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Achtes Capitel.
Zurückgezogenes Leben.

Es war ein Sommernachmittag auf dem Lande. Eine stille, schwüle Hitze bleichte die Felder um Woodhouse und dessen Nachbarschaft mit ihren rauhen Hecken, die an einigen Stellen in abwechselndem Licht und Schatten oben zusammenstoßen und reich sind an Brombeeren und Haselnüssen. Schreiten wir durch jenes große, rostige Thor und blicken wir umher. Der ausgedehnte Garten ist von Blumen entblößt, obwohl er bei Ankunft der nunmehrigen Bewohner des Hauses in voller, üppiger Blüthe stand; allein Mr. Grice, der bald nach seiner Ankunft von einer Anwandlung zum Cultiviren befallen worden war, hatte alle jene »nutzlosen« Verschönerungen ausgerottet, um Raum für Lieblingskohl verschiedner Gattung und für Bohnen zu gewinnen. Ein großes Beet prachtvoller Erdbeeren hatte dasselbe unrühmliche Schicksal getheilt, zum fortdauernden Leidwesen des alten Rogers vom Hinterhäuschen, welcher der Gräber, der Gärtner, und sagen wir es offen, der Hauptdieb auf den Grundstücken ist. Der »Herr« hätte ohne Verlust weniger voreilig in diesen seinen Umwälzungen sein dürfen, denn seit langem schon war er seines geldverschlingenden Steckenpferdes überdrüssig geworden und hatte den Boden der Herrschaft des herrlichsten Unkrautes überlassen. Die Vernachlässigung herrscht indeß nicht überall, denn zwischen Stellen scholliger Erde oder geil wuchernder Vegetation sehen wir mehrere große Anpflanzungen von Kartoffeln, blühenden Bohnen und Erbsen nebst anderem Küchengewächs; und etwas weiter hinauf erschienen Reihen von Fruchtgesträuchen, welche, wenn sie auch nicht mehr in ihren besten Tagen stehen, doch noch gute Dienste leisten. Der größeren Bäume gibt es eine Menge, und sie tragen gut, besonders jene, welche die rauhe Lichtung beschatten; und am frühen Morgen oder nach einem windigen Tage bringen die Kinder gar manche Taschen oder Schürzen voll nassen, reifen Obstes herein, das sie im langen Gras unter gewissen wohlbekannten Lieblingsästen gefunden haben.

Verlassen wir die kühle Lichtung, durchkreuzen wir den weiten, knarrenden Kiespfad und steigen die Stiege des Erkers hinan, die sich, wie Alles rings herum, nicht in sehr gesundem Zustande befindet, und deren ursprünglich grüne Bekleidung schon lange von der Sonne weggedörrt wurde. Wie schweigsam ist die warme Luft! Die Krähen auf jenen Bäumen krächzen schläfrig, eine Henne hüpft aus dem Hofe des Hinterhäuschens durch das Zaunthürchen und schreitet mit einigen Küchlein unter stetem Glucken umher; sonst läßt sich nichts hören, obwohl wir der offenen Glasthüre des Wohnzimmers nahe sind. Ist Jemand darin?

Ja, die Kinder sitzen rund um den Tisch beim Lernen, und ihre Mutter mit dem sanften Antlitz sitzt unter ihnen und arbeitet. Sie müssen ihre Aufgaben schweigend fertigen, denn das alte Haus wiederhallt leicht die Töne, und der Papa ist oben und schreibt mit Eifer: wenn ein Buch auf den Boden fällt oder eine laute Stimme sich vernehmen läßt, so folgt oben sogleich jenes mahnende Stampfen, das nicht zweimal gehört werden darf. Jetzt schlägt eine Glocke zwölf Uhr, und deutlich hört man die Klänge durch die mit grünem Boi gefütterte Thüre, welche den Lärm der Küche abhält. Die Gesichtchen der Kinder erheitern sich, denn sie sind frei und dürfen zum Spielen gehen; die größeren Knaben legen ihre lateinischen Aufgaben bei Seite, und Georg, der älteste, bemüht sich, einen kleinen Burschen aufzuheitern, dessen blasses, beschmiertes Antlitz zeigt, daß er eine harte Morgenarbeit über jener Grammatik gehabt hat.

»Komm', Alfred. Ich weiß, wo schöne Brombeeren für Mamma's morgigen Pudding sind. Wer wird zuerst die Hecke erreichen?«

Sie griffen nach ihren Kappen, huschten leicht unter dem Fenster ihres Vaters vorbei und flogen dann im raschen Laufe den Garten hinan.

»Warum gehst Du nicht mit, mein Schatz? es würde Dir gut thun,« sagte die milde Stimme der Mutter zu ihrem zweiten Sohn Paul, welcher, als er seine Schwester Anna zum Aufräumen des in Unordnung gebrachten Zimmers hereinkommen sah, zurückblieb, um ihr zu helfen.

»Ich werde gleich gehen, Mutter. Ich will nur zuvor den armen Mark besuchen. Er war vergangene Nacht so krank.«

»Ach, ich fürchte, seine Stunden sind gezählt, der arme Bursche,« sagte Therese. »Dort ist Helena mit dem Kind unter den Bäumen. Paul, mein Schatz, sage ihr, sie soll es zu mir bringen.«

Demgemäß kam Helene, ein strahlendes junges Mädchen mit den geistvollen Zügen und den lebhaften Augen ihres Vaters, die Stufen herauf, ein krausköpfiges Kleines an ihrer Hand führend und ein Kind auf ihrem Arme tragend – denn immer gab es, arme Therese, einen Säugling in der Familie. Nachdem Helene sich ihrer Bürde entledigt hatte, ging sie sogleich lachend fort, und mit ihr das kleine Plappermaul; denn ein Stuhl wurde oben auf den bloßen Dielen gerückt, und ein fester Schritt ließ sich hören.

Gleich darauf trat Selwyn in's Zimmer, ging einige Mal auf und ab und gähnte ermüdet.

