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Geschichte des Kodjah Hassan Alhabbal.

»Beherrscher der Gläubigen,« fing er an, »um Euer Majestät besser zeigen zu können, auf welchen Wegen ich zu dem großen Glück, dessen ich gegenwärtig genieße, gelangt bin, muß ich vor allen Dingen von zwei vertrauten Freunden reden, welche Bürger dieser Stadt Bagdad und noch am Leben sind, und die von der Wahrheit meiner Aussage Zeugnis ablegen können. Ihnen nächst Gott, dem Urheber alles Guten, verdanke ich hauptsächlich mein Glück.

Von diesen beiden Freunden heißt der eine Saadi, der andere Saad. Saadi, welcher gewaltig reich ist, war stets der Meinung, auf dieser Welt könne man nur insofern glücklich sein, als man große Reichtümer besitze, um von jedermann unabhängig leben zu können.

Saad hatte eine andere Ansicht. Er gibt zwar zu, daß man freilich Reichtümer besitzen müsse, insofern sie zum Leben notwendig sind; doch er behauptet, daß die Tugend das Glück der Menschen machen müsse, ohne daß diese sich weiter an die Güter dieser Welt hängen sollen, als insofern sie davon ihre Bedürfnisse befriedigen und Wohltaten an andere spenden können. Saad gehört zu dieser Zahl von Menschen, und er lebt in seinen gegenwärtigen Verhältnissen sehr glücklich und zufrieden. Obwohl Saadi sozusagen unendlich reicher als er ist, so ist ihre Freundschaft dessenungeachtet sehr aufrichtig und herzlich, und der reichere schätzt sich selber nicht höher als den andern. Sie haben nie einen Streit unter sich gehabt, außer über diesen einzigen Punkt, und in allen übrigen Stücken war ihre Eintracht stets sich gleich.

Eines Tages behauptete Saadi in einem Gespräche über diesen Gegenstand – wie sie mir beide selber nachher erzählt haben –, daß die Armen bloß darum arm wären, weil sie entweder in Armut geboren worden, oder weil, wenn sie auch in Reichtum geboren worden, sie denselben durch Liederlichkeit oder durch einen jener unvorhergesehenen Zufälle, die nicht so gar selten sind, verloren hätten. »Meine Meinung ist,« fuhr er fort, »daß diese Armen es nur darum sind, weil sie nicht dazu gelangen können, eine Geldsumme zusammenzubringen, die groß genug wäre, um sich durch sorgfältige Anlegung derselben aus ihrem Elend zu ziehen, und ich bin der Ansicht, daß, wenn sie je auf diesen Punkt gelangten und einen angemessenen Gebrauch von dieser Summe machten, sie mit der Zeit nicht bloß reich, sondern sehr vermögend werden würden.«

Saad wollte den von Saadi aufgestellten Satz nicht zugeben. »Das Mittel, welches du vorschlägst,« erwiderte er, »um einen Armen reich zu machen, scheint mir nicht so sicher, als du glaubst. Deine Ansicht hiervon ist nicht begründet genug, und ich könnte dagegen die meinige mit mehreren sehr guten Gründen unterstützen, die uns aber zu weit führen würden. Ich glaube, und zum wenigsten mit ebensoviel Wahrscheinlichkeit, daß ein Armer durch jedes andere Mittel eher reich werden kann als gerade durch eine Summe Geldes; man macht oft durch Zufall ein größeres und überraschenderes Glück als mit einer Summe Geldes, wie du behauptest – wie viel Sparsamkeit und gute Wirtschaft man auch dabei anwenden mag, um sie durch ein gut geführtes Geschäft zu vervielfältigen.«

 

Dreihundertundfünfundsechzigste Nacht.

»Saad,« antwortete Saadi, »ich sehe wohl, daß ich bei dir nichts ausrichten würde, wenn ich auch darauf beharrte, meine Meinung gegen die deinige zu verteidigen; ich will daher lieber selber einen Versuch machen, um dich zu überzeugen, und zum Beispiel eine Summe, so groß, als mir hinlänglich scheint, einem jener Handwerker zum Geschenk geben, die, von Haus aus arm, von ihrem täglichen Verdienste leben und in derselben Armseligkeit sterben, in welcher sie geboren wurden. Wenn es mir damit nicht gelingt, so wollen wir dann sehen, ob es dir auf dem Wege, den du meinst, besser gelingen wird.«

Einige Tage nach diesem Wortwechsel traf es sich, daß die beiden Freunde auf einem Spaziergange durch das Stadtviertel kamen, wo ich mein Seilerhandwerk trieb, welches ich von meinem Vater erlernt, der es wiederum von meinem Großvater, dem Stammvater unserer Familie, erlernt hatte. Wer meinen Aufzug und meine Kleidung ansah, konnte daraus sehr leicht meine Armut abnehmen.

Saad, der sich an Saadis gegebenes Wort erinnerte, sagte zu diesem: »Wenn du nicht etwa vergessen hast, wozu du dich gegen mich verbindlich gemacht hast, so hast du hier einen Mann – hiermit wies er auf mich hin –, den ich schon sehr lange sein Seilerhandwerk treiben sehe, und immer in derselben Dürftigkeit. Es ist dies ein Gegenstand, der deiner Freigebigkeit durchaus würdig und zu einem Versuche der Art, wie du neulich sagtest, ganz geeignet ist.«

»Ich erinnere mich noch so gut daran,« erwiderte Saadi, »daß ich seitdem immer so viel Geld bei mir trage, als zu einem Versuche der Art nötig ist, und daß ich bloß auf einen gelegenen Anlaß wartete, wo du zugegen wärest und Augenzeuge sein könntest. Wir wollen ihn anreden und zu erfahren suchen, ob er wirklich Geld nötig hat.«

Die beiden Freunde kamen auf mich zu, und da ich sah, daß sie mit mir reden wollten, so hielt ich in meiner Arbeit inne. Sie begrüßten mich beide auf die gewöhnliche Weise, indem sie mir allen Frieden wünschten, und Saadi nahm hierauf das Wort und fragte mich, wie ich denn hieße.

Ich erwiderte ihnen denselben Gruß und sagte, um auf Saadis Frage zu antworten: »Herr, mein Name ist Hassan, und wegen meines Gewerbes bin ich allgemein unter dem Namen Hassan Alhabbal bekannt.«

»Hassan,« sagte hierauf Saadi, »da es kein Gewerbe gibt, das nicht seinen Meister nährt, so zweifle ich nicht, daß nicht auch das Eurige Euch so viel einträgt, um bequem davon leben zu können, und ich wundere mich selbst, daß, seitdem Ihr es treibet, Ihr Euch nicht etwas erspart und einen bedeutenden Vorrat von Hanf gekauft habt, um noch mehr Arbeit fertigen zu können, sowohl selber, als auch durch angenommene Gesellen, und um Euch Euer Leben bequemer machen zu können.«

»Herr,« erwiderte ich ihm, »Ihr würdet aufhören, Euch darüber zu wundern, daß ich nichts erspare, und daß ich nicht den von Euch bezeichneten Weg einschlage, um reich zu werden, wenn Ihr wüßtet, daß ich mit all der Arbeit, die ich von früh bis abend zu fertigen imstande bin, mir kaum so viel erwerben kann, als nötig ist, um mich und meine Familie mit Brot und Gemüse nähren zu können. Ich habe eine Frau und fünf Kinder, von denen noch kein einziges so alt ist, um mich im mindesten unterstützen zu können; sie brauchen Unterhalt und Kleidung, und in einer Wirtschaft, sei sie auch noch so klein, gibt es immer tausenderlei Bedürfnisse, die man nicht wohl beseitigen kann. Obwohl der Hanf nicht teuer ist, so ist doch Geld zum Einkauf desselben nötig, und das ist immer das erste, was ich von dem Erlös meiner Arbeit beiseite legen muß, sonst würde es mir nicht möglich sein, so viel, als meine Haushaltung erfordert, zu verdienen. Ihr könnt nun leicht urteilen, Herr,« fuhr ich fort, »ob es mir möglich ist, so viel zu ersparen, um mich und meine Familie auf einen größeren und bequemeren Fuß einzurichten. Es ist für uns genug, daß wir mit dem wenigen, was Gott uns gibt, zufrieden sind, und daß er uns die Kenntnis und das Verlangen nach dem, was uns etwa fehlt, nicht erst erregt hat; sondern wir finden vielmehr immer, daß uns nichts fehlt, sobald wir nur unser tägliches Auskommen haben und niemanden darum ansprechen dürfen.«

Als ich dies alles an Saadi so umständlich gesagt hatte, sprach er zu mir: »Hassan, ich wundere mich jetzt nicht mehr und begreife recht wohl, warum du mit deiner gegenwärtigen Lage zufrieden sein mußt. Doch wenn ich dir einen Beutel mit zweihundert Goldstücken zum Geschenk machte, würdest du wohl einen guten Gebrauch davon machen, und glaubst du nicht, daß du vermittelst dieser Summe sehr bald wenigstens ebenso reich werden könntest als die angesehensten Männer deines Gewerbes?«

»Herr,« antwortete ich, »Ihr scheint mir ein so wackrer Mann zu sein, daß ich überzeugt bin, Ihr treibet nicht etwa Euren Scherz mit mir, sondern Euer Anerbieten ist ernstlich gemeint. Ich bin daher so dreist, Euch zu sagen, daß eine weit geringere Summe für mich hinreichen würde, nicht bloß, um ebenso reich zu werden als die Ersten meines Standes, sondern auch, um in kurzer Zeit reicher zu werden als alle zusammen in dieser großen Stadt Bagdad, so groß und so bevölkert sie auch ist.«

Der großmütige Saadi zeigte mir sehr bald, daß er im vollen Ernst gesprochen habe. Er zog den Beutel aus seinem Busen, gab mir ihn in die Hand und sagte: »Da nimm diesen Beutel, du wirst darin die zweihundert Goldstücke bar finden. Ich bitte Gott, daß er seinen Segen dazu geben und dir die Gnade verleihen möge, sie gut anzuwenden. Zugleich sei überzeugt, daß wir beide, mein Freund Saadi hier und ich, uns sehr freuen werden, wenn wir hören werden, daß sie dazu beigetragen haben, dich glücklicher zu machen, als du jetzt bist.«

Als ich, o Beherrscher der Gläubigen, den Beutel empfangen und ihn in meinen Busen gesteckt hatte, war ich so voll Entzücken und so von Dankgefühl durchdrungen, daß die Sprache mir versagte, und daß es mir nicht möglich war, meinem Wohltäter irgend ein anderes Zeichen zu geben, als daß ich die Hand nach dem Saume seines Gewandes ausstreckte, um es zu küssen; aber er wich vor mir zurück und entfernte sich, indem er mit seinem Freund seinen Weg fortsetzte.

 

Dreihundertundsechsundsechzigste Nacht.

Als ich nach ihrem Weggange wieder an meine Arbeit ging, war der erste Gedanke, der mir einfiel, der, daß ich auf einen sichern Ort denken müßte, wo ich den Beutel aufheben könnte. Ich hatte nämlich in meinem kleinen, armseligen Häuschen weder einen Kasten noch einen Schrank, der verschlossen werden konnte, noch irgend einen andern Ort, wo ich sicher war, daß er nicht alsbald entdeckt würde, wenn ich ihn dahin versteckte.

