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Dreihundertundsechsundfünfzigste Nacht.

Geschichte des blinden Baba Abdallah.

»Beherrscher der Gläubigen,« fuhr Baba Abdallah fort, »ich wurde zu Bagdad geboren. Von meinem Vater und meiner Mutter, welche beide binnen wenigen Tagen nacheinander starben, erbte ich ein kleines Vermögen. Obwohl ich an Jahren noch nicht weit vorgerückt war, so verwendete ich es doch nicht nach der gewöhnlichen Weise junger Leute, die dergleichen binnen kurzer Zeit durch unnützen Aufwand oder in Üppigkeit verschwenden; sondern im Gegenteil unterließ ich nichts, um durch meine Betriebsamkeit und durch alle mögliche Sorge und Mühe, die ich mir gab, es zu vermehren. Auf diese Weise wurde ich denn endlich so reich, daß ich für mich allein achtzig Kamele besaß, die ich an Karawanenkaufleute vermietete, und die mir bei jeder Reise, die ich mit ihnen in die verschiedenen Provinzen Eueres Reiches machte, große Summen einbrachten.

Als ich einst während der Blüte dieses meines Glücks und mit dem brennendsten Verlangen, noch reicher zu werden, von Balsora leer mit meinen Kamelen zurückkehrte, die ich auf dem Hinwege mit Waren, die nach Indien verschifft werden sollten, bepackt gehabt hatte, und die ich jetzt in einer menschenleeren Einöde, wo die gute Weide mich anzuhalten bewog, eben werden ließ, redete ein Derwisch, der zu Fuß nach Balsora wanderte, mich an und setzte sich neben mich, um auszuruhen. Ich fragte ihn, woher er käme, und wohin er ginge. Er tat dieselben Fragen an mich, und nachdem wir unsere Neugierde gegenseitig befriedigt hatten, teilten wir unsern Mundvorrat miteinander und speisten zusammen.

Während der Mahlzeit unterhielten wir uns von verschiedenen gleichgültigen Dingen, und der Derwisch erzählte mir unter andern auch, er wüßte an einem Orte, der nicht gar weit von unserem Ruheplatze entfernt sei, einen Schatz von so unermeßlichen Reichtümern, daß, wenn ich auch davon so viel wegnähme, als meine achtzig Kamele tragen könnten, man doch nicht merken würde, daß etwas davon weggenommen worden sei.

Diese gute Nachricht überraschte und erfreute mich zugleich. Die Freude, die ich in meinem Innersten darüber empfand, machte, daß ich ganz außer mir war. Ich hielt den Derwisch nicht für fähig, daß er mir da bloß etwas vorspiegeln wolle; ich warf mich ihm daher, um den Hals und sagte zu ihm: »Guter Derwisch, ich sehe wohl, daß du dich wenig um die Güter dieser Welt kümmerst, wozu kann dir also deine Kenntnis von diesem Schatze nützen? Du bist allein und kannst also doch nur sehr wenig davon mitnehmen. Zeige mir daher, wo er liegt, ich will dann meine achtzig Kamele davon beladen und werde dir selber eins davon schenken zum Dank für das Gute und für das Vergnügen, das du mir dadurch erzeigst.«

Freilich war es nur sehr wenig, was ich ihm anbot, mir indes schien es sehr viel zu sein vermöge des unmäßigen Geldgeizes, der sich bei dieser mir gemachten Eröffnung meiner bemächtigt hatte, und mich dünkten die neunundsiebenzig Kamellasten, die mir noch übrig blieben, so viel wie gar nichts im vergleich mit derjenigen, deren ich mich berauben und die ich ihm überlassen sollte.

