

»Die Bäuerin –.«

»Himmelherrgottssakkerment,« brüllte der Alte, »die Einschleicherin, die Diebin, an 'n Mein'm vergreift sie sich, die –«

Kathel faltete die Hände. »Um Gotteswillen, Bauer, schrei' nit so h'rum, sonst rennen d'Leut' aus'm Ort herzu, oder mer hört's ob'n auf'm Hof, und 's kommen welche nachschauen; Zutrag'n is mein' Sach' nit, und wann mer mich da find't, werd' ich af meine alten Täg' noch davong'jagt. Laß' dir lieber sag'n, wie's zug'gangen is!«

»Red'!« keuchte er.

»Du warst kaum fort, so ruft die Bäuerin 'n Michl, 'n Wastl, 'n Heiner und 'n Seff und tragt ihnen auf, die eisern' Geldtruh'n aus dein' Ausgedinghäusel z'schaffen.«

»Wohin? Wohin?«

»In d' schöne Stub'n, wo s' ehnder g'west is und wo s' hing'hört, wie d' Bäuerin sich hat verlauten lassen.«

»Hat sie sich?« lachte der alte Sternsteinhofer grimmig. »Und hitzt steht's dort?«

Kathel nickte.

»Soll a kurze Freud' g'west sein. Wie ich h'nauf komm', werd' ich der saubern Bäuerin mein' Meinung sag'n, und heut' noch, hitzt gleich an der Stell' muß mer all's wieder in alten Stand! Und dö vier Deppen, was blindlings an fremd's Eigen d'Hand anleg'n, dö will ich orndlich schuhriegeln, daß s' an mich denken soll'n, wie können sie sich untersteh'n –? –«

»Mein, was wollten s' machen? Denselben war's g'schafft. Hat eh' a G'schlepp' und Rackern dabei abg'setzt, daß ihnen der helle Schwiz über'n Körper g'loffen is.«

»Hehehe! Glaub's schon. G'schieht ihnen recht, und dasselb' Nämliche können s' gleich wieder zum Verkosten anheb'n; denn ehnder ruh' ich nit – und sollten s' d'halbe Nacht dazu brauch'n, – bis d' Kassa an ihr'm alten Ort steht.«

»Schau', hab' a Einseh'n, 'm Wastl, dem armen Hascher, is s' mit der ganzen Eisenschwer'n af'm Fuß g'fall'n. brüllt hat er wie a Ochs und einbeinlet hab'n s' 'n vom Fleck g'führt.«

»Hehehe! Hat einer dabei was abg'kriegt? Das is mir lieb und leid, daß 's nur der eine war! Hehehe, der wird sich's d'ermerken! Mein' schon auch, wann einer mit 'm Läufel unter paar Zentner g'rat't, daß er alle Engeln singen hört und nachplärrt, wann's auch nit so schön ausfallt. Hehehe! Schad't nix so a Denkzettel. Geh' krump, Lump! Hehehe!«

Mitten in dem lauten Jubel über den Unfall des Knechtes besann sich aber der Alte, wie ganz kindisch und aus seiner eigenen Weis' das sei, er legte das Gesicht in ernste Falten. »Teufl,« murmelte er, »so weit wird's doch nit schon sein mit dir, – du, Sternsteinhofer, – daß d' däppisch wurd'st?! Kam 'n andern recht, dir Herr z'werdn. Ah, nein, fein g'scheit!« Er rückte ein wenig auf dem Kutschbocke zur Seite und sagte zur alten Schaffnerin: »Steig' auf! Woll'n mer gleich der Bäuerin unter d'Augen!«

»Wo denkst hin?« fragte erschreckt Kathel. »Der hab' ich ja g'sagt, ich wollt' af a paar Stündein zur alten Matznerin; 's selb' hab' ich mir ausgebeten und schon a schöne Weil' mit'm Warten af dich verpaßt. Zeugschaft leist' ich dir keine und brauchst doch auch keine. Hitzt muß ich mich nur schleunen, daß ich zu der in's Ort triff, damit ich sag'n kann, ich wär' dort g'west, wann d'Red d'rauf käm'. Gut' Nacht, Bauer, sieh' dich für und tu' nit unüberlegt!« Sie eilte an dem Wagen vorbei über die Brücke, dem Dorfe zu.

