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Zweihundertundachtundachtzigste Nacht.

Geschichte der Prinzessin von Deryabar.

»Auf einer Insel liegt eine Stadt namens Deryabar. Lange Zeit herrschte hier ein mächtiger, reicher und tugendhafter König. Dieser Fürst hatte keine Kinder, und dies allein mangelte noch an seinem Glücke. Er bat unablässig den Himmel darum; dieser aber erhörte ihn nur halb, denn nach langem Harren brachte die Königin, seine Gattin, nur eine Tochter zur Welt.

Ich bin diese unglückliche Prinzessin. Mein Vater hatte mehr Verdruß als Freude über meine Geburt; jedoch unterwarf er sich dem Willen Gottes. Er ließ mich mit aller erdenklichen Sorgfalt erziehen in der Absicht, da er keinen Sohn hatte, mich die Regierungskunst zu lehren, damit ich einst seine Stelle nach ihm einnähme.

Eines Tages, als er sich auf der Jagd erlustigte, erblickte er einen wilden Esel. Er verfolgte ihn und kam dadurch von seinem Jagdgefolge ab; seine Hitze verleitete ihn so weit, daß er, ohne an sein Verirren zu denken, ihm bis in die Nacht nachjagte. Jetzt stieg er vom Pferde und setzte sich am Eingange eines Gehölzes nieder, in welches er den Esel sich verstecken gesehen hatte.

Kaum war die Nacht angebrochen, als er zwischen den Bäumen ein Licht erblickte, woraus er schloß, daß er nicht weit von einem Dorfe entfernt wäre. Er freute sich darüber in der Hoffnung, dort die Nacht bleiben zu können und jemand zu finden, den er zu seinem Gefolge schicken könnte, um ihnen zu melden, wo er wäre. Er stand also auf und ging dem Lichte nach, welches ihm zum Leiter diente.

Er erkannte bald, daß er sich getäuscht hatte: dieses Licht war nichts anderes als ein in einer Höhle brennendes Feuer. Er näherte sich derselben und sah mit Erstaunen einen großen schwarzen Kerl oder vielmehr einen furchtbaren Riesen, der auf einem Sofa saß. Das Ungeheuer hatte einen großen Krug mit Wein vor sich stehen und briet auf den Kohlen einen Ochsen, welchen er eben abgehäutet hatte. Abwechselnd setzte er bald den Krug an den Mund, bald zerstückle er den Ochsen und fraß davon.

Aber was am meisten die Aufmerksamkeit des Königs, meines Vaters, auf sich zog, war eine sehr schöne Frau, welche er in der Höhle erblickte. Sie schien in tiefe Traurigkeit versunken; ihre Hände waren gebunden, und an ihren Knieen stand ein kleines Kind von zwei bis drei Jahren, welches, als wenn es schon das Unglück der Mutter mitfühlte, ohne Unterlaß weinte und die Luft mit seinem Geschrei erfüllte.

Mein Vater, gerührt von diesem jammervollen Anblicke, war anfangs in Versuchung, in die Höhle zu stürzen und den Riesen anzugreifen; aber bedenkend, daß der Kampf ungleich wäre, hielt er sich zurück und beschloß, da seine Stärke nicht ausreichte, ihn aus dem Hinterhalte zu besiegen.

Unterdessen hatte der Riese den Weinkrug geleert und mehr als die Hälfte des Ochsen aufgefressen und wandte sich nun zu der Frau mit den Worten:

»Schöne Prinzessin, warum zwingt Ihr mich durch Eure Hartnäckigkeit, Euch mit Strenge zu behandeln? Es steht nur bei Euch, glücklich zu sein, Ihr dürft Euch nur entschließen, mich zu lieben und mir treu zu bleiben, und ich werde mit Euch viel sanfter umgehen.«

»O scheußlicher Waldteufel,« antwortete die Frau, »hoffe nicht, daß die Zeit meinen Abscheu vor dir vermindere! Du wirst in meinen Augen immerdar ein Ungeheuer bleiben!« Diese Worte wurden mit so viel Schimpfreden begleitet, daß der Riese davon erzürnt wurde.