Der Derwisch, welcher meine leidenschaftliche Gier nach den Reichtümern bemerkte, nahm gleichwohl keinen Anstoß an einem so wenig angemessenen Anerbieten, als ich ihm soeben gemacht hatte, sondern sagte ganz ruhig zu mir: »Mein Bruder, du siehst, wie wenig dein Anerbieten im Verhältnis zu der Wohltat steht, die du von mir verlangst. Ich konnte mir es ja ganz ersparen, von dem Schatze zu reden, und lieber mein Geheimnis für mich behalten; indes das, was ich dir gutwillig darüber mitgeteilt habe, wird dir wenigstens die gute Absicht zeigen, die ich hatte, dir gefällig zu sein und dadurch, daß ich dein und mein Glück machte, mir ein gutes Andenken bei dir zu stiften. Ich habe dir nun also einen gerechteren und billigeren Vorschlag zu machen, und du magst selber sehen, ob er dir genehm ist. Du sagst,« fuhr der Derwisch fort, »du habest achtzig Kamele. Ich bin demnach bereit, dich zu dem Schatze hinzuführen und dort mit dir ihnen so viel an Gold und Edelsteinen, als sie nur immer zu tragen vermögen, aufzupacken unter der Bedingung, daß, wenn wir sie gehörig bepackt haben werden, du mir die Hälfte derselben nebst ihrer Last abtrittst und dir bloß die andere Hälfte behältst, worauf wir uns dann trennen wollen, so daß jeder von uns die seinigen hinführen kann, wohin er nur immer will. Du siehst, daß diese Teilung ganz der Billigkeit angemessen ist, und wenn du mir vierzig Kamele schenkst, so erhältst du dagegen durch mich so viel, daß du dir tausend andere dafür kaufen kannst.«

Ich konnte nicht leugnen, daß die Bedingung, die mir der Derwisch machte, höchst billig war. Indes, ohne auf die großen Reichtümer zu achten, die mir durch Annahme derselben zuteil werden konnten, betrachtete ich die Abtretung der Hälfte meiner Kamele als einen großen Verlust, besonders wenn ich erwog, daß der Derwisch dann ebenso reich als ich werden würde. Kurz, ich bezahlte bereits eine Wohltat mit Undank, die rein freiwillig war, und die ich vom Derwisch noch nicht einmal erhalten hatte. Allein es war hier nicht lange zu überlegen. Entweder mußte ich die Bedingung eingehen oder mich gefaßt machen, mein Leben lang Reue darüber zu fühlen, daß ich durch meine Schuld mir eine Gelegenheit, zu bedeutendem Vermögen zu kommen, habe entschlüpfen lassen.

Ich versammelte also augenblicklich meine Kamele, und wir zogen miteinander fort. Nachdem wir eine Weile so fortgezogen waren, gelangten wir an ein sehr weites Tal, dessen Eingang aber sehr eng und schmal war. Meine Kamele konnten bloß einzeln nacheinander hindurchgehen; sowie die Gegend sich erweiterte, ward es ihnen wieder möglich, in der besten Ordnung zusammenzuhalten. Die beiden Berge, welche das Tal bildeten und es hinten in einem Halbkreis schlossen, waren übrigens so hoch, steil und unzugänglich, daß wir nicht fürchten durften, daß irgend ein Sterblicher uns da sehen könnte.

Als wir zwischen den beiden Bergen angelangt waren, sagte der Derwisch zu mir: »Wir wollen jetzt nicht weiter vorwärts gehen; halte deine Kamele an und laß sie aus dem Platze, den du da vor dir siehst, sich auf den Bauch niederlegen, damit wir sie ohne Mühe beladen können, und wenn du das getan haben wirst, so werde ich zur Öffnung des Schatzes schreiten.«

Ich tat, was der Derwisch mir gesagt hatte, und eilte ihm sodann nach. Ich fand ihn, wie er mit einem Feuerzeuge in der Hand etwas dürres Holz, um Feuer anzumachen, zusammentrug. Sobald er es angemacht hatte, warf er etwas Räucherwerk hinein, indem er einige Worte dazu sprach, die ich nicht verstand. Augenblicklich stieg ein dicker Rauch davon auf. Er zerteilte diesen Rauch, und in diesem Augenblick entstand in dem Felsen, der zwischen den beiden Bergen lag und in senkrechter Linie sehr hoch emporstieg, obwohl er gar keine Spur von irgend einer Öffnung zeigte, dennoch eine sehr große in Gestalt eines Tores mit zwei Torflügeln, das mit bewundernswürdiger Kunst in den Felsen hineingearbeitet war.

Diese Öffnung zeigte unsern Blicken in einer großen in den Felsen gehauenen Vertiefung einen prächtigen Palast, der mehr ein Werk von Geistern als von Menschenhänden zu sein schien, denn es schien nicht möglich, daß sich Menschen ein so kühnes und erstaunenswürdiges Unternehmen auch nur hätten einfallen lassen können.

