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Geschichte des erwachten Schläfers.

»Unter der Regierung des Kalifen Harun Arreschid lebte zu Bagdad ein sehr reicher Kaufmann, dessen Frau schon alt war. Sie hatten einen einzigen Sohn namens Abu Hassan, der etwa dreißig Jahr alt und in der tiefsten Eingezogenheit auferzogen war.

Der Kaufmann starb, und Abu Hassan nahm als einziger Erbe die großen Reichtümer in Besitz, die sein Vater bei seinen Lebzeiten durch große Sparsamkeit und durch seine Betriebsamkeit im Handel aufgehäuft hatte. Der Sohn, der in seinen Ansichten und Neigungen ganz verschieden von seinem Vater war, handelte auch ganz anders als dieser. Da dieser ihm nämlich in seiner Jugend immer bloß so viel Geld gegeben hatte, als zu seinem Lebensunterhalte gerade hinreichte, und er daher immer die jungen Leute seines Alters beneidet hatte, denen es daran nicht fehlte, und die sich keine von den Vergnügungen versagten, denen sich die Jugend so leicht hingibt, so beschloß er, sich jetzt seinerseits durch einen Aufwand auszuzeichnen, der dem Vermögen, das er soeben ererbt hatte, angemessen wäre. Zu diesem Zweck teilte er sein Vermögen in zwei Hälften. Die eine verwendete er zum Ankaufe von Landgütern und von Häusern in der Stadt, die ihm so viel einbrachten, daß er davon sehr bequem hätte leben können; allein er gelobte es sich, nie etwas von diesen Einkünften anzurühren, sondern die von daher einlaufenden Summen jedesmal aufzuheben. Die andere Hälfte, die in einer bedeutenden Summe baren Geldes bestand, bestimmte er zu Wiedereinbringung aller der Zeit, die er unter dem strengen Zwange, worin ihn sein Vater bis an seinen Tod gehalten, verloren zu haben glaubte; zugleich aber machte er es sich zum unverbrüchlichen Gesetze, während dieses ausgelassenen Lebens, das er sich zu führen vorgenommen, nicht das geringste über diese Summe auszugeben.

Diesem Plane zufolge versammelte er binnen wenigen Tagen einen Kreis von jungen Leuten seines Alters und Standes um sich und dachte von nun an bloß darauf, diesen die Zeit angenehm zu vertreiben. Zu diesem Zweck begnügte er sich nicht, sie bei Tag und Nacht gut zu bewirten und ihnen die glänzendsten Gastmahle zu geben, wo die köstlichsten Speisen und die ausgesuchtesten Weine in Fülle aufgetragen wurden, sondern er fügte dazu auch noch musikalische Unterhaltungen, indem er die besten Sänger und Sängerinnen dazu einlud. Die junge Gesellschaft stimmte ihrerseits bisweilen, mit dem Glase in der Hand, in die Musik ein, und alle zusammen schienen mit den sie begleitenden Musikinstrumenten einen harmonischen Einklang zu bilden. Diese Gastmahle endigten sich dann gewöhnlich mit Bällen, wozu die besten Tänzer und Tänzerinnen aus ganz Bagdad gerufen wurden. Alle diese Belustigungen, die täglich durch andere erneuert wurden, stürzten Abu Hassan in so ungeheure Ausgaben, daß er einen so großen Aufwand nicht über ein Jahr fortsetzen konnte. Die bedeutende Summe, die er für dieses verschwenderische Leben bestimmt hatte, ging mit dem Jahre zugleich zu Ende. Sobald er nicht mehr offene Tafel hielt, verschwanden auch seine bisherigen Freunde, und er konnte sie nirgends mehr antreffen, wohin er auch immer gehen mochte. In der Tat flohen sie vor ihm, wo sie ihn nur erblickten, und wenn er zufällig einem begegnete und mit ihm reden wollte, so entschuldigte sich dieser stets mit allerlei Ausflüchten.

Abu Hassan empfand das seltsame Betragen seiner Freunde, die ihn nach so vielen Bezeigungen und Versicherungen von Freundschaft, die sie ihm gegeben, jetzt auf eine so unwürdige und undankbare Weise verließen, weit tiefer als den Verlust des ganzen Geldes, das er mit ihnen so unzweckmäßig vergeudet hatte. Traurig, nachdenkend, mit gesenktem Haupt und mit einem Gesichte, das düstern Kummer verriet, trat er in das Zimmer seiner Mutter und setzte sich ziemlich fern von ihr an das Ende des Sofas.

»Was ist dir denn, mein Sohn?« fragte ihn seine Mutter, als sie ihn in diesem Zustande sah. »Warum bist du so verändert, so niedergeschlagen, so gar nicht mehr dir ähnlich? Wenn du alles, was du auf der Welt nur irgend hast, verloren hättest, so könntest du fast nicht anders aussehen. Ich weiß von dem entsetzlichen Aufwande, den du gemacht hast, und seitdem du dich ihm ganz hingegeben, magst du wohl nicht gar so viel Geld mehr übrig haben. Du warst übrigens Herr deines Vermögens, und wenn ich nie gegen deine unordentliche Lebensweise gesprochen habe, so geschah es darum, weil ich wußte, mit welcher weisen Vorsicht du dir die Hälfte deines Reichtums ausgehoben hast. Bei alledem sehe ich nicht ab, was dich in eine so tiefe Schwermut versenkt haben kann.«

Abu Hassan brach bei diesen Worten in Tränen aus, und mitten unter Tränen und Schluchzen rief er: »Meine Mutter, endlich habe ich durch eine sehr schmerzliche Erfahrung einsehen gelernt, wie unerträglich die Armut ist. Ja, ich fühle es lebhaft, daß, so wie der Untergang der Sonne uns den Glanz dieses Himmelskörpers entzieht, ebenso auch die Armut uns jeder Freude beraubt. Sie macht, daß man alle die Lobsprüche und alles das Gute, das man uns vor unserm Verfalle sagte, gänzlich vergißt; sie bringt uns dahin, daß wir nicht mehr ausgehen können ohne Furcht, bemerkt zu werden, und daß wir die Nächte hindurch blutige Tränen vergießen; mit einem Worte, wer arm ist, wird selbst von seinen Verwandten und Freunden nur wie ein Fremder betrachtet. Du weißt, meine Mutter,« fuhr er fort, »wie ich seit Jahr und Tag gegen meine Freunde gewesen bin. Ich habe sie immer so gut bewirtet, daß ich dadurch fast meine Mittel erschöpft habe; und nun, da ich das nicht mehr so fortsetzen kann, muß ich sehen, daß sie mich alle verlassen haben. Ich spreche hier nur von dem Gelde, welches ich für den Gebrauch, den ich davon gemacht, mir beiseite gelegt hatte; denn was das übrige betrifft, das ich angelegt habe, so danke ich Gott dafür, daß er mir den Gedanken eingegeben, es mir aufzuheben unter der Bedingung und dem Gelübde, es nie zum Behuf einer so törichten Verschwendung anzugreifen. Ich will dies Gelübde halten, und ich weiß schon, welchen guten Gebrauch ich von dem, was mir so glücklicher Weise übrig geblieben, machen werde. Aber zuvor will ich noch eine Probe machen, wie weit wohl meine Freunde, wofern sie anders diesen Namen verdienen, ihre Undankbarkeit treiben werden. Ich will sie nacheinander besuchen, und wenn ich ihnen das Äußerste, das ich für sie getan, werde vorgestellt haben, will ich sie bitten, unter sich eine Summe Geldes für mich zusammenzuschießen, wodurch ich mir einigermaßen aus dem unglücklichen Zustande, worin ich mich ihnen zuliebe gestürzt, wieder aufhelfen könnte. Indes will ich, wie gesagt, diesen Schritt bloß tun, um zu sehen, ob ich in ihnen irgend eine Spur von Dankbarkeit finden werde.«

»Mein Sohn,« erwiderte Abu Hassans Mutter, »ich mag dir nicht von der Ausführung deines Vorhabens abreden; aber ich kann dir im voraus sagen, daß du dich in deiner Hoffnung täuschen wirst. Glaube mir, was du auch immer tun magst, es bedarf dieser Probe gar nicht erst; du wirst nirgends Unterstützung finden als in dem, was du dir selber aufgehoben hast. Ich sehe wohl, daß du noch nicht diese Freunde kennst, die man unter Leuten deines Standes gewöhnlich so nennt; aber du wirst sie noch kennen lernen. Gebe Gott, daß es auf die Weise geschehe, wie ich es wünsche, das heißt, zu deinem Besten.« – »Meine Mutter,« antwortete Abu Hassan, »ich bin von der Wahrheit dessen, was du mir sagst, überzeugt; aber ich werde dieser Sache, die mich so nahe angeht, umso gewisser sein, wenn ich mich persönlich von ihrer Niederträchtigkeit und Gefühllosigkeit überzeugt habe.«

Abu Hassan ging nun sogleich fort und nahm so gut die Zeit wahr, daß er alle seine Freunde zu Hause traf. Er stellte ihnen die große Not vor, in welcher er sich befände, und bat sie, ihm zu einer kräftigen Unterstützung ihre Börse zu öffnen. Er machte sich sogar gegen einen jeden von ihnen insbesondere anheischig, die Geldsummen, die sie ihm leihen würden, wieder zurückzuzahlen, sobald nur seine Umstände sich gebessert haben würden, ohne jedoch zu erwähnen, daß er hauptsächlich um ihretwillen so in der Klemme sei, um sie desto mehr zur Großmut anzuspornen. Auch vergaß er nicht, sie mit der frohen Hoffnung zu locken, daß er wohl noch dereinst das frohe Schmausen mit ihnen wieder anfangen würde, das sie bei ihm früher genossen hätten.

Keiner von seinen Tafelfreunden ließ sich durch die lebhaften Schilderungen rühren, wodurch der unglückliche Abu Hassan sie zu bewegen suchte. Er erfuhr sogar die Kränkung, hören zu müssen, daß mehrere derselben ihm rundheraus erklärten, daß sie ihn gar nicht kennten und sich gar nicht besinnen könnten, ihn je gesehen zu haben. Mit einem Herzen voll Unwillen und Betrübnis kehrte er nach Hause zurück. »Ach, meine Mutter,« rief er aus, indem er in ihr Zimmer trat, »du hast wohl recht gehabt; anstatt Freunde zu finden, habe ich bloß Treulose, Undankbare und Schurken gefunden! Es ist jetzt aus, ich sage mich von ihnen los und verspreche dir, sie nie wiederzusehen.«

Abu Hassan blieb fest bei seinem Entschlusse. Er nahm zu diesem Zwecke die angemessensten Vorsichtsmaßregeln, um alle Gelegenheiten, wo er demselben untreu werden könnte, zu vermeiden, und um nie mehr in diesen Fall zu kommen, tat er den Schwur, daß er nie mehr in seinem Leben irgend jemand aus Bagdad bei sich bewirten wollte. Hierauf zog er den Geldkasten, worin er seine Einkünfte niedergelegt hatte, aus seinem Verwahrungsorte hervor und stellte ihn an den Platz dessen, der soeben leer geworden war. Er beschloß, für seine tägliche Ausgabe immer nur eine bestimmte Summe herauszunehmen, die hinlänglich wäre, um eine einzige Person bei sich zu Abend zu bewirten. Doch schwor er, daß diese Person nicht aus Bagdad sein dürfte, sondern ein Fremder sein müßte, der an demselben Tage erst angekommen, und daß er ihn schon am folgenden Morgen wieder entlassen wollte, nachdem er ihm eine einzige Abendmahlzeit gereicht hätte.

Diesem Plane zufolge besorgte Hassan jeden Morgen den zu dieser Mahlzeit nötigen Speisevorrat. Gegen Abend ging er jedesmal und setzte sich an das Ende der Brücke von Bagdad, und wenn er einen Fremden erblickte, von welchem Stande oder Herkommen er auch immer sein mochte, so redete er ihn höflich an und lud ihn sofort ein, ein Abendbrot und Nachtherberge für die erste Nacht seines Hierseins bei ihm anzunehmen; und nachdem er ihn von dem, was er sich bei seiner Gastfreundlichkeit zum Gesetz und zur Bedingung gemacht, unterrichtet hatte, führte er ihn nach seiner Wohnung.

Die Mahlzeit, womit Abu Hassan seinen Gast bewirtete, war nicht prächtig, doch konnte man damit sehr wohl zufrieden sein. Besonders fehlte es dabei nicht an gutem Weine. Die Mahlzeit dauerte übrigens bis tief in die Nacht, und anstatt seinen Gast, wie man sonst wohl zu tun pflegt, von Angelegenheiten des Staats, der Familie oder des Handels zu unterhalten, suchte er im Gegenteil bloß von gleichgültigen, angenehmen und ergötzlichen Dingen zu reden. Überhaupt war er von Natur scherzhaft, unterhaltend und von guter Laune, und wovon auch immer die Rede war, er wußte seinem Gespräche stets eine Wendung zu geben, die auch den Traurigsten aufzuheitern vermochte.

Wenn Abu Hassan am folgenden Morgen seinen Gast entließ, sagte er zu diesem: »Wohin du auch immer gehest, möge Gott dich vor jeder Unannehmlichkeit bewahren! Als ich dich gestern abend in mein Haus auf eine Mahlzeit einlud, erzählte ich dir zugleich auch, welches Gesetz ich mir auferlegt habe; du wirst es daher nicht übelnehmen, wenn ich dir sage, daß wir nie mehr miteinander trinken, ja daß wir uns sogar nie mehr wiedersehen werden, weder bei mir noch anderswo. Ich habe meine guten Gründe, um so zu handeln. Gott geleite dich!«

Abu Hassan war in Befolgung dieser Regel sehr pünktlich. Diese Fremden, welche er einmal bei sich aufgenommen, beachtete er nicht weiter und redete auch mit ihnen nicht mehr. Wenn er ihnen auf den Straßen oder öffentlichen Plätzen begegnete, so tat er, als sähe er sie nicht, und drehte sich wohl selbst hinweg, um zu vermeiden, daß sie ihn anredeten. Mit einem Wort, er brach alle Gemeinschaft mit ihnen ab.

Er hatte diese Weise lange Zeit fortgesetzt, als eines Tags kurz vor Sonnenuntergang, da er eben wieder auf seinem gewöhnlichen Platze am Ende der Brücke saß, der Kalif Harun Arreschid gegangen kam, aber so verkleidet, daß er nicht zu erkennen war.

Obwohl dieser Herrscher sehr treue Diener und gewissenhafte Rechtspflege hatte, so wollte er dennoch sich von allem persönlich unterrichten und durchstreifte sehr oft, wie wir bereits gesehen haben, in allerlei Verkleidungen die Stadt Bagdad. Sogar die nächste Umgegend der Stadt ließ er nicht unbeachtet, und er pflegte zu diesem Zweck am ersten Tage eines jeden Monats auf die Heerstraßen hinauszugehen, die von den verschiedenen Seiten her nach Bagdad führten. Diesen Tag, es war gerade der Erste, erschien er als Kaufmann von Mossul verkleidet, der soeben an der andern Seite der Brücke ans Land gestiegen war, und dem ein großer und starker Sklave folgte.

 

Zweihundertunddreiundneunzigste Nacht.

Da der Kalif ungeachtet seiner Verkleidung ein sehr ernstes und ehrwürdiges Aussehen hatte, so stand Abu Hassan, der ihn für einen Kaufmann von Mossul hielt, von seinem Platze auf, begrüßte ihn freundlich, küßte ihm die Hand und sagte dann zu ihm: »Herr, ich wünsche Euch zu Eurer glücklichen Ankunft Glück und bitte Euch, mir die Ehre zu erzeigen, bei mir zu Abend zu speisen und diese Nacht in meinem Hause zuzubringen, um Euch von den Beschwerden der Reise etwas zu erholen.« Und um ihn noch mehr dazu zu bewegen, daß er ihm diese Gefälligkeit nicht abschlagen möchte, erzählte er ihm mit wenigen Worten, wie er es sich zur Gewohnheit gemacht habe, jeden Tag den ersten Fremden, der sich ihm zeigen würde, auf eine Nacht bei sich aufzunehmen und zu bewirten.

Der Kalif fand in dem seltsamen Geschmack Abu Hassans so viel Sonderbares, daß er neugierig wurde, ihn näher kennen zu lernen. Ohne indes aus der angenommenen Rolle eines Kaufmanns herauszutreten, sagte er ihm, er glaubte einer so großen Artigkeit, die er bei seiner Ankunft in Bagdad gar nicht erwartet hätte, nicht besser entsprechen zu können, als wenn er dies höfliche Anerbieten annähme, und er möchte ihm daher nur den Weg zeigen, er würde ihm dann sogleich folgen.

Abu Hassan, der nicht wußte, daß der Gast, welchen der Zufall ihm zugeführt hatte, so unendlich hoch über ihm stände, behandelte den Kalifen ganz wie seinesgleichen. Er führte ihn in sein Haus und ließ ihn in ein sehr reinlich ausgeschmücktes Zimmer treten, wo er ihn auf dem Sofa obenan Platz nehmen ließ. Das Abendessen war schon bereit und der Tisch gedeckt. Abu Hassans Mutter, die sich auf die Küche sehr gut verstand, hatte drei Schüsseln aufgesetzt: mitten nämlich eine mit einem guten Kapaun, umgeben von vier gemästeten Hühnchen; dann links und rechts noch zwei Schüsseln, die als Vorspeisen dienen sollten: nämlich eine mit einer fetten Gans und dann noch eine mit jungen Tauben in einer Gewürzbrühe. Weiter gab es diesmal nichts, aber das Fleisch war sehr gut und von einem köstlichen Geschmack.

Abu Hassan setzte sich bei Tische seinem Gaste gegenüber, und er und der Kalif fingen an, es sich schmecken zu lassen, indem jeder nach seinem Belieben zulangte, ohne ein Wort zu reden und selbst ohne zu trinken, nach der Sitte des Landes. Als sie abgegessen hatten, reichte ihnen der Sklave des Kalifen Wasser zum Waschen, und unterdessen räumte Abu Hassans Mutter ab und setzte den Nachtisch auf, der aus verschiedenen Arten von Früchten, wie sie die Jahreszeit gerade mit sich brachte, bestand: nämlich aus Weintrauben, Pfirsichen, Äpfeln, Birnen und mehreren Arten gebackenem Mandelteig. Bei Anbruch der Nacht wurden Wachslichter angezündet, worauf Abu Hassan einige Flaschen Wein nebst Schalen neben sich setzen ließ und seiner Mutter einen Wink gab, daß sie dem Sklaven des Kalifen zu essen geben möchte.

Als der angebliche Kaufmann aus Mossul, nämlich der Kalif, und Abu Hassan sich wieder zu Tische gesetzt hatten, nahm Abu Hassan, ehe er noch das Obst berührt hatte, eine Schale, schenkte sich zuerst darin ein und sagte dann, die Schale in der Hand haltend, zum Kalifen, der seiner Meinung nach ein bloßer Kaufmann aus Mossul war: »Herr, Ihr wißt so gut wie ich, daß die Henne nie trinkt, ohne ihre Hühnchen zu rufen, um mit ihr zu trinken; ich lade Euch daher ebenfalls ein, meinem Beispiele zu folgen. Ich weiß zwar nicht, wie Ihr hierüber denkt; allein, was mich betrifft, so dünkt mich, daß ein Mann, der den Wein haßt und den Weisen spielen will, es gewiß nicht ist. Wir wollen diese Art von Leuten mit ihrer finstern und verdrießlichen Laune sich selber überlassen und lieber die Freude aufsuchen; sie ist in der Schale allein zu finden, und die Schale teilt sie allen denen mit, die sie austrinken.«

Während Abu Hassan trank, sagte der Kalif, indem er die Schale ergriff, die für ihn dastand: »Das gefällt mir, und das nenne ich mir einen wackern Mann. Ich schätze diese heitere Laune an Euch und erwarte bei dieser Fröhlichkeit, daß Ihr mir ebenfalls einschenkt.«

Abu Hassan hatte kaum getrunken, als er auch schon die Schale, die ihm der Kalif hinreichte, vollschenkte und zu ihm sagte: »Herr, kostet nur, Ihr werdet ihn recht gut finden.«

»Davon bin ich überzeugt,« erwiderte der Kalif mit lächelnder Miene; »ein Mann wie Ihr kann bei der Auswahl solcher Sachen keinen andern als den besten Geschmack haben.«

Während der Kalif trank, äußerte Abu Hassan: »Man darf Euch nur ansehen, um gleich beim ersten Blicke zu wissen, daß Ihr ein Mann seid, der die Welt gesehen hat, und der zu leben weiß.«

»Wenn mein Haus,« fügte er in arabischen Versen hinzu, »Empfindung hätte und die Freude über das Glück, Euch zu besitzen, fühlen könnte, so würde es solche laut an den Tag legen und, vor Euch niederfallend, ausrufen: »Ach, welche Lust, welches Glück, daß mich ein so edler und gefälliger Mann mit seiner Gegenwart beehrt und es nicht verschmäht, bei mir Nachtherberge zu nehmen!«

Mit einem Worte, Herr, ich bin seelenvergnügt, daß ich heute einen Mann von Eurem Wert getroffen habe.«

Die sinnreichen Einfälle Abu Hassans machten dem Kalifen viel Vergnügen, der von Natur sehr heiter gestimmt war, und der sich ein Vergnügen daraus machte, seinen Wirt dadurch, daß er ihm häufig seine Schale zum Einschenken überreichte, zum Trinken aufzufordern, um ihn bei der Fröhlichkeit der Unterhaltung, die der Wein immer mehr weckte, noch besser kennen zu lernen. Um ein Gespräch einzuleiten, fragte er ihn, wie er hieße, womit er sich beschäftige, und auf welche Weise er sein Leben hinbrächte. »Herr,« erwiderte jener, »mein Name ist Abu Hassan. Ich habe durch den Tod meinen Vater verloren, welcher Kaufmann war, wenn auch nicht gerade einer von den reichsten, doch wenigstens einer von denen, die in Bagdad am bequemsten leben. Als er starb, hinterließ er mir eine Erbschaft, die mehr als hinlänglich war, um ohne Ehrgeiz meinem Stande gemäß leben zu können. Da sein Betragen gegen mich immer sehr streng gewesen war und ich daher den größten Teil meiner Jugend unter einem drückenden Zwange verlebt hatte, so wollte ich die schöne Zeit, die ich verloren zu haben glaubte, wieder einzubringen suchen. Indes,« fuhr Abu Hassan fort, »benahm ich mich in diesem Punkt etwas anders, als sonst gewöhnlich junge Leute zu tun pflegen. Diese überlassen sich nämlich ohne Maß den Ausschweifungen, und zwar so weit, bis sie zur tiefsten Armut herabgekommen und ihr ganzes übriges Leben Buße zu tun gezwungen sind. Um nun nicht in dasselbe Elend zu geraten, teilte ich mein ganzes Vermögen in zwei Hälften; die eine legte ich auf Zinsen, die andere behielt ich in barem Gelde. Das bare Geld bestimmte ich zu den Ausgaben, die ich vorhatte, und faßte zugleich den festen Entschluß, meine anderen Einkünfte nie anzugreifen. Ich bildete mir einen Gesellschaftskreis von Leuten meiner Bekanntschaft und meines Alters, und für das bare Geld, das ich mit vollen Händen ausgab, bewirtete ich sie täglich sehr glänzend und dergestalt, daß uns zu unserer Belustigung nichts fehlte. Aber dies dauerte nicht lange so fort. Am Ende des Jahres fand ich nichts mehr in meinem Geldkasten, und zu gleicher Zeit verschwanden auch alle meine Tischfreunde. Ich besuchte sie einen nach dem andern; ich stellte ihnen meine traurige Lage vor: aber keiner bot mir irgend eine Unterstützung an. Ich leistete also auf ihre Freundschaft Verzicht, beschränkte von nun an meine Ausgaben bloß auf meine Einkünfte und nahm mir vor, niemand weiter zur Gesellschaft zu haben als den ersten Fremden, der mir jeden Tag bei seiner Ankunft in Bagdad aufstoßen würde: doch mit der Bedingung, daß ich ihn bloß diesen Tag bei mir bewirten wollte. Das übrige wißt Ihr, und ich danke meinem guten Glücke, daß es mir heute einen Fremdling von Eurem Werte zugeführt hat.«

Der Kalif war mit der erhaltenen Aufklärung sehr zufrieden und sagte zu Abu Hassan: »Ich kann Euch wegen des Entschlusses, den Ihr gefaßt habt, nicht genug loben, daß Ihr nämlich, als Ihr das ausschweifende Leben anfinget, mit so viel Klugheit handeltet und Euch auf eine Weise benahmt, die der Jugend sonst nicht eigen ist; ferner achte ich Euch, daß Ihr selbst auf dem Punkte, auf welchem Ihr standet, Euch noch treu geblieben seid. Die Bahn war wenigstens sehr schlüpfrig, und ich kann mich nicht genug wundern, daß Ihr, als Ihr Euer bares Geld zu Ende gehen sahet, Euch noch so weit mäßigen konntet, um nicht auch Eure Einkünfte und selbst Eure Kapitale zu vergeuden. Um Euch offen meine Meinung zu sagen, ich glaube, Ihr seid der einzige Schwelger, dem dergleichen begegnet ist und überhaupt jemals begegnen kann. Mit einem Wort, ich gestehe es, ich beneide Euch um Euer Glück. Ihr seid der glücklichste Sterbliche, den es auf Erden gibt, da Ihr jeden Tag die Gesellschaft eines Mannes habt, mit dem Ihr Euch angenehm unterhalten könnt, und dem Ihr Anlaß gebt, überall die gute Aufnahme zu rühmen, die Ihr ihm erzeigt. Aber wir bemerken beide nicht, daß wir schon zu lange miteinander gesprochen haben, ohne zu trinken. Trinket also und schenket mir dann auch ein.«

Der Kalif und Abu Hassan tranken noch lange fort, indem sie sich auf das angenehmste unterhielten.

Unterdessen war die Nacht schon weit vorgerückt, und der Kalif, der sich von den Beschwerden der zurückgelegten Reise sehr ermüdet stellte, sagte zu Abu Hassan, daß er der Ruhe bedürfte. »Ich meinerseits,« fuhr er fort, »will zugleich nicht, daß Ihr Euch aus Liebe zu mir irgend der Eurigen beraubet. Ehe wir uns nun trennen, denn ich werde morgen früh, wenn Ihr aufstehet, vielleicht schon fort sein, ist es mir sehr angenehm, Euch an den Tag legen zu können, wie sehr ich für Eure Höflichkeit, gute Bewirtung und Gastfreundlichkeit, die Ihr auf eine so zuvorkommende Weise mir erzeigt habt, mich Euch verpflichtet fühle. Das einzige, was mich bekümmert, ist, daß ich nicht weiß, wie ich Euch meine Dankbarkeit betätigen kann. Ich bitte Euch, mich dies wissen zu lassen, und Ihr werdet sehen, daß ich kein Undankbarer bin. Es ist unmöglich, daß ein Mann wie Ihr nicht irgend ein Geschäft, irgend ein Bedürfnis haben oder nicht wenigstens sich etwas wünschen sollte, was ihm Vergnügen machen würde. Öffnet mir Euer Herz und sprechet offen mit mir. Wenn ich gleich nur ein Kaufmann bin, so bin ich deshalb doch nicht außerstande, entweder persönlich oder durch Vermittlung meiner Freunde jemand Gefälligkeiten zu erzeigen.«

 

Zweihundertundvierundneunzigste Nacht

»Herr,« erwiderte Abu Hassan, nachdem er die Anerbietungen des Kalifen angehört hatte, »ich bin vollkommen überzeugt, daß Ihr nicht aus bloßer Höflichkeit mir so großmütige Anträge macht. Allein, so wahr ich ehrlich bin, ich kann Euch versichern, daß ich weder irgend einen Kummer, noch irgend einen Rechtshandel, noch irgend einen Wunsch habe, und daß ich überhaupt von niemand etwas verlange. Ich habe, wie ich Euch schon gesagt, auch nicht den mindesten Ehrgeiz und bin mit meinem Schicksal völlig zufrieden. Indes muß ich Euch doch sagen,« fuhr er fort, »daß eine einzige Sache mich verdrießt, ohne aber deshalb meine Ruhe zu trüben. Ihr werdet nämlich wissen, daß die Stadt Bagdad in mehrere Viertel eingeteilt ist, und daß es in einem jeden Viertel eine Moschee und einen Imam gibt, der zu den gehörigen Stunden an der Spitze der versammelten Bezirksbewohner das Gebet verrichtet. Unser Imam ist ein Greis von hoher Gestalt und von einer strengen Miene und dabei ein so vollendeter Heuchler, dergleichen nur je in der Welt existiert haben mag. Als seine Ratgeber hat er sich noch vier andere mürrische Greise, die ungefähr von seinem Schlage sind, aus der Zahl meiner Nachbarn zugesellt; diese kommen nun regelmäßig jeden Tag zusammen, und es gibt keine Verleumdung, üble Nachrede oder Bosheit, die sie nicht von diesen Winkelzusammenkünften aus gegen mich und gegen das ganze Stadtviertel in Bewegung setzen, um die Ruhe desselben zu stören und Zwietracht darin auszustreuen. Einigen jagen sie Furcht ein, andern drohen sie, mit einem Worte, sie wollen die Herren spielen und es durchsetzen, daß jeder ihren Launen gemäß lebe, obwohl sie selber nicht zu leben wissen. Um Euch die Wahrheit zu gestehen, es ärgert mich, wenn ich sehe, daß sie sich eher um alles andere kümmern als um ihren Koran, und daß sie niemand in Frieden leben lassen.«

»Nun gut,« erwiderte der Kalif, »Ihr wünschtet also wohl ein Mittel oder einen Weg zu finden, um diesen Unordnungen ein Ziel zu setzen?« – »Jawohl,« antwortete Abu Hassan, »und das einzige, um was ich Gott bitten möchte, wäre, nur einen einzigen Tag an der Stelle unsers Herrn und Gebieters, des Beherrschers der Gläubigen, Harun Arreschid, Kalif sein zu können.« – »Und was würdet Ihr tun, wenn Ihr je einmal in diesen Fall kämet?« fragte der Kalif. »Ich würde ein Beispiel aufstellen,« erwiderte Abu Hassan, »das alle ehrlichen Leute zufriedenstellen sollte. Ich würde nämlich einem jeden der vier Alten hundert Stockschläge auf die Fußsohlen geben lassen, dem Imam aber vierhundert, damit er sie lehre, wie unschicklich es sei, ihre Nachbarn so zu beunruhigen und zu ärgern.«

Der Kalif fand den Einfall Abu Hassans ganz artig, und da er von Natur zu seltsamen Abenteuern geneigt war, so bekam er Lust, darauf einen ganz einzigen Scherz zu gründen. »Euer Wunsch gefällt mir umsomehr,« sagte hierauf der Kalif, »da ich sehe, daß er aus einem aufrichtigen Herzen und von einem Manne herkommt, der es nicht leiden mag, daß die Bosheit der Bösen unbestraft bleibe. Es würde mir viel Vergnügen machen, die Erfüllung desselben zu sehen, und vielleicht ist diese so unmöglich nicht, als Ihr denkt. Ich bin überzeugt, daß der Kalif recht gern seine Herrschergewalt auf vierundzwanzig Stunden in Eure Hände niederlegen würde, wenn er von Eurer guten Absicht und von dem Gebrauche wüßte, den Ihr davon machen wollt. Obwohl ich nur ein fremder Kaufmann bin, so habe ich dennoch Einfluß genug, um dazu etwas beitragen zu können.«

»Ich sehe wohl,« erwiderte Abu Hassan, »daß Ihr Euch über meinen närrischen Einfall lustig macht, und der Kalif würde sich ebenfalls darüber lustig machen, wenn er diese Narrheit erführe. Vielleicht würde es indes die Folge haben, daß er über das Betragen des Imams und seiner Ratgeber Erkundigung einziehen und sie bestrafen ließe.«

»Ich mache mich durchaus nicht über Euch lustig,« antwortete hierauf der Kalif; »Gott behüte mich, daß ich einen so unziemlichen Gedanken gegen einen Mann, wie Ihr seid, hegen sollte, der mich, wie unbekannt ich ihm auch war, so gut bewirtet hat; zugleich versichere ich Euch, daß auch der Kalif sich darüber nicht lustig machen würde. Aber lassen wir das Gespräch fallen; es fehlt nicht mehr viel zu Mitternacht, und es ist Zeit, daß wir uns schlafen legen.«

»So wollen wir denn damit unsere Unterhaltung abbrechen,« sagte Abu Hassan, »ich will Euch nicht länger vom Schlaf abhalten. Allein, da noch etwas Wein in der Flasche übrig ist, so wollen wir zuvor, wenn's Euch gefällt, dieselbe ausleeren und uns nachher schlafen legen. Das einzige, was ich Euch anempfehle, ist, daß Ihr morgen früh beim Weggehen, im Fall ich noch nicht auf sein sollte, ja nicht die Türe offen lasset, sondern sie sorgfältig verschließet.« Der Kalif versprach, dies pünktlich zu tun.

