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»Boschtillon« Füchsle.

Erzählung von Otto Schweighöfer.

Eines Schönebacher Holzhauers Sohn war der Füchsle. Arm ging s zwar daheim gerade nicht zu, doch langte es auch nicht, große Sprünge zu machen. Das machte schon das Zinsgespenst unmöglich, das in jedem Vierteljahr tagtäglich mit größerer Deutlichkeit näher rückte und die ganze Familie in seinen unheimlichen Bann schlug.

Der Vater war allemal froh, wenn eine solche Zeitspanne ohne Krankheit, ohne Unglück im Viehstand – aus zwei Kühlein bestand der und etlichem Federvieh – ohne öfteres Ausbleiben des täglichen kargen Verdienstes wieder einmal dahin gegangen war. Hans im Glück war er aber, wenn's ihm gar gelang, zu den Zinsen noch ein Stücklein Abzahlung auf das Häusle abzutragen, das Häusle, das er im ersten Ehestandsjahre etwas gar leichtsinnig, nur im Vertrauen auf seine starken Arme, hoch auf dem Sommerberg droben grad an das naseweiseste Plätzle hingestellt hatte.

Das Büble trug noch Falltürleshösle, da trieb es die zwei Kühle schon hinaus, auf daß der geringe Futtervorrat, den die Grasflächen am Hang spärlich genug lieferten, über den langen Schwarzwaldwinter hinaus reiche. Ein blankes Kännle nahm es im Sommer allemal mit, nicht mit Moscht gefüllt oder mit leckerer Milch, nein, leer ging's mit hinaus und bis zum Rand gefüllt kam's zurück, gefüllt mit den prächtigsten Beeren des Waldes. Manch Gröschle von den Luftschnappern floß da in die väterliche Kasse, und der kleine Füchsle setzte seinen Stolz darauf, beim Kampf gegen das Zinsgespenst tatkräftig seinen Mann gestanden zu haben.

Im Herbst und im Frühjahr zog er mit einem derben Strick um die Lenden hinaus und brachte mit seiner Hilfe manch stattlich Bündel Lesholz mit nach Hause und nahm damit an einem andern Kampf gleich lebhaften Anteil, am Kampf gegen den schier unüberwindbaren Schwarzwaldwinter.

Die gute Mutter legte auch manch Silberstückle zum Wochenlohn des Vaters. Es war mit Waschen und Plätten für die Fremden und nach ihrer Meinung ohne alle Anstrengung nebenher verdient, und das glückliche Gesicht des Vaters, wenn der den Zins wieder einmal rechtzeitig beisammen hatte, ließen sie und das Büble nicht minder alle gehabte Mühe gern vergessen.

Ohne den steten Beistand eines stillen Helfers wäre es freilich kaum so glatt abgegangen. Und der alte Füchsle wußte das und gab dem lieben Herrgott droben darum gern die Ehre. Und unserm Füchsle blieb all sein Lebtag solcher Dank an Gott die allerwichtigste Zinszahlung.

Mit dem Boschthaltersfritzle drückte der kleine Füchsle in den drei ersten Schuljahren die gleiche Schulbank. Legten den Grund zu einer unzerbrechlichen Freundschaft, die zwei, wetteiferten aber nicht nur in der Jagd nach der Gelehrsamkeit, nein, sie trieben auch alle möglichen losen Streiche. Freilich heckte das Fritzle, zumal in den Jahren, da es in »Stuag'tt d' G'lehrteschul« unsicher machte und dann nur in den Ferien nach Schönebach kam, die besagten Streiche nur aus. Freund Füchsle setzte die Pläne geduldig in die Wirklichkeit um und ertrug dann ebenso geduldig die meist unausbleibende Anerkennung ganz allein.

Dafür brachte aber die Freundschaft mit dem Boschthalterfritzle ihm Stunden, da er im Wunderland sich wähnte. Das lag nun nicht etwa im Monde, das lag nahe, sehr nahe sogar. Nun hätte manch andrer die Nase gerümpft, hätte er ein Stündlein nur sollen drin weilen.

Boschthalters Pferdestall war nämlich das Wunderland für den kleinen Füchsle.

Bald durfte er schon Fährtle tun, und die Fremden waren schier närrisch mit dem kleinen, gewissenhaften Kutscherle. Da konnte er gar nicht selten mit Silberstücklen nach dem dummen Zinsgespenst schmeißen.

So lebten die drei Leutle, wenn auch nicht gerade im Ueberfluß, so doch auch keineswegs in Not, zufrieden mit ihrem bescheidenen Einkommen bis in des Knaben zwölftes Jahr.

Da schlug dann ein Baum im Wald dem kleinen Füchsle den lieben Vater nieder. Mit der Mutter allein mußte er da ringen mit dem unerbittlichen Feind.

Vom alten Boschthalter kam zwar Hilfe. Er streckte ein Sümmlein vor, und damit war der dringlichsten Not gewährt. Der Füchslesbub verdoppelte aber seine jugendlichen Kräfte, griff zu, wo es nur ging, spielte im Sommer um viere schon den Hausknecht und putzte in der »Boscht« den Fremden das Schuhwerk, band Besen und schaufelte Schnee im Winter, und Treiber war er schon bei allen Jagden.

Dann nahm ihn nach vollendeter Schulzeit der alte Boschthalter ganz in den Dienst, und er hätte nun mit keinem Kaiser getauscht, wenn's ihm auch freilich zu Zeiten ein hartes Stückle ist gewest, daß er nicht konnte ein Geschäftle erlernen und dann später mit einem Riesenlohn besser für sein Mütterle sorgen.

Doch drückten sie sich auch so gut durch, er und sein Mütterle. Und es durfte auch den Ehrentag noch erleben, da der Bub zum erstenmal im Hut mit dem stattlichen Stutz und der gewichtigen, goldenen Troddel, um die Brust das glänzende Hörnle gehängt, als Boschtillon hinunterfuhr durs Tal nach Weisenheim hin.

Es hat's auch noch erlebt, das gute Mütterle, daß der Füchsle dem Zinsgespenst für alle Zeiten das Genick brach, wenn das freilich auch nicht in der Absicht ihres Buben gelegen hatte. Und von da an lebte die Füchslesmutter auf Erden schon im Himmel.

Wie es aber kam, daß das Zinsgespenst endlich seinen Herrn und Meister fand, das sei nun getreulich berichtet.

Ein Hochwasser war im Flüßle und war wirklich so hoch, daß jeder echte Schönebacher ein Gericht Forellen sich fangen durfte nach einem alten Herkommen, und ohne alle Anfrage griff denn bei solch einer »Gieß« ein jeder nach der »Bärre«, dem kleinen starken Netz an der armsdicken, langen, schweren Stange.

Auch das Lausbüble Boschtfritzle – vom ehemaligen Busenfreund das vielversprechende Söhnlein – griff heimlich sich eins, schlug es wie die Alten ins tobende Wasser, und schon riß der Unhold Hochwasser Büble und Netz zu sich in die Fluten.

Ohne Besinnung sprang der Füchsle, der flußabwärts fischte, in den tosenden Abgrund, fand Halt an einem mächtigen Granitblock und griff noch rechtzeitig das pfeilschnell dahin schießende Menschlein.

In der entsetzlichen Lage hielt er aus, bis endlich ein Tau zu ihm herüber flog, mit dem er das Büble an die Brust, die treue, die breite, sich band, bis auch ein zweites Tau noch kam, das er dann um den Leib sich wand.

Sie rissen die zwei durch die Fluten, reichlich geschunden den Füchsle, ganz unversehrt das Büble, weil ein starker Arm es gar sorglich umschlungen hatte. »Weischt, Büble«, sagte der Füchsle dann mit seiner breiten, knarrenden Stimme zu dem Häuflein Unglück mit den schreckensstarren Augen und legte es in die Arme des vor Freude weinenden Vaters, »streck's Näsle ins Büachle, und bischt erscht mal trocke hinter d'Ohre, no kannscht au meintshalbe wieder mal zur Bärre greife, Lausbüable, donnderschlächtig's!«

Das Wort und die Heldentat waren so etwas wie eine Rache an dem Lausbüble Fritzle gewesen, Rache für einen ganz niederträchtigen Streich, den ihm das Strickle einige Monate zuvor gespielt hatte.

