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Italienische Novellen. Zweiter Band
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Luigi Alamanni

1495–1556

Die Gräfin von Toulouse

Als Languedoc noch nicht unter der Herrschaft der goldenen Lilien stand, lebte in Toulouse ein Graf, namens Renatus, den die Natur in vielen Dingen und unter andern vornehmlich darin begünstigte, daß er die schönsten und wohlgezogensten Kinder besaß von allen französischen Fürsten; außer zwei Söhnen hatte er eine Tochter, die jünger als diese war und von allen, die sie sahen, für eines der schönsten, sittsamsten und anmutigsten Fräulein gehalten wurde, die man in jener Zeit sehen konnte. Nur darin war ihm der Himmel nicht sehr günstig, daß seine Frau, die Schwester des damaligen Grafen von Provence, mit der er äußerst vergnügt lebte, noch ehe sie ihr fünfunddreißigstes Lebensjahr zurückgelegt hatte, durch den Tod aus seinen Armen gerissen wurde zu seinem und des ganzen Landes herbstem Schmerze. Als sie dem Tode nahe war, rief sie den Grafen, ihren Gemahl, zu sich, und nachdem sie ihn demütig um Verzeihung gebeten hatte für alle Beleidigungen, die sie ihm wahrscheinlich gar nie zugefügt, empfahl sie ihm in Tränen gebadet ihre Kinder, vor allen aber die Tochter Bianca, und fügte bei, sie bitte ihn als um die letzte Gunst, die er ihr in diesem Leben erweisen möge, um das bestimmteste Versprechen, das er ihr mit dem aufrichtigen Vorsatz, es als unverbrüchliches zu betrachten, geben müsse, nämlich, daß er seine Tochter mit keinem Manne vermählen wolle und wäre es der König von Frankreich selbst, wenn sie nicht selber, nachdem sie ihn zuvor gesehen und kennengelernt, sich damit einverstanden erkläre.

»Einem jungen Mädchen,« fügte sie hinzu, »kann man kein schöneres Geschenk machen, als wenn man ihr freistellt, nach ihrem Wunsche den Genossen zu wählen, der unzertrennlich in einem Bunde mit ihr leben soll, welchen nur Schmach oder der Tod lösen darf.«

Als der Graf die liebevollen und billigen Bitten seiner teuren Gattin gehört und wohl überlegt hatte, daß es ihre letzten Worte sein werden und seinerseits die letzte Freundlichkeit, die er ihr erweisen könne, so gab er ihr unter vielen Tränen und Beteuerungen das Versprechen, es solle geschehen, wie sie wünsche. Er tröstete sie, obgleich er mehr im Falle war, Trost zu bedürfen, als ihn zu gewähren, und sah, während er sie in den Armen hielt, die Seele aus dem geliebten Körper entfliehen, den er sodann mit den Ehrenbezeugungen, wie sie einer solchen Fürstin gebührten, in der Hauptkirche von Toulouse beisetzen ließ, wo das Grab noch heutigentags zu sehen ist.

Zu derselben Zeit, da Katalonien noch nicht in die Gewalt des Königs von Aragon und Kastilien gekommen war, war Graf von Barcelona ein Don Ferrando, der teils wegen der Nachbarschaft, teils aus Gründen der Eifersucht des Ruhmes lange in Fehde lebte mit dem Grafen von Toulouse. Bei den zahllosen und äußerst blutigen Schlachten, die sie sich lieferten, war bald der eine im Nachteil, bald der andere; dieser war vom König von Spanien, jener vom König von Frankreich unterstützt. Doch wie wir das täglich sich ereignen sehen, daß Fehden, welche die Fürsten aus eitlem, unüberlegtem Ehrgeiz begonnen, am Ende ein Ziel finden durch Überdruß und Erschöpfung beider Teile, so merkten auch diese nur zu spät und zu ihrem gemeinsamen Schaden, daß ihr Kriegführen am Ende keine andere Wirkung habe, als daß sie, indem sie sich arm machen, ihre Nachbarn bereichern und ihren Feinden Freude machen. Sie verständigten sich deshalb in einem Vergleiche, der nach der Ansicht der Unterhändler keines von beiden Ehre oder Vorteil beeinträchtigte. Und um den neuen Freundschaftsbund enger zu schließen, wurde für sehr passend erklärt, wenn die alten Waffen, die mit dem neuen Frieden zur Ruhe gekommen, durch eine neue Verwandtschaft auf ewig abgestumpft würden, in Anbetracht namentlich, daß, wie der Graf von Toulouse unter all seinen Kindern nur eine einzige Tochter habe, ebenso dem von Barcelona unter seinen dreien nur ein einziger männlicher Nachkomme geblieben sei. Es brauchte daher nicht viele Worte, um dieses Ehebündnis zu verabreden, und als Mitgift wurde ausgemacht, wie manche behaupten, Salces und Perpignan, nach andern aber Gold und Geld, was ihm von dem Grafen von Provence, der in jener Zeit durch das gute Regiment Romeos zu großen Reichtümern gelangt war, auf einige benachbarte Güter bei Arles und Tarascon geliehen wurde.

Als nun alles abgeschlossen war, fehlte nichts mehr in dieser Sache, als daß der Toulouser in Erinnerung an das seiner Gemahlin gegebene Versprechen erklärte, es habe alles seine Richtigkeit, wenn das Wesen des jungen Grafen der Tochter gefalle, gegen die er durch sein Wort verpflichtet sei, ihr keinen Gemahl zu geben ohne ihre Beistimmung. Dieser Punkt schien jedoch beiden unerheblich, und keiner hatte darum weniger Hoffnung auf das Gelingen der Sache; denn der junge Graf war durch Reichtum und Adel der Verlobten völlig wert und überdies so schön und tugendhaft und mit so seltenen, geehrten Eigenschaften ausgestattet wie nur irgendein, ich sage nicht Fürst, denn das sind weiße Raben, sondern ein gewöhnlicher Edelmann in ganz Europa in jener Zeit gefunden werden konnte, was man vielleicht nicht gern glaubt, da er in Barcelona geboren war; aber es wurde auch und wird noch jetzt als ein Wunder erzählt, da weder vor- noch nachher ein ihm ähnlicher in jenem Lande gesehen wurde noch zu erwarten steht, daß einer in Zukunft gesehen werden würde. Dieser wurde also von seinem Vater zur Einholung der Braut, die man schon im ganzen Lande erwartete und zu empfangen fast schon ganz bereit war, mit großem Prunk und schönem und ehrenvollem Geleite nach Toulouse geschickt, wo er mit derjenigen Ehre und Liebe aufgenommen wurde, die einem so großen Herrn und so geliebten Sohne gebührte, ohne daß etwas versäumt worden wäre, was französische Höflichkeit und spanischer Anstand erheischte, deren beiderseitige Anforderungen wegen der Nachbarschaft der Länder damals genau bekannt und in Übung waren.

Nach den ersten Bewillkommnungen wurde ihm in dem Palaste die schöne Tochter königlich geschmückt vorgestellt. Diese wußte ihre wunderbare Schönheit durch seltene Anmut und Würde zu erhöhen und empfing ihn auf so freundliche und reizende Weise, daß der junge Graf ganz von Staunen, Liebe und Wonne überwältigt wurde, und wenn er bisher durch den Ruf nach ihrem Besitze verlangend geworden war, so wurde er nun durch ihren Anblick in einem Augenblicke so entflammt, daß er kaum Ort und Zeit erwarten konnte. Die Tochter, die vom Vater zuvor über alles unterrichtet worden war, maß ihn von allen Seiten mit nicht minder scharfen Blicken als er sie; doch tat sie es mit jener größeren Verschämtheit und Verstellung, die der weiblichen Sittsamkeit ziemt; er dagegen weidete mit unzweideutigem Ausdruck wie ein Verliebter und ein Fürst seine Augen an ihr.