Da ich wie andere arme Leute meines Standes die Gewohnheit hatte, das wenige Geld, das ich besaß, in die Falten meines Turbans zu stecken, so verließ ich in dieser Verlegenheit meine Arbeit und ging nach Hause unter dem Vorwande, meinen Turban wieder etwas in Ordnung zu bringen. Ich nahm meine Vorsichtsmaßregeln so gut, daß ich, ohne daß meine Frau und Kinder etwas davon merkten, zehn Goldstücke aus dem Beutel zog und sie für die dringendsten Ausgaben beiseite legte, das übrige aber in die Falten der Leinwand einhüllte, womit ich meine Kopfbedeckung umwickelte.

Die erste Ausgabe, die ich noch an demselben Tage machte, bestand darin, daß ich mir einen bedeutenden Vorrat von Hanf einkaufte; sodann – da schon seit langer Zeit kein Fleisch auf meinen Tisch gekommen war – ging ich nach der Fleischbank und kaufte Fleisch zum Abendessen.

Auf dem Rückwege trug ich mein Fleisch in der Hand, als plötzlich ein hungriger Hühnergeier, ohne daß ich mich verteidigen konnte, auf mich herabschoß und mir es gewiß aus der Hand gerissen haben würde, wenn ich es nicht sehr fest gehalten hätte. Doch ach, ich hätte besser getan, es ihn mir nehmen zu lassen, um nur nicht meinen Geldbeutel einzubüßen. Je mehr er von meiner Seite Widerstand fand, desto hartnäckiger bestand er darauf, mir es zu entreißen; er zog mich herüber und hinüber, während er selber in der Luft schwebte, ohne seine Beute fahren zu lassen. Unglücklicherweise fiel mir unter diesen Anstrengungen, die ich machte, mein Turban zu Boden.

Sogleich ließ der Hühnergeier seine Beute fahren, stürzte auf meinen Turban los und führte ihn in die Luft empor, noch ehe ich Zeit hatte, ihn von der Erde aufzuraffen. Ich stieß ein so durchdringendes Geschrei aus, daß die Männer, Weiber und Kinder der Nachbarschaft darüber erschraken und ihr Geschrei mit dem meinen vereinigten, um den Hühnergeier dadurch zu bewegen, seinen Raub fallen zu lassen.

Es gelingt bisweilen durch dieses Mittel, diese Art von Raubvögeln zu vermögen, ihre Beute wieder fahren zu lassen; doch diesmal schüchterte das Geschrei den Hühnergeier nicht ein, sondern er führte meinen Turban so weit weg, daß wir ihn aus dem Gesicht verloren, ehe er ihn fallen ließ. Es würde daher auch ganz fruchtlos gewesen sein, mir noch die Mühe und Anstrengung zu machen, ihm nachzulaufen, um ihn wiederzubekommen.

Traurig über den Verlust meines Geldes und meines Turbans kehrte ich nach Hause zurück. Indes mußte ich mir einen andern kaufen, wodurch die Summe von zehn Goldstücken, die ich aus dem Beutel genommen, abermals geschmälert wurde. Ich hatte davon bereits den Einkauf des Hanfes bestritten, und was mir nun noch übrig blieb, reichte nicht hin, um die schönen Hoffnungen, die ich gefaßt, zu verwirklichen.

Was mich am meisten peinigte, war, daß mein Wohltäter, wenn er das mir zugestoßene Unglück erfuhr, das ihm vielleicht ganz unglaublich und folglich als eine leere Entschuldigung erscheinen konnte, sehr unzufrieden darüber sein mußte, daß seine Freigebigkeit so übel angebracht gewesen.

Solange die wenigen Goldstücke, die mir übrig geblieben, noch währten, ließen wir, meine kleine Familie und ich, uns davon wohl sein; indes ich geriet sehr bald wieder in dieselbe Lage und in dieselbe Unmöglichkeit, mich aus meinem Elend herauszureißen, wie zuvor. Gleichwohl murrte ich nicht darüber. »Gott,« dachte ich, »hat mich prüfen wollen, indem er mir zu einer Zeit, wo ich es am wenigsten erwartete, Vermögen in die Hände gab; er hat mir es augenblicklich wieder entzogen, weil es ihm so gefallen und in seiner Macht gestanden hat. Er sei deshalb gelobt, so wie ich ihn bisher stets für die Wohltaten gepriesen habe, die er mir zu verleihen für gut fand. Ich unterwerfe mich seinem göttlichen Willen!«

Diese Betrachtungen stellte ich an, während meine Frau, der ich nicht umhin gekonnt hatte meinen erlittenen Verlust und die Ursache desselben mitzuteilen, ganz untröstlich war. Auch war mir in meiner Bestürzung die Äußerung gegen meine Nachbarn entschlüpft, daß ich in meinem Turban zugleich einen Beutel von hundertundneunzig Goldstücken verlöre. Da ihnen indes meine Armut bekannt war, und da sie nicht begreifen konnten, wie ich mir durch meine Arbeit eine so große Summe Geldes habe verdienen können, so lachten sie bloß darüber, und die Kinder noch mehr als sie.

Es waren etwa sechs Monate seit jenem Unglück, welches mir der Hühnergeier angerichtet hatte, vergangen, als die beiden Freunde nicht weit von dem Stadtviertel, wo ich wohnte, vorübergingen. Die Nachbarschaft machte, daß Saad sich meiner erinnerte. Er sagte zu Saadi: »Wir sind hier nicht weit von der Straße, worin Hassan Alhabbal wohnt; laß uns durch dieselbe gehen und zusehen, ob die zweihundert Goldstücke, die du ihm gegeben, etwas dazu beigetragen haben, ihm den Weg zu einer besseren Lage zu bahnen, als die war, worin wir ihn trafen.«

»Es ist mir ganz recht,« antwortete Saadi; »schon vor einigen Tagen dachte ich an ihn und freute mich im voraus über das Vergnügen, welches ich haben würde, dich zum Zeugen des Erfolgs zu machen, den ich bei meinem Versuche gehabt. Du wirst sehen, daß mit ihm eine große Veränderung vorgegangen ist, und ich mache mich darauf gefaßt, daß wir Mühe haben werden, ihn wiederzuerkennen.«

Die beiden Freunde hatten in diesem Augenblick, wo Saadi noch redete, bereits in die Straße eingelenkt. Saad, der mich zuerst und schon von fern gewahr wurde, sagte zu seinem Freunde: »Es kommt mir vor, als hättest du den Prozeß schon sehr zeitig gewonnen. Ich sehe zwar Hassan Alhabbal, aber ich entdecke an seiner Person auch nicht die mindeste Veränderung. Er ist ebenso schlecht gekleidet als damals, wo wir beide mit ihm sprachen. Die einzige Veränderung, die ich an ihm bemerke, besteht darin, daß sein Turban etwas neuer und reinlicher aussieht. Überzeuge dich selber, ob ich mich irre oder nicht.«

Beim Näherkommen bemerkte Saadi, der mich nun ebenfalls ins Auge gefaßt hatte, recht gut, daß Saad recht habe, und er wußte nicht, welcher Ursache er die geringe Veränderung, die er an mir wahrnahm, beimessen sollte. Er war darüber so sehr erstaunt, daß er kein Wort zu mir sprach; Saad dagegen begrüßte mich mit dem gewöhnlichen Gruße und sagte dann zu mir: »Nun, Hassan, wir dürfen wohl nicht erst fragen, wie deine kleinen Angelegenheiten seit unserm letzten Zusammentreffen gehen. Sie haben ohne Zweifel einen besseren Gang genommen, und die zweihundert Goldstücke müssen dazu bedeutend beigetragen haben.«

»Edle Herren,« antwortete ich, indem ich mich an alle beide wendete, »zu meinem großen Leidwesen muß ich euch sagen, daß eure guten Wünsche und Hoffnungen sowie die meinigen nicht den Erfolg gehabt haben, den ihr zu erwarten Ursache hattet, und den ich mir selber davon versprochen. Ihr werdet das seltsame Abenteuer, das mich betroffen, kaum glauben wollen. Gleichwohl versichere ich euch als rechtlicher Mann, dem ihr trauen könnt, daß nichts so gewiß wahr ist als das, was ihr sogleich hören werdet.«

Ich erzählte ihnen nun mein Abenteuer mit allen den einzelnen Umständen, die ich soeben Euer Majestät mitzuteilen die Ehre hatte.

Saadi verwarf meine Erzählung ganz und gar. »Hassan,« sagte er zu mir, »du willst mich zum besten haben und mich hintergehen. Was du da sagst, ist ganz unglaublich. Die Hühnergeier machen nicht auf Turbane Jagd, sie suchen bloß das, was ihren Heißhunger befriedigen kann. Du hast es indes gemacht, wie es alle Leute deines Standes zu machen pflegen. Wenn sie nämlich irgend einen außerordentlichen Gewinn machen, oder wenn ihnen irgend ein unerwartetes Glück zuteil wird, so lassen sie ihre Arbeit, gehen ihrem Vergnügen nach, bewirten einander und führen einen guten Tisch, solange das Geld währt, und wenn sie dann alles verzehrt haben, befinden sie sich in derselben Not und in derselben Dürftigkeit wie zuvor. Ihr bleibet bloß darum in Eurem Elend stecken, weil Ihr es verdient, und weil Ihr Euch selber der Wohltaten, die man Euch erzeigt, unwürdig machet.«

 

Dreihundertundsiebenundsechzigste Nacht.

»Herr,« erwiderte ich, »ich ertrage gerne diese Vorwürfe und bin bereit, noch weit heftigere zu erdulden; ich ertrage sie umso geduldiger, da ich auch nicht einen einzigen verdient zu haben glaube. Die Sache ist im ganzen Stadtviertel so allgemein bekannt, daß mir jeder dies bezeugen wird. Erkundigt Euch selber, und Ihr werdet finden, daß ich Euch nicht hintergehe. Ich gestehe es, ich selber habe noch nie gehört, daß Hühnergeier auch Turbane entführen, allein die Sache ist mir begegnet, so gut wie unzählige Dinge, die sonst noch nie vorgefallen sind und gleichwohl tagtäglich sich ereignen.«

Saad nahm meine Partei und erzählte Saadi so viele andere, nicht minder überraschende Geschichten von Hühnergeiern, die er wußte, daß dieser zuletzt seinen Geldbeutel aus dem Busen zog. Er zählte mir zweihundert Goldstücke in die Hand, und in Ermangelung eines Beutels steckte ich sie demgemäß ebenfalls in meinen Busen. Als Saadi diese Summe mir zugezählt hatte, sagte er zu mir: »Hassan, ich will dir noch diese zweihundert Goldstücke schenken; aber verwahre sie ja an einem sichern Orte, damit du nicht etwa wieder so unglücklich bist, sie wie die vorigen zu verlieren, und denke zugleich darauf, dir durch sie denselben Vorteil zu verschaffen, den dir eigentlich schon die früheren hätten verschaffen sollen.«

Ich versicherte ihn, daß die Dankesverpflichtung, die ich um dieser zweiten Gnade willen gegen ihn fühlte, umso größer sei, da ich sie nach meinem letzten Begebnis eigentlich nicht verdiente, und daß ich nicht unterlassen würde, seinen guten Rat zu benutzen. Ich wollte noch weiter reden, aber er ließ mir nicht Zeit dazu, sondern verließ mich, indem er mit seinem Freunde seinen Spaziergang fortsetzte.