Freilich war es bis dahin des Alten dickster Freund gewesen, hatte ungezählte Rittle gemacht auf dem dicken Hans oder auf der braunen Liese zum Schmied oder zum Born hinunter ins Oertle, und Zucker für des Füchsles Rösser hatte er immer im Hosensäckle.

Dann aber war's in die Flegeljahre gekommen und war da immer bereit, etwas zu »boskern«, genau wie vor Jahren ein anderes Boschtfritzle und dessen Busenfreund, ein gewisser Füchsle.

Die Flegeljahre waren also die eine Entschuldigung für den vielgeliebten Boschtillon. Aber es kam noch etwas anderes dazu.

Die »Boschtmädle«, Boschthalters zwei Teufelsmädle, hatten dem Füchsle einmal einen blinden »Patescheer« in das Böschtwägle praktiziert. Ein altes Weiblein war's aus Stroh und paßlichem Kleiderwerk. Der Füchsle hatte das Kunstwerk ahnungslos mit bis nach Weisenheim genommen, und nun lief für ein Weilchen mit dem Füchsle das ganze Tal hinauf und hinab ein gutmütiger Spott.

Der Füchsle war mucksmäuslestill zu allem Gespött. Doch dachte er im stillen nur darauf, den Streich mit Zinsen zurückzugeben. Und es muß gesagt sein: auch die Boschtmädle warteten darauf mit Schmerzen.

Es war mitten im Juli in einer linden Sommernacht. Füchsle krabbelte schon um zweie aus dem Nest und hatte allerhand Ungewohntes zu tun, das nicht im Zusammenhang stand mit seiner bevorstehenden Fahrt.

Dann stand er im Gang, wo das Stüble der Mädle sich befand, donnerte mit der Faust gegen die Tür, brüllte – und das klang schrecklich echt – brüllte: »Mädle, stand auf! – Ganz Schönebach ischt in Flamme!«

Und die Boschtmädle fahren erschreckt in die Pantöffele und in die Unterröckle und stürzen hinaus, ihr kostbares Leben zu retten.

Da fährt ein neuer Schreck über sie her: ein Strahl aus der wohlgefüllten Handfeuerspritze der Boscht. Klitschnaß waren sie gleich wie zwei grad aus dem Bach gezogene Kätzle. Und haben dem Füchsle, wohl weil der so schön angewärmtes Wasser in die Spritze gefüllt hatte, am Morgen ein Viertele roten Affentaler neben sein leckeres Frühstück gestellt, und das »Viertele« war bis an den Rand gefüllt eins von den getupften Literfläschlen.

Mit dem Stückle war nun zu den Flegeljahren des Boschtfritzle noch etwas Anderes gekommen, und das hieß: das schöne Beispiel.

Gar zu gern hätte das Strickle seinen alten Freund nun auch einmal einen Possen gespielt, und erwartet hätte es natürlich, der taufte es auch einmal so mitten in der Nacht.

Es brütete einen Plan aus. Es stellte des Abends nach des Füchsles Abmarsch zur Nachtruhe, der allemal schon um Neune erfolgte, einen Strohmann an die Deichsel des Boschtwägeles. Es band auch eine Schnur an besagte Deichsel. Es leitete sie in die nachtdunkle Speisekammer der Boscht.

Dann rasselte mit einem Male es so fürchterlich, als reite da einer wie verrückt auf dem zerbrechlichen Holz. Schon war der Füchsle in den Hosen. Schon stand er auf dem Hof, hielt in der Hand die Peitsche, hielt sie verkehrt. Dachte den Reiter erst mächtig zu erschrecken und dann ein wenig zu verkamioseln, brüllte drum: »Gangscht runter!« und – der Kerl ritt ruhig weiter.

Da kam der alte angeborene Jähzorn über ihn. Er zählte nicht auf hundert, wie das gute Mütterle selig ihn immer so dringlich empfohlen hatte.

Er zählte überhaupt nicht, und das andere Mittele, einen herzhaften Biß in den Finger, versuchte er schon gar nicht.

Nein, der Füchsle schlug dem Bösling, der da mit »Königlichem Diensteigentum« so liederlich umging, den schweren Peitschengriff an den Schädel, und der Reiter stürzte lautlos zu Boden.

Da war der Jähzorn weg. Da kam das Entsetzen. Das warf des Füchsles schweren Körper gegen die Wirtsstubentüre, daß die krachend hineinfiel. Einen Aufruhr gab's da, als sei der Habicht unter die Hühner gestoßen.

Bis dann der Boschthalter die Lampe nahm und man den Ort der Tat schreckensbleich besichtigte.

Das Boschtfritzle sei noch verkamisolt worden in jener Nacht in dem dunklen Vorratsraum drin. Doch nicht vom Füchsle. Wie der sich gerächt hat, das ist ja vorher bewiesen.

Damals hatte der Boschthalter kaum gewagt, dem Retter zu danken. Er kannte seinen Füchsle, dachte: kommt Zeit kommt – Boschthalter.

Und die Zeit kam.

Es war da jedes Fahr ein alter, schwerreicher Herr in der »Boscht« mit seinem Enkele, einem gar kranken Mädele. Der blieb so lange, wie das Wetter das nur irgend zuließ, bis in den Winter hinein. Dem Dingle war der Füchsle bald ein lieber Freund, und er widmete ihm manch Stündle von der so kargen Freizeit, bosselte allerhand Sächle aus Holz für die Kleine, führte es in seinem Wägele spazieren, erzählte ihm die schönsten Geschichtle und tanzte ihm zu Zeiten gar ein Tänzle.

Das hätte bloß einer sehen müssen, wie zierlich der ungeschlachte Füchsle grad wie ein Balletmädle die Zipfel von dem Dienstrock dann faßte, wie er sich drehte wie ein Pumpenstock, der närrisch geworden ist vor Freud, wie er dazu mit einem Reibeiselbaß sang: »Im Ringel rom, im Ringel rom goaht's Kutscherädle, und mei' herzallerliabscht' Schätzele ischt a Bauremädle!« Wie hat dann das arme Hascherle gelacht, und rote Bäckle hat's allemal gekriegt, und der alte Herr hat dann immer wieder von neuem aufgeatmet und wieder ein klein wenig gehofft.

Nun stand's dann eines Tages ganz besonders schlimm. Und es war kein Doktor zu haben. Wieder einmal war Hochwasser, noch entsetzlicher als das vorher. Und das hatte die Brücke weggerissen, über die der einzige Weg hinaufführte nach des Doktors Heimatsörtle oben im Tal.

Tausende bot der alte Herr dem, der ihm den Doktor brächte. Und doch sahen die beherztesten Burschen sich ratlos an. Vom Leidenslager aber kam ein Gewimmer, das allen das Herz zerriß.

Da kam der Füchsle von der Boschtfahrt. Dem brauchte man gar nicht erst lange zu erzählen, was alle entsetzte. Der herrschte einen kurzweg an, die Rösser ihm auszuspannen. Ein armsdickes Fichtenstängele ergriff er im Hof, band seinen Postillonsmantel oben daran, drückte dem Boschthalter noch einmal wortlos die Hand und ging dann – diesmal mit ruhigem Bedacht – an sein schweres Werk.

Und richtig ist der Füchsle an jenem Tag mit Hilfe des Fichtenstängles durch das Hochwasser herübergekommen. Später hat er behauptet, es habe ihm ja einer treulich geholfen. Und meinte den lieben Herrgott droben.

Drüben zog der Füchsle irgendwo ein Gäule aus dem Stalle, jagte auf dem ungesattelten Tier nach Duselfingen hinauf und riß dem Doktor schier die Schelle von der Türe. Bis der dann kam, hatte er längst dann dessen Pferd in's Wägele gespannt, sein abgehetztes Tier in den Stall geschoben, sich selbst den langen Postillonmantel umgehängt und saß abfahrtbereit und vor Ungeduld zitternd auf dem Kaleschle.

Dem Doktor hat's dann gegrauselt auf der Fahrt. Und kam für ihn noch etwas ganz Anderes.