Nach dem ersten Empfang wurden die Tafeln gedeckt, auf welchen die ausgesuchtesten Speisen und Leckerbissen nicht fehlten, wie es nur in dieser Jahreszeit und an diesem Orte sie aufzufinden möglich war. Nach Beendigung der kostbaren Mahlzeit wurden nach Landessitte in den reichsten Gefäßen Granatäpfel aufgetragen, die in jener Gegend sehr schön wachsen, um damit den Mund von dem verschiedenen rückbleibenden Geschmack der vielen Speisen zu reinigen. Der Graf hatte auch einige davon genommen, und zufällig war ihm einer aus der Hand entwischt, was er alsbald bemerkte, – und wie er selbst hernach und viele andere, die es gesehen hatten, versicherte, faßte er, um die Leichtigkeit und Gewandtheit seiner Hand zu zeigen, ihn sehr geschickt auf, noch ehe er den Boden berührt hatte, und führte ihn zum Mund.

Die junge Braut, sei es, daß das Schicksal sie dazu genötigt, oder daß wirklich die Handlung an sich ihr eines vornehmen Mannes unwürdig schien, – kurz, sie war darüber in ihrem Herzen sehr beunruhigt und stellte bei sich selbst im stillen folgende Überlegung an: »Da haben wir's nun, was ich so oft habe sagen hören, und zwar von Leuten, die wohl ein Urteil darüber hatten, daß die Katalonier die filzigsten, dürftigsten Menschen des Abendlandes sind. Ich habe zwar an diesem manche Eigenschaften gesehen, die nicht für Katalonien passen; doch könnte es wohl sein, daß er sich deshalb selbst Zwang antut, wie es Leute machen, welche andere zu täuschen suchen, ein alter gemeiner Brauch in Katalonien. Es verrät aber einen armen Verstand, wenn man nicht wenigstens auf kurze Zeit sich in das Betragen und die Worte eines Wackeren hüllen kann, bis man seinen Plan zum Ziele geführt hat und zu seiner Natur zurückkehren darf. Aber der Geiz, die Mutter und Amme aller Laster, soll eben, wie ich von einem meiner Lehrer weiß, die verborgene Eigentümlichkeit haben, daß er sich auch von dem geübtesten Heuchler nicht verbergen läßt. Denn der, dessen Wesen so beschaffen ist, ärgert sich nicht nur, wenn er selbst das Seinige ausgeben muß, sondern auch, wenn er seine Feinde ihre Reichtümer allzu freigebig austeilen sieht, und fühlt darüber größeren Unmut als ein Verschwender, wenn er sehen müßte, wie man ihm all seine Habe auf der Welt, geschweige die eines andern, in widerrechtlichen Besitz nähme. Ist der Graf von der Art, was soll dann aus mir werden? Und ganz sicher muß ich ihn für einen solchen halten, wenn ich denke, daß, wer im höchsten Überfluß mit einer Frucht des andern geizt, wohl in der Not noch weit geiziger sein wird mit seinem eigenen Golde. Gibt es ein größeres Elend für ein edles, hochherziges Mädchen, als einen reichen und geizigen Gemahl zu bekommen? Solche Frauen werden sich selbst zur Last und kommen zur Verzweiflung, andern aber sind sie ein Gegenstand des Spottes und Hohns. Die Götter verhüten, daß mir dies widerfahre! Ich will lieber bis zu den spätesten Tagen meines Alters auf diese Art leben, als mit ihm leben in beständiger Qual und Reue über meinen Unverstand. Mein alter Vater mag sagen, was er will! Ich weiß recht wohl, wie töricht einer ist, der sich durch fremde Bitten bewegen läßt, sich selbst zu schaden.«

Mit dem Entschlusse, durchaus diese Handlungsweise zu befolgen, setzte sie ihren Gedanken ein Ziel, und als alle Festlichkeiten vorüber waren, verabschiedete sich der Graf von Toulouse von dem Katalonier, nahm seine Tochter bei der Hand und ging mit ihr hinweg in sein Gemach. Hier befragte er sie unter den väterlichsten Ermahnungen um ihre Willensmeinung, worauf sie ganz entschlossen und heftig erwiderte, lieber wolle sie immer unverheiratet bleiben wie jetzt, als einen Gemahl haben, der ihrem Wesen so sehr entgegen sei. Als der alte Vater dies hörte, der ganz das Gegenteil vermutet hatte, war er im höchsten Grade betrübt. Er hatte gehofft, dadurch das Glück und den Frieden des ganzen Landes zu befestigen, und nun konnte es leicht kommen, daß von neuem endlose Verwüstung und allgemeine Fehde für sie alle daraus erwuchs. Er befragte seine Tochter um ihren Grund, und als er ihn vernommen, konnte er nicht umhin, über diese Geringfügigkeit zu lachen, suchte auch auf alle mögliche Weise sie davon abzubringen; aber es war alles umsonst: denn ihr letztes Wort blieb die entschiedenste Antwort, wenn sie merke, daß ihr gegen das ihrer Mutter geleistete Versprechen Gewalt angetan werden solle, so werde sie lieber mit eigener Hand sich das Leben und damit die ihr bevorstehende Unlust nehmen, als ihre Zustimmung geben. Der alte Graf erinnerte sich des seiner verstorbenen Frau gegebenen Versprechens und ward ebenso bewegt von zärtlicher Sorge um seine Tochter; daher antwortete er fast weinend nur folgendes: »Wenn dein Entschluß so fest ist, so zu handeln, so geschehe es! Erwarte von mir keine andere Gewalt als die, die du dir selbst antust!«

Darauf verließ er das Gemach, und mit den ehrenvollsten Entschuldigungen, die er ersinnen konnte, und mit den höflichsten Worten, die er wußte, nachdem er auseinandergesetzt, wie beschaffen in der Regel der Sinn der Frauen sei und der Mädchen insonderheit, und wie sie selbst auf ihrem Schaden am hartnäckigsten beharren, tat er zuletzt dem Grafen von Barcelona zu wissen, sie gebe zu dieser Eheverbindung durchaus ihre Einwilligung nicht. Diese Worte waren verletzender als die schärfsten Pfeile für des Kataloniers Herz und verwundeten es um so schmerzlicher, je weniger er von dieser Seite gefürchtet hatte und je näher er sich der Erfüllung seiner Wünsche glaubte. Nichtsdestoweniger verbarg er seinen geheimen Groll und Schmerz in seiner Brust, lächelte bitter und meinte, es sei dies nicht der erste Unfall, der wie ihm, so auch Höheren als er schon begegnet sei, wodurch eine Hoffnung fehlgeschlagen. Da es nun so sei, so gedenke er, wenn er es genehmige, den Tag darauf nach Barcelona zurückzukehren; zur Vergütung der auf der Herreise erlittenen Beschwerden wünsche er aber wenigstens zu erfahren, was denn vorzüglich seine Tochter Mißfälliges an ihm gefunden habe, um für die Zukunft seine Fehler zu bessern. Der Alte schämte sich ebensosehr, die Wahrheit zu leugnen, als sie zu sagen; doch offenbarte er sie endlich, da er nicht anders konnte. Der Katalonier konnte es nicht ohne Lachen hören und antwortete: »Fällt es mir wieder einmal ein, auf die Brautschau zu gehen, so wähle ich dazu gewiß die Jahreszeit, wo die Granatäpfel noch nicht reif sind: denn sie haben mich um eine Gemahlin gebracht, wie die Ceres um eine Tochter.«

Er fügte noch Lobeserhebungen auf des Grafen Treue und Liebe gegen seine Gattin und Tochter bei, vermöge welcher er ihr nicht Gewalt antun wolle, und versicherte, er dürfe darum nicht an der Aufrichtigkeit des unter ihnen zustande gekommenen Friedens- und Freundschaftsverhältnisses zweifeln. Darauf ging er auf andere Gespräche über und brachte so, freilich ohne großes Vergnügen, den ersten Tag hin. Am nächstfolgenden nahm er, seinen innerlichen Groll gegen das Fräulein verbergend, scheinbar ganz freundlichen Abschied von ihr sowie von den übrigen und trat in den größtmöglichen Tagemärschen den Rückweg nach Katalonien an.