Indes, o Beherrscher der Gläubigen, diese Bemerkung mache ich erst jetzt vor Euer Majestät, und ich machte sie nicht gleich damals. Ich bewunderte selbst nicht einmal die unermeßlichen Reichtümer, die ich da auf allen Zeiten erblickte, sondern, ohne mich bei Betrachtung der zweckmäßigen Unordnung dieser bedeutenden Schätze lange aufzuhalten, warf ich mich, wie der Adler auf seine Beute herabschießt, auf den ersten besten Haufen von Goldstücken, den ich zunächst vor mir sah, und fing an, so viel davon in einen Sack, den ich eben ergriffen hatte, hineinzuraffen, als ich forttragen zu können glaubte. Die Säcke waren sehr groß, und ich hätte sie gern bis oben vollgefüllt, allein ich mußte sie mit den Kräften meiner Kamele doch in einiges Verhältnis setzen.

Der Derwisch machte es ebenso wie ich; doch bemerkte ich, daß er sich mehr an die Edelsteine hielt, und als er mir den Grund davon gesagt hatte, folgte ich seinem Beispiel, und wir nahmen weit mehr Edelsteine mit als gemünztes Gold. Endlich hatten wir alle Säcke angefüllt und luden sie auf die Kamele, und es blieb uns nichts weiter zu tun übrig, als den Schatz zu verschließen und wegzugehen.

 

Dreihundertundsiebenundfünfzigste Nacht.

Ehe wir weggingen, ging der Derwisch noch einmal in den Schatz hinein, und da sich in demselben mehrere Vasen von kunstreicher goldner Arbeit und aus anderm kostbaren Stoff befanden, so bemerkte ich, daß er aus einer dieser Vasen eine kleine Büchse, aus einem mir unbekannten Holze verfertigt, herauszog und in seinen Busen steckte, nachdem er mir gezeigt hatte, daß darin nichts weiter war als eine Art von Haarsalbe.

Der Derwisch verrichtete hierauf dieselbe Zeremonie, um den Schatz zu verschließen, die er bei der Öffnung desselben angewendet hatte, und nachdem er gewisse Worte gesprochen, schloß sich das Schatzgewölbe wieder, und der Felsen erschien uns wieder ganz wie zuvor.

Wir ließen nun die Kamele mit ihrer Last aufstehen und teilten sie unter uns. Ich stellte mich an die Spitze der vierzig, welche ich mir vorbehalten, und der Derwisch sich an die Spitze der übrigen, die ich ihm abgetreten hatte.

Wir zogen sodann wieder durch den engen Weg hindurch, durch welchen wir hereingekommen, und so gingen wir denn miteinander bis zu der großen Heerstraße fort, wo wir uns trennen wollten, der Derwisch nämlich, um seine Reise nach Balsora fortzusetzen, und ich, um nach Bagdad zurückzukehren. Um ihm für eine so große Wohltat zu danken, wählte ich die stärksten Ausdrücke und die höchsten Versicherungen meiner Erkenntlichkeit dafür, daß er mich jedem andern Sterblichen vorgezogen, um mir einen Teil von diesen ungeheuern Reichtümern zukommen zu lassen. Wir umarmten uns sodann sehr herzlich, und nachdem wir einander Lebewohl gesagt, zog jeder seine Straße von dannen.

Ich hatte kaum einige Schritte getan, um meine Kamele, welche unterdes auf dem ihnen angewiesenen Wege vorausgegangen, wieder einzuholen, als der böse Geist des Undanks und des Neides sich meines Herzens bemächtigte. Ich bejammerte den Verlust meiner vierzig Kamele und noch mehr der Reichtümer, womit sie beladen waren. »Der Derwisch,« dachte ich bei mir selbst, »braucht ja alle diese Reichtümer gar nichts er kann ja über den ganzen Schatz nach Belieben schalten und davon so viel nehmen, als er nur will.« Ich überließ mich also dem schwärzesten Undank und entschloß mich auf einmal, ihm seine Kamele mit ihren Ladungen wegzunehmen.

Um meinen Plan ausführen zu können, ließ ich zuerst meine Kamele anhalten und lief dann hinter dem Derwisch her, dem ich aus Leibeskräften nachrief, als hätte ich ihm noch etwas zu sagen; zugleich gab ich ihm ein Zeichen, daß er auch seine Kamele anhalten und auf mich warten sollte. Er hörte mein Rufen und stand still.

