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Ein Gesicht Karls XI.

Nach Prosper Mérimée
Von Richard Schaukal

 

There are more things in heav'n and earth, Horatio,
Than are dreamt of in your philosophy.

Shakespeare, Hamlet.

 

Man spöttelt über Gesichte und Erscheinungen: doch sind ihrer einige so wohl bezeugt, daß man sich, verweigerte man ihnen den Glauben, um gerecht zu sein, dazu entschließen müßte, alle geschichtlichen Beweise in Bausch und Bogen zu verwerfen.

Ein Protokoll in aller Form, von vier glaubwürdigen Zeugen namentlich gefertigt, verbürgt die Wahrheit des Ereignisses, das ich erzählen will. Ich habe hinzuzufügen, daß die in jenem Protokoll enthaltene Vorhersagung bekannt war und oftmals angeführt wurde, lang ehe Ereignisse, die sich in unsern Lagen abgespielt haben, sie erfüllt zu haben scheinen.

Karl XI., der Vater des berühmten Karl XII., war ein Despot wie wenige von den Herrschern Schwedens, aber auch einer der weisesten unter ihnen. Er verkürzte die ungeheuerlichen Vorrechte des Adels, brach die Macht des Senats und gab Gesetze kraft eigener Befugnis; kurz er schuf die Verfassung des Landes, die vor ihm ein obligarchisches Gepräge getragen hatte, völlig um und zwang die Stände, ihm die unumschränkte Gewalt zu übertragen. Im übrigen war er ein aufgeklärter, tapferer Mann, der fest am lutherischen Bekenntnisse hielt, ein unbeugsamer, kalter, nüchterner Charakter, bar jeder Spur von Einbildungskraft.

Vor kurzem erst hatte er seine Gattin Ulrike Eleonore verloren. Obgleich, wie es heißt, seine Härte gegen die Fürstin ihr Ende beschleunigt hatte, zeigte er sich durch ihren Tod tiefer gerührt, als man es von einem so trocknen Herzen gewärtigt hätte. Er hatte sie geschätzt. Seit diesem Ereignisse ward er noch düsterer und verschlossener, als er es früher gewesen war, und widmete sich den Geschäften mit einem Eifer, der ein zwingendes Bedürfnis bekundete, peinlichen Gedanken auszuweichen.

Eines Abends im Herbste saß er in Hauskleid und Pantoffeln spät noch vor einem großen Feuer in seinem Arbeitszimmer im Schlosse zu Stockholm. Bei sich hatte er seinen Kämmerer, den Grafen Brahé, den er durch seine Huld auszeichnete, und den Arzt Baumgarten, der, nebenbei bemerkt, den Freigeist spielte und Zweifel an allem forderte, die Heilkunde ausgenommen. Karl hatte ihn an diesem Abende kommen lassen, ihn über irgendwelche Unpäßlichkeit zu Rate zu ziehen.

Es ging tief in die Nacht, und gegen seine Gewohnheit gab der König den beiden durch den Gute-Nacht-Gruß diesmal nicht zu verstehen, daß es Zeit wäre, sich zurückzuziehen. Gesenkten Hauptes unverwandt in die Flammen starrend, beharrte er in tiefem Schweigen. Seine Gesellschaft langweilte ihn, aber er fürchtete sich, ohne recht zu wissen, warum, allein zu bleiben. Der Graf Brahé, der wohl merkte, daß seine Anwesenheit nicht allzu genehm wäre, hatte bereits wiederholentlich seiner Besorgnis Ausdruck gegeben, ob Seine Majestät nicht das Bedürfnis zu ruhen fühlte: eine Handbewegung des Königs hatte ihn jedesmal auf seinem Sitze zurückgehalten. Seinerseits fing nun der Arzt an, von den Schäden zu sprechen, die Nachtwachen der Gesundheit zufügten; aber Karl stieß durch die Zähne: »Bleibt, ich habe noch keine Lust, zu schlafen.«

So versuchte man denn an verschiedenen Gegenständen, ein Gespräch in Gang zu bringen. Aber jedes erschöpfte sich bereits nach der zweiten oder dritten Wendung; es war ganz offenbar, daß sich Seine Majestät einer der an ihr nicht ungewöhnlichen düstern Stimmungen überließ, und unter solchen Umständen befindet sich ein Höfling in einigermaßen heikler Lage.

