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Vierte Abtheilung.

Das Schloß Canossa.


Zimmer der Diener.

(Ein Theil der Dienerschaft der Markgrafen, des Papstes und des Kaisers Heinrich. Ahasverus sitzt an einem Fenster und blickt in den Hof.)


Einer der Diener der Markgräfin.

Sonst war hier Fest auf Fest, nun ist's hier todt:
Wir leben ja wie im Belag'rungszustand!
Es ist das ganze Schloß ein Trauerhaus.
Die Markgräfin, die kluge, herzensgute,
Ist über all die Strenge sehr betrübt,
Die gegen den Verwandten zeigt der Papst.

Ein Andrer.

Ich weiß, daß sie des Kaisers Heinrich wegen
Beim Papst gebeten, doch von dieser Seite,
Obgleich er innig ihr ergeben ist,
Konnt' sie es nimmer zur Versöhnung bringen.
Streng ist Gregor, und er will, daß der Kaiser
In eines Büßers Kleidung knieend soll
Ihm überreichen seine Kaiserkrone
Und laut erklären, daß er ihrer unwerth.

Der Erste.

Ha, das ist hart!

Einer von den Leuten des Papstes.

      Doch ist es wohl verdient!
Und es gehorcht der Kaiser, Ihr sollt's seh'n.
Der dritte Abend ist es heute schon,
An dem er in dem äußern Schloßhof steht
Mit bloßen Füßen, nur im woll'nen Mantel,
Und unter Klaggeschrei, doch ohn' Erhörung;
Denn Krokodiles Thräne ist sein Weinen
Und geht darauf, den Bann gelöst zu sehen,
Daß er die deutschen Fürsten strafen kann.

Ein kaiserlicher Knecht.

Ihr lügt, habt Unrecht gegen unsern Kaiser,
Und kann ich es mit Worten nicht beweisen,
So werd' ich Euch es mit dem Schwerte zeigen.

Der Burgvogt.

Nur Ruhe, Ruhe! Kaltes Blut, Kam'rad!
Fürwahr, hier wird kein Streit von Euch geduldet;
Beugt lieber fein das Haupt, wie Euer Herr.

Der kaiserliche Knecht.

Ihr spottet unser! Ha, so soll –

Ein älterer Kamerad.

      Detlev!
Hier ist nicht Zeit noch Ort zum Streit für uns.
Vergebt ihm, Freunde! denn er ist verstört.
Die kalten Nächte auf Savoiens Bergen,
Die Liebe, die er unsrer Herrschaft zollt:
Sie haben sein Gehirn erschüttert.

Einer der Leute der Markgräfin.

Wir aber können gütlich davon reden;
Wie denket Ihr Euch, daß das Ganze kam?

Der Aeltere.

Die deutschen Fürsten, die Vasall'n des Kaisers,
Verwüsteten das Land mit Schwert und Feuer;
Geleitgeld nahmen sie den Reisenden;
Das wollte er nicht dulden und ließ bauen
Ringsum im Lande starke Ritterburgen;
Es half nicht, denn der Papst gab ihnen Beifall.

Der kaiserliche Knecht.

Die falschen Sachsen schleiften unsre Burgen,
Den matten Löwen stießen sie mit Füßen.
Kann das der Papst vertheidigen vor Gott?

Der päpstliche Knecht.

Im Himmel herrschet Gott, der Papst auf Erden!

Der kaiserliche Knecht.

Gregor möcht', glaub' ich, gerne, daß es gelte!
Er schaltet dreist in unsers Kaisers Land,
Als wäre dieser Kind; beschied ihn her,
Von seinem Wandel Rechenschaft zu geben.
Das heißt den Becher überlaufen lassen!
Geboren ist zur Krone unser Kaiser;
Er hob sich, und das Scepter ward zur Geißel.
An alle Bischöf' aber schrieb Gregor:
»Erhaben seid Ihr über alle Kön'ge;
In Bann thu' ich hiemit den Kaiser Heinrich;
Der Bannstrahl, er zerschneidet alle Bande!«
Und einsam stand er nun, verhöhnt, verlassen.
Ganz Deutschland ist jetzt ein gesetzlos Land –
So wollte und so that der Papst Gregor.

