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Ibn Jemin

So nennt sich in seinen Schriften abgekürzt der Emir Mahmud Ben Jemin-ed-dîn Ferjumendi, der Sohn des gleichfalls als Dichter bekannten Jemin-ed-dîn Thoghraji, welcher, aus Turkistan stammend, zur Zeit des Sultans Chodabende nach Chorassan gekommen war und als Vezier die oberste Staatswürde sich errang. Ibn Jemin wurde in Ferchumend geboren und verbrachte dortselbst als Großgrundbesitzer den größten Teil seines Lebens, getreu den Horazischen Grundsätzen, die er in seinen Gedichten vertritt. Er starb im Jahre 745 d. H. (1344–1345) und liegt an der Seite seines Vaters begraben. Seine Schriften umfassen »Poetische Briefe an seinen Vater«, und eine Sammlung von Bruchstücken (Mokathaat), die im Orient wegen ihrer gesunden Philosophie sehr geschätzt und gelesen werden, und aus der die unten folgenden Gedichte stammen. Ibn Jemin ist ein klarer tüchtiger Kopf und von warmer, edler Gesinnung; ein ethischer Dichter wie Sadi, weniger ein Lyriker. Er hat Ähnlichkeit mit Horaz, dessen Anschauungen und Gedanken man bei dem Perser vielfach begegnet und an den er auch in Bezug auf Reinheit und Klarheit der Form, Verständigkeit und Natürlichkeit erinnert.

1.

Schaut an die Welt, sie ist ein Weib, ein altes,
Voll Tücken, schlau, erfinderisch an Qualen,
Ihr Anfang ist, ihr Ende unbekannt,
Und ach, ihr Alter über alle Zahlen;
Wer je sie schaute, fand sie, wie sie ist,
Nie wird dem Blick in andrer Form sie strahlen.
Wirf hin den Gram, trink Wein, auch ohne dich
Streicht fort der Wind durch Thüren und in Thalen,
Und Herzblut ist's, was, wenn die Sonne sinkt,
Du brennen siehst in blauen Wolkenschalen.
Nur wer zum Spielbrett Liebe hat erwählt,
Kann mit dem Wurf des höchsten Glückes prahlen.

2.

Silberbusen, einer oder zwei,
Freunde, drei, wohl vier auch im Vereine,
Brot, das ausreicht für den Tag, dabei
Maße fünf, auch sechs von altem Weine:
Also selig sieben Tage lang
Sprach ich Hohn dem Paradies dem achten.
Ach und jetzt – o Glückes Übergang –
Muß ich einsam, leeren Bechers schmachten!
Herr, der thront im neunten Himmel dort,
Deiner Gaben zwei will ich erwählen:
Mein laß sein ein Maßglas fort und fort,
Und, o Herr, laß roten Wein nicht fehlen.

3.

Der Weber Schicksal webt und webt
Am großen Webestuhl der Zeit,
Das Prachtkleid der Beständigkeit,
Ab, wob er keinem, der gelebt!
Denn ob dein Scharfsinn Pfeilen glich
Und ob er Haare spalten mag,
Der Sorgen Wucht – wohl kommt der Tag –
Sie krümmt und bricht wie Bogen dich!
Und Morgenrot und Abendlicht,
Zwei Netze sind's, aus Garn gedreht,
Womit der Himmel lauernd steht
Und freier Männer Herz umflicht;
Nur Dummen gnadenreich und gut,
Läßt er Gescheite ohne Brot,
Bis auf in ihrem Busen loht,
Wie Glut im Herd, Verzweiflungsglut.
Darum, was dich der Glaube lehrt,
Nicht tausche um den Tand der Welt;
Denn toll ist, wer zum Feind sich stellt,
Und seinem Freund den Rücken kehrt.

4.

