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Längst war Phil fort, und ich lag noch wach auf meinem Bett.

Wach, und doch träumend. Es waren keine klaren Träume … Es waren zusammenhanglose Bilder, die sich in tollem Wirbel hinter meiner brennenden Stirn jagten, ineinander übergingen, verblaßten, um wieder neuen Platz zu machen. Meine Lider waren schwer wie Blei. Sie fielen zu, ohne daß ich Schlaf zu finden vermochte. Es war vielmehr ein unruhiger, quälender Halbschlummer, in den ich versank. Die Schließerin brachte mein Essen. Ich hörte ihre Schritte, wußte, daß sie neben mir stand, vermochte mich aber nicht zu rühren. Ich fühlte ihre harte, aber nicht unfreundliche Hand sich auf meine Stirn legen. Hörte, wie sie zu jemandem sagte:

»Sie fiebert. Das beste wäre, man brächte sie ins Gefängnishospital.«

»Ich werde den Doktor verständigen«, antwortete eine Männerstimme.

Die nächsten Worte hörte ich schon nicht mehr.

Ich erwachte in einem sauberen, weiß gestrichenen Raum, in einem bequemen Bett. Neben mir standen andere weiße Betten. Manche waren besetzt, die meisten leer. Mit tiefem Behagen fühlte ich die weichen Kissen. Eine freundlich aussehende blonde Frau mit einer Schwesternhaube und in weiß und blau gestreifter Schwesterntracht beugte sich über mich.

»Geht es Ihnen besser?« fragte sie freundlich.

Es gelang mir, zu flüstern:

»Bin ich schon lange hier?«

»Morgen werden es vierzehn Tage«, war die prompte Antwort. »Es ging Ihnen recht schlecht, aber jetzt ist das Schlimmste überstanden. Wollen Sie nicht versuchen, einen Schluck zu trinken?« Sie half mir, mich aufzurichten und hielt mir ein Glas, in dem etwas Wein mit Ei war, an den Mund. Mein Blick fiel auf das Tischchen neben dem Bett. Dort stand eine Vase mit Rosen. Rosen – an meinem Bett? Wer in aller Welt konnte daran gedacht haben, mir Blumen zu schicken? Mein Herz begann plötzlich wild zu schlagen. Sollte Phil –?

Die Schwester war meinen Blicken gefolgt.

»Herrliche Rosen, nicht wahr?« sagte sie freundlich. »Die junge Dame hat sie jeden Tag erneuert. Sie kam stets in Begleitung Ihres Anwalts. Wahrscheinlich werden die beiden gleich hier sein. Um diese Zeit pflegten sie immer zu kommen.«

Sie hatte es nicht nötig, mir mitzuteilen, wer die junge Dame war. Ein untrügliches Gefühl verriet mir, daß es sich nur um Miß Greer handeln konnte. Ich hatte ja immer gewußt, daß sie Philipp liebte. Kein Wunder, wenn er herausgefunden hatte, wieviel besser sie zu ihm paßte!

Er hatte gelernt, sie zu lieben. Irgend etwas sagte mir das. – Was mich anbelangte, so hatte er verstanden, ihr Mitleid, ihre Menschenfreundlichkeit wachzurufen. Einst, erinnerte ich mich dunkel – wie lange war das nun her – hatte Philipp mir erzählt, wie menschenfreundlich die Greers zu Unglücklichen waren und wieviel Gutes sie taten.

Es war schon richtig so. Ein Mädchen wie Dorothy Greer mußte es sein, die von einem Mann wie Philipp Monty begehrt wurde. Ich dachte daran, wie sie mir meine Stellung in dem Musikhaus verschafft hatte, dachte an den Tag, als sie zu uns ins Geschäft gekommen war, um mich zu besuchen – mit Philipp – und mich Eve genannt hatte.

Wie undankbar war ich in jenen Tagen gewesen. – Tagen, die soweit zurückzuliegen schienen. Mit heißem Kopf und heißem Herzen hatte ich alle die Leute gehaßt, die besaßen, was zu erringen ich selber niemals hoffen konnte. Ich, die damals doch den köstlichsten Schatz besessen hatte, den sich eine Frau nur wünschen kann, die Liebe und das Vertrauen eines guten Mannes. Und doch hatte ich diesen Menschen getäuscht, hatte ihn unaufhörlich belogen, hatte versucht, ein Doppelleben zu führen – bis mein ganzes Lügengewebe zusammenbrach. Wie bitter war ich bestraft worden!