Während Abu Hassan noch sprach, hatte der Kalif die Flasche und die beiden Schalen ergriffen. Zuerst schenkte er sich selber Wein ein, um sich, wie er zu Abu Hassan sagte, zu bedanken. Als er getrunken hatte, warf er unvermerkt in Abu Hassans Schale ein paar Finger voll von einem Pulver, das er bei sich führte, und goß darauf den Rest Wein aus der Flasche. Indem er sie Abu Hassan überreichte, sagte er: »Ihr seid den ganzen Abend hindurch bemüht gewesen, mir einzuschenken, und ich darf nun wohl das letztemal wenigstens Euch diese Mühe ersparen. Ich bitte Euch also, diese Schale von meiner Hand anzunehmen und dies mir zuliebe auszutrinken.«

Abu Hassan nahm die Schale, und um seinem Gaste noch mehr zu zeigen, mit wie viel Vergnügen er die ihm erwiesene Ehre aufnähme, trank er und leerte sie fast in einem Zuge aus. Aber kaum hatte er die Schale wieder auf den Tisch hingesetzt, so äußerte das Pulver seine Wirkung. Er fiel in einen so tiefen Schlaf, daß ihm das Haupt fast bis auf die Kniee herabsank, und zwar so plötzlich, daß der Kalif sich des Lachens nicht enthalten konnte. Der Sklave, der ihn begleitete, war gleich nach dem Abendessen wieder ins Zimmer getreten und stand schon seit einiger Zeit zu seinen Befehlen bereit. »Lade diesen Mann hier auf deine Schultern,« sagte der Kalif zu ihm; »aber merke dir genau den Ort, wo dies Haus liegt, damit du ihn, sobald ich es dir befehle, wieder hierher bringen kannst.«

 

Zweihundertundfünfundneunzigste Nacht

Der Kalif ging in Begleitung des Sklaven, welcher den Abu Hassan trug, aus dem Hause, jedoch ohne, wie Abu Hassan ihn gebeten, die Türe zu schließen. Er tat dies absichtlich. Sobald er an seinem Palast angelangt war, trat er durch eine geheime Tür hinein, und der Sklave mußte ihn bis in sein Zimmer begleiten, wo seine Diener ihn erwarteten. »Kleidet diesen Menschen aus,« sagte er zu ihnen, »und leget ihn in mein Bette; das übrige werde ich euch dann schon sagen.«

Die Diener kleideten Abu Hassan aus, legten ihm das Nachtgewand des Kalifen an und brachten ihn seinem Befehle gemäß zu Bette. Im Palaste war noch niemand schlafen gegangen. Der Kalif ließ nun alle seine übrigen Diener und alle seine Frauen kommen; und als sie vor ihm erschienen, sagte er zu ihnen: »Ich will, daß alle die, welche mir des Morgens früh bei meinem Aufstehen die Aufwartung zu machen pflegen, sich morgen früh zu diesem Manne, der hier in meinem Bette liegt, hinbegeben, und daß ein jeder ihm bei seinem Erwachen dieselbe Aufmerksamkeit erweise, die man mir gewöhnlich zu erweisen pflegt. Ferner will ich, daß man ihm ganz dieselbe Achtung erweise wie meiner eigenen Person und ihm in allem gehorche, was er irgend befehlen mag. Man soll ihm nichts verweigern, was er irgend verlangen, noch in irgend etwas ihm widersprechen, was er nur sagen oder wünschen mag. Bei allen Gelegenheiten, wo zu ihm geredet oder ihm geantwortet werden soll, wird man nicht unterlassen, ihn durchaus als Beherrscher der Gläubigen zu behandeln. Mit einem Wort, ich verlange, daß ihr die ganze Zeit über, wo ihr um ihn seid, so wenig an meine Person denket, als ob er das wäre, was ich bin, nämlich Kalif und Beherrscher der Gläubigen. Vor allen Dingen aber nehmet euch in acht, daß ihr euch nicht irgend einmal vergesset.«

Die Diener und Frauen, welche sogleich merkten, daß sich der Kalif einen Scherz machen wollte, antworteten bloß durch eine tiefe Verbeugung, und jeder bereitete sich von nun an vor, seine Rolle gut zu spielen.

Der Kalif hatte bei seiner Rückkehr in den Palast durch den ersten Diener, der ihm begegnete, den Großwesir Giafar rufen lassen, und dieser kam jetzt eben. »Giafar,« sagte der Kalif zu ihm, »ich habe dich kommen lassen, um dir zu sagen, daß du dich nicht wundern darfst, wenn du morgen früh beim Eintritt in mein Empfangszimmer diesen Mann, der da im Bette liegt, in meinem Staatskleide auf dem Throne sitzen sehen wirst. Rede ihn mit derselben Achtung und Ehrerbietung an, die du mir gewöhnlich zu erweisen pflegst, und behandle ihn ganz als den Beherrscher der Gläubigen. Alles, was er dir befehlen wird, höre du so an und vollziehe es so pünktlich, als ob ich es dir befohlen hätte. Auch wenn er bedeutende Geschenke machen und dir die Austeilung derselben übertragen sollte, so tue du alles, was er dir in diesem Punkte befehlen wird, und wenn auch alle meine baren Geldvorräte dadurch erschöpft werden sollten. Ferner vergiß nicht, meinen Emiren, Türstehern und allen denjenigen meiner Diener, die nicht zum innern Dienste des Palastes gehören, einen Wink zu geben, daß sie ihm morgen bei dem öffentlichen Zutritt dieselbe Ehre erweisen wie mir selber, und zwar so ganz im Ernste, daß er auch nicht das mindeste merkt, was den lustigen Scherz, den ich mir machen will, stören könnte. Jetzt geh und entferne dich, ich habe dir nichts weiter aufzutragen; und verschaffe mir das Vergnügen, das ich wünsche.«

Nachdem sich der Großwesir entfernt hatte, ging der Kalif in ein anderes Zimmer und gab, während er sich zu Bette legte, Mesrur, dem Oberhaupte der Verschnittenen, ebenfalls die nötigen Befehle, damit alles so vonstatten gehen möchte, als er es beabsichtigte, um Abu Hassans Wunsch zu erfüllen und zu sehen, wie er in der kurzen Frist, die er sich gewünscht hatte, die Gewalt und das Ansehn eines Kalifen gebrauchen würde, vor allen Dingen schärfte er ihm ein, ihn zur gewohnten Stunde zu wecken, und zwar früher als den Abu Hassan, weil er hierbei durchaus zugegen sein wollte.

Mesrur unterließ nicht, den Kalifen zur bestimmten Stunde zu wecken. Der Kalif ging sofort in das Zimmer, worin Abu Hassan schlief, und trat da in ein kleines erhöhtes Seitenkabinett, von wo er durch eine Vergitterung alles sehen konnte, was vorging, ohne selber bemerkt zu werden. In derselben Zeit traten auch alle die Diener und Frauen herein, die beim Aufstehen Abu Hassans zugegen sein sollten, und stellten sich der Reihe nach im tiefsten Schweigen jeder an seinen bestimmten Ort, ganz so, als ob der Kalif selber aufstehen würde, und jeder schickte sich zu der ihm zugeteilten Verrichtung an.

Da der Tag bereits anzubrechen begann und es Zeit war, aufzustehen und das vor Sonnenaufgang übliche Gebet zu verrichten, hielt derjenige Diener, welcher dem Kopfende des Bettes am nächsten stand, einen in Weinessig getauchten Schwamm an Abu Hassans Nase. Dieser drehte sogleich, ohne die Augen zu öffnen, den Kopf, nieste und warf etwas wie Schleim aus, das man sogleich in einem goldenen Becken auffing, damit es nicht auf den Fußteppich fallen und diesen verunreinigen möchte. Es ist dies die gewöhnliche Wirkung dieses Pulvers, welches der Kalif ihm eingegeben, sobald nach Maßgabe der Dosis die einschläfernde Wirkung desselben zu Ende geht.

Abu Hassan lehnte das Haupt auf das Kopfkissen zurück, schlug die Augen auf und sah sich, insoweit die anbrechende Morgendämmerung es gestattete, mitten in einem großen, prächtigen, reich ausgeschmückten Zimmer, dessen Decke mit allerlei Figuren in erhabener Arbeit bedeckt und im arabischen Stile gemalt und das überdies mit großen Vasen von gediegenem Golde und mit golddurchwirkten seidenen Vorhängen und Fußteppichen verziert war. Er fand sich in einem Kreise junger, reizender Schönen, die zum Teil allerlei Musikinstrumente in den Händen hielten, und schwarzer Verschnittenen, die sehr reich gekleidet waren und in einer äußerst demütigen Stellung dastanden. Als er seine Augen auf die Bettdecke warf, sah er, daß sie von Goldbrokat mit rotem Grunde und mit Perlen und Diamanten besetzt war; neben dem Bette gewahrte er ein Kleid von demselben Stoff und Ausschmuck und daneben auf einem Kissen eine Kalifenmütze.

 

Zweihundertundsechsundneunzigste Nacht.

Bei diesen schönen Sachen geriet Abu Hassan in Erstaunen und in eine unbeschreibliche Verwirrung. Er betrachtete alles wie in einem tiefen Traume, und doch erschien ihm dieser Traum wiederum so wahrscheinlich, daß er wünschte, es möchte keiner sein. »Gut,« sagte er bei sich selbst, »so bin ich denn also wirklich Kalif! – Aber nein,« fuhr er nach einer Pause des Nachdenkens fort, »ich täusche mich bloß, es ist ein Traum, die Wirkung des Wunsches, den ich gestern meinem Gast äußerte.« Und so schloß er wieder die Augen, um zu schlafen.

In diesem Augenblicke näherte sich ein Verschnittener und redete ihn ehrfurchtsvoll an: »Beherrscher der Gläubigen, möchte Euer Majestät nur nicht wieder einschlafen; es ist Zeit, aufzustehen und das Gebet zu verrichten; die Morgenröte zeigt sich schon.«

Bei diesen Worten, welche Abu Hassan erstaunlich überraschten, sagte er wiederum bei sich selber: »Wache ich, oder schlafe ich? Doch nein, ich schlafe,« fuhr er fort, indem er die Augen immer noch fest zuhielt; »ich darf daran nicht zweifeln.«

Einen Augenblick darauf begann der Verschnittene, welcher sah, daß er gar nicht antwortete und auch keine Miene machte, aufzustehen, von neuem: »Beherrscher der Gläubigen! Euer Majestät wird es gnädigst erlauben, daß ich noch einmal wiederhole, daß es Zeit aufzustehen ist, damit Ihr nicht den gehörigen Zeitpunkt verfehlet, um Euer Gebet zu verrichten. Die Sonne wird bald aufgehen, und Euer Majestät pflegt dies nie zu versäumen.«

»Ich täuschte mich also,« sprach sogleich Abu Hassan; »ich schlafe nicht, sondern ich wache. Die, welche schlafen, hören ja nicht, und ich höre doch, daß man zu mir redet.« Er schlug die Augen wieder auf, und da es schon heller Tag geworden war, so sah er jetzt ganz deutlich das, was er zuvor nur undeutlich wahrgenommen hatte. Mit lächelnder Miene setzte er sich im Bette auf wie ein Mann, der sich freut, sich so hoch über seinen Stand erhöht zu sehen. Der Kalif, der ihn ungesehen beobachtete, las mit vielem Vergnügen, was in seinem Innern vorging.

Hierauf warfen sich die jungen Schönen des Palastes vor Abu Hassan auf ihr Angesicht, und die, welche Musikinstrumente hatten, begrüßten ihn mit einem Konzert von sanften Flöten, von Hoboen, Theorben und andern harmonischen Instrumenten, wovon er so bezaubert und entzückt wurde, daß er gar nicht wußte, wo er war, und überhaupt ganz außer sich geriet. Gleichwohl kam er wieder auf seinen vorigen Gedanken und zweifelte noch immer, ob alles das, was er sah und hörte, ein Traum oder Wirklichkeit wäre. Er hielt sich die Hände vor die Augen, senkte den Kopf niederwärts und sagte bei sich selbst: »Was bedeutet dies alles? Wo bin ich? Was ist mir begegnet? Was ist dies für ein Palast? Was bedeuten diese Verschnittenen, diese so wohl gestalteten und gut gekleideten Diener, diese schönen Frauen und diese bezaubernden Tonspielerinnen? Ist es möglich, daß ich gar nicht unterscheiden kann, ob ich träume oder bei vollem Verstande bin?« Endlich nimmt er seine Hände von den Augen hinweg, öffnet diese, hebt den Kopf in die Höhe und sieht, daß die Sonne bereits ihre ersten Strahlen durch die Fenster des Zimmers wirft, worin er sich befand.

In diesem Augenblicke trat Mesrur, das Oberhaupt der Verschnittenen, herein, warf sich vor Abu Hassan nieder und sagte dann beim Aufstehen: »Beherrscher der Gläubigen, Euer Majestät wird mir erlauben, Euch aufmerksam zu machen, daß Ihr sonst nie so spät aufzustehen pfleget, und daß Ihr die Stunde des Gebets versäumt habt. Wofern Ihr nicht etwa eine üble Nacht gehabt oder sonst unpäßlich seid, so ist es jetzt Zeit, daß Ihr auf den Thron steiget, um die Ratsversammlung zu halten und Euch wie gewöhnlich zu zeigen. Die Befehlshaber Eurer Heere, die Statthalter Eurer Provinzen und die übrigen hohen Beamten warten nur auf den Augenblick, wo die Türe des Ratssaales sich öffnen wird.«

Bei diesen Worten Mesrurs wurde Abu Hassan einigermaßen überzeugt, daß er nicht schliefe, und daß der Zustand, worin er sich befand, kein Traum wäre. Er fühlte sich indes ebenso verwirrt als verlegen bei der Ungewißheit, welchen Entschluß er jetzt fassen sollte. Endlich sah er dem Mesrur scharf ins Gesicht und fragte ihn im ernsthaften Tone: »Zu wem redet Ihr, und wer ist der, den Ihr Unbekannter Beherrscher der Gläubigen nennt? Ihr müßt mich gewiß verkennen.«

Jeder andere als Mesrur würde durch Abu Hassans Frage aus der Fassung gebracht worden sein; allein er spielte seine Rolle, wie sie ihm der Kalif vorgeschrieben hatte, außerordentlich gut. »Mein verehrungswürdiger Herr und Gebieter,« rief er aus; »Eure Majestät spricht heute offenbar bloß darum so, um mich auf die Probe zu stellen. Ist Euer Majestät denn nicht Beherrscher der Gläubigen, Gebieter der Welt, des Ostens und Westens, und Stellvertreter des Propheten, den Gott, der Herr des Himmels und der Erde, gesandt hat? Mesrur, Euer geringer Sklave, hat es seit so vielen Jahren nicht vergessen, in denen er das Glück und die Ehre hatte, Euer Majestät seine Ehrfurcht und seine Dienste zu erweisen. Er würde sich für den unglücklichsten aller Sterblichen achten, wenn er sich Eure Ungnade zugezogen haben sollte, und er bittet Euch daher demütigst, daß Ihr ihn huldreichst beruhiget, indem er lieber glauben will, daß ein unangenehmer Traum Eure Ruhe in dieser Nacht gestört habe.«

Abu Hassan lachte bei diesen Worten Mesrurs so mächtig auf, daß er rücklings auf das Kopfkissen zurücksank, zum großen Vergnügen des Kalifen, welcher selber gelacht haben würde, wenn er nicht gefürchtet hätte, der lustigen Szene, die er hier eingeleitet hatte, dadurch gleich anfangs ein Ende zu machen.

Nachdem Abu Hassan in dieser Lage lange Zeit so fortgelacht hatte, setzte er sich wieder auf und wandte sich an einen kleinen schwarzen Verschnittenen mit der Frage: »Höre einmal, sage du mir, wer bin ich?« – »Herr,« antwortete der kleine Verschnittene mit einer ehrerbietigen Miene, »Eure Majestät ist Beherrscher der Gläubigen und irdischer Stellvertreter des Herrn beider Welten.« – »Du bist ein kleiner Lügner, du schwarzes Pechgesicht!« antwortete ihm Abu Hassan.

Abu Hassan rief hierauf eine von den Frauen, die ihm gerade näher stand als die anderen, hielt ihr die Hand hin und sagte: »Tritt näher, meine Schöne, und beiße mich hier in die Fingerspitze, damit ich fühle, ob ich schlafe oder wache.«

Das Mädchen, welches wußte, daß der Kalif alles sähe, was im Zimmer vorging, freute sich, Gelegenheit zu haben, zu zeigen, was es zu tun imstande wäre, wenn es ihm zur Belustigung gereichen könnte. Es näherte sich also Abu Hassan mit dem möglichsten Ernst und klemmte seine ihr dargereichte Fingerspitze so zwischen die Zähne, daß es ihm einigen Schmerz verursachte.

Abu Hassan zog schnell seine Hand zurück und rief sogleich: »Nein, ich schlafe nicht, ich schlafe gewiß nicht. Durch welches Wunder bin ich denn aber in einer Nacht Kalif geworden? Das ist doch etwas höchst Merkwürdiges und Erstaunliches!« Hierauf wandte er sich wieder an dieselbe Schöne und sagte zu ihr: »Verhehle mir die Wahrheit nicht; ich beschwöre dich beim Schutz Gottes, auf den du so gut vertrauest wie ich. Ist es wirklich wahr, daß ich Beherrscher der Gläubigen bin?« – »Es ist so gewiß wahr,« erwiderte diese, »daß wir uns alle wundern müssen, daß Ihr uns das Gegenteil glauben machen wollt.« – »Du bist eine Lügnerin,« antwortete Abu Hassan; »ich weiß recht gut, wer ich bin.«

 

Zweihundertundsiebenundneunzigste Nacht.

Als das Oberhaupt der Verschnittenen bemerkte, daß Abu Hassan aufstehen wollte, reichte er ihm seine Hand und half ihm aus dem Bette steigen. Sobald er auf den Füßen war, hallte das ganze Zimmer von dem Morgengruße wider, den ihm die sämtlichen Diener und jungen Frauen mit diesen Worten zuriefen: »Beherrscher der Gläubigen, Gott verleihe Euer Majestät einen glücklichen Tag!«

»Himmel, welches Wunder!« rief Abu Hassan. »Gestern abend war ich noch Abu Hassan, und diesen Morgen bin ich Beherrscher der Gläubigen. Ich begreife diese schnelle und überraschende Veränderung nicht.« Die hierzu bestimmten Diener kleideten ihn hierauf schnell an. Als sie fertig waren, hatten sich unterdessen die übrigen Diener, die Verschnittenen und Frauen in zwei Reihen bis zu der Türe aufgestellt, durch welche er in den Ratsversammlungssaal eintreten sollte. Mesrur ging jetzt voran und Abu Hassan hinter ihm her. Der Türvorhang ward in die Höhe gezogen und die Tür durch einen Türsteher geöffnet. Mesrur trat in den Ratsversammlungssaal und ging so vor ihm her bis an den Fuß des Thrones, woselbst er stehen blieb, um ihn beim Hinaufsteigen zu unterstützen, indem er ihn auf der einen Seite unter dem Arme faßte, während ein anderer Diener, der ihm folgte, ihn ebenso auf der andern Seite beim Hinaufsteigen unterstützte.

Abu Hassan setzte sich unter dem Zurufe der Türsteher, die ihm alles Glück und allen Segen wünschten, und indem er seine Augen links und rechts hin wendete, sah er die Befehlshaber der Leibwache in der schönsten Ordnung und in der besten Haltung aufgestellt.

Der Kalif war unterdes aus dem Kabinett, worin er sich bisher verborgen gehalten, in ein anderes getreten, welches die Aussicht nach dem Saale hatte, und von wo aus er alles sehen und hören konnte, was in der Ratsversammlung vorging, wenn er einmal Unpäßlichkeit halber nicht zugegen sein konnte und sein Großwesir darin an seiner Statt den Vorsitz führte. Was ihm gleich anfangs sehr gut gefiel, war, daß Abu Hassan auf seinem Throne sich fast mit ebenso vieler Würde benahm als er selber.

Sobald als Abu Hassan Platz genommen hatte, trat der Großwesir herein, warf sich am Fuße des Thrones nieder, stand wieder auf und redete ihn mit den Worten an: »Beherrscher der Gläubigen, Gott möge Euer Majestät mit seiner Gunst in diesem Leben überhäufen, Euch sodann im andern Leben in sein Paradies aufnehmen und Eure Feinde in die Flammen der Hölle stürzen!«

Abu Hassan konnte nach dem, was ihm seit seinem Erwachen begegnet war, und was er aus dem Munde des Großwesirs vernommen hatte, nicht mehr zweifeln, daß er wirklich Kalif sei, so wie er es sich immer gewünscht hatte. Ohne daher erst lange zu fragen, wie oder durch welchen Zufall eine so unerwartete Glücksveränderung mit ihm vorgegangen, faßte er auf der Stelle den Entschluß, von seiner Macht Gebrauch zu machen. Er sah also den Großwesir mit einer würdevollen Miene an und fragte ihn, ob er ihm etwas zu sagen hätte.

»Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte der Großwesir, »die Emire, die Wesire und die übrigen Staatsdiener, welche Sitz und Stimme in der Ratsversammlung Euer Majestät haben, sind vor der Türe und warten bloß auf den Augenblick, wo Euer Majestät ihnen erlauben wird, hereinzutreten und Euch die gewöhnliche Ehrfurcht zu bezeigen.« Abu Hassan befahl sogleich, daß man ihnen öffnen sollte. Der Großwesir drehte sich um und wandte sich an den Obertürsteher, der bloß auf Befehle wartete. »Obertürsteher,« sagte er zu ihm, »der Beherrscher der Gläubigen befiehlt dir, deine Pflicht zu tun.«

Die Türe wurde geöffnet, und in diesem Augenblick traten die Emire und höchsten Beamten des Hofes, alle in prächtigen Staatskleidern und in der schönsten Ordnung, herein, näherten sich dem Fuße des Thrones und bezeigten jeder nach der Reihe Abu Hassan ihre Ehrfurcht, indem sie wie vor der Person des Kalifen ein Knie zur Erde und ihre Stirn gegen den Fußteppich neigten und ihn der Anweisung des Großwesirs zufolge mit dem Namen »Beherrscher der Gläubigen« begrüßten, worauf jeder den ihm zugehörigen Platz einnahm.

Als diese Zeremonie geendigt war und sie sich alle gesetzt hatten, erfolgte eine tiefe Stille.

Nun begann der Großwesir, der immer noch vor dem Throne stand, seinen Bericht über verschiedene Angelegenheiten, wie er sie der Reihe nach auf seinem Blatte stehen hatte. Diese Angelegenheiten waren freilich sehr alltäglich und von geringer Bedeutung. Gleichwohl benahm sich Abu Hassan bewundernswürdig. In der Tat, er stockte auch nicht einmal und geriet bei keiner in die mindeste Verlegenheit. Er erklärte sich über alles den Eingebungen des gesunden Menschenverstandes gemäß sehr richtig, mochte es nun der Fall sein, daß etwas zu bewilligen oder daß etwas abzuschlagen war.

Ehe noch der Großwesir seinen Bericht geendet hatte, bemerkte Abu Hassan den Polizeirichter, den er von Gesicht kannte, auf seinem Platze. »Warte einen Augenblick,« unterbrach er den Großwesir, »ich habe dem Polizeirichter einen dringenden Befehl zu erteilen.«

Der Polizeirichter, der seine Augen auf Abu Hassan gerichtet hatte und bemerkte, daß ihn Abu Hassan besonders ansah, hörte kaum seinen Namen nennen, als er sofort von seinem Platz aufstand, sich ehrerbietig dem Throne näherte und sich am Fuße desselben mit dem Angesicht zur Erde warf. »Polizeirichter,« sagte Abu Hassan zu ihm, nachdem er wieder aufgestanden war, »geh augenblicklich und unverzüglich in das und das Viertel und in die und die Straße. In dieser Straße steht eine Moschee, worin du einen Imam und vier Greise mit silberweißen Bärten antreffen wirst. Bemächtige dich dieser Personen und laß jedem der vier Greise hundert, dagegen dem Imam vierhundert Schläge mit dem Ochsenziemer geben. Sodann laß sie alle fünf jeden auf ein Kamel setzen, und zwar in Lumpen gekleidet und mit dem Gesichte nach dem Schweife des Kamels hingewendet. In diesem Aufzuge laß sie durch alle Viertel der Stadt führen und einen Ausrufer vor ihnen her mit lauter Stimme ausrufen: »Dies ist die Strafe derer, die sich in anderer Angelegenheiten mischen, die sie nichts angehen, und die sich ein Geschäft daraus machen, die Familien ihrer Nachbarn zu beunruhigen und unter ihnen alles mögliche Unheil zu stiften!«

Außerdem will ich auch noch, daß du ihnen ja einschärfest, in ein anderes Stadtviertel zu ziehen, mit dem Verbote, nie wieder einen Fuß in dasjenige zu setzen, aus dem sie fortgewiesen wurden. Während nun dein Unteraufseher sie in dem erwähnten Zuge herumführt, kannst du hierher zurückkommen und mir von der Vollziehung meiner Befehle Bericht abstatten.«

Der Polizeirichter legte die Hand auf den Kopf zum Zeichen, daß er bei Strafe des Verlustes desselben den soeben erhaltenen Befehl vollziehen werde. Dann warf er sich nochmals vor dem Throne nieder, stand wieder auf und entfernte sich.

Dieser mit so viel Festigkeit erteilte Befehl machte dem Kalifen ein umso größeres Vergnügen, weil er daraus ersah, daß Abu Hassan ohne Verzug die Gelegenheit, den Imam und jene Greise seines Viertels zu bestrafen, benutzte, indem ihre Bestrafung das erste war, woran er in seiner neuen Würde eines Kalifen gedacht hatte.

 

Zweihundertundachtundneunzigste Nacht.

Unterdessen fuhr der Großwesir in seinem Berichte fort und war beinahe damit fertig, als der zurückkehrende Polizeirichter erschien, um von seinem Auftrage Bericht abzustatten. Er näherte sich dem Throne und sagte zu Abu Hassan, nachdem er sich dem üblichen Brauche gemäß niedergeworfen hatte: »Beherrscher der Gläubigen! Ich habe den Imam und die vier Alten in der Moschee getroffen, welche Euer Majestät mir bezeichnete; und zum Beweise, daß ich den von Euer Majestät empfangenen Befehl treulich vollführt habe, überreiche ich Euch hier das von mehreren Ältesten des Viertels als Zeugen unterschriebene Protokoll.« Zugleich zog er vorn aus dem Busen ein Papier und überreichte es dem angeblichen Kalifen.