Nicht wer Monarch ist, dünkt den Weisen frei;
Monarch ist, wer der Wünsche Drang verlor.
O Hüttchen Freiheit, deiner Schwelle Staub
Scheint heil'ges Salböl jedem, der kein Thor!
Was Sinn, ergreife, und was Form, wirf hin,
Denn er ist Zucker, sie gemeines Rohr;
Suchst Reinheit du, geh' der Alleinheit Pfad,
Dem Schlamm sich mischend, wird die Quelle Moor;
Gemeiner Henne paart der Greif sich nicht,
Er, der sich Ruhm durch Einzigsein erkor.
Drum einsam steh' und Bauer sei, Jemin,
Daß, was du sätest, dir auch blüh' empor.
Der Stein der Weisen ist kein Werk der Kunst,
Zur Erde wirf dich, denn ihn birgt ihr Flor.

5.

Den Himmel sein nennt, wer im Vaterlande
Behaglich weilt in ungetrübter Rast,
Wer fern der Welt ein Winkelchen erkor,
Und neidlos schaut auf Prunksaal und Palast;
Wer sicher sein kann, daß kein Störenfried
Und Fremdgesinnter ein sich drängt als Gast;
Heil ihm, denn einzig steht auf Erden da
Ein Mann, deß Herz nur diese Wünsche faßt;
Ja König ist, wer solchen Segen fand,
Ja mehr noch: König ohne Königslast!

6.

So Gift als Balsam schließ ich ein im Munde,
Dem Feind zur Qual, dem Freund, daß er gesunde;
Der Biene gleichend, berg' ich, so wie sie,
Des Honigs Süße und des Stachels Wunde.
Ich bin ein Meer, das, wenn es Wogen schlägt,
Bald Molch, bald Perle schleudert aus dem Schlunde.
Und Frühlingswolke, dünkt mich, ist mein Herz,
Denn Flut und Flamme toben drin im Bunde!
Ja Wolke ist es; denn, der Wolke gleich
Wirft Tau und Blitz es in derselben Stunde.
Im Acker Großmut, wer da sät für mich,
Ihm thu' ich auf des Loblieds reiche Spunde:
Wer schlecht gesät hat, erntet Spreu und Dorn,
Wer gut sät, Rosen, duftige und runde.
Der Sohn Jemins steht dauernd wie ein Berg,
Kein Strom des Schicksals wühlt ihn aus dem Grunde;
Du aber wisse, der in Berge schreit:
Wie man hinein ruft, tönt zurück die Kunde.

7.

Die Welt hat keine Dauer, Herz,
Darum sei auf der Lauer Herz,
Und fliehe diese Schlummerstatt,
Wo schlummern soll kein Schlauer, Herz!

Denn manches Veilchen, das im Thal
Dem Schoß der Flur entblühte, Herz,
War einst ein Mal, das einst einmal
Auf holden Wangen glühte, Herz!

Und manche Nelke, die der Gruft
Des Bodens frisch enttauchte, Herz,
War einst ein Löckchen, dessen Duft
Um weiße Stirnen hauchte, Herz!

Und manch ein schlichter ird'ner Topf
Den Töpferhände malten, Herz,
War einst vielleicht ein edler Kopf,
Auf welchem Kronen strahlten, Herz.

Wie er auch heißen mag und sein,
Sei gütig gegen jeden, Herz,
Denn diese Straße führt allein
Geradeaus nach Eden, Herz!

Und wenn die Erde dir nicht schenkt,
Was du begehrtest gerne, Herz,
Nicht sie ist's, die dein Schicksal lenkt,
Dein Schicksal lenken Sterne, Herz!

Und ob dein Wort, nach Moses Art,
Verdient, daß man's bewundert, Herz:
Was helfen Jesusreden, starrt
Voll Esel dein Jahrhundert, Herz!

8.

Herr Jesus, Frieden ihm und Preis!
Rief einst zu Gott mit heißem Flehen:
»Die Welt erstand auf dein Geheiß,
Laß, wie sie ist, die Welt mich sehen!«

Er rief's und wallte betend fort
Den Pfad, der in die Wüste leitet,
Wo er verhüllt an ödem Ort
Ein Weib erblickt, das einsam schreitet.