Sobald er über die Grenzen seines eigenen Gebietes getreten war, entließ er sein ansehnliches Gefolge unter dem Vorwand, er wolle zu einem heiligen Andachtsorte einige Meilen vom Wege abseits gehen, worunter sich viele Unsere Liebe Frau von Monferrato dachten. Und da man bei solchen Wallfahrten allen weltlichen Prunk und Glanz ablegen muß, wollte er nur zwei seiner treuesten Freunde bei sich behalten, um sein Gelübde mit möglichster Demut und frommem Eifer zu erfüllen. Sobald aber die andern alle sich entfernt hatten und er mit den beiden alten Vertrauten seiner Geheimnisse allein war, entdeckte er ihnen erst völlig seine Absicht: sie ließen ihre Pferde zurück und machten sich zu Fuß wieder rückwärts auf den Weg nach Toulouse, nachdem sie alle sich in Kleidung, Haltung und Gestalt gegen früher ganz verändert hatten.

Der Graf hatte sich als Juwelenhändler vermummt und trug ein Kästchen in dem Arme, wie man solche täglich in Paris umhertragen sieht und in ganz Frankreich, ja auch in Italien, und worin man unzählige und mannigfaltige Dinge zur Schau trägt, die dann in den Häusern den Edelfrauen und den vornehmen Herren angeboten werden, mit denen sie sich ohne weiteres bekannt machen. Er kaufte daher viele Kleinode und Goldarbeiten von großem Wert und einige andere Gattungen feiner Waren, füllte damit seine Kiste und mischte darunter auch ein paar von seinen schönen Edelsteinen, deren er viele von der größten Schönheit mitgebracht hatte, um sie seiner Braut zu schenken, sobald sie die Seinige geworden wäre; die vom höchsten Werte aber tat er nicht dazu, um nicht durch den allzu großen Reichtum in der Gegend erkannt zu werden. Er schor sich den Bart, den man damals in Katalonien zu tragen pflegte, und ging ganz allein nach Toulouse hinein in der festen Hoffnung, dies müsse das sicherste Mittel sein, das ihm das Geschick gelassen habe, um seine Geliebte noch einmal sehen und sprechen zu können.

So ging er vom Morgen bis zum Abend in der Stadt umher und verkaufte seine Waren an diesen und jenen, wie es der Zufall gab; vorzugsweise aber kam er oft in die Nähe des Palastes, den der Graf von Languedoc bewohnte, um die Gelegenheit zu erspähen, wo er wenigstens einmal mit derjenigen sprechen könnte, die sowohl wegen des spätern Unwillens als durch die frühere Liebe seine Gedanken unaufhörlich beschäftigte.

Und es dauerte nicht lange, bis er eines Abends nach einem sehr heißen Tage die schöne Tochter in weißem Kleide auf das anmutigste in großer Gesellschaft der edelsten Frauen des Landes auf dem Tore sitzen sah. Ganz zitternd grüßte er sie demütig und fragte, ob es einer der Frauen gefällig sei, etwas von seinen Sachen zu kaufen, wobei er die Güte seiner Waren und die Billigkeit der Preise herausstrich. Die Gräfin und die Edelfrauen verschmähten, wie es Landessitte ist, das Anerbieten nicht, riefen ihn zu sich, fragten ihn, was er habe, und standen rings um ihn her. Alle samt und sonders ergriffen die eine diesen, die andere jenen Gegenstand, und befragten und bestürmten ihn dergestalt, daß er, der überhaupt nicht die größte Erfahrung in diesem Geschäft hatte, gar nicht mehr wußte, was und wem er antworten solle. Er wendete sich daher mit seinen Worten immer an die Gräfin und zog sich mit den ihm vorgelegten Fragen so gut als möglich aus der Schlinge. Nachdem er einige von seinen Sachen, die ihnen am besten gefielen, ziemlich wohlfeil an sie verkauft hatte, ging er hinweg, da ihn die Vesperzeit forttrieb. Er unterhielt diesen Handel lange Zeit; fast jeden Tag fand er sich bei derselben Gesellschaft ein und war bald so bekannt mit all den Mädchen geworden, daß es ihnen großes Vergnügen machte, mit ihm zu plaudern, um welches Glück ihn alle seine Handwerksgenossen nicht wenig beneideten, die immer von allen abgewiesen wurden, da diese sagten: »Wir wollen unserem Navarresen treu bleiben.« Aus Navarra nämlich hatte er zu kommen vorgegeben, da er die Sprache nicht so in seiner Gewalt hatte, um für einen Franzosen zu gelten, und seine spanische Abkunft nicht bekennen mochte.

Nach einigen Tagen paßte der Graf den rechten Augenblick ab, wo er, ohne von andern gehört zu werden, einer der Kammerfrauen der Gräfin, die, wie ihm schien, am meisten von ihr geliebt und ihr zugetan war, und der er bereits bei seinem Handel eine Gefälligkeit erwiesen hatte, sagen konnte, er habe in der Nähe eines der schönsten und kräftigsten Kleinode, die man je auf der Welt gesehen oder gehört; er trage es aber nicht so offen im Land umher, aus Furcht, es möchte ihm geraubt werden, und es sei ihm so teuer, daß er es für sein Leben selbst nicht hergeben würde. Ohne noch etwas hinzuzusetzen, schwieg er damit und ging kurz darauf hinweg. Der Kammerfrau schien jede Stunde tausend Jahre zu währen, bis sie ihrer Gebieterin mitteilen konnte, was sie von dem Navarresen gehört hatte. Als nun die Zeit zum Schlafengehen gekommen war, erzählte sie ihr, während sie ihr beim Ausziehen behilflich war, von der Schönheit und Kraft des wunderbaren Juwels, fügte auch, wie es immer solcher Leute Art ist, noch etwas mehr als die Wahrheit hinzu, und schloß damit: wenn sie die Gräfin wäre, so würde sie gewiß Weg und Mittel finden, daß das Kleinod sicher in ihren Besitz gelangte, wenngleich der Kaufmann den Entschluß habe laut werden lassen, es nicht zu verkaufen. »Es gibt für alles«, sagte sie, »ein Mittel, außer für den Tod.«

Durch dieses Anpreisen und Ermuntern entzündete sie solche Begierde in dem jungen Mädchen, daß diese die ganze Nacht hindurch an nichts anderes dachte und in ihren Träumen nichts anderes sah als eben dieses Juwel; und am Morgen, als es kaum Tag geworden war, beauftragte sie die Kammerfrau, sogleich den Navarresen aufzusuchen und ihn so lange in ihrem Namen zu bitten und zu beschwören, bis er sich bestimmen lasse, das Kleinod zu verkaufen; wenn dies jedoch sich nicht ausführen lasse, so solle sie es wenigstens dahin zu bringen suchen, daß sie es sehen dürfe; vielleicht vermindere sich durch den Anblick der Wert, den sie ihm nach dem Hörensagen beilege, und es werde damit auch ihre Sehnsucht nach seinem Besitze herabgestimmt.

Die Kammerfrau begab sich also zu dem Navarresen und erzählte ihm alles, worüber er äußerst erfreut war und von vorn anfing, ihr auseinanderzusetzen, wie er dem Kleinod den allerhöchsten Wert beilege. Und wenn er es tags zuvor sehr gepriesen hatte, so hob er es nun vollends bis in den Himmel, indem er unter tausend Schwüren von neuem versicherte, er würde eher als das Juwel sein Leben hinschenken; doch sei er aus Freundlichkeit und Gefälligkeit gegen sie es wohl zufrieden, sie es sehen zu lassen, vorausgesetzt, daß sonst niemand als die beiden Frauen anwesend seien, wenn er es hinbringe. Da die Kammerfrau mehr zu erreichen nicht vermochte, nahm sie wenigstens dies an. Sie verabredete mit ihm, zu welcher Stunde es heute geschehen solle, kehrte sodann zur Gräfin zurück und erzählte ihr alles.