Ich ging nach ihrem Weggange nicht wieder an meine Arbeit, sondern kehrte nach meiner Wohnung zurück, wo ich weder meine Frau noch meine Kinder anwesend fand. Ich legte nun von den zweihundert Goldstücken zehne beiseit und hüllte die übrigen in ein Tuch, welches ich mit Knoten zuknüpfte. Es kam nun darauf an, das Tuch an einem sichern Orte zu verbergen. Nach reiflicher Überlegung fiel mir endlich ein, es in ein irdenes, mit Kleie angefülltes Gefäß, das in einem Winkel stand, unten auf den Boden zu legen, da ich nicht glauben konnte, daß meine Frau oder meine Kinder es darin suchen würden. Meine Frau kam bald darauf nach Hause, und da ich nur noch sehr wenig Hanf in Vorrat hatte, sagte ich zu ihr – ohne die beiden Freunde zu erwähnen –, daß ich welchen einkaufen ginge.

Ich ging fort; doch während ich diesen Einkauf machte, kam ein Mann, welcher Waschton, wie ihn die Frauen beim Baden brauchen, zu verkaufen hatte, durch die Straße gegangen und rief seine Ware aus.

Meine Frau, die von diesem Tone nichts mehr vorrätig hatte, rief den Verkäufer an, und da sie nicht bei Gelde war, so fragte sie ihn, ob er ihr wohl etwas von seinem Tone durch Austausch gegen Kleie ablassen wolle. Der Verkäufer verlangte die Kleie zu sehen; meine Frau zeigte ihm das Gefäß, worin sie war, und der Handel wurde abgeschlossen. Sie empfing den Waschton, und der Händler nahm sich das Gefäß mit der Kleie.

Ich kam zurück, mit einer solchen Menge von Hanf bepackt, als ich nur immer fortbringen konnte, hinter mir her folgten fünf Packträger, die gleich mir mit derselben Ware beladen waren, womit ich einen hölzernen Verschlag anfüllte, den ich in meinem Hause angebracht hatte. Ich bezahlte die Lastträger für ihre Mühe, und als sie fortgegangen waren, wendete ich einige Augenblicke dazu an, um mich von meiner Müdigkeit zu erholen. Sodann warf ich meine Blicke nach der Stelle hin, wo ich das irdene Kleiegefäß zuvor gelassen hatte, und sah es jetzt nicht mehr.

Es ist unmöglich, Euer Majestät die Größe meines Erstaunens, noch die Wirkung desselben auf mein Gemüt zu schildern. Ich fragte hastig meine Frau, wo es denn hingekommen sei, und sie erzählte mir den Tauschhandel, den sie damit getroffen, als wobei sie sehr viel gewonnen zu haben glaubte.

»Ach, unglückliches Weib,« rief ich aus, »du weißt nicht, welches Unheil du mir, dir und deinen Kindern durch diesen Handel, der uns rettungslos zugrunde richtet, zugefügt hast. Du glaubtest bloß Kleie zu verkaufen und hast durch diese Kleie deinen Waschtonhändler um hundertundneunzig Goldstücke reicher gemacht, womit Saadi in Begleitung seines Freundes mich zum zweiten Male beschenkt hatte.«

Es fehlte wenig, so wäre meine Frau in Verzweiflung geraten, als sie erfuhr, welch einen großen Fehler sie in der Unwissenheit begangen hatte. Sie jammerte, zerschlug die Brust, raufte sich die Haare aus und zerriß sich das Kleid, das sie anhatte. »Wie unglücklich bin ich,« rief sie aus, »verdiene ich nach einem so schrecklichen Mißgriff wohl noch zu leben? Wo soll ich diesen Waschtonverkäufer suchen? Ich kenne ihn ja nicht, er ist bloß dies einzige Mal durch unsere Straße gekommen, und vielleicht werde ich ihn nie mehr wiedersehen. Ach, lieber Mann,« fuhr sie fort, »du hast sehr unrecht gehandelt, daß du in einer so wichtigen Sache gegen mich so zurückhaltend gewesen bist. Dies alles wäre gar nicht geschehen, wenn du mir dein Geheimnis mitgeteilt hättest!«

Es würde mich zu weit führen, wenn ich Euer Majestät alles das wiedersagen wollte, was der Schmerz ihr damals in den Mund legte. Ihr wißt ja, wie redselig die Frauen in ihren Trübsalen zu sein pflegen.

»Liebe Frau,« sagte ich zu ihr, »mäßige dich; du bedenkst gar nicht, daß du durch dein Weinen und Schreien alle Nachbarn herbeilocken wirst, und was brauchen diese denn um unsern Unfall zu wissen! Anstatt an unserem Mißgeschick teilzunehmen oder uns Trost zuzusprechen, würden sie sich ein Vergnügen daraus machen, über deine und meine Einfalt zu spotten, Der beste Entschluß, der hierbei zu nehmen ist, ist noch der, daß wir unseren Verlust verschweigen, ihn geduldig ertragen, so daß niemand das mindeste davon merkt, und uns in den Willen Gottes fügen. Zugleich wollen wir denselben preisen, daß er von den zweihundert Goldstücken, die er uns verliehen, uns bloß hundertundneunzig wieder genommen und uns vermöge seiner Güte wenigstens noch zehn gelassen hat, deren Anwendung uns doch immer noch einige Unterstützung gewähren wird.«

Wie richtig auch meine Gründe waren, so ward es mir dennoch sehr schwer, denselben bei meiner Frau Eingang zu verschaffen. Doch die Zeit, welche die größten und unerträglich scheinenden Leiden mildert, bewirkte zuletzt, daß sie sich darein ergab.

»Wir leben freilich arm,« sagte ich zu ihr, »indes was haben denn die Reichen, was wir nicht auch hätten? Atmen wir nicht dieselbe Luft; genießen wir nicht dasselbe Sonnenlicht und dieselbe Sonnenwärme? Die Bequemlichkeiten des Lebens, die sie etwa vor uns voraushaben, könnten uns ihr Los beneidenswert erscheinen lassen, wenn sie nicht ebenso sterben müßten wie wir. Genau genommen, ist der Vorzug, den sie vor uns voraushaben, so unbedeutend, daß wir ihn gar nicht erst in Betracht ziehen sollten.«

Das einzige, was mich – und zwar nicht selten – ärgerte, war, wenn ich mich fragte, wie ich denn wohl den Anblick Saadis zu ertragen imstande sein würde, wenn er nun von mir über die Verwendung der zweihundert Goldstücke, und wie ich vermittelst seines Geschenks meine Lage verbessert hätte, Rechenschaft verlangen würde, und ich sah dann keinen andern Ausweg vor mir als Verlegenheit und Beschämung, obwohl ich dies zweite Mal so wenig als das erstemal durch meine Schuld zu diesem Unglück beigetragen hatte.

 

Dreihundertundachtundsechzigste Nacht.

Es dauerte diesmal länger als das erstemal, ehe die beiden Freunde kamen und über meine Lage Erkundigung einzogen. Saad hatte oft mit Saadi davon gesprochen, doch dieser hatte es immer aufgeschoben.

»Je länger wir es verschieben,« sagte er, »desto reicher wird Hassan werden, und desto größer wird das Vergnügen sein, das ich darüber empfinden werde.«

Saad hatte von der Wirkung des Geschenkes seines Freundes nicht dieselbe Ansicht. »Glaubst du denn,« äußerte er, »daß Hassan dein Geschenk diesmal besser als das erstemal angewendet haben wird? Ich rate dir, nicht zu sehr darauf zu rechnen, damit dein Ärger, wenn du das Gegenteil davon finden wirst, nicht zu groß ist.«

»Allein,« fuhr Saadi fort, »es kommt ja doch nicht alle Tage vor, daß ein Hühnergeier einen Turban entführt. Hassan ist von diesem Unfall einmal betroffen worden und wird sich nun wohl vorgesehen haben, daß es ihm nicht noch einmal so gegangen ist.«

»Ich zweifle daran gar nicht,« erwiderte Saad; »allein jeder andere Zufall, an den wir beide gerade nicht denken konnten, kann sich ebensogut ereignet haben. Ich sage dir es nochmals, mäßige deine Freude und mache dich auf Hassans Unglück nicht minder gefaßt als auf sein Glück. Um dir zu sagen, was ich denke, und was ich von jeher gedacht habe – wie schlechten Dank du mir auch für diesen Glauben wissen wirst –: ich habe eine Vorahnung, daß es dir nicht gelungen ist, und daß es mir besser gelingen wird als dir, zu zeigen, daß ein Armer aus jedem anderen Wege eher reich werden kann als durch Geld.«

Als Saad eines Tages wiederum bei Saadi war und sie sich lange miteinander gestritten hatten, sagte Saadi: »Es ist genug; ich will mir heute noch Aufschluß darüber zu verschaffen suchen, wie es mit der Sache steht. Es ist jetzt gerade die Zeit, wo man spazierengeht, laßt sie uns nicht versäumen, sondern hingehen und uns erkundigen, wer von uns beiden die Wette gewonnen haben wird.«

Die beiden Freunde gingen aus, und ich sah sie von weitem kommen. Ich wurde ganz bestürzt und war auf dem Punkte, meine Arbeit zu lassen und mich irgendwo zu verstecken, um ihnen nur nicht unter die Augen zu kommen. Indes ich blieb bei meiner Arbeit und tat, als sähe ich sie nicht; und so schlug ich denn meine Augen nicht eher zu ihnen auf, als bis sie mir so nahe waren, daß sie mich grüßten und ich den Gruß nicht füglich unerwidert lassen konnte. Ich schlug jedoch meine Augen sogleich wieder nieder, und indem ich ihnen meinen letzten Unfall ausführlich erzählte, machte ich ihnen begreiflich, warum sie mich noch immer in derselben Armut fänden als damals, wo sie mich zum erstenmal gesehen.