Der päpstliche Knecht.

Nun jage ich Dir durch den Leib das Schwert!

Der Burgvogt.

Ich lasse niederhau'n auf mein Geheiß
Im Schlosse Jeden, der den Frieden bricht.

Der ältere Kriegsknecht.

Das Unglück soll man achten, hörte ich –
Wer ist so tief im Unglück wohl, wie Heinrich?
Bedenkt die schwere Pilgerfahrt hierher.
Die deutschen Fürsten sperrten alle Wege;
Er und die Gattin mit dem armen Kinde
Ist auf dem Bauch oft, wie ein Hund, gekrochen
Hoch auf Savoien's wilden, nackten Bergen.

Ein andrer Kriegsknecht.

Wie fandet Ihr den Weg? Wie kamt Ihr vorwärts?

Der Vorige.

Auf welche Weise? Stets durch Eis und Schnee,
So daß die Hände uns beinah' erfroren!
Wir mußten waschend sie im Schnee beleben,
Um Tau' und Stangen zu befestigen.
So ging es über tiefe Klüfte weiter,
Und über steile, glatte Klippenmauern.
Den Pferden banden wir die Füße fest,
Und ließen sie dann gleiten; und geschah's,
Daß sie die Beine brachen, nun, dann streiften
Die Haut wir ab; in einer solchen mußten
Die hohe Kaiserin wir weiter tragen.
Ein Grauen war's! Der arme Kaiser Heinrich!
– Wir müssen danken dem Hebräer dort:
Er ging uns flink zur Hand, er führte uns.
Und als die Kaiserin halbtodt im Schnee
Hinsank, da hob er sie auf seine Arme
Und wandert' unverdrossen immer weiter.
Hebräer! weßhalb sitzst Du dort so still
Und starrest durch das Fenster auf den Hof?
Ich lobe Dich, was selten Dir geschah!

Ahasverus.

Den wunderlichen Glanz der Welt beschau' ich,
Blick' auf den Kaiser, barfuß und in Thränen;
Und denk' dabei an eine alte Weise:
Weltlicher Geist ist Strafes-Geist,
Der Reichthum bald vergehet.
Das schwache Kind wird Held zumeist,
Das Rad des Glück's sich drehet.


Mitternacht.

Chor der Engel.

An Thurmes Schallloch, wo von Ranken
Der Schatten uns entgegenstarrt,
Seh'n Ahas wir in bangem Schwanken:
Die eigne Brust zerfleischt er hart. –
Ein Geistesstrahl durch die Gedanken
Blitzt: was er war, und was er ward.


Ahasverus.

Ein Weltengeist ist dieses Christenthum,
Für Israel's Volk jedoch ward es Verdammung!
Gleich der Koralleninsel wuchs es auf,
Trotz Macht des Meer's, trotz aller starken Stürme;
Nun steht es üppig mit den hohen Palmen,
Mit reichen Blumen in der warmen Sonne.
Will es Jehova in dem Grund erschüttern?
Und will Jehova, daß es wieder stürze?
Nein, nein! Gregor, Du liegst auf Deinem Prachtbett,
Geschmückt mit kostbar schwerem Seidenumhang;
Und große Geister, fähig, zu erschüttern
Ein Königreich, in Deinem Busen herrschen;
Dein Weltensang ist Macht der Hierarchie.
Barfuß und mit dem Bußhemd' angethan
Steht Kaiser Heinrich in dem off'nen Hof;
Es ist sein Stolz zermalmt, doch nicht sein Haß;
Er schlummert, aber Träume schuf der Schlummer,
Und werden sie erfüllt, dann bebt die Erde.
Ich seh' in Dir der Christen großen Geist,
Gregor! Ein Prachtbaum wuchs aus kleinem Samen!
Ich steh' gebeugt, so wie der Kaiser Heinrich;
Ich steh' in dem verschloss'nen Weltenhof,
Ich kann nicht weg, muß, wie der Kaiser, auch
Erst aus dem Bann erlöst sein. Er stand Nächte,
Doch meine Nächte sind Jahrtausende!
– Es flammt in meinem Herzen seltsam auf,
Als wäre ich die ganze große Summe
Vom Streit des Ird'schen mit dem Göttlichen,
Als wäre ich ein kräftig Geistes-Licht,
Das nicht erlöscht wird unter allen Stürmen.
Mich schwindelt! Was doch dacht' ich? Ich weiß nicht.
Ein Jeder träumt: Gregor, den Blitzstrahl schwingend,
Und er, deß Scepter ward ein Bettlerstab.
Doch, welcher Traum erfüllt wird? – Ich hab' keinen.