Der alte Sternsteinhofer schwang die Peitsche und hieb auf das Pferd ein, dieses jagte in Sprüngen den Hang hinan und riß das Wägelchen hinter sich her. Im Gehöft angelangt, fuhr er gerad'zu auf das Haus los und fast in die Gruppe dreier Bursche hinein, die vor der Türe plaudernd standen. Zwei nahmen lachend Reißaus, der Dritte, der, die Hände in den Hosensäcken, einen Sprung hinter sich getan, um den Rädern auszuweichen, blieb lässig und gleichmütig stehen.

»Was laufen denn dö?« höhnte der Alte, mit der Peitsche nach den Wegeilenden deutend.

»Weil s' Letfeig'n sein,« sagte der Bursche.

»Und du, Lump, b'haltst vielleicht a gut G'wissen, wann d' an einer Dieberei teilnimmst, und trau'st dich noch, mir in's G'sicht z'trutzen!?«

Der Knecht zuckte die Achseln.

»Kein Red' bin ich dir wert? Na, wart', dafür lehr' ich dich Sprüng' machen!«

Schon hatte der Alte mit der Peitsche zum Schlage ausgeholt und der Knecht die Arme abwehrend vorgestreckt, da trat die Bäuerin aus dem Flur. »Wie er dich schlagt, Heiner,« rief sie, »schlag' du nur z'ruck! Das brauchst dir nit g'fallen z'lassen. Du hast nur getan, was dir is aufg'trag'n g'west.«

Da ließ der alte Bauer die Geißel hinter sich in's G'rät fallen und kletterte mit vor Wut bebenden Gliedern mühsam vom Wagensitz herab. »Du – Du –,« stöhnte er mit versagender Stimme, »hetz'test 's G'sind auf, sich an dein's Mann's leiblichem Vadern zu vergreifen? – Wo is der Toni?«

»Ob'n af seiner Stub'n, durch's offene Fenster hört er jed's Wort, was wir da reden, und wann er mir was wehren oder verweisen will, braucht er nur'n Kopf h'rausz'stecken. Den Respekt, der dir als mein's Mann's leiblichem Vader zukäm', gäbet ich dir gern', wollt'st nur du da af'm G'höft nit mehr wie ein solcher bedeuten, aber ein' Neb'nherrn kenn' ich nit und, daß du von unserm G'sind züchtigen willst, wer g'horsamt, das leid' ich nit!«

»Kenn' ich nit – leid' ich nit –« spottete der Alte nach. »O, du –! Hast aber recht, was brauch' ich dem Kerl da erst über'n Grind z'fahren? Ledig an dich hab' ich mich z'halten. Und nit als Neb'nherr, als mein eig'ner und als Herr auf und von mein'm Eig'nem frag' ich, was hast du d'rauf zu suchen, was hast du mir davon z'verschleppen?«

»Schau', schau', du weißt das schon, bevor d' noch d'Augen in deiner Stub'n hast h'rumgehen lassen? No, das Ratsel is nit schwer z'raten; den Weg, den d' kommst, is kein's g'gangen wie d' alt' Kathel, dö Zuträgerin.«

»Dös is a Eh'rnweib und af'm Hof alt word'n.«

»Und wann ich will, wird's auch kein Tag älter d'rauf.«

»Du jagest s' fort?« knirschte der Alte.

»Wann s' dir g'sagt hätt', was du nit erfahren durft'st, b'sinnet' ich mich kein' Augenblick, weil s' dir aber nur g'sagt hat, was ganz unverborgen bleibt, is mer d' Sach' nit so viel Aufhebens wert. G'hörig rüffeln werd' ich mir s' weg'n ihrer Hinterhältigkeit, weiter nix.«

»Ja, hab' d' Gnad' und dann sei auch so gut und laß' mer nur gleich morg'n wieder mein' eisern' Schrein dorthin schaffen, von wo d' 'n heut hast wegschleppen lassen.«