»Das ist zuviel!« rief er mit Wut aus; »meine Liebe verwandelt sich in Abscheu; dein Haß erregt endlich den meinigen, ich fühle es, daß er meine Begier besiegt, und ich wünsche jetzt noch heißer deinen Tod, als ich deinen Besitz begehrt habe.«

Mit diesen Worten ergreift er die unglückliche Frau bei den Haaren, hebt sie mit der einen Hand in die Luft empor und ist schon in Begriff, ihr den Kopf abzuhauen, als mein Vater einen Pfeil abdrückt, welcher dem Riesen in den Bauch fährt, so daß er taumelt und alsbald tot niederstürzt.

Mein Vater trat nun in die Höhle, er band die Hände der Frau los und fragte sie, wer sie wäre, und durch welches Abenteuer sie sich hier befände. »Herr,« antwortete sie ihm, »an der Küste des Meeres wohnen einige sarazenische Stämme, deren Oberhaupt und Fürst mein Gemahl ist. Dieser Riese, den Ihr eben getötet habt, war einer seiner vornehmsten Offiziere. Der Elende faßte zu mir eine so heftige Leidenschaft, daß er sie sehr sorgfältig verbarg, bis er eine günstige Gelegenheit fände zur Ausführung seines Anschlages, mich zu entführen.

Das Glück begünstigt öfter die bösen Unternehmungen als die guten Vorsätze. Eines Tages überfiel der Riese mich mit meinem Kinde an einem abgelegenen Orte; er entführte uns beide, und um alle Nachforschungen zu vereiteln, welche, wie er wohl wußte, mein Gemahl anstellen würde, brachte er uns in dieses Gehölz, wo er uns seit einigen Tagen festhält. Wie bejammernswürdig auch mein Schicksal ist, so fühle ich jedoch einen geheimen Trost, wenn ich bedenke, daß dieser Riese, so viehisch seine Brunst war, doch nicht Gewalt gebraucht hat, um das zu erlangen, was ich seinen Bitten stets verweigerte. Damit ist nicht gesagt, daß er mir nicht hundertmal gedroht hätte, er würde zu den äußersten Zwangsmitteln schreiten, wenn er nicht anders meinen Widerstand besiegen könnte; und ich bekenne Euch, daß ich jetzt eben, als ich durch meine Reden seinen Zorn reizte, weniger um mein Leben als um meine Ehre besorgt war. Da habt Ihr, Herr,« fuhr die Gemahlin des sarazenischen Fürsten fort, »meine Geschichte; und ich zweifle nicht, Ihr werdet sie mitleidswürdig genug finden, um nicht zu bereuen, daß Ihr mir so großmütig zu Hilfe gekommen seid.«

»Ja, edle Frau,« antwortete ihr mein Vater, »Euer Unglück hat mich innigst gerührt; aber es soll nicht an mir liegen, daß Euer Schicksal nicht wieder besser werde. Morgen, sobald der Tag die Schatten der Nacht zerstreut hat, wollen wir dieses Gehölz verlassen und den Weg nach der großen Stadt Deryabar suchen, deren König ich bin; und wenn es Euch annehmlich ist, so wohnet Ihr so lange in meinem Palaste, bis der Fürst, Euer Gemahl, Euch abholt.«

 

Zweihundertundneunundachtzigste Nacht.

Die sarazenische Fürstin nahm das Erbieten an, und am folgenden Morgen begleitete sie den König, meinen Vater, der am Ausgange des Gehölzes alle seine Leute traf, welche ihn die ganze Nacht gesucht hatten und sehr um ihn in Sorgen waren. Sie waren ebenso erfreut, ihn wiederzufinden, als verwundert, ihn in Begleitung einer Frau zu sehen, deren Schönheit sie in Erstaunen setzte. Er erzählte ihnen, wie er sie gefunden und welche Gefahr er gelaufen hätte, als er sich der Höhle genähert, wo er ohne Zweifel das Leben verloren, wenn der Riese ihn erblickt hätte.