Zur festgesetzten Zeit kam der Navarrese mit dem von ihnen ersehnten schönen Kleinod. Es war dies ein spitziger Diamant von so außerordentlicher Größe und von so seltener und schöner Gestalt, daß wohl nie etwas Ähnliches gesehen worden ist. Der Stein war in den Besitz des alten Grafen von Barcelona gekommen durch einige katalonische Seeräuber, die auf ihren Streifzügen über die Meerenge von Gibraltar hinaus gegen die Insel Madera hingelangten und ihn dort einigen Normannen abnahmen, welche aus gleichem Grunde in jenes Meer gekommen waren; schwächer als die Katalonen, wurden sie von diesen aller ihrer Beute beraubt und gefangengenommen. Dieser Stein soll nachher lange Zeit im Besitz des Königs von Neapel gewesen sein, jetzt aber dem Großtürken gehören, der ihn höher achtet als alle seine andern zusammen, deren doch unzählige sind. Als er nun hingekommen war, begann er mit der bekannten spanischen Wichtigtuerei und tausend Vorreden sein Juwel zu preisen, ehe er es vorzeigte, und beteuerte ihr bei seiner Redlichkeit, er schätze gerade seine Schönheit von allem am wenigsten, denn seine Kraft sei noch weit mehr wert; darauf machte er seine Gefälligkeit geltend, sagte, jemand anders hätte ihn nicht dazu gebracht, und schloß endlich damit, daß er ihr den Stein zeigte, unter dem Beifügen jedoch, daß er ihr sonst nichts gestatten könne als bloß den Anblick.

Die Gräfin hielt das unvergleichliche Kleinod in der Hand. Je genauer sie es betrachtete, desto schöner kam es ihr vor, wie es auch wirklich war, und eine unwiderstehliche Sehnsucht entzündete sich in ihr, es zu dem ihrigen zu machen, da sie sonst nicht leben könne; doch heftete sie darauf ihre schmachtenden Blicke, ohne es allzu deutlich merken zu lassen. Darauf bat sie den Navarresen, ihr zu sagen, welche geheime Eigenschaft denn das Kleinod besitze. Nachdem er sich ein wenig geweigert hatte, antwortete er endlich, doch wie mit innerem Widerstreben: »Gnädiges Fräulein, wenn einer im Zweifel ist, was er in einer Sache beschließen soll, die ihm nahegeht, und er schaut hinein, so sieht er, wenn es zu seinem Vorteil ausschlagen soll, diesen Stein so hell werden, als wären die Sonnenstrahlen darin verborgen; wo nicht, so wird er dunkler als eine mondlose Nacht. Es haben schon einige behaupten wollen, dies sei der Stein der Weisen, den viele umsonst gesucht haben, wiewohl andere meinen, er sei mehr ein Werk der Alchimie als der Natur. Auch fehlte es nicht an solchen, welche sagten, er habe Alexander dem Großen gehört, und dieser habe sich ohne denselben nie dem Kriegsglück anvertraut; sodann sei er in den Besitz Julius Cäsars gekommen, und durch die Kraft dieses Steines hätten beide für unüberwindlich gegolten, wie Ihr oftmals gehört haben werdet.«

Nach diesen Worten packte er seinen Edelstein wieder ein und nahm Abschied. Die Gräfin blieb mit ihrer Kammerfrau allein und rief zu wiederholten Malen: »Wer wäre glücklicher als ich, wenn ich ein so köstliches und so seltenes Ding besäße und es ganz nach Bequemlichkeit tragen und beschauen dürfte? Würde ich in der Folge einmal, wie neulich vom Grafen von Barcelona, zur Ehe verlangt, welcher Vorteil wäre es für mich, wenn ich untrüglichen Rat von meinem Edelstein erhielte!«

Nach diesen Überlegungen bat sie zuletzt ihre teure Kammerfrau, ihr zuliebe wieder zu dem Navarresen zu gehen und es dahin zu bringen, daß er den Stein an sie verkaufe, und zwar um einen Preis, den er selbst nach Belieben bestimmen möge. Wiewohl ihre Hoffnung gering war, ging die Kammerfrau doch hin, und das erste- und zweitemal umsonst und mit der abschlägigen Weisung, daß er nie mehr wagen würde, das Juwel irgend jemand auf der Welt zu zeigen, geschweige es zu verkaufen. Das drittemal aber schien es dem Navarresen doch Zeit, zu dem Punkte zu gelangen, den er am ersten Tag schon beabsichtigt hatte. Er sprach daher: »Liebe Frau, da Eure dringenden Bitten und die Schönheit und Anmut Eurer Gebieterin endlich meinen Willen gebrochen und mich zu dem Entschluß bewogen haben, eines so teuren Kleinods mich zu entschlagen, so geht hin und antwortet ihr, ich wolle es ihr ganz sicher geben, wenn sie mir statt der Bezahlung gestatte, eine einzige Nacht so vertraut bei ihr zu ruhen, als wäre ich ihr Gemahl. Will sie dies nicht tun, so sagt ihr, daß weder Geld noch sonst eine Belohnung mich je dahin bringen werde, auf mein Eigentum zu verzichten; sie möge sich alsdann ihre Lust vergehen lassen und mir nicht länger mit Bitten beschwerlich fallen.«

Die Kammerfrau hinterbrachte ihrer Gebieterin diesen Beschluß und fügte hinzu, wenn sie sich dazu nicht verstehen wolle, so sei sie selbst nicht willens, weitere Worte und Schritte in dieser Sache zu verlieren, denn sie sei überzeugt, es führe zu nichts. Die Gräfin erzürnte sich über diese Worte aufs äußerste. Sie hielt ihre Ehre für schwer gekränkt und drohte mit heftigen Reden der zuchtlosen Verwegenheit desjenigen, dessen Worte ihre Keuschheit und Würde zu verletzen sich erdreistet, schalt aber auch die Kammerfrau, daß sie ihm nicht nachdrücklichst bedeutet habe, wie schlecht es für einen seinesgleichen sich zieme, solche Reden gegen sie zu führen. Die Kammerfrau lächelte ein wenig und erwiderte: »Madame, als ich das erstemal zu ihm geschickt wurde, meinte ich, meine Pflicht sei, Euch und ihm alles auszurichten, was mir von der andern Seite aufgetragen werde, und ich hätte mir nicht zu deuten gewußt, welchen Teil des Auftrages ich tadeln oder verschweigen solle. Seid Ihr nun unzufrieden mit dem, was ich Euch berichtet habe, so ist das Eure Schuld, daß Ihr mich nicht erinnert habt, für den Fall, daß er mir solche Dinge auftrage, solle ich ihn ausschelten und Euch nichts davon sagen. Übrigens, wenn Ihr mir diese Auflage gemacht hättet, würde ich die ganze Sendung jemand anderem überlassen haben, denn wegen billiger Dinge könnte ich nie jemand tadeln, geschweige strafen. Unser Herr Gott läßt sich auch ungerechte Wünsche wie gerechte vortragen, von Guten wie von Bösen, erhört aber freilich nur jene, wenn es ihm gut dünkt, und diese nicht. Ich konnte daher nicht wissen, daß Ihr höher gehalten sein wollt als er. Womit hat Euch der Navarrese beleidigt? Wißt Ihr nicht, daß man das Fragen überall in der Welt umsonst hat? Ihr seid noch zu jung und wißt noch nicht recht das Gute und Böse zu unterscheiden. Wären Eure Haare so weiß wie die meinigen, so würdet Ihr anders sprechen. Man muß allerdings oft so sagen; aber wo und zu wem? Weder hier noch zu mir noch zu den Frauen, die Euch ergeben sind, sondern zu Männern und zu fremden Frauen, die Euch, wenn sie Euch auch nicht glauben, wenigstens für klug halten und für eine Frau, die sich auf unsere Kunst, das heißt das Heucheln, wohl versteht. Mir, die ich Euch ganz ergeben bin und nichts anderes auf der Welt habe, was mir teuer ist, kommt nicht so! Ich weiß recht wohl, daß die größte Ehre und das größte Vergnügen, das man den Frauen machen kann, darin besteht, daß man sie um dasjenige bittet, ohne was wir ein Tag ohne Licht, ein Meer ohne Wellen wären. Ich entschuldige Euch mit Eurem zarten Alter und habe deshalb mit Eurem Zorn Geduld. Wir wollen zu etwas anderem übergehen! Aber das sage ich noch, wenn Ihr den Navarresen auf eine kluge Weise befriedigt, so bekommt Ihr den Edelstein zu eigen, und mir scheint, Ihr kämet auf diese Art wohlfeil dazu. Was zum Teufel könnt Ihr ihm denn Geringeres geben, als ihn mit einer Münze bezahlen, von der uns, je mehr wir geben, um so mehr zu geben übrigbleibt? Die Sünde in Betracht zu ziehen, das wollen wir den Betschwestern und den alten Mütterchen überlassen, die sonst nichts zu tun haben; für junge Mädchen aber ist das nichts, die noch tausend Jahre Zeit haben, um ihre Fehler gegen ihren Herrn Gott zu bereuen. Und jenen muß man auch noch zu bedenken geben, daß sie dazu weder Gelegenheit noch Begierde haben und nicht darum angegangen werden. Um die Ehre zu verlieren, muß die Sache bekannt werden; tun wir es daher im geheimen, so geht die Ehre nicht verloren. Ich sage Euch meine Ansicht wie eine Mutter, und Ihr mögt dann das tun, was Ihr für das beste haltet. Aber das gebe ich Euch zu bedenken, daß ich um so viel weiser als älter bin. Es tut mir sehr leid, daß Ihr nicht meinen Willen und Verstand habt oder ich nicht Eure Reize, Schönheit und Stand, von welchen drei Vorzügen Euch jedoch von jetzt über vierzig Jahre auch zwei fehlen werden, – und der dritte, was wird er Euch helfen, als daß er Euch größere Pein und Last bereitet? Dieser Juwelier, wenn er auch ein kleiner Kaufmann ist, erinnert mich doch in Gesicht, Gedanken, Betragen und in allem weit mehr an einen Edelmann als an seinen Beruf. Wenn Ihr ihn daher nicht nehmt, so habt Ihr zwar vielleicht nach Eurem Geschmack gehandelt, aber nicht getan, was Ihr solltet.«