Zum Fluß hinunter jagte das Fuhrwerk. Abspringen, den Mantel abwerfend, den alten Doktor vom Wagen reißen waren eins.

Und an jenem Tage hat der Boschtillon Füchsle einen Menschen durchs Hochwasser hinübergetragen, und es soll das nicht im mindestens ihm die herrliche Tat verkleinern, wenn getreulich berichtet wird, zu allem Glück hätten die wilden Wasser in dem abgelaufenen Stündle sich ein klein wenig beruhigt gehabt.

Das kleine Mädle ist dann wirklich gerettet worden.

Dem alten Herrn hat am nächsten Morgen der Füchsle schier die Hand weggeschlagen, die Hand, die ihm Tausende bot für seine herrliche Tat. Und »saugrob« ist er geworden, der Füchsle.

Da war aber die Zeit gekommen, und da kam auch der Boschthalter.

Der spielte dem Füchsle jetzt auch einmal einen Streich. Er machte sich's aber leicht, der Herr Boschthalter. Er tuschelte nur ein wenig mit dem alten, reichen Herrn. Und lächelte in den nächsten Tagen manchmal heimlich.

Und lachte über des Füchsles dummes Gesicht, mit dem der ein paar zerrissene Blättlein Papier betrachtete, die dem Ahnungslosen der Herr Boschterp'ditter, verschlossen in einem dickversiegelten Umschlag, kurz nach der Rückkehr von der Postfahrt überreicht hatte.

Die Schuldscheine waren's von des Füchsles Häusle am Sommerberg droben.

Und nun sei nochmals behauptet: Ohne sein Wollen hat der Boschtillon Füchsle mit eigner Hand dem widerlichen Zinsgespenst ein für allemal das Genick gebrochen.

Und ehe der Füchsle noch recht sich erholt hatte von der frohen Ueberraschung, da fiel's noch einmal über ihn her. Denn der Boschthalter machte nichts halb.

Sei's um drei Tage später, da warteten drei Herren auf den Boschtillon Füchsle, drei hohe Herren, der eine gar mit ein paar bunten Bändchen im Knopfloch.

Da hatte der Füchsle Lunte gerochen von dem, was ihm bevorstand. Das Lausbüble Fritzle hatte die Ueberraschung in seiner Freude verraten. Einen Orden sollte sein Freund Füchsle ja auch kriegen von den hohen Herren!

»'n Orde?« Der Füchsle dehnte das Wort so respektlos, als sei das ein Lakritzenstengele und er noch ein unzufriedenes Büble. »'n Orde? – Sell hätt grad no für so 'n alte Esel gefehlt!« Sein Frühmahl ließ er gar im Stich und ging strackwegs hinauf in sein Stüble.

Hei, wie schnell kriegte der Boschthalter der Querkopf aber heran! Er ging ihm stracks nach und sagte nur so ganz nebenher: »Füchsle, daß nur weischt, 's ischt einer vo d' Boschtherre drunte, und grad han i g'hört, wie seller g'sait hat: »O'b'greiflich! 's g'hört doch zum Dienscht und – –«.

Da fuhr der Füchsle schon in den Staatsrock und polterte, sich fast überstürzend, die steile Treppe hinunter. Da ließ er sich steif wie ein Stock vom Herrn Oberamtmann die Rettungsmedaille irgendwohin höchsteigenhändig anstecken. Da hörte er respektvoll die Rede, die der hohe Postherr auf ihn losließ, hatte auch noch so viel Besinnung, daß er die dargebotenen Hände nicht ganz zerdrückte. Machte dann kehrt, daß das Stüble wankte und zog sich aufatmend in seines zurück. Dachte, die Geschichte mit dem »Blechlesding« wäre nun endlich erledigt. Und legte das »Blechlesding« ganz unten hin in's unterste Eckchen der Truhe.

Hatte aber noch einmal die Rechnung ohne den alten Boschthalter gemacht. Der tuschelte noch einmal.

Wie dann beim nächsten Geburtstag des Landesherrn der Boschtillon Füchsle dem hohen Tage zu Ehren im Staatsrock zu der Abfahrt antrat, da sagte der Herr Boschtexp'ditter und hatte dabei ganz ungewohnter Weise die Vorgesetztenmiene aufgesetzt: »Füchsle, daß Se's nur wisset: Zum Paradea'zug sind o'b'dingt d' Orde und Ehrezeiche a'z'lege! I sag's Ihne dienschtlich!«

Und das hat genügt für immer.

Daß der Bub einen richtigen Orden bekommen hatte, das war die letzte Freude, die die Füchslesmutter an ihrem Einzigen erleben durfte. Sie ist dann still und zufrieden eingeschlafen, und es war nur bedauerlich, daß sie nicht noch den Wunsch erfüllt sehen durfte, den sie im tiefsten Innern gehütet hatte, der nur an Festtagen und den Allervertrautesten gegenüber sich schüchtern hervorgewagt hatte: den Wunsch nach einer großen Leiche.

Der wurde ihr erfüllt wider ihr Erwarten und wider das des guten Füchsle erst recht. Der hat sicher nicht zu denken gewagt, daß ihm zu Liebe fast noch mehr als aus Verehrung zu dem bescheidenen, fleißigen, alten Weiblein die ganze Gemeinde und – was ganz unerhört war – fast alle Sommerfremden im Ort den mühseligen Weg zum Gottesacker hinter Schwarzergrund droben nicht scheuten.

Was wäre die alte Füchslesmutter aber erst glücklich gewesen über den sündhaft teuren Sarg, den der Bub ihr für die letzte Ruhe bestellt hatte, und der gewiß nicht hinter dem vom Schultheiß zurückgestanden hatte! Sie hätte gewiß nicht gewagt, in ein solch kostbares Bett sich hineinzulegen, und ganz gewiß hätte sie mit Händen und Füßen sich dagegen gewehrt, daß der Bub noch einen weiteren Leichtsinnsschritt getan hatte. Wie wäre die Gute erschrocken gewesen, hätte sie bemerken können, daß die Träger ja nicht unten hineinschwenkten ins unterste Ende des Gottesackers, wo von jeher »unsereins Leut« liegen müssen, wo's naß war und gewißlich schauerlich zu liegen auch im heißesten Sommer!

Die alte Füchslesmutter lag jetzt mit dem Schultheiß in einer Reihe, hatte wie der ein gekauftes Grab, konnte nun ungestört liegen für alle Zeiten und – wie mußte ihr das ein Trost sein! – ein kleines Endle von der Landstraße konnte sie übersehen und ein paarmal des Tages das Boschtwägele und ihren Buben grüßen.

Es hat aber merkwürdigerweise niemand dem Füchsle sein Tun als Ueberhebung angerechnet, im Gegenteil, es hieß nur reihauf und ab: »Se hat's verdeent, d' guat, alt' Füchslesmutter!« oder: »Er ischt halt alleweil sei'm Müatterle a arg guater Soh' g'wäe, der Füchsle!«

Die übergroße Teilnahme an der »Leich« aber hatte den guten Füchsle derart benommen, daß er immerfort in einem dumpfen Staunen war gewesen, und schwer fiel es ihm hernach manchmal auf's Herz, der Abschied vom lieben Müatterle sei ihm eigentlich so gar nicht recht zum Bewußtsein gekommen.

Und noch ein anderes kam ihm nicht recht zum Bewußtsein: die Furcht vor der schauerlichen Leere im Häusle droben auf dem Sommerberg.

Das hatte ein paar Tage später nämlich schon wieder einen Bewohner, und was für einen! Einen Gast, den der Füchsle kaum weniger schätzte als das Müatterle selig, und für den er drum auch kaum weniger gut sorgte.

Im Häusle auf dem Sommerberg droben wohnte von da an das Liesle.

Und das Liesle war dem Füchsle sein ehemaliges und einziges Verhältnis.

Der Füchsle ein Verhältnis? Konnte in den denn überhaupt ein Mädle sich einmal vergucken!