»Du bist müde, mein Lieber,« bemerkte Therese freundlich. »Willst Du nicht für heute aufhören? Du arbeitest zu streng.«

»Der Dampf von diesem Waschen verbreitet sich durch das ganze Haus,« sagte er, ohne auf ihre Bemerkung zu achten. »Wie unangenehm ist es, daß Ihr die Thüren geschlossen haltet. Anna, bringt mir meinen Hut und meine Schuhe.«

Er zog sie an, zankte seine Tochter, weil sie etliche Krummen fallen ließ, als sie das Tischtuch zum Essen ausbreitete, und ging zu seinem gewöhnlichen Spaziergang in den Garten hinaus.

Aus den gegebenen Winken mag man schließen, daß weder Selwyn's häusliches Benehmen, noch sein Temperament mit der Zeit milder geworden war. Jene, welche eben so willig sind, ihn zu entschuldigen, wie seine Gattin, mögen dieß als eine natürliche Folge der Sorgen betrachten, mit denen er zu ringen hatte. Hart, in der That, waren einige der Beschwerden, welche in den letzteren Jahren die Familie heimgesucht hatten; wie hart und wie zahlreich, ist bloß ihnen allein bekannt, da die Kinder mit angeborenem Zartsinn oder Stolz nie öffentlich davon redeten, und, außer dem Hause, unter artigem Anschein alle Anzeichen ihrer schweren Erfahrungen zu verbergen suchten. Eine Art der Prüfung jedoch blieb ihnen stets erspart – sie wußten nichts von dem Ungemach und den kleinlichen Plackereien der Schulden. Selwyn, ein Mann von gewissenhaften Grundsätzen in Betreff gewisser Punkte, hatte sich einmal dieses gesellschaftlichen Verbrechens schuldig gemacht; aber zur selben Stunde hatte er feierlich gelobt, daß ihn keine irdische Rücksicht mehr versuchen solle, dasselbe zu wiederholen, und unbeugsam hielt er unter dem Drucke der größten Entbehrungen an diesem Versprechen fest. Seine Kinder erinnerten sich, als sie zu reifer Einsicht gelangt waren, mit Ehrfurcht dieses strengen Zuges im Charakter ihres Vaters; und sie erinnerten sich noch eines andern – daß er stets übereifrig arbeitete und mehr als einmal durch unabläßiges Studium seine Gesundheit ernstlich gefährdet hatte. Mancher Schriftsteller hat nicht halb so streng gearbeitet und doch einen gegründeten Wohlstand erreicht. Der arme Gentleman pflegte zu sagen, es sei sein verhängnißvolles Loos, Ruhm zu erlangen, während Andere Geld erlangten; doch hiefür waren einige triftige Gründe vorhanden, die unschwer zu entdecken sind.

Erstens verkaufte er stets aus Noth an baarem Geld das Verlagsrecht jener Werke, die er neben seinen anderweitigen Bestellungen schrieb, und er hatte oft Gelegenheit zu erfahren, daß sie in manche Taschen, nur nicht in die seinen, ein hübsches Einkommen brachten. Ferners zerschlug er sich in Folge der unglücklichen Hitze seines Temperamentes früher oder später mit jedem Verleger, und so war er oft genöthigt, zufällige Bestellungen anzunehmen, die wenig eintrugen, oder manche Wochen lang ohne Arbeit hinzubringen, was er zwar bedauerte, aber nie durch zeitiges Nachgeben abzuwenden suchte. Wir wollen hier zugleich bemerken, daß er, seiner Gewohnheit gemäß, schon seit langem dem literarischen Gentleman entfremdet war, der sich bei seinem Abzug nach Woodhouse als ein so edelmüthiger Gönner erwiesen hatte. Die Gründe, welche diesen Bruch herbeiführten, sind einfach folgende:

Selwyn hatte einige Bücher, die ihm zur Recension übersandt wurden, unbarmherzig mitgenommen; die Verfasser hatten begründete Klagen und sorgfältige Rechtfertigungen eingesendet – ein Vorgehen, das ihnen blos einen schärferen Hieb von Seite der unsichtbaren kritischen Geißel einbrachte. Mr. Deanes, welcher nicht gesonnen war, einen Streit hervorzurufen, hatte hierauf privatim einige Vorstellungen an Selwyn gerichtet, der ihm heftig erwiederte und erklärte, er lasse sich von keinem Menschen auf Erden seine Meinungen vorschreiben. Diese geringfügige Geschichte veranlaßte eine Kälte und allmählige Entfremdung zwischen den beiden Gentlemen – zu Theresens nicht geringem Kummer, denn sie wußte, daß Mr. Deanes ein mitfühlender Freund war und ein billiger Prinzipal.

Während unsres kurzen Rückblickes hat Anna aufgedeckt und auf den Schall einer Handglocke eilte das junge Volk aus verschiedenen Winkeln herbei – zuletzt Paul von dem Krankenbette, wo er vorgelesen und gebetet hatte. Die Mahlzeiten an diesem Tische sind stets unbehagliche Zeiten. Selwyn schneidet vor und theilt aus, aber ohne Liebe und Sorgfalt; das Essen ist einfach, ja rauh, und doch wird so viel verzehrt, daß man kaum begreift, wie es regelmäßig herbeigeschafft wurde; die Eltern reden selten miteinander, und die Kinder sitzen schweigend und voll Zwang da. Heute ist es öder als gewöhnlich am Tische, denn der Vater ist in Gedanken vertieft, und die Mutter, niedergedrückt vom Vorgefühl einer Wolke, die sich über ihren Häuptern ansammelt und bald entladen wird. Man zerstreut sich sogleich nach dem Essen, und die älteren Mädchen säubern und ordnen rasch das Zimmer. Nebenbei bemerkt, gereicht es den beiden kleinen Mädchen sehr zum Ruhme, daß sie, obwohl beide mehr als gewöhnlichen Verstand besaßen und in höherer Bildung rasch voranschritten, doch ihre Mutter bei den zahlreichen täglichen Haushaltungspflichten so nachdrücklich unterstützten, daß der Mangel einer ständigen Magd nicht als ernste Unbequemlichkeit vom übrigen Theil der Familie empfunden wurde. Denn Kitty, die rothhaarige Magd, hatte, nachdem sie der Familie lange Zeit treu gedient, eines Morgens die Pfarrkirche besucht und dann im nächsten Dorfe auf ihre eigne Rechnung eine Haushaltung begonnen. Sie kam zwar eine Woche später – ganz Bänder und Lächeln – auf Besuch zu der Familie, die sie liebte, und erbot sich, die Nachbarschaft zu durchstöbern, um ein »gewandtes Mädchen« für ihre leere Stelle zu finden; allein Therese wünschte nicht, daß fremde Augen gewisse Nothbehelfe bemerkten und zog es vor zu versuchen, wie weit sie es mit Hilfe ihrer trefflichen Mädchen brächte. Wiederholen wir es, es war ein lieblicher Anblick, zu sehen, wie jene jungen Geschöpfe ein unfreundliches Loos durch beständige Uebung von Geduld und Demuth verschönerten.