Abu Hassan nahm das Protokoll, las es ganz durch, selbst bis auf die Namen der Zeugen, die ihm sehr wohl bekannt waren. Als er fertig war, sagte er lächelnd zum Polizeirichter: »Ganz gut; ich bin zufrieden, und du hast es mir zu Danke gemacht; nimm jetzt wieder deinen Platz ein. – Solche Scheinheilige,« sagte er dann mit zufriedener Miene zu sich selbst, »die sich einfallen ließen, sich über meine Handlungen aufzuhalten, und die es schlecht fanden, daß ich ehrliche Leute bei mir aufnahm und bewirtete, verdienten wohl diese Strafe und Beschimpfung.« Der Kalif, der ihn beobachtete, las in seinem Innern und fühlte selber eine unbeschreibliche Freude über eine so gute Abfertigung.

Abu Hassan wandte sich hierauf an den Großwesir. »Laß dir,« sagte er zu ihm, »vom Oberschatzmeister einen Beutel mit tausend Goldstücken geben, geh damit in das Stadtviertel, in welches ich soeben den Polizeirichter schickte, und übergib ihn der Mutter eines gewissen Abu Hassan, welcher den Beinamen des Liederlichen führt. Den Mann kennt unter diesem Namen das ganze Viertel, und jeder wird dir sein Haus weisen. Jetzt geh und komm bald wieder.«

Der Großwesir Giafar legte seine Hand auf seinen Kopf zum Zeichen, daß er gehorchen werde, und nachdem er sich vor dem Throne niedergeworfen, ging er fort und begab sich zum Oberschatzmeister, der ihm den Beutel gab. Er ließ ihn durch einen der Sklaven, die ihm folgten, in Empfang nehmen und ging dann zur Mutter Abu Hassans. Er traf sie zu Hause und sagte ihr, der Kalif sende ihr dies Geschenk, ohne sich weiter darüber zu äußern. Sie empfing es mit umso größerer Überraschung, da sie gar nicht ahnen konnte, was den Kalifen zu einem bedeutenden Geschenk an sie veranlaßt haben könnte, und da sie nicht wußte, was im Innern des Palastes vorging.

Während der Abwesenheit des Großwesirs stattete der Polizeirichter über mehrere Angelegenheiten, die in seinen Geschäftskreis einschlugen, Bericht ab, und dieser dauerte bis zur Rückkehr des Wesirs. Sobald dieser wieder in den Versammlungssaal eingetreten war und Abu Hassan versichert hatte, daß er sich des erhaltenen Auftrags entledigt habe, kam Mesrur, das Oberhaupt der Verschnittenen, der sich unterdes in das Innere des Palastes zurückbegeben hatte, wieder herein und gab den Wesiren, Emiren und allen übrigen Hofbeamten ein Zeichen, daß die Ratsversammlung geendigt wäre, und daß jeder sich entfernen könnte. Dies taten sie denn auch, nachdem sie durch eine tiefe Verbeugung am Fuße des Thrones sich beurlaubt, und zwar in derselben Ordnung, wie sie hereingetreten waren. Bei Abu Hassan blieb niemand zurück als die Befehlshaber der Leibwache des Kalifen und der Großwesir.

Abu Hassan blieb nun nicht länger auf dem Throne des Kalifen. Er stieg auf dieselbe Weise, wie er hinaufgestiegen war, wieder herunter, das heißt, unterstützt von Mesrur und einem andern angesehenen Verschnittenen, die ihn unter dem Arme anfaßten und ihn bis an das Zimmer begleiteten, aus dem er herausgekommen war. Er trat hinein, und der Großwesir ging voran. Doch kaum hatte er einige Schritte getan, als er andeutete, daß ihn ein dringendes Bedürfnis anwandelte. Sogleich öffnete man ihm ein sehr reinliches, mit Marmor gepflastertes Kabinett. Zugleich überreichte man ihm ein Paar seidene, mit Gold durchwirkte Pantoffeln, die man gewöhnlich anzog, ehe man in dies Kabinett eintrat. Er nahm sie, und da er den Gebrauch derselben nicht kannte, so steckte er sie in einen seiner Ärmel, die ziemlich weit waren.

Da man sehr häufig wohl eher über eine Kleinigkeit als über etwas Wichtiges zu lachen pflegt, so fehlte diesmal wenig, daß nicht der Großwesir, Mesrur und alle übrigen Diener des Palastes, die in der Nähe waren, laut auflachten und den ganzen Scherz verdarben. Indes sie unterdrückten diese Anwandlung, und der Großwesir mußte ihm endlich erklären, daß er die Pantoffeln vor dem Eintritt in das Kabinett anziehen möchte.

Während Abu Hassan im Kabinett war, suchte der Großwesir den Kalifen auf, der sich bereits wieder an einen andern Ort begeben hatte, um fortwährend Abu Hassan ungesehen beobachten zu können, und erzählte ihm, was soeben vorgefallen war, was dem Kalifen ein neues Vergnügen gewährte.

Abu Hassan trat wieder aus dem Kabinett, Mesrur ging vor ihm her, um ihm den Weg zu zeigen, und führte ihn nach dem innern Zimmer, wo die Tafel bereits gedeckt war. Die Tür, die in dasselbe führte, ward geöffnet, und mehrere Verschnittene eilten voraus, um den Sängerinnen einen Wink zu geben, daß der angebliche Kalif sich näherte. Sogleich begannen diese ein Konzert von melodischen Stimmen und Instrumenten, welches Abu Hassan so anmutig dünkte, daß er ganz von Freude und Entzücken hingerissen wurde und gar nicht wußte, was er von dem allen denken sollte. »Wenn dies ein Traum ist,« sprach er bei sich selbst, »so dauert dieser Traum ziemlich lange. Doch nein, es ist kein Traum,« fuhr er fort; »ich fühle ja, ich denke, ich sehe, ich gehe, ich höre. Wie dem auch sein mag, ich will mich darin ganz auf Gott verlassen. Gleichwohl kann ich nicht zweifeln, daß ich wirklich Beherrscher der Gläubigen bin. Es gibt ja doch nur einen Beherrscher der Gläubigen, den der Glanz umgeben kann, der mich umgibt. Die Ehre und die Ehrfurchtsbezeigungen, die man mir erwiesen hat und noch erweist, die Befehle, die ich erteilt habe, und die vollzogen worden sind – alles dies beweist es ja hinlänglich.«

Endlich hielt es Abu Hassan für gewiß, daß er Kalif und Beherrscher der Gläubigen wäre, und er ward völlig davon überzeugt, als er sich in einem prächtigen und weiten Saale erblickte, von allen Seiten strahlte ihm Gold und der lebhafteste Farbenglanz entgegen. Sieben Chöre von Sängerinnen, eine immer schöner als die andere, umgaben diesen Saal, und sieben goldene Kronleuchter hingen an verschiedenen Stellen von der Decke herab, an welcher Gold und Azur so kunstreich angebracht war, daß es eine wundervolle Wirkung machte. In der Mitte stand eine Tafel, besetzt mit großen Schüsseln von gediegenem Golde, welche den Saal mit dem Dufte von Gewürzen und Ambra erfüllten, womit das Fleisch gewürzt war. Sieben junge Mädchen von hinreißender Schönheit und in den reichsten und glänzendsten Gewändern standen um die Tafel her. Jede derselben hatte einen Fächer in der Hand, womit sie dem Abu Hassan, während er bei Tafel saß, Luft zufächeln sollten.

Wenn jemals ein Sterblicher entzückt gewesen ist, so war es Abu Hassan, als er in diesen prächtigen Saal trat. Bei jedem Schritte blieb er stehen, um alle die schönen Sachen, die sich seinem Blicke darboten, mit Muße zu betrachten. Er wandte sich jeden Augenblick bald rechts, bald links – zum großen Behagen des Kalifen, der ihn sehr aufmerksam beobachtete. Endlich trat er bis in die Mitte vor und setzte sich zur Tafel. Sogleich setzten die sieben schönen Mädchen, die umherstanden, sämtlich mit ihren Fächern die Luft in Bewegung, um ihm Kühlung zuzuwehen. Er betrachtete eine nach der andern, und nachdem er bewundert hatte, mit welcher Anmut sie dies Geschäft verrichteten, sagte er zu ihnen mit einem huldvollen Lächeln, er glaube, daß eine einzige von ihnen hinreichend sein würde, um ihm so viel frische Luft zuzufächeln, als er nur irgend bedürfte, und er wünsche, daß die sechs übrigen sich mit ihm zu Tafel setzen möchten, drei zu seiner Rechten und drei zu seiner Linken, um ihm Gesellschaft zu leisten. Die Tafel war rund, und Abu Hassan ließ sie ringsumher Platz nehmen, damit er, wohin er auch immer den Blick wenden möchte, nur angenehmen und anziehenden Gegenständen begegnete.

Die sechs Mädchen gehorchten und setzten sich an die Tafel. Allein Abu Hassan bemerkte sehr bald, daß sie aus Ehrerbietung vor ihm nicht aßen. Dies gab ihm denn Anlaß, ihnen selber vorzulegen und sie in den verbindlichsten Ausdrücken zum Essen einzuladen und zu nötigen. Er fragte sie hierauf, wie sie denn hießen, und eine jede befriedigte seine Neugier. Ihre Namen waren: Alabasterhals, Korallenmund, Mondgesicht, Sonnenglanz, Augenweide, Herzenslust. Dieselbe Frage tat er auch an die siebente, welche den Fächer hielt, und sie antwortete ihm, sie hieße Zuckerrohr. Die Artigkeiten, die er einer jeden über ihren Namen sagte, bewiesen, daß er sehr viel Verstand hatte: und man kann sich nicht vorstellen, wie sehr dies die Achtung erhöhte, welche der Kalif, dem nichts von alledem entging, was gesprochen wurde, bereits für ihn empfand.

Als die schönen Frauen sahen, daß Abu Hassan nicht mehr aß, sagte die eine von ihnen zu den Verschnittenen, welche bei Tafel aufwarteten: »Der Beherrscher der Gläubigen will in den Saal des Nachtisches gehen; man bringe ein Handbecken.« Zugleich standen sie alle von der Tafel auf und nahmen aus den Händen der Verschnittenen die eine eine goldene Schale, die andere ein Handbecken von demselben Metall und die dritte ein Handtuch. Sie ließen sich dann vor Abu Hassan, der noch dasaß, auf ein Knie nieder und reichten ihm das Waschwasser. Als er sich gewaschen hatte, stand er auf, und in diesem Augenblick zog ein Verschnittener den Türvorhang auf und öffnete die Tür eines andern Saales, in den er eintreten sollte.

 

Zweihundertundneunundneunzigste Nacht.

Mesrur, der Abu Hassan keinen Augenblick verlassen hatte, ging vor ihm her und führte ihn in einen Saal, der ganz so geräumig wie der vorige, aber mit verschiedenen Gemälden großer Meister und mit Vasen von allerlei Metall, mit Fußteppichen und kostbarem Gerät auf eine ganz andere Weise ausgeschmückt war. Es standen in diesem Saale sieben ganz andere Chöre von Sängerinnen, die, sobald als Abu Hassan erschien, ein neues Konzert begannen. Der Saal war übrigens mit sieben andern großen Kronleuchtern geziert, und die Tafel in der Mitte war mit sieben andern großen goldenen Schalen besetzt, auf welchen alle Arten der schönsten und auserlesensten Früchte der Jahreszeit in Pyramidenform aufgetürmt waren; und ringsumher standen sieben andere junge Mädchen mit Fächern in den Händen, welche die vorigen an Schönheit noch übertrafen.

Diese ganz neuen Gegenstände setzten Abu Hassan in eine noch größere Verwunderung als vorher und bewirkten, daß er stehen blieb und alle Zeichen des Staunens und der Überraschung von sich gab. Er trat endlich an die Tafel, und nachdem er sich daran hingesetzt und die sieben Mädchen eines nach dem andern betrachtet hatte, ohne zu wissen, welchem von ihnen er den Vorzug geben solle, befahl er ihnen, daß ein jedes ihren Fächer hinlegen, sich mit an die Tafel setzen und mit ihm essen sollte, indem er meinte, die Hitze wäre nicht so groß, daß er ihres Dienstes bedürfte.

Als die schönen Frauen sich zur Rechten und Linken Abu Hassans hingesetzt hatten, wollte er vor allen Dingen wissen, wie sie hießen; und er erfuhr, daß sie ganz andere Namen als die sieben Schönen im vorigen Saale hatten, und daß jeder dieser Namen irgend eine Gemüts- oder Geisteseigenschaft bezeichnete, wodurch sich eine von der andern unterschied. Dies gefiel ihm außerordentlich, und er gab dies durch sinnreiche Bemerkungen zu erkennen, die er bei dieser Gelegenheit machte, indem er ihnen nach der Reihe aus jeder Schale Früchte überreichte. Der Kalif, der auf alle seine Handlungen und Äußerungen genau acht gab, war immer mehr vergnügt darüber, daß er in ihm einen Mann gefunden hatte, der ihn belustigte und so viel Gelegenheit gab, ihn genau kennen zu lernen.

Als Abu Hassan von allen Früchten in den Schalen nach Belieben gegessen hatte, stand er auf. Mesrur, der ihn nicht verlassen hatte, ging sogleich vor ihm her und führte ihn in einen dritten Saal, der ebenso prachtvoll verziert, ausgeschmückt und möbliert war als die beiden vorigen.

Abu Hassan fand darin sieben andere Musikchöre und sieben andere Schöne um eine Tafel herumstehend, die mit sieben goldenen Schalen besetzt war, welche mit eingemachten Sachen von den mannigfaltigsten Farben und Formen angefüllt waren. Nachdem er mit neuer Verwunderung seine Augen nach allen Seiten hin geworfen hatte, näherte er sich der Tafel beim harmonischen Klange der sieben Musikchöre, welche sogleich schwiegen, als er sich gesetzt hatte. Die sieben Mädchen setzten sich auf seinen Befehl ebenfalls an seine Seite, und da er ihnen nicht dieselbe Artigkeit erzeigen konnte wie den vorigen, nämlich ihnen selber vorzulegen, so bat er sie, daß sie von diesem Eingemachten sich selber nach ihrem Geschmack auswählen möchten. Auch erkundigte er sich nach ihren Namen, die ihm um ihrer Mannigfaltigkeit willen nicht minder gefielen als die der übrigen Schönen, und die ihm zugleich neuen Stoff an die Hand gaben, um sich mit ihnen zu unterhalten und ihnen Artigkeiten zu sagen, die ihnen ebensoviel Vergnügen machten als dem Kalifen, dem nichts von allem, was gesprochen wurde, entging.

Der Tag neigte sich bereits zu Ende, als Abu Hassan in den vierten Saal geführt wurde. Er war wie die vorigen mit dem prächtigsten und kostbarsten Gerät ausgeschmückt. Auch befanden sich darin sieben große goldene Kronleuchter mit brennenden Wachskerzen, und der ganze Saal war durch eine erstaunliche Menge von Lichtern erhellt, die eine wundervolle und überraschende Wirkung hervorbrachten. In den drei vorigen hatte man nichts Ähnliches der Art gesehen, weil dergleichen nicht nötig gewesen war. Abu Hassan fand ferner in diesem letzten Saale so wie in den drei früheren sieben neue Musikchöre, die noch anmutiger sangen und spielten als die vorigen und eine noch größere Heiterkeit einzuflößen schienen. Auch sah er da sieben andere Mädchen, die um eine Tafel herumstanden, die mit sieben goldenen Schalen besetzt war, worin sich Blätterkuchen, trockenes Konfekt von allen Gattungen und noch andere Sachen befanden, die zum Trinken reizen. Indes eines sah hier Abu Hassan, was er in den übrigen Sälen nicht gesehen hatte: nämlich einen Schenktisch mit sieben großen silbernen Flaschen voll des köstlichsten Weines und sieben kristallenen Trinkgläsern von der schönsten Arbeit neben jeder Flasche.

Bis dahin, das heißt, in den drei ersten Sälen, hatte Abu Hassan bloß Wasser getrunken – gemäß der Sitte, die zu Bagdad ebensowohl unter dem Volk und in den höheren Ständen beobachtet wird als am Hofe des Kalifen, wo man in der Regel nur des Abends Wein trinkt. Alle diejenigen, welche es anders halten, gelten für Schwelger und wagen sich nicht bei hellem Tage zu zeigen. Dieser Brauch ist umso löblicher, da man den Tag über seinen vollen Verstand nötig hat, um seinen Geschäften nachgehen zu können, und da, wenn bloß des Abends Wein getrunken wird, man bei hellem Tage nie auf den Straßen der Stadt Berauschte erblickt, welche Unordnungen verursachen.

Abu Hassan trat also in den vierten Saal und näherte sich der Tafel. Als er sich daran hingesetzt hatte, blieb er eine lange Zeit in Entzücken versunken und in Bewunderung der sieben Mädchen, die um ihn standen, und die er noch weit schöner fand als in den vorigen Sälen. Er war neugierig, den Namen einer jeden einzelnen zu wissen. Allein der laute Klang der Musik und besonders die Handtrommel, die man bei jedem Thore schlug, gestatteten ihm nicht, sich vernehmlich zu machen; er schlug daher mit den Händen zusammen, um ein Zeichen zum Aufhören zu geben; und so entstand eine tiefe Stille.

Jetzt nahm er die Schöne, die ihm rechts am nächsten stand, bei der Hand, ließ sie sich neben ihn setzen, überreichte ihr etwas Blätterkuchen und fragte sie dann, wie sie hieße. »Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte die Schöne, »mein Name ist Perlenstrauß.« – »Man konnte in der Tat,« antwortete Abu Hassan, »dir keinen passenderen und deinem Wert entsprechenderen Namen geben. Ohne indes dem, der ihn dir gegeben, im mindesten zu nahe zu treten, finde ich doch, daß deine schönen Zähne alle Perlen der Welt, auch die vom schönsten Wasser, weit hinter sich lassen. Perlenstrauß,« fuhr er fort, »da du denn so heißest, sei so gefällig, ein Glas dort zu nehmen und mir mit deiner schönen Hand zu trinken zu reichen.«

Die Schöne trat sogleich zu dem Schenktische hin und kam mit einem vollen Glase Wein zurück, welches sie Abu Hassan mit dem feinsten Anstand überreichte. Er nahm es mit vielem Vergnügen, sah sie voll Zärtlichkeit an und sagte dann zu ihr: »Perlenstrauß, ich trinke jetzt auf deine Gesundheit und bitte, daß du dir ebenfalls einschenkest und mir Bescheid tuest.« Sie eilte schnell zum Schenktische hin und kam mit einem Glase in der Hand zurück; allein ehe sie trank, sang sie ein Lied, welches ihn ebensosehr durch die Neuheit des Inhalts als durch den Zauber der Stimme, womit sie es absang, entzückte.

Nachdem Abu Hassan getrunken hatte, wählte er aus den Schalen einiges aus und überreichte es einer anderen von diesen Schönen, die er ebenfalls sich neben ihn setzen hieß. Er fragte sie ebenfalls nach ihrem Namen. Sie hieß, wie sie sagte, Morgenstern. »Deine schönen Augen,« erwiderte er, »haben mehr Glanz und Feuer als der Stern, dessen Namen du führest. Geh und mache mir das Vergnügen, mir zu trinken zu bringen.« Sie tat dies auf der Stelle, und zwar auf die artigste Weise von der Welt. Er benahm sich nun ebenso gegen die dritte, welche Tageslicht hieß, und so fort bis zur siebenten, die ihm alle zur großen Belustigung des Kalifen zu trinken einschenkten.

Nachdem Abu Hassan so viel Gläser getrunken hatte, als junge Mädchen dastanden, ging die erste von ihnen namens Perlenstrauß zum Schenktische, nahm ein Glas, schenkte es voll Wein, warf einige Finger voll von dem Pulver hinein, dessen sich der Kalif am gestrigen Tage bedient hatte, und überreichte es dann Abu Hassan mit den Worten: »Beherrscher der Gläubigen, ich bitte Euer Majestät, um Eurer Gesundheit willen noch dies Glas anzunehmen und noch vor dem Trinken ein Lied gnädigst anzuhören, welches, wie ich mir schmeichle, Euch nicht mißfallen wird. Ich habe es wenigstens erst heute fertig gedichtet und es noch niemand vorgesungen.«

»Ich bewillige dir diese Gnade sehr gern,« sagte zu ihr Abu Hassan, indem er das Glas aus ihrer Hand nahm, »und ich befehle als Beherrscher der Gläubigen in der Überzeugung, daß ein so schönes Mädchen wie du nur sehr angenehme und sinnreiche Lieder dichten kann, daß du mir es singest.« Die Schöne nahm eine Laute, spielte und sang zu dem Instrument mit so viel Richtigkeit, Anmut und Ausdruck, daß sie Abu Hassan von Anfang bis zu Ende in Entzücken erhielt. Er fand es so schön, daß er es sich von ihr noch einmal wiederholen ließ und es mit ebensoviel Vergnügen als das erstemal hörte.

Als die Schöne geendigt hatte, leerte Abu Hassan, der sie nach Verdienst loben wollte, zuvor das Glas mit einem Zuge aus. Sodann wandte er das Gesicht nach dem Mädchen hin, um mit ihr zu sprechen, ward aber durch das eingenommene Pulver daran verhindert, welches so plötzlich wirkte, daß er seinen Mund bloß lallend öffnete. Sogleich schlossen sich auch seine Augen, er ließ den Kopf wie ein Schlaftrunkener auf die Tafel herabsinken und schlief so fest ein, als er den Tag zuvor um dieselbe Stunde getan hatte, wo der Kalif ihm dasselbe Pulver eingegeben. In diesem Augenblicke fing eines von den Mädchen, die neben ihm standen, sorgfältig das Glas auf, das er aus der Hand fallen ließ. Der Kalif, welcher an diesem ganzen Scherze mehr Vergnügen gefunden, als er je gehofft, und der auch diese letzte Szene mit angesehen hatte so wie alle früheren, trat jetzt aus seinem verborgenen Orte hervor und erschien im Saale, ganz vergnügt darüber, daß ihm sein Einfall so gut geglückt war. Er befahl zuerst, dem Abu Hassan das Gewand auszuziehen, womit man ihn diesen Morgen bekleidet hatte, und ihm dafür wieder das anzulegen, das er vor vierundzwanzig Stunden angehabt hatte, als der ihn begleitende Sklave ihn nach dem Palaste trug. Er ließ sogleich denselben Sklaven rufen und sagte zu ihm, als er kam: »Da, nimm diesen Mann und trag ihn in der Stille in sein Haus und auf sein Sofa zurück, und laß beim Weggehen die Tür offen stehen.«

 

Dreihundertste Nacht.

Der Sklave ergriff Abu Hassan, trug ihn durch die verborgene Tür aus dem Palaste, legte ihn, wie der Kalif befohlen, in seinem Hause nieder und kehrte sodann eilfertig zurück, um ihm von dem, was er getan, Rechenschaft abzustatten. »Abu Hassan,« sagte hierauf Harun, »hatte sich gewünscht, bloß einen Tag lang Kalif sein zu können, um den Imam der Moschee seines Viertels und die vier Scheichs oder Greise, deren Betragen ihm nicht gefiel, bestrafen zu können. Ich habe ihm diese Gelegenheit verschafft, und er kann damit zufrieden sein.«

Abu Hassan schlief auf seinem Sofa, auf welches ihn der Sklave niedergelegt, bis tief in den folgenden Tag hinein und erwachte nicht eher, als bis das Pulver, welches man ihm in das letzte Glas geworfen, seine Wirkung getan hatte. Da nun schlug er die Augen auf und war nicht wenig überrascht, sich wieder auf seinem Zimmer zu sehen. »Perlenstrauß, Morgenstern, Korallenmund, Morgenröte, Mondgesicht!« rief er ganz laut, indem er eine jede von den Schönen des Palastes, die ihm Gesellschaft geleistet hatte, soweit er sich ihrer noch erinnern konnte, bei ihrem Namen rief, »Wo seid ihr? Kommt doch hierher!«

Abu Hassan schrie aus allen Kräften. Seine Mutter, die ihn auf ihrem Zimmer hörte, lief auf das Rufen sogleich herbei, trat in sein Zimmer und fragte ihn: »Was ist dir denn, mein Sohn? Was ist dir zugestoßen?«

Bei diesen Worten hob Abu Hassan den Kopf in die Höhe, sah seine Mutter stolz und verächtlich an und fragte sie: »Gute Frau, wen nennst du denn deinen Sohn?«

»Dich!« erwiderte die Mutter mit vieler Freundlichkeit. »Bist du nicht Abu Hassan, mein Sohn? Das wäre doch höchst seltsam, wenn du es in so kurzer Zeit vergessen haben solltest.«

»Ich dein Sohn? Abscheuliche Alte,« antwortete Abu Hassan, »du weißt nicht, was du redest, du bist eine Lügnerin! Ich bin nicht Abu Hassan, von dem du da sprichst; ich bin der Beherrscher der Gläubigen.«

»Sei doch still, mein Sohn!« fuhr die Alte fort; »du bist nicht klug; man könnte dich für einen Narren halten, wenn es jemand hörte.«

»Du bist selber eine alte Närrin,« erwiderte Abu Hassan; »ich aber bin kein Narr, wie du behauptest. Ich wiederhole dir nochmals, daß ich der Beherrscher der Gläubigen und der irdische Stellvertreter des Herrn der beiden Welten bin.«

»Ach, mein Sohn!« rief die Mutter aus. »Ist es möglich, daß ich solche Worte von dir höre, die eine so große Geistesabwesenheit verraten? Welcher böse Geist hält dich besessen und läßt dich solche Reden führen? Gottes Gnade komme über dich und befreie dich von der Macht des Satans. Du bist mein Sohn Abu Hassan, und ich bin deine Mutter.«

Nachdem sie ihm alles mögliche, was ihr nur irgend einfiel, gesagt hatte, um ihn wieder zu sich zu bringen und ihm zu zeigen, daß er im Irrtume wäre, fuhr sie weiter fort: »Siehst du nicht, daß dies Zimmer, worin du dich befindest, das deinige ist und nicht das Zimmer eines Palastes, wie es sich für einen Beherrscher der Gläubigen ziemen würde, und daß du es, seitdem du auf der Welt bist, nie vertauscht, sondern immer bei mir gewohnt hast? Überlege alles wohl, was ich dir sage, und bilde dir nicht Dinge ein, die nicht sind, und die auch gar nicht sein können. Noch einmal, mein Sohn, denke ernsthaft darüber nach.«

Abu Hassan hörte die Ermahnungen seiner Mutter ruhig an, schlug die Augen nieder und stützte sich die Hand unter das Gesicht wie einer, der in sich geht, um die Wahrheit dessen, was er sieht und hört, zu prüfen. »Ich glaube, du hast recht,« sagte er einige Augenblicke nachher, wie aus einem tiefen Schlaf erwachend, doch ohne seine Stellung zu ändern; »es kommt mir selbst so vor, daß ich Abu Hassan bin und du meine Mutter bist und dies mein Zimmer ist. Noch einmal,« fuhr er fort, indem er die Augen auf sie und auf alles warf, was sich seinen Blicken darbot, »ich bin Abu Hassan, ich zweifle nicht mehr daran und begreife nicht, wie ich mir diese Einbildung in den Kopf setzen konnte.«

Die Mutter glaubte nun wirklich, daß ihr Sohn von seiner Geistesverwirrung, die sie einem Traume zuschrieb, geheilt wäre; sie war sogar schon im Begriff, mit ihm darüber zu lachen und ihn über den Traum zu befragen, als er sich plötzlich aufsetzte, sie von der Seite ansah und ausrief: »Alte Hexe, alte Zauberin, du weißt nicht, was du redest; ich bin weder dein Sohn, noch bist du meine Mutter. Du täuschest dich selber und willst mich ebenfalls überreden. Ich sage dir, ich bin Beherrscher der Gläubigen, und du wirst mir nicht das Gegenteil weismachen.«

»Ich bitte dich, mein Sohn, befiehl dich Gott und enthalte dich solcher Reden, damit dich nicht der Himmel strafe. Laß uns lieber von etwas anderem reden. Ich will dir erzählen, was gestern in unserem Viertel dem Imam unserer Moschee und vier Scheichs unter unseren Nachbarn begegnet ist. Der Polizeirichter ließ sie verhaften, und nachdem er ihnen vor seinen Augen einem jeden, ich weiß nicht wie viel Schläge mit dem Ochsenziemer hatte geben lassen, ließ er durch einen Ausrufer bekanntmachen, dies sei die Strafe für diejenigen, die sich in Angelegenheiten mischten, die sie nichts angingen, und die es sich zum Geschäfte machten, die Familien ihrer Nachbarn zu beunruhigen. Endlich ließ er sie unter demselben Ausrufe durch alle Stadtviertel führen und verbot ihnen, jemals wieder einen Fuß in unser Stadtviertel zu setzen.«

Die Mutter Abu Hassans, die sich nicht einbilden konnte, daß ihr Sohn an dem Abenteuer, welches sie erzählte, irgend Anteil gehabt, hatte absichtlich das Gespräch auf etwas anderes geleitet und betrachtete die Erzählung dieses Vorfalls als ein Mittel, ihn aus dem Irrtums zu reißen, worin er sich befand.

 

Dreihundertunderste Nacht.