Ungeschlacht war doch des Füchsle Gestalt, als ginge ein Riesentier schwerfällig aufrecht. Oben darauf saß ein Kopf, dem zum Modell sich der Schöpfer ohne Zweifel die Kegelkugel genommen hatte. Rund war das Köpflein wie vom Drechsler geliefert. Nur übertraf's das Kegelkugelmuster ein weniges an Fülle. Es klebten daran: vorn ungefähr in der Mitte ein winzig kleines Näsle, ein richtiges »I-Tüpfele«, an den Seiten aber zwei leidlich große Ohren. And auch der Mund war nicht zu knapp geraten. Auf dem Kopf aber standen, borstig und rauh wie die Stoppeln, gelbdrahtige Stacheln in dichtem Gewoge. Und sollten wohl Haare sein.

Der Füchsle aber hat das wohl alles in anderem Lichte gesehen. Der sagte ja noch in seinen alten Tagen von sich: »I bin wirklich jetzt a alt's wüascht's Muschter, und i schau grad nit mehr so, daß a Mädle in mi könnt sich vernarre! Aber as i jung bin g'wäe, bin i d' schönscht Bua im ganze Flecke g'sei: d' ganze Kopf voll gäle Löckle und a Häutle wie a neug'born Kindle!«

Glich jetzt der borkigen Rinde einer alten Schwarztanne, das Häutle, so rauh war s und so rot, und leicht konnte der Gute in den schlimmen Verdacht kommen, ein ander Liebschäftle gehabt zu haben: ein's mit der Jungfer Fläschle. Wer freilich einmal im Winter den Füchsle hatte ankommen sehen, einem wandelnden Schneemanns gleich, und wer nur einmal auf dem Bock neben ihm des eisigen Osts unerbittliche Nadelstiche selbst gespürt hatte, der nahm den Guten wegen des »Häutles« und ganz besonders wegen des blauroten, itüpfeligen Näsles gerne in Schutz. Und der Füchsle braucht gar nicht erst zu brummen: »I hann d'Nas, und d' Lätschermäuler, selle sind's, wo saufet!«

Wirklich, wie ein Adonis sah der Füchsle gewißlich nicht aus. Aber ein Blick in seine guten Augen ließ alle die fragwürdigen Zierden seiner ungeschlachten Gestalt mit einem Schlage vergessen. Da leuchtete so viel Herzensgüte heraus und so viel goldene Treue, daß ein braves Mädle sich wohl konnte in den Füchsle vergaffen.

Der Füchsle aber hat sein Liesle als Eheweib nicht in sein Häusle führen können, und dem, der gut mit ihm stand, hat er auch offen den Grund gesagt.

»Wisset Se«, hat er etwas wehmütig dann immer gesprochen, »mir hännt nit z'samme komme könnet, 's Mädle hat halt z'viel Geld g'hätt, hat's sei Vater partu nit g'litte, daß 's mi g'nomme hat. D' Bachbaure, vom Liesle d' Vater, hat dortmals no für d' graischt Baure einer golte und hat durchg'setzt, daß 's Mädle d' Rößleswirt krieagt hat. Und vo sellen ischt gar g'sait worde, er säß in 'm Goldgrüable drin.«

Und nur ein Füchsle konnte auch sagen: »An's Liesles Hochzigtag bin i, grad wie i vo d' Boschtfahrt bin komme, in d' Kirch' nei' gange. Am Altar hat sich's Liesle no mal umdreht und mir d' letschte Blick zug'worfe. I hann 'm arme Hascherle zugenickt. Und g'schwore hann i mir selbiges Moal im Stille: I helf g'wiß, wenn d'Not a d' Ma kommt!«

Die Not ist bald an den Mann gekommen. Der Füchsle mag's noch selbst in seiner schlichten Weise erzählen:

»A guat Jährle später wurd 'm Bachbaure dann d' Hof vergantet, und er hat d' Schand' z' Herze g'nomme und ischt ins Wasser nei'ganget.

Im näschte Jahr ischt d' Kriag ausbroche. D' Rösleswirt hat mit 'naus g'mußt. Mit'm Boschthalter ischt er in selbigem sei'm Regiment drin g'stande.

D' Rösleswirt ischt im Kriag drin bliebe. In Frankreich drübe ischt er ei'g'scharrt. Ins Frankreich nei' hann i leider nit dürft mit d' Rösser und 'm Wägele, wie i gar z' gern g'wollt hätt'. Aber d' Fritz hat mi bittet, daß i a bißle nach sellen sei'm Sach schau.

Sell wär bei meiner Seel beim Liesle no mehr vo Nöte g'wäe. Aber 's Mädle ischt halt z' stolz g'wäe, um Hilf mi z'bitte. Bald hat's mit seine zwei Büable vom Hof runter g'muscht. Und ischt laut g'worde, daß d' Rößleswirt scho nit zum beschte g'standen ischt, wie er a'gehalte hat um Liesle. Selbig's Mal hat d' ei' B'trüager d' ander b'troge.

's hat dann sei' zwei Büable nach 'nander verlöre, 's arm Mädle. 's Mädle ischt vo all den Jammer z'sammebroche. No hann i halt immer a bißle für 's g'sorgt, für's arm Hascherle.«

Das »bissele Sorge« ist aber in Wirklichkeit so gewesen:

Das Liesle hatte tapfer einen Dienst angenommen beim Brückenwirt unten im Ort. Und das war ein Dienst so gut wie in der Hölle. Das Liesle hat ausgehalten trotzdem bis zum letzten Ende seiner schwachen Kräfte. Wie es aber dann ganz und gar zusammengebrochen war, wie es, gelähmt für immer, in des Brückenwirts feuchtkaltem Hinterstüble lag, »überläschtig« für alle und drum verlassen von allen, da ist denn eines Tages der Füchsle vor ihm gestanden.

Er hat nicht viel parlamentiert. Er konnte es gar nicht beim Anblick von dem Häuflein Unglück, das trotzdem noch so viel Kraft hatte, sich mit Tränen und hastigem Wortschwall zu wehren gegen einen Vorschlag, den der Riese ungeschickt genug hervor gestottert hatte.

Er hat sich dann nicht anders zu helfen gewußt. Er hat das Liesele fürsichtig und sorglich wie ein kostbar und zerbrechlich Kleinod auf die bärenstarken Arme genommen und es in einem Atem hinaufgetragen bis oben auf den Sommerberg in sein klein Häusle.

Da droben ist auch das Liesle bei all der Liebe und Pflege ein klein wenig wieder aufgeblüht und hat's wieder so weit gebracht, daß es tagsüber im Lehnstuhl sitzen konnte, den ihm neben vielem anderen der Füchsle geschenkt hatte.

Und es ist niemand im Oertle und niemand im ganzen Tal eingefallen, auch nur mit einem Wörtle darüber zu mäkeln, daß droben in seinem Häusle der Boschtillon Füchsle viele, viele Jahre ein gar kostspieliges Verhältnis unterhielt.

Der Füchsle hat aber auch noch von einem andern »Bissele« geredet, und das war nun so:

Der Füchsle hat wirklich in dem Kriegsjährle die Wirtschaft zur »Post« geleitet, und sogar gut hat er sein Sach gemacht, daß der Boschthalter nur immer staunen konnte, wie er zurückkam und das Ergebnis überblickte.

Ein Stückle hat sich aber der Füchsle in jenem Jährle geleistet, mit dem er wenigstens einmal in seinem Leben seinem Namen alle Ehre gemacht hat, und im ganzen Tal lachte man Tränen darüber.

Da fuhr eines Tages – es war gerade am ersten Oktober – der Brückenwirt schon des Morgens um viere mit der Frühboscht nach Weisenheim hinunter. Er setzte sich gar noch zum Füchsle auf den Bock hinauf, grad als hätte der vergessen, wie garstig er es dem Liesle gemacht hatte, als wären auch die unzähligen Versuche nicht gewesen, den Boschthalter zu schädigen, indes der draußen des Brückejaköbles Eigentum mit beschützen half. Todfeind war er ja dem Boschthalter, weil dessen Wirtschaft blühte, und weil die seine – durch seine eigene Schuld – immer mehr herunterkam und den Namen »Neiderjaköble« hatte man ihm schon angehängt wegen seiner Niedertracht.