Als ich damit zu Ende war, fuhr ich fort: »Ihr werdet mir vielleicht einwenden, daß ich die hundertundneunzig Goldstücke hätte anderswo aufheben sollen als in einem irdenen Gefäß, welches noch an demselben Tage aus meinem Hause fortgeschafft wurde. Allein schon seit einer Reihe von Jahren stand das Gefäß immer auf derselben Stelle, und sooft auch meine Frau, wenn es voll war, die Kleie verkauft hatte, so war doch das Gefäß immer stehen geblieben. Konnte ich mir nun träumen lassen, daß gerade an demselben Tage in meiner Abwesenheit ein Waschtonverkäufer da vorbeigehen und daß meine Frau ohne Geld sein und mit ihm diesen Tauschhandel abschließen würde? Ihr könntet mir freilich einwerfen, daß ich meiner Frau etwas davon hätte sagen sollen; indes Personen von so klugem Verstande, als ich bei euch voraussetzen muß, würden mir einen Rat von der Art gewiß nie geben. Was aber den Punkt betrifft, daß ich sie nicht anderswo versteckt habe, so frage ich euch, wer bürgt mir dafür, daß ich sie da sichrer gehabt hätte? – Herr,« fuhr ich dann fort, indem ich mich an Saadi wendete, »es hat Gott nicht gefallen, daß ich durch Eure Freigebigkeit reich werden sollte. Es gehört mit zu seinen unerforschlichen Geheimnissen, die wir nicht ergründen können, daß ich arm und nicht reich sein soll. Deshalb werde ich doch nie aufhören, gegen Euch dieselbe Dankbarkeit zu fühlen, als wenn Eure Freigebigkeit, wie Ihr gewünscht, ihren Zweck völlig erreicht hätte.«

Ich schwieg, und Saadi nahm hierauf das Wort und sagte: »Hassan, wenn ich mich auch überreden wollte, daß alles das, was du mir da sagst, so gewiß wahr ist, als du es uns gern glauben machen möchtest, und daß es kein bloßer Deckmantel ist, um deine Liederlichkeit oder deine schlechte Wirtschaft zu beschönigen, so würde ich mich dennoch sehr hüten, irgend einen Schritt weiter zu tun und hartnäckig in Versuchen fortzufahren, die mich am Ende zugrunde richten würden. Mich dauern die vierhundert Goldstücke nicht, deren ich mich beraubt habe, um einen Versuch zu machen, dich aus deiner Dürftigkeit zu ziehen; ich tat es, dem Himmel zu gefallen, und erwartete von dir keinen Dank, sondern bloß das Vergnügen, dir etwas Gutes erwiesen zu haben. Wenn mich irgend etwas dabei reuen könnte, so wäre es bloß das, daß ich mich an dich und nicht lieber an einen andern gewendet habe, der dies vielleicht besser benutzt haben würde.« Nach diesen Worten wendete er sich zu seinem Freunde und fuhr fort: »Saad, du kannst aus dem, was ich soeben gesprochen, abnehmen, daß ich das Spiel noch nicht ganz verloren gebe. Gleichwohl steht es dir frei, die Wahrheit deiner bisherigen Behauptung ebenfalls durch einen Versuch zu erproben. Zeige mir, daß es außer dem Gelde noch andere Mittel und Wege gibt, um das Glück eines Armen – in dem Sinne, wie ich und du es meinen – zu gründen, und suche dir keinen andern dazu aus als Hassan. Was du ihm auch immer geben magst, ich kann mich nicht überreden, daß er dadurch reicher werden könnte, als er durch die vierhundert Goldstücke hätte werden können.«

Saad hatte ein Stück Blei in der Hand und zeigte es Saadi. »Du hast gesehen,« sagte er dann zu diesem, »wie ich das Stück Blei zu meinen Füßen aufraffte; ich werde es jetzt Hassan schenken, und du wirst sehen, wieviel es ihm einbringen wird!«

Saadi lachte laut auf und machte sich über Saad lustig. »Ein Stück Blei?« rief er aus; »nun, was kann das dem Hassan weiter einbringen als einen Heller, und was wird er mit einem Heller anfangen?«

Saad überreichte mir indes das Stück Blei und sagte: »Laß jenen da immer lachen, und nimm du es nur. Du wirst uns dereinst von dem Glück, das es dir ins Haus gebracht, viel zu sagen haben.«

Ich glaubte, Saad meinte dies nicht im Ernst, sondern wollte bloß seinen Scherz treiben. Gleichwohl nahm ich das Stück Blei mit Dank an, und um ihm seinen Willen zu tun, steckte ich es zum Schein in meine Weste. Darauf verließen mich die beiden Freunde, um ihren Spaziergang fortzusetzen, und ich ging wieder an meine Arbeit.

 

Dreihundertundneunundsechzigste Nacht

Als ich mich am Abend auskleidete, um schlafen zu gehen, und eben meinen Gürtel ablegte, fiel das Stück Blei, das mir Saad gegeben und woran ich nicht weiter gedacht hatte, auf die Erde. Ich hob es von der Erde auf und legte es an den ersten besten Ort, den ich gerade fand.

Dieselbe Nacht traf es sich, daß einer meiner Nachbarn, ein Fischer, bei Zubereitung seiner Netze bemerkte, daß es ihm an einem Stück Blei fehle. Er hatte keines, um es an die Stelle zu setzen, auch war es nicht mehr an der Zeit, um sich welches zu kaufen, da die Kaufläden alle verschlossen waren. Gleichwohl mußte er, wofern er mit den Seinen für den folgenden Tag Lebensunterhalt haben wollte, zwei Stunden vor Tage auf den Fischfang ausgehen. Er gab daher seiner Frau seinen Verdruß zu erkennen und schickte sie aus, um in der Nachbarschaft für diesen Notfall irgend etwas Blei aufzutreiben.

Die Frau gehorchte ihrem Manne und ging von Tür zur Tür auf beiden Seiten der Straße, fand aber nirgends etwas. Sie brachte diese Antwort ihrem Manne, der ihr mehrere seiner Nachbarsleute nannte und zugleich fragte, ob sie an deren Tür auch schon angeklopft habe. Sie antwortete: ja. »Und auch bei Hassan Alhabbal?« fuhr er fort, »ich wette, du bist bei dem nicht gewesen.«

»Es ist wahr,« erwiderte die Frau, »ich bin nicht bis da gewesen, denn es war mir zu weit, aber wenn ich mich auch die Mühe nicht hätte verdrießen lassen, glaubst du denn, daß ich bei ihm etwas gefunden hätte? Zu dem muß man nur hingehen, wenn man nichts nötig hat; ich weiß das aus Erfahrung.«

»Das tut nichts zur Sache,« sagte darauf der Fischer, »du bist bloß faul, und ich will, daß du dahin gehst. Du bist hundertmal bei ihm gewesen, ohne das zu finden, was du suchtest, vielleicht aber wirst du gerade heute das Blei finden, dessen ich bedarf; noch einmal, ich will, daß du dahin gehest.«

Die Frau des Fischers ging murrend und brummend fort und klopfte an meine Tür. Ich schlief bereits, wachte aber auf und fragte, was es gäbe. »Hassan Alhabbal,« sagte die Frau mit verstärkter Stimme, »mein Mann bedarf etwas Blei, um seine Netze zurechtzumachen; solltet Ihr etwas dergleichen haben, so läßt er Euch darum bitten.«

Die Erinnerung an das Stück Blei, welches mir Saad gegeben, war mir, besonders nach dem, was mir beim Auskleiden begegnet war, noch in so frischem Andenken, daß ich es nicht vergessen haben konnte. Ich antwortete also der Nachbarin, ich hätte etwas, und sie möchte nur einen Augenblick warten, so würde meine Frau ihr ein Stück geben.

Meine Frau, welche bei dem Lärm ebenfalls aufgewacht war, steht auf, findet im Dunkeln tappend das Blei an der Stelle, wo ich es ihr bezeichnet hatte, öffnet die Tür ein wenig und reicht es der Nachbarin hinaus.

Die Frau des Fischers war ganz entzückt darüber, daß sie nicht vergebens gekommen war, und sagte zu meiner Frau: »Nachbarin, die Freude, die Ihr mir und meinem Manne damit machet, ist so groß, daß ich Euch alle die Fische verspreche, welche mein Mann beim ersten Wurf seiner Netze fangen wird; ich weiß, er wird mein gegebenes Wort nicht zurücknehmen.«

Der Fischer, voll Freude, daß er wider Erwarten das ihm fehlende Blei noch bekommen, billigte das Versprechen, das seine Frau uns getan hatte. »Ich weiß dir vielen Dank dafür,« sagte er, »daß du hierin meiner Absicht nachgekommen bist.«

Er setzte nun die Netze vollends instand und ging seiner Gewohnheit gemäß zwei Stunden vor Tage auf den Fischfang aus. Er zog beim ersten Wurf seiner Netze bloß einen einzigen Fisch herauf, der aber über eine Elle lang und verhältnismäßig dick war. Hierauf machte er mehrere andere Würfe, die alle sehr glücklich ausfielen, doch fehlte viel, daß unter alle den Fischen, die er fing, auch nur ein einziger dem ersten gleichgekommen wäre.

Als der Fischer seinen Fischzug vollendet und seine Wohnung wieder erreicht hatte, so war seine erste Sorge, an mich zu denken, und ich war nicht wenig erstaunt, als ich bei meiner Arbeit ihn mit dem Fische beladen vor mich hintreten sah.

»Nachbar,« sagte er zu mir, »meine Frau hat Euch in der verflossenen Nacht zum Dank für Eure mir erzeigte Gefälligkeit den Fisch versprochen, den ich beim ersten Auswurf meiner Netze fangen würde, und ich habe ihr Versprechen gebilligt. Gott hat mir für Euch bloß diesen einzigen beschert, und ich bitte Euch, ihn von mir anzunehmen. Hätte er mir mein Netz voll Fische gegeben, so würden sie ebenfalls Euer gewesen sein. Nehmet ihn daher, ich bitte Euch, so wie er nun da ist, an und nehmet damit vorlieb.«

»Nachbar,« antwortete ich, »das Stück Blei, das ich Euch geschickt habe, ist eine solche Kleinigkeit, daß es gar nicht wert ist, von Euch so hoch angeschlagen zu werden. Nachbarsleute müssen sich in ihren kleinen Bedürfnissen aushelfen, und ich habe bloß das für Euch getan, was ich in einem ähnlichen Falle ebenfalls von Euch erwartet haben würde. Ich würde daher Euer Geschenk ausschlagen, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr mir es aus gutem Herzen gebet, und daß ich Euch sogar beleidigen würde, wenn ich es täte. Ich nehme es folglich an, da Ihr es so wollet, und sage Euch dafür meinen besten Dank.«

Damit hatten unsere gegenseitigen Artigkeiten ein Ende, und ich trug den Fisch zu meiner Frau.

»Da nimm,« sagte ich zu ihr, »diesen Fisch, den unser Nachbar, der Fischer, mir soeben zum Dank für das Stück Blei, um welches er uns verflossene Nacht bitten ließ, gebracht hat. Es ist dies, denke ich, alles, was wir von diesem Geschenke hoffen dürfen, welches mir Saad gestern mit der Verheißung machte, es werde mir Glück bringen.«

Zugleich erzählte ich ihr bei dieser Gelegenheit von der Rückkehr der beiden Freunde, und was zwischen ihnen und mir vorgegangen.

Meine Frau geriet beim Anblick dieses großen und dicken Fisches in Verlegenheit. »Was meinst du denn,« sagte sie, »daß wir damit anfangen sollen? Unser eiserner Bratrost ist nicht rein und auch nur für kleine Fische geeignet, und um ihn mit einer kurzen Brühe zu kochen, haben wir keinen Topf, der groß genug wäre.«

»Das ist deine Sache,« sagte ich zu ihr, »richte ihn nach deinem Belieben zu; sei er gebraten oder gekocht, ich werde schon damit zufrieden sein.« Nachdem ich dies gesprochen, kehrte ich zu meiner Arbeit zurück.