»Dös weniger. Der bleibt, wo er is.«

»Vorenthalten tät'st mir's, Diebin?« brüllte der alte Bauer, die Faust gegen das Weib erhebend, das einen Schritt zurückwich, nicht vor der Bedrohung, sondern vor dem Schimpf. Er ließ den Arm sinken und knurrte höhnisch: »Meinst, hast was davon, dumme Mirl? Fehlt dir nit der Schlüssel? Den folg' ich dir nit aus!«

»Den b'halt' nur,« sagte trotzig Helene. »Ich will a Ordnung, nit das Deine! Der Schrein is bei uns gut aufg'hob'n und der Schlüssel bei dir. Du bist a alter Mann, wie leicht versperrest amal nit, verstreuest selb'n was, oder a fremde Hand greifet zu, dann müßt' 's Oberste z' unterst g'kehrt werd'n, mer hätt' d' Standari af'm Hof und 's ganz G'sind' im unb'schaffenen Verdacht. Besser bewahrt, wie beklagt! Wir langen dir nit h'nein, aber 's is nit mehr als billig, daß wir wissen, wozu du h'neinlangst; du könnt'st auch aus Vergessen ohne G'schrift Kauf' und G'schäften abschließen, dich betrügen lassen, und am End' wüßt' mer nit, wo's Geld hinkämma is, ob d' Gläubiger, die sich melden, auch rechte sein und wo mer d' Schuldner z'suchen hat, d'rum g'hört der Schrein hin, dort wo er hitzt steht, und er is nit's Letzte, was mer in Obhut nehmen muß, wann d' es so weiter fort treibst. Schau 's an, 's arme Roß, da steht's noch und kommt kaum zu ihm von dem Hetzen, wie d' d' Steil'n h'raufteufelt bist; wenn d'Roß und Rind verabsäumst, so kann mer das unschuldig Vieh nit d'runter leiden lassen und müßt 's halt auch in unsere Stall' einstellen.«

»Du nahm'st mer auch noch mein Vieh?«

Die Bäuerin kehrte den Rücken und schritt in den Flur, einen Blick tat sie noch über die Achsel nach dem Alten, und obwohl dieser in der Dunkelheit den Ausdruck, der in demselben lag, nicht zu unterscheiden vermochte, so empfand er ihn doch als eine ebenso entschiedene, wie verhöhnende Bejahung seiner Frage.

»Oh, du!!«

Er schrie auf, und dann, beide aneinandergepreßte Fäuste in einem gegen die Wegschreitende schüttelnd, keuchte er: »All's – all's – nahm'st mer? – Dafür nimm ich 'n Seg'n – von Haus und Hof und Grund! – Von Haus – und Hof – und Grund!«

Taumelnd schritt er seinem Ausgeding zu. Nachdem die braune Stute einen Augenblick nachdenklich gestanden, hierauf, wie von Fliegen beunruhigt, nachdrücklich den Kopf geschüttelt hatte, folgte sie bedächtig mit dem Wägelchen nach.

 

Es war in der darauf folgenden dritten Nacht, der Mond schien in die Schlafstube, der junge Sternsteinhofer gähnte im Bette, und die Bäuerin fragte aus dem ihren nach dem seinen hinüber: »Du Tonl?«

»Was?« murmelte er.

»Hast du die letzten Nacht' her g'schlafen?«

»Wie a Ratz'.«

»Hast nix g'hört?«

»Kein' Laut. Was sollt' ich denn?«

»War vielleicht nur a Einbildung von mir.«

»Wird schon sein.«

»Oder alleinig mir z'hören b'stimmt.«

»Dös is nur wieder a andere. Schlaf, los' nit auf, hörst nix. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Tonl.«

Beide kehrten sich der Wand zu, es dauerte aber nicht lange, so drehte sich die Bäuerin wieder herüber, sie hob den Kopf und stützte ihn mit dem Arme und sah sich in der Stube um; milchweiß glänzte es von der Ecke her, wo das Gitterbettchen stand, in welchem der sechsjährige Muckerl und die anderthalb Jahre alte Juliane schliefen, die volle Mondscheibe beschien den Kindern das Gesicht. Helene erhob sich rasch, sie eilte hin und verhing das Gitter mit Tüchern, damit die Kleinen nicht schwere Träume bekämen oder gar mondsüchtig würden.