Wo hatten die Mädchen solche Pflichterfüllung gelernt?

Zuerst auf dem Knie ihrer Mutter, welche, damals fromm und eifrig, einsah, daß Belehrung und Selbstbeherrschung nie zu früh beginnen können, und besorgt war, ihre sich erschließenden Geister mit Lehren zu erfüllen, welche mit Einfalt ausgenommen und treu behalten wurden. In letzterer Zeit waren sie mit einer andren Vormundschaft gesegnet worden. Die weitzerstreute Kirchengemeinde, in welcher sie lebten, stand unter der Leitung einer Schaar heiliger Männer, deren Leben beredter noch als ihre Worte, Selbstverleugnung und alle Tugenden eines abgetödteten christlichen Lebens predigte; und obwohl ihre Kirche selbst auf dem nächsten Wege quer durch die Felder vier Meilen weit entfernt war, fand sich die junge Familie dort regelmäßig beim Gottesdienste ein.

Werden sie von ihrer Mutter begleitet?

Ach, wie schwach sind menschliche Vorsätze! Nie. Einem häufigen Besuche des Gottesdienstes standen zwar wirkliche Schwierigkeiten im Wege; allein daß Therese nie die strengen Pflichten eines Katholiken erfüllte, dieß rührte lediglich von der Sorglosigkeit her, in welche sie durch eigne Schuld gefallen war. Sie befand sich jetzt in jenem Zustande, der einst ihr Staunen und Bedauern erregt hatte: sie erfüllte keine religiösen Pflichten, und war dennoch ihrem Glauben noch eifrig zugethan.

Obwohl selbst nachlässig, hörte sie indeß nie auf, über die regelmäßige Pflichterfüllung ihrer Kinder sorgfältig zu wachen. Gar manchen Sonntagsmorgen belastete sie sich mit allen häuslichen Verrichtungen, damit keines der jungen Geschöpfe von dem schon zum Voraus empfundenen wöchentlichen Hochgenusse abgehalten werde – von der Messe um zehn Uhr, der Predigt, der Christenlehre, die unmittelbar aufeinander folgten – und oft schaute sie mit zärtlichem Auge den hübschen Gestalten im Sonnenschein nach, wenn sie bei Zeiten ihren langen, einsamen Weg antraten. Dann pflegte sie zu murmeln:

»Ich bin gesegnet in ihnen, denn ihre Herzen scheinen unwillkürlich den rechten Weg zu wandeln; Gott, wie würde sonst alles wohl stehen? sei mir gnädig!« fügte sie seufzend bei.

In die religiöse Erziehung der Kinder mischte Selwyn sich nicht. In der weltlichen Erziehung jedoch war er genau; streng strafte er, wenn die zugemessenen Aufgaben nicht sorgfältig bearbeitet waren, und er zankte seine Gattin, wenn die Mädchen zufällig während der zum Lernen bestimmten Stunden mit häuslichen Verrichtungen beschäftigt wurden. Therese hatte daher bis jetzt keine Ursache zu klagen, er habe in diesem Punkte sein vor der Ehe so bestimmt gegebenes Versprechen vergessen; und sie mußte dieses Worthalten um so mehr schätzen, da es sicher nicht von einer wachsenden Achtung vor ihrem Glauben herrührte. Ach! Therese hatte schon längst auf die Hoffnung verzichtet, ihr Gatte werde zum Katholizismus übertreten, obwohl es schwer zu sagen ist, wie lang diese Hoffnung in ihrem Herzen bewahrt und wie ungern sie zuletzt aufgegeben ward. In früheren Tagen hatte sie zuweilen angespielt auf dieses andre Versprechen, das er gegeben, aber noch nicht erfüllt hatte – auf das Versprechen einer unpartheiischen Prüfung der Lehrsätze des katholischen Glaubens; allein er wich ihren Anspielungen aus, oder ließ sich, war er in heiterer Laune, zu leichtfertigen Bemerkungen herbei, welche ihr zeigten, was er über den Gegenstand sagen könnte, wenn er möchte, und zuletzt zog sie es vor, von der Sache ganz zu schweigen.

Obwohl sie diese Enttäuschung nicht vergessen konnte, war sie doch dankbar, daß die Sachen nicht schlimmer gingen, wie es nach ihrer eignen Einsicht leicht der Fall sein konnte, besonders als sie einige Anekdoten gehört hatte, welche in der Nachbarschaft umliefen und ihr von der schwatzhaften Mrs. Rogers berichtet wurden. Diese Frau war keine geringe Klatschschwester; und da auch Therese an dem Fehler, der den besten Frauen eigen ist, Antheil hatte und von dem Treiben ihrer Nachbarn eine hübsche Zeit interessirt werden konnte, so geschah es, daß sie an Waschtagen oft lange am Zuber verweilte.