Und zu allem anderen liebte Phil jetzt auch das Mädchen, dem er mich einst vorgezogen hatte. Es konnte ja gar nicht anders sein.

Eben trat Dorothy Greer ein.

Sie brachte mir Blumen, Früchte und Bücher. Sie war nicht das hochmütige, seelenlose Mädchen, das ich einst in ihr gesehen hatte. Weit davon entfernt, in oberflächlichem Gesellschaftstreiben aufzugehen, war sie vielmehr ein Engel an Güte und Verständnis.

Sie saß eine halbe Stunde lang an meinem Bett und unterhielt sich mit mir. Ich beobachtete ihr junges, schönes Gesicht, während sie sprach. Es erinnerte mich an das Gesicht einer Heiligen. So rein, so makellos, von innen her durchleuchtet und von wahrer Güte beseelt.

Als sie gegangen war, am gleichen Nachmittag noch, kam Phil.

Er sprach nur von seiner Freude darüber, mich von meinem schweren Fieberanfall und dem Nervenzusammenbruch wieder hergestellt zu sehen.

Dann starrte er auf das vergitterte Fenster. Ich hatte ihn noch nie so ernst gesehen. Fürchtete er, daß meine Sache hoffnungslos war?

Als er fort war, fühlte ich ein brennendes Weh.

Was für ein prächtiger Mensch war er. Und, oh, unendlich glücklich zu preisen war diese Dorothy Greer, die eines Tages seine Frau sein würde.

Bitterkeit und Schmerz schnürten mir die Kehle zu. Warum, ach warum hatte ich das Glück nicht zu halten gewußt – es durch eigene Schuld zerstört? Mein Glück und das seine.

Das seine –? Ich hielt in Gedanken inne. Ihn hatte das Schicksal ein neues Glück finden lassen.

Und war das nicht gut so? Konnte ich es anders wünschen?!

Meine Tränen versiegten. Nein! Wenn er, wenn nur Phil glücklich war! – Was anderes konnte ich noch verlangen?!

Er war so gut, daß er selbst für mich noch Teilnahme und tätige Hilfsbereitschaft aufbrachte. Dorothy und er waren die einzigen Menschen, die sich selbstlos um mich gekümmert hatten, als ich, von allen verlassen, den Ränken Red Jacobs ausgeliefert zu sein schien.

Phil stand mir zur Seite.

Er war zurückgekommen. Ich war nicht mehr allein.

Man wird mich überschwenglich finden, wenn ich sage, daß plötzlich alle Bangigkeit von mir abfiel. Und doch war es so: Als Phil am nächsten Tage mit seinem Kollegen und Sozius, Mr. Starrett, wiederkam, war ich vollkommen verändert. Ruhig, sachlich beantwortete ich die Fragen der beiden Anwälte. Ich begriff oft nicht ganz, warum Starrett auf gewisse Einzelheiten solchen Wert legte. Warum er sich zum Beispiel so für Stella Powell interessierte. Aber aus den Blicken, die er nach meinen Antworten mit Phil wechselte, sah ich wohl, daß es um Ernstes ging.

Ein einziges Mal wurde ich unsicher.

»Mr. Starrett«, sagte ich. »wenn Sie glauben, daß ich nicht die Wahrheit sage –«

»Doch, Kind«, wehrte er ab. »Lassen Sie uns nur weiterfragen.«

Diese seltsame Sicherheit blieb mir auch, als ich nach weiteren zwei Tagen wieder in das Gerichtsgebäude gebracht wurde – zur Fortsetzung der Verhandlung. Erst als ich Phil vergeblich im Saal suchte, stiegen mir Zweifel auf, aber Mr. Starrett, der – nach amerikanischem Rechtsbrauch – als Anwalt den Platz neben mir eingenommen hatte, zerstreute sie wieder. Phil sei in einer wichtigen Sache, die mich betreffe, unterwegs. Er werde bestimmt kommen.