Einer der Offiziere nahm die Fürstin hinter sich auf sein Roß, und ein anderer trug das Kind.

In diesem Aufzuge erreichten sie den Palast des Königs, meines Vaters, welcher der schönen Sarazenin eine Wohnung einräumte und ihr Kind mit vieler Sorgfalt erziehen ließ. Die Fürstin war nicht unempfindlich für die Güte des Königs: sie bewies sich ihm so erkenntlich, wie er nur wünschen mochte. Anfangs schien sie ziemlich unruhig und ungeduldig darüber, daß ihr Gemahl sie nicht heimholte; aber nach und nach verlor sich ihre Unruhe: die Aufmerksamkeit, welche mein Vater für sie hatte, beschwichtigte ihre Ungeduld; kurz, ich glaube, daß sie es dem Schicksale weniger Dank gewußt, wenn es sie wieder den Ihrigen zugeführt hätte, als daß es sie von denselben entfernt hatte.

Unterdessen wuchs ihr Sohn auf. Er war sehr wohlgebildet, und da es ihm nicht an Verstand fehlte, so ward es ihm leicht, meinem Vater zu gefallen, der große Zuneigung zu ihm faßte. Alle Hofleute bemerkten dies und meinten, daß dieser Jüngling mich wohl heiraten könnte. In solcher Voraussetzung betrachteten sie ihn schon als Thronerben, machten ihm den Hof und beeiferten sich sämtlich, sein Vertrauen zu gewinnen. Er durchschaute den Beweggrund ihrer Anhänglichkeit, freute sich darüber, und den Abstand zwischen uns vergessend, schmeichelte er sich mit der Hoffnung, daß mein Vater ihn so sehr liebte, um ihn bei dieser Verbindung allen Prinzen der Welt vorzuziehen. Er tat noch mehr: da für seine Wünsche der König zu lange säumte, ihm meine Hand anzubieten, so hatte er die Kühnheit, ihn selber darum zu bitten. Welche Strafe seine Dreistigkeit auch verdient hätte, doch begnügte mein Vater sich damit, ihm zu antworten, daß er andere Absichten mit mir hätte, und sah ihn darum nicht scheel an. Den jungen Mann aber erbitterte diese abschlägige Antwort, und in seinem Hochmute fand er sich über diese Verschmähung seiner Bewerbung so beleidigt, als wenn er um ein Mädchen aus dem gemeinen Volke geworben hätte oder von gleicher Geburt mit mir gewesen wäre. Er blieb dabei nicht stehen: er beschloß, sich an dem Könige zu rächen; und mit einer Undankbarkeit, von welcher es wenig Beispiele gibt, stiftete er eine Verschwörung gegen ihn, erdolchte ihn und ließ sich zum Könige von Deryabar ausrufen, unterstützt durch eine große Anzahl von Mißvergnügten, deren Unzufriedenheit er zu benutzen wußte.

Nachdem er meinen Vater aus dem Wege geräumt hatte, war seine erste Sorge, selber an der Spitze eines Teils der Verschworenen in mein Zimmer zu dringen. Seine Absicht war, mir das Leben zu nehmen oder mich mit Gewalt zu zwingen, ihn zu heiraten. Aber ich hatte gerade noch Zeit, ihm zu entrinnen: während er damit beschäftigt war, meinen Vater zu ermorden, kam der Großwesir, der seinem Herrn stets treu geblieben war, entführte mich aus dem Palaste und brachte mich in dem Hause eines seiner Freunde in Sicherheit, wo er mich verborgen hielt, bis ein heimlich durch seine Vorsorge ausgerüstetes Schiff imstande war, unter Segel zu gehen. Alsdann verließ ich die Insel allein in Begleitung einer Hofmeisterin und dieses edelmütigen Ministers, der es vorzog, der Tochter seines Herrn zu folgen und ihr Unglück zu teilen, als dem Thronräuber zu gehorchen.