»Ich liebe die Katholiken, Madam,« sagte Mrs. Rogers oft. »Ich habe in meinem Leben viele gekannt, und weil sie meistens gut sind, liebe ich ihre Confession.«

»Aber Mrs. Rogers, wenn Sie keinen bessern Grund als den haben, dann, fürchte ich, werden Sie unsre Religion tadeln, sobald Sie schlechte Katholiken treffen. Das Betragen eines Individuums kann den Glauben nicht schädigen.«

»Nein, natürlich nicht, Madam; doch wie immer, die meisten Katholiken sind besser als ihre Nachbaren, wenigstens nach meiner Ansicht. Da ist die arme Mrs. Swete hier oben, ich kenne sie viele Jahre schon und hörte noch nie, daß sie einer Seele ein hartes Wort gegeben. Und so regelmäßig geht sie in ihre Kirche, Madam. Ich wundre mich, wie ihr Mann sie so quälen kann. Er ist ein Protestant.«

Theresens Interesse war auf einmal geweckt.

»Ja, Madam, und so viele liebe Kinder sie auch haben, nicht eins ist getauft, wie sie es wünschte. Er ließ sie alle vom ersten an in seiner Kirche taufen, und es ist geschehen, ehe sie ausgehen konnte. Dieß beunruhigt sie, die arme Frau.«

Heute wird die Klemme eines andern Nachbars besprochen.

»Mrs. Ribton hat einen Sohn und Erben bekommen, Madam.«

Dieß war die neuvermählte Frau eines katholischen Gentleman von Vermögen, der in der Nähe von Woodhouse lebte, und da er selbst ein Mann von Gelehrsamkeit war, alsbald um Selwyns Freundschaft warb, mit einem Grad von Achtung und Eifer, gegen welchen selbst der zurückhaltende Gelehrte schwer Widerstand leistete.

»Wirklich, Mrs. Rogers. – Wie geht es ihr?«

»Sehr gut, Madam, und auch dem Kinde. Ich war gestern den ganzen Tag dort –«

»Nun, das wird eine feine Taufe werden. Ei, die kleine Klosterkirche wird kaum die Gesellschaft fassen. –«

Haben Sie keine Sorge, Madam. Die feine Taufe wird vielleicht beim nächsten Kind stattfinden.«

»Wie meinen Sie das, gute Frau?«

Mrs. Rogers zog sich sachte vor zwei Strömen flockigen Seifenwassers zurück.

»Ei, Madam – er – er – o, es gab einen großen Spektakel deßhalb, und im ganzen Hause ging es fast drüber und drunter. Sie wissen, sie ist eine Methodistin, oder so etwas; da er mit ihr so zärtlich umgeht, dachte sie vielleicht, er werde ihrem Willen nicht entgegen sein, und vollkommen ruhig, glaubte sie, das Kind werde ihrem eignen Gutdünken und dem ihrer Mutter überlassen. Ihre Mutter ist nämlich bei ihnen, Madam; eine Dame von solcher Größe, ja gewiß, man schnitte aus ihr drei wie Sie, bitte um Verzeihung. Nun er, der arme Gentleman, mag sich den Kopf zerbrochen haben, denn ein Mann, Madam, kann es nicht machen wie eine Frau; er konnte das Kind nicht fortbringen, oder sonst was, ohne daß man es gewußt hätte. Was that er also? Er brachte einen der Gentlemen vom Kloster mit nach Hause, als einen Freund, sehen Sie, und der verlangt das Kind zu sehen; die Amme bringt es herab, ohne zu wissen wozu; der Vater nimmt es, und rasch war alles geschehen. Ei, das war alsdann ein Spektakel. Mrs. Ribton fiel von einer Ohnmacht in die andre den ganzen Tag über, und ihre Mutter schwur, ehe ihre Tochter einen Papisten (bitte um Verzeihung, Madam) zur Welt bringe, wolle sie dieselbe lieber im Grabe sehen, kurz und gut, das Kind dürfe kein Papist bleiben. Die Köchin hat mir alles erzählt.«

»Die liebe kostbare Seele, – möchte Gott sie nur jetzt zu sich nehmen!« seufzte Therese. »Wie sieht er aus, Mrs. Rogers? »Was wird der Vater des Kindes anfangen?«

»Er scheint niedergeschlagen, natürlich, und hat versucht, sich mit ihnen zu versöhnen. Sie waren gestern ruhiger. O er gibt ihnen gewiß nach, er muß Friede haben. Ja, was bleibt einem Manne sonst übrig?« fügte die Frau hinzu, die ziemlich geschickt an ihrem eigenen Heerde die Herrschaft führte. »Miß Anna, tragen Sie doch nicht so viele Dinge; gewiß, Sie sind zu schwer für Sie. Lassen Sie sie mir, Miß. Ich will sie alle durch den Zuber schwenken, nach und nach.«

»Danke Ihnen; wenn Sie es wünschen, will ich gehen und mich zum armen Mark setzen. Er wird allein sein, wenn Paul zum Lernen hereinkommt. Ich will aufwischen und gehen.«

Sie säuberte geschäftig die reinlich gehaltene Küche, während Helene, ihr hübsches Gesicht von darüberhängenden Blättern beschattet, herbeikam und sich auf den äußeren Pfosten des offenen Fensters setzte, um singend den hübschen Säugling zu schauckeln.

»Bist Du nicht müde, Anna, von Deinen langen Arbeiten in dieser heißen Küche? Wenn Du herauskommen und das Kind nehmen willst, will ich für dich die Arbeit beenden. O warum nicht, Liebe? Welch herrliche Sonne! sie wird die Tücher so weiß bleichen wie Schnee. Wir werden morgen, Anna, zu thun haben, wenn wir sie alle einfeuchten und zusammenlegen. Dort geht Mrs. Rogers mit einem großen Korb nasser Wäsche den Garten hinauf – da! – sie hat etwas fallen lassen und merkt es nicht. Sollen wir gehen, kleiner Schatz, und es aufheben? Komm' denn!«

Sie ging – eine mädchenhafte, hübsche Gestalt – zuerst hielt sie jedoch an, um die Glocke für den Nachmittagsunterricht zu läuten. Anna ging in die Nebenküche mit Schüssel und Handtuch für die jüngeren Schüler, welche, der Aufforderung gehorsam, sogleich mit erhitzten Gesichtern herbeieilten, um von der lieben Schwester gewaschen und dann geküßt zu werden. Anna ermunterte sie, willig zu gehen und sich im Lernzimmer sehr ruhig zu verhalten, indem sie ihnen versprach, sie dürften auf den frischgemähten Wiesen lustig herumhüpfen, sobald die langen Nachmittagsstunden vorbei wären.