Die Sitzung begann mit einem Resümee des Staatsanwalts. Er gab nochmals einen Überblick über die »Ergebnisse des ersten Verhandlungstags«, und wie er sie deutete, brauche ich wohl nicht zu sagen. Natürlich schloß er damit, daß er die Hoffnung aussprach, der heutige Tag werde wohl die Beweisführung abrunden und zu dem – wie er sagte: bereits unzweifelhaften – Urteil führen.

Dann wurde zu meiner Überraschung – Sadie Cahill noch einmal als Zeugin aufgerufen. Daß Starrett sie geladen hatte, begriff ich allerdings aus seinen Fragen.

Ihre ersten Aussagen waren höchst ungünstig für mich. Sie und alle »Eingeweihten« hätten, erklärte sie, längst darauf gewartet, daß ich meine Drohungen wahrmachte und Lanahan tötete. Was hatte ich dieser Frau getan, daß sie so gegen mich kämpfte?!

Dann kam Mr. Starretts erste Gegenfrage.

Er wollte Einzelheiten aus Sadie Cahills Vorleben wissen. Die Zeugin wurde nervös, gab ausweichende Antworten. Dann fiel zum ersten Male Red Jacobs Name. Starrett fragte Sadie Cahill nach ihm … und nach seinen Beziehungen zu Mona Carruthers.

In die Enge getrieben, gab Sadie zu, daß sie Mona von jeher gehaßt habe. »Sie hat sich immer als etwas Besseres gefühlt. Sie war – trotz allem – stolz …«

»Ist es wahr, Miß Cahill, daß Sie einmal bei Lanahan waren, um ihm Verleumdungen Mona Carruthers' und Lügen über ihre angeblichen Beziehungen zu Jacobs zu erzählen?!«

Sie war aufgesprungen – schwieg erschrocken.

»Ist es wahr, Miß Cahill, daß Sie einen Wohnungsschlüssel, den Sie von Mona Carruthers erbeten hatten, um ihr … immer helfen zu können, daß Sie diesen Schlüssel Red Jacobs gaben?«

»Ich …«

»Ist es wahr, ja oder nein? Und taten Sie es, um Lanahan zu sagen, er solle in der Garderobe bei Bradley Jacobs' Manteltaschen durchsuchen – ob er nicht einen bekannten Schlüssel darin fände? Antworten Sie! Haben Sie durch Ihre Intrigen Lanahan glauben gemacht, daß seine Lebensgefährtin ihm untreu geworden sei?«

»Darauf antworte ich nicht! Das geht Sie nichts an! Das ist meine Sache –«

»Danke. Es genügt.«

Starrett, der nahe vor Sadie hingetreten war, wandte sich lächelnd ab und kehrte auf seinen Platz zurück. Er war, glaube ich, überrascht, mich totenblaß zu sehen.

»Miß Carton, diese Aussage hat eine Zeugin, auf die der Staatsanwalt sich stützte, vollkommen erledigt! Begreifen Sie das nicht?«

»Doch … gewiß …«

Mutter … Und ich, auch ich, hatte die erbärmliche Verleumdung geglaubt. Schweigend war die Unglückliche hinübergegangen, verlassen von dem Mann, den sie geliebt hatte; und verachtet – trotz allem verachtet – von ihrer Tochter …

Mutter …

Ich begann zu schluchzen.

Woher hatte ich den Mut genommen, mich, wenn auch nur in Gedanken, zur Richterin über meine Mutter aufzuwerfen? Wenn ich auch an ihrer Seite ausgeharrt hatte, ich hatte mich doch ihrer geschämt, und nun – nun wußte ich, daß sie gelitten haben mußte … wie ich …

*

Nun wurde Tim Bradley wieder aufgerufen.

Auch er begann damit, daß er mich belastete. Noch einmal schilderte er die Szene in seinem Lokal, wie ich Lanahans Hilfe zurückgewiesen hatte. Sofort stand Starrett auf, stellte seine erste Gegenfrage.