Allein es erfolgte gerade das Gegenteil. Anstatt in ihm den Gedanken, daß er Beherrscher der Gläubigen sei, auszulöschen, diente diese Erzählung gerade dazu, denselben wieder zurückzurufen und nur noch tiefer seiner Einbildungskraft einzuprägen, so daß er ihm zur völligen Gewißheit ward.

Sobald daher Abu Hassan diese Erzählung angehört hatte, antwortete er: »Ich bin also weder dein Sohn noch Abu Hassan, sondern gewiß der Beherrscher der Gläubigen; nach dem, was du mir selber da erzählt hast, kann ich nicht mehr daran zweifeln, vernimm nur, daß der Imam und die vier Scheichs auf meinen Befehl so bestraft worden sind, wie du eben sagtest. Ich bin daher, sage ich dir, wahrhaftig der Beherrscher der Gläubigen; und höre deshalb auf, mir vorzureden, daß es ein bloßer Traum sei. Ich schlafe nicht, auch war ich damals so wach, als ich es in diesem Augenblicke bin, wo ich mit dir rede. Es ist mir sehr angenehm, daß du mir bestätigst, was der Polizeirichter, dem ich die Sache übertragen, mir darüber berichtet hat, das heißt, daß mein Befehl pünktlich vollzogen worden ist, und ich freue mich umsomehr darüber, da dieser Imam und die vier Scheichs offenbare Heuchler sind. Ich möchte nur wissen, wer mich an diesen Ort hierher gebracht hat. Indes, Gott sei gelobt!, soviel ist gewiß, daß ich wirklich Beherrscher der Gläubigen bin, und alle Gründe sollen mich nicht vom Gegenteil überreden.«

Die Mutter, welche weder ahnen noch sich denken konnte, warum ihr Sohn so fest und zuversichtlich behauptete, daß er Beherrscher der Gläubigen wäre, zweifelte jetzt gar nicht mehr daran, daß er den Verstand verloren hätte, da sie ihn Dinge reden hörte, die ihrem Verstande ganz unglaublich vorkamen, obwohl sie Abu Hassan gar wohl begründet schienen. In dieser Meinung sagte sie zu ihm: »Mein Sohn, ich bitte Gott, daß er sich deiner erbarme. Höre auf, solche Reden zu führen, die so ganz ohne allen Menschenverstand sind. Wende dich an Gott und bitte ihn, daß er dir vergebe und dir die Gnade widerfahren lasse, daß du wieder wie ein vernünftiger Mensch reden könnest. Was würde man von dir sprechen, wenn man dich so reden hörte? Weißt du nicht, daß die Wände Ohren haben?«

Anstatt daß so schöne Ermahnungen das Gemüt Abu Hassans hätten beruhigen sollen, erbitterten sie ihn nur noch mehr. Er fuhr heftig gegen seine Mutter auf und sagte zu ihr: »Alte, ich habe dir schon einmal Stillschweigen geboten; wenn du jetzt noch ein Wort weiter sprichst, so werde ich aufstehen und dich so behandeln, daß du es dein Lebelang fühlen sollst. Ich bin Kalif und Beherrscher der Gläubigen, und du mußt mir es glauben, wenn ich dir es sage.«

Die gute Frau, welche sah, daß ihr Sohn, anstatt wieder zur Besinnung zu kommen, dieselbe vielmehr nur noch mehr verlor, überließ sich jetzt ganz ihren Tränen und Wehklagen, schlug sich ins Gesicht und an die Brust und tat Äußerungen, die ihre Bestürzung und ihre tiefe Betrübnis über die Geistesabwesenheit ihres Sohnes verrieten.

Abu Hassan, anstatt sich zu beruhigen und sich durch die Tränen seiner Mutter rühren zu lassen, vergaß im Gegenteil sich so weit, daß er sogar die natürliche Achtung gegen sie aus den Augen setzte. Er sprang mit Ungestüm auf, ergriff einen Stock und drang mit emporgehobenem Arme wie ein Rasender auf sie ein. »Verwünschte Alte,« rief er ihr in seiner Narrheit in einem Tone zu, der jeden andern außer seiner Mutter erschreckt haben würde, »sage mir auf der Stelle, wer ich bin!«

»Mein Sohn,« antwortete die Mutter, ohne zu erschrecken, indem sie ihn zärtlich ansah, »ich glaube nicht, daß Gott dich so sehr verlassen hat, daß du diejenige, welche dich geboren hat, und dich selber nicht mehr kennen solltest. Ich täusche dich nicht, wenn ich dir sage, daß du mein Sohn Abu Hassan bist, und daß du sehr unrecht daran tust, dir einen Titel anzumaßen, der bloß deinem und meinem Herrn und Gebieter, dem Kalifen Harun Arreschid, zukommt, der noch dazu uns beide, mich und dich, mit Wohltaten überhäuft, wie das Geschenk beweist, welches er mir gestern übersandt hat. Denn du mußt nur wissen, daß der Großwesir Giafar gestern persönlich sich bemühte, mich aufzusuchen, mir einen Beutel mit tausend Goldstücken einhändigte und mir zugleich sagte, ich möchte für den Beherrscher der Gläubigen, der mir dieses Geschenk sendete, zu Gott beten. Und ist dies Geschenk nicht weit mehr für dich als für mich, die ich nur noch ein paar Tage zu leben habe?«

Bei diesen Worten konnte sich Abu Hassan nicht länger halten. Die näheren Umstände des Geschenks zeigten ihm, daß er sich nicht täuschte, und überredeten ihn nur noch mehr, daß er wirklich der Kalif wäre, da der Wesir den Beutel ja nur auf seinen Befehl gebracht hatte. »Wohlan denn, alte Hexe!« rief er aus, »wirst du dich endlich überzeugen, wenn ich dir sage, daß ich es war, der dir durch den Großwesir Giafar die tausend Goldstücke überbringen ließ, welch letzterer bloß meinen ihm gegebenen Befehl vollzog? Indes, anstatt mir zu glauben, suchst du bloß durch widersprechen und durch hartnäckiges Behaupten, als sei ich dein Sohn, mich verwirrt zu machen. Allein ich werde deine Bosheit nicht länger unbestraft lassen.« Als er diese Worte gesprochen, war er im Übermaße seiner Raserei so unmenschlich, sie mit dem Stocke, den er in der Hand hielt, auf das unbarmherzigste zu mißhandeln.

 

Dreihundertundzweite Nacht.

Die arme Mutter, welche nicht geglaubt hatte, daß ihr Sohn so schnell von Drohungen zu Tätlichkeiten übergehen würde, fing beim ersten, Schlage an, aus Leibeskräften um Hilfe zu rufen. Doch Abu Hassan hörte, bis die Nachbarn herbeigelaufen kamen, nicht auf, sie zu schlagen, indem er sie bei jedem Schlage fragte: »Bin ich Beherrscher der Gläubigen?«, worauf die Mutter dann jedesmal sehr liebevoll antwortete: »Du bist mein Sohn.«

Die Wut Abu Hassans begann ein wenig nachzulassen, als die Nachbarn in sein Zimmer geeilt kamen. Der erste, welcher hereintrat, warf sich sogleich zwischen seine Mutter und ihn, riß ihm den Stock aus der Hand und sagte zu ihm: »Was tust du, Abu Hassan? Hast du deine Vernunft und alle Furcht vor Gott verloren? Hat es wohl je ein wohlgezogener Sohn, wie du bist, gewagt, seine Hand gegen seine Mutter aufzuheben, und schämst du dich nicht, die deinige, welche dich so zärtlich liebt, so zu behandeln?«

Abu Hassan, der noch ganz voll Wut war, sah denjenigen, der mit ihm redete, stillschweigend an und fragte hierauf, indem er auf die übrigen mitgekommenen Nachbarn unstete Blicke warf: »Wer ist dieser Abu Hassan, von dem Ihr sprecht? Meint Ihr mich mit diesem Namen?«

Diese Frage brachte die Nachbarn etwas außer Fassung. »Wie?« erwiderte derselbe, der zuerst gesprochen hatte; »du willst diese Frau da nicht mehr für diejenige anerkennen, die dich erzogen hat, und bei der du seither fortwährend gewohnt hast, mit einem Worte, nicht für deine Mutter?« – »Du bist ein Unverschämter,« antwortete Abu Hassan; »ich kenne sie so wenig als dich, und ich mag sie auch nicht kennen. Ich bin nicht Abu Hassan, sondern der Beherrscher der Gläubigen, und wenn Ihr das noch nicht wißt, so werde ich es Euch auf Eure Unkosten lehren lassen.«

Bei diesen Reden Abu Hassans zweifelten die Nachbarn nicht mehr an seiner Geistesabwesenheit, und um zu verhindern, daß er sich noch einmal wieder an seiner Mutter vergreisen möchte, packten sie ihn ungeachtet seines Widerstrebens ganz fest und banden ihm Arme, Hände und Füße. Obwohl er nun in einem Zustande war, wo er nicht mehr schaden zu können schien, hielten sie es gleichwohl nicht für angemessen, ihn mit seiner Mutter allein zu lassen. Zwei von der Gesellschaft entfernten sich, gingen schleunigst nach dem Narrenhause und gaben dem Aufseher desselben einen Wink von dem, was da vorging. Dieser begab sich sogleich mit den Nachbarn und in zahlreicher Begleitung seiner Leute mit Ketten, Handschellen und einem Ochsenziemer dahin.

Abu Hassan, der auf nichts weniger als auf so schreckliche Anstalten gefaßt war, strengte sich bei Ankunft dieser Leute aufs äußerste an, um sich seiner Bande zu entledigen; allein der Narrenwärter ließ sich den Ochsenziemer reichen und brachte ihn durch zwei bis drei tüchtige Hiebe, die er ihm auf die Schultern gab, sehr bald wieder zur Vernunft. Diese Behandlung wirkte auf Abu Hassan so gut, daß er sich mäßigte, und daß der Narrenhausaufseher und seine Leute mit ihm machen konnten, was sie wollten. Sie banden ihn mit Ketten, legten ihm Hand- und Fußschellen an, und als sie fertig waren, schleppten sie ihn aus seiner Wohnung und führten ihn ins Narrenhaus.

Abu Hassan war kaum auf der Straße, als er sich auch schon von einer Menge Volks umringt sah. Der eine gab ihm einen Faustschlag, ein anderer eine Ohrfeige, noch andere überhäuften ihn mit Schmähworten, indem sie ihn als einen Unsinnigen, Narren und Verrückten behandelten.

Bei all dieser schlechten Behandlung sagte er: »Es gibt keine Größe und keine Kraft als in dem höchsten und allmächtigen Gott! Man will mich zum Narren machen, obwohl ich bei gesundem Verstande bin; ich erdulde indes diese Schmach und diese Beschimpfung um Gottes Barmherzigkeit willen.«

Abu Hassan wurde nun auf diese Weise ins Narrenhaus geführt. Man brachte ihn da unter und sperrte ihn in einen eisernen Käsig. Ehe er indessen dahinein verschlossen wurde, begrüßte ihn der Narrenwärter, der zu dergleichen gewaltsamen Verfahren schon ganz abgehärtet war, ganz unbarmherzig mit fünfzig Hieben mit dem Ochsenziemer auf die Schultern und den Rücken und fuhr länger als drei Wochen lang damit fort, daß er ihm täglich dieselbe Tracht Schläge erteilte und ihm jedesmal die Worte wiederholte: »Komm wieder zu Verstande und sage, ob du noch Beherrscher der Gläubigen bist!«

»Ich brauche deinen guten Rat nicht,« erwiderte Abu Hassan; »ich bin kein Narr; aber wenn ich es werden sollte, so würde nichts so sehr imstande sein, mich in dieses Unglück zu stürzen, als die Schläge, womit du mich mißhandelst.«

Die Mutter Abu Hassans besuchte unterdes ihren Sohn regelmäßig jeden Tag. Sie konnte sich der Tränen nicht enthalten, wenn sie seine Leibesfülle und seine Kräfte so hinschwinden sah und ihn über die Schmerzen, die er empfand, klagen und seufzen hörte. In der Tat waren seine Schultern, seine Seiten und sein Rücken braun und blau geschlagen, und er wußte nicht, auf welche Seite er sich wenden und legen sollte, um Ruhe zu finden; auch schälte sich ihm während seiner Verhaftung in diesem abscheulichen Aufenthaltsorte mehrere Male die Haut ab. Seine Mutter wollte ihm Trost zusprechen und ihn auszuforschen suchen, ob er in Hinsicht seiner angeblichen Kalifenwürde noch immer in derselben Geistesstimmung sich befände; allein sooft sie den Mund öffnete, um etwas der Art zu berühren, wies er sie mit so viel Ungestüm zurück, daß sie sich genötigt sah, ihn zu lassen und untröstlich über eine solche Hartnäckigkeit heimzukehren.

Die tiefen und mächtigen Eindrücke, welche in Abu Hassans Seele von jenem Tage zurückgeblieben waren, wo er sich im Staatskleide des Kalifen gesehen, alle Geschäfte desselben verrichtet, die Gewalt desselben ausgeübt und ganz so wie ein Kalif Gehorsam gefunden hatte, diese Eindrücke, die ihm bei seinem Erwachen vorgespiegelt hatten, er wäre es wirklich, und die ihn so lange Zeit in diesem Irrtums festgehalten hatten, fingen allmählich an, in seiner Seele zu erlöschen.

»Wenn ich wirklich Kalif und Beherrscher der Gläubigen wäre,« sprach er bisweilen zu sich selbst, »warum befand ich mich denn bei meinem Erwachen auf meinem Zimmer und in meiner gewöhnlichen Kleidung? Warum sah ich nicht mehr das Oberhaupt der Verschnittenen, alle die übrigen Verschnittenen und jene Menge von schönen Frauen um mich? Warum sollten der Großwesir Giafar, den ich zu meinen Füßen sah, so viele Emire, so viele Statthalter der Provinzen und so viele andere Hofbeamte, von denen ich mich umgeben sah, mich auf einmal verlassen haben? Gewiß, wenn ich die mindeste Gewalt über sie hätte, würden sie mich längst aus dem jämmerlichen Zustande, worin ich mich befinde, befreit haben. Aber alles war bloßer Traum, ich muß mich schon dazu bequemen, es zu glauben. Freilich habe ich wohl dem Polizeirichter befohlen, den Imam und die vier Greise, die seine Ratgeber sind, zu bestrafen; ich habe ferner dem Großwesir Giafar aufgetragen, meiner Mutter tausend Goldstücke zu überbringen: und meine Befehle sind vollzogen worden. Dies macht mich wieder stutzig, und ich kann es nicht begreifen. Aber wie viele andere Dinge gibt es nicht, die ich nicht begreife und nie begreifen werde! Ich will mich also hierin der Hand Gottes übergeben, der alles weiß und alles kennt.«

 

Dreihundertunddritte Nacht.

Abu Hassan war noch ganz in diese Betrachtungen und Gedanken vertieft, als seine Mutter hereintrat. Als sie ihn so mager und abgezehrt sah, flossen ihre Tränen reichlicher, als es bis dahin der Fall gewesen war. Mitten unter ihrem Schluchzen begrüßte sie ihn mit dem gewöhnlichen Gruße, und Abu Hassan erwiderte ihn ganz gegen seine bisherige Gewohnheit zum ersten Male wieder. Sie nahm dies für eine günstige Vorbedeutung, trocknete sich die Tränen aus den Augen und sagte zu ihm: »Nun, mein Sohn, wie geht es dir? In welcher Gemütsstimmung befindest du dich? Hast du die Einbildungen und Reden, welche der böse Geist dir eingegeben hat, wieder fahren lassen?«

»Meine Mutter,« erwiderte Abu Hassan mit einer ruhigen und gesetzten Stimmung und in einem Tone, in dem der tiefe Schmerz über das, was er gegen sie begangen, sich ausdrückte, »ich erkenne meine Verirrung; aber ich bitte dich, mir jenes abscheuliche und verruchte Verbrechen zu verzeihen, dessen ich mich gegen dich schuldig gemacht habe. Ein Gleiches bitte ich von meinen Nachbarn wegen des Ärgernisses, das ich ihnen gegeben habe. Ich bin durch einen Traum verführt worden, aber durch einen so außerordentlichen und wahrscheinlichen, daß ich für gewiß behaupten kann, jeder andere, dem er begegnet wäre, würde davon nicht minder ergriffen worden sein und würde vielleicht noch größere Narrheiten, als Ihr von mir gesehen habt, begangen haben. Selbst in dem gegenwärtigen Augenblicke bin ich noch so verwirrt davon, daß ich mich kaum überreden kann, es sei ein Traum gewesen, so viel Ähnlichkeit hat er mit dem, was unter Leuten, die wach sind, vorgeht. Wie dem auch sein mag, ich halte es für einen Traum und für eine Täuschung und will es fortwährend dafür halten. Ich bin selbst überzeugt, daß ich nicht jene Traumgestalt von Kalif und Beherrscher der Gläubigen, sondern dein Sohn Abu Hassan bin. Ja, ich bin der Sohn einer Mutter, die ich stets geehrt habe bis zu jenem unglücklichen Tage, dessen Andenken mich mit Beschämung erfüllt, einer Mutter, die ich ehre und mein ganzes Leben hindurch ehren werde, wie sich's gebührt.«

Bei diesen verständigen und vernünftigen Äußerungen verwandelten sich die Tränen der Betrübnis, des Mitleids und der Bekümmernis, welche Abu Hassans Mutter seit langer Zeit geweint hatte, in Tränen der Freude, des Trostes und der Zärtlichkeit für ihren teuern Sohn, den sie wiedergefunden hatte. »Mein Sohn,« rief sie ganz außer sich, »indem ich dich nach dem allen, was vorgegangen ist, wieder so vernünftig reden höre, fühle ich mich fast ebenso vergnügt und entzückt, als ob ich dich noch einmal zur Welt geboren hätte. Ich muß dir jetzt nur meine Ansicht über dein Abenteuer auseinandersetzen und dich auf einen Umstand aufmerksam machen, den du bis jetzt vielleicht nicht beachtet hast. Der Fremde, den du eines Abends zum Abendessen mitbrachtest, ging fort, ohne daß er, wie du es ihm doch anempfahlst, die Tür deines Gemachs zuschloß, und dies, glaube ich, gab dem bösen Geiste Gelegenheit, in dasselbe hineinzugelangen und dich in die entsetzliche Täuschung zu versetzen, worin du dich befandest. Du mußt daher, mein Sohn, Gott danken, daß er dich davon befreit hat, und ihn bitten, daß er dich künftig vor den Fallstricken des bösen Geistes bewahre.«

»Du hast die Quelle meines Unglücks richtig entdeckt,« antwortete Abu Hassan, »gerade die Nacht war es, wo ich diesen Traum hatte, der mein Gehirn so zerrüttete. Ich hatte dem fremden Kaufmann ausdrücklich den Wink gegeben, daß er die Türe hinter sich zumachen möchte, und ich merke jetzt, daß er es nicht getan hat. Ich bin nun mit dir davon überzeugt, daß der böse Geist die Tür offen gesunden hat, hereingedrungen ist und mir alle diese Einbildungen in den Kopf gesetzt hat. Man mag vermutlich zu Mossul, wo dieser Kaufmann her war, das nicht wissen, was uns hier in Bagdad nur zu wohl bekannt ist, daß nämlich der böse Geist alle die bösen Träume veranlaßt, die uns des Nachts beunruhigen, wenn man die Türe des Schlafzimmers offen gelassen hat. Da ich nun durch Gottes Gnade von der Geistesverwirrung, worin ich mich befand, völlig wieder hergestellt bin, so bitte ich dich um Gottes willen und so inständig, als nur ein Sohn eine so gute Mutter, wie du bist, bitten kann, bringe mich so schnell als möglich aus dieser Hölle und befreie mich aus den Händen des Henkers, der, wenn ich noch länger hier bleibe, mein Leben unfehlbar abkürzen wird.«

Abu Hassans Mutter, die jetzt völlig getröstet und gerührt darüber war, als sie ihren Sohn von seiner törichten Einbildung gänzlich hergestellt sah, ging auf der Stelle hin und suchte den Aufseher des Hauses auf, der ihn dahin gebracht und bisher unter seiner Leitung gehabt hatte. Sobald sie diesen versichert hatte, daß ihr Sohn jetzt wieder ganz bei Verstande wäre, kam er herein, untersuchte ihn und setzte ihn vor ihren Augen in Freiheit.

Abu Hassan kehrte in seine Wohnung zurück und blieb mehrere Tage zu Hause, um seine Gesundheit durch kräftigere Nahrungsmittel, als er bisher im Narrenhause genossen hatte, wieder zu stärken. Indes, sobald er wieder zu seinen Kräften gelangt war und von der in seiner Gefangenschaft erlittenen schlechten Behandlung keine Beschwerden mehr empfand, fing es an, ihm langweilig zu werden, die Abende so ganz ohne Gesellschaft hinzubringen. Daher säumte er denn nicht, seine vorige Lebensweise wieder anzufangen, das heißt, sich täglich einen hinreichenden Speisevorrat zu besorgen, um des Abends einen neuen Gast bewirten zu können.

Der Tag, wo er seine alte Weise wieder anfing, nämlich, gegen Sonnenuntergang an das Ende der Brücke von Bagdad zu gehen und den ersten Fremden, dem er begegnete, anzureden und zur Abendmahlzeit einzuladen, war gerade der Erste des Monats, an welchem Tage, wie schon gesagt, der Kalif jedesmal zum Zeitvertreib verkleidet zu einem Tore hinauszugehen pflegte, um persönlich nachzusehen, ob irgend etwas vorginge, was der guten Ordnung zuwiderliefe, die er gleich zu Anfang seiner Regierung eingeführt hatte.

 

Dreihundertundvierte Nacht.

Abu Hassan war kaum dort angelangt und hatte sich auf eine Bank am Brückengeländer gesetzt, als er auch schon vom andern Ende der Brücke her den Kalifen, wie das erstemal als Kaufmann von Mossul verkleidet und in Begleitung desselben Sklaven, wieder auf sich zukommen sah. In der Überzeugung, daß all das Unglück, welches er erlitten, einzig davon hergekommen wäre, daß dieser angebliche Kaufmann von Mossul beim Weggehen die Türe des Zimmers offen gelassen, überlief ihn beim Anblicke desselben ein kalter Schauder. »Gott behüte mich!« sprach er bei sich selbst, »da kommt ja, wo ich nicht irre, der Zauberer wieder, der mich neulich so behexte!« Er lehnte sich daher über das Brückengeländer und wandte das Gesicht nach dem Strome des Flusses hin, um ihn nicht ansehn zu dürfen, bis er vorübergegangen wäre.

Der Kalif, der den Scherz, den er sich mit Abu Hassan gemacht, noch weitertreiben wollte, hatte sich sorgfältig nach allem erkundigen lassen, was er den folgenden Tag bei seinem Erwachen gesagt und getan, und was ihm überhaupt nach seiner Rückkunft nach Hause begegnet wäre. Das, was er über ihn vernommen, sowie auch die schlimme Behandlung, die er im Narrenhause erfahren, hatten ihn sehr belustigt. Da er indes ein sehr großmütiger und gerechtigkeitsliebender Fürst war und an Abu Hassan einen Mann gefunden zu haben glaubte, der ihm noch viel Unterhaltung gewähren könnte, und da er ferner zweifelte, ob wohl Abu Hassan nach Niederlegung seiner angeblichen Kalifenwürde seine gewohnte Lebensweise noch fortsetzen würde, so hielt er es, um ihn wieder an sich zu ziehen, am angemessensten, sich am Ersten des Monats wieder in einen Kaufmann von Mossul zu verkleiden, um seinen gefaßten Entschluß besser ausführen zu können. Er erblickte also Abu Hassan fast in demselben Augenblick, als er von ihm erblickt wurde, merkte aber sehr bald aus seinem Benehmen, daß er mit ihm unzufrieden wäre, und daß er die Absicht hätte, ihm auszuweichen. Demzufolge ging er an der Seite des Brückengeländers hin, wo Abu Hassan saß. Als er ihm ganz nahe gekommen war, neigte er den Kopf und sah ihm ins Gesicht. »Bist du es, mein Bruder Hassan?« rief er aus. »Sei mir gegrüßt und erlaube mir, daß ich dich umarme!«

»Und ich,« erwiderte Abu Hassan ganz kalt, ohne den angeblichen Kaufmann aus Mossul anzusehen, »ich grüße dich nicht. Ich brauche weder deinen Gruß noch deine Umarmungen. Geh deines Weges!«

»Ei wie?« fragte ihn hierauf der Kalif; »kennst du mich denn nicht? Erinnerst du dich nicht mehr jenes Abends, den wir heute vor einem Monat auf deinem Zimmer zubrachten, wo du mir die Ehre erzeigtest, mich so freigebig zu bewirten?« – »Nein,« erwiderte Abu Hassan in dem nämlichen Tone wie zuvor; »ich kenne dich nicht und weiß nicht, wovon du da mit mir sprechen willst. Fort, ich sag es dir noch einmal, geh deines Weges!«

Der Kalif ließ sich durch die Unhöflichkeit Abu Hassans nicht abschrecken. Er wußte wohl, daß es sich Abu Hassan unter anderm zum Gesetze gemacht hatte, mit keinem der Fremden, die er einmal bewirtet hatte, noch irgend weiter Gemeinschaft zu haben, Abu Hassan hatte es ihm selbst gesagt; allein er wollte sich stellen, als wüßte er es nicht. »Ich kann es gar nicht glauben,« fuhr er fort, »daß du mich nicht mehr wiedererkennen solltest; es ist noch gar nicht so lange her, daß wir uns gesehen, und es ist nicht möglich, daß du mich so leicht vergessen haben solltest. Es muß dir irgend etwas begegnet sein, was in dir diese Abneigung gegen mich erweckt hat. Du wirst dich indes erinnern, daß ich dir meine Dankbarkeit durch die besten Wünsche an den Tag gelegt und dir sogar in Hinsicht eines gewissen Punktes, der dir sehr am Herzen lag, meinen Einfluß anbot, der gar nicht zu verachten ist.«

»Ich weiß nicht,« antwortete Abu Hassan, »von welcher Art dein Einfluß sein mag, und ich habe auch nicht die mindeste Lust, ihn auf die Probe zu stellen; ich weiß bloß so viel, daß deine guten Wünsche weiter keinen Erfolg gehabt haben als den, daß ich beinahe ein Narr geworden wäre. Ich bitte dich daher nochmals um Gottes willen, geh deine Straße und ärgere mich nicht weiter.«

»Ach, mein Bruder Hassan,« erwiderte der Kalif und umarmte ihn, »ich möchte nicht gern auf diese Art von dir scheiden! Da mein Glücksstern gewollt hat, daß ich dich noch einmal treffen sollte, so mußt du mir schon noch einmal dieselbe Gastfreundschaft erzeigen wie heute vor einem Monat und mich noch eine Flasche Wein mit dir trinken lassen.«

»Davor werde ich mich gar sehr hüten,« antwortete Abu Hassan. »Ich habe schon noch so viel Gewalt über mich, um jedes fernere Zusammensein mit einem Manne, wie du bist, zu vermeiden, der einem nur Unglück ins Haus bringt. Du kennst ja wohl das Sprichwort: Nimm deine Trommel auf die Schultern und packe dich! Wende es jetzt auf dich an. Soll ich es dir denn so oft wiederholen? Gott geleite dich! Du hast mir Unheil genug zuwege gebracht, ich mag mich dergleichen nicht ferner aussetzen.«

»Mein guter Freund Abu Hassan,« fuhr der Kalif fort und umarmte ihn nochmals, »du behandelst mich mit einer Härte, die ich mir nicht erwartet hätte. Ich bitte dich, nicht länger so beleidigende Reden gegen mich zu führen, sondern im Gegenteile von meiner Freundschaft überzeugt zu sein. Tu mir den Gefallen und erzähle mir, was dir begegnet ist – mir, der ich dir bloß Gutes gewünscht habe und noch wünsche, und der ich gern eine Gelegenheit finden möchte, dir es durch die Tat zu erzeigen, um einigermaßen das Unheil wieder gutzumachen, das ich dir, wie du sagst, zugezogen habe, wofern es anders wirklich meine Schuld ist.« Abu Hassan gab endlich den inständigen Bitten des Kalifen nach, und nachdem er ihn neben sich sitzen geheißen, sagte er zu ihm: »Deine Ungläubigkeit und Zudringlichkeit haben meine Geduld aufs äußerste gebracht. Was ich dir jetzt erzählen werde, wird dir leicht begreiflich machen, ob ich unrecht habe, wenn ich mich über dich beklage.«

Der Kalif setzte sich neben Abu Hassan, und dieser erzählte ihm nun alle die Abenteuer, die ihm von seinem Erwachen im Palaste an bis zu seinem zweiten Erwachen in seinem Gemache begegnet waren, und zwar erzählte er ihm dies alles, als ob es ein lebhafter Traum gewesen, mit einer Menge von einzelnen Umständen, die der Kalif ebensogut wußte wie er, und die das Vergnügen jenes Scherzes in ihm erneuerten. Er schilderte ihm sodann auf eine übertriebene Weise den Eindruck, den dieser Traum in seiner Seele zurückgelassen, daß er Kalif und Beherrscher der Gläubigen wäre. »Dieser Eindruck,« fuhr er fort, »stürzte mich in so große Narrheiten, daß meine Nachbarn genötigt waren, mich wie einen Wütenden zu binden und mich ins Narrenhaus zu führen, wo man mich auf eine Art behandelt hat, die wahrhaft grausam, barbarisch und unmenschlich zu nennen ist. Aber was dich am meisten überraschen wird, und worauf du gewiß nicht gefaßt bist, ist, daß mir das alles bloß durch deine Schuld begegnet ist. Du erinnerst dich wohl noch der Bitte, die ich damals an dich tat, daß du doch beim Weggehen von mir die Türe des Gemachs gut zuschließen möchtest. Du hast es indes nicht getan, sondern im Gegenteil sie offen gelassen, und so ist denn der böse Geist hereingekommen und hat mir jenen Traum in den Kopf gesetzt, der, so angenehm er mir auch vorkam, mir doch alle die Leiden zugezogen hat, über die ich mich beklage. Du bist also durch deine Nachlässigkeit schuld und verantwortlich für jenes abscheuliche und verruchte Verbrechen, welches ich beging, indem ich nicht bloß die Hand gegen meine Mutter erhob, sondern es beinahe dahin brachte, daß sie zu meinen Füßen den Geist aufgegeben und ich einen Muttermord begangen hätte, und das alles um einer Ursache willen, über die ich, sooft ich daran denke, erröten muß, weil sie mich nämlich ihren Sohn nannte, der ich wirklich bin, und mich nicht für den Beherrscher der Gläubigen anerkennen wollte, wofür ich mich gegen sie ausgab. Du bist ferner schuld an dem Ärgernis, das ich meinen Nachbarn gegeben, als sie auf das Geschrei meiner armen Mutter herbeiliefen und mich im Begriff fanden, sie halbtot zu schlagen: welches alles gar nicht vorgefallen wäre, wenn du beim Weggehen die Türe meines Zimmers, so wie ich dich gebeten, sorgfältig verschlossen hättest. Sie hätten dann ohne meine Erlaubnis gar nicht in mein Haus kommen können und wären dann also auch nicht, was mich am meisten verdrießt, Zeugen meiner Narrheit gewesen. Ich hätte sie ferner in meiner Gegenwehr dann nicht geschlagen, und sie hätten mich nicht mißhandelt und gebunden, um mich ins Narrenhaus zu führen und einzusperren, wo man mir, wie ich dich versichern kann, die ganze Zeit über, die ich darin war, täglich eine tüchtige Tracht Hiebe mit dem Ochsenziemer zu geben nicht unterlassen hat.«

Abu Hassan erzählte diese Anlässe zu Beschwerden dem Kalifen mit vieler Wärme und Heftigkeit. Der Kalif wußte besser als er, was mit ihm vorgegangen war, und freute sich im stillen über das Gelingen seines lustigen Einfalls und der Täuschung, indes konnte er die unbefangene Erzählung des ganzen Vorfalls nicht anhören, ohne laut aufzulachen.