Das gewöhnliche Stillschweigen herrschte hierauf im Hause. Anna, welche dachte, Paul warte auf sie als Ablösung am Krankenbette, da er nicht erschien, bereitete sich vor, in's Hinterhaus zu gehen.

Der bereits erwähnte, am Sterben liegende Bursche war ein Gegenstand tiefer Theilnahme für das junge Volk, welches, bei seiner Ankunft auf Woodhouse, ihn als kleinen, weißhaarigen, helläugigen Jungen gefunden und dann gesehen hatte, wie nach und nach mit ihm eine Veränderung vorging, die ebenso unerwartet war als auffallend. Verletzt durch einen zufälligen Fall, welcher eine gefährliche Operation nöthig machte und eine langsame Abzehrung herbeiführte, gewann der Knabe geistig, was er körperlich verlor; und gleichwie des Gräbers geschickter Hieb die Erde aufreißt und den verborgnen Schatz offenbart, so hatte der Streich der Trübsal den sichtlich verschlossenen Geist dieses jungen Bauers geöffnet und einen reichen Naturschatz entfaltet, der sonst wohl eingeschlossen und unbekannt liegen geblieben wäre. Ein großer Wissensdurst erfaßte ihn; und während seiner langen Krankheit verschlang er mit solchem Ungestüm die unbeschränkte Unterweisung, welche die älteren Kinder ihm ertheilen konnten, daß sie bald mit Ueberraschung auf einen Zögling schauten, der eben so wohl unterrichtet war, wie sie selbst. Selwyn, bei welchem das Talent jeder Art ein Freibrief zu besondrer Gunst war, nahm hohes Interesse an dem Fortschritte des Knaben, unterstützte ihn mit ausgezeichneten Büchern, und prophezeite glänzende Dinge, sollte er je wieder genesen.

Indeß, eine größere Gnade als der erweckte Verstand war die Gabe des wahren Glaubens, welche den jungen Dulder beglückte. Er hatte früh eine Hinneigung zum Katholizismus bezeigt und den Wunsch ausgesprochen, dessen Lehrsätze kennen zu lernen; diesem Verlangen entsprachen seine Gefährten mit der Gluth jugendlicher Apostel und sie standen ihm mit Erklärungen und religiösen Büchern derart bei, daß das Werk der Gnade bald vollzogen und eine Seele mehr durch ein Kreuz in die Kirche dessen geführt war, der am Kreuze gestorben. Vor nicht langer Zeit hatte auf eine Nachricht hin eine Gestalt, die den Priester erkennen ließ, die Hütte besucht, zu Ehren derer Georg und Paul mit angezündeten Wachskerzen auf dem Gange warteten, während ihre Schwestern das Zimmer oben mit jeder möglichen Verzierung schmückten; und als er von dannen ging, ließ er die eifrige Seele des Bekehrten reich und unaussprechlich glücklich zurück.

Seit diesem Ereigniß war Mark ein Lehrer für alle gewesen; ein unbewußter Lehrer von Wahrheiten, die süß für jene, welche sie verstehen konnten, und selbst für die unwissenden Verwandten, von welchen er umgeben war, von seltsamer nutzvoller Bedeutung waren. Einige Verse, die er um diese Zeit schrieb, und welche Paul unter seinem Kissen entdeckte, mögen Zeugniß ablegen von seinen Gefühlen.

Zeilen, während der Krankheit geschrieben.

Dein Wille, Herr, gescheh'! Dieß Flüstern legt
Wie Sabbatstille sanft sich mir auf's Herz,
Die bangen Zweifel lindernd und den Schmerz
Und alle Sorge, die mir Qual erregt.

Dein Will' gescheh', o Vater! Süßer Laut,
Den wiederholt die schwache Lippe spricht,
Und jedesmal mit süß'rer Zuversicht,
Die fester stets auf Deine Liebe baut.

Dein Kind, o Vater, liebt Dich und ergibt
Sich ganz in Deinen heil'gen Willen auch,
Nimm, den Du gabst mir, diesen Lebenshauch,
Nur rette meine Seele, die Dich liebt.

Herr! hör' mein Flehen: Willst Du, daß ich geh'
Des Todes ernsten Pfad und schaudervoll
Ich seinen Schatten kommen sehen soll,
Und beten möcht', und nicht mehr kann vor Weh:

Dann denke dran, ich hab' gehofft auf Dich,
Und hilf' mir im Gedräng' und Todesschweiß;
Du wirst, o Vater, segnen dann, ich weiß,
Den Kampf, den Dir zu lieb ich nehm' auf mich.

Ja, und – so groß ist Deiner Liebe Preis –
Die Nächte sonder Schlaf, die Qual und Pein,
Die Todesschwäche wird Gewinn mir sein,
Und eben diese Angst ein Hulderweis.

Ein Segen, der aus Deiner Hand mir fließt,
Errungner Ruhm, den mir das Kreuz gewinnt.
O liebster Vater, sieh! vor Freude rinnt
Die Thräne mir, weil Du so gütig bist.

Gefällt Dir's je, daß meines Elends Haft
Sich löst, und diese Deine Welt (so voll
Von Huld und Pracht) mein Wohnort bleiben soll,
Und meine Schwachheit sammle neue Kraft:

Dir sei geweiht dann dieses Leben hier.
Lehr' meine Füße Du die rechte Bahn,
Glücksel'ge Füße, wenn sie stracks fortan
Geleiten mich den graden Weg zu Dir.