Als ich ihn eingeholt hatte, sagte ich zu ihm: »Mein Bruder, kaum hatte ich dich verlassen, als ich mir etwas überlegte, woran ich zuvor nicht gedacht hatte, und woran du selber vielleicht nicht einmal gedacht haben wirst. Du bist ein guter Derwisch und daran gewöhnt, ein ruhiges Leben zu führen, entbunden von allen irdischen Sorgen und ohne alle weiteren Geschäfte außer demjenigen, Gott zu dienen. Du weißt aber wohl nicht, welche Last du dir aufgebürdet hast, indem du eine so große Anzahl von Kamelen übernahmst. Wenn du mir folgen wolltest, so würdest du dir bloß dreißig mitnehmen, und ich glaube, daß du selbst mit der Führung dieser noch Mühe genug haben wirst. Du kannst dich hierin auf mich verlassen, denn ich habe in diesem Punkte Erfahrung.«

»Ich glaube, daß du recht hast,« erwiderte der Derwisch, der sich außerstande sah, mir irgend etwas streitig machen zu können; »und ich gestehe,« fuhr er fort, »daß ich daran wirklich nicht gedacht hatte. Ich fing auch bereits an, in Hinsicht dessen, was du mir da vorstellst, unruhig zu werden. Wähle dir also nach deinem Belieben zehn davon aus und führe sie in Gottes Namen fort.«

Ich wählte mir nur zehn aus, ließ sie umdrehen und meinen übrigen Kamelen nachziehen. Ich hatte in der Tat nicht geglaubt, daß der Derwisch sich so leicht überreden lassen würde; dies steigerte nun meine Gier noch mehr, und ich schmeichelte mir, daß ich wohl noch zehn andere ohne Schwierigkeit von ihm erhalten würde.

Anstatt ihm also für das reiche Geschenk, das er mir soeben gemacht hatte, zu danken, sagte ich zu ihm weiter: »Mein Bruder, aus jener Teilnahme, die ich für deine Ruhe hege, kann ich mich nicht entschließen, von dir zu scheiden, ohne dich zu bitten, daß du noch einmal überlegen mögest, wie schwer dreißig Kamele zu leiten sind, besonders für einen Mann wie du, der an dergleichen Geschäfte gar nicht gewöhnt ist. Du würdest dich weit wohler fühlen, wenn du mir noch ein solches Geschenk machen wolltest, als du mir soeben gemacht hast. Ich sage dir das, wie du leicht siehst, nicht sowohl mir und meinem eigenen Vorteil zuliebe als vielmehr, um dir ein größeres Vergnügen zu verschaffen. Erleichtere dir also deine Last um noch zehn andere Kamele und übergib sie mir auch noch, als einem Manne, dem es nicht mehr Mühe macht, für hundert Kamele zu sorgen als für ein einziges.«

Meine Rede machte den gewünschten Eindruck, und der Derwisch trat mir ohne weigern die zehn Kamele ab, die ich abermals von ihm verlangt hatte, so daß ihm nicht mehr als zwanzig übrig blieben. Ich sah mich nun im Besitz von sechzig Kamelladungen, deren Wert die Reichtümer vieler Fürsten weit überstieg, und man hätte demnach denken sollen, daß ich jetzt endlich zufrieden gewesen sein müßte.

Allein, o Beherrscher der Gläubigen, gleich einem Wassersüchtigen, der, je mehr er trinkt, nur noch mehr Durst bekommt, fühlte ich in mir eine nur noch heftigere Begierde als zuvor, mir auch die übrigen zwanzig Kamele, die dem Derwisch geblieben, noch dazu zu verschaffen.

Ich verdoppelte also mein inständiges Bitten, Anliegen und Andringen, um den Derwisch zu bewegen, daß er mir noch zehne von den zwanzigen schenken möchte, und er willfahrte mir endlich. Was nun noch die übrigen zehn Kamele betrifft, die er noch hatte, so umarmte ich ihn, küßte ihn und erzeigte ihm so viele Liebkosungen, indem ich ihn beschwor, mir es ja nicht abzuschlagen und dadurch der ewigen Verpflichtung, die ich gegen ihn haben würde, die Krone aufzusetzen, daß er endlich durch die Erklärung, er bewillige mir alles, meine Freude vollkommen machte.

»Mache indes einen guten Gebrauch davon, Bruder,« fuhr er fort, »und erinnere dich stets, daß Gott uns ebenso leicht die Reichtümer wieder nehmen kann, als er sie uns gibt, wenn wir sie nicht zu Unterstützung der Armen anwenden, die er bloß deshalb in Dürftigkeit läßt, um den Reichen Gelegenheit zu geben, sich durch ihre Almosen einen größeren Lohn in jener Welt zu verdienen.«

Meine Verblendung war so groß, daß ich nicht imstande war, einen so heilsamen Rat zu benutzen. Ja, ich begnügte mich nicht einmal damit, mich im Besitz meiner achtzig Kamele zu sehen und zu wissen, daß sie mit einem Schatze beladen waren, der mich zum glücklichsten aller Menschen machen mußte; sondern es kam mir in den Sinn, daß das kleine Büchschen mit Salbe, in dessen Besitz sich der Derwisch gesetzt und das er mir gezeigt hatte, wohl noch etwas weit Kostbareres sein könne als diese Reichtümer, die ich ihm verdankte.

