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Zweihundertundsechsundachtzigste Nacht.

Geschichte Chodadads und seiner Brüder.

Die Geschichtsschreiber des Königreichs Diarbekir erzählen von einem sehr mächtigen und reichen Könige, welcher in der Stadt Harran herrschte. Er liebte seine Untertanen nicht weniger, als er von ihnen geliebt wurde. Er besaß tausend Tugenden, und es fehlte ihm nichts zu seinem vollkommenen Glücke als ein Erbe.

Obwohl er in seinem Seraï die schönsten Weiber von der Welt hatte, so konnte er doch keine Kinder von ihnen erhalten. Er bat unaufhörlich den Himmel darum; endlich, in einer Nacht, da er im süßen Schlafe lag, erschien ihm ein freundlicher Mann oder vielmehr ein Prophet und sprach zu ihm:

»Deine Bitte ist erhört; dir ist endlich gewährt, was du verlangtest. Sobald du erwachst, steh auf, verrichte dein Gebet und mache zwei Kniebeugungen; hierauf geh in den Garten deines Palastes, rufe deinen Gärtner und laß dir von ihm eine Granate bringen: iß davon so viele Körner, als dir beliebt, und deine Wünsche werden erfüllt werden.«

Der König erinnerte sich beim Erwachen dieses Traumes und dankte dem Himmel dafür. Er stand auf, verrichtete sein Gebet und machte zwei Kniebeugungen; dann ging er in den Garten, wo er von einer Granate fünfzig Körner genau abzählte und dieselben aß.

Er hatte fünfzig Weiber, die sein Bette teilten, und alle wurden schwanger. Nur eine war darunter namens Pirusé, deren Schwangerschaft nicht sichtbar ward. Der König hatte deshalb einen solchen Abscheu vor ihr, daß er sie wollte töten lassen.

»Ihre Unfruchtbarkeit,« sprach er, »ist ein sicheres Zeichen, daß der Himmel sie nicht für würdig achtet, Mutter eines Prinzen zu werden. Ich muß die Welt von einem dem Herrn so verhaßten Wesen reinigen.«

Er hatte schon diesen grausamen Entschluß gefaßt; aber sein Wesir lenkte ihn davon ab, indem er ihm vorstellte, daß nicht alle Frauen gleich geartet wären, und daß Pirusé doch wohl schwanger sein könnte, wenn ihre Schwangerschaft sich auch nicht deutlich zeigte.

»Nun wohl,« erwiderte der König, »so mag sie leben: aber sie soll sogleich meinen Hof verlassen, denn ich kann sie hier nicht länger dulden.«

»Euer Majestät könnte sie,« versetzte der Wesir, »zu dem Prinzen Samer, Eurem Vetter, schicken.«

Dem König gefiel dieser Rat, und er sandte Pirusé nach Samarien mit einem Briefe, worin er seinem Vetter befahl, sie gut zu behandeln und, wenn sie schwanger wäre, ihm von ihrer Niederkunft Nachricht zu geben.

Kaum war Pirusé in diesem Lande angekommen, als sie ihre Schwangerschaft spürte, und am Ende derselben gebar sie einen Prinzen, schöner als der Tag.

Der Fürst von Samarien schrieb sogleich an den König von Harran, meldete ihm die glückliche Geburt dieses Sohnes und wünschte ihm Glück dazu.

Der König hatte große Freude darüber und antwortete dem Fürsten Samer folgendermaßen:

»Lieber Vetter, alle meine andern Frauen haben ebenfalls jede einen Prinzen geboren, so daß ich hier eine große Menge Kinder habe. Ich bitte Euch, den Sohn der Pirusé aufzuziehen, ihn Chodadad zu nennen und ihn mir zu senden, wenn ich ihn von Euch fordere.«

Der Fürst von Samarien sparte nichts bei der Erziehung seines Neffen. Er ließ ihn reiten lernen, mit dem Bogen schießen und alle anderen einem Königssohn angemessenen Dinge, so vollkommen, daß Chodadad im achtzehnjährigen Alter für ein Wunder gelten konnte.