Chor der Engel.

Geboren wird in großen Lebensstunden
Für Ewigkeiten das Gedanken-Reis,
Und was von Gott kam, wird in Gott gefunden,
Doch selbst der Engel nicht die Stunde weiß.


Deutschland.


Die Kreuzfahrer.

(Heerstraße vor einem Kloster.)


Ahasverus.

Auf meiner Wand'rung oft in heißen Zonen
Sah ich die wilden Ochsen schier verschmachten.
Ringsum nur fand man glühend heiße Steine
Und große, scharfe Disteln; aber jede
Schloß ein in ihrer stachelreichen Hülle,
Die der Instinkt zerbrach, den Labetrank.
Den Mund die scharfen Stacheln blutig ritzten,
Indeß den kühlen Trunk die Zunge leckte.
Die Erd' ist eine Distelblume mir,
Zerbrechen möcht' ich sie! – Sollt ich auch bluten
Zu Tode mich, da würd' ich doch erquickt!
Mein Durst ist der, zu rasten, Ruh' zu finden,
Vergessenheit. Es bricht die Distelblume!
Der Abend naht, die Zeichen all' sind da,
Bald wird das große Weltendrama enden!
Aus allen Gegenden der Welt erscheinen
Schon die Nationen, daß gesammelt werden
Die wilden Ströme, die der Haß getrennt,
Dort, wo Jehova's Altar einst gestanden,
In David's Königsstadt, Jerusalem.
– Es ist die Welt für mich ein offnes Buch.
Du, Israel's Königskrone warst die Sonne
Dem Orient, deß Pflanze herrlich sproßte
Und, Blumen tragend, schwand im Augenblick.
Jahrhundert' stand der dürre Stengel nur,
Nun schlinget sich um ihn Europa's Grün,
Ein Arons-Stab, der frisch und lieblich blüht,
Eh' Gott zermalmt die Erde, die vollendet.


(Ein junger Ritter tritt, begleitet von einem Mönch, aus dem Kloster.)

Der Ritter.

Es nähert sich das große, stolze Heer;
Die reiche Rüstung glänzet in der Sonne.
Sie kommen, und ich schließ' mich ihnen an.
Gieb, frommer Vater, Deinen Segen mir!

Der Mönch.

Du hast ihn, hast ihn mit dem Ritternamen;
Erwachsen sah' ich Dich, Du bist mir lieb.
Du warst ein lieblich Kind, als Du wardst Page;
Es kräuselten sich schön die goldnen Locken
Um Deine blühend runde Kindeswange,
Wenn fromm, andächtig Du trugst zur Kapelle
Das goldbeschlag'ne Buch des Ritterfräuleins.
Ich sah als Deines Herren Waffenträger
Sein Pferd Dich striegeln und ihm lustig folgen.
Nun hat sein Schwert Dich eingeweiht zum Ritter.
Die lange Nacht Du wachtest in der Kirche,
Wo alle frommen Bilder von der Mauer
Dich angelächelt: Du warst fromm und gut.
Bar jeder Sünde stieg'st Du aus dem Bade.
Die weiße Kleidung – Zeichen Deiner Reinheit,
Die Schärpe roth: Du blutest für die Kirche,
Die schwarzen Schuhe deuten auf den Tod,
Die goldnen Sporen: Eifer, Deinem Gott
Zu dienen. – Achte immerdar das Weib,
Beschirm' den Schwachen! Diese Rittertugend
Erhebt Dich über aller Heiden Weisheit.

