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Zur Erläuterung

In der großen Literatur gibt es kaum einen Dichter, der sich – Homer, Shakespeare und Goethe voran – nicht mit Spuk- und Gespensterwesen beschäftigt hätte. In der Kulturgeschichte gibt es kaum eine Zeit und kaum ein Volk, das nicht seine besondere Art von Spuk- und Geistererscheinungen vorgezogen oder herausgebildet hätte. In der lebenwimmelnden Fülle von Einzelmenschen jeder Zeit, die Gegenwart bezeugt es wieder, gibt es immer nur einen sehr geringen Prozentsatz, der nicht wenigstens in einem Abschnitt seines Lebens einen Hang für Spukwesen und Geistergeschichten gefühlt hätte. Selbst der aufklärerische und helle Sachse Lessing spricht davon, daß man beim lichten Tage mit Vergnügen über die Gespenster spotten und bei dunkler Nacht mit Grausen davon erzählen höre; er bekennt, daß sich vor dem Gespenst im Hamlet die Haare zu Berge richten, sie mögen ein gläubiges oder ungläubiges Gehirn bedecken. Und der königliche Held der Aufklärung, Friedrich der Große, interessierte sich so für Spukerscheinungen, die damals im Dorfe Tegel ihr Wesen trieben, daß er eine Abteilung Soldaten, immer sein letztes und sicherstes Mittel, zur Aufklärung hinschickte; allerdings ohne Erfolg, so daß Goethe im Faust spotten konnte:

Das Geisterpack, es fragt nach keiner Regel;
Wir haben aufgeklärt, und dennoch spukt's in Tegel.

Bei dieser allgemeinen Einstellung ist es nicht verwunderlich, daß es unter den Schriftstellern Spezialisten gegeben hat, in früheren Zeiten wie jetzt, die sich eine besondere künstlerische oder künstliche Art bzw. Unart herausgebildet hatten, Geistergeschichten zu erzählen; für den Literaturfreund belangreich, den Lesern willkommen, solange ihr besonderer Geschmack Mode war, aber vergänglich, wie alles wesentlich Moderne. Von bleibender Bedeutung sind schließlich nur die naiven Erzähler, die ihre Gespenstergeschichten aus Lust am Fabulieren und Freude, sich und andere »graulich« zu machen, erzählen. Sie werden dem eigentümlichen Reiz der Gespenstergeschichten am meisten gerecht, und deshalb haben wir unsere Auswahl aus ihnen zusammengestellt. Den Zwecken der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung entsprechend nur aus deutschen, obzwar wohl bewußt, daß gerade bei Gespenstergeschichten die Neigung auf keine Weise volkhaft begrenzt ist und daß Stücke von ganz besonders unheimlicher Stimmung sich gerade in den fremden Literaturen finden.

Das » Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen« ist den Kinder- und Hausmärchen der Brüder (Jakob und Wilhelm) Grimm entnommen. Wir haben sie wegen ihrer kräftigen und prächtigen Lebensbejahung als ein gutes Vorzeichen an den Anfang gestellt.

» Die Höhle von Steenfoll«, eine schottländische Sage, wie Hauff selbst angibt, unterscheidet sich durch ihre düstere Färbung wesentlich von den anderen Märchen des Dichters, denen sie entnommen ist. Eine gewisse Verwandtschaft mit dem »Fliegenden Holländer« können alle diese Geschichten von gespenstischen Schiffen oder ihrer Mannschaft nicht verleugnen.

» Das rote Haus« gehört zu den Vampyrgeschichten, wie Goethe eine in seiner Ballade »Die Braut von Korinth« alles Grausigen entkleidet und zu den Höhen rein menschlicher Schicksalhaftigkeit erschütternd erhoben hat. – Vampyr ist ein slawisches Wort, bedeutet Blutsauger und ist der Name für Verstorbene, die nachts ihrem Grabe entsteigen und besonders jungen Leuten beiderlei Geschlechts das Blut aussaugen. Man schützt sich dadurch, daß man Türen und Fenster der Häuser mit blutigen Kreuzen beschmiert. Das Grab eines Vampyrs ist an einem matten Lichtschein darüber kenntlich oder daran, daß ein Hengst, der noch keinen Reiter getragen, nächtlicher Weile von einem Knaben über den Kirchhof geführt vor dem Grabe scheut; öffnet man es, so liegt der Tote darin, frisch und rosig wie einer, der sich nach einer guten Mahlzeit zur Ruhe gelegt hat, und man hört und sieht ihn schmatzen; unschädlich gemacht und endgültig getötet wird er, indem man ihm einen angeglühten spitzen Pfahl in das Herz stößt. Der unheimliche Volksglaube ist außer bei den Griechen besonders bei den Slawen verbreitet, deren Literatur von ihm Geschichten erzählt, seltsam gemischt aus sinnlicher Sehnsucht und gespenstischem Entsetzen. – Beides gibt Gerstäckers »Das rote Haus« gut wieder. Wie der Titel, der ursprünglich »Werner« lautet, ist auch der Text nicht unwesentlich verändert, um das Wilde und Lebenzerstörerische, das gerade den Vampyrgeschichten eignet, stärker herauszuarbeiten; erst durch diese Kürzungen hat die Erzählung im Gegensatz zur folgenden, die schon in der ursprünglichen Fassung vollendet ist, künstlerischen Wert erhalten und ihre dramatische Schlagkraft voll ausgewirkt.

» Germelshausen« ist die Spukgeschichte eines versunkenen Dorfes, in ihrer rührenden Melancholie eigentümlich deutschen Gepräges.

» Die schöne Abigail« ist dem dreizehnten Band von Paul Heyses Novellen mit freundlicher Bewilligung der Cotta'schen Verlagsbuchhandlung, Stuttgart entnommen. Auch dies eine Art Vampyrgeschichte voll sinnlicher Sehnsucht und Grausamkeit, aber das Entsetzliche ist durch Paul Heyses klassische Kunst und der deutschen Gemütsart entsprechend gemildert. Die Rahmenerzählung ist, da sie hier nur die eine Geschichte umschließt, nur angedeutet.

» Der Untergang der Carnatic« ist dem Roman »Die Perlen der Adhermiducht« von A. J. Mordtmann mit gütiger Erlaubnis des Georgis Polyglott-Verlages, G. m. b. H., Bonn, entnommen. Das Buch ist vergriffen. Unsere Episode daraus hat wiederum etwas Verwandtschaft mit dem »Fliegenden Holländer«.

Zschokkes » Nacht in Brczwezmcisl« bildet das Satyrspiel oder den lustigen Kehraus des Gespensterreigens dieser Sammlung.

Benno Diederich


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