Die schwache Hoffnung, womit die Zeilen schlossen, sollte nicht verwirklicht werden.

Anna schritt durch das kleine Thürchen des Zaunes, welcher den Garten von Woodhouse von dem Hofraum des Nachbars trennte, und traf hier ihren Bruder Paul, welcher mit blassem, verstörten Antlitz herumeilte. Er sagte in einer von heiliger Scheu ergriffenen Weise:

»Anna, o Anna – er ist plötzlich so sonderbar geworden; ich glaube gar, er stirbt.«

Sie erblaßte ebenfalls – denn der Tod ist für die blühende Jugend besonders furchtbar, doch rasch sich sammelnd, sagte sie:

»Rufe seine Mutter, sie ging zu der Hecke hinauf. Und sage – ja, sage es dem Papa.«

Sie ging rasch weiter, durch die mit Sand bestreute Küche, blieb jedoch einen Augenblick stehen, ehe sie die steile Stiege hinaufging, welche zu dem einzigen Zimmer des Häuschens führte, das schon lange dem Dulder eingeräumt war. Es überkam sie ein Schmerz und ein feierliches Gefühl, als sie auf ihn blickte. Abgemagert war er seit langem gewesen, und oft schon hatte sie dieses von Schwäche und Schmerz benagte Antlitz gesehen; es waren daher nicht diese Aeußerlichkeiten, welche sie befremdeten, sondern es war ein sehr auffallender und ihr unbekannter Ausdruck. Die plötzliche Blässe und Gefühllosigkeit, welche Paul erschreckt hatten, waren indeß gewichen und der zum Scheiden sich vorbereitende Geist erkannte sie augenblicklich und zwang den Körper zu einem Zeichen der Erkennung. Seine Finger, welche sie berührte, schlossen sich mit merklicher Anstrengung, und seine Augen wurden größer, mit einem bittenden Blick in ihnen, den sie dadurch beantwortete, daß sie ein geweihtes Kreuzchen an seine Lippen hielt.

»O lieber Mark, fürchte Dich nicht. In einer Minute – wirst Du Gott sehen. Fühlst Du dich beruhigt?«

Ein sanfter Ausdruck kam in seine Augen; er schied ersichtlich ohne alle Furcht.

»Versuche zu sagen: Jesus! Sage, lieber Mark: Jesus! Maria!«

Es folgte ein mühsames Flüstern; und mit diesen heiligen Namen, dem letzten irdischen Klang in seinen Ohren, schied er sanft aus einer Welt voll Trübsal.

Anna, die nicht wußte, daß er verschieden sei, fuhr fort, seine Lippen mit dem geweihten Zeichen zu berühren und ernst zu beten, bis die Anwesenheit ihres Vaters und Pauls im Zimmer sie aufstörte. Selwyn sah sehr ernst aus, denn der Tod machte stets einen mächtigen Eindruck auf ihn. Er warf einen ehrfurchtsvollen Blick auf die ruhige Gestalt im Bette, dem kein zweiter folgte.

»Wir können nichts mehr für ihn thun – er ist hinüber,« sagte er. »Mache das Fenster zu, mein Junge – genau. Anna, könntest Du – nein, laß es gut sein.«

»Ja, Papa, ich kann es,« erwiederte sie rasch; und mit leichter Berührung schloß sie die Lider über den ausdruckslosen Augen zu. Das Antlitz sah jetzt überaus sanft und friedlich aus. Es gab nichts zu fürchten an der Seite dieses glücklichen Todbettes.

Der Bruder und die Schwester blieben zurück, um zu beten, obwohl sie durch die Klagen der armen Mutter unten etwas gestört wurden, welche in die Küche geeilt war, um ihre Schürze über den Kopf zu werfen und zu schluchzen, die aber die Stiege nicht hinauf gehen wollte.

»Ich kann ihn nicht sehen – ich kann es nicht,« sagte sie wehklagend zu Therese, die ihr gefolgt war, um sie zu trösten. »O, er hat uns zu früh verlassen. Ich glaubte nicht, daß es schon so weit wäre. Er frühstückte noch so tüchtig, Madam, er hat fast das ganze Stück Honigkuchen gegessen, das sie ihm vom Kloster gesandt hatten. Und die schöne Fleischbrühe steht für ihn bereit. Sehen Sie nur, der Löffel bleibt stecken in ihr. Und er soll sie nicht mehr trinken, und ich kann ihm nichts mehr bringen. O mein Junge!«

Therese versuchte, diesen lauten Kummer zu beschwichtigen und diese so materiellen Gedanken zu höheren Dingen zu erheben, bis eine arme Nachbarin kam, um der Lebenden ihr Beileid zu bezeigen und dem Todten die letzten Dienste zu erweisen. Der lärmende, obwohl nicht andauernde Kummer hinderte die beraubte Mutter nicht, die unterbrochnen Verrichtungen am Waschzuber wieder aufzunehmen, bei welchem sie sich nach einer Stunde wieder einfand, den Zipfel ihrer Schürze an den Augen.

»Gewiß,« bemerkte sie,« man darf dieses nasse Zeug nicht so liegen lassen, wenn man nebenan ist. Mein armer Junge wird jetzt wenig darnach fragen, ob ich gehe oder bleibe.«

An jenem Abend konnten die Kinder von nichts anderm plaudern als von dem ernsten Vorfall, und sie beteten und lasen die Litanei für die abgeschiedne Seele. Jeden Tag bis nach Beendigung der Leichenfeier beobachteten sie diesen Brauch der Nächstenliebe; und ungeheißen vermieden sie sorgfältig jedes Spiel auf jener Seite des Hauses – obwohl die jüngeren sich oft herum stahlen, und mit ängstlichen Blicken auf das stumme Fenster des Zimmers schauten, in welchem der Todte lag. Auf Paul schien der Vorfall einen tiefern Eindruck gemacht zu haben als auf die Uebrigen, und er verweilte stundenlang betend in jenem Zimmer.