Der Großwesir hatte die Absicht, mich an die Höfe der benachbarten Könige zu führen, um ihren Beistand anzuflehen und sie zur Rache für meinen Vater zu bewegen; aber der Himmel begünstigte nicht einen uns so vernünftig scheinenden Vorsatz. Nachdem wir einige Tage fortgeschifft waren, erhob sich ein so wütender Sturm, daß ungeachtet der Geschicklichkeit unserer Matrosen unser Schiff durch die Gewalt der Winde und der Wogen an einen Felsen geschleudert wurde und scheiterte. Ich halte mich nicht bei einer Beschreibung unsers Schiffbruchs auf; ich könnte Euch schlecht schildern, auf welche Weise meine Hofmeisterin, der Großwesir und meine ganze Begleitung in den Abgrund des Meeres verschlungen wurden; der Schreck, der mich ergriffen hatte, erlaubte mir nicht, unser ganzes grauenvolles Schicksal zu erkennen. Ich verlor das Bewußtsein; und sei es nun, daß einige Trümmer des Schiffes mich ans Ufer trugen, oder daß der Himmel, der mich noch zu anderen Unglücksfällen aufsparte, mich durch ein Wunder rettete, genug, als ich wieder zur Besinnung kam, befand ich mich am Gestade.

Oft macht das Unglück uns ungerecht: anstatt Gott für die besondere Gnade zu danken, welche mir zuteil ward, erhob ich die Augen nur gen Himmel, um ihm Vorwürfe über meine Rettung zu machen. Weit entfernt, den Wesir und meine Hofmeisterin zu beweinen, beneidete ich vielmehr ihr Schicksal; und nach und nach wurde meine Vernunft von den furchtbaren Vorstellungen, welche mich beunruhigten, so verwirrt, daß ich den Entschluß faßte, mich ins Meer zu stürzen.

Ich war schon im Begriff, hineinzuspringen, als ich hinter mir ein lautes Getöse von Menschen und Pferden hörte. Ich drehte mich sogleich um, zu sehen, was es wäre, und erblickte mehrere bewaffnete Reiter, unter welchen einer ein arabisches Pferd ritt. Dieser trug einen silbergestickten Rock mit einem Edelsteingürtel und hatte eine Krone auf dem Haupte. Hätte ich auch nicht an seiner Kleidung ihn für den Herrn der übrigen erkannt, so würde ich es aus dem edlen Wesen geschlossen haben, welches über seine ganze Person verbreitet war. Er war ein vollkommen wohlgebildeter Mann, schöner wie der Tag. Verwundert, an diesem Orte ein Fräulein so allein zu sehen, sandte er einige Offiziere ab, mich zu fragen, wer ich wäre. Ich antwortete ihnen nur durch Tränen. Da das Ufer mit den Trümmern unsers Schiffes bedeckt war, so erkannten sie wohl, daß eben ein Schiff an der Küste gescheitert wäre und ich mich ohne Zweifel aus dem Schiffbruche gerettet hätte. Diese Vermutung und der lebhafte Schmerz, den sie an mir sahen, erregte die Neugier der Offiziere, welche mir nun tausend Fragen taten und mich dabei versicherten, ihr König wäre ein großmütiger Fürst, und an seinem Hofe würde ich Trost finden.