Der Graf Brahé, der vermutete, daß die Traurigkeit des Königs in schmerzlichen Empfindungen ob des Verlustes seiner Gattin ihren Grund hätte, betrachtete eine Weile das Bild der Königin, das im Gemache hing, seufzte sodann tief und sprach: »Wie ähnlich doch das Bildnis ist! Ja, das ist dieser zugleich so majestätische und so sanfte Ausdruck! …«

Der König, der jedesmal, wenn man vor ihm den Namen der Fürstin nannte, einen Vorwurf zu vernehmen glaubte, antwortete kurz: »Pah! Das Bild ist zu sehr geschmeichelt. Die Königin war häßlich.« Dann, ärgerlich über sein hartes Wort, stand er auf und unternahm einen Rundgang durchs Zimmer, eine Erregung zu verbergen, die ihm die Schamröte ins Gesicht trieb. Er blieb am Fenster stehen, das auf den Hof ging. Die Nacht war finster, der Mond im ersten Viertel.

Die heutige Residenz der Könige von Schweden war damals noch nicht vollendet, und Karl XI., der den Bau begonnen hatte, bewohnte zur Zeit das alte Schloß, das auf der Spitze des Ritterholms über dem Mälarsee steht. Es ist ein großes, in Hufeisenform angelegtes Gebäude. Das Arbeitszimmer des Königs befand sich an einem Ende, und fast gegenüber lag der große Saal, wo sich die Stände versammelten, wenn sie irgendeine Botschaft von der Krone entgegennahmen.

Die Fenster dieses Saales schienen in dem Augenblick hell erleuchtet. Dem König deuchte das seltsam. Anfangs nahm er an, die Fackel eines Lakeien wäre die Ursache der starken Helle. Aber was hatte man um diese Stunde in einem Saale zu schaffen, der seit langer Zeit nicht geöffnet worden war? Auch war das Licht viel zu lebhaft, als daß es von einer einzigen Fackel herrühren konnte. Man hätte es einer Feuersbrunst zuschreiben mögen; aber es war kein Rauch zu sehen, die Fensterscheiben waren nicht zersprungen, kein Geräusch vernehmbar; alles ließ auf eine Beleuchtung schließen.

Karl betrachtete die Fenster eine Weile, ohne eine Wort zu reden. Inzwischen war der Graf Brahé, indem er die Hand nach einem Glockenstrang ausstreckte, im Begriffe, einem Pagen zu läuten, den er, die Ursache dieser sonderbaren Helligkeit zu erkunden, entsenden wollte.

Aber der König hinderte ihn daran. – »Ich will selbst in den Saal gehn,« sagte er. Während er diese Worte aussprach, erbleichte er sichtlich, und sein Antlitz drückte eine Art von frommem Schrecken aus. Trotzdem verließ er das Gemach mit festen Schritten. Der Kämmerer und der Leibarzt folgten ihm, jeder eine angezündete Kerze in der Hand.

Der Pförtner, dem die Hut der Schlüssel oblag, war bereits zu Bette. Baumgarten ging, ihn zu wecken, und befahl ihm im Namen des Königs, auf der Stelle die Türen zum Ständesaal zu öffnen. Groß war die Überraschung des Mannes ob dieses unerwarteten Gebotes; hastig warf er sich in die Kleider und erschien alsbald mit seinem Schlüsselbunde vor dem König. Zunächst öffnete er die Türe zu einem Hallengang, der dem Ständesaal als Vorzimmer oder Nebenraum diente. Der König trat ein. Aber wie erstaunte er, als er alle Wände schwarz ausgeschlagen sah.

»Wer hat den Auftrag erteilt,« fragte er zornig, »diesen Saal so zu bespannen?« – »Sire,« antwortete ganz bestürzt der Pförtner, »soviel ich weiß, niemand. Und als ich das letzte Mal die Halle kehren ließ, war sie, wie immer, eichengetäfelt. Sicherlich rührt diese Wandbespannung nicht von Eurer Majestät Gerätebewahrer her.« Und schon war der König, mit heftigen Schritten ausschreitend, ins letzte Drittel des Ganges gelangt. Der Graf und der Pförtner hielten sich dicht hinter ihm. Der Leibarzt Baumgarten war etwas zurückgeblieben; er schwankte zwischen der Angst, allein gelassen zu werden, und der Scheu, sich den Folgen eines Abenteuers auszusetzen, das sich in sattsam sonderbarer Weise ankündigte.