Abu Hassan, welcher glaubte, daß seine Geschichte wohl Mitleid verdiente, und daß jedermann so viel Anteil daran nehmen müßte als er selber, ärgerte sich sehr über dies laute Auflachen des angeblichen Kaufmanns von Mossul. »Du machst dich wohl über mich lustig?« sagte er zu ihm, »da du mir so geradezu ins Gesicht lachst; oder denkst du etwa, ich scherze, wenn ich ganz ernsthaft mit dir rede? Willst du augenscheinliche Beweise von dem, was ich dir sage? Da, sieh einmal her und sage dann selbst, ob ich bloß scherze!« Bei diesen Worten bückte er sich, entblößte sich die Schultern und die Brust und zeigte dem Kalifen die Narben und die blauen Flecke, welche ihm die erhaltenen Schläge verursacht hatten.

Der Kalif konnte dies nicht ohne Entsetzen ansehen. Er fühlte Mitleid gegen den armen Abu Hassan, und es tat ihm sehr leid, seinen Scherz so weit getrieben zu haben. Er ging sofort in sich, umarmte Hassan herzlich und sagte zu ihm ganz ernsthaft: »Steh auf, mein Bruder, ich bitte dich; komm, laß uns nach deiner Wohnung gehen. Ich möchte gern das Vergnügen haben, diesen Abend angenehm mit dir hinzubringen. Morgen wirst du, so Gott will, sehen, daß alles recht gut gehen wird.«

Abu Hassan, ungeachtet seines Entschlusses und seines getanen Gelübdes, keinen Fremden öfter als einmal bei sich zu bewirten, konnte dennoch dem einschmeichelnden Zureden des Kalifen, den er immer noch für einen Kaufmann aus Mossul hielt, nicht widerstehen. »Ich will es wohl tun,« sagte er zu ihm; »aber nur unter der Bedingung, daß Ihr mir mit einem Eidschwure versprecht, beim Weggehen aus meiner Wohnung die Türe gefälligst zu verschließen, damit der böse Geist nicht wiederkommt und mein Gehirn zerrüttet, wie er es schon einmal getan hat.« Der angebliche Kaufmann versprach alles. Sie standen nun beide auf und nahmen den Weg nach der Stadt. Um sich den Abu Hassan noch mehr zu verbinden, sagte der Kalif zu ihm: »Fasse Zutrauen zu mir; ich werde mich gewiß nicht treulos beweisen; ich verspreche es dir als ehrlicher Mann. Demnach darfst du keinen Anstand nehmen, dein Zutrauen einem Manne zu schenken, der dir alles mögliche Glück und Wohl wünscht, wovon du den Erfolg bald sehen wirst.«

»Ich verlange dergleichen gar nicht von dir,« erwiderte Abu Hassan ganz kurz; »ich gebe gern deinem Andringen nach, aber ich erlasse dir alle guten Wünsche und bitte dich um Gottes willen, keinen dergleichen zu äußern. Alles Unheil, das mir bisher begegnet ist, rührt bloß von dem Offenlassen der Tür und von den Wünschen her, die du schon früher gegen mich geäußert hast.«

»Nun gut,« antwortete der Kalif, indem er bei sich selbst über die noch immer kranke Einbildungskraft Abu Hassans lächelte, »da du es wünschest, so will ich dir gehorchen, und ich verspreche, dir nie etwas zu wünschen.«

»Wenn du so sprichst, so freue ich mich,« sagte hierauf Abu Hassan; »ich verlange von dir nichts weiter und bin zufrieden, wenn du Wort hältst; das übrige erlasse ich dir gern.«

Während Abu Hassan und der Kalif, den sein Sklave begleitete, sich so unterhielten, näherten sie sich unvermerkt dem Orte ihrer Bestimmung. Der Tag fing bereits an, sich zu neigen, als sie bei Abu Hassans Hause anlangten. Dieser rief sogleich seine Mutter und ließ Licht bringen. Dann bat er den Kalifen, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und setzte sich neben ihn. Binnen kurzer Zeit ward hierauf das Abendessen aufgetragen, nachdem man den Tisch vor sie hingestellt hatte. Sie aßen ohne alle Umstände. Als sie abgegessen hatten, trug Abu Hassans Mutter alles vom Tische ab, setzte Früchte auf und stellte Wein mit Schalen neben ihren Sohn; dann entfernte sie sich und erschien nicht weiter.

 

Dreihundertundfünfte Nacht.

Abu Hassan schenkte zuerst sich selber und sodann dem Kalifen Wein ein. Sie tranken jeder etwa fünf bis sechs Becher und unterhielten sich dabei von gleichgültigen Sachen. Als der Kalif bemerkte, daß Abu Hassan anfing, vom Weine erhitzt zu werden, so brachte er das Gespräch auf Liebesgeschichten und fragte ihn, ob er wohl jemals geliebt habe.

»Mein Bruder,« erwiderte ganz zutraulich Abu Hassan, der bloß mit einem seinesgleichen zu reden wähnte, »ich habe die Liebe oder – wenn Ihr es so nennen wollt – die Ehe immer nur wie ein Joch betrachtet, dem ich mich zu unterwerfen niemals Lust gehabt habe. Bis diesen Augenblick, muß ich Euch gestehen, habe ich stets nur die Freuden der Tafel, gutes Essen und besonders guten Wein, mit einem Wort, angenehme Unterhaltungen und Zusammenkünfte mit guten Freunden geliebt. Gleichwohl kann ich Euch versichern, daß ich weder gegen die Ehe gleichgültig noch für Zuneigung unempfänglich sein würde, sobald ich nur eine Frau fände, die so schön und so liebenswürdig als die wäre, die ich jene Nacht im Traume gesehen, wo ich Euch hier zum erstenmal aufnahm, und wo Ihr zu meinem Unglücke die Tür des Zimmers offen ließet – eine Frau, die mit mir die Abende beim Weine hinbrächte, zu singen verstände, ein oder mehrere Instrumente spielte und mich angenehm zu unterhalten wüßte, mit einem Worte, die bloß darauf dächte, mir zu gefallen und mich zu erheitern. Ich glaube sogar, daß sich meine Gleichgültigkeit in die höchste Anhänglichkeit an eine solche Person verwandeln und daß ich mit ihr sehr glücklich leben würde. Aber wo sollte ich eine Frau der Art, wie ich sie eben geschildert habe, wohl in aller Welt finden können außer in dem Palaste des Beherrschers der Gläubigen oder im Hause des Großwesirs Giafar oder bei den mächtigsten Großen des Hofes, welche Gold und Silber genug haben, um sich dergleichen verschaffen zu können? Ich will mich also nur lieber an die Weinflasche halten; dies ist ein Vergnügen, das mich wenig kostet, und das ich so gut haben kann wie jene.« Bei diesen Worten ergriff er die Schale, schenkte sich Wein ein und sagte zum Kalifen: »Nehmet nur Eure Schale, damit ich Euch ebenfalls einschenken kann; wir wollen im Genuß eines so angenehmen Vergnügens nicht lässig sein.«

Als der Kalif und Abu Hassan getrunken hatten, fuhr der erstere wieder fort: »Es ist doch recht schade, daß ein so artiger Mann wie Ihr, der gegen die Liebe nicht gleichgültig ist, ein so einsames und zurückgezogenes Leben führt.«

»Es ist für mich keine Aufopferung,« erwiderte Abu Hassan, »dies ruhige Leben, welches ich, wie Ihr sehet, führe, der Gesellschaft einer Frau vorzuziehen, die vielleicht nicht einmal schön genug wäre, um mir zu gefallen, und die außerdem durch ihre Fehler und ihre üble Laune mir tausend Verdrießlichkeiten verursachen könnte.«

Sie führten ihr Gespräch über diesen Gegenstand ziemlich weit, und als der Kalif den Abu Hassan auf dem Punkte erblickte, wo er ihn wünschte, sagte er zu ihm: »Laß mich nur machen; da du den richtigen Geschmack hast, wie ihn alle rechtschaffenen Männer haben, so will ich dir schon, was du wünschest, ausfindig machen, ohne daß es dich etwas kosten soll.« Zugleich nahm er die Weinflasche und Abu Hassans Schale, in welche er sehr geschickt zwei Finger voll von dem Pulver, das er sonst schon gebraucht hatte, hineinwarf, schenkte sie ihm bis oben voll, überreichte sie ihm und sagte: »Da nimm und trink im voraus auf die Gesundheit der Schönen, die das Glück deines Lebens vollenden soll; ich denke, du wirst zufrieden sein.«

Abu Hassan nahm lächelnd die Schale, schüttelte den Kopf und sagte: »Nun aufs Geratewohl, da du es denn einmal so willst! Ich möchte nicht gern gegen dich eine Unhöflichkeit begehen, noch auch einen so schätzbaren Gast, wie du bist, um einer solchen Kleinigkeit willen vor den Kopf stoßen. Ich will also auf die Gesundheit der Schönen trinken, die du mir verheißest, obwohl ich mit meinem Schicksale ganz zufrieden bin und auf dein Versprechen gar keine Hoffnung weiter gründe.«

Abu Hassan hatte kaum den vollen Becher getrunken, als auch schon eine tiefe Schläfrigkeit wie die beiden vorigen Male seine Sinne umnebelte und dem Kalifen Gelegenheit gab, über ihn ganz nach seinem Belieben zu verfügen. Dieser befahl daher sogleich dem Sklaven, den er mitgebracht hatte, Abu Hassan zu nehmen und ihn nach dem Palaste zu tragen. Der Sklave hob ihn auf seine Schultern, und der Kalif, der nicht die Absicht hatte, den Abu Hassan wie das erstemal zurückzuschicken, schloß beim Weggehen die Türe des Zimmers zu.

Der Sklave ging mit seiner Bürde hinter ihm her, und als der Kalif im Palast angekommen war, ließ er den Abu Hassan auf ein Sofa im vierten Saale legen, aus welchem er ihn vor einem Monat im tiefsten Schlafe hatte in seine Wohnung zurücktragen lassen. Ehe man ihn da ruhig fortschlummern ließ, befahl er, daß man ihm wieder dasselbe Kleid anziehen sollte, welches er damals als angeblicher Kalif getragen hatte. Sodann befahl er, daß jeder schlafen gehen sollte, und dem Aufseher und der Dienerschaft des Innern des Palastes, den Sängerinnen und allen den Mädchen, welche sich damals im Saal befunden, als er das letzte Glas Wein mit dem Schlaftrunke zu sich genommen, trug er auf, den andern Tag ganz früh bei seinem Erwachen unfehlbar gegenwärtig zu sein, und schärfte noch einem jeden ein, seine Rolle gut zu spielen.

Der Kalif legte sich jetzt auch zu Bette, nachdem er an Mesrur hatte melden lassen, daß er ihn etwas früher wecken möchte, ehe noch die andern in den Saal träten.

Mesrur unterließ nicht, den Kalifen pünktlich zu der Stunde zu wecken, die er ihm bezeichnet hatte. Dieser ließ sich schnell ankleiden und begab sich in den Saal, wo Abu Hassan noch schlief. Er traf da die Verschnittenen, die Diener des innern Palastes, die Frauen und die Sängerinnen bereits an der Türe stehend und auf seine Ankunft wartend. Nachdem er ihnen ganz kurz angedeutet, welches eigentlich seine Absicht sei, ging er hinein und setzte sich in das dichtvergitterte Kabinett. Mesrur, die Palastdienerschaft, die Frauen und die Sängerinnen traten nach ihm hinein und reihten sich um das Sofa, auf welchem Abu Hassan lag, doch so, daß der Kalif dadurch nicht verhindert wurde, ihn zu sehen und alle seine Handlungen zu beobachten.

Nachdem alles so angeordnet und die Wirkung des Schlafpulvers vorüber war, erwachte Abu Hassan, ohne die Augen aufzuschlagen, und warf etwas Schleim aus, welcher wie das erstemal in einem kleinen goldenen Becken aufgefangen wurde. In diesem Augenblick ließen die sieben Chöre von Sängerinnen ihre reizenden Stimmen zum Klange der Hoboen, Flöten und anderen Instrumente ertönen und machten das angenehmste Konzert.

Das Erstaunen Abu Hassans war außerordentlich, als er eine so harmonische Musik hörte. Er schlug die Augen auf, und sein Erstaunen verdoppelte sich, als er die Frauen und Hofdiener bemerkte, welche um ihn her standen, und die er zu kennen glaubte. Der Saal, worin er sich befand, schien ganz der nämliche zu sein, den er in seinem früheren Traume gesehen hatte, auch fand er ihn ganz ebenso erleuchtet, ausmöbliert und verziert.

Das Konzert hörte aus, damit der Kalif auf die ganze Haltung seines Gastfreundes und auf alles, was er etwa in der Überraschung sagen möchte, aufmerksam sein konnte. Die Frauen, Mesrur und alle Diener der inneren Gemächer beobachteten das tiefste Stillschweigen und blieben ein jeder voll Ehrerbietung auf seinem Platze. »Ach!« rief Abu Hassan, indem er sich in die Finger biß, mit lauter Stimme, daß es der Kalif hören konnte, »da bin ich schon wieder in denselben Traum und in dieselbe Täuschung wie vor einem Monat verfallen. Jetzt kann ich mich nur wieder auf die Schläge mit dem Ochsenziemer, auf das Narrenhaus und auf den eisernen Käfig gefaßt halten. Allmächtiger Gott,« fügte er hinzu, »ich übergebe mich in die Hände deiner göttlichen Vorsehung! Es war ein höchst unredlicher Mann, den ich gestern abend in meinem Hause aufnahm, und der mir wiederum diese Täuschung und die davon zu erwartenden Unannehmlichkeiten zugezogen hat. Dieser Treulose und Verräter hatte mir mit einem Eidschwure versprochen, daß er beim Weggehen die Türe meines Gemachs zuschließen wollte; aber er hat es nicht getan, und so ist denn der Teufel hereingedrungen, der mir jetzt den Kopf ganz zerrüttet durch diesen verwünschten Traum von einem Beherrscher der Gläubigen und durch so viele andere Hirngespinste, womit er meine Augen verblendet und bezaubert. Gott mache dich zuschanden, Satan, und möchte doch ein großer Berg von Steinen auf dich geschüttet werden!«

 

Dreihundertundsechste Nacht.

Nach diesen Worten schloß Abu Hassan wieder die Augen und blieb ganz in sich gekehrt und in der größten Verwirrung des Geistes. Einen Augenblick nachher schlug er sie wieder auf und warf sie links und rechts auf alle die Gegenstände, die sich seinem Blicke darboten. »Großer Gott!« rief er noch einmal, obwohl mit geringerem Erstaunen und lächelnd aus, »ich übergebe mich ganz in die Hände deiner Vorsehung, beschütze mich vor den Anfechtungen des Satans!« Dann schloß er wieder die Augen und fuhr fort: »Ich weiß schon, was ich tun werde; ich will schlafen, bis der Satan mich verläßt und wieder dahin fährt, woher er gekommen ist, und sollte ich auch bis zum Mittage so liegen bleiben müssen.«

Man ließ ihm indes nicht Zeit, um, wie er es sich vorgenommen, wieder einzuschlafen. Herzensnahrung, so hieß nämlich eine von den Frauen, die er schon das erstemal gesehen hatte, näherte sich ihm und sagte zu ihm ehrfurchtsvoll: »Beherrscher der Gläubigen, ich bitte Euer Majestät um Verzeihung, daß ich mir die Freiheit nehme, Euch zu erinnern, daß Ihr doch ja nicht wieder einschlafen, sondern wo möglich erwachen und aufstehen möchtet, weil der Tag schon anzubrechen beginnt.« – »Hebe dich weg, Satan!« erwiderte Abu Hassan, als er diese Stimme vernahm. Dann sah er das Mädchen an und sagte: »Nennst du mich Beherrscher der Gläubigen? Du verkennst mich gewiß.«

»Ich gebe Euer Majestät,« antwortete das Mädchen, »diesen Titel, der Euch gehört als dem erhabenen Gebieter aller Moslemin, dessen niedrigste Sklavin ich bin, und mit dem ich zu reden mich unterstehe. Euer Majestät will sich vielleicht einen Scherz machen,« fügte sie hinzu, »und sich stellen, als vergäße sie sich selber, wofern es nicht etwa die Folge irgend eines bösen Traumes ist. Allein, wenn Ihr nur die Augen öffnen wollt, werden die Wolken, die Eure Einbildungskraft vielleicht trüben, verschwinden, und Ihr werdet sehen, daß Ihr in Eurem Palast und von Euren Dienern und Sklaven umgeben seid, die bereit sind, Euch die gewöhnlichen Dienste zu erzeigen. Übrigens darf Euer Majestät sich nicht darüber wundern, daß sie sich in diesem Saale und nicht in ihrem Bette befindet. Ihr schlieft nämlich gestern so plötzlich ein, daß wir Euch nicht erst wecken und in Euer Schlafgemach bringen wollten, sondern wir begnügten uns damit, Euch ganz bequem auf dieses Sofa hinzulegen.«

Das Mädchen sagte Abu Hassan noch vieles andere, was ihm wahrscheinlich vorkam, so daß er sich endlich aufsetzte. Er schlug die Augen auf und erkannte sowohl sie, die Sprechende, als auch die schöne Perlenstrauß und alle die andern Schönen, die er bereits gesehen hatte. Nun näherten sie sich ihm sämtlich, und die schöne Herzensnahrung nahm wieder das Wort und sagte: »Beherrscher der Gläubigen und Stellvertreter des Propheten auf Erden! Euer Majestät wird es nicht ungnädig aufnehmen, wenn wir Euch aufmerksam machen, daß es Zeit zum Aufstehen ist; schon bricht der Tag an.«

»Was seid Ihr doch für wunderliche und zudringliche Leute,« erwiderte Abu Hassan, indem er sich die Augen rieb, »ich bin nicht der Beherrscher der Gläubigen, ich bin Abu Hassan, ich weiß es recht gut, und Ihr werdet mir nie das Gegenteil einreden.« – »Wir kennen den Abu Hassan gar nicht, von welchem Euer Majestät redet,« antwortete Herzensnahrung, »wir wollen ihn auch gar nicht erst kennen lernen. Wir erkennen Euer Majestät für den Beherrscher der Gläubigen, und Ihr werdet uns niemals überreden können, daß Ihr es nicht seid.«

Abu Hassan warf seine Augen nach allen Seiten hin und war ganz entzückt, sich in demselben Saale wiederzusehen, worin er sich früher bereits befunden hatte; aber er schrieb dies alles wieder einem Traume zu, wie der war, den er schon früher gehabt, und dessen schlimme Folgen er fürchtete. »Gott sei mir gnädig!« rief er mit emporgehobenen Augen und Händen aus gleich einem Menschen, der nicht weiß, wo er ist; »ich gebe mich ganz in deine Hand! Nach dem allen, was ich da sehe, kann ich nicht mehr daran zweifeln, daß der Teufel, der in mein Gemach gedrungen ist, mich besitzt und meine Phantasie mit diesen Traumgesichten beunruhigt.« Der Kalif, der ihn betrachtete und alle seine Ausrufungen hörte, fing so herzlich an zu lachen, daß er Mühe hatte, den lauten Ausbruch desselben zu unterdrücken.

Abu Hassan hatte sich indes wieder gelegt und die Augen geschlossen. Sogleich sagte Herzensnahrung zu ihm: »Beherrscher der Gläubigen! Da Euer Majestät, obwohl wir unserer Pflicht gemäß sie benachrichtigt haben, daß es Tag ist, noch nicht aufsteht, und da es durchaus nötig ist, daß Ihr den Regierungsgeschäften obliegt, so werden wir uns der Erlaubnis bedienen, die Ihr uns für Fälle der Art erteilt habt.« Zugleich faßte sie ihn bei dem einen Arm und rief die andern Mädchen herbei, die ihn aus dem Bette heben halfen und ihn sozusagen bis in die Mitte des Saales trugen, wo sie ihn dann hinsetzten. Hierauf faßten sie sich bei den Händen und tanzten und hüpften um ihn herum beim Klange aller Instrumente und Handtrommeln, die man über seinem Kopfe und vor seinen Ohren erschallen ließ.

Abu Hassan befand sich in einer unbeschreiblichen Verlegenheit. »Sollte ich wirklich Kalif und Beherrscher der Gläubigen sein?« sagte er bei sich selbst. Endlich wollte er in der Ungewißheit, worin er sich befand, etwas sprechen; allein der laute Schall aller der Instrumente hinderte ihn, sich verständlich zu machen. Er gab also den Schönen Perlenstrauß und Morgenstern, die, um ihn herumtanzend, sich bei den Händen gefaßt hielten, einen Wink, daß er sprechen wollte. Sogleich ließen sie den Tanz und das Spiel der Instrumente einstellen und näherten sich ihm. »Lüget ja nicht,« sagte er ganz offen zu ihnen, »und saget mir die Wahrheit, wer ich eigentlich bin.«

»Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte die schöne Morgenstern, »Euer Majestät will uns gewiß durch diese Frage bloß überraschen, als ob Ihr nicht selber wüßtet, daß Ihr der Beherrscher der Gläubigen seid und der irdische Stellvertreter des Propheten Gottes, des Herrn beider Welten, sowohl der diesseitigen, worin wir leben, als auch der jenseitigen nach dem Tode. Wo nicht, so muß ein ganz besonderer Traum Euch haben vergessen lassen, was Ihr seid. Es kann dies vielleicht nicht ganz ohne Grund sein, wenn man bedenkt, daß Euer Majestät diese Nacht länger als gewöhnlich geschlafen hat; gleichwohl, wenn Ihr es mir erlauben wollt, so werde ich Euch an alles erinnern, was Ihr gestern den ganzen Tag getan habt.« Sie erzählte ihm nun seinen Gang in die Ratsversammlung, die Bestrafung des Imams und der vier Greise durch den Polizeirichter, die Schenkung von tausend Goldstücken, welche durch den Großwesir der Mutter eines gewissen Abu Hassan überbracht worden, ferner, was im Innern des Palastes vorgegangen und bei den drei Mahlzeiten, die ihm in den drei Sälen vorgesetzt worden, bis zuletzt. »In diesem Saale,« fuhr sie fort, »war es, wo Euer Majestät uns an ihrer Seite bei Tafel Platz nehmen ließ und uns die Ehre erwies, unsern Gesang anzuhören und aus unsern Händen Wein anzunehmen, bis Euer Majestät auf die von meiner Vorgängerin erzählte Art einschlief. Seitdem habt Ihr wider Eure Gewohnheit ununterbrochen in einem tiefen Schlafe gelegen bis diesen Augenblick, wo es schon Tag ist. Perlenstrauß nebst allen übrigen Sklavinnen und Dienern, die hier zugegen sind, werden dies bestätigen. Möge daher Euer Majestät sich in den Stand setzen, das Gebet zu verrichten; denn es ist bereits Zeit dazu.«

»Gut, gut,« erwiderte Abu Hassan, indem er den Kopf schüttelte, »ihr würdet mich zuletzt wohl noch überreden, wenn ich euch anhören wollte. Was mich indes betrifft, so sage ich euch, daß ihr Törinnen seid und euren Verstand verloren habt, was freilich sehr schade ist, da ihr so hübsche Mädchen seid. Ihr müßt wissen, daß ich, seitdem ich euch nicht gesehen, zu Hause gewesen bin, meine Mutter daselbst schlecht behandelt habe, darauf ins Narrenhaus geführt worden und darin wider meinen Willen länger als drei Wochen geblieben bin, während welcher der Aufseher des Hauses nicht unterlassen hat, mir täglich eine Tracht von fünfzig Hieben mit dem Ochsenziemer geben zu lassen. Und ihr meint dennoch, daß dies alles nur ein Traum gewesen sei? Ihr spottet meiner bloß.«

»Beherrscher der Gläubigen,« antwortete Morgenstern, »wir alle, so viel unser hier sind, erbieten uns bei allem, was Euch irgend teuer ist, zu schwören, daß alles, was Euer Majestät da erzählt, bloß ein Traum ist. Seit gestern seid Ihr nicht aus diesem Saale gekommen, und Ihr habt die ganze Nacht bis diesen Augenblick ohne Unterlaß geschlafen.«

Die Zuversichtlichkeit, womit das Mädchen beteuerte, daß alles, was sie ihm sagte, wahr wäre, und daß er gar nicht aus dem Saale herausgekommen, versetzte ihn nochmals in einen solchen Zustand, daß er nicht wußte, was er von sich und von dem, was er sah, glauben sollte. Er blieb eine Weile in Gedanken versunken. »O Himmel,« sagte er bei sich selbst, »bin ich Abu Hassan? Bin ich Beherrscher der Gläubigen? Allmächtiger Gott, kläre meinen Verstand auf, laß mich die Wahrheit erkennen, damit ich weiß, woran ich mich halten soll.« Er entblößte hierauf seine Schultern, die von den empfangenen Schlägen noch ganz braun und blau waren, zeigte sie den Mädchen und sagte: »Da sehet und urteilet, ob solche Wunden einem im Traum oder im Schlafe kommen können. Ich meinerseits kann euch versichern, daß sie nur zu wirklich sind; und der Schmerz, den ich noch jetzt davon empfinde, ist mir ein sicherer Bürge, der mich nicht daran zweifeln läßt. Wenn dies dennoch mir im Schlafe begegnet sein sollte, so wäre das die seltsamste und erstaunenswürdigste Sache von der Welt, und ich gestehe es, das übersteigt meine Begriffe.«

In der Ungewißheit, worin sich Abu Hassan hinsichtlich seines Zustandes befand, rief er einen von den Dienern des Kalifen, die gerade in seiner Nähe standen, herbei und sagte zu ihm: »Komm her und beiße mich ins Ohrläppchen, damit ich daraus abnehmen kann, ob ich schlafe oder wache.« Der Diener näherte sich, faßte das Ohrläppchen mit den Zähnen und kniff ihn so stark, daß Abu Hassan laut aufschrie.