»Ist Ihnen – außer Miß Carton – noch jemand bekannt, ich meine, jemand aus Ihrem Kundenkreis, der ein Interesse daran haben konnte, Lanahan zu töten?«

»N … nein …«

»Überlegen Sie scharf, Mr. Bradley. Sollte da nicht jemand unter Ihren Gästen sein, der … eine Zeugenaussage Lanahans zu fürchten hatte? Soviel ich weiß, kamen an jenem Abend Leute in Ihr Lokal, die …«

»Ach – ich weiß! Hab' mir ja gleich gedacht, daß diese Burschen wen suchten! Aber Lanahan? Nee, Herr … die meinten einen anderen …«

»Und zwar –?«

»Ich werde mich hüten, von dem zu reden. Wenn je einer in New York Freunde genug hatte, um mir die Hölle heiß zu machen, war's der …«

»Und dieser ›große Unbekannte‹, dessen Namen Sie nicht nennen wollten, war ein Freund Lanahans? Oder ein Feind?«

Der Wirt schwieg.

»Wessen Feind der ist, das sieht ihm keiner von der Nasenspitze ab«, meinte er endlich abwehrend.

Wieder stand mir eine Szene vor Augen: Der Tag, an dem Red Jacobs mir gesagt hatte, man dürfe wohl hassen, nur merken soll es keiner – bis man zuschlug …

Das Verhör Bradleys wurde abgebrochen, ohne etwas Besonderes ergeben zu haben.

»Die Verteidigung hat weitere Entlastungszeugen angeboten«, hörte ich den Richter sagen. »Bitte die Powells, die aus der Untersuchungshaft vorgeführt werden soll, aufzurufen.«

Ein Polizist in Uniform führte meine Zellengefährtin vor. Ich begriff nicht recht, warum sie so verstört aussah, als sie sich auf den Zeugenstuhl setzte. Was konnte sie mehr berichten, als ein Gespräch in der Zelle, das über meine Schuld oder Unschuld keinerlei Aufschluß gab?

»Miß Powell«, begann Starrett, »Sie sind unter sonderbaren Umständen zur Zellengefährtin Miß Cartons geworden. Und Sie haben der Angeklagten gewisse Angebote eines Dritten weitergegeben. Stimmt das, ja oder nein?«

Sie schwieg. Ein halb verschüchterter, halb vorwurfsvoller Blick traf mich.

»Wissen Sie, warum dieser Dritte – eben jener Unbekannte, mit dem wir uns hier seit einiger Zeit beschäftigen – Miß Carton helfen wollte?«

Wieder Schweigen.

»Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß er – er selbst – der Täter sein könnte?!«

»Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen«, versuchte Stella abzuwehren.

»Sie wissen es nicht? Soll ich den Namen nennen?«

Sie zuckte die Achseln. Ihre Blässe strafte den Gleichmut, den sie vortäuschte, Lügen.

»Er heißt –«

»Ich kenne niemand, auf den passen könnte, was Sie sagen. Die Carton hat mir gesagt, daß sie zwei Burschen belauscht habe. Die sollen den Mord geplant haben. Ich kenne diese Burschen nicht, weiß ihre Namen nicht.«

»Aber wir kennen sie! Wir haben den einen von beiden – Jim Skeet – aufgefunden. Und er kann ein glattes Alibi erbringen. Noch dazu ist er reichlich wütend, denn als er abends mit seinem Komplicen in Lanahans Haus kam, um seine Sache zu erledigen, fand er, daß ihm ein anderer zuvorgekommen war. Und dieser andere, der ihm den Auftrag erteilte, dann aber selber handelte, war –«

»Ich weiß nichts! Alles, was Sie sagen, geht mich nichts an!«

»Dieser andere war –«

»– Ich kenne ihn n–«

Das Wort »nicht« erstarb auf ihren Lippen. Entgeistert starrte sie nach der Tür. Eine Bewegung ging durch den Saal, auch ich wandte mich um, erkannte Phil, dann, von zwei Polizisten geführt –

»Red Jacobs …« Ganz leise hatte Stella den Namen gemurmelt.

Und Red, von den beiden Beamten eskortiert, kam näher. Sah Stella an – groß, scharf, prüfend.

Sie schüttelte leicht den Kopf.

Aber er zuckte nur die Achseln – –

*

Ich saß wie betäubt, während Phil sprach.