»Wer bist du – ruft es Jesus an –
Und was beginnst du hier? laß hören!«
Das Weib: »Ich höre dein, o Mann,
Nach der so brünstig dein Begehren.«

»Nie hab' ich Weibern nachgestellt!«
Spricht Jesus mit bewußter Würde.
»Und doch ist's so; ich bin die Welt,
Wie du bist des Jahrhunderts Zierde!«

»Die Welt? nun dann entschleire dich
Und deine Reize laß mich schauen!«
Der Herr gebot, der Schleier wich
Und vor ihm stand – o Schreck und Grauen –

Ein Scheusal: hager, gelb und alt,
Das bunte Schminken überdecken,
Die eine Hand von Duft umwallt,
Die andre rot von Blutes Flecken!

Herr Jesus trat zurück und frug,
Was Blut und Duft der Hand bedeute?
Sie sprach: »Mit einer Hand erschlug
Ich einen meiner Freier heute;

Doch während eine einen schlägt,
Lockt Duft der andren andre Freier:
Und doch – man staunt, wenn man's erwägt –
Zerriß noch nie mein Jungfernschleier!«

»Wie – ruft der Herr, den Zorn erfaßt –
Du feile häßliche Megäre,
Die täglich hundert Männer hast,
Wie kannst du Jungfer sein? erkläre!«

Da lachte auf das Weib der Welt:
»Von allen, die mich hoch gepriesen,
Von allen, die mir nachgestellt,
Hat keiner sich als Mann erwiesen;

Und wer ein Mann in Wirklichkeit,
Begehrte nimmer mich zu lieben!
So bin, seit ewig neu gefreit,
Seit ewig Jungfrau ich geblieben.«

9.

Willst du wahrer Alchemie
Wesenheit ergründen,
Das Geheimnis, welche sie
Hüllt, ich kann es künden:

Alchemie, das Werk der Nacht,
Leitet ins Verderben,
Weil es mehr verlieren macht,
Als es macht erwerben;

Aber locken Schätze dich,
Die sich ewig mehren,
Wie sie leicht erringen sich,
Soll dies Wort dich lehren:

Bauer sei, und, schlichten Sinns,
Pflüge deine Erde,
Daß, was Fülle des Gewinns,
Offenbar dir werde!

Dies ist wahre Alchemie,
Deren ganzen Segen
Reicht kein irdisches Genie
Würdig zu erwägen!

Wo, wie in der Erde, bringt
Eines Siebenhundert?
Welchem nichts, wie ihr entspringt
Übermaß, das wundert?

Ja, des Allerbarmers Huld
Läßt noch mehr erstehen!
Und wo nicht, ist dein die Schuld,
Weil du träg im Säen.

10.

Ich sprach: O Herz, du trugest
So mancher Sehnsucht Joch,
Und hofftest viel und frugest
Und warst zufrieden doch;

Du hast des Weltalls Richtung
Und Zweck und mehr durchschaut
Und Perlenflut der Dichtung,
Wie Lenzgewölk, getaut;

Hast, tapfer ohne Wanken,
Selbst Schicksalsmacht gelähmt,
Und, Hort von Lichtgedanken,
Der Sonne Licht beschämt.

Nun aber, Herz, o sage:
Warum trotz allem Wert,
Bist du, wie heutzutage
Die Großmut, ungeehrt?«

Da mit des Herzens Lippen
Sprach dieses Wort Verstand,
Das jene, die es nippen,
Belebt, wie Quell den Sand:

»Noch mehr, als was zu haben
Du selber glaubst und sinnst,
Ist dein an edlen Gaben,
An Wissen und Verdienst;

Doch weil du dieses eben,
Und nichts als dieses hast,
Und eben dies im Leben
Verfolgt wird und gehaßt,

Und des Verdienstes Ware
Sich tauscht um Mißgunst nur:
Bleibst du auch, dies erfahre,
Auf Erden ohne Spur!«

v. Schlechta-Wssehrd.


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