Bei diesem Schrei spielten auf einmal wieder alle Instrumente, und die Mädchen und Diener des Hofes fingen an, um Abu Hassan herum so rauschend zu tanzen, zu singen und zu hüpfen, daß er in eine Art von Entzückung geriet, die ihn zu tausend Torheiten verleitete. Er fing an zu singen wie die andern; er riß sich das Kalifenkleid ab, das man ihm angelegt hatte, warf die Mütze zu Boden, die er auf dem Kopfe hatte, und im bloßen Hemde und in Unterbeinkleidern sprang er ungestüm auf, warf sich zwischen zwei Mädchen, die er bei den Händen faßte, und fing an, mit einem so lebhaften Gebärdenspiel und mit so lustigen und possenhaften Verdrehungen des Leibes zu tanzen und zu springen, daß der Kalif an dem Orte, wo er sich befand, sich nicht mehr halten konnte. Die plötzliche Lustigkeit Abu Hassans brachte ihn zu einem so lauten Lachen, daß er ganz außer sich geriet und den Klang der Instrumente und der Handtrommeln weit übertönte. Es dauerte lange, ehe er wieder zu sich kommen konnte, und es fehlte nicht viel, so hätte er Beschwerde davon empfunden. Endlich ermannte er sich, öffnete das Gitterfenster, streckte den Kopf hervor und rief, noch immerfort lachend: »Abu Hassan, Abu Hassan, willst du denn, daß ich vor Lachen sterben soll?«

Auf diesen Ruf des Kalifen schwieg alles, und der Lärm hörte auf. Abu Hassan blieb gleich den übrigen stehen und wandte sein Gesicht nach der Seite hin, wo die Stimme herkam. Er erkannte in dem Kalifen den Kaufmann von Mossul. Dies brachte ihn indes nicht aus der Fassung. Im Gegenteil sah er jetzt ein, daß er wach sei, und daß alles, was ihm begegnet war, kein Traum, sondern Wirklichkeit war. Er ging also auf den Scherz des Kalifen ein, sah ihn dreist an und rief: »Ah, da bist du ja wieder, mein guter Kaufmann von Mossul! Wie? du beklagst dich, daß du wegen meiner dich zu Tode lachen müßtest, du, der du allein schuld bist an der schlechten Behandlung, die ich meiner Mutter angetan, und an jener, die ich während meines langen Aufenthalts im Narrenhause erfahren, du, der den Imam der Moschee meines Stadtviertels und die vier Scheichs, meine Nachbarn, so sehr hat mißhandeln lassen – denn ich bin es nicht gewesen, sondern ich wasche meine Hände in Unschuld –, der du ferner mir so viele Leiden der Seele und so viele widrige Zufälle verursacht hast? Mit einem Worte, bist du nicht der angreifende Teil und ich der beleidigte?«

»Du hast recht, Abu Hassan,« antwortete der Kalif unter fortwährendem Lachen; »aber um dich für alle deine Leiden zu trösten und zu entschädigen, bin ich bereit und nehme Gott dabei zum Zeugen, daß ich dir ganz nach deinem Belieben jede Genugtuung geben will, die du nur irgend verlangen kannst.«

Der Kalif stieg nach diesen Worten aus dem Kabinett herab und trat in den Saal. Hierauf ließ er eines seiner schönsten Kleider bringen und befahl den Mädchen, die Dienste von Kammerdienern zu verrichten und dies Kleid Abu Hassan anzuziehen. Als sie ihn angekleidet hatten, umarmte ihn der Kalif und sagte zu ihm: »Du bist mein Bruder; verlange von mir alles, was dir nur irgend Vergnügen machen kann, ich werde es dir gewähren.«

»Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte Abu Hassan, »ich bitte Euer Majestät um die Gnade, mir mitzuteilen, was Ihr getan habt, um mir meinen Kopf so zu verwirren, und welches Eure Absicht dabei gewesen ist. Daran liegt mir gegenwärtig mehr als an allem anderen, um meinen Verstand wieder in die gewohnte Ordnung zu bringen.«

Der Kalif war so gütig, ihm dies zu gewähren. »Erstlich mußt du nur wissen,« begann der Kalif, »daß ich mich sehr oft verkleide, besonders während der Nachtzeit, um persönlich nachzusehen, ob auch wohl in der Stadt Bagdad alles in bester Ordnung ist; und da ich ferner auch gern wissen möchte, was in der Umgegend vorgeht, so habe ich mir einen Tag festgesetzt, und zwar den Ersten eines jeden Monats, um außer der Stadt bald auf dieser, bald auf jener Seite die Runde zu machen, und ich kehre dann jedesmal über die Brücke zurück. An dem Abende, wo du mich zur Abendmahlzeit in dein Haus einludest, kam ich gerade von einem solchen Spaziergange zurück. In unserer Unterhaltung äußertest du, dein einziger Wunsch wäre, bloß auf vierundzwanzig Stunden einmal Kalif und Beherrscher der Gläubigen zu sein, um den Imam der Moschee deines Stadtviertels und die vier Scheichs, seine Ratgeber, zur Vernunft bringen zu können. Dein Wunsch schien mir sehr dazu geeignet, mir eine angenehme Belustigung zu verschaffen, und mir fiel sogleich ein Mittel ein, dir ihn zu erfüllen. Ich hatte etwas von dem Pulver bei mir, das einen in dem Augenblick, wo man es eingenommen, sogleich in einen festen Schlaf versenkt, von welchem man erst nach Ablauf einer gewissen Frist wieder erwacht. Ich warf, ohne daß du es bemerktest, etwas davon in die letzte Schale Wein, die ich dir überreichte, und du trankst es. Augenblicklich befiel dich der Schlaf, und ich ließ dich durch meinen Sklaven aufheben und nach meinem Palaste tragen, indem ich beim Weggehen die Türe deines Gemachs offen ließ. Ich darf dir wohl nicht erst sagen, was in meinem Palaste bei deinem Erwachen und den ganzen Tag hindurch mit dir vorging, bis am Abend nach vollendeter Mahlzeit eine meiner Sklavinnen, die dir aufwartete, auf meinen Befehl wieder etwas von dem Pulver in das letzte Glas, das sie dir reichte, hineinwarf und du es trankst. Sogleich fielst du in einen tiefen Schlaf, und ich ließ dich durch denselben Sklaven, der dich hergetragen hatte, wieder in deine Wohnung zurücktragen mit dem Befehle, daß er beim Weggehen die Türe deines Zimmers offen lassen möchte. Was dir den Tag darauf und die folgenden Tage begegnet ist, hast du mir selber erzählt. Ich hatte nicht gedacht, daß du so viel deshalb leiden würdest, als du bei dieser Gelegenheit wirklich gelitten hast; allein, wie ich dir bereits mein Wort darauf gegeben habe, ich werde alles mögliche tun, um dich zu trösten und dich alle Leiden vergessen zu lassen. Überlege nun wohl, wodurch ich dir irgend eine Freude machen kann, und verlange dreist, was du dir wünschest.«

»Beherrscher der Gläubigen,« antwortete Abu Hassan, »wie groß auch immer die Leiden gewesen sein mögen, die ich ausgestanden, so sind sie doch in dem Augenblick aus meinem Gedächtnisse vertilgt, wo ich erfahre, daß sie mir von seiten meines erhabenen Herrn und Gebieters veranlaßt sind. Was übrigens das großmütige und gütige Anerbieten Euer Majestät anbetrifft, so zweifle ich nicht im mindesten an der Unwiderruflichkeit Eures Wortes; allein da der Eigennutz nie über mich irgend eine Gewalt gehabt hat, so wage ich, da Ihr mir diese Freiheit gestattet, bloß um die Gnade zu bitten, daß ich stets Zutritt zu Eurer Person haben und mein ganzes Leben hindurch Bewunderer Eurer Größe sein darf.«

 

Dreihundertundsiebente Nacht.

Dieser Beweis von Abu Hassans Uneigennützigkeit gewann ihm vollends die Hochachtung des Kalifen. »Ich weiß dir vielen Dank für deine Bitte,« sagte der Kalif zu ihm; »ich gewähre sie dir nebst dem freien Eintritt in meinen Palast zu jeder Stunde, wo ich mich auch immer gerade befinden mag.« Zugleich wies er ihm eine Wohnung in dem Palast an. In Hinsicht auf seine künftige Besoldung sagte er ihm, daß er nichts mit seinen Schatzmeistern, sondern bloß mit ihm persönlich zu tun haben sollte, und er ließ ihm auf der Stelle durch den Aufseher seines Privatschatzes einen Beutel mit tausend Goldstücken auszahlen. Abu Hassan stattete dafür dem Kalifen seinen ehrerbietigen Dank ab, worauf ihn dieser verließ, um sich seiner Gewohnheit nach in die Ratsversammlung zu begeben.

Abu Hassan benutzte diese Zeit, um aufs schleunigste seine Mutter von allem, was vorgefallen war, zu unterrichten und ihr sein großes Glück zu melden.

Er zeigte ihr, daß alles, was ihm begegnet war, kein Traum, sondern daß er wirklich Kalif gewesen wäre, einen ganzen Tag lang die Geschäfte desselben verrichtet und die demselben gebührenden Ehrenbezeigungen genossen hätte, und daß sie daran nicht mehr zweifeln dürfte, da der Kalif selber ihn persönlich dessen versichert hätte.

Die Nachricht von dem Glück Abu Hassans verbreitete sich sehr bald in ganz Bagdad, in die benachbarten Provinzen und selbst bis in die entferntesten nebst allen den seltsamen und ergötzlichen Einzelheiten, die dabei im Spiele gewesen waren.

Die neue Gunst, zu welcher Abu Hassan emporgestiegen, machte, daß er sehr häufig bei dem Kalifen war. Da er von Natur sehr heiterer Laune war und durch seine Einfälle und Scherze überall, wo er war, die Freude weckte, so konnte der Kalif fast gar nicht ohne ihn sein und machte sich nie ein Vergnügen, wozu er ihn nicht eingeladen hätte. Er nahm ihn sogar bisweilen zu seiner Gemahlin Sobeïde mit, welcher er seine Geschichte erzählt und die sie sehr ergötzlich gefunden hatte. Sobeïde sah ihn sehr gern; indes bemerkte sie jedesmal, wenn er den Kalifen zu ihr begleitete, daß er seine Augen unverwandt auf eine ihrer Sklavinnen namens Nushatulawadat richtete. Sie beschloß, dem Kalifen darüber einen Wink zu geben. »Beherrscher der Gläubigen,« sagte die Fürstin eines Tages zu dem Kalifen, »Ihr habt es vielleicht nicht so bemerkt wie ich, daß jedesmal, wenn Abu Hassan Euch hierher begleitet, seine Augen unverwandt auf Nushatulawadat ruhen, und daß sie jedesmal darüber rot wird. Ihr zweifelt gewiß nicht, daß dies ein sicheres Zeichen sei, daß sie ihm nicht gram ist, und wenn Ihr mir hierin beipflichten wollt, so werden wir zwischen beiden eine Heirat stiften können.«

»Meine Gemahlin,« erwiderte der Kalif, »Ihr erinnert mich an etwas, was ich längst schon getan haben sollte. Ich kenne den Geschmack Abu Hassans im Punkte des Heiratens, und zwar aus seinem eigenen Munde, und ich habe ihm versprochen, ihm eine Frau zu verschaffen, mit der er alle Ursache haben solle zufrieden zu sein. Ich bin sehr froh, daß Ihr mir das gesagt habt, und ich begreife nicht, wie mir die Sache so ganz entfallen konnte. Allein es ist besser, daß Abu Hassan seiner Neigung gefolgt ist und selbst gewählt hat. Übrigens müssen wir, damit Nushatulawadat nicht etwa ihm wieder abgeneigt werde, mit dieser Verbindung nicht lange zögern. Doch da sind sie ja beide; es fehlt jetzt bloß, daß sie ihre Einwilligung dazu geben.«

Abu Hassan warf sich zu den Füßen des Kalifen und Sobeïdens, um ihnen an den Tag zu legen, wie sehr er ihre Güte gegen ihn anerkenne. »Ich kann,« fuhr er fort, indem er aufstand, »niemals eine Gattin aus besseren Händen empfangen; allein ich darf nicht hoffen, daß Nushatulawadat mir ebensogern ihre Hand geben wird, als ich ihr die meinige anzubieten bereit bin.« Bei diesen Worten sah er die schöne Sklavin der Fürstin an, die ihrerseits durch ihr ehrerbietiges Schweigen und durch das Erröten ihres Gesichts hinlänglich an den Tag legte, wie sehr sie geneigt wäre, dem Willen des Kalifen und ihrer Gebieterin Sobeïde zu willfahren.

Die Heirat kam zustande, und die Hochzeit wurde in dem Palaste mit den größten Lustbarkeiten begangen, die mehrere Tage lang währten. Sobeïde machte ihrer Sklavin dem Kalifen zu Gefallen sehr reiche Geschenke, und der Kalif handelte seinerseits aus Rücksicht auf Sobeïde ebenso freigebig gegen Abu Hassan.

Die Neuvermählte wurde nach der Wohnung geführt, welche der Kalif ihrem Manne Abu Hassan, der sie mit Ungeduld erwartete, angewiesen hatte. Er empfing sie beim Klange aller Instrumente und der Chöre der Sänger und Sängerinnen des Palastes, welche die Luft mit der Harmonie ihrer Stimmen und ihres Tonspiels erfüllten.

Mehrere Tage verstrichen unter Festen und Lustbarkeiten, die bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich sind, worauf man die Neuvermählten dem ungestörten Genuß ihrer Liebe überließ. Abu Hassan und seine junge Gattin waren gegenseitig voneinander bezaubert. Sie lebten in einer so vollkommenen Eintracht, daß sie mit Ausnahme der Zeit, wo sie dem Kalifen und der Fürstin Sobeïde ihre Aufwartung machten, stets beieinander waren und sich nie einen Augenblick verließen. Freilich besaß aber auch Nushatulawadat alle Eigenschaften einer Frau, welche Abu Hassan Liebe und Zuneigung einzuflößen vermochte, da sie, wie er gegen den Kalifen gewünscht hatte, ihm bei Tafel die Spitze zu bieten imstande war. Bei solchen Eigenschaften konnte es nicht fehlen, daß sie ihre Zeit miteinander sehr angenehm hinbrachten. Auch war ihre Tafel jedesmal mit den köstlichsten und leckerhaftesten Speisen besetzt, die ihnen ein Speisewirt sorgfältig bereitete und lieferte, und der Schenktisch stets mit den auserlesensten Weinen versehen und so eingerichtet, daß er ihnen beiden sehr bequem zur Hand war. So genossen sie denn da eines traulichen Beisammenseins und unterhielten sich mit tausend heiteren Scherzen. Besonders war die Abendmahlzeit dem Vergnügen gewidmet. Sie ließen sich da bloß seltene Früchte, Kuchen und Mandelgebackenes vorsetzen, und bei jedem Becher Wein, den sie tranken, ermunterten sie sich gegenseitig durch neue Lieder, die oft aus dem Stegreife auf die Gegenstände ihres Gespräches gedichtet waren. Bisweilen wurden diese Lieder auch mit der Laute oder mit irgend einem anderen Instrument begleitet, welches sie beide zu spielen verstanden.

Abu Hassan und Nushatulawadat verlebten so eine ziemlich lange Zeit unter guten Mahlzeiten und Vergnügungen. Um die Ausgaben für ihre Mundküche hatten sie sich nie gekümmert, und der Speisewirt, den sie dafür gewählt hatten, hatte alle Vorschüsse gemacht. Es war billig, daß er endlich etwas Geld in die Hände bekam, und er überreichte ihnen zu diesem Zweck eine Berechnung alles dessen, was er ihnen vorgeschossen hatte. Die Summe war, wie sich ergab, sehr bedeutend. Dazu kamen nun noch die Ausgaben für die beiderseitigen Hochzeitskleider von den reichsten Stoffen und für das kostbare Geschmeide der Neuvermählten. Die Summe ward so ungeheuer groß befunden, daß sie nur zu spät bemerkten, von dem ganzen Gelde, welches sie bei Gelegenheit ihrer Vermählung von dem Kalifen und von Sobeïde zum Geschenk erhalten, bliebe ihnen gerade nur so viel übrig, um diese Vorschüsse decken zu können. Dies brachte sie denn zu sehr ernsthaften Betrachtungen über das Vergangene, die indes der gegenwärtigen Verlegenheit nicht abhalfen. Abu Hassan war der Meinung, den Speisewirt zu bezahlen, und seiner Frauen Ansicht stimmte damit überein. Sie ließen ihn also kommen und bezahlten ihm alles, was sie ihm schuldig waren, ohne die mindeste Verlegenheit darüber zu verraten, was sie nach dieser geleisteten Zahlung beginnen sollten.

Der Speisewirt entfernte sich, sehr vergnügt darüber, daß er seine Bezahlung in schönen blanken Goldstücken – man sah keine andere Münze im Palast des Kalifen – erhalten hatte, Abu Hassan und Nushatulawadat dagegen waren es nicht im geringsten, daß sie in ihrem Geldbeutel bis auf den Boden sahen. Sie blieben in tiefes Schweigen versunken, mit niedergeschlagenen Augen und in der höchsten Verlegenheit über die Lage, worin sie sich gleich im ersten Jahr ihrer Ehe versetzt sahen.

 

Dreihundertundachte Nacht.

Abu Hassan erinnerte sich recht wohl, daß der Kalif, als er ihn in den Palast aufnahm, ihm versprochen hatte, er wollte es ihm an nichts fehlen lassen. Allein wenn er überlegte, in wie kurzer Zeit er die Schenkungen seiner freigebigen Hand vergeudet, so hatte er einerseits nicht Lust zu bitten, andererseits wollte er sich nicht der Schande aussetzen, dem Kalifen den schlechten Gebrauch, den er von seinen Gaben gemacht, und das Bedürfnis, neue Gaben anzunehmen, an den Tag zu legen. Sein Erbteil hatte er übrigens von dem Augenblick an, wo ihn der Kalif in seine Umgebung aufgenommen hatte, seiner Mutter überlassen, und er war weit entfernt, zu dem Geldbeutel derselben seine Zuflucht zu nehmen, wodurch er zu erkennen gegeben hätte, daß er wieder in dasselbe unordentliche Leben verfallen sei wie nach dem Tode seines Vaters.

Nushatulawadat, welche die Geschenke Sobeïdens und die Freiheit, die sie ihr bei ihrer Vermählung erteilt hatte, als eine mehr als hinreichende Belohnung für ihre Dienste und Anhänglichkeit betrachtete, glaubte ihrerseits ebenfalls kein Recht zu haben, sie noch um irgend etwas zu bitten.

Endlich unterbrach Abu Hassan dies Schweigen, sah Nushatulawadat mit aufgeheiterter Miene an und sagte zu ihr: »Ich sehe wohl, daß du in derselben Verlegenheit bist wie ich, und daß du nachsinnest, was wir in einer so traurigen Lage wie dieser, wo uns auf einmal, ohne daß wir es vorhergesehen, das Geld ausgeht, für einen Entschluß fassen sollen. Ich weiß zwar nicht, was du für eine Ansicht hast; allein ich für mein Teil bin der Meinung, es komme, wie es wolle, in unserer täglichen Ausgabe auch nicht die mindeste Einschränkung zu treffen, und ich glaube, daß du deinerseits mir darin nicht entgegen sein wirst. Es kommt hierbei bloß darauf an, uns die Mittel dazu zu verschaffen, ohne uns etwas zu vergeben, und den Kalifen oder Sobeïden irgend ansprechen zu dürfen: und ich glaube einen Weg gefunden zu haben. Allein wir müssen dabei uns beide gegenseitig unterstützen.«

Diese Äußerung Abu Hassans gefiel Nushatulawadat gar sehr, und sie schöpfte daraus einige Hoffnung. »Ich war nicht minder als du,« sagte sie zu ihm, »mit diesem Gedanken beschäftigt, und wenn ich nichts äußerte, so war es bloß darum, weil ich kein Auskunftsmittel sah. Ich muß gestehen, die Eröffnung, die du mir soeben getan hast, macht mir die größte Freude von der Welt; allein da du ein Mittel gefunden zu haben versicherst, wozu du meiner Hilfe bedarfst, so darfst du nur sagen, was ich tun soll, und du wirst sehen, wie gut ich mich dazu anstellen werde.«

»Ich hatte es wohl erwartet,« erwiderte Abu Hassan, »daß du dieser Sache, die dich ebenso nahe angeht als mich, dich nicht entziehen würdest. Das Mittel, welches ich mir ausgesonnen habe, um zu bewirken, daß es uns in dieser gegenwärtigen Verlegenheit wenigstens einige Zeit hindurch nicht am Gelde fehle, ist folgendes: Es beruht nämlich auf einem kleinen Betruge, den wir beide – ich gegen den Kalifen, du gegen Sobeïde – spielen müssen, und der, wie ich gewiß überzeugt bin, sie belustigen und für uns nicht ohne Vorteil sein wird. Dieser Betrug besteht darin, daß wir alle beide sterben.«

»Daß wir alle beide sterben?« unterbrach ihn Nushatulawadat. »Stirb, wenn du Lust hast, ganz allein; was mich betrifft, so bin ich des Lebens gar nicht überdrüssig und mag auch nicht, nimm mir es nicht übel, so gar bald sterben. Wenn du mir kein anderes Mittel vorzuschlagen hast als dieses, so magst du es nur selber anwenden, denn ich versichere dich, daß ich mich nicht damit befassen will.«

»Du bist eine Frau,« antwortete Abu Hassan, »das heißt, eine Person von erstaunlicher Lebhaftigkeit und Übereilung, und lässest mir kaum Zeit, mich zu erklären. Höre mich nur einen Augenblick mit Geduld an, und du wirst sehen, daß du wohl selber gern den Tod wirst sterben wollen, den ich sterben will. Du kannst dir wohl denken, daß ich hier nicht einen wirklichen, sondern bloß einen Scheintod meine.«

»Ah, sehr schön!« unterbrach ihn wiederum Nushatulawadat; »wenn es hier bloß auf einen Scheintod ankommt, so bin ich gern dabei. Du kannst jetzt auf mich rechnen, und du wirst Zeuge sein, mit welchem Eifer ich dich in dieser Art des Sterbens unterstützen werde; denn, um es dir offen zu gestehen, ich habe einen unüberwindlichen Widerwillen davor, jetzt augenblicklich auf die Art zu sterben, wie ich es vorhin verstand.«

»Nun gut!« erwiderte Abu Hassan; »du sollst schon damit zufrieden sein. Ich meine die Sache so: Ich werde mich tot stellen, und du wirst ein Leichentuch nehmen und mich ganz so bestatten, als ob ich es wirklich wäre. Du wirst mich nach dem herkömmlichen Brauch in die Mitte des Zimmers legen, mit dem Turban auf dem Gesicht und die Füße nach Mekka hingekehrt, ganz so, als ob ich auf den Begräbnisplatz hinausgetragen werden sollte. Sobald alles so angeordnet ist, so fang an zu weinen, das übliche Klagegeschrei zu erheben, deine Kleider zu zerreißen und dir die Haare auszuraufen, oder stelle dich wenigstens so, als tätest du es, und geh dann ganz in Tränen und mit fliegenden Haaren zu Sobeïden. Die Fürstin wird nach der Ursache deiner Tränen fragen, und sobald du es ihr unter Schluchzen entdeckt hast, so wird sie dich gewiß beklagen und dir eine Summe Geldes zu den Kosten meines Begräbnisses und ein Stück Brokat teils zum Leichentuche für mich, teils zum Kleide für dich an die Stelle des zerrissenen schenken. Sobald du nun mit diesem Gelds und dem Stück Brokat zurückgekehrt bist, werde ich von meinem Lager in der Mitte des Zimmers aufstehen, und du wirst dich an meine Stelle hinlegen und dich tot stellen. Ich werde dich dann als Leiche ankleiden und hierauf meinerseits zum Kalifen hingehen, um bei ihm dieselbe Rolle zu spielen, die du bei Sobeïden gespielt hast, und ich darf wohl hoffen, daß der Kalif gegen mich nicht minder freigebig sein wird, als es Sobeïde gegen dich gewesen ist.«

Nachdem Abu Hassan seine Ansicht über den von ihm entworfenen Plan auseinandergesetzt hatte, erwiderte sogleich Nushatulawadat: »Ich glaube, daß diese Täuschung sehr belustigend sein wird, und ich müßte mich sehr irren, wenn der Kalif und Sobeïde uns nicht dafür Dank wissen sollten. Es kommt jetzt bloß darauf an, die Sache gut auszuführen. Was mich betrifft, so laß mich nur machen; ich werde mich meiner Rolle zum wenigsten ebensogut entledigen, als ich es von dir erwarte, und zwar mit umsomehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit, je größer der Vorteil ist, den ich und du davon einernten müssen. Laß uns daher keine Zeit verlieren. Während ich das Leichentuch nehme, entkleide dich bis aufs Hemde und die Unterbeinkleider; ich verstehe es so gut wie irgend einer, jemand als Leiche anzukleiden.«

 

Dreihundertundneunte Nacht.

Abu Hassan säumte nicht, das zu tun, was ihm Nushatulawadat gesagt hatte. Er streckte sich rücklings die Länge lang auf das Leichentuch hin, welches mitten im Zimmer auf den Fußteppich hingebreitet war, kreuzte die Beine und ließ sich einhüllen, daß es schien, als dürfte man ihn bloß noch auf die Totenbahre legen und zur Beerdigung forttragen. Seine Frau kehrte seine Füße nach Mekka hin, bedeckte ihm das Gesicht mit einem sehr feinen Musselinschleier und legte ihm seinen Turban oben darüber, doch so, daß er frei atmen konnte. Hierauf legte sie ihren Kopfputz ab, und mit Tränen in den Augen und mit aufgelöstem und fliegendem Haare, welches sie sich unter lautem Geschrei scheinbar ausraufte, schlug sie sich auf Wangen und Brust und gab alle übrigen Zeichen eines heftigen Schmerzes von sich. In diesem Aufzuge eilte sie fort und flog über den sehr geräumigen Hof des Palastes, um sich nach den Zimmern der Fürstin Sobeïde zu begeben.

Nushatulawadat stieß ein so durchdringendes Geschrei aus, daß Sobeïde es aus ihrem Zimmer hören konnte. Sie befahl ihren Sklavinnen, die um sie waren, nachzusehen, woher denn dies Wehklagen und dies Schreien käme. Diese eilten schnell an die Fenstergitter und meldeten Sobeïden, es wäre Nushatulawadat, die, ganz in Tränen, sich näherte. Die Fürstin, voll Ungeduld, zu wissen, was ihr begegnet wäre, stand sogleich auf und ging ihr bis an die Tür ihres Vorzimmers entgegen.

Nushatulawadat spielte hier ihre Rolle ganz vortrefflich. Sobald sie Sobeïden erblickte, welche selber den Türvorhang ihres Vorzimmers geöffnet in der Hand hielt und sie erwartete, verdoppelte sie ihr Geschrei und ihre Schritte, raufte sich mit den Händen die Haare aus, schlug sich heftig an Brust und Wangen und warf sich ihr sodann zu Füßen und benetzte dieselben mit Tränen.

Sobeïde, die ganz überrascht war, ihre Sklavin in so tiefer Betrübnis zu erblicken, fragte sie, was es denn gäbe, und welcher Unfall ihr begegnet wäre.

Anstatt zu antworten, fuhr die fälschlich Betrübte noch einige Zeit zu schluchzen fort, indem sie sich scheinbar Gewalt antat, es zu unterdrücken. »Ach meine teure Gebieterin,« rief sie endlich, immer noch von Schluchzen unterbrochen, aus; »welches größere und traurigere Unglück konnte mir begegnen als das, welches mich jetzt nötigt, mich in meiner höchst traurigen Lage zu den Füßen Euer Majestät zu werfen? Gott verlängere Eure Tage, meine verehrungswürdigste Fürstin, bei der vollkommensten Gesundheit und schenke Euch noch lange und glückliche Jahre! Abu Hassan, der arme Abu Hassan, den Ihr mit Eurer Gnade beehrtet, den Ihr und der Beherrscher der Gläubigen mir zum Ehegatten gabet, ist nicht mehr!«

Bei diesen letzten Worten verdoppelte Nushatulawadat ihre Tränen und ihr Schluchzen und warf sich noch einmal zu den Füßen der Fürstin. Sobeïde erschrak über diese Nachricht außerordentlich. »Also Abu Hassan ist tot?« rief sie aus; »dieser so gesunde, so angenehme und unterhaltende Mann? In der Tat, ich hätte es nicht erwartet, so schnell den Tod eines solchen Mannes vernehmen zu müssen, der ein längeres Leben verhieß und es so sehr verdient hatte.« Sie konnte sich nicht enthalten, ihrem Schmerze durch Tränen Luft zu machen. Ihre Sklavinnen, die sie begleiteten und mehrmals an den Scherzen Abu Hassans teilgenommen hatten, wenn er zu den vertraulichen Unterhaltungen Sobeïdens und des Kalifen zugelassen worden war, legten ebenfalls durch ihre Tränen ihren Anteil und ihr Bedauern über seinen Verlust an den Tag.

Sobeïde, ihre Sklavinnen und Nushatulawadat weinten eine ganze Weile lang über diesen Todesfall. Endlich unterbrach die Fürstin Sobeïde das Schweigen und rief, zu der angeblichen Witwe gewendet, aus: »Du Böse, vielleicht bist du selber die Ursache seines Todes! Du hast ihm vielleicht durch deine üble Laune so viel Verdruß gemacht, daß du ihn endlich dadurch bis ans Grab gebracht hast.«

Nushatulawadat schien über den Vorwurf, den Sobeïde ihr machte, sehr gekränkt. »Ach, Euer Majestät«, rief sie aus, »ich glaube Euch nie während der ganzen Zeit, wo ich Eure Sklavin zu sein das Glück hatte, Anlaß gegeben zu haben zu einer so unvorteilhaften Meinung über mein Betragen gegen einen so geliebten Gatten. Ich würde mich für die unglücklichste aller Frauen halten, wenn Ihr dies glaubtet. Ich habe Abu Hassan so unaussprechlich lieb gehabt, als eine Frau ihren Mann, den sie leidenschaftlich anbetet, nur irgend haben kann, und ich kann sagen, daß ich für ihn alle die Zärtlichkeit empfunden habe, die seine zuvorkommende Gefälligkeit, womit er mir seine zärtliche Liebe an den Tag legte, nur irgend verdiente. Ich bin überzeugt, wenn er noch lebte, so würde er mich vor Euer Majestät deshalb vollkommen rechtfertigen; aber, ach!« fuhr sie mit einem neuen Strome von Tränen fort, »seine Stunde ist gekommen, und dies ist die einzige Ursache seines Todes.«

Sobeïde hatte wirklich stets an ihrer Sklavin eine immer gleiche Laune, eine unveränderliche Sanftheit, eine große Folgsamkeit und einen Eifer in allen ihren Dienstleistungen bemerkt, welcher anzeigte, daß sie mehr aus Neigung als aus Pflichtzwang handelte. Daher nahm sie keinen Anstand, ihr aufs Wort zu glauben, und befahl ihrer Schatzmeisterin, aus ihrem Schatze einen Beutel mit hundert Goldstücken und ein Stück Brokat zu holen.