Die Kinder hatten die Decke hinuntergestrampelt und lagen nackt. Helene betrachtete den kräftig entwickelten, gesunden Knaben, tippte ihm sachte auf die Wange. »Bist mein sauberes Bürschel, du,« sagte sie und, als zufällig in dem Augenblicke das kleine Mädchen eine greinende Miene zog und das Pätschchen gegen das Auge führte, fuhr sie begütigend fort: »Nein, nein, du auch bist mein schön's Dirndl.« Sie breitete die Decke über beide und schritt nach ihrem Lager zurück. Nahe demselben schwang sie sich plötzlich mit einem Sprunge hinauf und saß aufrecht und lauschte.

Da war es wieder, was sie schon zwei Nächte beunruhigt hatte, was sicher nur ihr zu hören bestimmt war, weil doch sonst niemand etwas darüber verlauten ließ. – Wie aus weiter Ferne, leise, doch deutlich, als liefe es innerhalb der Mauer hinan, für kurz aussetzend, dann hastiger wiederkehrend, scharrte und pochte es; heute aber war das Poltern ärger wie in den beiden Nächten zuvor.

Ein leiser Frost schüttelte die Bäuerin.

Welcher Spuk wollte sich da einnisten und ihr das Heim verleiden? Rumorte die alte Kleebinderin, der sie den Tod gewünscht, oder der Muckerl, der ihr die Untreu' nachtrug, oder die Sali, an deren Stelle sie sich gesetzt?

Wohl war sie nach ihrem Ziele über diese dreie hinweggeschritten, aber sie hatte dabei keines mit dem Fuße gesucht, und daß die im Wege gestanden, wie ein ihr von ihnen zugefügtes Leid empfunden; sie achtete diese Rechnung, Posten durch Posten, aufgehoben, wer oder was wollte nun mit einem Male, gleichsam eines unbeglichenen Restes halber, an sie heran?

Nein, nein, weder die Kleebinderin noch der Muckerl vermochten da auf dem Sternsteinhofe »umzugehen«, wo sie nie heimgesessen waren; die mußten, wenn es sie nicht in der Erde litt, auf dem Kirchhofe »geistern« oder in dem Häuschen, wo sie hausten und starben, hier oben nicht. Es konnte nur die selige Bäuerin sein! Warum aber, wenn die ihr, Helenen, etwas wollte, kam sie nicht in diese Stube, wo sie die längste Zeit vor ihrem Ende zugebracht, an dieses Bett, in dem sie die Augen schloß?

Ein jähes Grauen rüttelte Helenen zusammen, sie setzte die Füße auf die Diele und trat von der Liegerstatt hinweg.

Der Spuk will sie allein an einen einsamen Ort laden und wird nicht eher sich zur Ruhe geben und immer drängender und ungestümer werden, bis sie gehorcht und Folge leistet und dahin geht, wohin er sie verlangt!

Nichts blieb über, um wieder Fried' ins Haus zu bekommen, als gern' oder ungern' ihm »nachzuschauen«, was es auch sein mag und kann! Doch vor dem Ärgsten, daß sich das Gespenst an einem vergreife, konnte man sich ja schützen, und nicht alle Tage kriegt man Geister zu sehen und erfährt dabei sicher Dinge, wovon nicht jeder weiß. – Ist's die vorherige Bäuerin, so soll sie sagen, ob sie eine Sorge auf Erden zurückgelassen, darüber sie nicht zur Ruhe kommt, ob für ihr Seelenheil etwas zu tun, oder ob sie aus Bosheit und Abgunst so »rumore«; der Sorg' soll sie entledigt und erlöst werden, was für eine arme Seele geschehen kann, soll geschehen, aber den Polter- und Plagegeist würde man auch auszutreiben und hinwegzubannen wissen! Nicht das Geringste will sich die derzeitige Bäuerin gegen die vormalige vergeben, und stiege die gleich unter Kettengerassel als leibhafter Höllenbrand aus dem Boden auf! O, sie soll es nur kundgeben, was sie will, und auf Ansprache muß sie ja Rede stehen und das lieber gleich, ehe einem der Graus über den Kopf wächst und man noch der Sinne und der Zunge Meister ist.