Der junge Ritter.

Dank für ein jeglich Wort von Deiner Lippe!
Jerusalem soll mich als Ritter nennen.

Der Mönch.

Ich hör' des Hornes Klang und Pferdestampfen,
Es nähert sich die fromme Ritterschaar;
Sie sammelten aus vielen Ländern sich:
Ein Geist, ein Volk – so ist's des Herren Wille!

(Die Kreuzfahrer lagern sich am Wege; verschiedene Nationen treffen sich.)

Ein Russe.

Vom Norden hoch, von Rußland komme ich:
Ihr hörtet wohl von Wladimir, dem Großen!
Ihn kennet Jude, Grieche, Muselmann,
Ein Jeder wollte, daß er sei der ihre.
Doch er ward griech'scher Christ und ließ zerstören
Ein jeglich Götzenbild; das Volk, es weinte,
Doch Keiner stand zum Streit auf gegen ihn.
Und er befahl: getauft sei Reich und Arm!
Und in den Dnieperfluß ließ er sie treiben
Bis an die Brust; das war das Bad der Taufe.
Ich selbst hing damals an der Mutter Arm,
Und ich wuchs auf, die Muselmänner hassend
Und Juden – die zu locken stets versuchten
Vom Wahrheits-Glauben unsern Wladimir. –
Ich schwinge nun mein Schwert gen Muselmänner,
Mach' wieder David's Stadt zur Christenstadt.

Ein Engländer.

Mein Vater fiel bei Hastings, ich stamm' ab
Von Nordens Argonauten, den Normannen.
Sie sah'n in jedem fremden Strand ein Kolchis;
Mir liegt im Blute dieser alte Sinn.
Mein Kolchis seh' ich in der heil'gen Stadt,
Das gold'ne Vließ, ich hol' es vom Kalifen.

Ein Spanier.

Der große Cid, Don Roderigo Dias,
Dient mir zum Vorbild! Laut erklingt sein Name
In tiefen Schachten, wo das Gold man gräbt,
In der Fabrik und in des Kaufmanns Laden,
In Bauernhütten wie im Rittersaal.
Voll seiner That sind Alle! Bin ein Spanier!
Wie Cid für Tugend und für Glauben kämpf' ich!

Ein alter Krieger.

Der Zug wird meine Sünden mir vergeben,
Und da die letzte Zeit der Welt sich nähert,
Ist's klug, sich mit dem Himmel gut zu steh'n.

Ahasverus.

Sie zieh'n, und Jeden treibt die eigne Lust!
Europa gießt sein Volk aus, es verschwindet
Wie Bergesflüsse in dem heißen Sand. –
Ich folge mit zum Grabe meiner Väter,
Wo Gottfried pflanzen will Europa's Fahne,
Eh' noch die Erde, und mit ihr mein Herz bricht!


Dieselbe Stelle.


Zweihundert Jahre später.


Ahasverus.

Hier streckte sich ein Wald längs dieses Flusses:
Gefällt ist jeder Baum, der Fluß nur blieb.
Hier stand ein Kloster, und der tiefe Hohlweg
Ging dicht vorbei; nun liegt hier eine Stadt
Mit tiefen Gräben und mit hohen Mauern.
Auf Hügels Spitze, wo das Kloster prangte,
Baut nun man eine prächtig stolze Kirche.
Hör' Sang und Munterkeit bei Müh' und Arbeit!
So fügt man Stein zum Stein, errichtet Balken,
Und wieder ruht die Arbeit eine Zeitlang:
Dann baut man wiederum nach hundert Jahren,
Denn die Geschlechter folgen auf einander.