Er hatte zuerst in der Unterwelt recherchiert, bis er die Details erfuhr, die sich mit meinen Angaben zu einem Bild rundeten. Ihn, Red Jacobs, hatte er auch damals gesucht, als er in Bradleys Lokal kam (und – mich fand; aber davon sprach er nicht). Einen Zeugen gegen ihn hatte er damals finden wollen … Lanahan; aber Lanahan, der zuviel über Red Jacobs wußte, war ja das Opfer eines »Racheakts« geworden. Alle Welt hatte an diesen Racheakt geglaubt, nur er, Phil Monty, nicht. Er hatte sich auf die Suche nach Skeet gemacht. Hatte Skeet gefunden. Und der junge Bandit, wütend darüber, daß er um sein »Geschäft« geprellt worden war, hatte ihn geführt …

Noch immer saß Stella Powell auf der Zeugenbank: Ein Häuflein Elend.

»Miß Powell«, rief Starrett jetzt, »Sie erinnern sich, was Miß Carton Ihnen in der Zelle sagte? Sie sollten Red Jacobs bestellen, daß sie nicht einmal das Leben aus seiner Hand annehmen würde. Und daß – er wohl Lanahan getötet habe!«

Sie wich Starretts Blick aus, sah zu Jacobs hinüber.

Wieder zuckte er die Achseln.

Dann sagte er laut: »Es hat keinen Zweck mehr, Stella. Der Skeet hat mich verpfiffen!«

*

Im ganzen Saal gab es niemand, der in diesem Augenblick nicht aufgestanden wäre.

Ich hörte das Rücken der Stühle … das Scharren der Füße …

Auch ich hatte aufstehen wollen. Aber meine Beine versagten den Dienst. Ich sank zurück. Warum beginnt ein Mensch zu weinen, wenn er sich – nach langer, furchtbarer Verfolgung – endlich gerettet sieht? Ich schämte mich, ich wußte, daß dieses haltlose Weinen sinnlos und kindisch war, aber ich konnte nicht anders …

Etwas später wurde ich aus dem Saal geführt.

Erst nachher habe ich erfahren, was bei Red Jacobs Verhör herauskam. Der Gangster hatte Lanahan, der von vielen seiner »Unternehmungen« wußte, zu fürchten begonnen, als Lanahan durch Sadies Intrige zu seinem Feind wurde. So hatte er Skeet gedungen, ihm den gefährlichen Mitwisser vom Halse zu schaffen. War in Lanahans Wohnung eingeschlichen – geschickter als ich. Ohne den Liftboy zu alarmieren. Im Nebenzimmer versteckt, hatte er gewartet. Mein unerwarteter Besuch durchkreuzte seine Pläne. Erstens mußte er fürchten, daß Lanahan, gewarnt, sich vorsah. Dann war die Gelegenheit auch günstig. Mußte der Verdacht nicht auf mich fallen?

So war er sofort nach meinem Weggang herangeschlichen, hatte Lanahan, der gerade am Schreibtisch saß, niedergestochen. Und war dann verschwunden, unbeachtet wie ich.

Ned Haines kam ja an diesem Tag um zwanzig Minuten zu spät …

Ich wurde noch am selben Abend aus der Haft entlassen.

Starrett und Philipp Monty, »meine Anwälte«, holten mich ab. Ich folgte ihnen willenlos. Ich war ja nicht allein. Und wohin sie mich bringen würden – dort war es gut.

An einer Straßenkreuzung mußte das Auto halten. Ich horchte auf, als ich Zeitungsjungen vorbeilaufen sah, die ihre Abendblätter ausriefen:

»Evening Post! Sensationelle Wendung im Prozeß Carton! Der Zusammenbruch eines Indizienbeweises!«

»Eve Carton haftentlassen!!«

»Eve Cartons Anwalt entdeckt den Mörder, verfolgt ihn durch ganz New York, liefert ihn im Gerichtssaal ab!«

»Der Geniestreich eines Anwalts!! Er bekommt Klientin frei, liefert Schuldigen ein!«

»Herald – Abendausgabe! Das Neueste aus dem Prozeß gegen Jacobs und Skeets!!«

»Tribüne – Spätausgabe! Interview mit Stella Powells!!«

»New York Sun – Nachtausgabe! Interview mit Bradley!«

Fröstelnd schmiegte ich mich in die Ecke des Wagens.