Mit diesen und vielen andern Worten bestürmte die alte Kammerfrau das junge Mädchen, fügte so viele andere Gründe hinzu und fing so oft von neuem an, bis die Gräfin fast ganz müde, so hart und sauer es sie ankam, nach langem Verweigern, Streiten und Nachdenken am Ende zu ihr sagte: »Nun so geh und tue, was dir gut scheint! Veranstalte es aber so, daß es nicht mehr als eine Nacht wird, und daß diese so spät anfängt, daß ich nicht viel Unlust davonzutragen habe und du nicht viel Gefahr; denn wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast, so muß man sich dazu bequemen, oder man wird deine Widerwärtigkeiten nicht eher los.«

Die Kammerfrau erwiderte darauf nichts mehr, suchte aber, sobald sie konnte, den Navarresen auf und verabredete mit ihm, daß er sich in der folgenden Nacht genau um die Zeit der Frühmesse an einer Hintertür des Gartens einfinden, was sie ihm genau beschrieb, und den Edelstein mitbringen solle. Und so geschah es. Als ihr in der Nacht der Navarrese den Edelstein gegeben hatte, sagte er zu ihr, er habe noch einige andere von nicht geringerem Werte, die er ihr um denselben Preis überliefern wolle, wenn es ihr recht sei. Da die Kammerfrau diesen Antrag gehört hatte, setzte sie ihrer Gebieterin unaufhörlich zu, machte ihr bemerklich, daß, was einmal geschehen sei, dadurch nicht schlimmer werde, wenn es öfter geschehe, und daß einmal ebensoviel sei als viermal. Sie wußte es auch so gut anzugreifen, daß sie außer jenem großen Diamant noch einen sehr schönen Rubin gewann und einen Smaragd, von welchen der Navarrese behauptete, der eine habe schützende Kraft gegen das Gift, der andere gegen die Pest, welche fortwährend in Languedoc haust, so kräftig auch Sankt Rochus von Montpellier gegen sie ankämpft.

Aber wie es meistens geschieht, daß man gerade das findet, was man am wenigsten sucht, so begab es sich, daß einige Wochen darauf die Gräfin sich zu ihrem äußersten Grame schwanger fühlte. Sie beratschlagte sogleich über ihren Zustand mit ihrer Kammerfrau, die sie ermunterte, Geduld und Mut zu haben, und sagte, man müsse es geheim halten, es finde sich schon für alles ein Auskunftsmittel; sie sei nicht die erste und dürfe auch nicht fürchten, die letzte zu sein, die nach einem solchen Unfall noch als Jungfrau verheiratet werde. Wenn dies ein Grund wäre, der jeder, die dieses Schicksal gehabt, die Haare ausfallen machte, so müßten die meisten Frauen auf der Welt eine Perücke tragen. Da erwachte aber in der Gräfin aller Adel und alle Größe der Gesinnung, die schon ihre Geburt mit sich brachte, und sie antwortete: »Mögen andere immerhin tun, was ihnen das Beste dünkt! Mich aber soll Gott davor bewahren, daß ich, nachdem ich den ersten Fehltritt nun einmal zu begehen unklug genug gewesen bin, ihn mit einem zweiten zuzudecken suche! Ich werde nimmermehr einem Manne angehören, den ich durch Lügen und Meineide in dem Wahn erhalten müßte, er besitze etwas, was ich ihm doch nicht gebe. Die Buße, das ist mein Wille, falle auf den Sünder, und die Frucht ernte der, der den Samen streute! Ich bin deinem Rate bisher leider nur zu sehr gefolgt. Verschone mich deshalb ferner damit, wenn du mich nicht beleidigen willst, und bring mir den Navarresen hierher! Wenn ich mich auch einmal so tief erniedrigt habe, mich ihm hinzugeben, so will ich jetzt groß genug sein, mich keinem zweiten betrügerisch aufzubürden. Ich bin durchaus entschlossen, den Weg zu verfolgen, auf den mich das Schicksal, deine verkehrten Einflüsterungen und meine Unvorsichtigkeit geführt haben.«

Als die Kammerfrau die Entschlossenheit ihrer Gebieterin erkannte und oft vergeblich versucht hatte, sie davon abzubringen, führte sie ihr endlich den Navarresen herbei. Dieser hatte, vielleicht weil er die Gräfin oft gesehen, bemerkt, daß sie in Farbe und Gesichtszügen verändert und magerer geworden war, und da er den Grund wohl wissen konnte, auch sich zu Erreichung dieses Zweckes alle Mühe gegeben hatte, war er gar bald auf die wahre Ursache ihres Ubelbefindens verfallen. Wiewohl vom Schmerz gebeugt, empfing sie ihn dennoch, ohne auch nur eine Träne zu vergießen, mit starkem Geiste, nicht wie ein schwaches junges Mädchen, sondern wie ein erfahrenes kräftiges Weib, und sagte zu ihm: »Mein Freund, dieweil dein Glück und mein Unglück, deine Klugheit und meine Unvorsichtigkeit mich dahin gebracht haben, daß ich hochgeboren, wenn ich nicht Gott und die Menschen betrügen will, eines Juweliers Weib werden und du, der Namenlose, der Gatte einer Grafentochter werden mußt, so bitte ich dich, du wollest mich nicht verstoßen und dich entschließen, mich völlig als die deinige hinzunehmen. Ich fühle mich schwanger von dir und gedenke auf keine Weise hierzubleiben, um andern Kummer und Ärgernis, mir selbst aber Schmerz und Schande zu verursachen. Ich bin vielmehr bereit, mit dir zu ziehen und durch ein dürftiges Leben lieber in einem einzigen Teile diesem armen sündigen Körper wehe zu tun, als bei leiblicher Behaglichkeit tausendmal in einer Stunde meine Seele und die Seele vieler anderer mit mir zu kränken. Richte dich also ein, daß wir morgen, ehe die Nacht herankommt, von hier geflohen sind! Ich nehme deine und überdies viele andere von meinen eigenen Juwelen mit, dazu einiges Geld, und so wollen wir hinwegziehen und uns, so gut wir können, gegen den Hunger schützen, bis ich begreife, warum die Sterne mich in diese Welt gesetzt haben.«