»Gehn Sie nicht weiter, Sire!« rief der Pförtner. »Bei meiner armer Seele, hier ist ein Hexenspuk im Spiel! Um dieser Stunde … seit die Königin, Eure allergnädigste Gemahlin, tot ist … heißt es, sie wandle in dieser Galerie … Gott soll uns bewahren!«

»Halten Sie ein, Sire,« rief seinerseits der Graf. »Hört Ihr nicht den Lärm, der aus dem Saale der Stände dringt? Wer weiß, welchen Gefahren Eure Majestät sich aussetzen!«

»Sire,« sagte Baumgarten, dem ein Windstoß die Kerze ausgeblasen hatte, »gestatten Sie zumindest, daß ich einige zwanzig Mann von der Leibwache hole.«

»Treten wir ein,« sagte der König mit fester Stimme. Er hielt vor der Pforte des großen Saales. »Und du, Schließer, öffne schnell diese Türe.«

Er stieß mit dem Fuß daran, und wie ein Kanonenschuß dröhnte, von den Wölbungen widerhallend, der Krach durch die Galerie. Der Pförtner zitterte derart, daß der Schlüssel ans Schloß schlug, ohne daß er ihn in die Öffnung hineinzubringen imstande war.

»Ein alter Soldat, der zittert!« sagte Karl und zuckte die Achseln. »Wohlan, Graf, öffnet uns die Pforte!«

»Sire,« der Graf wich einen Schritt zurück, »mögen mir Eure Majestät befehlen, der Mündung einer dänischen oder deutschen Kanone mich entgegenzustellen, ich würde, ohne zu zaudern, gehorchen, aber Ihr heißet mich, die Hölle selbst herausfordern.«

Der König entriß den Händen des Pförtners den Schlüssel. »Ich sehe wohl,« sagte er verächtlich, »daß mich das allein angeht«; und ehe ihn noch seine Begleiter daran zu hindern vermochten, hatte er die schwere Eichenpforte geöffnet und war mit den Worten: »Mit Gottes Hilfe« in den großen Saal getreten.

Seine drei Genossen, von der Neugierde getrieben, die sich stärker erwies als ihre Angst, vielleicht auch aus Scham, ihren König im Stich zu lassen, traten mit ihm ein.

Der große Saal war von unzähligen Flammen erleuchtet. Eine schwarze Bespannung hüllte an Stelle der alten Figurentapete die Wände. Sie entlang reihten sich in ihrer gewohnten Anordnung deutsche, dänische und russische Fahnen, die Siegestrophäen von Gustav Adolfs Heer. Man unterschied inmitten schwedische Banner, die Trauerflöre bedeckten.

Eine unermeßliche Versammlung füllte die Bänke. Da saßen, jeder nach seinem Rang, die vier Stände Der Adel, die Geistlichkeit, die Bürger und die Bauern.. Alle waren in Schwarz gekleidet, und diese vielen menschlichen Gesichter, die sich leuchtend vom schwarzen Grund abzuheben schienen, blendeten die Augen dermaßen, daß keiner der vier Zeugen dieses außerordentlichen Auftritts in der Menge ein bekanntes Antlitz aufzufinden vermochte. Also sieht auch ein Schauspieler, der einer zahlreichen Zuhörerschaft gegenübersteht, nur eine verworrene Masse, darin seine Blicke kein einzelnes Wesen unterscheiden können.

Auf dem erhöhten Throne, von wo der König die Versammlung anzusprechen pflegte, sahen sie einen blutigen Leichnam, angetan mit den äußern Zeichen der königlichen Würde. Zu seiner Rechten stand ein Kind und hielt, die Krone auf dem Haupte, den Zepter in der Hand; zur Linken stützte sich ein bejahrter Mann, vielmehr ein anderes Gespenst auf den Thron. Es war mit dem feierlichen Mantel bekleidet, den früher die Verweser Schwedens trugen, ehe Wasa es zum Königreich umgeschaffen hatte.

Dem Throne gegenüber saßen vor einem Tische, darauf man große Folianten und einige Pergamentrollen sah, mehrere Personen von strenger und hoheitsvoller Haltung. Sie waren in lange schwarze Gewänder gehüllt und schienen Richter zu sein. Zwischen dem Throne und den Bänken der Versammlung stand ein schwarz verhängter Richtblock, und ein Beil lag daneben.

Niemand in dieser übermenschlichen Versammlung schien die Anwesenheit Karls und seiner drei Begleiter zu bemerken. Als sie eintraten, vernahmen sie zunächst nur ein verworrenes Stimmengeraune, daraus das Ohr keine verlautenden Worte entnehmen konnte.