»Keine Angst … Eve«, hörte ich Phil flüstern. »Uns werden sie nicht interviewen … Was sollten sie auch neues in Erfahrung zu bringen haben! Das, worauf es ankommt, wissen alle ja bereits: Dein Name ist frei von jedem Makel!«

Ich schüttelte den Kopf.

»Mein Name«, sagte ich traurig, »wird immer mit einem Makel behaftet sein, Philipp. Genau wie in der Vergangenheit werde ich bis an mein Lebensende gebrandmarkt sein. Jeder Mann wird von mir als von der Tochter Mona Caruthers sprechen.

Und doch war sie nicht schlecht! Wenn du sie während dieser letzten Wochen ihres Lebens gekannt haben würdest, würdest auch du Mitgefühl mit ihr gehabt haben. Sie hatte kein Glück, Philipp. Ihr Leben mit meinem Vater war die reine Hölle. Mit anderen Worten kann ich es nicht beschreiben. Wenn du sie selbst gehört hättest, wie sie mir erzählte, warum sie mit Burke Lanahan davongelaufen war – nur weil er lachte und weil sie seit einer Ewigkeit niemanden mehr hatte lachen hören – würde es dich erschüttert haben, wie mich.«

Er nahm meine Hände und zog mich an sich.

»Eve«, hörte ich seine liebe Stimme, wie von fern, »ich muß dir eine kleine Geschichte erzählen. Es war einmal ein Mann, der, viele Monate früher, ein Mädchen traf und sie lieben lernte. Diese Liebe war von der Art, die niemals stirbt, ganz gleich was geschieht. Je mehr der Mann das junge Mädchen kennenlernte, je inniger fühlte er sich mit ihr verbunden, bis sie ein lebendiger Teil seines eigenen Lebens war. In ihren klaren Augen las er wie in einem aufgeschlagenen Buch. Nichts in ihrem Leben war ihm verborgen. Dann kam ein Tag, an dem alles zusammenstürzte. Er sah das Mädchen, dem sein ganzes Vertrauen gehört hatte, in einem anrüchigen Lokal tanzen – –«

»Oh, nicht weiter, nicht weiter!« bat ich, während ich mich seinen Armen zu entwinden versuchte, die mich doch nur um so fester hielten. »Du – tötest mich, Philipp. Glaube mir doch, daß ich dir Mutters wahre Geschichte nicht erzählen könnte. Und doch mußte ich ihr helfen. Etwas in mir, eine Macht, der ich nicht widerstehen konnte, trieb mich dazu, alles für die hilflos Sterbende zu tun. Ich weiß, daß ich dich belog«, schluchzte ich, »ich wußte mir keinen Rat.« – –

»Laß uns nicht weiter davon sprechen, Eve. Ich weiß es jetzt besser. Ich verstehe ja alles. Laß uns von der Zukunft sprechen, deiner und meiner. Ich selbst bin nicht ganz schuldlos, Eve. Ich hätte in jener Nacht, in der ich dich in Bradley Club sah, zurückkommen müssen und dich anhören. Wahre Liebe urteilt nicht nach dem bloßen Schein – aber unsere Zukunft, Liebling, deine – –«

»Ich werde versuchen, etwas aus mir zu machen«, sagte ich fest, ihm gerade in die Augen sehend. »Ich werde der Welt beweisen, daß sie eine Frau nicht um der Taten willen, die ihre Eltern begingen, brandmarken können. Und du – du wirst dich bald verheiraten, nicht wahr?«

Ich schluckte an dem letzten Satz.

»Jawohl«, gab er zu, »ich habe schon alles mit meinem Sozius abgemacht. Ich habe ja meinen Urlaub redlich verdient. Wann können wir reisen, Liebste? Morgen würde nicht zu früh für mich sein. Du brauchst mich, ich brauche dich – –«

»Du brauchst mich! Du, der du doch Miß Greer heiratest – –«

»Ich denke ja gar nicht daran!« war seine seelenruhige Antwort. »Dorothy würde mich gar nicht haben wollen, selbst wenn ich sie um ihre Hand bäte, was mir nicht im Traum einfällt. Im Herbst wird sie den jungen Barylot heiraten. Du bist es, Liebling, die ich zur Frau will! Du allein!«

»Phil – ist es wahr – –«

Sein Kuß schloß meine Lippen!

 

Ende!

 

*


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