Der Graf von Barcelona (jetzt wollen wir ihn nicht mehr den Navarresen nennen), wie überaus erfreut er auch hierüber war, da er ja gar nichts anderes wünschte, so überlegte er doch, wenn er wirklich der gewesen wäre, für den sie ihn hielt, wie weit einen oft das Schicksal führen kann, wie viel Gewalt der Himmel über uns hat, und wie oft es vorkommt und wie leicht es ist, die Frauen, obschon sie sich für äußerst listig halten, zumal aber junge Mädchen zu betrügen; da überkam ihn ein solches Mitleiden mit ihr, daß er nahe daran war, trotz all seiner Mannheit und um eines andern willen das zu tun, was sie, als Weib, um sich selbst zu tun verschmähte, nämlich zu weinen. Er bedeckte das Gesicht, verbarg seine Gemütsbewegung und sagte in großer innerlicher Bewegung: »Edles Fräulein, ich bin ein niedriger armer Handelsmann, wie Ihr ja gar wohl bemerkt haben könnt; aber trotzdem ist mein Sinn immer darauf gestanden, unbeweibt zu leben und zu sterben. Darum bitte ich Euch, fallet mir nicht zur Last und stürzt Euch nicht selbst in dieses Mißgeschick!«

Er hätte gerne noch weitergesprochen; aber sein Mitleid mit ihr und der Wunsch, sie ganz zu besitzen, sowie die Besorgnis, es möchte sie Reue ankommen, schlossen ihm den Mund. Sie antwortete ihm: »Mein Freund, ich will dir nichts mehr sagen, als daß du bedenken mögest, daß das Glück dem gesegnetsten Menschen auf dieser Welt in seinem ganzen Leben nicht mehr als eine solche Gelegenheit bieten kann, wie sie jetzt dir mein Mißgeschick und dein guter Stern bereitet. Sieh wohl zu, daß das Glück sich nicht über deinen Unverstand erzürne, wenn du, ein Juwelenkrämer, die Hand einer Gattin verschmähen willst, die vor nicht langer Zeit die Bewerbung des Grafen von Barcelona zurückgewiesen hat!«

Diese letzten Worte fachten wieder etwas den alten Groll im Herzen des Grafen an und trieben sein Gemüt zur rohen Rache an. Ohne fernere Weigerung erklärte er demnach, da es so ihr Wunsch sei, füge er sich in jeden ihrer Befehle; sie müsse sich aber gefaßt machen, in allen Dingen zu leben wie seine Frau und nicht wie die Tochter ihres Vaters, mit ihm ohne Begleitung und zu Fuß wandern, wie sein Stand und seine alte Gewohnheit es erfordere, namentlich auch, um desto besser den Gefahren zu entgehen, denen sich ein Mann aussetzt, der eines Grafen Tochter aus ihrem Hause entführt, um sie in fremde Länder zu bringen.

Ungekannt und ohne ihrer Verabredung gemäß mit irgend jemand zu sprechen, außer mit der Kammerfrau, welche weinend zurückblieb, gingen sie in Pilgertracht, als wollten sie den heiligen Jakob in Galizien besuchen, in der nächsten Nacht von hinnen. Ein gewaltiger Aufruhr entstand in Toulouse und im ganzen Lande, als das Geschehene bekannt wurde. Da aber kein Mensch die Wahrheit ahnen konnte, glaubten manche, sie möge, plötzlich von Gott getrieben, in irgendein heiliges Nonnenkloster geflohen sein; denn seit der Zeit, da sie sich schwanger fühlte, hatte sie größere Frömmigkeit als früher bewiesen und, so viel sie konnte, jede Gesellschaft gemieden; so konnte man also leicht auf jenen Gedanken kommen; und die zurückgebliebene Kammerfrau, die allein darum wußte, brachte eine so wohlaufgestutzte Geschichte zu Markte und stellte sich zugleich als hintergangen und höchst unzufrieden über das Ganze, daß sie alle überzeugte, die Sache verhalte sich so. Teils wegen der Hoffnung, die man hieraus schöpfte, teils weil die Flüchtigen in kurzer Zeit über die Grenzen von Languedoc hinaus waren, wurden sie nicht wieder aufgefunden, wiewohl man ihnen eifrig nachspürte.

Es würde zu weitläufig sein, alle die mühevollen langen Prüfungen zu nennen, die der verliebte frohe Graf seine betrübte und unzufriedene Gattin unterwegs bestehen ließ. Früherhin ungewohnt, das ganze Jahr über nur vierzig Schritte zu Fuß zu machen, wo sie sich dann auf die vornehmsten Edelleute ihres Hofes stützte, und dies nur zur bequemsten Zeit, die man finden konnte, war sie jetzt genötigt, unter der heißesten Julisonne auf scharfen Steinen einherzugehen, gedrückt bereits von der Bürde ihres Leibes, alle mögliche Mühsal ertragend, wie nur das ärmste Geschöpf, das auf Erden wandelt. Der Graf lud sie nur dann und wann, sooft es notwendig war, zur Ruhe ein, aber mit so rauhen Worten, und trieb sie darauf in so unhöflichem Ton zum Weitergehen an, daß der geringste Befehl für den Leib der Seele die größte Kränkung bereitete. Mit dem Tag aber, an dem sie Toulouse verlassen hatten, war sie darauf gefaßt, jeden Hohn des Geschicks gelassen zu tragen. So ging es ihr unterwegs; in dem Gasthause sodann, wo sie einigermaßen hoffen konnte, bei Nacht von den Beschwerden des Tages auszuruhen, fand, da diese Gegend nach spanischer Sitte nur mit den erbärmlichsten Herbergen versehen ist und weil, wie es scheint, der Graf es, um sich zu rächen, darauf anlegte, die arme junge Frau so schlechtes Unterkommen, daß man es nicht Ruhe, sondern Mühsal auf Mühsal heißen konnte. Endlich kamen sie nach mehreren Tagen nach Barcelona und fanden daselbst seine Begleiter wieder, die an demselben Tage wie sie von Toulouse abgegangen waren, aber in größeren Tagereisen den Weg zurückgelegt hatten. Er bezog mit seiner Frau eines der ärmlichsten und am schlechtesten ausgestatteten Gasthäuser der Stadt, in welchem jedoch eine brave und fromme Frau die Wirtschaft führte, wiewohl es deren dort wenige gibt, die nicht lieber der Taufe als dem Weiberverkaufe entsagten. Er schlief hier mit ihr die erste Nacht und brachte auch den ganzen folgenden Tag daselbst zu; am nächsten Abend jedoch beredete er sie, er habe in der Stadt ein Geschäft und könne unmöglich anders als die Nacht über bei ihr sein, da er bei Tag ganz von seinen übrigen Angelegenheiten in Anspruch genommen sei. Er sagte, sie solle mit der Alten hier im Hause ihre Arbeiten teilen; dadurch könne sie ihren hinlänglichen Unterhalt verdienen; denn er sei nicht gewillt, ihretwegen eines seiner Kleinode zu verkaufen noch auch das Geld aufzuzehren; vielmehr, wie er stets durch seine Betriebsamkeit etwas erübrige, so wünsche er, daß auch sie es halte, wenn es ihr daran gelegen sei, im Frieden mit ihm zu leben. Die unglückliche Gräfin seufzte in ihrem Herzen schwer, als sie sich erinnerte, wie vielen Leuten ihr Vater zu leben gab, während sie sich nun in Umstände versetzt finde, wo sie genötigt sei, ihren Lebensunterhalt mit ihrer Hände Arbeit zu verdienen. Doch antwortete sie mit heiterer Miene, sie wolle es tun.