»Der Ort, wo der Derwisch es wegnahm,« sprach ich bei mir selber, »und die Sorgfalt, womit er nach dem Besitz desselben trachtete, läßt mich glauben, daß es etwas Geheimnisvolles in sich schließt.«

Dies bewog mich denn, folgendes zu tun, um mir es zu verschaffen. Ich hatte ihn soeben umarmt und von ihm Abschied genommen. Ich drehte mich indes noch einmal zu ihm und sagte: »Noch eins, was willst du denn mit dem kleinen Salbenbüchschen machen? Es scheint mir sehr wertlos,« fuhr ich fort, »daß es nicht der Mühe wert ist, daß du es mitnimmst; ich bitte dich also, es mir zu schenken. Überhaupt braucht ja ein Derwisch wie du, der den Eitelkeiten der Welt so ganz entsagt hat, keine Haarsalbe.«

Wollte Gott, er hätte mir dies Büchschen zu geben abgeschlagen! Doch wenn er es hätte tun wollen, so wäre ich meiner Sinne nicht mehr mächtig gewesen, auch war ich ja stärker als er und zugleich fest entschlossen, es ihm mit Gewalt zu nehmen, damit ich die Befriedigung hätte, daß niemand sagen könne, jener habe auch nur das geringste von dem Schatze bekommen – wie viele Verpflichtungen ich ihm auch immer schuldig sein mochte.

Der Derwisch indes, anstatt es mir zu verweigern, zog es sogleich aus seinem Busen und überreichte es mir auf die artigste Weise von der Welt, indem er sagte: »Da hast du es, Bruder, damit nicht dies eine noch zu deiner völligen Zufriedenheit mangele. Wenn ich sonst noch etwas für dich tun kann, so darfst du es nur sagen – ich bin bereit, dir zu willfahren.«

 

Dreihundertundachtundfünfzigste Nacht.

Als ich die Büchse in meinen Händen hatte, öffnete ich sie, betrachtete die Salbe und sagte zu ihm: »Da du so gutwillig bist und nicht müde wirst, dich mir gefällig zu beweisen, so bitte ich dich, daß du mir gefälligst sagest, welchen besonderen Gebrauch man von dieser Salbe machen kann.«

»Einen höchst merkwürdigen und wunderbaren,« erwiderte der Derwisch. »Wenn du nämlich etwas Weniges davon um das linke Auge und auf das Augenlid streichst, so werden vor deinen Augen alle Schätze erscheinen, die im Schoße der Erde verborgen sind; streichst du aber etwas davon auf das rechte Auge, so macht es dich blind.«

Ich wünschte diese wunderbare Wirkung an mir selber zu erfahren und sagte zu dem Derwisch, indem ich ihm die Büchse reichte: »Hier nimm und streiche mir etwas von der Salbe um das linke Auge; du verstehst es besser als ich. Ich bin voll Ungeduld, etwas an mir selber zu erfahren, was mir unglaublich scheint.«

Der Derwisch war so gefällig, sich dieser Mühe zu unterziehen. Ich mußte das linke Auge schließen, und er brachte etwas von der Salbe darauf. Als es geschehen war, öffnete ich das Auge und sah, daß er mir die Wahrheit gesagt hatte. Ich erblickte wirklich eine unendliche Menge von Schatzgewölben, mit so Ungeheuern und mannigfaltigen Reichtümern angefüllt, daß es mir unmöglich sein würde, sie alle einzeln genau anzugeben. Da ich jedoch währenddessen das rechte Auge mit der Hand fest zuhalten mußte und ich dessen müde wurde, so bat ich den Derwisch, mir von dieser Salbe auch etwas auf das rechte Auge zu streichen.

»Das will ich dir wohl tun,« sagte der verwisch, »doch darfst du nicht vergessen, was ich dir bereits gesagt habe, daß, wenn du etwas davon auf das rechte Auge bringst, du augenblicklich blind werden wirst. Die Salbe hat nun einmal diese Kraft, und du mußt dich darnach richten.«

Anstatt zu glauben, daß der Derwisch die Wahrheit rede, bildete ich mir vielmehr ein, daß es dabei noch ein anderes Geheimnis gäbe, das er mir verbergen wolle.