Während der Zubereitung des Fisches zog meine Frau mit den Eingeweiden einen großen Diamanten heraus, den sie, nachdem sie ihn rein abgespült, für bloßes Glas hielt. Sie hatte wohl schon von Diamanten reden hören, aber wenn sie auch deren schon gesehen oder in den Händen gehabt hätte, so war sie doch nicht Kennerin genug, um sie genau unterscheiden zu können. Sie gab ihn also unserem jüngsten Kinde, auf daß es mit seinen übrigen Geschwistern damit spielen möchte, die ihn alle nach der Reihe sehen und betasten wollten und sich ihn einander wechselweise in die Hände gaben, um seine Schönheit, seinen Glanz und sein Feuer zu bewundern.

Als des Abends die Lampe angezündet worden war, bemerkten unsere Kinder, die noch immer ihr Spiel fortsetzten und sich ihn einander zureichten, um ihn zu betrachten, daß er, je nachdem meine Frau bei Zubereitung des Abendessens zufällig vor der Lampe vorbeiging und Schatten machte, einen Schein von sich gab, und dies bewog denn die Kinder, sich ihn einander aus den Händen zu reißen, um Versuche damit zu machen. Dabei weinten die Kleinen, wenn die größeren ihnen denselben nicht so lange lassen wollten, als sie es wünschten, und diese waren dann gezwungen, ihnen den Stein wiederzugeben, um sie nur zu besänftigen.

Da oft eine Kleinigkeit hinlänglich ist, um Kinder zu unterhalten oder Streit unter ihnen zu erregen, und da dies sehr häufig bei ihnen der Fall ist, so gab weder ich noch meine Frau darauf acht, was wohl Anlaß zu diesem Lärm und Getümmel gäbe, womit sie unsere Ohren betäubten. Endlich hörte es auf, als die größeren sich mit uns an den Tisch gesetzt hatten, um zu Abend zu essen, und meine Frau den kleineren jedem seinen Teil gegeben hatte.

Nach dem Abendessen versammelten sich die Kinder wieder, und der vorige Lärm begann aufs neue. Ich wollte jetzt die Ursache ihres Streites ausmitteln, rief den ältesten und fragte ihn, warum sie denn einen so großen Lärm machten. Er antwortete: »Lieber Vater, die Ursache ist ein Stück Glas, das einen Schein von sich gibt, wenn wir es mit dem Rücken gegen die Lampe gekehrt betrachten.« Ich ließ es mir bringen und machte selber damit den Versuch.

Die Sache schien mir seltsam und veranlaßte mich, meine Frau zu fragen, was denn das für ein Stück Glas wäre. »Ich weiß nicht,« antwortete sie, »es ist ein Stück Glas, das ich aus dem Bauche des Fisches, als ich ihn zubereitete, herausgezogen habe.«

Mir fiel so wenig als ihr ein, daß es etwas anderes als Glas sein könnte; doch trieb ich meine Versuche noch weiter. Ich sagte meiner Frau, sie möchte doch einmal die Lampe in den Kamin verstecken. Sie tat es, und ich sah nun, daß das vermeintliche Stück Glas einen so hellen Schein verbreitete, daß wir keiner Lampe bedurften, um uns zu Bette zu legen. Ich ließ sie daher auslöschen, und ich selber legte das Stück Glas auf den Rand des Kamins, damit es uns leuchtete.

»Das ist,« sagte ich, »nun schon ein zweiter Vorteil, den uns das Stück Blei, das der Freund Saadis uns gegeben, verschafft, daß wir uns nämlich die Ausgabe auf Öl ersparen können.«

Als meine Kinder sahen, daß ich die Lampe hatte auslöschen lassen, und daß das Stück Glas die Stelle derselben vertrat, so stießen sie über dieses Wunder ein so lautes und gellendes Geschrei aus, daß man es weit umher in der Nachbarschaft hören konnte.

Meine Frau und ich vermehrten den Lärm, indem wir ihnen zuschrieen, sie sollten schweigen; doch konnten wir unsern Zweck nicht erreichen, als bis sie zu Bette gegangen und eingeschlafen waren, nachdem sie sich zuvor noch eine lange Weile nach ihrer Weise von dem wunderbaren Schein des Glasstückes unterhalten hatten.

Meine Frau und ich legten uns darauf auch nieder. An dem folgenden Morgen, als es heller Tag war, ging ich, ohne weiter an das Stück Glas zu denken, an meine gewöhnliche Arbeit. Es wird niemanden befremden, daß dies einem Manne, wie ich war, begegnen konnte, der in seinem Leben bloß Glas, aber niemals Diamanten gesehen, und der, hätte er auch je dergleichen vor die Augen bekommen, sich doch nie um ihren Wert oder Preis bekümmert hatte.

Ich muß Euer Majestät bei dieser Stelle bemerklich machen, daß zwischen meinem Hause und dem meines nächsten Nachbars bloß eine mit Ziegeln ausgesetzte Wand von Bindewerk sich befand, die noch dazu sehr dünn war. Dies Haus gehörte einem sehr reichen Juden, der seinem Gewerbe nach ein Juwelier war, und das Zimmer, worin er und seine Frau schliefen, stieß an die Scheidewand. Sie waren schon zu Bette und eingeschlafen gewesen, als meine Kinder den ärgsten Lärm gemacht hatten; sie waren davon aufgeweckt worden, und es hatte lange Zeit gedauert, ehe sie wieder einschlafen konnten.

Den folgenden Morgen kam die Frau des Juden in ihrem und ihres Mannes Namen und beschwerte sich bei meiner Frau darüber, daß sie bei Nacht in ihrem ersten Schlafe gestört worden wären.

»Meine liebe Rachel« – so hieß nämlich die Jüdin –, sagte meine Frau zu ihr, »es tut mir sehr leid, daß dies vorgefallen ist, und ich bitte deshalb um Entschuldigung. Ihr wisset ja, wie es mit Kindern ist; sie lachen oft über eine Kleinigkeit. Tretet herein, so werde ich Euch die Ursache zeigen, die Eure Beschwerden veranlaßt hat.«

Die Jüdin trat herein, und meine Frau nahm den Diamanten – denn es war wirklich einer, und zwar ein sehr ausgezeichneter –, der noch auf dem Kaminrande lag, zeigte ihr denselben und sagte: »Da sehet, dies Stück Glas war die Ursache des ganzen Lärms, den Ihr gestern abend hörtet.« Während die Jüdin, die eine sehr gute Kenntnis von allen Arten von Edelsteinen hatte, den Diamanten voll Bewunderung besichtigte, erzählte sie ihr, wie sie denselben in dem Bauche des Fisches gefunden, und wie alles gekommen.

Als meine Frau ausgeredet hatte, sagte die Jüdin zu ihr, indem sie ihr den Diamanten wieder einhändigte: »Aïscha« – so hieß nämlich meine Frau – »ich halte es so wie Ihr für bloßes Glas, da es indes schöner als das gewöhnliche Glas ist, und da ich ein ganz ähnliches Stück Glas zu Hause habe, womit ich mich zuweilen schmücke, und wozu es schön passen würde, so würde ich es kaufen, wenn Ihr mir es ablassen wolltet.«

Meine Kinder, die von dem Verkauf ihres Spielwerks reden hörten, unterbrachen das Gespräch, indem sie dagegen ein Geschrei erhoben und ihre Mutter baten, es ihnen zu lassen, so daß sie es ihnen zu versprechen genötigt war, um sie nur wieder zu beruhigen.

Die Jüdin, welche wieder nach Hause gehen mußte, entfernte sich und bat meine Mutter, die sie bis an die Haustür geleitete, beim Abschied noch ganz leise, wofern sie dies Stück Glas zu verkaufen Lust hätte, so möchte sie es ja niemandem zeigen, ohne daß sie es ihr zuvor sagen ließ.

 

Dreihundertundsiebenzigste Nacht.

Der Jude war sehr früh schon nach dem Juwelierplatze in seinen Laden gegangen. Die Jüdin eilte ihm nach und meldete ihm die Entdeckung, die sie gemacht hatte; zugleich beschrieb sie ihm die Größe, das ungefähre Gewicht, die Schönheit, den Glanz und das schöne Wasser des Diamanten und vor allen Dingen seine Eigenschaft, bei Nacht zu leuchten, wie meine Frau in ihrer naiven Erzählung ihr versichert hatte.

Der Jude schickte seine Frau sogleich zurück mit dem Befehle, mit der meinigen zu unterhandeln, ihr anfangs nur wenig darauf zu bieten, sodann, je nachdem sie größere Schwierigkeiten fände, immer höher zu gehen und endlich den Handel um jeden Preis abzuschließen.

Die Jüdin sprach dem Befehle ihres Mannes zufolge mit meiner Frau beiseite, ohne zu erwarten, daß sie sich zum Verkauf des Diamanten entschlossen haben würde, und fragte sie, ob sie zwanzig Goldstücke dafür haben wolle. Für ein Stück Glas – denn dafür hielt sie es – fand meine Frau die gebotene Summe sehr ansehnlich, doch wollte sie weder Ja noch Nein sagen, sondern äußerte bloß gegen die Jüdin, daß sie darauf nicht eher hören könnte, als bis sie mit mir zuvor gesprochen haben würde.

Mittlerweile kam ich eben von meiner Arbeit und wollte in meiner Wohnung zu Mittag essen, als die beiden noch immer an der Tür miteinander sprachen. Meine Frau rief mich an und fragte mich, ob ich es wohl genehmigte, wenn sie das Glasstück, das sie im Bauche des Fisches gefunden, für zwanzig Goldstücke verkaufte, die unsere Nachbarin, die Jüdin, soeben darauf geboten habe. Ich gab nicht sogleich eine entscheidende Antwort, sondern dachte an die Zuversicht, womit Saadi bei Überreichung des Stückes Blei mir versprochen hatte, daß es dereinst mein Glück machen würde. Die Jüdin glaubte, ich antwortete bloß darum nicht, weil ich ihr Gebot verschmähte, und sagte daher: »Nachbar, ich werde Euch fünfzig dafür geben; seid Ihr damit zufrieden?«

Da ich sah, daß die Jüdin von zwanzig Goldstücken so schnell aus fünfzig stieg, so hielt ich fest darauf und sagte ihr, sie sei noch sehr weit von dem Preise entfernt, um welchen ich es zu verkaufen gesonnen sei.

»Nachbar,« sagte sie hierauf, »nehmet hundert Goldstücke dafür; das ist gewiß sehr viel, und ich weiß selbst nicht einmal, ob mein Mann es gutheißen wird.«

Bei dieser neuen Steigerung sagte ich zu ihr, daß ich hunderttausend Goldstücke dafür haben wollte, obwohl ich recht gut wüßte, daß der Diamant weit mehr wert sei; indes um ihr und ihrem Manne als Nachbarsleuten gefällig zu sein, so wolle ich mich auf diese Summe beschränken, die ich aber durchaus haben müsse, und wenn sie ihn um diesen Preis nicht möchten, so würden mir andere Juweliere schon noch mehr dafür geben.