Der Baumeister.

Ihr schüttelt unzufrieden mit dem Kopf,
Den Bau betrachtend, wie wir ihn begonnen;
Versteht Ihr denn die Kunst, und seht Ihr Fehler?

Ahasverus.

Wie kann der Mensch, wie kann die Zeit doch spielen!
Sie bauen Kartenhäuser, reißen nieder –
Da ist Geschäftigkeit, als gält' es Etwas.

Der Baumeister.

Es gilt dem Nützlichen, es gilt dem Schönen,
Es gilt Ausdauer und erhabne Kraft.
Nicht wird in meiner Zeit der Bau vollendet,
Ich folge selbst des todten Meisters Plan;
Ich thue Meins, und unsere Zeit das Ihre,
Zum Nutzen uns und kommenden Geschlechtern.

Ahasverus.

Grad' wie es zugeht mit dem Weltenbau.

Baumeister.

Baumeister dort ist Gott, und der stirbt nicht;
Jeglich Jahrhundert ist ein Quaderstein,
Den er, zum schon gelegten frühern, legt,
Indeß Geschlechter steigen stufenweis.

Ahasverus.

Doch Stillstand herrschet oft.

Der Baumeister.

      O ja, er herrscht,
Doch ist die Rast ein Sammeln nur der Kraft.
Vollendet wird der Bau der Menschheit einst;
Was Spiel und Kinderwerk hier scheint zu sein,
Ist doch ein nützlich Zeichen, das wir hau'n
In des Jahrhunderts stolzen Quaderstein.

Ahasverus.

Und eine Stufe mehr empor zum Himmel!

Der Baumeister.

Jeglich Jahrhundert, heißt's, ist eine Welle,
Die an das Ufer der Vollendung trägt,
Und einen Stein soll jede Woge fügen
Zur geistigen Entwicklung der Geschlechter.

Ahasverus.

Es klingt zwar, doch ist aller Klang nicht Wahrheit.

Der Baumeister.

Ich zweifle nicht; es lebt ein Weltengeist,
Dies Evangelium kündet die Geschichte!
Der Bau hier, wie gesagt, ist nur ein Zeichen
Von Tüchtigkeit der Zeit; Gott bauet fort.

Ahasverus.

Dies Evangelium kündet die Geschichte?
Ich kenne auch ein wenig dieses Buch.
Hier, wo Du bauest, stand einmal ein Kloster;
Kreuzfahrer, und die besten unter ihnen,
Empfingen hier die Weih', gen Osten ziehend;
Und Millionen folgten. Gute, Schlechte. –
Europa, was gewann es durch sein Blut,
Durch zwei Jahrhundert' eifrigen Bemühens,
Das doch mißglückte? So zwei Quadersteine
Der Geistespyramide sind verschleudert.

Der Baumeister.

Nein, vorwärts, herrlich vorwärts ging es grade!
Es haben sich genähert die Nationen,
Und der Gedanke: Freiheit ward geboren.
Gar viele Herr'n verkauften ihre Güter,
Sie kamen in die Hand des Bürgerstandes,
Es ward geschwächt des Adels Uebermacht,
In Wissenschaft und Kunst kam neues Leben –
O, vorwärts, herrlich vorwärts ging es grade!

Ahasverus.

(Zu der Menge, welche sich um sie versammelt hat.)

So gebet Ihr ihm recht? Schenkt Beifall ihm?
So findet Ihr, daß Alles vorwärts ging,
Daß Alles besser und vollkomm'ner ward,
Vom Papste selbst bis auf das Volk herab?

Ein Bürger.

Der Papst, sagt Ihr?! Nein, niemals ward geboren
Ein größ'rer Schuft, als er, der nun regiert!

Ahasverus.

Schlug Wahnwitz Dich? Beiß' Deine Zunge ab!
Darfst Du so reden?