»Alle guten Geister loben Gott, den Herrn, sag' an, was is dein Begehr'n?«

Noch einmal wiederholte Helene flüsternd den Spruch, dann begann sie, schwer aufseufzend, ihre Kleider überzuwerfen. Als sie die Strümpfe angelegt hatte, schlich sie zu dem Wäschschrein, zog behutsam eine Schublade auf, aus der sie eine geweihte Wachskerze nahm; im Vorüberhuschen ergriff sie ihre Schuhe, und mit einem scheuen Blick nach den Schlafstellen des Mannes und der Kinder öffnete sie die Türe. Deutlicher schlug das unheimliche Geräusch an ihr Ohr. Zögernd stand sie einen Augenblick, dann strich sie mit einem Zündholz über die Mauer, entflammte die Kerze, nahm einen der geweihten Zweige, die über dem Weihwasserbehälter hingen, an sich, und nachdem sie die Finger in das Naß getaucht und sich dreimal bekreuzt und besprengt, verließ sie die Stube.

Die Kerze und den Zweig zwischen den Fingern der Linken, unter demselben Arme die Beschuhung, und mit der freien Rechten das Licht schützend, eilte sie über den Gang nach der Treppe, dort schlüpfte sie in die Schuhe und stieg dann bedächtig Stufe um Stufe hinab.

Im Flur hörte sie das Gepolter wie aus der Erde heraufschallen; um ihm nachzugehen, mußte sie also hinunter in das Kellergeschoß.

Hundegeheul tönte vom Hofe her.

Sie preßte die Hand ganz oben gegen das Brustblatt, denn bis zum Halse hinauf schien ihr das Herz zu schlagen. Sie ging ein paar Schritte vor und lehnte sich an einen Haustürpfosten und starrte hinaus in die schweigende mondhelle Nacht.

Unweit stand ein großer Hund, in braunem, schwarzgefleckten Felle, der seine mächtige Schnauze gegen den Himmel gerichtet hielt und zeitweilig langgezogene Töne ausstieß, die sich kläglich genug anhörten.

»Tiger,« rief die Bäuerin halblaut.

Das Tier wandte den Kopf und kam sofort in ungelenken Sprüngen schweifwedelnd heran.

Helene faßte den Hund am Halsbande, um ihn in den Flur hereinzuziehen; er kam ihr zuvor und hüpfte ungeschlacht um sie her und äugte dabei so dumm gutmütig wie immer, und kein Haar seines Felles war gesträubt; Orte aber, wo es nicht geheuer, machen Hunde fürchten und Pferde scheuen.

Tiger schnüffelte gleichmütig an der Kellertreppe, doch als die Bäuerin sich anschickte, hinabzusteigen, schoß er eilig voran.

Helene warf den geweihten Palmkätzchenzweig hinter sich, Gespenster waren keine um die Wege, »lebige« Leute trieben da irgendeinen Unfug und zwar welche, die zum Hause gehörten, das war deutlich dem Gehaben und Gebaren des Hundes zu entnehmen.

Sie hatte die Hälfte der Treppe zurückgelegt, da ward es unten lebendig; sie hörte in rascher Aufeinanderfolge einen Aufschrei, ein dumpfes Schelten, einen Prall gegen die Mauer wie von einem Steinwurfe und das Angstgeheul des Hundes; dann kam Tiger die Stufen heraufgejagt, fuhr an ihr vorüber, unaufhaltsam über den Flur hinaus in den Hof.

Helene stieg rasch vollends hinab und trat in das Kellergewölbe.

Fast wäre ihr wieder aller Mut gesunken. Sie fand sich allein in dem weiten Raume. Die Wände, die Umrisse der Fässer und wenigen Gerätschaften, die da untergebracht waren, schwankten in dem unsichern Lichte der Kerze, die sie in zitternder Hand hielt, und vom anderen Ende her, nahe der Mauer, blinkte ein Licht aus einer Laterne; die stand an der Erde und aus dieser wuchsen zwei Hölzer, mit einem Querbalken verbunden, wie man den Galgen aufgemalt sieht.