Die Jüdin bestärkte mich noch mehr in meinem gefaßten Entschlusse durch den Eifer, womit sie den Handel abzuschließen suchte, indem sie mir zu wiederholten Malen bis zu fünfzigtausend Goldstücken bot, die ich aber nicht annahm.

»Ich kann,« sagte sie, »ohne Zustimmung meines Mannes nicht mehr bieten. Er wird erst diesen Abend heimkommen, und die einzige Gefälligkeit, die ich mir von Euch ausbitte, ist die, daß Ihr so lange Geduld habet, bis er mit Euch gesprochen und den Diamanten gesehen haben wird«, was ich ihr denn auch versprach.

Als der Jude des Abends heimkam, erfuhr er von seiner Frau, daß sie in ihrer Unterhandlung mit mir und meiner Frau noch nicht zum Ziele gelangt sei, daß sie mir fünfzigtausend Goldstücke geboten und um welche Gefälligkeit sie mich ersucht habe.

Der Jude gab auf die Zeit acht, wo ich meine Arbeit verließ und nach Hause zurückkehrte. »Nachbar Hassan,« rief er mich unterwegs an, »ich bitte Euch, zeigt mir doch den Diamanten, den Eure Frau der meinigen gewiesen.« Ich forderte ihn aus, hereinzutreten, und zeigte ihm denselben.

Da es bereits dämmerte und die Lampe noch nicht angezündet war, so erkannte er sogleich aus dem Scheine, den der Diamant von sich strahlte, und aus seinem gewaltigen Glanze, wovon meine Hand ganz erleuchtet war, daß seine Frau ihm eine sehr richtige Schilderung davon gemacht hatte. Er nahm ihn in die Hand, besichtigte ihn eine lange Weile und konnte gar nicht aufhören, ihn zu bewundern. »Nun, lieber Nachbar,« sagte er darauf, »meine Frau hat, wie sie mir gesagt hat, Euch fünfzigtausend Goldstücke geboten; damit Ihr nun zufrieden seid, biete ich Euch noch zwanzigtausend mehr.«

»Nachbar,« antwortete ich, »Eure Frau wird Euch vielleicht gesagt haben, daß ich ihn auf hunderttausend Goldstücke gesetzt habe; entweder gebt mir nun so viel, oder der Diamant bleibt in meinen Händen; hier ist kein Mittelweg weiter.«

Er handelte noch eine Weile in der Hoffnung, daß ich ihm noch etwas herunterlassen würde; indes richtete er bei mir nichts aus, und aus Furcht, daß ich den Diamanten nicht etwa andern Juwelieren zeigen möchte – was ich auch wirklich getan haben würde –, verließ er mich nicht eher, als bis ich den Handel um den verlangten Preis abgeschlossen hatte. Zugleich sagte er mir, er habe zwar die hunderttausend Goldstücke nicht bar bei sich zu Hause, er werde mir aber den folgenden Tag um dieselbe Stunde und noch früher die ganze Summe übermachen, und damit der Kauf ganz fest stünde, brachte er mir noch an demselben Abend zwei Beutel, jeden von tausend Goldstücken.

Als nun so der Verkauf des Diamanten geschehen und ich über alle Erwartung reich geworden war, dankte ich Gott für seine an mir bewiesene Güte und Milde, und ich würde jetzt zu Saad hingeeilt sein und mich ihm aus Dankbarkeit zu Füßen geworfen haben, wenn ich gewußt hätte, wo er wohnte. Ein Gleiches hätte ich gegen Saadi getan, dem ich die erste Verpflichtung für mein Glück schuldig war, obschon ihm sein guter Plan, den er mit mir vorhatte, nicht gelungen war.

Ich dachte nun daran, wie ich eine so bedeutende Summe am besten anwenden könnte. Meine Frau, deren Kopf von der gewöhnlichen Eitelkeit ihres Geschlechts erfüllt war, schlug mir sogleich vor, kostbare Kleider für sie und ihre Kinder, ferner ein Haus zu kaufen und es reich auszuschmücken.

»Liebe Frau,« sagte ich zu ihr, »wir müssen nicht mit solchem Aufwande anfangen. Verlasse dich auf mich; was du da verlangst, wird mit der Zeit auch schon kommen. Obwohl das Geld bloß dazu da ist, um es auszugeben, so muß man dabei doch so verfahren, daß davon ein Kapital gebildet werde, dessen Ertrag man genießen kann, ohne vom Ganzen zu zehren. Daran denke ich nun jetzt, und von morgen an werde ich anfangen, dieses Kapital anzulegen.«

Den folgenden Tag wendete ich ganz dazu an, daß ich zu einer ziemlichen Anzahl von Leuten meines Gewerbes, die in keinen bessern Umständen waren, als ich bisher gewesen war, ging, und indem ich ihnen Geld vorschoß, verpflichtete ich sie, jeden nach seiner Geschicklichkeit und Fähigkeit, allerlei Arten von Seilerarbeit für mich zu arbeiten, mit dem Versprechen, daß ich sie nicht warten lassen, sondern, sowie sie mir ihre Arbeit bringen würden, sie pünktlich und gut dafür bezahlen würde. Den nächstfolgenden Tag forderte ich vollends die noch übrigen Seiler dieser Klasse auf, für mich zu arbeiten, und seitdem sind alle Leute dieses Gewerbes in ganz Bagdad für mich in Arbeit und sehr zufrieden mit der Pünktlichkeit, womit ich mein ihnen gegebenes Wort zu erfüllen pflege.

Da eine so große Zahl von Handwerksleuten eine verhältnismäßig bedeutende Menge von Arbeit fertig machen mußte, so mietete ich mir an verschiedenen Orten Lagerhäuser, und in jedes derselben setzte ich einen Faktor sowohl für den Empfang der angefertigten Arbeit als auch für den Verkauf im Ganzen wie im Einzelnen, durch welche Einrichtung ich mir sehr bald einen bedeutenden Gewinn und eine ansehnliche Einnahme verschaffte.

In der Folge kaufte ich, um meine vielen zerstreuten Warenlager auf einem einzigen Punkte zu vereinigen, ein großes Haus, das sehr weitläufig, aber höchst baufällig war. Ich ließ es niederreißen und an der Stelle desselben das aufführen, welches Euer Majestät gestern sah. Doch wie stattlich auch immer das Äußere desselben aussehen mag, so besteht es doch nur aus großen Warenböden, die ich bedarf, und aus Wohnzimmern, die ich für mich und für meine Familie brauche.

 

Dreihundertundeinundsiebenzigste Nacht.

Es war schon einige Zeit vergangen, seit ich mein ehemaliges kleines Häuschen verlassen und dies neue und große bezogen hatte, als Saadi und Saad, die gar nicht mehr an mich gedacht hatten, sich auf einmal meiner erinnerten. Sie verabredeten eines Tages einen Spaziergang, und indem sie durch die Straße gingen, wo sie mich sonst immer gesehen hatten, wunderten sie sich außerordentlich, als sie mich da nicht mehr wie sonst an meinem kleinen Seilergestell arbeitend antrafen. Sie fragten, was aus mir geworden und ob ich noch am Leben oder tot sei. Ihr Erstaunen stieg, als sie vernahmen, daß der, nach dem sie fragten, ein großer Kaufmann geworden sei und nicht mehr schlechthin Hassan, sondern Kodjah Hassan Alhabbal, d. h. »der Kaufmann Hassan der Seiler«, heiße und sich in der und der Straße ein Haus habe erbauet lassen, das von außen wie ein Palast aussehe.

Die beiden Freunde gingen und suchten mich nun in der ihnen bezeichneten Straße auf, und unterwegs sagte Saadi, der sich gar nicht denken konnte, daß das Stück Blei, welches mir Saad gegeben, Ursache eines so großen Glücks für mich geworden sein sollte, zu Saad:

»Meine Freude ist vollkommen, daß ich das Glück Hassan Alhabbals gegründet habe; allein ich kann es doch nicht billigen, daß er mich zweimal belogen hat, um mir vierhundert Goldstücke statt zweihundert abzulocken; denn sein Glück dem Stück Blei zuzuschreiben, welches du ihm gegeben, scheint mir ganz undenkbar, und niemand würde auf einen Gedanken der Art verfallen können.«

»So denkst du freilich,« erwiderte Saad, »aber nicht ich; und ich sehe nicht ein, warum du gegen Kodjah Hassan so ungerecht sein willst, ihn für einen Lügner zu halten. Laß mich vielmehr glauben, daß er uns die Wahrheit gesagt und an nichts weniger gedacht hat, als sie uns zu verhehlen, und daß grade das Stück Blei, das ich ihm gegeben, die einzige Ursache seines Glückes ist. Kodjah Hassan wird uns beiden sehr bald darüber Aufschluß geben.«

Unter solchen Gesprächen hatten die beiden Freunde die Straße, wo mein Haus liegt, erreicht. Sie fragten nach demselben, und man zeigte es ihnen. Als sie die Vorderseite desselben betrachteten, wollten sie kaum glauben, daß es dasselbe sein könne; dennoch klopften sie ans Tor, und mein Pförtner öffnete es ihnen.

Saadi, welcher eine Unhöflichkeit zu begehen fürchtete, wenn er das Haus, welches er suchte, mit dem irgend eines bedeutenden Mannes verwechselte, sagte zu dem Pförtner: »Man hat uns dies Haus als das des Kodjah Hassan Alhabbal bezeichnet, saget uns daher, ob wir uns irren oder nicht.«

»Nein, Herr, Ihr irret Euch gar nicht,« antwortete der Pförtner, indem er die Pforte noch weiter auftat, »es ist dasselbe. Tretet nur herein; er befindet sich soeben im Saale, und Ihr werdet schon einen unter den Sklaven finden, der Euch anmeldet.«

Die beiden Freunde ließen sich bei mir anmelden, und ich erkannte sie sogleich. Als ich sie hereintreten sah, stand ich von meinem Sitze auf, eilte ihnen entgegen und wollte den Saum ihres Kleides fassen, um ihn zu küssen. Sie lehnten dies aber ab, und ich mußte mir wider meinen Willen gefallen lassen, daß sie mich umarmten. Ich lud sie ein, auf eine mit Teppichen belegte Erhöhung heraufzutreten, und bot ihnen da ein Sofa an, welches die Aussicht nach dem Garten hatte. Ich bat sie, Platz zu nehmen, sie verlangten aber, daß ich mich obenan setzen sollte.

»Edle Herren,« sagte ich zu ihnen, »ich habe keineswegs vergessen, daß ich der arme Hassan bin, und wäre ich auch ein ganz anderer, als ich bin, und hätte ich auch nicht die Verpflichtungen gegen euch, die ich wirklich habe, so weiß ich doch, was euch gebührt. Ich bitte euch also, mich nicht länger zu beschämen.«

Sie nahmen jetzt den ihnen gebührenden Platz ein, und ich setzte mich ihnen gegenüber.