»Bruder,« erwiderte ich lächelnd, »ich sehe wohl, daß du mich etwas überreden willst; es wäre ja widernatürlich, wenn eine und dieselbe Salbe zwei so durchaus entgegengesetzte Wirkungen Hervorbringen sollte.«

»Und doch ist die Sache ganz so, wie ich es dir sage,« antwortete der Derwisch, indem er den Namen Gottes zum Zeugen anrief, »und du kannst es mir auf mein Wort glauben, denn ich vermag nie, die Wahrheit zu verhehlen.«

Ich wollte auf das Wort des Derwischs, der als rechtlicher Mann mit mir redete, nicht trauen; die unüberwindliche Begierde, nach meinem Belieben alle Schätze der Erde zu betrachten und vielleicht dieselben, sooft ich nur Lust hätte, genießen zu können, bewirkte, daß ich weder aus seine Warnungen hören, noch eine Sache glauben wollte, die – wie ich es bald nachher zu meinem großen Unglück erfuhr – nur zu gewiß war.

In dem Vorurteil, das ich gefaßt hatte, bildete ich mir ein, daß, wenn diese Salbe, auf das linke Auge gestrichen, die Kraft habe, mich alle Schätze der Erde sehen zu lassen, so möge sie, auf das rechte Auge angewendet, vielleicht die Kraft haben, dieselben sofort zu meiner Verfügung zu stellen. In diesem Gedanken drang ich hartnäckig in den Derwisch, mir etwas davon selber um das rechte Auge zu streichen; jedoch er weigerte sich standhaft, es zu tun.

»Nachdem ich dir so viel Gutes erzeigt, mein Bruder,« sagte er zu mir, »kann ich mich nicht entschließen, dir ein so großes Unheil zuzufügen. Bedenke selber, was für ein Unglück es ist, seines Gesichts beraubt zu sein, und versetze mich nicht in die traurige Notwendigkeit, dir in einer Sache zu willfahren, die du dein ganzes Leben lang bereuen würdest.«

Ich trieb meine Hartnäckigkeit bis aufs äußerste. »Bruder,« sagte ich ziemlich fest zu ihm, »ich bitte dich, alle diese Schwierigkeiten, die du mir da machst, zu beseitigen; du hast mir aus eine großmütige Weise alles gewährt, um was ich dich bisher bat, willst du nun, daß ich mich wegen einer so unbedeutenden Kleinigkeit unzufrieden von dir trennen soll? Im Namen Gottes, bewillige mir auch diese letzte Gunst noch! Was auch daraus hervorgehen mag, ich werde mich nie an dich halten, sondern die Schuld davon wird stets mein sein.«

Der Derwisch bot allen nur möglichen Widerstand auf, doch da er sah, daß ich imstande sei, ihn zu zwingen, sagte et: »Da du es denn durchaus haben willst, so werde ich dir den Willen tun.«

Er nahm nun etwas von dieser unheilbringenden Salbe und strich es mir aus das rechte Auge, das ich fest zuhielt. Aber ach, als ich es wieder öffnete, sah ich bloß dichte Finsternis vor meinen Augen und blieb fortan blind, wie du siehst.

»Ach, unglücklicher Derwisch,« rief ich augenblicklich aus, »was du mir sagtest, ist nur zu wahr! Unselige Neugierde,« fügte ich hinzu, »unersättliches Verlangen nach Reichtümern, in welchen Abgrund von Unglück habt ihr mich gestürzt! Ich fühle freilich, daß ich mir das alles selber zugezogen; jedoch, liebster Bruder,« rief ich, zu dem Derwisch mich wendend, »der du so mildtätig und wohltuend bist, besitzest du denn unter so vielen wunderbaren Geheimnissen, um die du weißt, nicht auch eines, das mir mein Augenlicht wiedergeben könnte?«

»Unglücklicher,« antwortete mir hierauf der Derwisch, »daß du dies Unglück nicht vermiedest, lag gewiß nicht an mir; aber du hast jetzt bloß, was du verdienest, und deine Herzensverblendung hat dir die Blindheit deines Körpers zugezogen. Freilich bin ich im Besitze von Geheimnissen; du hast dies in der kurzen Zeit, wo ich bei dir war, leicht merken können; doch weiß ich kein einziges, wodurch ich dir das Gesicht wiedergeben könnte. Glaubst du, daß es noch eines dergleichen gibt, so wende dich an Gott; bloß er kann es dir wiedergeben. Er hatte dir Reichtümer verliehen, deren du nicht wert warest; er hat dir sie jetzt wieder genommen und wird sie durch meine Hände an Menschen gelangen lassen, die nicht so undankbar sein werden als du.«