Nun stöhnte es von dorther, eine Hand erhob sich aus dem Boden und ein Kopf mit ergrauendem Haar, auf einem Stiernacken sitzend . . .

Da war es vorbei mit all' und jedem Spuk, der Galgen war das Ende einer Leiter, die über eine Grube herausragte; an deren Rande stand die Laterne, und nahe auf einem Hügel ausgehobener Erde lag ein Grabscheit, und bis zu den Schultern stak der alte Sternsteinhofer da in der Tiefe und schlug mit dem Eisen gegen die bloßgelegten Steine des Grundmauerwerkes.

Was für ein Absehen hatte er damit?

Knapp hinzutretend, fragte die Bäuerin: »Was machst denn da?«

»Jesus, Maria,« ächzte der Alte, zugleich sanken ihm die Arme, und entglitt ihm das Werkzeug, er taumelte rücklings gegen die Wand und starrte wie irr' und verloren nach Helenen.

»Ich frag', was du da machst,« wiederholte diese.

Indessen hatte er den jähen Schreck verwunden. Er lächelte sie boshaft an. »Was ich da mach', möcht'st wissen?«

»Ja.«

»Hm! Hehe! Was ich da mach', – was ich da tu'? Jo, hehe,« – er sagte das unter einem verlegenen Lachen gleich dem eines Knaben, der über einem Streich ertappt wird, auf dessen Überlegenheit er sich etwas zugute tut, – »no, 's Glück grab' ich euch da aus.«

Helene sah ihn mit großen, verständnislosen Augen an.

»In welcher Weis', meinst wohl?« fuhr er fort und sah mit zwinkernden Lidern zu ihr auf, den offenen Mund verziehend, daß die blanken Zähne zum Vorschein kamen. »Mein' Sternstein hol' ich mir aus'm Grundg'mäuer.«

»Du Dieb, du pflichtvergessener Dieb!« schrie das Weib. »Das wirst du bleiben lassen! Das Haus ist unser, wie's liegt und steht, und daran zu rühren hast du kein Recht nimmer. Es is nit um 'n Sternstein, daß du's nur weißt, gar nit, aber's ganz' Gebäu könnt' ein'm über'm Kopf z'sammstürzen, wann du's untergräbst. Gleich steigst h'rauf!«

»Wie ich mich schon eil', weil du's sagst!«

»Vor d'G'richt kann dich das bringen, verstehst?«

»Vor d'G'richt meinst?« höhnte er und hob die Haue und führte einen Schlag, der im Gewölbe widerhallte.

»Halt' ein wenig noch ein,« rief die Bäuerin, »nur paar Wort' hör' an! Du denkst, vor'n Richter brächten wir's wohl nit, um uns selber kein' Schand' z'machen, und darein kannst recht hab'n, aber ich weiß da viel kürzern Prozeß z'machen.«

»Holst 'leicht 'n Toni,« lachte der Alte, »schau'n dann halt zwei zu.«

»Ich bin keine, die sich nit selb'n z'helfen weiß.« Damit nahm sie rasch die Laterne vom Boden auf, löschte das Licht, nahm dann die Kerze heraus und warf sie weit im Bogen hinter sich nach einer Ecke. »So! No, sei g'scheit und steig' h'rauf und komm' mit; für heut' in der Finstern wirst wohl's Suchen einstellen müssen, und daß d'weder morgen noch sonst'n Tag wieder damit anhebst, werd' ich'n Keller fortan versperrt halten und d'Schlüssel zu mir nehmen.«

Der alte Mann erwiderte nichts, er lehnte reglos und sprachlos an der Mauer; als ihm aber vor ohnmächtiger Wut Tränen in das Auge traten, da barg er plötzlich das Gesicht zwischen den Händen und begann bitterlich zu weinen.