Saadi nahm nun das Wort und sagte, zu mir sich wendend: »Kodjah Hassan, ich kann dir nicht sagen, wie sehr es mich freut, dich in der Lage zu sehen, wie ich sie dir damals wünschte, als ich dir zweimal nacheinander jenes Geschenk von zweihundert Goldstücken machte, und ich bin überzeugt, daß jene vierhundert Goldstücke diese wunderbare Veränderung deiner Lage, die mich so sehr erfreut, hervorgebracht haben. Bloß eins macht mir Kopfzerbrechen. Ich kann nämlich gar nicht begreifen, welchen Grund du haben mochtest, mir zweimal die Wahrheit zu verhehlen und mir Verluste vorzuspiegeln, deren Veranlassung mir heute noch so unglaublich erscheint wie damals. War es nicht das letztemal, als wir dich sahen, wo du deine Angelegenheiten weder mit Hilfe der ersten zweihundert Goldstücke, noch mit Hilfe der letzten hattest verbessern können, so daß du dich schämtest, es uns zu gestehen? Ich will dies wenigstens zum voraus annehmen, und ich erwarte, daß du meine Meinung bestätigen wirst.«

Saad hörte diese Rede Saadis mit großer Ungeduld, um nicht zu sagen mit Unwillen, an und gab dies durch Niedersenken seiner Augen und durch Kopfschütteln zu verstehen. Gleichwohl ließ er ihn bis zu Ende reden, ohne den Mund zu öffnen. Als jener ausgeredet hatte, nahm er das Wort und sagte: »Saadi, verzeihe, wenn ich noch vor Hassan dir antworte; ich komme ihm zuvor, um dir zu erklären, daß ich mich wundere sowohl über dein Vorurteil gegen seine Aufrichtigkeit als auch, daß du fortwährend den Versicherungen, die er dir vor diesem gegeben, keinen Glauben beimissest. Ich habe dir es schon einmal gesagt und wiederhole es noch einmal, daß ich es ihm gleich anfangs auf den bloßen Bericht von diesen seinen Begegnissen geglaubt habe, und was du auch immer dazu sagen magst, ich bin überzeugt, daß alles wirklich sich so verhält. Doch lassen wir ihn selber reden, er wird uns den besten Aufschluß geben, wer von uns beiden ihm recht oder unrecht getan hat.«

 

Dreihundertundzweiundsiebenzigste Nacht.

Nachdem die beiden Freunde so gesprochen, nahm ich das Wort und sagte, zu allen beiden mich wendend: »Edle Herren, ich würde mich in Hinsicht auf die von mir verlangte Aufklärung zu einem ewigen Stillschweigen verdammen, wofern ich nicht gewiß wäre, daß der Streit, den ihr meinetwegen führet, nicht imstande sein wird, das Freundschaftsband, welches Eure Herzen verknüpft, zu zersprengen. Ich werde mich denn also, da ihr es verlanget, näher erklären. Zuvor aber beteuere ich euch, daß es mit derselben Aufrichtigkeit geschehen wird, womit ich euch fürderhin das, was mir begegnet war, darlegte.«

Hierauf erzählte ich ihnen die ganze Geschichte Punkt für Punkt, wie es Euer Majestät soeben gehört hat, ohne den kleinsten Umstand zu vergessen.

Meine Beteuerungen machten indes nicht so viel Eindruck auf Saadi, daß er von seinem Vorurteil geheilt worden wäre. Als ich daher mit meiner Erzählung zu Ende war, sagte er: »Kodjah Hassan, das Abenteuer mit dem Fische und dem in seinem Bauche gefundenen Diamanten kommt mir ebenso unglaublich vor als die Entführung deines Turbans durch einen Hühnergeier und der Umtausch des Kleiegefäßes gegen Waschton. Wie indes die Sache auch immer sich verhalten mag, so bin ich doch davon überzeugt, daß du nicht mehr arm, sondern ein reicher Mann bist, wozu dich zu machen gleich anfangs meine Absicht war, und so freue ich mich denn recht herzlich darüber.«

Da es schon spät war, so stand er auf, um Abschied zu nehmen, und Saad zugleich mit ihm. Ich stand ebenfalls auf, hielt sie zurück und sagte: »Meine Herren, erlaubet, daß ich von euch eine Gefälligkeit verlange und euch bitte, mir sie nicht abzuschlagen. Erzeiget mir die Ehre, eine einfache Abendmahlzeit und ein Nachtlager bei mir anzunehmen, damit ich euch morgen früh zu Wasser nach einem kleinen Landhause führen kann, welches ich mir gekauft habe, um daselbst von seit zu Zeit die frische Luft zu genießen; ich werde euch noch denselben Tag von da zu Lande wieder zurückführen, und zwar jeden auf einem Pferde aus meinem Stalle.«

»Wenn Saad nicht etwa Geschäfte hat, die ihn abrufen,« sagte Saadi, »so nehme ich es herzlich gern an.«

»Ich habe nie Geschäfte,« antwortete Saad, »wenn davon die Rede ist, Eure Gesellschaft zu genießen. Wir werden aber,« fuhr er fort, »in deine und meine Wohnung schicken und sagen lassen müssen, daß man uns heute nicht erwarten soll.«

Ich ließ ihnen einen meiner Sklaven kommen, und während sie ihm diese Sendung auftrugen, benutzte ich den Augenblick, um Befehle zur Anrichtung des Abendessens zu geben.

Bis die Stunde des Abendessens herangekommen war, zeigte ich unterdes meinen Wohltätern mein ganzes Haus mit allem Zubehör, und sie fanden es in Bezug auf meinen Stand sehr gut angelegt. Ich nannte sie beide ohne Unterschied meine Wohltäter, weil ohne Saadi Saad mir das Stück Blei nicht gegeben haben würde, und weil ohne Saad sich Saadi schwerlich an mich gewendet haben würde, um mir die vierhundert Goldstücke zu geben, bis zu welchen ich den Ursprung meines Glücks zurückführen muß. Ich führte sie hierauf in den Saal zurück, wo sie über die Einzelheiten meines Geschäfts allerlei Fragen an mich taten, die ich ihnen zu ihrer völligen Zufriedenheit beantwortete.

Endlich zeigte man mir an, das Abendessen sei aufgetragen. Da die Tafel in einem anderen Saale gedeckt war, so lud ich sie ein, sich in denselben zu begeben. Die beiden Freunde waren über die glänzende Beleuchtung, über die Nettigkeit des Saales, über den Schenktisch und über die Speisen, die sie ganz nach ihrem Geschmacke fanden, außer sich. Während der Mahlzeit unterhielt ich sie durch ein Konzert von Instrumenten und Singstimmen und nach der Mahlzeit durch einen Trupp Tänzer und Tänzerinnen und durch andere Ergötzlichkeiten, um ihnen so viel als möglich meine Dankbarkeit gegen sie an den Tag zu legen.

Den folgenden Morgen hatte ich mit Saadi und Saad verabredet, sehr früh aufzubrechen, um die Morgenkühle zu genießen, und wir begaben uns daher noch vor Sonnenaufgang an das Ufer des Stromes. Wir stiegen da in ein sehr bequemes und mit Teppichen ausgelegtes Fahrzeug ein, das für uns bereitgehalten wurde, und vermittels sechs tüchtiger Ruderer und der Strömung des Flusses landeten wir etwa nach anderthalb Stunden an meinem Landhause.

Als wir ausstiegen, blieben beide Freunde stehen, weniger um das schöne Äußere zu betrachten, als um die vortreffliche Lage desselben und die schönen Aussichten zu bewundern, die weder zu beschränkt noch zu weit ausgedehnt waren und es von allen Seiten her sehr angenehm machten. Ich führte sie in die Zimmer, ich machte sie auf den Ausschmuck derselben, auf An- und Zubehör, selbst auf die dabei angelegten Bequemlichkeiten aufmerksam, und sie fanden alles sehr schön.

Endlich traten wir in den Garten, wo ihnen ein Wäldchen von Zitronen- und Pomeranzenbäumen am besten gefiel, deren Blüten und Früchte die Luft durchdufteten, und die in regelmäßige Baumgänge gepflanzt und durch ein immerfließendes Bächlein von lebendigem Wasser vom Strome her bewässert waren. Der Schatten, die Kühlung während der brennendsten Sonnenglut, das sanfte Gemurmel des Wassers, der harmonische Waldgesang unzähliger Vögel und mehrere andere Annehmlichkeiten überraschten sie so, daß sie fast bei jedem Schritte stehen blieben, bald, um mir ihren Dank dafür an den Tag zu legen, daß ich sie an einen so lieblichen Ort geführt, bald, um mir zu einem solchen Besitz Glück zu wünschen und mir andere Verbindlichkeiten der Art zu sagen.

Ich führte sie bis an das Ende dieses Waldes, der sehr lang und breit ist, und machte sie da auf ein Gehölz von großen Bäumen aufmerksam, welches meinen Garten begrenzt. Dort führte ich sie in ein nach allen Seiten hin offenes Kabinett, das von einer Gruppe von Palmbäumen, die aber nach keiner Seite hin die freie Aussicht benahmen, überschattet wurde, und lud sie ein, da hineinzutreten und auf einem mit Teppichen und Polstern versehenen Sofa auszuruhen.

Zwei meiner Söhne, die wir im Hause vorgefunden hatten, weil ich sie seit einiger Zeit mit ihrem Lehrer dahin geschickt hatte, um der frischen Luft zu genießen, hatten uns verlassen, um tiefer in das Gehölz einzudringen, und da sie zufällig Vogelnester suchten, bemerkten sie eines zwischen den Zweigen eines großen Baumes. Sie versuchten anfangs hinaufzuklettern, da sie indes weder die Kraft noch die Gewandtheit dazu hatten, so zeigten sie es einem Sklaven, den ich ihnen mitgegeben, und der nie von ihnen wich, und hießen ihn, das Vogelnest auszunehmen.

Der Sklave stieg auf den Baum, und als er bis an das Nest gelangt war, wunderte er sich sehr, als er sah, daß es in einem Turban angebracht war. Er nahm nun das Nest, so wie es da war, stieg vom Baume herunter und zeigte den Turban meinen Kindern. Da er indes nicht zweifelte, daß dies etwas sei, was ich wohl selber gern sehen würde, so machte er sie darauf aufmerksam und übergab es dem ältesten, um mir es zu bringen.

Ich sah ihn schon von weitem mit jener Freude kommen, welche Kindern gewöhnlich eigen ist, wenn sie ein Nest gefunden haben. Indem er es mir überreichte, sagte er zu mir: »Lieber Vater, siehst du dies Nest hier im Turban?«

 

Dreihundertunddreiundsiebenzigste Nacht.

Saadi und Saad waren über diese neue Erscheinung nicht minder überrascht als ich; doch war ich es weit mehr als sie, da ich den Turban als denjenigen wiedererkannte, den mir der Hühnergeier entführt hatte. Nachdem ich ihn voll Verwunderung näher besichtigt und ihn auf alle Seiten gedreht hatte, fragte ich meine beiden Freunde: »Meine Herren, ist euer Gedächtnis wohl gut genug, um euch zu erinnern, daß dies hier der Turban ist, den ich an dem Tage trug, wo ihr mir die Ehre erzeigtet, mich zum erstenmal anzureden?«

»Ich glaube nicht,« erwiderte Saad, »daß Saadi besser als ich darauf geachtet haben wird, allein weder er noch ich können daran zweifeln, wenn die hundertundneunzig Goldstücke sich darin finden.«

»Herr,« antwortete ich, »Ihr dürft nicht zweifeln, daß es wirklich derselbe Turban ist; denn außer, daß ich ihn sehr gut kenne, so bemerke ich auch an der Schwere, daß es kein anderer ist, und Ihr werdet es selber bemerken, wenn Ihr Euch die Mühe nehmen wollt, ihn in die Hand zu nehmen.«

Ich überreichte ihm sodann denselben, nachdem ich die Vögel herausgenommen hatte, die ich meinen Kindern gab; er nahm ihn in die Hände und überreichte ihn dann an Saadi, damit dieser es aus der Schwere desselben abnehmen könnte.