Der Bürger.

      Kennt Ihr nicht den Papst,
Johann, den Dreiundzwanzigsten, den Sünder!
Nennt mir ein Laster, das er nicht geübt!
Seeräuber war er ja von Hause aus,
Papst Alexander schafft' er aus der Welt,
Des eig'nen Bruders Weib hat er umarmt,
Dreihundert Nonnen folgten ihr sodann.
Den Papst nennt Ihr! Nein, so weit sind wir doch,
Daß in die Cellen wir der Mönche gucken
Wie in den Vatikan und davon sprechen!

Ahasverus.

Du sprichst verwegen wie ein Kaiser Heinrich!
Bist König Du, daß Du so reden darfst?

Der Bürger.

Ich bin ein Bürger, darauf bin ich stolz!
Wie Hunde ließen wir uns einst behandeln
Von Adel und von Fürsten; Gott sei Dank,
Die Zeit ist nun vorbei, wir haben auch
Ein Wort zu reden.

Ahasverus.

      Aber wenn nun Papst
Und Ritterschaft sich einen gegen Euch?

Der Bürger.

So wird's ein Kampf; wir schlagen uns mit ihnen,
Des Landes Städte halten all' zusammen.

Der Baumeister.

(Zu Ahasverus.)

Und glaubt Ihr noch, daß es nicht vorwärts ging?

Ein andrer Bürger.

Still, was ist das? Die Sturmglock' hör' ich tönen!
Ich hab's erwartet. Zeit ist nicht zum Schwatzen:
Jeglich' Quartier und jede Zunft sich sammelt.

Die Menge.

Auf, zu den Waffen! Gott mit uns! Zum Kampf!

(Eilt weiter.)

Ahasverus.

Sie geh'n davon – das Läuten dauert fort.
Wozu ist dieser Lärm? Sind Feinde hier?

Der Baumeister.

Ja, heute werden Kaufmannswagen kommen,
Die Ritter wissen es, das Räubervolk!
In jedem Hohlweg muß man sie befürchten.
– Ihr Burschen, haltet mit der Arbeit ein,
Ergreift das Schwert zur Wehr des Bürgerrechts!

(Eilt fort.)

Ahasverus.

Mit ihrem Banner rückt heran die Schaar,
Zu Fuß, zu Roß. Ich steh' allein zurück.
Die Arbeit bei dem großen Baue ruht.
Wann seh' ich ihn vollendet, wann – vernichtet?


Hohlweg.


(Kampf zwischen den Kaufleuten und den Rittern, während eine Nachtigall im Busche singt.)


Die Nachtigall.

Hört die hellen Töne flammen
Durch den dunklen Eichenwald;
Hielten Tapfre fest zusammen,
Zwölfen gleich stets Jeder galt.

Ahasverus.

(Geht ihnen vorüber.)

Das ist die bessre Zeit, die neue Woge,
Die seinem Gott den Menschen näher bringt!

(Spottend:)

Der große Bau des Geistes wächst ja herrlich!
– Glückselig, der da schläft in seinem Grab
Und Staub im Staube wird! Wie glücklich ist
Der Todte, selbst wenn er verzweifelnd stirbt!
Es ist vorbei doch, ganz vorbei – für ewig!


Die Klosterküche


(Es wird gekocht und gebraten. Satan ist oberster Koch.)


Satan.

Das ist das heilige Weihnachtsfest,
Gekocht und gebraten soll werden.
Eh' wir es denken, kommt Bischof und Abt,
Müd' kehrend heim von dem Jagen.
Die Speis' ist trefflich, und gut ist der Wein,
Nicht besser hat ihn der Kaiser.
Die Concubine ist ebenfalls schön,
Sie und der Mönch sind zu Hause.

Ein kleiner Teufel.

Ich möchte so gern in die Kirche geh'n,
Betrachten den Mönch und die Nonne,
Lernen von ihnen das lustige Spiel,
Das teuflisch schön sie betreiben.