Der Graf verließ sie, ging im Pilgergewand nach seiner Wohnung, wo er längst vermißt und fast für verloren gehalten worden war, nun aber, ganz unerwartet zurückgekehrt, von seinen Eltern mit inniger Freude empfangen wurde; denn seine Pilgerfahrt hatte sich um viele Wochen gegen seine frühere Angabe verlängert. Der freudige Graf blieb so den ganzen Tag in festlichem Genusse bei seinen Freunden und Hofleuten, ermangelte aber nicht, in der Nacht heimlich in der frühern Tracht die Gräfin aufzusuchen und bei ihr zu schlafen, legte ihr auch beständig neue Lasten und ärmliche Geschäfte auf und ermahnte sie, in der Küche und im Zimmer der guten Wirtin immer dienstwillig und bereit zu sein. Ja, noch nicht zufrieden mit dem auf sie gewälzten Schimpf, beschloß er, sie noch weiter in Versuchung und Schmach zu führen. Darum sagte er eines Nachts zu ihr: »Ich gedenke morgen einem Rauchwarenhändler, meinem Freunde, in der Bude eines Schneiders eine Trinkpartie zu geben, wozu ich nun Brot kaufen müßte, welches doch hierzulande sehr teuer ist. Weil es mir nun zu sauer ankommt, so viel Geld auszugeben, so ist mir eingefallen, du sollst morgen früh, wenn die Wirtin das Brot gebacken hat und du sie dabei unterstützt hast, dich anstellen, es sei dir etwas hinuntergefallen, dann damit zum Ofen zurückkehren und vier davon in deiner Tasche unter dem Unterrock verstecken und sie mir aufheben. Zwei oder drei Stunden nach dem Morgenessen will ich sie abholen.«

Der hochherzigen Gräfin erschien diese Zumutung über alle Maßen erniedrigend, und sie würde sie nicht für ernst genommen haben, hätte sie nicht vorher so vieles über die schmutzige Armseligkeit der Spanier und Navarresen reden gehört. Sobald sie aber dachte, er scherze keineswegs, so bat sie ihn aufs demütigste, er möge sie doch nicht zwingen, so etwas zu tun.

Darauf versetzte er ganz zornig: »Ist es dir noch nicht aus dem Sinn, daß du die Tochter des Grafen von Toulouse bist? Habe ich dir nicht am ersten Tage, wo wir von dort weggingen, gesagt und von dir das Versprechen erhalten, du wollest alles andere vergessen und nur im Gedächtnis behalten, daß du das arme Weib des Navarresen seiest? Darum sage ich dir nochmals: wenn du im Frieden mit mir leben willst, so mußt du dich entschließen, dies zu tun und alles, was ich dir sonst noch befehle; oder ich lasse dich allein und gehe anderswo meinem Glücke nach.«

Sie war genötigt, es ihm zu versprechen, und vollbrachte am andern Morgen genau sein Geheiß. Der Graf ritt jeden Abend durch die Stadt spazieren. Heute hatte er nun mit einem der beiden, die mit ihm in Toulouse waren, und der in einem entfernten Verwandtschaftsverhältnisse zu ihm stand, alles verabredet, was weiter zu tun wäre. Er kam an der ärmlichen Herberge seiner Frau vorüber und ergriff eine Veranlassung, stille zu halten. Da näherte sich, wie ihm früher befohlen worden war, jener, während sie warteten, der Frau, die zufällig mit der Gräfin an der Küchentür verweilte, und sagte zu ihr: »Wer ist das Mädchen hier neben Euch, liebe Frau?« Die Wirtin antwortete ihm, wer sie sei, und wann und wie sie zu ihr gekommen.

»Ei«, sagte der Edelmann, »Ihr seht doch aus, als lebtet Ihr schon lang genug in der Welt, und habt noch nichts darin gelernt! Dieses Mädchen sieht mir aus, als wäre sie das schlaueste, böseste Geschöpf, das ich je gesehen; und wenn Ihr nicht Achtung gebt, so stiehlt sie Euch noch alles, was Ihr habt.«

Die Alte leugnete dies und erteilte ihr das größte Lob. Darum sagte der Edelmann zu ihr: »Ich will, ehe ich von hier weggehe, machen, daß Ihr Euch mit eigenen Augen von der Wahrheit meiner Behauptung überzeugt: Seid so gut und hebt ihr ein wenig vorn die Röcke auf und schaut ihr in die Tasche, die sie darunter hat, so werdet Ihr etwas darin finden, was Euch beweisen wird, daß ich nicht umsonst sieben Jahre in Toledo Nekromantie studiert habe.«

Als er Miene machte, selbst den Beweis zu führen, untersuchte die gute Frau, mehr um ihm zu gehorchen, als weil sie irgendeinen Verdacht hegte, ihr die Tasche, wo sie die vier Brote versteckt fand. Sie war darüber äußerst verwundert, entschuldigte aber doch freundlich die Fremde vor dem Ritter, der, nachdem er noch etwas darüber gelacht und gespottet hatte, von dannen ritt.

Es läßt sich nicht beschreiben, wie sehr die bedauernswerte Gräfin sich betrübte und schämte. Sie sank fast vor Schmerz zu Boden, sich vor einer so edeln Gesellschaft wegen einer so niedrigen Handlung verhöhnt zu sehen. Als sie darauf von der Wirtin mit mütterlicher Milde zurechtgewiesen wurde, bat sie sie fast unter Tränen um Verzeihung und versprach ihr, nie wieder ähnliche Fehltritte sich zu erlauben, verschwieg jedoch dabei immer, wer sie zu dieser Handlung bestimmt hatte.

Der Graf sagte ihr in der folgenden Nacht, er habe die Brote nicht bedurft, stellte sich aber sehr unzufrieden mit der ihr zuteil gewordenen Beschämung, indem er ihr vorwarf, sie sei selbst an allem schuld, da sie die Sache ungern und ungeschickt angegriffen habe. Die Gräfin von Katalonien, seine Mutter, hatte damals einige kostbare Arbeiten bei einem Künstler bestellt, die sie einem Gelübde gemäß einer Andachtsstätte in Barcelona schenken wollte. Unter andern Dingen waren dabei viele Perlen, aus welchen man Bilder und Tiere nähen sollte, wie man dergleichen Dinge jetzt täglich sieht. Als der Graf dies betrachtete, fiel ihm plötzlich ein, er könne dadurch von neuem seine Gattin beschimpfen. Er sagte zu seiner Mutter, er kenne eine arme Französin, die sehr geübt sei in dergleichen Arbeiten; er wolle sie für den folgenden Tag zu ihr bestellen, denn er wisse, wo sie wohne. In der Nacht sagte er es zu seiner Frau und befahl ihr, ohne Weigern und bei Strafe seiner Ungnade so viel als möglich von den Perlen zu stehlen. Die Arme widersetzte sich zwar unter Tränen lange, teils wegen der eben erst erlittenen Schmach mit dem Brote, teils um nicht das Haus dessen betreten zu müssen, dessen Werbung sie neun Monate früher auf eine beleidigende Weise abgewiesen hatte, und wo sie daher gar leicht hätte erkannt werden können. Doch nach zahllosen und rohen Drohungen des Grafen verstand sie sich endlich dazu, es zu tun; und zu desto größerer Sicherheit verabredeten sie, sie solle die Perlen in den Mund nehmen und unter der Zunge verbergen; denn wenn sie auch nur wenige von ihnen, die alle sehr schön und von großem Wert waren, nehme, so müsse der Gewinn doch immer sehr groß werden.

Gleich am andern Morgen wurde sie von der Mutter des Grafen beschäftigt, und ihr Betragen und Benehmen gefiel so sehr der Mutter wie allen, die sie sahen, daß niemand anders glaubte, als sie sei wirklich eine vornehme Frau, wie sie es auch war, auch abgesehen davon, daß sie in allen Arbeiten, die einer Edelfrau ziemen, sich sehr gewandt und gelehrt zeigte wie nur irgendeine. Sie selbst kümmerte sich wenig um die Worte der andern; vielmehr ging ihr jeder ihrer Lobsprüche wie ein scharfes Messer durch ihre Seele. Sie gedachte nur ihres Auftrages. Schon hatte sie drei der allerschönsten Perlen unter die Zunge gebracht, als eben der Ritter, der ihren Brotdiebstahl verriet, auf des Grafen Befehl in das Zimmer trat und sich gegen die Gräfin sehr verwundert äußerte, daß sie einem solchen Weibe Zutritt in ihrem Hause verstatte. Er erzählte ihr sodann, was er früher mit dem Brote gesehen habe, und offenbarte ihr endlich auch, was sie ihr hier entwendet. Der Unglücklichen verursachte diese Entdeckung um so mehr Scham und Betrübnis, je edler der Ort, je wertvoller der Gegenstand und je vornehmer die Person war, an der sie ihn verübt hatte. Die andere aber maß alle Schuld ihrer Armut bei, entließ sie jedoch ehrenvoll von ihrer Arbeit.