Dann erhob sich der älteste der schwarz gekleideten Richter, der das Amt des Vorsitzenden auszuüben den Anschein hatte, und schlug dreimal mit der Hand auf einen Folioband, der geöffnet vor ihm lag. Augenblicklich ward ein tiefes Schweigen. Einige junge Leute von gutem Aussehen, reich gekleidet, die Hände auf dem Rücken gefesselt, traten in den Saal, durch eine Türe, der gegenüber, die Karl eröffnet hatte, Sie schritten erhobenen Hauptes vorwärts. Ihr Blick drückte Entschlossenheit aus. Hinter ihnen ging ein Mann von kräftiger Gestalt, bekleidet mit einem Wams aus braunem Leder; er hielt die Enden der Stricke, die ihre Hände umwanden. Der an der Spitze der andern, offenbar der bedeutendste der Gefangenen, blieb in der Mitte des Saales vor dem Richtblock stehen, den er mir einer Miene voll der großartigsten Verachtung betrachtete. In diesem Augenblick schien der Leichnam in krampfhaften Zuckungen zu erbeben, und frisches purpurrotes Blut rann aus seiner Wunde. Der junge Mann kniete nieder, hielt das Haupt hin; das Beil blitzte in der Luft und fiel allsogleich mit dumpfem Schlag herab. Ein Blutstrahl spritzte auf die Bühne des Thrones und mischte sich mit dem Blute des Leichnams; der Kopf aber rollte, mehrmals von dem sich rötenden Pflaster aufschnellend, vor Karls Füße, die er mit Blut besudelte.

Bis dahin hatte den König das Staunen stumm bleiben lassen; aber bei diesem schauderhaften Anblick »löste sich seine Zunge«. Er machte einige Schritte zur Bühne, und indem er sich an die Gestalt im Mantel des Verwesers wandte, sprach er kühnlich die wohlbekannte Formel aus: »Wenn du von Gott bist, rede; wenn aber von jenem andern, dann laß uns in Frieden.«

Langsam und in feierlichem Tone antwortete ihm das Gespenst: »König Karl, dieses Blut wird nicht unter deiner Herrschaft fließen … (hier ward die Stimme weniger deutlich), sondern fünf Herrscherfristen später. Unheil, Unheil, Unheil dem Blute Wasas!«

Da begannen die Umrisse der zahlreichen Personen dieser erstaunlichen Versammlung minder unterscheidbar zu werden, schon schienen sie bloß farbige Schatten, bald schwanden sie gänzlich; die fabelhaften Flammen erloschen, und die Lichter Karls und seiner Gefolgschaft beleuchteten nichts als die alten Wandgewebe, die ein leiser Hauch bewegte. Noch hörte man eine Weile ein ganz wundersames Getön, das einer der Zeugen dem Rauschen des Windes in den Blättern verglich, ein andrer dem Laut von Harfensaiten, wenn sie beim Stimmen des Instruments springen. Alle waren über die Dauer der Erscheinung einig. Sie schätzten sie auf etwa zehn Minuten.

Die schwarzen Behänge, der abgeschlagene Kopf, die Blutströme, die den Fußboden färbten, alles war mit den Gespenstern verschwunden; nur Karls Pantoffel hatte einen roten Fleck behalten, der allein genügt hätte, ihm die Szenen dieser Nacht ins Gedächtnis zurückzurufen, wenn sie darin nicht allzugut sich eingegraben hätten.

In sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, ließ der König den Bericht über das, was er gesehen hatte, niederschreiben, ihn von seinen Begleitern unterzeichnen und unterzeichnete ihn selbst, was für Vorsichtsmaßregeln man auch beobachtete, den Inhalt dieses Aktenstückes der Öffentlichkeit zu verbergen, es war nicht zu verhindern, daß er bald bekannt wurde, sogar schon zu Lebzeiten Karls XI. selbst; noch liegt es vor, und bis zum heutigen Tage hat niemand Zweifel an seiner Richtigkeit zu erheben gewagt.

Der Schluß der Schrift ist bemerkenswert. Der König sagt da: »Und wenn das, was ich hier niedergelegt habe, nicht die lautre Wahrheit ist, so verzichte ich auf jede Hoffnung eines bessern Lebens, das ich etwa durch einige gute Werke, vorzüglich aber durch meinen Eifer möchte verdient haben, am Glück meiner Untertanen zu schaffen und die Gerechtsame des Glaubens meiner Vorväter zu erhalten.«

Wenn man sich nunmehr des Todes Gustavs III. und des Gerichts über Ankarstroem, seinen Mörder, erinnert, wird man mehr als ein Merkmal des Zusammenhanges zwischen diesem Ereignis und den Umständen jener einzigartigen Vorhersagung sich bestätigen.

Der junge Mann, der angesichts der Stände enthauptet wurde, hätte Ankarstroem vorzustellen gehabt.

Der gekrönte Leichnam wäre Gustav III. gewesen.

Das Kind sein Sohn und Nachfolger, Gustav Adolf IV.

Der Greis endlich wäre der Herzog von Södermanland, Gustavs IV. Oheim, der, anfangs Regent des Königreichs, später, nach der Abdankung seines Neffen, König wurde.


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