Dieser junge Prinz, im Gefühl eines seiner Geburt würdigen Mutes, sprach eines Tages zu seiner Mutter: »Ich fange an, mich in Samarien zu langweilen; ich fühle Begierde nach Ruhm in mir, erlaubet mir also, auszuziehen und Gelegenheit auszusuchen, ihn in den Gefahren des Krieges zu erwerben. Der König von Harran, mein Vater, hat Feinde. Einige benachbarte Fürsten wollen seine Ruhe stören. Warum ruft er mich nicht zu Hilfe? Warum läßt er mich so lange in der Kindheit? Sollte ich nicht jetzt schon an seinem Hofe sein? Während alle meine Brüder das Glück haben, an seiner Seite zu fechten, soll ich hier mein Leben in Müßiggang verbringen?«

»Mein Sohn,« antwortete ihm Pirusé »ich habe nicht weniger Ungeduld als du, deinen Namen berühmt zu sehen. Ich wollte, daß du dich schon gegen die Feinde deines Vaters ausgezeichnet hättest: aber du mußt abwarten, bis er dich auffordert.«

»Nein, Frau Mutter,« erwiderte Chodadad, »ich habe nur zu lange gewartet. Ich brenne vor Begierde, den König zu sehen, und ich bin in Versuchung, hinzuziehen und als ein junger Unbekannter ihm meine Dienste anzubieten. Er wird sie ohne Zweifel annehmen, und ich werde mich nicht eher zu erkennen geben, als bis ich tausend ruhmvolle Taten vollbracht habe; ich will seine Hochachtung erwerben, bevor er mich erkennt.«

Pirusé billigte diesen hochherzigen Entschluß; und aus Furcht, daß der Fürst von Samarien sich dem widersetzen möchte, verließ Chodadad, ohne ihm denselben mitzuteilen, eines Tages Samarien, wie wenn er auf die Jagd reiten wollte.

Er ritt ein weißes Roß mit goldenem Zügel und Hufbeschlag, Sattel und Schabracke von blauem Atlas mit Perlen besät. Der Griff seines Säbels war ein einziger Diamant und die Scheide von Sandelholze, ganz mit Smaragden und Rubinen besetzt. Über seine Schultern hingen ein Köcher und sein Bogen. In diesem Aufzuge, welcher seine herrliche Bildung wunderbarlich erhöhte, kam er in der Stadt Harran an.

Er fand bald Mittel, sich dem Könige vorstellen zu lassen, welcher, entzückt von seiner Schönheit, seinem stattlichen Wuchse, oder vielleicht auch von der Macht des Blutes hingezogen, ihn sehr huldreich empfing und ihn nach seinem Namen und Stande fragte.

»Herr,« antwortete Chodadad, »ich bin der Sohn eines Emirs von Kairo. Die Lust zu reisen trieb mich aus meinem Vaterlande, und da ich auf der Fahrt durch Eure Staaten vernahm, daß Ihr mit einigen Eurer Nachbarn im Kriege wäret, so bin ich an Euren Hof gekommen, um Euer Majestät meinen Arm anzubieten.«

Der König überschüttete ihn hierauf mit Liebkosungen und gab ihm eine Anstellung in seinem Heere.

Der junge Prinz säumte nicht, seine Tapferkeit zu zeigen. Er erwarb sich die Hochachtung der Offiziere und erregte die Bewunderung der Soldaten; und da er nicht weniger Einsicht als Mut besaß, so gewann er so sehr die Gnade des Königs, daß er bald sein Günstling ward. Die Minister und andere Hofleute versäumten nicht, täglich Chodadad zu besuchen, und sie bewarben sich ebenso eifrig um seine Freundschaft, als sie die übrigen Söhne des Königs vernachlässigten.

Diese jungen Prinzen konnten solches nicht ohne Verdruß bemerken, und da sie dem Fremdling die Schuld gaben, so hatten sie einen heftigen Haß auf ihn.

Unterdessen gewann der König ihn je länger, je lieber und ward nicht müde, ihm Beweise seiner Zuneigung zu geben. Er wollte ihn stets um sich haben. Er bewunderte seine geistvollen und klugen Reden; und um zu zeigen, in welchem Grade er ihn für weise und verständig hielt, so vertraute er ihm die Aufsicht der übrigen Prinzen, obwohl er mit ihnen nur von gleichem Alter war, so daß Chodadad der Hofmeister seiner Brüder ward.