»Ich will es glauben, daß es dein Turban ist,« sagte Saadi zu mir, »gleichwohl werde ich noch mehr davon überzeugt sein, wenn ich die hundertundneunzig Goldstücke bar vor mir sehen werde.«

Als ich den Turban wieder in die Hand genommen hatte, fuhr ich fort: »Meine Herren, bemerkt wenigstens, ich bitte euch darum, bevor ich ihn anrühre, daß er sich nicht erst seit heute auf dem Baume befindet, und daß der Zustand, worin er ist, und das Nest, welches darin so bequem angelegt ist, ohne daß eine menschliche Hand es berührt hat, sichere Zeichen sind, daß er sich seit jenem Tage, wo der Hühnergeier mir ihn entführte, hier befindet, und daß er ihn auf diesen Baum gelegt oder fallen gelassen hat, dessen Äste ihn aus die Erde herabzustürzen hinderten. Nehmet es nicht übel, daß ich euch darauf aufmerksam mache, es liegt mir zu viel daran, daß ich euch jeden Argwohn von Betrug von meiner Seite benehme.«

Saad unterstützte mich in meiner Absicht. »Saadi,« fing er an, »das geht auf dich und nicht auf mich, der ich immer überzeugt gewesen bin, daß Hassan uns nicht täusche.«

Während Saad so sprach, nahm ich das Tuch weg, welches mehrfach um die innere Kopfmütze des Turbans gewickelt war, und zog den Beutel heraus, den Saadi sofort für denjenigen erkannte, den er mir gegeben hatte. Ich schüttelte ihn vor ihren Augen auf den Teppich aus und sagte zu ihnen: »Meine Herren, hier sind die Goldstücke, zählet sie selber und sehet zu, ob die Zahl richtig ist!«

Saad zählte sie in Reihen zu zehnen auf, bis alle hundertundneunzig voll waren, und nun nahm Saadi, der eine so augenscheinliche Wahrheit nicht mehr ableugnen konnte, das Wort und wendete sich an mich. »Hassan,« sagte er, »ich gebe zu, daß diese hundertundneunzig Goldstücke nicht haben dazu beitragen können, dich zu bereichern. Allein die hundertundneunzig andern Goldstücke, welche du in ein Kleiegefäß verstecktest, wie du mir vorspiegeln willst, haben wenigstens dazu dienen können.«

»Herr,« erwiderte ich, »ich habe in Hinsicht dieser letzten Summe ebensogut die Wahrheit gesagt wie in Hinsicht der ersten. Ihr werdet doch nicht wollen, daß ich mein Wort widerrufe, um euch eine Lüge zu sagen.«

»Hassan,« sagte Saad zu mir, »laß den Saadi bei seiner Meinung. Ich gebe es herzlich gern zu, daß er denkt, du verdanktest ihm vermöge der letzten Summe die Hälfte deiner Wohlhabenheit, wofern er nur zugibt, daß ich in Betreff der anderen Hälfte durch das Stück Blei, das ich dir gab, ebenfalls beigetragen habe, und wenn er nur nicht die Findung des kostbaren Diamanten im Fischbauche in Zweifel zieht.«

»Saad,« antwortete Saadi, »ich will alles, was du willst, wenn du mir nur die Freiheit lassest, zu glauben, daß man Geld nur durch Geld zusammenhäufen kann.«

»Wie?« erwiderte Saad; »wenn der Zufall wollte, daß ich einen Diamanten, der fünfzigtausend Goldstücke wert wäre, fände und auch wirklich die Summe dafür erhielte, hätte ich dann diese Summe durch Geld erworben?«

Dabei hatte der Streit sein Bewenden. Wir standen auf, kehrten in das Haus zurück, und da das Mittagsmahl schon aufgetragen war, so setzten wir uns zu Tische. Nach dem Mittagessen ließ ich meinen Gästen die Freiheit, die größte Hitze des Tages vorübergehen zu lassen und ihre Gemüter unterdes zu beruhigen, während ich fortging und meinem Kastellan wie auch meinem Gärtner die nötigen Befehle gab. Ich kam dann wieder zu ihnen, und wir unterhielten uns von gleichgültigen Dingen, bis die größte Hitze vorüber war. Sodann kehrten wir in den Garten zurück, wo wir in der Kühlung bis zu Sonnenuntergang blieben. Hierauf stiegen die beiden Freunde nebst mir zu Pferde, und in Begleitung eines Sklaven gelangten wir etwa um die zweite Stunde der Nacht bei dem schönsten Mondschein in Bagdad an.

Ich weiß nicht, durch welche Nachlässigkeit meiner Leute es gekommen war, daß es in meinem Hause an Gerste für meine Pferde fehlte. Die Getreidespeicher waren verschlossen und auch zu weit entfernt, um so spät noch dahin zu schicken.

Einer meiner Sklaven suchte in der Nachbarschaft umher und fand in einem Laden doch noch ein Gefäß voll Kleie. Er kaufte die Kleie und brachte sie im Gefäß herbei unter der Bedingung, daß er das Gefäß den folgenden Tag wiederbringen müsse. Der Sklave schüttelte die Kleie in die Krippe aus, und als er sie auseinanderschürte, damit jedes von den Pferden seinen Anteil bekommen möchte, fühlte er unter den Händen ein Tuch, welches zusammengebunden und sehr schwer war. Er brachte mir das Tuch, ohne es anzurühren, und ganz so, wie er es gefunden hatte, und sagte mir bei Überreichung desselben, daß dies vielleicht das Leinentuch sein könnte, wovon er mich so oft habe sprechen hören, wenn ich die Geschichte meinen Freunden erzählte.

Voll Freude sagte ich zu meinen Wohltätern: »Meine Herren, der Himmel will nicht, daß ihr von mir scheidet, ohne daß ihr von der Wahrheit der Sache, die ich euch ohn' Unterlaß versichert habe, überzeugt würdet. Hier sind,« fuhr ich fort, indem ich mich an Saadi wendete, »die andern hundertundneunzig Goldstücke, die ich von Eurer Hand empfangen, ich erkenne sie an diesem Leinentuche hier.«

Ich band das Leinentuch auf und zählte die Summe vor ihren Augen. Auch ließ ich mir das Gefäß bringen. Ich erkannte es wieder und schickte es an meine Frau mit der Frage, ob sie es kenne, doch zugleich mit dem Befehl, daß ihr niemand etwas von dem, was vorgefallen, sagen möchte. Sie erkannte es sogleich und ließ mir sagen, es wäre dasselbe Gefäß, welches sie mit Kleie angefüllt gegen Waschton vertauscht habe.

Saadi ergab sich nun auf Treu und Glauben, und von seinem Unglauben zurückkommend, sagte er zu Saad: »Ich gebe dir jetzt nach und erkenne wie du, daß das Geld nicht immer ein sicheres Mittel ist, um mehr Geld aufzuhäufen und reich zu werden.«

Als Saadi ausgeredet hatte, sagte ich zu ihm: »Herr, ich wage nicht, Euch vorzuschlagen, daß Ihr die dreihundertundachtzig Goldstücke, die der Himmel heute wieder zum Vorschein gebracht hat, um Eure schlechte Meinung von meiner Wahrheitsliebe zu berichtigen, wieder zurücknehmen möchtet. Ich bin überzeugt, daß Ihr mir sie nicht in der Absicht geschenkt, um sie einst von mir wieder zurückzubekommen. Ich für mein Teil bin zufrieden mit dem, was der Himmel mir von anderweitig her beschert hat, und mache keinen Anspruch auf dies Geld; indes hoffe ich, daß Ihr es nicht mißbilligen werdet, wenn ich dasselbe morgen unter die Armen verteile, damit Gott es mir und Euch einst vergelte.«

Die beiden Freunde brachten diese Nacht noch in meinem Hause zu. Den folgenden Morgen umarmten sie mich und kehrten ein jeder in seine Behausung zurück, vergnügt über die Aufnahme, die sie bei mir gefunden, und darüber, daß ich, wie sie gesehen hatten, das Glück, das ich ihnen nächst Gott verdankte, nicht übel anwendete. Ich unterließ nicht, zu einem jeden von ihnen persönlich hinzugehen und mich noch besonders zu bedanken. Seitdem schätze ich mir es zur großen Ehre, daß sie mir erlaubt haben, mit ihnen Freundschaft zu halten und sie häufig zu sehen und zu sprechen.«

Der Kalif Harun Arreschid schenkte dem Kodjah Hassan eine so große Aufmerksamkeit, daß er erst aus seinem Stillschweigen gewahr wurde, die Geschichte sei zu Ende. Er sagte hieraus zu ihm: »Hassan, seit langer Zeit habe ich nichts erzählen hören, was mir so viel Vergnügen gemacht hätte als die wunderbaren Wege, wodurch es dem Himmel gefallen hat, dich auf dieser Welt glücklich zu machen. Du mußt ihm dafür fortwährend durch gute Anwendung seiner Wohltaten dich dankbar bezeigen. Ich will dir zugleich sagen, daß der Diamant, welcher dein Glück gemacht hat, sich gegenwärtig in meinem Schatze befindet, und es freut mich, zu erfahren, wie er dahin gekommen ist. Da indes in dem Herzen Saadis doch noch vielleicht ein Zweifel über die ganz einzige Vorzüglichkeit dieses Diamanten obwaltet, den ich für das kostbarste und bewundernswürdigste aller meiner Besitztümer halte, so will ich, daß du ihn nebst Saad hierher führest, damit mein Schatzaufseher ihm denselben zeige, und sollte er auch nur einigermaßen noch ungläubig sein, so soll er hier erkennen, daß das Geld nicht immer ein sicheres Mittel ist, um einem Armen in kurzer Zeit und ohne sonderliche Mühe Reichtümer zu verschaffen. Auch will ich, daß du diese Geschichte meinem Schatzaufseher erzählest, damit er sie schriftlich aufsetzen lasse und sie in meinem Schatze nebst dem Diamanten aufbewahre.«

Als nach diesen Worten der Kalif dem Kodjah Hassan, Sidi Numan und Baba Abdallah durch Kopfnicken zu verstehen gegeben hatte, daß er mit ihnen zufrieden sei, nahmen sie Abschied, indem sie sich vor seinem Throne niederwarfen, und entfernten sich sodann.«

Die Sultanin Scheherasade wollte eine andere Erzählung beginnen, doch der Sultan von Indien, welcher den Anbruch der Morgenröte bemerkte, verschob die Anhörung derselben bis auf den folgenden Tag.

 


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