Ihr König war ungeduldig, zu vernehmen, wer ich wäre, und die Rückkunft seiner Offiziere währte ihm zu lange: er näherte sich mir und betrachtete mich mit vieler Aufmerksamkeit; und da ich nicht aufhörte, zu weinen und zu jammern, ohne denen antworten zu können, die mich befragten, so verbot er ihnen, mich länger mit ihren Fragen zu belästigen; hierauf wandte er selber sich zu mir mit den Worten:

»Mein Fräulein, ich beschwöre Euch, Eure überschwängliche Betrübnis zu mäßigen. Wenn der Himmel in seinem Zorne Euch seine Härte empfinden läßt, dürft Ihr Euch deshalb nur der Verzweiflung hingeben? Ja, ich wage es, Euch zu versichern, daß, wenn Euer Unglück vergütet werden kann, dies in meinem Reiche geschehen soll. Ich biete Euch meinen Palast an: Ihr könnt darin bei der Königin, meiner Mutter, wohnen, welche sich bemühen wird, durch eine freundliche Behandlung Eure Leiden zu lindern. Ich weiß noch nicht, wer Ihr seid, aber ich fühle schon, daß ich herzlichen Teil an Euch nehme.«

Ich dankte dem jungen Könige für seine Gütigkeit. Ich nahm sein freundliches Erbieten an, und um ihm zu zeigen, daß ich desselben nicht unwürdig wäre, entdeckte ich ihm meine Herkunft. Ich schilderte ihm die Frechheit des jungen Sarazenen, und ich durfte ihm nur ganz einfach meine Unglücksfälle erzählen, um sein und all seiner Offiziere Mitleid zu erregen.

Als ich meine Erzählung geendigt hatte, nahm der Prinz wieder das Wort und versicherte mich von neuem, daß er großen Teil an meinem Unglücke nähme.

Er führte mich hieraus in seinen Palast, wo er mich der Königin, seiner Mutter, vorstellte. Dort mußte ich die Erzählung meiner Abenteuer wiederholen, was nicht ohne neue Tränen geschah. Die Königin bezeigte auch große Teilnahme an meinen Leiden und hatte für mich die größte Zärtlichkeit. Der König, ihr Sohn, ward sogleich sterblich verliebt in mich und bot mir bald seine Hand und Krone dar. Ich war noch zu sehr mit meinem Unglücke beschäftigt, so daß der junge Fürst, so liebenswürdig er war, auf mich nicht den ganzen Eindruck machte, welchen er zu einer anderen Zeit gemacht haben würde. Indessen, von Dankbarkeit durchdrungen, versagte ich es nicht, sein Glück zu machen; unsere Hochzeit wurde mit aller ersinnlichen Pracht vollzogen.

Während alle Welt mit den Vermählungsfeierlichkeiten des Königs beschäftigt war, überfiel in einer Nacht ein benachbarter feindlicher Fürst die Insel mit einem ansehnlichen Kriegsheere. Dieser furchtbare Feind war der König von Sangebar; er fiel über alles her und hieb alle Untertanen meines Gemahls in Stücken.

Es fehlte nicht viel, so hätte er selbst uns beide gefangen; denn er war schon mit einem Teil seiner Leute in den Palast gedrungen; aber wir fanden noch Mittel und Wege, uns zu retten und das Ufer des Meeres zu gewinnen, wo wir uns in eine Fischerbarke warfen, welche wir glücklicherweise dort antrafen.

Wir schwammen, ein Spiel der Winde und Wogen, zwei Tage lang dahin, ohne zu wissen, was aus uns werden sollte; am dritten erblickten wir ein Schiff, welches mit vollen Segeln auf uns zusteuerte. Wir freuten uns anfangs darüber, weil wir es für einen Kauffahrer hielten, welcher uns aufnehmen könnte; aber ich kann euch unsere Bestürzung nicht ausdrücken, als das Schiff herankam und auf dem Verdecke zehn bis zwölf bewaffnete Seeräuber erschienen. Sie kamen, uns aufzunehmen; fünfe oder sechse warfen sich in ein Boot, bemächtigten sich unser beider, banden den Fürsten, meinen Gemahl, und brachten uns in ihr Schiff, wo sie mir erst den Schleier abnahmen.