Dies reizte nur noch mehr ihren Haß. »Wie!« sprachen sie, »der König begnügt sich nicht, einen Fremdling mehr zu lieben als uns, er macht ihn auch noch zu unserm Hofmeister, so daß wir nichts ohne seine Erlaubnis tun sollen? Das dürfen wir nicht leiden. Wir müssen uns von diesem Fremdling befreien.«

»Wir brauchen nur,« sprach einer von ihnen, »allesamt über ihn herzufallen und ihn unter unsern Streichen zu Boden zu schlagen.«

»Nein, nein,« sprach ein anderer, »hüten wir uns wohl, ihn selber umzubringen; sein Mord würde uns dem Könige verhaßt machen, welcher uns zur Strafe dafür alle der Nachfolge für unwürdig erklären würde. Lasset uns den Fremdling mit List aus dem Wege räumen. Bitten wir ihn um die Erlaubnis, auf die Jagd zu reiten; und wenn wir weit genug vom Palaste sind, so nehmen wir den Weg nach einer andern Stadt, wo wir uns einige Zeit versteckt halten wollen. Unsere Abwesenheit wird den König verwundern, wenn er uns nicht wiederkommen sieht, er wird die Geduld verlieren und den Fremdling vielleicht töten lassen; wenigstens wird er ihn von seinem Hofe verbannen, weil er uns erlaubt hat, allein den Palast zu verlassen.«

Alle die Prinzen stimmten diesem Anschlage bei. Sie gingen zu Chodadad und baten ihn um die Erlaubnis zu einer Jagdlust mit dem Versprechen, denselben Tag noch zurückzukommen.

Der Sohn der Pirusé ging in die Schlinge: er gab seinen Brüdern die erbetene Erlaubnis. Sie ritten weg und kamen nicht wieder.

Schon drei Tage waren sie abwesend, als der König Chodadad fragte: »Wo sind denn die Prinzen? Ich habe sie ja lange nicht gesehen.«

»Herr,« antwortete Chodadad mit einer tiefen Verneigung, »sie sind drei Tage auf der Jagd; sie hatten mir indessen versprochen, eher zurückzukommen.«

Der König ward unruhig, und seine Unruhe vermehrte sich, als auch am folgenden Tage die Prinzen noch nicht erschienen. Er konnte seinen Zorn nicht mehr zurückhalten. »Unvorsichtiger Fremdling,« sprach er zu Chodadad, »wie konntest du meine Söhne wegreiten lassen, ohne sie zu begleiten? Verstehest du so das Amt, welches ich dir aufgetragen habe? Geh auf der Stelle, sie zu suchen, und bringe sie mir her, oder dein Tod ist gewiß.«

Diese Worte erfüllten den unglücklichen Sohn der Pirusé mit Entsetzen. Er legte seine Rüstung an und bestieg schleunig sein Roß.

Er verläßt die Stadt, und wie ein Hirte, der seine Herde verloren hat, sucht er überall im Gefilde seine Brüder; er erkundigt sich in allen Dörfern, ob man sie nirgends gesehen hat, und da er keine Kunde von ihnen bekommen kann, so gibt er sich dem heftigsten Schmerze hin. »Ach, meine Brüder,« ruft er aus, »was ist aus euch geworden? Solltet ihr unserm Feinde in die Hände gefallen sein? Sollte ich nur deshalb an den Hof zu Harran gekommen sein, um dem König ein so grausames Herzeleid zu bereiten?«

Er war untröstlich, den Prinzen die Jagd erlaubt oder sie nicht begleitet zu haben.

Nach einigen Tagen vergeblicher Nachforschung gelangte er in eine ungeheuer weite Ebene, in deren Mitte ein Palast von schwarzem Marmor stand. Er nähert sich demselben und sieht an einem Fenster ein wunderschönes Fräulein, aber bloß mit ihrer Schönheit geschmückt; denn ihre Haare waren zerstreut und ihre Kleider zerrissen, und man bemerkte auf ihrem Gesichte den Ausdruck der tiefsten Betrübnis.