Das Leben im Häuschen unten ging seinen Gang fort; die Mutter plauderte über ihre gewöhnlichen Gegenstände; der alte Rogers rauchte seine Pfeife, bis die Luft vom Dampf des schlechten Tabakes schwer war, und zur Seite seines stummen Genossen saß der Junge, versunken in Gedanken, die großen Einfluß auf sein spätres Leben ausübten.

»Scheint es Dir nicht, Lieber, daß Georg schlecht aussieht?« bemerkte Therese bald darauf zu ihrem Gatten.

Georg war einige Tage unwohl gewesen; er wollte nicht in die Nähe des Häuschens gehen, so lange der jetzt unter dem Rasen schlummernde Todte darin lag; und diesen Morgen schien er besonders erröthet und aufgeregt.

»Komm' hieher, Georg; willst Du auch sterben? Was fehlt Dir?« fragte sein Vater freundlich; worauf der Junge aufschaute mit glänzenden, schweren Augen, und sich über Kopfweh beklagte.

Am Schlusse des Tages lag er im Bett; und indem er die Hand seiner Mutter in seinen heißen Händen hielt, beantwortete er ihren ernsten Blick mit den Worten:

»Mutter, ich fürchte, ich habe ein Fieber.«

»Guter Gott, mein Schatz, was veranlaßt Dich zu solchen Worten?«

»Sieh hieher, Mutter, wenn Du nicht zu ängstlich sein willst, werde ich es Dir sagen. Du weißt, daß ich letzte Woche einen Brief zum Müller trug. Nun, ich mußte einige Zeit warten, bis er herein kam, und auf einmal fühlte ich mich so krank, und es war mir so sonderbar. Indeß, ich beachtete es nicht sehr, aber als ich auf dem Heimweg war, überfiel es mich wieder so seltsam, daß ich um etwas Wasser in Kittys Häuschen gehen mußte. Sie erzählte mir, es herrsche das Scharlachfieber im Dorfe, und zwei Kinder des Müllers seien daran erkrankt. Da befürchtete ich, ich hätte es geerbt; aber bevor ich sah, ob mein Unwohlsein blos vorübergehend sei oder nicht, wollte ich nicht davon sprechen, um Dich nicht zu erschrecken.«

Der brave Junge hatte seinen Vorsatz so lange gehalten, als die Natur es erlaubte; und jetzt sagte seine vor Bestürzung weinende Mutter, es werde wohl das Fieber gar nicht sein, oder er habe es gewiß nur sehr leicht. Allein Georg wurde bald so krank, daß Selwyn sein stolzes Widerstreben, einen Fremden in's Haus einzuführen, bei Seite setzte und Paul einen weiten Weg längst der verschlungenen Hecken entsandte, um den Arzt zu holen, der vor kurzem im nächsten Dorfe sich niedergelassen hatte. Er langte bald an: es war ein geschickter, freundlicher Mann, der viel von dem »großen Gelehrten« und den lieben Kindern gehört hatte, die in dem alten Gebäude lebten, das er vielleicht mit Interesse betrachtet hatte, wenn er zuweilen vorbei ritt. Er zeigte viele Theilnahme und Sympathie, als Therese ihn durch das Haus führte. Das Sprechzimmer war anständig eingerichtet; nach Anzeichen von Comfort suchte er indeß sonst überall vergebens: ein leereres Zimmer als das, in welchem sein Patient lag, hatte der gute Gentleman im Lauf seiner ärztlichen Praxis selten betreten. Er erklärte das Uebel in der That für ein Scharlachfieber, welches damals sehr stark herrschte; und nachdem er einige sorgsame Anordnungen getroffen hatte, entfernte er sich mit dem Versprechen, sogleich Arzneien zu senden und am selben Tage nochmals einzusprechen.

Hierauf führte Therese in der Hoffnung, die gefürchtete Ansteckung abzuwehren, ein System der strengsten Vorsichtsmaßregeln ein; sie erlaubte keinen Verkehr mit jenem Theil des Hauses, und Niemand als Mrs. Rogers durfte ihr im Krankenzimmer beistehen. Natürlich war alles umsonst. Am dritten Morgen sank beim Frühstück Helene plötzlich um, schwindlig und unwohl; und im Laufe des Tages wurde ein wehklagendes Kleines als Patient neben ihr in das Bett gelegt. Die Ansteckung ging rasch vor sich, und mit Ausnahme der beiden Eltern legte sie ihre unwiderstehliche Hand jetzt auf dieses, dann auf jenes der kleinen Schaar, bis in verschiednen Zwischenräumen endlich alle darniederlagen. Wie tief fühlte jetzt die Mutter, daß alle ihre früheren Prüfungen leicht waren im Vergleich zu dieser; doch die Angst und Besorgniß, die ihre Wangen bleichte, stärkte zugleich ihren Körper zur Erfüllung der außerordentlichen und fortwährend von ihr geforderten Anstrengungen. Die schmerzliche Zeit peinlicher Ungewißheit war indeß wenigstens nicht von langer Dauer. Die Erkrankten besaßen alle gute Constitutionen, und da sie sorgsam und verständig gepflegt wurden, versprach die Krankheit auf keinen Fall einen unheilvollen Ausgang zu nehmen.

»Welches von Euch könnte ich verlieren? Dich nicht, auch Dich nicht, wahrhaftig, noch Dich, mein Liebling!« murmelte Therese, während sie von Bett zu Bett ging und den Kleinen die Aufmerksamkeiten erwies, die ihren einzigen Trost ausmachten. Die Kinder, ihrer Mutter zugethan, waren nie zufrieden, außer wenn sie in der Nähe war, und dankbar ihrer Sorgfalt gedenkend, erinnerten sie sich nach Jahren noch, wie kühl die fieberhafte Luft war, wo immer sie sich bewegt hatte, wie bequem ihre Glieder lagen, wenn sie das Bett gemacht hatte, wie zahlreich die köstlichen Tränke gewesen, welche ihre zarten Hände in großen Krügen heraufschleppten.