Und der saß nun neben dem Füchsle auf dem hohen Bock? Er war aber mächtig verkatert, weil er den »Neuen«, der tags zuvor angekommen war, gar zu gründlich probiert hatte, und er erhoffte Besserung von dem Morgenlüftle, das oben auf dem hohen Bock gar lustig wehte.

Der Füchsle bot ihm nicht wie andern gern gesehenen Gästen sein warm Deckle an. Er stopfte sich's vielmehr mit energischem Ruck unter die eigene Sitzgelegenheit, nachdem er's umständlich doppelt und dreifach zusammengelegt sich selbst über die Knie gebreitet hatte. Fragte auch nichts darnach, daß er dem Jaköble ein wenig unsanft dabei in die Seite stieß. Fragte noch weniger darnach, daß einem Hosenboden das Deckle noch nicht einmal recht schien. Der bildete sich ein – und zwar mit Recht, – daß er eigentlich schon gepolstert genug sei, und empfand darum die Unterlage als ein ihm zugefügtes bitteres Unrecht, das zudem an drückenden Falten überreich war. Schob sich darum schließlich vor bis an die vorderste Kante des Sitzes, der arme geplagte Hosenboden, um dem heimtückischen Deckle nach Möglichkeit zu entgehen.

Doch hat der Füchsle durch die zusammengebissenen Zähne gemurmelt: »And wenn d'Blase kriagscht bis Weisenheim wie 'n Taler so groß: Hocke bleibe muscht. I gönn 'm Neiderjaköble 's Deckle ums Verrecke nit.«

Das Neiderjaköble zeigte auch bald, daß solche Fürsorge übel angebracht gewesen wäre. Er wurde vielmehr über die Maßen frech. Es fing gar an, dem Füchsle allerhand zweideutige Geschäfte vorzuschlagen, und »ob d' neu Hotelier au sein Name könnt schreibe«, erdreistete er sich gar zu fragen.

Schießlich schlug's Trumpf auf.

»Weischt, warum i grad heut nach Weisenheim fahr?« quäkte es mit seiner fettigen Stimme. »I steiger heut 's Forellenwasser! – Gelt, da gucket Se, Herr Boschthalter? – Ja, ja, so goahts! – A jed Sau sollt halt bei ihr'm Trog bleibe, Füchsle! – And d' Forelle kann d' Herr Boschthalter meintswege auf d' Landstraß' sich fange! – Vo mir kriagt er au nit 'n Schwanz!«

Den Füchsle erschlug fast die Neuigkeit. Kein Wunder! Ein Schwarzwaldhotel, gefüllt bis zum Dach mit Luftschnappern und Wandrern, ein solches Haus ohne Forellen? Ein Messer ohne Heft und Klinge ist noch eher denkbar!

In dem Durcheinander des Kriegsjahres hatte man die Erneuerung der Pacht vergessen. And der Füchsle wußte jetzt auch, warum in den letzten Wochen das »Blättle« nicht angekommen war. Das hatte gewiß die Aufforderung zur Pacht enthalten. Und der damalige Herr Poschtexpeditter war des Neiderjaköbles dickster Freund! Die Vollmacht des Boschthalters an den Füchsle aber lag wohlverschlossen daheim ganz unten in seiner Truhe! Es war zum Verzweifeln!

Wie aber dann das Boschtwägele hin- und hergeworfen wurde halbwegs Langenbach in den tiefen Geleisen, die die Langholzwagen dort eingeschnitten hatten, wie der Neiderjaköble dann jedesmal zusammenzuckte, da fuhr der Füchsle auf einmal auf, als hätte ein Blitzstrahl ihn innerlich erleuchtet. And sein biederes Gesicht strahlte.

Er fuhr nun mit einem Male wie rasend, fuhr in richtigen Schlangenlinien, und es lag kein Stein auf dem Weg, an dem nicht eins der Räder zum mindesten anprallte. Er fuhr so, bis der Brückenwirt vor Schmerzen in seinem durcheinander geschüttelten, verkaterten Kopf ihm heftig in die Zügel fiel, und knurrte dann obendrein saugrob: »Weg da! – Auf'm Bock bin i d'Herr, und i fahr grad, wie i will!«

Er fuhr wie der Satan, bis sich das Neiderjaköble aufs Bitten verlegte. Und der haltlos zusammengeknickten Jammergestalt versprach dann der Füchsle, in Langenbach trotz der Herrgottsfrühe den Apotheker herauszutrommeln und bei ihm ein Pülverle zu holen.

Er holte auch tatsächlich das Pülverle. Es sei zwar gar bitter, aber auch »über d' Maße guat«, und in einem Liter Affetaler sei's am besten zu nehmen. Der Brückenwirt setzte freiwillig noch zwei andere darauf. Und der leichtsinnige Füchsle verschob zum ersten Male in seinem Leben einem Fahrgast zuliebe die Abfahrt um mindestens drei Minütle.

Aber dann holte er auf, was er versäumt hatte. Er fuhr, als sei er des Kaisers schnellster Kurier, geschickt mit den dringlichsten Depeschen. Und die armen Rösser schäumten bald vor Wut.

Und der arme Neiderjaköble griff bald von neuem in die Zügel und gurgelte etwas daher. Worauf der Füchsle anhielt, den Jammermann herunter klettern ließ, und der fand dann am Weg in einer mitleidigen Telegraphenstange den einzigen Helfer in seiner Not.

Denn der Füchsle, der Schandkerl, schlug auf seine Rösser, daß die entsetzt davonstoben, und noch nicht einmal umgesehen hat sich der famose Postillon nach seinem verlassenen, todkranken Passagier.

In Weisenheim hatte er dann mächtig mit dem Herrn Exp'ditter zu verhandeln. Ein Depeschle erhielt er von dem nach einer halben Stunde. Mit dem Papierle ging der strackwegs zum alten Forstrat und steigerte dort das Forellenwasser. Die telegraphische Ermächtigung der Frau Boschthalter, die er dabei vorwies, hätte er gar nicht nötig gehabt. Der Herr Forstrat hätte ihm gern ohne Anzahlung und ohne sein Fetzle Papier den halben Wald verkauft, aber von Rothschild hätte er ganz gewiß einen sicheren Bürgen verlangt.

Auf der Rückkehr hat dann freilich der Füchsle seinen Passagier, der mühsam genug nach Langenbach zurückgekrochen war, wieder aufgeladen. Er bekam jetzt sogar das »warm Deckle« doppelt und dreifach und den Postillonsmantel noch dazu. Und vor des Brückenwirts Anwesen hielt der Füchsle gar entgegen aller Instruktion das Boschtwägele an.

Hatte es ihn doch gereut, was er getan hatte? Zu Langenbach in der Apotheke hatte sich nämlich der Füchsle ein gar merkwürdiges Pülverle geben lassen, und der alte Doktor Salberer hatte es etwas leichtsinnigerweise gern gegeben, nachdem ihm der Füchsle hastig die näheren Umstände kurz erklärt hatte. Es hatte ja auch der Füchsle einmal bei einem fürchterlichen Unwetter unterwegs den Doktor Salberer in den überfüllten Postwagen aufgenommen, hatte selbst für den Rest der Fahrt hinten auf der Deichsel gehockt und so ein etwas unwürdiges Bild eines Postillons abgegeben. Aber er hatte sich auch des Doktor Salberers ewige Dankbarkeit verdient. Daher die freundliche Aufnahme in der Apotheke.

Gewünscht aber hatte er »so a kleines Pülverle, wo 'n Mensche zwinget, sich o'fehlbar zu übergebe. O'schuldig müscht's scho g'sei und dann aber d' graischt möglich Portschon«.

Und daher die »Worgserei« beim Neiderjaköble.