Die Schatzmeisterin kam bald mit dem Beutel und dem Stück Brokat zurück und händigte es auf Sobeïdens Befehl Nushatulawadat ein.

Diese warf sich beim Empfange dieses schönen Geschenks zu den Füßen der Fürstin und sagte ihr den ehrerbietigsten Dank, indem sie über den glücklichen Erfolg innerlich sehr vergnügt war. »Geh,« sagte Sobeïde zu ihr, »laß aus dem Stück Brokat ein Leichentuch über die Bahre deines Mannes machen und verwende das Geld dazu, ihm ein ehrenvolles und seiner würdiges Leichenbegängnis zu veranstalten. Sodann mäßige deine Betrübnis; ich werde für dich sorgen.«

Nushatulawadat war kaum aus den Augen Sobeïdens, als sie auch schon ihre Tränen freudig abtrocknete und eiligst zurückkehrte, um Abu Hassan von dem Gelingen ihrer Rolle Bericht abzustatten.

Als sie in ihr Zimmer trat, lachte sie laut auf, als sie Abu Hassan noch in derselben Lage antraf, in der sie ihn verlassen hatte, das heißt, mitten im Zimmer im Sterbe-Kleide. »Steh auf,« sagte sie lachend zu ihm, »und sieh hier die Früchte meiner Lüge gegen Sobeïde. Wir werden heute noch nicht Hungers sterben.«

Abu Hassan stand schnell auf und freute sich sehr nebst seiner Frau über den Anblick des Geldbeutels und des Stückes Brokat.

Nushatulawadat war über das glückliche Gelingen der Täuschung, die sie an der Fürstin begangen hatte, so vergnügt, daß sie ihre Freude nicht zurückhalten konnte. »Das ist noch nicht genug,« sagte sie lachend zu ihrem Manne; »jetzt werde ich meinerseits ebenfalls die Tote spielen und zusehen, ob du auch so geschickt sein wirst, ebensoviel vom Kalifen zu bekommen.«

»Daran erkenne ich recht den Charakter der Frauen,« erwiderte Abu Hassan; »man hat wohl recht, wenn man sagt, daß sie beständig die Eitelkeit haben, zu glauben, daß sie mehr als die Männer vermögen, obwohl sie meist nur auf Eingeben derselben etwas Gutes leisten. Das wäre schön, wenn ich nicht wenigstens ebensoviel als du bei dem Kalifen ausrichten sollte, ich, der ich der Erfinder dieses Betruges bin! Doch wir wollen nicht die Zeit mit unnützen Reden verlieren! Spiele du die Tote wie ich, und du wirst sehen, ob ich nicht dasselbe Glück haben werde.«

Abu Hassan zog seine Frau als Leiche an, legte sie auf dieselbe Stelle, wo er gelegen hatte, kehrte ihre Füße nach Mekka hin und ging ganz verstört, mit verkehrt aufgesetztem Turban, wie ein Mensch, der in der höchsten Betrübnis ist, aus dem Zimmer. In diesem Zustande begab er sich nach den Zimmern des Kalifen, der soeben mit dem Großwesir Giafar und mit andern Wesiren, auf die er großes Vertrauen setzte, eine geheime Beratung hielt. Er zeigte sich an der Türe, und der Türsteher, welcher wußte, daß er freien Zutritt hatte, öffnete sie ihm. Er trat also hinein, das Schnupftuch mit einer Hand vor die Augen haltend, um die verstellten Tränen zu verbergen, die er reichlich fließen ließ, während er sich mit der andern Hand heftig vor die Brust schlug unter Ausrufungen, die das Übermaß des höchsten Schmerzes ausdrückten.

 

Dreihundertundzehnte Nacht.

Der Kalif, welcher gewohnt war, Abu Hassan stets mit einer heiteren Miene, welche nur Frohsinn erweckte, zu erblicken, war sehr überrascht, als er ihn in einem so traurigen Zustande vor sich sah. Er unterbrach die Aufmerksamkeit, womit er das in der Beratung Verhandelte anhörte, und fragte ihn um die Ursache seines Schmerzes.

»Beherrscher der Gläubigen,« antwortete Abu Hassan unter Schluchzen und wiederholtem Seufzen, »es hätte mir kein größeres Unglück begegnen können, als das ist, welches gegenwärtig meine Betrübnis veranlaßt. Gott lasse Euer Majestät noch lange auf dem Throne leben, den Ihr so glorreich ausfüllt! Nushatulawadat, die Ihr mir gnädigst zur Ehe gegeben habt, um meine noch übrigen Tage mit ihr zu verleben, ach!« – –

Bei diesem Aufrufe stellte sich Abu Hassan, als wäre sein Herz so beklommen, daß er nicht weitersprechen könnte, und brach in Tränen aus.

Der Kalif, welcher merkte, daß Abu Hassan ihm den Tod seiner Frau zu melden kam, schien darüber außerordentlich gerührt zu sein. »Gott sei ihrer Seele barmherzig!« sagte er mit einer Miene, welche sein Bedauern deutlich verriet. »Sie war eine gute Sklavin, und wir, Sobeïde und ich, gaben sie dir, um dich zu erfreuen; sie hätte es verdient, noch länger zu leben.« Tränen flossen hierauf aus seinen Augen, und er mußte sein Schnupftuch nehmen, um sie zu trocknen.

Der Schmerz Abu Hassans und des Kalifen Tränen erweckten die des Großwesirs Giafar und der übrigen Wesire. Sie beweinten sämtlich den Tod der Nushatulawadat, die ihrerseits in der höchsten Ungeduld schwebte, zu erfahren, inwiefern es Abu Hassan geglückt wäre.

Übrigens hatte der Kalif denselben Gedanken, den seine Frau gehabt, und bildete sich ein, daß er vielleicht die Ursache ihres Todes gewesen wäre. »Unglücklicher,« sagte er daher zu ihm im Tone des Unwillens, »warst du es nicht, der deiner Frau durch seine schlechte Behandlung den Tod zuzog? Ach, ich zweifle daran fast nicht. Du hättest wenigstens auf meine Gemahlin Sobeïde einige Rücksicht nehmen sollen, die sie mehr liebte als alle ihre übrigen Sklavinnen, und die aus Güte sich ihrer beraubte, um sie dir zu überlassen.«

»Beherrscher der Gläubigen,« antwortete Abu Hassan, indem er sich stellte, als weinte er noch bitterer als zuvor, »kann Euer Majestät auch nur einen Augenblick den Gedanken hegen, daß Abu Hassan, den Ihr mit Gnadenbezeigungen und Wohltaten überhäuft und dem Ihr Ehrenbezeigungen erwiesen habt, die er kaum zu hoffen gewagt, einer solchen Undankbarkeit fähig sein sollte? Ich liebte meine Gattin Nushatulawadat sowohl um deswillen, als auch um ihrer vielen andern liebenswürdigen Eigenschaften willen, welche bewirkten, daß ich für sie stets alle die Anhänglichkeit, Zärtlichkeit und Liebe empfand, die sie verdiente. Allein, Herr,« fuhr er fort, »sie hat nun einmal sterben sollen, und Gott hat nicht gewollt, daß ich ein solches Glück, das ich durch die Güte Euer Majestät und Eurer Gemahlin Sobeïde besaß, länger genießen sollte.«

Mit einem Worte, Abu Hassan wußte durch alle möglichen Zeichen einer wirklichen Betrübnis so gut den Schmerz zu erheucheln, daß der Kalif, der übrigens nie gehört hatte, daß sie miteinander übel gelebt hätten, alledem, was er sagte, Glauben beimaß und nicht mehr an seiner Aufrichtigkeit zweifelte. Der Schatzmeister des Palastes war eben zugegen, und der Kalif befahl ihm, nach dem Schatze zu gehen und Abu Hassan einen Beutel mit hundert Goldstücken nebst einem Stück Brokat zu reichen. Abu Hassan warf sich sogleich zu den Füßen des Kalifen, um ihm seine Erkenntlichkeit und Dankbarkeit für das Geschenk an den Tag zu legen. »Folge meinem Schatzmeister,« sagte der Kalif zu ihm; »das Stück Brokat soll für die Tote zum Leichentuch dienen und das Geld dazu, um ihr ein würdiges Leichenbegängnis zu veranstalten. Ich erwarte gewiß, daß du ihr diesen letzten Beweis deiner Liebe nicht versagen wirst.«

Abu Hassan beantwortete diese verbindlichen Worte des Kalifen durch eine tiefe Verneigung und entfernte sich. Er folgte dem Schatzmeister, und sobald dieser ihm den Beutel und das Stück Brokat eingehändigt hatte, kehrte er nach Hause zurück, zufrieden und in sich vergnügt darüber, daß er so schnell und so leicht ein Mittel gefunden hatte, um der Verlegenheit, worin er sich befand, und die ihm so viel Unruhe gemacht, abzuhelfen.

Nushatulawadat, die des langen Zwanges schon ganz müde war, wartete bloß, bis Abu Hassan ihr sagen würde, sie sollte ihre traurige Lage wieder verlassen. Sobald sie daher die Tür öffnen hörte, lief sie ihm entgegen und fragte ihn: »Nun, hat der Kalif sich ebenso leicht täuschen lassen als Sobeïde?«

»Du siehst,« antwortete Abu Hassan scherzend, indem er ihr den Beutel und das Stück Brokat zeigte, »daß ich es nicht minder gut verstehe, den Betrübten um den Tod einer Frau, der ganz wohl ist, zu spielen, als du die Trauernde um den Tod eines Mannes, der noch ganz frisch und gesund ist.«

Indes zweifelte Abu Hassan, daß diese doppelte Täuschung ohne Folgen bleiben würde. Daher gab er seiner Frau vorläufig einen Wink über alles, was etwa vorfallen könnte, um mit ihr desto besser im Einverständnisse handeln zu können. »Je besser es uns gelingt,« fügte er hinzu, »den Kalifen und Sobeïden in eine Art von Verlegenheit zu setzen, desto mehr Vergnügen werden sie am Ende darüber empfinden, und vielleicht werden sie uns ihre Zufriedenheit darüber durch neue Beweise ihrer Freigebigkeit bezeigen.« Diese letzte Rücksicht ermunterte sie mehr als irgend eine andere, die Verstellung so weit als möglich zu treiben.

 

Dreihundertundelfte Nacht

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Obwohl es in der gegenwärtigen Sitzung noch mehrerer anzuordnen und zu beraten gab, so stand dennoch bald nach Abu Hassans Weggänge der Kalif, voll Ungeduld, zu Sobeïde hinzugehen und ihr seinen Beileidsbesuch wegen des Todes ihrer Sklavin abzustatten, von seinem Sitze auf und verschob die weitere Beratung auf den folgenden Tag. Der Großwesir und die übrigen Wesire nahmen Abschied von ihm und entfernten sich.

Sobald sie weggegangen waren, sagte der Kalif zu Mesrur, dem Oberhaupts der Verschnittenen seines Palastes, der von seiner Person fast unzertrennlich war und außerdem an allen seinen Beratungen teil hatte: »Folge mir und bezeige gleich mir der Fürstin deine Teilnahme über den Tod ihrer Sklavin.«

Sie gingen nun miteinander zu den Zimmern Sobeïdens. Als der Kalif an der Tür war, öffnete er den Türvorhang und sah die Fürstin in der tiefsten Betrübnis und die Augen voll Tränen auf dem Sofa sitzen.

Der Kalif trat hinein, näherte sich ihr und sagte: »Meine Gemahlin, ich darf Euch wohl nicht erst sagen, wie großen Anteil ich an Eurer Betrübnis nehme, da Euch nicht unbekannt ist, wie sehr ich alles das mitfühle, was Euch Schmerz oder Freude verursacht; aber wir sind alle sterblich und müssen Gott das Leben, das er uns verliehen hat, zurückgeben, sobald er es verlangt. Nushatulawadat, Eure treue Sklavin, besaß in der Tat Eigenschaften, die sie Eurer Achtung würdig machten, und ich billige es sehr, daß Ihr noch nach ihrem Tode ihr Beweise davon gebt. Überlegt indes, daß Euer Schmerz ihr das Leben nicht wiedergibt. Darum, meine Gemahlin, wenn Ihr mir glaubet und mich liebt, werdet Ihr Euch über diesen Verlust trösten und mehr Sorge für Euer Leben tragen, das, wie Ihr wißt, mir unendlich teuer ist und das ganze Glück des meinigen ausmacht.«

Wenn die Fürstin auch von den zärtlichen Gesinnungen, von denen der Besuch des Kalifen begleitet war, sehr entzückt wurde, so war sie doch übrigens außerordentlich überrascht, den Tod der Nushatulawadat zu vernehmen, worauf sie sich gar nicht gefaßt gemacht hatte. Diese Nachricht versetzte sie in ein solches Staunen, daß sie lange seit nichts zu antworten vermochte. Ihre Überraschung ward dadurch noch verdoppelt, daß diese Nachricht zugleich der soeben vernommenen ganz entgegengesetzt war, und sie wurde völlig sprachlos. Endlich faßte sie sich wieder und sagte mit einer Miene und mit einem Tone, die noch ganz ihr Befremden verrieten: »Beherrscher der Gläubigen, ich fühle die zärtlichen Gesinnungen, die Ihr mir an den Tag legt, sehr tief; aber erlaubet mir, Euch zu sagen, daß ich die Nachricht, die Ihr mir von dem Tode meiner Sklavin gegeben, nicht begreife, da sie sich vollkommen wohl und gesund befindet. Gott bewahre Euch und mich, o Herr! Wenn Ihr mich betrübt sehet, so ist es bloß wegen des Todes ihres Mannes Abu Hassan, Eures Lieblings, den ich ebensosehr um der Achtung willen, die Ihr für ihn hegtet, hochschätzte, als auch deswegen, weil Ihr so gütig waret, ihn mit mir bekannt zu machen, und weil er mich bisweilen sehr angenehm unterhalten hat. Allein, Herr, die Teilnahmlosigkeit, die ich an Euch in Betreff seines Todes bemerke, und Euer gänzliches Vergessen des Mannes, den Ihr sonst immer so gern um Euch hattet, setzen mich in Staunen und Überraschung. Und diese Eure Teilnahmlosigkeit wird umsomehr in die Augen fallend durch die Art und Weise, wie Ihr mich davon ablenken wollt, indem Ihr mir den Tod meiner Sklavin statt des seinigen anmeldet.«

Der Kalif, welcher von dem Tode der Sklavin vollkommen unterrichtet zu sein glaubte, und der nach dem, was er gesehen und gehört, auch wohl Ursache dazu hatte, fing an zu lachen und mit den Achseln zu zucken, als er Sobeïden so reden hörte. »Mesrur,« sagte er, indem er sich nach ihm umdrehte und ihn anredete, »was sagst du zu der Rede meiner Gemahlin? Ist es nicht wahr, daß die Frauen bisweilen Geistesabwesenheiten haben, die man ihnen nur sehr schwer vergeben kann? Mit einem Worte, du hast es ja doch wohl so gut wie ich gesehen und gehört.« Hierauf wandte er sich wieder zu Sobeïden und sagte zu ihr: »Meine Gemahlin, vergießet keine Träne mehr um den Tod Abu Hassans; er befindet sich ganz wohl. Beweinet vielmehr den Tod Eurer lieben Sklavin. Erst vor wenigen Momenten kam ihr Mann ganz in Tränen und in einer mitleiderweckenden Betrübnis in mein Zimmer, um mir den Tod seiner Frau zu melden. Ich habe ihm einen Beutel mit hundert Goldstücken und ein Stück Brokat geben lassen zum Trost und zur Unterstützung bei der Leichenfeier der Verstorbenen. Mesrur hier ist von allem Augen- und Ohrenzeuge gewesen und wird Euch dasselbe sagen.«

Die Fürstin hielt diese Äußerungen des Kalifen nicht für Ernst, sondern glaubte, er wollte ihr etwas weismachen. »Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte sie, »obwohl Ihr sonst zu scherzen pfleget, so muß ich Euch doch sagen, daß hier nicht der Ort dazu ist: was ich Euch sage, ist mein völliger Ernst. Es ist hier nicht von dem Tode meiner Sklavin die Rede, sondern von dem Tode ihres Mannes Abu Hassan, dessen Los ich beklage, und den Ihr mit mir beklagen müsset.«

»Und ich,« fuhr der Kalif im tiefsten Ernste fort, »sage Euch ohne Scherz, daß Ihr Euch täuschet. Nushatulawadat ist tot und Abu Hassan lebend und gesund.«

Sobeïde fühlte sich durch die trockene Antwort des Kalifen beleidigt. »Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte sie in einem lebhaften Tone, »Gott bewahre Euch, daß Ihr länger in diesem Irrtums verharret; Ihr könntet sonst in mir den Glauben erwecken, daß Euer Geist nicht ganz in seiner gewohnten Fassung ist. Erlaubt mir, Euch noch einmal zu wiederholen, daß Abu Hassan tot und Nushatulawadat, meine Sklavin, die Witwe des Verstorbenen, lebend und gesund ist. Es ist noch nicht eine Stunde her, daß sie von hier weggegangen ist. Sie kam hierher ganz trostlos und in einem Zustande, der allein schon imstande gewesen wäre, mir Tränen zu entlocken, selbst wenn sie mir nicht unter Schluchzen die gerechte Ursache ihrer Betrübnis entdeckt hätte. Alle meine dienenden Frauen haben mit mir darüber geweint, und sie können Euch ein zuverlässiges Zeugnis hierüber ablegen. Diese werden Euch auch sagen, daß ich ihr einen Beutel mit hundert Goldstücken und ein Stück Brokat zum Geschenke gemacht habe. Der Schmerz, den Ihr beim Eintreten auf meinem Gesicht bemerktet, war ebensosehr durch den Tod ihres Mannes als durch die Trostlosigkeit, worin ich sie sah, veranlaßt worden, und ich war, als Ihr hereintratet, eben im Begriff, zu Euch zu schicken und Euch mein Beileid bezeigen zu lassen.«

Bei diesen Worten Sobeïdens rief der Kalif, laut auflachend: »Meine Gemahlin, das ist denn doch eine seltsame Hartnäckigkeit! Und ich sage Euch dagegen,« fuhr er in dem ernsthaftesten Tone weiter fort, »daß Nushatulawadat tot ist.« – »Nein, Herr,« erwiderte Sobeïde, augenblicklich ganz ernsthaft, »ich sage Euch, Abu Hassan ist tot. Ihr werdet nie bewirken können, daß ich das Gegenteil glaube.«

Dem Kalifen stieg jetzt die Glut ins Gesicht. Er setzte sich ziemlich fern von der Fürstin auf das Sofa und sagte, zu Mesrur sich wendend: »Geh auf der Stelle und sieh, wer von beiden gestorben ist, und melde mir dann unverzüglich, was an der Sache ist. Obwohl ich sehr versichert bin, daß es Nushatulawadat ist, welche gestorben ist, so will ich doch lieber diesen Weg einschlagen, als noch länger eine Sache behaupten, die mir so gut bekannt ist.«

Der Kalif hatte kaum ausgesprochen, als Mesrur sich auch schon entfernt hatte. »Ihr werdet,« fuhr er zu Sobeïden gewendet fort, »augenblicklich sehen, wer von uns beiden recht hat.«

»Was mich betrifft,« antwortete Sobeïde, »so weiß ich schon, daß das Recht auf meiner Seite ist, und Ihr selber werdet sehen, daß, wie ich gesagt habe, Abu Hassan tot ist.«

»Und ich,« erwiderte der Kalif, »bin dessen so gewiß, daß es Nushatulawadat ist, daß ich bereit bin, mit Euch zu wetten, um was Ihr nur wollt, daß sie nicht mehr am Leben ist, und daß Abu Hassan sich ganz wohl befindet.«

»Denket ja nicht,« antwortete Sobeïde, »mich dadurch zu besiegen; ich nehme die Wette an. Ich bin von dem Tode Abu Hassans so gewiß überzeugt, daß ich gern das Liebste, was ich nur habe, gegen das, was Ihr Lust habt, wie gering es auch an Werte sein mag, verwetten will. Ihr wißt recht gut, was ich besitze, und was ich meinem Geschmacke zufolge am liebsten habe; Ihr dürft also nur wählen und vorschlagen, ich werde darauf eingehen, wie auch immer die Sache für mich ausschlagen mag.«

»Da es so weit gekommen ist,« sagte jetzt der Kalif, »so wette ich meinen Lustgarten gegen Euren Gemäldepalast; eins ist wohl des andern wert.« – »Es kommt hier gar nicht darauf an,« erwiderte Sobeïde, »ob Euer Garten mehr wert ist als mein Palast – wir sind darüber hinweg –, sondern es handelt sich hier bloß darum, daß Ihr dasjenige, was Euch unter allen meinen Besitztümern am meisten gefällt, ausgewählt habt als Gegeneinsatz gegen das, was Ihr von Eurer Seite wettet. Ich gehe also darauf ein, und die Wette steht fest. Gott sei mein Zeuge, ich werde nicht die erste sein, die ihr Wort zurücknimmt.« Der Kalif tat denselben Schwur, und so blieben sie, die Rückkehr Mesrurs erwartend.

Während der Kalif und Sobeïde über den Tod Abu Hassans oder Nushatulawadats einen so lebhaften und hitzigen Wortwechsel hatten, war Abu Hassan, der ihren Streit über diesen Punkt vorausgesehen, sehr aufmerksam auf alles, was daraus irgend erfolgen könnte. Sobald er daher durch das Gitterfenster, welchem er im Gespräche mit seiner Frau gegenübersaß, Mesrur von fern erblickte und ihn gerade auf seine Wohnung zukommen sah, merkte er sogleich, zu welchem Zweck er geschickt wäre. Er sagte also zu seiner Frau, sie möchte sich noch einmal tot stellen, wie sie es miteinander verabredet hätten, und dabei keine Zeit verlieren.

 

Dreihundertundzwölfte Nacht.

Der Augenblick war wirklich dringend, und alles, was Abu Hassan vor Mesrurs Ankunft tun konnte, war, seine Frau als Leiche anzuziehen und das Stück Brokat, welches der Kalif ihm geschenkt, über sie auszubreiten. Hierauf öffnete er die Türe seiner Wohnung, und mit einem traurigen und niedergeschlagenen Gesicht und das Schnupftuch vor die Augen haltend setzte er sich der angeblich Verstorbenen zu Häupten.

Kaum war er fertig, als auch schon Mesrur ins Zimmer trat. Das traurige Schauspiel, das sich ihm darbot, erregte in ihm eine geheime Freude in Beziehung auf den vom Kalifen erhaltenen Auftrag. Sobald Abu Hassan ihn bemerkte, ging er ihm entgegen, küßte ihm ehrfurchtsvoll die Hand und sagte seufzend zu ihm: »Herr, Ihr sehet mich in der größten Betrübnis, die mich nur je treffen konnte, durch den Tod meiner teuern Gattin Nushatulawadat, die Ihr mit Eurer Güte beehrtet.«

Mesrur ward von diesen Reden gerührt, und es war ihm unmöglich, dem Andenken der verstorbenen einige Tränen zu versagen. Er hob das Leichentuch in der Gegend des Kopfes etwas in die Höhe, um ihr ins Gesicht zu sehen, und ließ es dann wieder fallen, als er einen halben Blick darauf geworfen hatte, indem er mit einem tiefen Seufzer sagte: »Es gibt keinen andern Gott außer Gott! Wir müssen alle uns seinem Willen unterwerfen, und jede Kreatur muß zurückkehren zu ihm! Nushatulawadat, meine gute Schwester,« fügte er seufzend hinzu, »dein Lebenslos war von sehr kurzer Dauer! Gott lasse dir Barmherzigkeit widerfahren!« Hierauf wendete er sich wieder zu Abu Hassan, der in Tränen zerschmolz, und sagte zu ihm: »Nicht mit Unrecht behauptet man, die Frauen haben bisweilen Geistesabwesenheiten, die kaum verzeihlich sind. Sobeïde, meine gute Gebieterin, befindet sich in diesem Falle. Sie geruhte gegen den Kalifen zu behaupten, du wärest gestorben und nicht deine Frau; und was auch immer der Kalif dagegen sagen mochte, um sie vom Gegenteile zu überzeugen, selbst seine ernsthaftesten Versicherungen, alles war fruchtlos. Er hat sogar mich zum Zeugen aufgerufen, um ihr die Wahrheit dieser Sache zu bestätigen, da ich, wie du weißt, zugegen war, als du kamst und ihm die betrübende Nachricht brachtest; aber alles hat nichts geholfen. Es kam zu gegenseitigen hartnäckigen Behauptungen, die kein Ende genommen hätten, wenn nicht der Kalif, um Sobeïden zu überzeugen, auf den Einfall gekommen wäre, mich zu dir zu schicken, um sich noch einmal von der Wahrheit der Sache zu unterrichten. Allein ich fürchte sehr, daß auch dies nicht fruchten wird; denn von welcher Seite man auch immer heutzutage den Frauen beizukommen suchen mag, um ihnen irgend etwas begreiflich zu machen, sie haben eine unüberwindliche Hartnäckigkeit, sobald sie einmal von der entgegengesetzten Ansicht eingenommen sind.«

»Gott erhalte den Beherrscher der Gläubigen stets im Besitz und im besten Gebrauche seines seltenen Verstandes!« erwiderte Abu Hassan, die Augen immer noch voll Tränen und beständig vom Schluchzen unterbrochen. »Ihr sehet, wie die Sache steht, und daß ich Seine Majestät hierin nicht hintergangen habe. Wollte Gott,« rief er ferner, um die Verstellung noch weiter zu treiben, »daß ich nicht Ursache gehabt hätte, ihm eine so traurige und niederschlagende Nachricht zu hinterbringen! Ach,« fuhr er fort, »ich kann den unersetzlichen Verlust, den ich erlitten habe, nicht mit Worten beschreiben!« – »Dies ist freilich wahr,« antwortete Mesrur, »und ich kann dich versichern, daß ich vielen Anteil an deiner Betrübnis nehme; indes mußt du dich dennoch trösten und dich nicht so ganz deinem Schmerz überlassen. Ich verlasse dich jetzt, obwohl höchst ungern, um zu dem Kalifen zurückzukehren; aber ich bitte mir es als Gefälligkeit aus,« fuhr er fort, »daß du die Leiche nicht eher forttragen lassest, als bis ich wiedergekommen bin, denn ich möchte gern ihrer Beerdigung beiwohnen und sie mit meinem Gebete begleiten.«

Mesrur war bereits aus dem Zimmer fortgegangen, um von seiner Botschaft Bericht abzustatten, als Abu Hassan, der ihn bis an die Haustüre begleitete, ihm zu erkennen gab, er verdiente die Ehre gar nicht, die er ihm erzeigen wollte. Aus Besorgnis, Mesrur möchte augenblicklich wieder zurückkehren, verfolgte er ihn eine Weile mit den Augen, und als er ihn weit genug entfernt sah, kehrte er in seine Wohnung zurück, befreite Nushatulawadat von allen ihren Hüllen und sagte zu ihr: »Da ist schon wieder eine neue Szene gespielt, aber ich denke, es wird keineswegs die letzte sein; besonders wird die Fürstin Sobeïde es gewiß nicht bei dem Berichte Mesrurs bewenden lassen, sondern im Gegenteil sich darüber lustig machen; auch hat sie zu gute Gründe für sich, als daß sie ihm glauben sollte. Wir müssen uns daher auf einen neuen Auftritt gefaßt machen.« Während dieser Reden Abu Hassans hatte Nushatulawadat Zeit genug, ihre Kleider wieder anzulegen, worauf sie sich beide dem Gitterfenster gegenüber aufs Sofa setzten, um alles zu beobachten, was draußen etwa vorging.

Unterdessen kam Mesrur zu Sobeïden. Er trat lächelnd in ihr Gemach und schlug in die Hände wie ein Mensch, der etwas sehr Angenehmes zu melden hätte.