Erstaunt trat die Bäuerin einen Schritt näher. »Bist du ein Kind? Sei doch nit einfältig wie ein solch's, das man sein' Bosheit nit ausüben laßt. War dein Führnehmen was anderscht? Denk' du d'ran, wie der Sternsteinhof noch nit so benannt war und du, noch jung, ihn von dein'm Vadern überkommen hast, wenig größer und reicher als hundert andere; das er derzeit ein's von dö größten Anwesen im Land vorstellt, verdankt er deiner Arbeit und dein'm Wirtschaften, und hitzt wöll'st du mit selbeigenen Händen, was du aufg'baut, niederreißen? Das vermöcht'st du, während ich kein' andere Sorg' kenn, als daß der Toni sich eher z'zehren wie z'mehren anschickt, und kein' andern Gedanken hab', als wenigst all's so z'sammz'halten, daß amal der künftig' Eigner kein Furchen Grund, kein Stück Vieh, kein' Ziegel af'm Dach minder vorfind't, wie du dein'm Sohn, sein'm Vadern, übergeben hast! Du sollt'st dich wohl vor mir – ein'm Weib – schämen, wann d' schon d'Sünd' nit fürcht'st, vom Haus z'nehmen, was ihm Glück g'bracht hat und, wie d' selber glaubst, noch bringt!«

Die Bäuerin schien denn doch, trotz ihrer leichtfertigen Red' von vorhin, etwas von den guten Eigenschaften des »Sternsteins« zu halten.

Der Alte stand noch immer gesenkten Hauptes in der Grube, jetzt stöhnte er auf und murmelte: »Weder daß ich mich scham' noch a Sünd' fürcht', aber« – er preßte es zwischen den Zähnen hervor – »geh voran!«

Die Sprossen der kurzen Leiter standen weit voneinander ab, und mit seinen wankenden Beinen half er sich mühselig genug daran empor. »Rühr' mich nit an,« schrie er, als Helene den Arm nach ihm ausstreckte.

»Sei nit töricht,« sagte sie, »laß dir helfen! Es g'schieht dir nit z'lieb', noch z'Schimpf. Dir steckt noch von vorhin der Schreck in 'n Gliedern, und dö woll'n nit vorwärts, ich aber hab' da mehr kein' Zeit zu verpassen, und auch du wirst froh sein, wann d' vom Ort kommst.«

Nachdem sie ihm aus der Grube geholfen, nahm sie Haue, Grabscheit und Laterne an sich und schritt voran; auf der Kellerstiege hielt sie die Kerze etwas hinter sich und machte den Alten auf schadhafte Stufen aufmerksam.

Im Flur blies sie das Wachslicht aus. »Soll ich dir das h'nübertrag'n?« fragte sie, den mit Geräten beschwerten Arm hebend.

Er schüttelte den Kopf, nahm ihr das Grabzeug und die Laterne ab und schritt langsam von ihr hinweg.

Sie versperrte die Kellertüre.

Nach wenigen Schritten blieb der Alte stehen, er sah nach der Bäuerin zurück und murrte: »Hum?«

»Was denn?«

»Wer schütt' d' Grub'n zu?«

»Ich verricht's schon.«

»Du?«

»Kannst dich verlassen.«

»Sagst auch neamd was?«

»Neamad.«

»Auch'm Toni nit?«

»Auch'm Toni nit. 's braucht kein's d'rum z'wissen.«

Noch einmal hob der Alte den Kopf, sie großäugig anblickend, dann kehrte er sich ab und ging.

Grabscheit und Haue unter seinem zitternden Arme schlugen klirrend gegeneinander, als er über den Hof schritt, und eilig flüchteten vor ihm die Hofhunde »Tiger« und dessen Kamerad »Türkl« an das andere Ende des Gehöftes.

 

Da die Bäuerin dem alten Sternsteinhofer ihre Überlegenheit hatte fühlen lassen und dieser eine zu tiefe Demütigung empfand, die nichts Geplantes sondern nur ein günstiger Zufall wett machen konnte, so legten die beiden einander vorläufig nichts weiter in den Weg, und es trat eine Waffenruhe zwischen ihnen ein; daß sie aber – und wie bald – vollen Frieden schließen würden, das hatten sie nicht gedacht.


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