Muß man noch mehr vom Füchsle erzählen, den unsern Herzen näher zu bringen? Ist's nicht eigentlich überflüssig, zu behaupten, daß der Boschtillon Füchsle niemals in seinen langen Dienstjahren – von dem Strohweiblein abgesehen – einen blinden »Patescheer« mitgenommen hat in seinem Wägele? Daß er pünktlich abfuhr, pünktlich auf's Minütle? Und genau pünktlich eintraf, wenn's nicht gerade mit Mühlsteinen herunterkam? Und es war doch auch gewiß nicht Ungefälligkeit von ihm, daß er Besorgungen gelegentlich der Postfahrt grundsätzlich ablehnte. Nein, da war ja der Füchsle im Dienst und hatte dann für etwas Anderes nichts übrig. Und wollte gewißlich vor allem die Post nicht betrügen. Denn kam ihm einer damit, dem er nicht konnte gut nein sagen, und war's ein sehr dringlicher Fall, etwa ein Mixtürle für ein sehr schwer Krankes aus der Langenbacher Apotheke, dann erledigte das der Füchsle gewissenhaft, gab's aber ebenso gewissenhaft auf der Post auf, sorgte, daß es mitkam, sorgte, daß es der vor Ungeduld zitternde Empfänger sofort erhielt. Und war dann nie zu bewegen, sich seine Unkosten ersetzen zu lassen, und ein Trinkgeld nahm er schon gar nicht.

Wagte es aber ein Fremder, ihm mit der Bitte um solch eine Gefälligkeit zu nahe zu kommen, dann wurde der Füchsle »saugrob«. Und das war schlimmer als das schlimmste Unwetter. Und kam gar einer, ihn zu foppen mit solch einem Geschäftlein, dann trug der Frechling – denn der Füchsle hatte eine unsagbar feine Witterung in solchen Dingen! – unfehlbar seine Haut zu Markte.

An die fünfzig Jährle hatte so der Gute sein Boschtwägele das Tal hinauf und hinunter geführt, bei Frost und Hitze, in Sturm und Regen. An die fünfzig Jährle hatte er unbestechlich und pünktlich nur seinem Dienste gelebt. Ein silbernes Hörnle hatte der Ueberglückliche dann erhalten als Anerkennung seiner Behörde für vierzig treue Dienstjahre. Nur über der Paradeuniform trug er's an den hohen Festtagen und trug's mit unsäglichem Stolz. Doch hat er es niemals geblasen. Es war ihm zu heilig. Und er kannte seinen einzigen Fehler nur zu gut, und bis in seine letzten Tage noch war er gar untröstlich, daß aller Uebung zum Trotz es da gar keine Besserung gab. Er blies nämlich »unter allem Luader«, und sein »Singenal« war noch einmal »a Nagel zu sei'm Sarg«. Darum hat er das silberne Hörnle nie auch nur an die Lippen gebracht.

Bis dann das letzte »Singenal« kam, und das kam dann aus dem kostbaren Kleinod.

Er muß aber vorher noch einiges erzählt sein.

Eine Bahn sollte durchgeführt werden durch das Tal. Und der alte Boschthalter erschrak nicht schlecht, wie er's las im Wochenblättle. Schon in ganz kurzer Zeit würde bestimmt mit dem Abstecken begonnen.

Der Füchsle – die Bahn! Was soll das geben? Wie soll das enden? Reißt man den Alten heraus aus dem gewohnten Dienst, nimmt man ihm den, nimmt man ihm seine geliebten »Rösser«, dann bricht man ihm fraglos das Herz. Und mit dem alten Boschthalter sorgte sich noch manch ein anderer! um den Füchsle.

Und der Füchsle? Der lachte dazu. Der sagte breit und behaglich: »Sell sind alles nur Fissematente, daß d' Leut hi'g'halte sind g'sei. Wär aus d' Absteckerei in den Jährle allemal a Bähnle g'worre, no liefet a Dutzend zum mindschte«. Er wagte sogar aufzutrumpfen mit eigner Weisheit und tat das sonst so leicht nicht. »D' Sach kennt d' Füchsle besser, wenn seller auch kei g'studierter Ma ischt. D' Sach ischt so: 's meint halt a jeder, seller drobe und seller drunte erscht recht« (Württemberg und Baden meinte der Füchsle mit »seller und »seller«), »er käm z' kurz und würde a wengerle 'viel dann. Lasset Se d' Inscheneer nur g'troscht wieder mal absteckt! 's bleibt doch halt alles beim Alte!«

Ganz unrecht hatte der Füchsle ja nicht mit seiner Behauptung. An den Einigungsverhandlungen zweier deutscher Länder, verbündeter, kerndeutscher Länder, zu einem geeinten Deutschland gehöriger Länder, war der Bahnbau bisher noch immer gescheitert.

Eins aber wußte der Füchsle nicht, und der Boschthalter und jeder scheute sich, ihm das zu sagen: Man hatte sich Allerhöchsten Ortes für die Durchführung der Bahn sehr stark erwärmt. Und solch eine Wärme von oben bewirkt manchmal Wunder. Da keimt auch schon verloren gegebene Saat.

Der Füchsle blieb ruhig bei dem Monate lang sich hinziehenden Arbeiten der »Inscheneere«. Er lachte über die Prophezeiungen der Herren, die ernstlich versicherten, spätestens in einem Jährle liefe die Bahn.

Der Füchsle blieb selbst noch ruhig, als die Arbeiter in Scharen heranrückten und mit Hämmern und Scharren und Poltern und mit dem Hall der Sprengschüsse die köstliche Ruhe fortscheuchten aus dem lieblichen Tal.

Da wurde der Füchsle endlich wach. An einen einzigen schwachen Trost klammerte er sich noch: man werde den Bahnbau nur zum Scheine betreiben, ihn viele Jahre hinausziehen, und dann mag kommen was da will. Dann hat der Füchsle die Zügel abgegeben an einen Höheren.

Doch nagte es ihm am Herzen, das merkte ein Blinder.

Blaß, richtig abgehärmt, auch stark abgemagert ging er bald einher. Schlaff in Falten hing der Bäcklein früher so feistes Rund. Müde schien der Schritt, eine sauere Arbeit die Ersteigung des Leiterles, wenn er die Poststücke ordnete auf dem Verdeck. Gar matt klang sein: »Grüaß Gott au!« Und der Druck der schwieligen Hand war kraftlos, als sei der Riese ein harmloses Kindlein.

Rührend waren seine Klagen bei der Fahrt durchs Tal über die verschwundene Pracht unzähliger Herrlichkeiten. Der elende Räuber Bahn tappte ja zu gerade an den herrlichsten Plätzen. Schänden tat er das liebliche Tal.

Dem Füchsle nagte er am Leben mit scharfem Zahn, nagte täglich, nagte unerbittlich.

Höhnisch kreischte der Pfiff der Lokomotive herauf. Mit lautem Dröhnen kippten die kleinen Wagen einer nach dem andern um, und unter häßlichen Schollen lagen dann tausend lebensfrohe Gräslein und Blümlein begraben.

Und jeder Pfiff und jeder Schlag war ein scharfer Zahnbiß am Leben des Füchsle. Und der schwarzstickige Rauch, den das Eisenroß schweratmend auspustete, ein tätliches Gift, das langsam, das täglich, das unheimlich sicher arbeitete.

Und damit nicht genug. Der tückische Räuber Bahn entzog dem Füchsle auch die Mahlzeiten, schreckte vom Mittagstisch ihn auf, störte ihn beim Frühmahl, daß er mit bleichem Gesicht Messer und Gabel hinlegte und, ohne daß er gegessen hatte, auf sein Stüble wankte. Denn zu solchen Zeiten donnerten regelmäßig die Sprengschüsse durch's Tal, und der dumpfe Ton schreckte den armen Füchsle von der gefüllten Schüssel, vom Brot weg und vom wacholdergeräucherten Speck.

Und zu allerletzt raubte er ihm auch den Schlaf noch, der entsetzliche Riese.

Seine Sklaven suchten des Abends sich zu betäuben, suchten die schwere Fronde zu vergessen in phantastischen Bildern des Rausches. Und ihr Gebrüll brandete hinaus in das Stüble des Füchsle und raubte ihm den ohnehin so knappen Schlaf.

Der alte Füchsle war er schon lange nicht mehr. Nur zu Zeiten wurde er noch einmal lebendig. Wenn ihm der Räuber Bahn auch den Dienst störte.

Da hielt er eines Tages unterhalb Langenbach vor einem mächtigen Granitblock, den ihm sein Feind auf die Straße gewälzt hatte. Der Sklavenchor hockte beim Morgenkaffee. Da konnte der dumme Füchsle lange warten.