Der Derwisch sagte kein Wort weiter, und ich wußte ihm auch nichts zu erwidern. Er ließ mich nun in meiner Bestürzung und in einem unbeschreiblich tiefen Schmerz versunken stehen, und nachdem er meine achtzig Kamele versammelt hatte, trieb er sie vor sich her und setzte seine Reise nach Balsora fort.

 

Dreihundertundneunundfünfzigste Nacht.

Ich bat ihn, mich doch nicht in diesem unglücklichen Zustande zu verlassen und mich wenigstens bis zu der nächsten Karawane zu geleiten; aber er blieb taub gegen meine Bitten und Wehklagen. Auf diese Weise meines Augenlichts und alles dessen beraubt, was ich auf der Welt besaß, würde ich vor Hunger und Betrübnis gestorben sein, wenn nicht eine Karawane, die von Balsora kam, mich mitleidig mitgenommen und nach Bagdad geführt hätte.

Aus einer Lage, die, wenn auch nicht an Macht und Gewalt, doch gewiß an Reichtum und Pracht mich den Fürsten gleichstellte, sah ich mich jetzt hilflos an den Bettelstab gebracht. Ich mußte mich also entschließen, um Almosen zu betteln, was ich denn auch bisher getan habe; doch um mein Vergehen gegen Gott abzubüßen, legte ich mir zugleich die Strafe auf, von der Hand einer jeden mildtätigen Person, die mein Elend bemitleiden würde, eine Ohrfeige zu empfangen.

Dies ist nun, o Beherrscher der Gläubigen, der Grund jenes Benehmens, das Euer Majestät gestern so seltsam vorkam und mir vielleicht Euren Zorn zugezogen hat. Ich bitte Euch nochmals als Euer Sklave um Verzeihung und unterwerfe mich gern jeder Strafe, die ich verdient habe. Solltet Ihr indes über die Buße, die ich mir aufgelegt, ein Urteil zu fällen geruhen, so bin ich überzeugt, daß Ihr sie viel zu leicht und weit unter meinem Vergehen finden werdet.«

Als der Blinde seine Geschichte erzählt hatte, sagte der Kalif zu ihm: »Baba Abdallah, deine Sünde ist groß; doch Gott sei gelobt, daß du die Größe derselben eingesehen und dir diese öffentliche Buße deshalb aufgelegt hast. Es ist jetzt damit genug, von nun an setze du diese Bußübung für dich fort und höre nicht auf, in jedem Gebete, das du aus Pflichten der Religion jeden Tag an ihn richtest, ihn um Vergebung zu bitten; und damit du nicht durch die Sorge um deinen Lebensunterhalt davon abgezogen werden magst, setze ich dir für dein ganzes Leben ein Almosen aus, nämlich jeden Tag vier Drachmen meines Geldes, welche dir mein Großwesir verabreichen lassen wird. Gehe daher nicht weg und warte, bis er meinen Befehl vollzogen haben wird.«

Bei diesen Worten warf sich Baba Abdallah vor dem Throne des Kalifen nieder, und beim Aufstehen dankte er ihm sodann und wünschte ihm alles mögliche Glück und Heil.

Der Kalif Harun Arreschid, zufrieden mit der Geschichte Baba Abdallahs und des Derwischs, wendete sich jetzt an den jungen Mann, den er seine Stute so übel behandeln gesehen hatte, und fragte ihn um seinen Namen, wie er es bei dem Blinden gemacht hatte. Der junge Mann sagte ihm, er heiße Sidi Numan.