Chor vom Volke draußen.

Es ist die heilige Weihnachtsnacht,
Einen Esel zur Kirche wir bringen;
Bischof und Abt haben selbst wir gemacht,
Leichtfertig Jungfrauen springen.
Die Messe lesen schauerlich wir,
Die Jungfrau sitzt auf dem Esel hier,
Der Esel schreiet: Hinham
Kyrie, Gloria, Credo schön,
Folget – welch' Teufels Geruch und Gestöh'n!
      Hinham! Hinham!


Satan.

Das ist das heilige Weihnachtsfest,
Das Volk ist lustig draußen.
Eselfest haben sie, Narrenfest!
Der Satan kocht in dem Kloster!


Böhmen.

Ahasverus.

Ja, vorwärts geht es, immer lustig vorwärts!
Das Niedrigste erhält den höchsten Platz;
Bald steht die Hölle wie der Himmel hoch.
In wilden Orgien geht das Leben auf,
Und klug ist es, zu tanzen wie die Andern,
Sich zu bemalen mit der Zeiten Farbe.
Der Thor nur stemmt sich, will dem Strom entgegen;
Er ringt und sinket – und wird ausgelöscht. –
Dort naht ein Mann – nach Costnitz führt sein Weg ihn,
Hat frei Geleit, ja wohl – zum Scheiterhaufen!
Für ihn wär's besser und fürs ganze Land,
Er blieb daheim vernünftig bei der Arbeit.
Was nützte England wohl des Wicleff Lehre?
Bei ihm hat seine Thorheit er geholt.
Gut Glück, Johannes Huß! ich warne laut,
Nimm Dich in Acht vor Prager Theologen.

Ein alter Mann.

Ihm geht's nicht gut, auch uns geht es nicht gut;
Doch ist das Rad im Schwung, so muß es rollen!

(Eine Schaar Reiter hält am Wege.)

Ein Ritter.

Was murmelst Du? Hinweg mit Deinem Hund!
Mein Roß stößt seine Brust an Dich, Skelett!

Der Blinde.

Ach, ich bin blind, mein Herr! der Hund mich leitet.

Der Ritter.

Doch mußtest Du hinaus, Geschwätz zu hören,
Dabei zu sein, wenn Huß vorüberkommt!
Das ist ein Held, weil er den Aufruhr predigt.
Ihr Böhmen seid ein eigensinnig Volk!
Und seine Lehre Euch gefällt, nicht wahr?
Der große Hauf' ist immer unzufrieden.

Der Blinde.

Es sind doch Leute auch von Eurem Stand,
Die Jünger sind von Huß. Hieronimus
Ist Adelsmann. –

Der Ritter.

      Ha, ha! wie dummdreist hing
Des Papstes Bull' er neulich an die Brust
Von zwei unzücht'gen Weibern, die er treiben
Ließ durch die Stadt. Wer ist der König Böhmen's?
Das geht zu weit!

Der Blinde.

      Vergiß, o Gott, den König!

Der Ritter.

Was sprichst Du da? Es soll ihn Gott vergessen?

Der Blinde.

Ja, kann ich etwas Bess'res für ihn bitten?
Den Hunden warf er meine Kinder vor,
Und als ich weint', stach man mir aus die Augen.

Der Ritter.

Doch jetzt giebt's dafür auch nichts Böses mehr,
Was Dir Dein König könnte thun zum Spaß.

Der Blinde.

Ja doch, den Hund, den könnte er mir tödten.

Der Ritter.

Das thue ich! Denn ich bin Wenceslaus!

(Er erschießt den Hund.)


Ahasverus.

Fort reitet er nun,
Der Böhmenkönig!
Welch schreckliches Thun
Mein Aug' geseh'n!
Der Raben Schrei
Hör', über die Felder!
Sie eilen herbei,
Wohl Leichen witternd.
Ich geh' meinen Gang
Durch alle Länder,
In Raben-Sang
Vernehm' ich das Leben.