Dem schwollen die Adern. »I bitt um freie Weg!«, rief er zums nächsten Feuer hinüber. »D' Boscht darf nit aufgehalte g'sei!« Welsches Durcheinander antwortete in spöttischen Tönen.

Da packte den Füchsle wieder der alte Jähzorn und riß ihn vom Bock. Mit zwei Sprüngen war der Alte am Feuer. Ein Tritt, und da flogen die brennenden Scheite, da flogen die Kannen mit dem duftenden Trank. Ein Griff, und schon hatte der Grimmige zwei der schwarzen Galgenvögel am Kragen und schleifte sie zum Stein. »Eins, zwei, drei!« herrschte er, und schon war der Weg frei.

Dann kletterte er ganz bedächtig auf seinen Bock und fuhr scharf los, die versäumten Minuten wieder einzuholen.

Sei's um drei Wochen später oder um vier, da kam er wieder einmal auf der Rückfahrt bis zum Tunnel, den man Anno Dreißig bei dem Straßenbau in den Fels hatte schlagen müssen, weil das Füchsle nicht zu bewegen war, ein wenig Platz zu machen für den neuen Weg.

Sorgfältig zog der Füchsle die Zügel an, daß die Rösser nicht glitten und stürzten in dem feuchtdunklen Loch.

Da prustete der Hans laut auf und drängte jäh zur Seite. Das war des Alten Glück. Er beugte sich unwillkürlich zur Linken. Gleichzeitig knallte es von unten. Im Licht des aufblitzenden Schusses gewahrte er eine dunkle Gestalt, die auf dem unteren Trittbrett stand, und auch eine zweite, welche seine Rösser am Kopfe gepackt hielt.

Der Blick und ein Griff nach der Peitsche waren eins. Schon flog das mit schweren Messingnägeln geschmückte untere Ende des Geißelstieles dem ersten Wegelagerer krachend auf dem Schädel.

Mit einem einzigen Satz sprang der Füchsle trotz dem Dunkel vorn auf die Deichsel, schwang sich auf den Rücken der braunen Liese und von dort auf den Boden, und dann hat eine schwäbische Faust dem andern Banditen den Hals nicht schlecht zusammengepreßt, daß dem bis zum Ausgang sein wildes Gestrampel gänzlich vergangen war. Mit der Leine umwand Füchsle ihn gar sorglich, band feste Knoten und warf ihn wie eine Puppe in den Wagen. Für den zusammengeschlagenen Mordbuben hatte er weiter keinen Blick mehr.

Ruhig holte er dann noch seinen Boschtillonshut, den die Kugel ihm heruntergerissen hatte, aus dem Dunkel und fuhr ab. Ein halb Stündle nach der Ankunft und nachdem er ganz gemütlich sein Nachtmahl eingenommen hatte, sagte er so ganz nebenbei zum erstaunt aufhorchenden Boschthalter: »Boschthalter, 's ischt mir halt a kleines Mallörle passieret! – Schicket d' Landjäger zum Tunnel. Do ischt Aerbet für den. – Und drauße hann i no so a lebig Boschtstück im Wägele. Sell ischt au a' d'Herr Landjäger adressieret!«

Die Schelme kamen später auf lange Jahre hinter die eisernen Gardinen. Der Füchsle erhielt etwa zur selben Zeit ein umfangreiches Schriftstück von seiner Behörde.

Es enthielt sicherlich keine Belohnung; denn der alte Boschthalter reichte es ihm mit sehr besorgtem Gesicht. Hundert andere hätten es sicher mit Freuden begrüßt, weil's eine Erleichterung für sie bedeutete, eine Befreiung von den Postfahrten bei Wind und Wetter. Es berief nämlich den glücklichen Inhaber nach Stuttgart für ein Aemtlein in den Ställen der dortigen Post, da »am letzten September der Postdienst mittels Postwagen zwischen Schönebach – Langenbach – Weisenheim infolge der Erbauung der Bahn eingestellt werde.«

Die übertragene Stelle in der Hauptstadt galt als halber Ruheposten und die Berufung dazu als eine Auszeichnung für langjährige treue Dienste.

Der Füchsle aber spürte von Freude nichts. Starren Blickes hing er an den wenigen Zeilen, als gelänge es ihm nicht, sie zusammenzubuchstabieren.

»I muß fort – Mei Rösser, mei Rösser!« Todesnot in dem Ruf.

Am altgewohnten Platz am Frühstückstisch saß er dann wie ein Steinbild, spielte gedankenlos mit Messer und Gabel, rührte sein Frühmahl nicht an, starrte und starrte, ließ seinen alten Freund Boschthalter reden und vernahm kein Wort.

Bis auf eins: »I mach Dir d' Vorschlag, Füchsle, d' Dienscht bei d'Boscht aufz'gebe. Kannscht guat wieder a Gutscherböschtle bei mir übernehme, Alterle. Sollscht au d' schönschte Huat kriegge!« Ein gut gemeinter Scherz die letzten Worte.

Der Füchsle hörte nur die ersten. Da flammte er auf; da war er noch einmal der alte jähzornige Füchsle. Da wurde er noch einmal »saugrob«. Wie zu einem Weltfremden sprach er zu dem alten Freund, als hätte er niemals mit dem gemeinsam die Schulbank gedrückt, niemals mit ihm Jahrzehnte alles Gute und Böse getragen.

»Boschthalter, wenn Se nit wollet, daß d' Füchsle saugrob werde soll, so lasset Se fei bleibe, vom Dienscht mi wegz'locke! – Vom Füchsle soll d' Red nit goahn, daß seller d' Fahn hätt verlasse! – I gang nach Stuag'tt«. Sprang auf und schlug die Türe ins Schloß, daß es nur dröhnte, wankte auf sein Stüble und kämpfte den schwersten Kampf seines Lebens, allein und in der Stille.

Und dann kam unerbittlich schnell der letzte Septembertag, und mit ihm kamen die zwei letzten Fahrten.

Sein Boschtwägele hatte der Füchsle dazu über und über mit Tannengrün geschmückt und dabei nur einen Gehilfen um sich geduldet. Ein ganz kleiner war das zudem nur und fast so etwas wie ein allerletztes Liebschäftle. Es war dem alten Boschthalter sein Enkelesmädele und war dem Füchsle sein ein und alles.

Im Garten blieb keine Aster auf dem Stengel. Einen roten Busch davon erhielt der schwarze Hans, und einen dunklen die braune Liese, und in den Kränzen, die oben um das Verdeck herum sich schlangen, wechselten solche Blumen auch wie die Farben des Ländles. Es stand richtig schämig, das alte Wägele, wie die Braut, die reich geschmückt am Hochzeitsmorgen staunenden Gästen sich zeigt.

Gar überrascht war der Füchsle, wie zu den Herrlichkeiten noch die schönsten Stechpalmen kamen. Es ging fast wie im Märchenland. Da hatte der Gute des Abends mit Bedauern festgestellt, daß er »fascht o'tröschtlich sei, weil er nit könnt für sei' Wägele au no a paar Palme hole.«

Am Morgen lag ein Arm voll da, satt glänzend im herrlichsten Grün. Einer, der den Alten wie den eigenen Großvater ehrte, hatte in langem, beschwerlichem Nachtmarsch sie am Schildsee geholt, vom kleinen Boschthaltersenkele der Vater.

Der hatte auch tagsüber ein stattliches Transparent zusammengebastelt, hatte gedichtet, gemalt, geleimt und sich auch zuweilen nicht schlecht auf den Finger geklopft.

Und war fast noch übertroffen worden von andern, die in der Boscht für den Füchsle sich regten, die dem Ahnungslosen eine glänzend geschmückte Festtafel aufbauten mit den sinnigsten Ueberraschungen.

Die sich aber gar besorgt anschauten, als der Füchsle um Zwölfe zurückkam von der Frühfahrt.

Auf dem Kutscherbock hing ja mit gekrümmtem Rücken, der Hut schief auf dem Kopfe, blaurot das Gesicht, ein anscheinend schwertrunkener Mann.

Der kletterte langsam und schwer von seinem hohen Sitze herunter. Er taumelte und wäre gestürzt, hätten starke Arme nicht schnell noch zugepackt.