Sobald sie Chodadad erblickte und meinte, daß er sie wohl hören könnte, so redete sie ihn mit folgenden Worten an: »O Jüngling! entferne dich von diesem unseligen Palast, wo du dich alsbald in der Gewalt des Ungeheuers sehen wirst, welches ihn bewohnt. Ein Schwarzer, der sich von Menschenblut nährt, haust hier; er ergreift alle Leute, welche ihr böses Glück durch diese Ebene führt, und versperrt sie in dunkle Löcher, aus welchen er sie nur hervorzieht, um sie zu verschlingen.«

»Schönes Fräulein,« antwortete ihr Chodadad, »saget mir, wer Ihr seid, und seid wegen des übrigen unbesorgt.«

»Ich bin aus Kairo gebürtig, von vornehmem Geschlechte,« antwortete das Fräulein, »und kam auf der Reise nach Bagdad nahe an diesem Palaste vorbei, wo mir der Schwarze begegnete, alle meine Leute tötete und mich hierher führte. Ich glaubte nichts anders befürchten zu dürfen als den Tod: aber zum Übermaße des Unglücks verlangte dieses Ungeheuer gar Gefälligkeit von mir, und wenn ich morgen mich nicht gutwillig seiner viehischen Lust preisgebe, so muß ich auf die äußerste Gewalttat gefaßt sein. – Noch einmal,« fuhr sie fort, »rette dich, der Schwarze wird bald zurückkommen; er ist ausgegangen, um einige Reisende zu verfolgen, welche er von ferne auf der Ebene bemerkt hat. Du hast keine Zeit zu verlieren, und ich weiß selbst nicht, ob du noch durch eine schleunige Flucht ihm entrinnen kannst.«

Sie hatte diese Worte noch nicht ausgesprochen, als der Schwarze erschien. Es war ein Kerl von ungeheurer Größe und furchtbarem Ansehn. Er ritt ein großes tatarisches Pferd und führte ein so breites und so schweres Schwert, daß er es nur allein handhaben konnte.

Als der Prinz ihn erblickte, verwunderte er sich über die ungeheure Gestalt. Er empfahl sich dem Himmel und bat ihn um seinen Schutz; dann zog er den Säbel und erwartete festen Fußes den Schwarzen, welcher, einen so schwachen Feind verachtend, ihn aufforderte, sich ohne Schwertschlag zu ergeben.

 

Zweihundertundsiebenundachtzigste Nacht.

Chodadad aber zeigte durch sein Standhalten, daß er sein Leben verteidigen wollte; er näherte sich ihm und hieb ihn kräftig in das Knie. Als der Schwarze sich verwundet fühlte, stieß er ein so entsetzliches Geschrei aus, daß die ganze Ebene davon widerhallte. Er wird rasend und schäumt vor Wut, hebt sich in den Steigbügeln empor und will mit seinem furchtbaren Schwerte Chodadads Schlag erwidern. Der Streich wurde so jählings geführt, daß es um den jungen Prinzen geschehen war, wenn er ihm nicht durch eine geschickte Schwenkung seines Rosses ausgewichen wäre. Das Schwert fuhr mit grauenvollem Sausen durch die Luft. Jetzt aber, bevor der Schwarze einen zweiten Streich ausholen konnte, gab ihm Chodadad einen so kräftigen Schlag auf den rechten Arm, daß er ihn abhieb. Das schreckbare Schwert fiel zugleich mit der Faust, die es hielt, zu Boden; und der Schwarze, von der Gewalt der Schlages getroffen, sank alsbald aus den Bügeln, und von seinem Falle erdröhnte die Erde. Hierauf stieg der Prinz von seinem Rosse, warf sich über den Feind her und hieb ihm den Kopf ab.

In diesem Augenblicke tat das Fräulein, deren Augen Zeugen dieses Kampfes gewesen waren, und die für den jungen von ihr bewunderten Helden heiße Gebete gen Himmel sandte, einen Freudenschrei und sprach dann zu Chodadad:

»Prinz (denn der schwere Sieg, welchen Ihr hier errungen habt, sowohl als Euer edles Wesen überzeugt mich, daß Ihr nicht von meinem Stande seid), vollendet Euer Werk: der Schwarze trägt die Schlüssel des Schlosses bei sich, nehmet sie und kommt, mich aus diesem Gefängnisse zu befreien.«

Der Prinz durchsuchte die Taschen des Elenden, der im Staube dahingestreckt lag, und fand darin mehrere Schlüssel.

Er öffnete die erste Pforte und trat in einen großen Hof, wo er schon das Fräulein antraf, die ihm entgegenkam. Sie wollte sich zum Zeichen ihrer tiefsten Dankbarkeit ihm zu Füßen werfen; er aber verhinderte sie daran. Sie pries seine Tapferkeit und erhob ihn über alle Helden der Welt.