Nunmehr glaubte der zürnende Graf für die von seiner Frau erhaltene Beleidigung genügend Rache geübt und ihr Vorurteil gegen ihn gehörig bestraft zu haben; denn er hatte nun das Bewußtsein, daß sie etwas viel Niedrigeres begangen habe als er, indem er den Kern eines Granatapfels aufgehoben. Auch bemerkte er, daß die Zeit ihrer Entbindung herannahe, und so gab er denn jedes weitere Verlangen, sie zu kränken, auf und dachte hinfort nur auf seine Freude und ihre Zufriedenheit. Er erzählte also seinen Eltern alles, sagte, sie sei durch Verführung und nicht durch Habsucht dahin gebracht worden, bei ihm zu schlafen, berichtete sofort, wieviel Schmach, Qual und Verdruß er ihr bereitet habe zum Lohn für ihren Fall, und schloß endlich damit, daß er beabsichtige, wenn sie es genehmigen, sie am folgenden Tag als Tochter des Grafen von Toulouse und als seine Gemahlin heimzuführen. Die Eltern des Grafen waren hierüber ebenso erfreut, wie sie früher durch die Kunde von dem Bruch der beabsichtigten Verwandtschaft betrübt worden waren; und ohne die Ursache zu sagen, wurde Befehl zu einem kostbaren Festmahle gegeben.

In der Nacht vor dem angeordneten Feste sagte der Graf zu seiner Frau: »Morgen begeht man im Hause des Grafen dieses Landes ein großes Hochzeitsfest: denn sein Sohn hat die älteste Tochter des Königs von Aragon geheiratet, eine der reizendsten und schönsten Frauen, die man seit langer Zeit gesehen; er darf Gott recht danken, daß du ihn ausgeschlagen hast, denn hier ist er, was Verwandtschaft, Reichtum und Schönheit anbelangt, weit besser gefahren.«

Hier konnte die Gräfin einen flüchtigen Seufzer nicht unterdrücken, indem sie zurückdachte, wer sie einst gewesen und wer sie jetzt war.

»Morgen«, fuhr der Graf fort, »ist allgemeiner Festtag, wo man nicht arbeitet. Da du also nichts anderes zutun hast, so denke ich, du gehst zum Zeitvertreib mit dieser guten Frau hin, denn so allein würdest du hier Langeweile haben. Zugleich wirst du darauf achthaben, ob nicht drinnen etwas ist, was man, ohne daß jemand es merkt, stehlen könnte. Du bist ein Weib, und wenn man dich daher auch ertappt, so kann dir doch nichts geschehen, als ein wenig Schande, die bald vorbeigeht, und die zu ertragen der Arme seine Seele gewöhnen muß.«

Schien es der Gräfin vorher hart, das andere zu tun, so kam ihr dieses Gebot nun ganz unerträglich vor, und hatte sie jenes durch Bitten und Entschuldigungen von sich abzuwenden gesucht, so beteuerte sie jetzt mit Tränen und der jammervollsten Klage, lieber sterben zu wollen, als sich dazu zu verstehen. Der Graf aber, der damit den Beschluß machen wollte, zwang ihr mit noch heftigem Drohungen und herbern Worten als früher das Versprechen ab, seinem Willen nachzukommen. Der Frau vom Hause hatte er seinen ganzen Plan heimlich eröffnet und ihr angegeben, um welche Stunde, wie und wohin sie am folgenden Morgen zu gehen habe. Nach diesen Vorbereitungen kehrte er nach dem Schlosse zurück.

Am andern Tage fanden sich die vornehmsten Ritter und die edelsten Frauen von Barcelona zur bestimmten Stunde ein, um an dem Gastmahle teilzunehmen, und erheiterten, ehe die Tische gedeckt waren, mit anmutigen Gesprächen und muntern Tänzen die fürstliche Wohnung. Die alte Wirtin führte nach der Weisung des Grafen fast mit Gewalt die Gräfin hin, etwa eine Stunde vor dem Gastmahl. Sobald sie unter andern sehr armen Leuten versteckt im Saale erschienen war, schritt der Graf, festlich gekleidet, ganz strahlend vor Freude auf sie zu und sagte laut, so daß er von allen konnte verstanden werden: »Willkommen, edle Gräfin, mein geliebtes Weib! Es ist endlich an der Zeit, daß aus Eurem navarresischen Juwelenhändler der Graf von Barcelona und aus Euch, der armen Pilgerin, die Tochter und Gemahlin eines Grafen wird.«

Ganz aus der Fassung gebracht und ebenso voll Verwunderung als Scham über diese Worte, blickte sie umher, ob nicht an jemand neben ihr diese Worte sich richteten. Bald aber erkannte sie an Stimme und Bewegungen, wer es war und was er sagte, verstummte aber, – unentschlossen, was sie zu tun habe.

Der Graf fuhr fort und sagte: »Edle Frau, wenn das, daß Ihr mich ohne Recht und Billigkeit verschmäht habt, mich etwas grausam gegen Euch gemacht hat, und vielleicht mehr, als Ihr für schicklich erachtet, so meine ich doch, wenn Ihr Liebe gefühlt hättet wie ich und so willkürlich beleidigt worden wäret, ich müßte auf einen Punkt in Eurem Herzen Mitleid für alles finden, geschweige Vergebung. Aber bei der Hoheit und dem Seelenadel, den ich in Eurem niedern Stande mehr kennengelernt habe, als ich ihn in Eurer Erhebung aufzufinden wußte, bitte ich Euch, wie ich Eure frühern Beleidigungen verzeihe, daß Ihr mir die meinige in meiner Rache vergebet; und so möge es Euch in Gegenwart meines Vaters und meiner Mutter und aller der hier anwesenden Herren und Frauen gefallen, mir in Barcelona das zu geben, was Ihr mir in Toulouse genommen habt, ich aber durch meine List Euch wieder stahl.«

Die Gräfin gewann ihren verlorenen Mut wieder und erwiderte mit fester Stimme und verständigem, sittsamem Aussehen, nicht wie ein armes Krämerweib, sondern wie eine Fürstin, also: »Es ist mir in der Tat lieb, mein Gebieter, heute zu erfahren, wieviel größer mein Glück gewesen ist als mein Verstand, da ich sehe, daß Ihr Ihr seid und nicht der, den ich mir vorstellte. Euch die gegen mich geübten Grausamkeiten zu verzeihen wird mir um so viel leichter werden, als es Euch gewesen ist, je mehr immer die Rache gerechter ist als die Beleidigung. Indem ich Euch hier schenke oder, richtiger zu sprechen, bestätige, was ich Euch anderswo genommen, folge ich um so mehr meinem innersten Triebe, je geringer für mich die Ehre, je unwürdiger die Haltung und je niedriger die Zeugen waren, in deren Gegenwart die Schenkung in Toulouse geschah, die nun in Barcelona bekräftigt werden soll. Ich bin daher bereit, Euch anzugehören oder auch nicht, denn ich wünsche nur Eurem Willen Genüge zu tun und dem Wohlnehmen Eures Herrn Vaters und Eurer Frau Mutter nachzukommen, deren Edelmut ich um Verzeihung bitte für die Euch zugefügten Beleidigungen, und die ich immer ehren und lieben werde, wie nur eine Tochter kann.«

Sie würde noch weitergesprochen haben, wenn nicht die Tränen des alten Grafen und der Gräfin, die laute Teilnahme und die Freudenrufe der Umstehenden sie unterbrochen hätten. Man führte sie daher hinweg, zog ihr die ärmlichen Kleider aus und hüllte sie in königliche Gewänder. Als darauf das glänzende Fest vorüber war, wurde alles dem Grafen von Toulouse angezeigt, die Verbindung von ihm mit der größten, kaum erwarteten Freude bestätigt samt der früher verabredeten Mitgift und Freundschaft; und die alte Kammerfrau, die den ganzen Handel vermittelt hatte, kam in größere Gunst als je. Die Gräfin gebar nach kurzer Zeit einen sehr schönen Knaben und nach diesem mit der Zeit viele andere Söhne und Töchter und lebte sehr lange zufrieden mit ihrem Manne, vom ganzen Lande fortwährend geliebt und hochgeachtet.


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