Dem Boschthalter stieß er trotzdem das Glas mit dem dunkelroten Affentaler zurück, und mit zitternder Stimme sagte er: »I trink nit – im Dienscht!«

Und fügte sich doch, wie der Alte ihn richtig saugrob anschrie: »Sell ischt Arznei, daß nur weischt, und nimmst selle nit, no sollscht mi kenne lerne!«

Doch saß hinter den rauhen Worten Liebe.

Er erholte sich auch wirklich ein wenig, ging seinen gewohnten Geschäften nach, und alles atmete auf.

Dann trat er zur letzten Postfahrt an, im Paradeanzug mit dem Orden, umgehängt das silberne Hörnle.

Es klang noch viel schauerlicher als das andere. Es klang, als wäre es innerlich zerrissen. Oder hatte es keine Seele, das silberne Hörnle? Oder – –?

Von Weisenheim kam dann gegen Abend die Nachricht, der Füchsle habe so etwas wie einen Ohnmachtsanfall gehabt, bestehe aber trotzdem eigensinnig auf der Abfahrt, wolle auch nicht dulden, daß ihn jemand begleite. Man möge ihm entgegenkommen für alle Fälle.

Schon lag der Vater von des Füchsles kleinem Liebling auf dem Rad und jagte in die zunehmende Dunkelheit hinein trotz Geleisen und Steinen in unsinniger Hast talabwärts.

In Langenbach gelang es ihm bei dem Geklapper, das das Postwägele auf dem schlechten Pflaster allemal machte, sich unbemerkt hineinzustehlen.

So hat also der Boschtillon Füchsle doch einmal in seinem Leben einen wirklichen, lebendigen blinden Passagier das Tal hinaufgefahren.

Den drückte dann bei der Einfahrt das Hinterrad ums Haar wider die Hauswand, und unwillkürlich schrie er auf. So schlecht war aber auch der Füchsle in seinem ganzen Leben nicht in den Hof eingefahren. Der Uebeltäter wurde auch vom Füchsle richtig erwischt, und schon war auch sein Verbrechen erraten.

»Boschthalter«, sagte er zu dem, nachdem er – ach, wie mühselig! – glücklich vom Bock heruntergeklettert war, »no han i in all meine Dienschtjährle nit 'n einzige blinde Patescheer g'fahre!« Er versuchte ein Lächeln. »No setscht d'Deichsel bei d'letschte Fahrt mir grad no so a Schindluader in d'Wage!« Dabei drückte er dem »Schindluader« dankend die Hand, und dem wurde gar weh. Ein jährig Büble hätte gewiß schärfer zugepackt, und früher krachten bei des Füchsles Freudenausbrüchen dem unglücklichen Opfer die Knochen. Nun: dafür lächelte aber auch jetzt der liebe Alte noch einmal so schelmisch und so listig, als komme eines seiner Scherzle wie einst so oft aus dem Hinterhalt gekugelt. Es kam sein letztes, und ein ganz klein wenig Wehmut war sein Begleiter: »No läscht mi d' Petrus im Himmel drobe ganz g'wiß nit 's Engelesboschtwägele fahre!«

Den Briefsack trug er dann ins Boschtbüro – zum letzten Mal.

Das Leiterle legte er an und stieg aufs Verdeck – zum letzten Mal.

Sein einzig Poststück trug der Füchsle hinein – langsam, feierlich.

Dann spannte er die Rösser aus, langsam, ganz langsam, als könne er die Seligkeit des letzten Ausspannens gar nicht genugsam kosten.

Zum letzten Mal zeigten die Rösser dann ihre mühsam erlernten Künste und machten ihre Sache so tadellos, als wüßten auch sie, daß der Abschied herangekommen war, der Abschied für immer.

Die Liese trat in den Stall, drehte sich um, kam wieder zur Türe und trat mit zwei Schritten wieder heraus. Der Füchsle löste nur einen einzigen Riemen am Halse der Liese. Die neigte den Kopf, und das Kummet rutschte von selbst in Füchsles ausgestreckte Arme.

Und dann und kein Minütle früher – trat der Hans in gleicher Weise an.

Schweren Schrittes ging nun Füchsle mit dem gefüllten Haferkasten in den Stall und richtete die Abschiedsmahlzeit an. Und im Kasten lag mit süßem Zucker gefüllt eine mächtige Düte.

Der Alte zog die Türe hinter sich zu und tat das sonst nie außer im strengen Winter.

Da eilte alles hinein, die letzte Hand an die Festtafel zu legen. Sie fanden schon alle drin versammelt, die geladen waren zu des Füchsles Ehrentag. Da fehlte vor allem der strenge Herr Ezp'ditter nicht, der allernächste Vorgesetzte, und der Herr Landjäger nicht minder, des Boschtwägeles gestrenger Revisor. Auch der alte Doktor Salberer aus Langenbach war selbstverständlich gekommen. Ihm zur Seite war gesetzt der weißhaarige Johann, der Hausknecht der Boscht, und der gehörte wie der Füchsle auch schon an die fünfzig Jährle zum Haus. Den Ehrenplatz aber zu des Füchsles Rechten hatte sich das Mädle erbettelt und wartete nun mit Ungeduld, daß es sein Gedichtlein los lassen konnte auf seinen getreuen Verehrer.

Doch der Füchsle ließ warten. Zehn Minuten waren's schon über die Zeit, da der pünktlich wie die Uhr allemal eintrat zum Nachtmahl. Doch heute darf wohl eine Ausnahme sein, und schwer ist der Abschied von den Rössern.

Noch zehn Minuten vergingen. Der Boschthalter wurde unruhig, ließ immer eilfertiger die Blicke zur Türe hinfliegen, und die Hände zerrten aufgeregt am Bratenrock, der dem hohen Tage zu Ehren das Bäuchlein umspannte.

Zwölf Minuten! Die Ungeduld des Herrn Boschthalters steigt ins Maßlose. Auch das Mädle zappelte von seinem Platz herunter und streckte sein zierliches Näsle ungeduldig durch die Spalte der Tür.

Fünfzehn Minuten! Jetzt war die Geduld des Beherrschers der Boscht aber gründlich zu Ende.

»Mädle, gang 'raus und hol d' Füchsle!« befahl er. Es klang etwas gepreßt. Wohlweislich sandte er den rechten Boten. Der würde den Füchsle am ehesten bringen.

Und brachte ihn – – nicht!

Das Gesichtle zum Weinen verzogen, kam's Mädle bald zurück.

Und stotterte: »I hann g'rufe!I bin zum Füchsle hi'gange! – – Der ist vorne bei d' Rösser g'stande! – – Am Rock hann i 'n zupft! – – Und no mal g'rufe! – – Er gibt halt gar kei Antwort! – – Und macht a ganz ander G'sicht!«

Bitterlich weinend wischte sich das Mädle die Tränen von den erblaßten Wängelein.

Schon war der Boschthalter draußen.

Schon guckte er in den Stall.

Vorn bei den Rössern stand der Füchsle, leicht angelehnt an den schwarzen Hans, und umfaßte mit der Linken den Hals des Guten. Und dem schien das gut zu tun. Er stand wie eine Mauer.

Aber auch die Liese bekam ihre Liebkosung. Ihren Kopf hatte sie eifersüchtig herübergestreckt über die hemmende Schranke und lehnte ihn zärtlich an den Füchsles Wange. Und der schlang den freien, rechten Arm drum und liebkoste das alte Mädel.

Der Boschthalter wurde etwas ärgerlich. Vielleicht auch etwas eifersüchtig wie die braune Liese.

»Füchsle, i bitt di! – – Morge ischt au no 'n Tag!«

Der Füchsle rührte sich nicht!

»'s Mädle weinet, Füchsle!« Auch auf die Mahnung – – und die war doch gewiß eindringlich! – – hörte der Füchsle nicht!

Der hörte überhaupt auf kein irdisch Wort mehr, war er doch im »Dienscht« auf der ewigen Postfahrt!

Zwischen seinen Rössern hing tot – – vom Herzschlag getroffen – – der Boschtillon Füchsle.

Den läßt doch wohl gewißlich im Himmel droben der Petrus das Engelsboschtwägele fahren!


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