Er erwiderte ihre Höflichkeiten; und da sie ihm in der Nähe noch schöner erschien als von ferne, so weiß ich nicht, ob sie über ihre Befreiung aus einer so furchtbaren Gefahr mehr Freude fühlte als er darüber, daß er einem so schönen Fräulein einen so wichtigen Dienst geleistet hatte.

Ihre Unterredung wurde durch Geschrei und Gestöhn unterbrochen. »Was höre ich?« rief Chodadad. »Woher kommen diese kläglichen Töne, die an mein Ohr schlagen?«

»Herr,« antwortete das Fräulein, indem sie ihm eine niedrige Türe innerhalb des Hofes zeigte, »sie kommen von dort her: es stecken da, ich weiß nicht wie viele Unglückliche, welche ihr Unstern in die Hände des Schwarzen fallen ließ; sie liegen alle in Ketten, und jeden Tag zog dieses Ungeheuer einen hervor, um ihn zu fressen.«

»Es erhöht meine Freude noch mehr,« fuhr der junge Prinz fort, »zu vernehmen, daß mein Sieg diesen Unglücklichen das Leben rettet. Kommt, edles Fräulein, und teilet mit mir das Vergnügen, sie in Freiheit zu setzen; Ihr könnt an Euch selber die Freude ermessen, welche wir ihnen machen werden.«

Mit diesen Worten näherten sie sich der Türe des Gefängnisses. Je näher sie kamen, je deutlicher konnten sie das Wehklagen der Gefangenen vernehmen. Chodadad ward davon tief gerührt; ungeduldig, ihr Leiden zu endigen, stieß er schleunig einen Schlüssel in das Schloß. Er traf anfangs nicht den rechten und nahm einen andern: bei diesem Geräusche wähnten alle die Unglücklichen, es wäre der Schwarze, der wie gewöhnlich ihnen zu essen bringen und zugleich einen der Unglücksgefährten zu seinem Fraße holen wollte, und verdoppelten ihr Angstgeschrei: so klägliche Stimmen ließen sich hören, als wenn sie aus dem Mittelpunkte der Erde herauftönten.

Unterdessen öffnete der Prinz die Türe und fand eine sehr steile Treppe, auf welcher er in ein tiefes und weites Gewölbe hinabstieg, das durch ein Luftloch schwach erhellt war, und worin mehr als hundert Menschen mit gefesselten Händen an Pfähle gebunden waren.

»Unglückliche Reisende,« sprach er zu ihnen, »unselige Schlachtopfer, die ihr nur den Augenblick eines grausamen Todes erwartet, danket dem Himmel, welcher euch heute vermittelst meines Armes befreit! Ich habe den furchtbaren Schwarzen, dessen Beute ihr waret, getötet, und ich komme, eure Ketten zu zerbrechen.«

Die Gefangenen hatten nicht sobald diese Worte gehört, als sie alle zusammen ein Geschrei des Erstaunens und der Freude ausstießen. Chodadad und das Fräulein fingen an, sie loszubinden, und sowie welche von ihren Ketten befreit waren, so halfen sie den andern aus den ihrigen, so daß binnen kurzer Zeit alle in Freiheit waren.

Jetzt warfen sie sich zu Chodadads Füßen, und nachdem sie ihm für ihre Befreiung gedankt hatten, verließen sie das Gewölbe. Und als sie nun auf dem Hofe waren, wie groß war da das Erstaunen des Prinzen, unter den Gefangenen auch seine Brüder zu treffen, welche er so lange suchte und nicht mehr zu finden hoffte!

»Ah, Prinzen,« rief er aus, als er sie erblickte, »täusche ich mich nicht? Seid ihr es wirklich? Darf ich mir schmeicheln, daß ich euch dem König, eurem Vater, wiedergeben kann, der über euren Verlust untröstlich ist? Aber sollte auch nicht einer von euch zu beweinen sein? Seid ihr alle am Leben? Ach! der Tod eines einzigen reicht hin, die Freude zu vergiften, welche ich darüber empfinde, euch gerettet zu haben!«

Die neunundvierzig Prinzen gaben sich sämtlich Chodadad zu erkennen, der sie einen nach dem andern umarmte und ihnen die Unruhe mitteilte, in welche ihre Abwesenheit den König versetzte. Sie erteilten ihrem Befreier alle Lobsprüche, die er verdiente; dasselbe taten die übrigen Gefangenen, die keine Ausdrücke stark genug finden konnten, um ganz die Dankbarkeit zu bezeigen, von welcher sie sich durchdrungen fühlten.