»Sidi Numan,« sagte hieraus der Kalif zu ihm, »ich habe in meinem Leben schon viele Pferde zureiten gesehen und oft selber welche zugeritten, aber noch nie habe ich eines so grausam stoßen und schlagen sehen, als du gestern auf freier Straße und zum großen Ärgernis aller Zuschauenden, die darüber laut murrten, gegen deine Stute getan hast. Ich ärgerte mich ebensosehr darüber als die Umstehenden, und es fehlte wenig, daß ich mich nicht – ganz gegen meine sonstige Weise – zu erkennen gab, um diesem Unwesen zu steuern. Gleichwohl kündigt dein Äußeres gar nicht einen grausamen und barbarischen Menschen an. Ich will sogar glauben, daß du sie nicht ganz ohne Ursache so behandelst. Da ich weiß, daß es nicht das erstemal ist, und daß du schon seit langer Zeit täglich deine Stute so mißhandelst, so wünschte ich wohl den Grund davon zu erfahren, und ich habe dich hierher kommen lassen, um ihn von dir zu vernehmen. Sage mir daher die Sache ganz so, wie sie wirklich ist, und verhehle mir nichts.«

Sidi Numan begriff leicht, was der Kalif von ihm verlangte; doch diesen Bericht zu geben, setzte ihn in die peinlichste Verlegenheit. Er änderte mehrmals die Farbe und ließ unwillkürlich die große Verwirrung blicken, worin er sich befand. Indes mußte er sich entschließen, den Grund davon anzugeben. Er warf sich daher, bevor er zu sprechen anfing, vor dem Throne des Kalifen nieder, und nachdem er wieder aufgestanden war, wollte er beginnen, um die Neugier des Kalifen zu befriedigen; doch er blieb voll Bestürzung still, minder von der Majestät des Kalifen, vor welchem er erschien, betroffen als von dem Inhalt der Erzählung, die er ihm machen sollte.

Wie ungeduldig auch immer der Kalif von Natur war, seinen Willen erfüllt zu sehen, ließ er dennoch keinen Unwillen über Sidi Numans Stillschweigen blicken; er dachte nämlich, daß es ihm vielleicht an Dreistigkeit, vor ihm zu reden, fehle, oder daß er durch den Ton, worin er zu ihm gesprochen, eingeschüchtert worden sei, oder endlich, daß in dem, was er ihm sagen sollte, Dinge vorkämen, die er lieber zu verschweigen wünschte.

»Sidi Numan,« sagte der Kalif zu ihm, um ihn zu beruhigen, »fasse dich und stelle dir vor, als ob du das, was ich verlange, nicht mir, sondern irgend einem Freunde, der dich darum bäte, erzählen solltest. Sollte übrigens in dieser Erzählung irgend etwas enthalten sein, was dich in Verlegenheit setzt, oder wovon du glaubst, daß es mich beleidigen könnte, so verzeihe ich es dir im voraus. Laß also alle deine Unruhe fahren, rede frei heraus und verhehle mir nichts, ganz so, als ob du deinen besten Freund vor dir hättest.«

Sidi Numan, den die letzten Äußerungen des Kalifen beruhigt hatten, nahm endlich das Wort und sagte: »Beherrscher der Gläubigen, wie groß auch immer die Bestürzung sein mag, von welcher jeder Sterbliche in der Nähe Euer Majestät und vor dem Glanze Eures Thrones befallen werden muß, so fühle ich mich doch stark genug, um zu glauben, daß diese ehrfurchtsvolle Scheu mir bis zu dem Grade den Mund verschließen könnte, daß ich gegen den Euch schuldigen Gehorsam fehlen und Euch über irgend etwas, was Ihr von mir verlangt, keine Auskunft geben sollte. Wenn ich mich auch nicht für den vollkommensten Menschen ausgeben darf, so bin ich doch anderseits nicht so bösartig, daß ich je den Willen gehabt hätte, irgend etwas gegen die Gesetze zu begehen, was mir Furcht vor ihrer strengen Ahndung einflößen könnte. Indes wie gut auch immer mein Wille gewesen ist, so erkenne ich doch, daß ich nicht von Fehlern, die man aus Unwissenheit begeht, frei geblieben bin. Dies ist nun mein Fall. Ich sage gleichwohl nicht, daß ich auf die Vergebung baue, welche Euer Majestät, ohne mich angehört zu haben, gnädigst mir erteilt hat; sondern im Gegenteil unterwerfe ich mich Eurem gerechten Urteil und selbst der Strafe, wenn ich sie verdient habe. Ich gestehe, daß seit einiger Zeit die Art und Weise, wie ich meine Stute behandelt habe, seltsam, grausam und nicht nachzuahmen ist, aber ich hoffe, daß Ihr die Ursache hiervon sehr wohl begründet und mich selber mehr des Mitleids als der Strafe würdig finden werdet. Ich darf Euch nicht länger durch eine langweilige Vorrede in gespannter Erwartung halten, höret denn also meine Geschichte!«

 


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