Etwas fiel während dieser Heimsuchungen vor, was Therese besonders tief schmerzte.

Als die älteren Kinder erkrankten, baten sie so ernst um geistlichen Beistand, daß sie zu ihrem Gatten ging und ihn bat, ihnen zu willfahren. Zu ihrer Ueberraschung und ihrem Schmerz nahm er Anstand daran, indem er sie erinnerte, wie ungern er es sehe, daß ihr häusliches Leben gestört werde.

»Ich weiß es, doch er würde ja nicht in Deine Nähe kommen,« erwiederte sie demüthig. »Ein guter Mann, wie Du weißt, mein Lieber, für den Armuth weder neu, noch verächtlich ist.«

»Das ist alles sehr schön, doch Deine guten Leute verstehen es zu spähen, ich versichere Dich,« fiel er ihr übelgelaunt in das Wort. »Was haben sich diese Gänse in den Kopf gesetzt, daß sie nach ihm verlangen? Kannst Du nicht mit ihnen beten, so viel und so lang es ihnen beliebt?«

»Ja, mein Lieber; doch kann ich nicht thun, was ihr Gewissensrath für ihren Frieden thun kann.«

»O, es ist blos eine Grille, und sonst nichts. Ich wünsche nicht, unnöthig behelligt zu werden. Sollten sie in Gefahr kommen, dann mögen sie ihren Priester haben, jetzt nicht.«

»O Selwyn, bedenke doch! Welchen Dienst könnte er ihnen leisten, wenn sie im Delirium sind, oder von Sinnen kommen?« sagte sie, und bei dem Gedanken schon kamen ihr die Thränen. »Thue es, ich bitte, laß mich thun, was sie wünschen.«

»Albernes Weib, sie werden nicht in's Delirium kommen, noch bewußtlos werden. Sagt nicht Carson, daß das Fieber einen sehr günstigen Verlauf nimmt? Ich sage Dir daher nochmals, ich will nicht, daß man mich in dieser unglücklichen Lage sieht; und ehe eines von ihnen in Gefahr ist, kommt kein Mönch hieher.«

Mit diesen Worten verließ sie Selwyn, geärgert über ihren »Starrsinn,« und ging in den Garten.

Sie schaute ihm nach, und ging dann die Treppe hinauf. Die Kinder bemerkten, daß ihr Gesicht bestürzt aussah und ihre Lippen zitterten, während sie einige Entschuldigungen ersann, welche die Kleinen nicht täuschten, obwohl sie geduldig ihr Enttäuschung ertrugen. Als der Arzt an jenem Tage kam, betrachtete er Therese eben so aufmerksam wie die verschiednen kleinen Bette, und sagte zu ihr, sie strenge sich zu sehr an; sie möge alle Aengstlichkeit ablegen und etwas ausruhen. Er wiederholte diese Bemerkungen gegen Selwyn, den er im Garten traf.

»Eine solche Frau darf nie krank werden: wir vermissen sie zu sehr,« fügte er hinzu; und während der würdige Gentleman fortschritt, machte er sich vielleicht seine eigenen Gedanken über gewisse Dinge, die er in dieser Haushaltung bemerkt hatte.

Es gibt auf der Welt aufrichtige Güte, wenn wir nur ihre Schlupfwinkel entdecken. Obwohl dieser gute Arzt in einer armen Nachbarschaft seine Praxis ausübte und mit einer Familie belastet war, fühlte er doch solche Sympathie für die Inwohner von Woodhouse, daß er gerne Zeit und Arzneien in ihrem Dienste aufwendete, obwohl er aus Selwyn's offener Erklärung die Ueberzeugung gewann, daß er keinen Lohn zu erwarten habe – wenigstens in dieser Welt.

Nachdem endlich die Krankheit gewichen war, befand sich das junge Volk glücklich in der Genesung, obwohl lange Zeit verging, bis die gewöhnliche Gesundheit und Lebenslust wiederkehrten. In der That sahen einige von ihnen so zart und schwächlich aus, daß Therese sie ängstlich betrachtete und mit Schmerz dem Arzte zuhörte, als er nahrhafte Diät anempfahl. Was würde sie ihnen nicht gegeben haben, wären die guten Dinge der Welt ihr zu Gebote gestanden? Allein wie es eben stand, war ihre Lebensweise nothwendig die einfachste von der Welt – ja der Ersatz der Lebensmittel war nicht einmal stets sicher. Sie waren wieder einmal in die mißlichsten Umstände gerathen, und die ersten Wochen dieses Herbstes legten ihnen die härtesten Prüfungen auf. Oft redeten die Kinder nachher von den Entbehrungen, welche ihnen indeß – Dank der Lebenslust der Jugend – damals leichter erschienen, als bei der Rückerinnerung; und Jahre lang konnten sie keinen Apfel sehen, ohne an das rosige Obst zu denken, welches in Brod gebacken, zu jener Zeit ihre tägliche Mahlzeit ausgemacht hatte.

Zuletzt – nachdem die Eltern manche trübe Unterredung gehalten hatten, und die Kinder von einem Kummer flüsterten, der ihnen bis jetzt unbekannt sei, aber über ihnen schwebe – wurde beschlossen fortzuziehen, und demgemäß bereiteten sie sich zum Verlassen des alten Gebäudes, das so lange ihre Heimat gewesen. Es war ein trübseliger Abzug. Denn da Selwyn fand, daß sie einige Pfunde in der Nachbarschaft schuldeten (infolge etlicher unvermeidlicher Ausgaben während der Krankheit der Kinder), so gab er nicht zu, daß aus dem Gebäude etwas Anderes fortgebracht werde, als einige mit Kleidern gefüllte Koffer. All' ihr geringes Mobiliar verkaufte er, um damit die kleinen erwähnten Rückstände zu bereinigen.

»Ich will,« sagte er, »nicht einen Stock behalten, so lange ein unbezahlter Sixpence auf meinem Gewissen lastet.«


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