Chodadad durchsuchte hierauf mit ihnen das Schloß, und sie fanden darin unermeßliche Reichtümer, feine Leinwand, Goldbrokate, persische Teppiche, chinesischen Atlas und eine Menge anderer Waren, welche der Schwarze den geplünderten Karawanen abgenommen hatte, und wovon der größte Teil den von Chodadad soeben befreiten Gefangenen gehörte. Jeder erkannte sein Gut und nahm es in Anspruch. Der Prinz ließ sie ihre Ballen nehmen und verteilte selbst noch die übrigbleibenden Waren unter sie.

Hierauf sprach er zu ihnen: »Wie wollt ihr aber eure Ballen fortbringen? Wir sind in einer Wüste, und es hat keinen Anschein, daß ihr hier Pferde finden werdet.«

»Herr,« antwortete einer der Gefangenen, »der Schwarze hat mit unsern Waren auch unsere Kamele geraubt; vielleicht stehen sie noch in den Ställen dieses Schlosses.«

»Das ist nicht unmöglich,« versetzte Chodadad, »wir müssen nachforschen.«

Zu gleicher Zeit ging er mit ihnen in die Ställe, wo sie nicht nur die Kamele der Kaufleute, sondern auch die Pferde der Söhne des Königs von Harran fanden, was alle mit Freuden erfüllte.

In den Ställen befanden sich auch einige schwarze Sklaven, welche, als sie alle die Gefangenen befreit sahen und daraus auf den Tod des Schwarzen schlossen, in Schrecken gerieten und auf ihnen bekannten Auswegen entflohen. Man dachte nicht daran, sie zu verfolgen. Die Kaufleute, voller Freude, mit ihrer Freiheit auch ihre Waren und Kamele wiedererhalten zu haben, rüsteten sich zur Heimkehr: aber vor ihrer Abreise dankten sie nochmals ihrem Befreier.

Als sie weg waren, wandte sich Chodadad zu dem Fräulein und fragte sie: »Wohin, edles Fräulein, wünscht Ihr Euch zu begeben? Wohin wolltet Ihr reisen, als Ihr von dem Schwarzen überfallen wurdet? Ich will Euch nach dem Orte führen, welchen Ihr als Zuflucht erwählet habt, und ich zweifle nicht, daß diese Prinzen sämtlich ebenso gesonnen sind.« Die Söhne des Königs von Harran beteuerten dem Fräulein, sie würden sie nicht eher verlassen, als bis sie sie ihren Eltern wiedergegeben hätten.

»Prinzen,« sprach sie hierauf zu ihnen, »ich bin aus einem von hier zu weit entfernten Lande; es hieße eure Großmut mißbrauchen, wenn ich euch einen so weiten Weg machen ließe: übrigens muß ich euch auch bekennen, daß ich von meinem Vaterlande für immer geschieden bin. Ich habe Euch vorhin gesagt, ich sei ein Fräulein aus Kairo; aber nach der mir von Euch bewiesenen Güte und nach der Verpflichtung, welche ich gegen Euch habe, Herr,« fügte sie hinzu, indem sie Chodadad ansah, »würde ich sehr undankbar sein, wenn ich Euch länger die Wahrheit verhehlte. Ich bin die Tochter eines Königs. Ein Kronenräuber hat sich des Thrones meines Vaters bemächtigt, nachdem er ihm das Leben geraubt hat; um nun das meinige zu retten, war ich genötigt, die Flucht zu ergreifen.«

Nach diesem Bekenntnis bat Chodadad mit seinen Brüdern die Prinzessin, ihnen ihre Geschichte zu erzählen, indem sie sie versicherten, daß sie allen möglichen Teil an ihrem Unglücke nähmen und bereit wären, nichts zu sparen, um sie wieder glücklich zu machen.

Nachdem sie ihnen für diese neuen Beteuerungen ihrer Dienstwilligkeit gedankt hatte, konnte sie nicht umhin, ihre Neugier zu befriedigen, und sie begann folgendermaßen die Erzählung ihrer Abenteuer:

 


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