Meine Jugend und meine Züge verblendeten sie: alle diese Seeräuber erklären mir, daß sie bezaubert von meinem Anblicke sind. Anstatt zu losen, will jeder den Vorzug und mich zur Beute haben. Sie erhitzen sich, werden handgemein und schlagen wie Rasende aufeinander los. In einem Augenblick ist das Verdeck mit Leichen bedeckt. Kurz, sie erschlagen einander alle bis auf einen, der sich nun im Besitze meiner Person sah und zu mir sprach:

»Du gehörst mir: ich werde dich nach Kairo führen, um dich einem meiner Freunde zu überliefern, dem ich eine schöne Sklavin versprochen habe. – Aber,« fügte er hinzu, indem er den König, meinen Gemahl, anblickte, »wer ist dieser Mann da? Welche Bande verknüpfen ihn mit dir? Sind es Bande des Blutes oder der Liebe?« – »Herr,« antwortete ich, »es ist mein Gemahl.« – »Wenn das ist,« fuhr der Seeräuber fort, »so muß ich aus Erbarmen mich seiner entledigen: er würde zu viel leiden, wenn er Euch in den Armen meines Freundes sähe.« Mit diesen Worten ergriff er den unglücklichen gefesselten Fürsten und stürzte ihn ins Meer trotz allen Anstrengungen, die ich machen konnte, ihn daran zu verhindern.

Ich stieß bei dieser grausamen Tat ein Geschrei des Entsetzens aus, und ich hätte mich ohne Zweifel in die Fluten gestürzt, wenn der Seeräuber mich nicht zurückgehalten hätte. Er sah wohl, daß dieses mein einziger Wunsch war; deshalb band er mich mit Stricken an den großen Mastbaum.

Sodann spannte er die Segel auf und segelte ans Land, wo er aussteigen wollte. Er band mich los, führte mich in eine kleine Stadt, wo er Kamele, Zelte und Sklaven kaufte, und nahm dann seinen Weg nach Kairo in der Absicht, wie er immer wiederholte, mich seinem Freunde zu bringen und so sein Wort zu lösen.

Wir waren schon mehrere Tage unterwegs, als wir gestern durch diese Ebene zogen und den Schwarzen erblickten, der dieses Schloß bewohnte. Wir hielten ihn von ferne für einen Turm, und noch, als er uns nahe kam, konnten wir kaum glauben, daß es ein Mensch wäre. Er zog sein breites Schlachtschwert und forderte den Seeräuber auf, sich zu ergeben samt allen seinen Sklaven und dem Fräulein, die er mit sich führte. Der Seeräuber war beherzt, und in Beistand aller seiner Sklaven, welche ihm Treue gelobten, griff er den Schwarzen an. Der Kampf dauerte lange; aber endlich fiel der Seeräuber unter den Streichen seines Feindes, und ebenso wie er alle seine Sklaven, die lieber sterben als ihn verlassen wollten.

Darnach führte der Schwarze mich in dieses Schloß, wohin er auch den Leichnam des Seeräubers brachte, welchen er zum Abendbrote verzehrte. Am Ende dieser gräßlichen Mahlzeit sprach er zu mir:

»Fräulein, bequeme dich lieber, meine Begierde zu stillen, anstatt dich so sehr zu betrüben. Weiche gutwillig der Notwendigkeit: ich gebe dir bis morgen Zeit, es zu überlegen. Ich möchte dich ganz getröstet über dein Unglück sehen, und du solltest dich freuen, für mein Bette aufgehoben zu sein.«

Mit diesen Worten führte er mich in ein besonderes Zimmer und legte sich in dem seinen zu Bette, nachdem er selber alle Türen des Schlosses verschlossen hatte.

Er öffnete dieselben auch diesen Morgen und schloß sie wieder hinter sich zu, um einigen Reisenden nachzusetzen, welche er von ferne bemerkte; aber sie müssen ihm entwischt sein, weil er allein und ohne Beute zurückkam, als Ihr ihn angegriffen habt.«

 


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