Der Kalif war natürlich sehr ungeduldig und wollte sogleich über diese Sache Aufschluß haben. Übrigens war er durch das Mißtrauen Sobeïdens empfindlich gekränkt, weshalb er, sobald er Mesrur erblickte, ausrief: »Böser Sklave, es ist jetzt nicht Zeit zu lachen. Du sagst kein Wort? Sprich frei heraus! Wer ist tot, der Mann oder die Frau?«

»Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte sogleich Mesrur in ernsthaftem Tone, »Nushatulawadat ist tot, und Abu Hassan ist darüber noch immer so betrübt wie damals, als er vor Euer Majestät erschien.«

Ohne ihm Zeit zu lassen, weiter fortzusprechen, unterbrach ihn der Kalif, indem er laut lachend rief: »Gute Nachricht! Noch vor einem Augenblicke besaß deine Gebieterin Sobeïde den Gemäldepalast; jetzt gehört er mir. Sie hat ihn, als du fortgegangen wärest, gegen meinen Lustgarten verwettet. Daher konntest du mir kein größeres Vergnügen machen als dieses; ich werde dich dafür auch belohnen. Doch lassen wir das. Erzähle mir jetzt Punkt für Punkt, was du gesehen hast.«

»Beherrscher der Gläubigen,« fuhr Mesrur fort, »als ich in Abu Hassans Wohnung anlangte, trat ich in sein Zimmer, welches offen war. Ich fand ihn noch immer sehr betrübt und den Tod seiner Frau Nushatulawadat beweinend. Er saß zu Häupten der Verstorbenen, welche mitten im Zimmer lag, mit den Füßen nach Mekka hingewendet und mit dem Stücke Brokat bedeckt, welches Euer Majestät soeben dem Abu Hassan geschenkt hat. Nachdem ich ihm meine Teilnahme an seiner Betrübnis bezeigt hatte, näherte ich mich, hob das Leichentuch in der Gegend des Kopfes in die Höhe und erkannte Nushatulawadat, deren Gesicht schon ganz aufgedunsen und verändert war. Ich ermahnte Abu Hassan auf das beste, daß er sich trösten möchte, und sagte ihm beim Weggehen, daß ich mich bei der Beerdigung seiner Frau einfinden würde; zugleich bat ich ihn, er möchte mit Aufhebung der Leiche so lange warten, bis ich käme. Das ist alles, was ich Euer Majestät in Bezug auf den mir erteilten Auftrag zu berichten imstande bin.«

Als Mesrur seinen Bericht geendigt hatte, sagte der Kalif herzlich lachend zu ihm: »Ich verlange nichts weiter von dir und bin mit deiner Pünktlichkeit sehr zufrieden.«

Hierauf wandte er sich zu Sobeïden und sagte zu ihr: »Nun, meine Gemahlin, hast du gegen eine so ausgemachte Wahrheit noch etwas einzuwenden? Glaubst du immer noch, daß Nushatulawadat am Leben und Abu Hassan tot ist, und gestehest du nicht ein, daß du die Wette verloren hast?«

Sobeïde wollte durchaus nicht zugeben, daß Mesrur die Wahrheit berichtet hätte. »Wie, Herr,« erwiderte sie, »Ihr bildet Euch also ein, daß ich es auf den Bericht dieses Sklaven werde ankommen lassen? Dies ist ein unverschämter Mensch, der nicht weiß, was er spricht. Ich bin weder blind noch unsinnig; ich habe mit meinen eigenen Augen Nushatulawadat in ihrer größten Betrübnis gesehen, ich habe mit ihr selber geredet und habe sehr deutlich gehört, was sie mir über den Tod ihres Mannes sagte.«

»Euer Majestät,« antwortete Mesrur, »ich schwöre Euch bei Eurem Leben und bei dem Leben des Beherrschers der Gläubigen, also bei dem, was mir am allerteuersten ist, daß Nushatulawadat tot und Abu Hassan am Leben ist.« – »Du lügst, elender und verächtlicher Sklave,« erwiderte Sobeïde ihm voll Zorn, »und ich will dich auf der Stelle beschämen.« Sogleich rief sie ihre dienenden Frauen, indem sie in die Hände klatschte. Sie traten augenblicklich in großer Anzahl herein. »Tretet näher,« sagte die Fürstin zu ihnen, »und saget mir die Wahrheit! Wer war denn die Person, die kurz vor dem Eintritte des Beherrschers der Gläubigen hierher kam und mit mir redete?« Die Frauen antworteten sämtlich, es wäre die arme, betrübte Nushatulawadat gewesen. »Und du,« fuhr sie fort, indem sie sich an ihre Schatzmeisterin wendete, »was habe ich dir denn befohlen ihr beim Weggehen zu geben?« – »Euer Majestät,« erwiderte die Schatzmeisterin, »ich habe Nushatulawadat auf Euren Befehl einen Beutel mit hundert Goldstücken und ein Stück Brokat gegeben, welches sie mit sich genommen hat.« – »Nun, elender und unwürdiger Sklave,« sagte hierauf Sobeïde im höchsten Unwillen zu Mesrur, »was sagst du zu dem allen, was du da gehört hast? Wem meinst du wohl, daß ich mehr glauben soll, etwa dir allein oder meiner Schatzmeisterin, meinen übrigen Frauen und mir selber?«

Mesrur unterließ nicht, diesen Äußerungen der Fürstin Gründe entgegenzustellen; da er indes sie noch mehr zu erbittern fürchtete, beschloß er innezuhalten und schwieg sofort still, obwohl er allen den erhaltenen Beweisen zufolge überzeugt blieb, daß Nushatulawadat tot wäre und nicht Abu Hassan.

 

Dreihundertunddreizehnte Nacht.

Während dieses Wortwechsels zwischen Sobeïden und Mesrur mußte der Kalif, welcher die von beiden Seiten beigebrachten Beweise gesehen und immer noch vom Gegenteil dessen, was die Fürstin behauptete, überzeugt war, sowohl durch das, was er im Gespräche mit Abu Hassan selber gesehen, als durch das, was ihm Mesrur soeben gemeldet hatte, herzlich darüber lachen, daß Sobeïde gegen Mesrur so heftig erzürnt war. »Meine Gemahlin,« sagte er zu ihr, »um es noch einmal zu wiederholen, ich weiß nicht, wer es gesagt hat, daß die Frauen bisweilen Geistesabwesenheiten haben; allein, nehmet es mir nicht übel, Ihr zeiget selber, daß er keine größere Wahrheit sagen konnte, als diese ist. Mesrur kommt in diesem Augenblick aus Abu Hassans Wohnung; er sagt Euch, daß er mit seinen eigenen Augen Nushatulawadat in der Mitte des Zimmers tot daliegen und Abu Hassan lebend zu Häupten der Verstorbenen dasitzen gesehen hat: und ungeachtet seines Zeugnisses, das man vernünftigerweise nicht verwerfen kann, wollt Ihr es doch nicht glauben. Ich kann so etwas nicht begreifen!«

Ohne auf das zu hören, was der Kalif ihr vorstellte, erwiderte Sobeïde: »Beherrscher der Gläubigen, verzeihet mir, wenn ich gegen Euch Argwohn schöpfe. Ich sehe wohl, daß Ihr mit Mesrur einverstanden seid, um mich zu kränken und meine Geduld auf die äußerste Probe zu stellen, und da ich merke, daß der von Mesrur an Euch abgestattete Bericht etwas Verabredetes ist, so bitte ich mir es aus, daß ich ebenfalls von meiner Seite jemand in Abu Hassans Wohnung schicken darf, um zu erfahren, ob ich mich irre oder nicht.«

Der Kalif genehmigte es, und die Fürstin übertrug diese wichtige Sendung ihrer Amme. Dies war eine schon sehr bejahrte Frau, die seit Sobeïdens Kindheit immer um sie gewesen und gegenwärtig nebst den übrigen Frauen gleichfalls da zugegen war. »Liebe Amme,« sagte sie zu ihr, »höre einmal! Geh du doch in die Wohnung Abu Hassans oder vielmehr Nushatulawadats – denn Abu Hassan ist ja tot. Du siehst, was für einen Streit ich mit dem Beherrscher der Gläubigen und mit Mesrur habe, weiter darf ich dir nichts sagen. Verschaffe mir über dies alles Aufschluß, und wenn du mir eine gute Nachricht bringst, so hast du ein schönes Geschenk zu erwarten. Geh recht schnell und komm unverzüglich wieder.«

Die Amme entfernte sich zur großen Freude des Kalifen, dem es Vergnügen machte, Sobeïden in einer solchen Verlegenheit zu sehen. Mesrur dagegen, der sich sehr darüber kränkte, daß die Fürstin so heftig gegen ihn erbittert war, suchte alles mögliche auf, um sie zu besänftigen und zu bewirken, daß der Kalif und Sobeïde gleich zufrieden mit ihm wären. Daher war es ihm sehr lieb, als er sah, daß Sobeïde sich entschloß, ihre Amme in die Wohnung Abu Hassans zu schicken, weil er überzeugt war, der Bericht, den sie abstatten würde, müßte unfehlbar mit dem seinigen übereinstimmen und dazu dienen, ihn zu rechtfertigen und ihn wieder in die vorige Gunst zu setzen.

Unterdes hatte Abu Hassan, der beständig an seinem Gitterfenster stand, die Amme schon von ferne bemerkt und ahnte sogleich, daß dies eine Sendung von seiten Sobeïdens wäre. Er rief seiner Frau, und ohne über den zu fassenden Entschluß einen Augenblick zu zögern, sagte er zu ihr: »Da kommt soeben die Amme der Fürstin, um sich von der Wahrheit zu unterrichten; ich werde jetzt meinerseits mich noch einmal tot stellen.«

Alles wurde nun vorbereitet. Nushatulawadat zog den Abu Hassan schnell als Leiche an, breitete das Stück Brokat, welches Sobeïde ihr gegeben, über ihn hin und legte ihm den Turban auf das Gesicht. Unterdes hatte die Amme, voll Eifers, sich des erhaltenen Auftrags zu entledigen, sich mit ziemlich raschen Schritten genähert. Beim Eintritt in das Zimmer sah sie Nushatulawadat mit aufgelöstem Haar und ganz in Tränen zu Häupten Abu Hassans sitzen, indem sie sich an Brust und Wangen schlug und ein lautes Geschrei ausstieß.

Sie näherte sich der angeblichen Witwe und sagte zu ihr mit teilnehmender Miene: »Meine liebe Nushatulawadat, ich komme nicht hierher, um dich in deiner Trauer zu stören oder dich zu hindern, einen Mann, der dich so zärtlich liebte, mit Tränen zu betrauern.« – »Ach, gute Mutter!« unterbrach sie ganz kläglich die angebliche Witwe, »du siehst, wie groß mein Leid ist, und von welchem Unglück ich heut durch den Tod meines lieben Abu Hassan betroffen bin, den mir meine und deine Gebieterin Sobeïde und der Beherrscher der Gläubigen zum Manne gegeben hatten. Abu Hassan, mein teurer Gatte,« rief sie noch einmal aus, »was habe ich dir getan, daß du mich so bald verließest? Bin ich nicht stets deinem Willen mehr gefolgt als dem meinigen? Ach, was wird aus der armen Nushatulawadat werden?«

Die Amme war außerordentlich überrascht, das Gegenteil von dem zu erblicken, was das Oberhaupt der Verschnittenen dem Kalifen gemeldet hatte. »Dies schwarze Gesicht Mesrurs,« rief sie ganz laut mit emporgehobenen Händen aus, »verdiente wohl, daß Gott es dafür strafte, daß es durch eine so entsetzliche Lüge einen so heftigen Zwiespalt zwischen meiner guten Gebieterin und dem Beherrscher der Gläubigen erregt hat. Ich muß dir nur, meine Tochter,« sagte sie hierauf zu Nushatulawadat, »die Bosheit und den Betrug dieses nichtswürdigen Mesrur entdecken, der mit einer unbegreiflichen Unverschämtheit gegen unsere gute Gebieterin behauptet hat, du seiest tot und Abu Hassan am Leben.«

»Ach, meine gute Mutter,« rief Nushatulawadat aus, »wollte Gott, er hätte wahr gesprochen! Ich wäre dann nicht in der Betrübnis, in welcher du mich siehst, und ich würde nicht den Tod eines so geliebten Gatten beweinen.« Bei diesen letzten Worten brach sie in Tränen aus und bezeigte durch die Verdoppelung ihres Weinens und Klagens eine noch größere Trostlosigkeit.

Die Amme war von den Tränen Nushatulawadats gerührt. Sie setzte sich neben sie, weinte mit ihr, näherte sich ganz leise dem Kopfe Abu Hassans, hob ein wenig seinen Turban in die Höhe und deckte ihm das Gesicht auf, um ihn zu erkennen. »Ach, armer Abu Hassan,« sagte sie dann, indem sie ihn bald wieder zudeckte, »ich bitte Gott, daß er dir Barmherzigkeit widerfahren lasse! Lebe wohl, meine Tochter,« sagte sie hierauf zu Nushatulawadat, »wenn ich dir länger Gesellschaft leisten könnte, so würde ich es herzlich gern tun, aber ich kann mich nicht länger aufhalten. Meine Pflicht drängt mich, unverzüglich fortzueilen und unsere gute Gebieterin von dieser betrübten Unruhe zu befreien, worin dieser nichtswürdige Schwarze sie durch seine unverschämte Lüge versetzt hat, indem er ihr mit einem Schwure versicherte, du wärest tot.«

Kaum hatte die Amme Sobeïdens im Weggehen die Türe geschlossen, als auch schon Nushatulawadat, welche wohl merkte, daß sie bei ihrer Eilfertigkeit nicht noch einmal umkehren würde, ihre Tränen trocknete, Abu Hassan aufs schnellste von seiner Umhüllung befreite und mit ihm sodann ihren vorigen Platz auf dem Sofa, dem Gitterfenster gegenüber, einnahm, indem beide ganz ruhig das Ende dieses Betrugs abwarteten und stets bereit waren, sich aus dem Handel herauszuziehen, von welcher Seite her man sie auch immer zu fassen suchen würde.

Die Amme Sobeïdens hatte unterdes auf ihrem Rückwege ungeachtet ihres Alters ihre Schritte noch mehr beschleunigt als auf dem Hinwege. Die Freude, der Fürstin eine gute Nachricht zu bringen, und mehr noch die Hoffnung auf eine gute Belohnung beschleunigten ihre Rückkunft. Sie trat fast außer Atem in das Zimmer der Fürstin, und indem sie ihr von ihrer Sendung Bericht abstattete, erzählte sie Sobeïden ganz unbefangen alles, was sie soeben gesehen hatte.

Sobeïde hörte den Bericht ihrer Amme mit lebhafter Freude an und legte es auch deutlich an den Tag. Denn sobald diese zu Ende gesprochen hatte, sagte sie zur Amme mit einem Tone, der gewonnenes Spiel verkündigte: »Erzähle doch dasselbe dem Beherrscher der Gläubigen, der uns als Unsinnige betrachtet, und der uns daneben gern überreden möchte, als hätten wir kein Gefühl für Religion und keine Furcht vor Gott mehr. Sage es ferner diesem bösen Schwarzen, der die Unverschämtheit besitzt, mir eine Sache ins Gesicht zu behaupten, die nicht ist, und die ich besser weiß als er.«

 

Dreihundertundvierzehnte Nacht.

Mesrur, der erwartet hatte, daß die Sendung und der Bericht der Amme zu seinen Gunsten ausfallen würden, kränkte sich schwer darüber, daß alles so ganz zum Gegenteil ausgeschlagen war; außerdem schmerzte es ihn tief, daß Sobeïde um einer Tatsache willen, die er zuverlässiger als irgend ein anderer zu wissen vermeinte, gegen ihn so heftig erzürnt war. Es war ihm daher sehr angenehm, einen Anlaß zu haben, sich hierüber ganz offen gegen die Amme erklären zu können, und zwar weit lieber gegen sie als gegen die Fürstin, welcher er nicht zu widersprechen wagte aus Furcht, die schuldige Ehrerbietung zu verletzen. »Zahnlose Alte,« sagte er ohne Schonung zur Amme, »du bist eine Lügnerin; von alledem, was du da sagst, ist nichts wahr; ich habe mit eigenen Augen Nushatulawadat als Leiche in der Mitte ihres Zimmers ausgestreckt gesehen.«

»Du bist selber ein Lügner, und zwar ein recht arger Lügner,« erwiderte die Amme in einem beleidigenden Tone, »daß du es wagst, eine solche Unverschämtheit gegen mich zu behaupten, die ich soeben aus Abu Hassans Wohnung komme, den ich darin als Leiche ausgestreckt gesehen – gegen mich, die ich soeben seine Frau lebend und gesund verlassen habe.«

»Ich bin kein Betrüger,« antwortete Mesrur, »sondern du vielmehr suchst uns in Irrtum zu versetzen.«

»Das ist doch eine entsetzliche Unverschämtheit,« erwiderte die Amme, »mich in Gegenwart beider Majestäten Lügen zu strafen – mich, die ich soeben mit eigenen Augen die Wahrheit dessen gesehen habe, was ich hier behauptete.«

»Amme,« antwortete Mesrur noch einmal, »du faselst bloß abgeschmacktes Zeug.«

Sobeïde konnte diese Verletzung der Ehrerbietung nicht länger an Mesrur ertragen, der ohne Rücksicht ihre Amme in ihrer Gegenwart so ehrenrührig behandelte. Ohne daher ihrer Amme erst Zeit zu lassen, auf eine so abscheuliche Beschimpfung zu antworten, sagte sie zu dem Kalifen: »Beherrscher der Gläubigen, ich verlange von Euch Gerechtigkeit gegen diese Unverschämtheit, die ebensowenig auf Euch als auf mich Rücksicht nimmt.« Sie vermochte nicht weiter zu sprechen, so sehr war sie von innerem Ärger ergriffen; ihre Tränen erstickten ihre übrigen Worte.

Der Kalif, welcher diesen ganzen Streit angehört hatte, fand die Sache höchst verwickelt. Er mochte hin- und hersinnen, er wußte nicht, was er von diesen Widersprüchen denken sollte. Andrerseits wußte die Fürstin sowohl als Mesrur, die Amme und die anwesenden Dienerinnen ebenfalls, nicht, was sie von diesem Abenteuer denken sollten, und schwiegen still. Endlich nahm der Kalif das Wort. »Meine Gemahlin,« sagte er, zu Sobeïden sich wendend, »ich sehe wohl, daß wir alle zusammen Lügner sind, zuerst ich, dann du, Mesrur und die Amme; wenigstens scheint es nicht, als ob einer von uns glaubwürdiger sein sollte als der andere. Wir wollen uns daher aufmachen und selber an Ort und Stelle hingehen, um nachzusehen, auf wessen Seite die Wahrheit ist. Ich sehe kein anderes Mittel, um uns über die Zweifel aufzuklären und unsere Gemüter zu beruhigen.«

Mit diesen Worten stand der Kalif auf, die Fürstin folgte, und Mesrur, der vor ihnen herging, um den Türvorhang zu öffnen, sagte: »Beherrscher der Gläubigen, ich freue mich sehr, daß Euer Majestät diesen Entschluß gefaßt hat, und ich werde mich noch mehr freuen, wenn ich der Amme gezeigt habe nicht, daß sie aberwitziges Zeug faselt – denn dieses Wort hat meiner guten Gebieterin zu mißfallen das Unglück gehabt – sondern, daß ihr Bericht nicht wahr gewesen ist.«

Die Amme blieb nicht die Antwort schuldig. »Schweig, du schwarzes Gesicht,« antwortete sie, »es gibt hier niemand, der aberwitziges Zeug faseln könnte, außer dir.«

Sobeïde, die gegen Mesrur aufs äußerste aufgebracht war, konnte es nicht leiden, daß er wieder auf ihre Amme schmähte, und nahm daher noch einmal für sie das Wort. »Boshafter Sklave,« sagte sie zu ihm, »was du auch immer sagen magst, ich behaupte dennoch, daß meine Amme die Wahrheit gesagt hat; was dich aber betrifft, so betrachte ich dich bloß als einen Lügner.«

»Euer Majestät,« erwiderte Mesrur, »wenn die Amme so fest überzeugt ist, daß Nushatulawadat am Leben und Abu Hassan tot ist, so mag sie gegen mich eine Wette eingehen; sie wird dazu gewiß keine Lust haben.«

Die Amme war schnell mit der Gegenantwort da. »Ich habe so viel Lust dazu,« sagte sie, »daß ich dich beim Worte halte. Wir wollen sehen, ob du es wagen wirst, dein Wort zurückzunehmen.«

Mesrur trat nicht zurück. Er und die Amme wetteten in Gegenwart des Kalifen und der Fürstin um ein Stück Goldbrokat mit silbernen Blumen, das sich jeder von ihnen nach Belieben auswählen könnte.

Die Zimmer, aus welchen der Kalif und Sobeïde herauskamen, waren, obwohl in ziemlich weiter Entfernung, der Wohnung Abu Hassans und Nushatulawadats gerade gegenüber. Abu Hassan, der sie kommen sah, vor ihnen Mesrur und hinter ihnen her die Amme und die sämtlichen dienenden Frauen Sobeïdens, sagte sogleich zu seiner Frau, wofern er sich nicht aufs äußerste täuschte, so gälte dieser Besuch ihnen. Nushatulawadat sah ebenfalls durchs Gitterfenster und bemerkte dasselbe. Obwohl ihr Mann sie im voraus auf diesen möglichen Fall gefaßt gemacht hatte, so war sie doch deshalb nicht wenig erschrocken. »Was wollen wir machen?« rief sie aus, »wir sind verloren!«

»Ganz und gar nicht; fürchte nichts,« erwiderte Abu Hassan mit kaltem und ruhigem Blute; »hast du denn schon vergessen, was wir hierüber besprochen haben? Wir wollen uns beide jetzt tot stellen, wie wir es schon früher einzeln getan und wie wir uns verabredet haben, und du wirst sehen, es wird alles gut gehen. Bei ihrem langsamen Gange werden wir, noch ehe sie an der Türe sind, in gehöriger Lage sein.«

Abu Hassan und seine Frau entschlossen sich wirklich, sich so gut als möglich zu verhüllen; und in diesem Zustande, nebeneinander mitten im Zimmer liegend, jeder mit seinem Stücke Brokat bedeckt, erwarteten sie ruhig die zahlreiche Gesellschaft, die ihnen einen Besuch abzustatten kam. –

 

Dreihundertundfünfzehnte Nacht.

Die glänzende Gesellschaft langte endlich an. Mesrur öffnete die Tür, und der Kalif und Sobeïde traten mit ihrem ganzen Gefolge ins Zimmer. Sie wurden sehr überrascht und blieben bei dem Anblicke des traurigen Schauspiels, das sich ihren Augen hier darbot, wie starr und unbeweglich. Keiner wußte, was er von diesem Ereignis denken sollte. Endlich unterbrach Sobeïde das Stillschweigen. »Ach,« sprach sie zum Kalifen, »so sind sie denn also alle beide tot! So habt ihr –« hier sah sie den Kalifen und Mesrur an – »es denn durch euer hartnäckiges Vorspiegeln, als sei meine teure Sklavin gestorben, dahin gebracht, daß sie es wirklich ist, und ohne Zweifel vor Betrübnis über den Tod ihres Mannes.« – »Meine Gemahlin,« antwortete der Kalif, der von der entgegengesetzten Ansicht eingenommen war, »saget lieber, daß Nushatulawadat zuerst gestorben ist, und daß der arme Abu Hassan seiner Betrübnis über den Tod seiner Frau hat unterliegen müssen; so werdet Ihr denn auch zugeben, daß Ihr die Wette verloren habt, und daß Euer Gemäldepalast in allem Ernste mir gehört.«

»Und ich,« erwiderte Sobeïde, welche durch den Widerspruch des Kalifen gereizt war, »ich behaupte, daß Ihr selber verloren habt, und daß Euer Lustgarten mir gehört. Abu Hassan ist zuerst gestorben, da meine Amme Euch und mich versichert hat, daß sie seine Frau lebend und über ihren toten Mann weinend gesehen.«

Dieser Streit zwischen dem Kalifen und Sobeïden erregte einen zweiten. Mesrur und die Amme waren nämlich in gleichem Falle; sie hatten ebenfalls gewettet, und jeder behauptete, gewonnen zu haben. Der Wortwechsel wurde etwas scharf und hitzig, und das Oberhaupt der Verschnittenen stand mit der Amme auf dem Punkte, zu den gröbsten Beleidigungen überzugehen.

Der Kalif, der alles, was vorgefallen war, bei sich erwog, räumte endlich stillschweigend ein, daß Sobeïde mit ebensovielem Rechte als er behaupten könnte, daß sie gewonnen hätte. In dem Verdrusse, den er darüber empfand, daß er die Wahrheit bei diesem Abenteuer nicht auszumitteln vermochte, näherte er sich den beiden Leichen, setzte sich ihnen zu Häupten und sann auf irgend ein Auskunftsmittel, das ihm den Sieg über Sobeïden verschaffen könnte. »Ja,« rief er einen Augenblick nachher, »ich schwöre bei dem heiligen Namen Gottes, daß ich tausend Goldstücke von meinem eigenen Gepräge demjenigen geben will, der mir sagt, wer von diesen beiden zuerst gestorben sei.«

Kaum hatte der Kalif diese letzten Worte gesprochen, als er unter dem Stück Brokat, welches Abu Hassan bedeckte, eine Stimme hervorkommen hörte, die ihm zurief: »Beherrscher der Gläubigen, ich bin zuerst gestorben; gebet mir die tausend Goldstücke!« Zugleich sah er Abu Hassan aus dem Stücke Brokat, das ihn bedeckte, sich hervorarbeiten und zu seinen Füßen stürzen. Seine Frau warf ebenfalls ihre Umhüllung ab und warf sich zu Sobeïdens Füßen, indem sie des Wohlanstandes halber sich in das Stück Brokat hüllte. Doch Sobeïde stieß einen heftigen Schrei aus, der das Entsetzen der Umstehenden noch vermehrte. Endlich erholte sich die Fürstin von ihrer Furcht und fühlte nun eine unaussprechliche Freude darüber, daß ihre teure Sklavin fast in demselben Augenblicke, wo sie über den Anblick ihrer Leiche untröstlich war, wieder von den Toten auferstand. »Ach, du böse Person,« rief sie aus, »du bist schuld, daß ich dir zuliebe so viel gelitten habe. Indes verzeihe ich dir herzlich gern, da es doch wahr ist, daß du nicht gestorben bist.«

Der Kalif hatte sich seinerseits die Sache nicht so zu Herzen genommen. Anstatt über die Stimme Abu Hassans zu erschrecken, glaubte er im Gegenteil vor Lachen zu ersticken, als er sie beide sich ihrer Umhüllung entledigen sah und Abu Hassan in allem Ernste sich die tausend Goldstücke ausbitten hörte, die er demjenigen versprochen, der ihm sagen würde, welcher von beiden zuerst gestorben wäre. »Ei, Abu Hassan,« sagte der Kalif, immer noch fortlachend, zu ihm, »hast du denn geschworen, daß ich mich wegen deiner zu Tode lachen soll? Und wie bist du denn auf den Einfall gekommen, Sobeïden und mich durch eine List zu fangen, vor welcher wir gar nicht auf der Hut waren?«

»Beherrscher der Gläubigen,« antwortete Abu Hassan, »ich werde es sogleich ohne Rückhalt entdecken. Euer Majestät erinnert sich wohl noch, daß ich stets sehr viel auf eine gutbesetzte Tafel gehalten habe. Die Frau, welche Ihr mir zur Ehe gäbet, hat diese Leidenschaft nicht vermindert, sondern im Gegenteil mußten die Neigungen, die ich in ihr fand, sie nur noch vermehren. Euer Majestät wird nun leicht ermessen, daß, wenn wir bei einer solchen Gemütsstimmung auch einen Schatz so groß wie das Meer nebst allen Schätzen Euer Majestät obendrein besessen hätten, wir dennoch sehr bald damit zu Ende gekommen sein würden. Dies ist denn wirklich geschehen. Seitdem wir beisammen sind, haben wir nichts gespart, um uns von den Geschenken Euer Majestät gütlich zu tun. Als wir diesen Morgen mit unserem Speisewirt abrechneten, fanden wir, daß, wenn wir ihn befriedigten und unsere übrigen Schulden bezahlen, uns von dem ganzen Gelde, das wir besaßen, nichts übrig blieb. Betrachtungen über das Vergangene und gute Vorsätze für die Zukunft drängten sich nun haufenweise unserem Gemüt und unseren Gedanken auf. Wir entwarfen tausend Pläne, die wir aber immer sogleich wieder ausgaben. Endlich gab uns die Scham, uns in einem so traurigen Zustande zu befinden, den wir Euer Majestät nicht zu entdecken wagten, dies Mittel ein, um unseren Bedürfnissen abzuhelfen und Euch zugleich durch diesen kleinen Betrug zu belustigen, wegen dessen wir Euer Majestät um gütige Verzeihung bitten.«

Der Kalif und Sobeïde waren mit der Aufrichtigkeit Abu Hassans sehr zufrieden und schienen über das, was vorgefallen, gar nicht böse zu sein; im Gegenteile vermochte Sobeïde, welche die Sache immer sehr ernst genommen, sich ihrerseits nicht des Lachens zu enthalten, wenn sie an alles das dachte, was Abu Hassan ersonnen hatte, um seinen Plan glücklich auszuführen. Der Kalif hatte fast noch gar nicht zu lachen aufgehört, so einzig schien ihm dieser Einfall zu sein. Er stand auf und sagte zu Abu Hassan und dessen Frau: »Folget mir beide; ich will euch die versprochenen tausend Goldstücke auszahlen lassen für die Freude, die ich darüber habe, daß ihr nicht gestorben seid.«

»Beherrscher der Gläubigen,« sagte Sobeïde, »ich bitte Euch, begnüget Euch damit, die tausend Goldstücke an Abu Hassan zu zahlen; Ihr seid sie ihm einzig und allein schuldig. Was seine Frau anbetrifft, so laßt mich nur machen.« Zugleich befahl sie ihrer Schatzmeisterin, die sie begleitete, an Nushatulawadat ebenfalls tausend Goldstücke auszahlen zu lassen, um ihr auch von ihrer Seite die Freude an den Tag zu legen, die sie darüber empfand, daß dieselbe noch am Leben war.

Durch dies Mittel erhielten sich Abu Hassan und seine Gattin Nushatulawadat noch lange in der Gunst des Kalifen Harun Arreschid und seiner Gemahlin Sobeïde und erlangten von der Freigebigkeit derselben so viel, daß sie für ihr ganzes übriges Leben alle ihre Bedürfnisse im reichsten Maße befriedigen konnten.«

 

Dreihundertundsechzehnte Nacht.

Die Sultanin Scheherasade hatte bei Endigung der Geschichte Abu Hassans dem Sultan Schachriar versprechen müssen, ihm den folgenden Tag eine andere zu erzählen, die für ihn nicht minder unterhaltend sein würde. Ihre Schwester Dinarsade unterließ daher nicht, sie noch vor Tage zu erinnern, daß sie es versprochen und daß der Sultan sich zur Anhörung derselben bereit gezeigt habe. Scheherasade erzählte daher sogleich und ohne auf sich lange warten zu lassen folgende Geschichte.


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