Die Raben singen.

Scheiterhaufen, sieh'! Gewimmel;
Alle strömen nun zusammen.
Er gebunden blickt gen Himmel,
Prasselnd wirbeln auf die Flammen.
Man raubt ihm des Priesters Tracht; –
Ihm auf's Haupt die Mütz' sie setzen,
Buntbemalt mit Höllenpracht;
Teufel tanzend sich ergötzen.
Er gefesselt, ohne Fehle,
Faltet betend seine Hände:
Du, o Gott, nimm meine Seele!
– Rauch fliegt auf – es ist zu Ende. –
Eh' die Flamm' den Leib zerstörte,
Brach sein Herz. O, Himmelsglaube!
Schwanensang man ringsum hörte –
Schneeweiß flog dort eine Taube!

Der Sturmwind.

Johann Huß! Dein Nam' ist Sturmklang,
Denn ein Brand ward angezündet,
Der gleich dem Kometen flieget
Durch das ganze Böhmenland.
Kirchen, Klöster steh'n in Flammen,
Bürger streiten gegen Bürger.
Nun braus' ich: zerstört wird Alles!
Den Johannes Ziska sieh' dort,
Aller Taboriten Häuptling,
Der mit ausgestochnen Augen
Reitet aufs dem wilden Pferd'.
Und ihm folgen bleiche Weiber,
Langes Haar fliegt um die Schultern,
Blut von ihren Armen tropft.
Solche Schreckens-Bachanale
Kannten nicht der Vorzeit Götter.
Ziska spricht, und seine Rede
Gleicht dem Weine, der berauschet;
Man verbrennet, mordet Alle:
Kinder, Weiber – Weiber thun es!
Johann Huß! Du bist gerächt nun!
Denn auf Deiner Mütze prangten
Teufel, die jetzt Körper wurden,
Treten ein ins Ungarland,
Und sie führt der blinde Ziska.
Nimmer soll der Bauer pflügen
Jenen Acker, wo sein Zelt stand!
– In die Luft fuhr seine Seele,
Fortgeführt auf starken Armen.
Alle schauern, Alle fürchten.
– Ahasverus! willst Du flüchten?
Ruh' Dich aus auf meiner Schulter:
Dich und Ziska trag' ich fort.

Chor von Engeln.

Hier die bösen Geister kriegen;
Laßt zum grünen Rhein uns fliegen.
Wo die edle Traube glüht,
Lucifer den Ahas sieht.


Gegend um Mainz.

Ahasverus.

Ein Fest! Ein Fest schon wieder, eine Hochzeit;
Vom Boote flattern schöne bunte Wimpel.

Ein Kapuziner.

Nicht Hochzeitgäste sind es, die Ihr seht;
Hier ist ein Fest für ihn, der auf dem Schiffe
So stolz steht wie der erste Mann der Welt.

Ahasverus.

Und wer ist er?

Der Kapuziner.

      Patricier! Guttenberg!
– Im Weltenkäfig saß von ew'ger Zeit
Ein Aar gefangen, in der Klau' den Blitz.
Die Kette strebten Manche zu zerbrechen;
Wozu, weßhalb, sie wußten's selber nicht;
Instinkt trieb sie; die Kette ward gefeilt,
Sie war ein Faden nur; und der zuletzt griff,
War dieser Guttenberg! Nun fliegt der Aar
Und schreibt mit seinem Blitz des Staub's Gedanken.

Ahasverus.

Und dann? – Was soll denn aus dem Spiel entsteh'n?

Der Kapuziner.

Ein Schauern, glaub' ich. Aller Kön'ge König
Den Schauer fühlte.

Ahasverus.

      Wie nennt der sich?

Der Kapuziner.

      Satan!

Ahasverus.

Ihr liebt den Spaß, so scheint es, frommer Vater!
Doch werfet keinen Zorn auf Guttenberg,
Weil Eure Müh' und Arbeit er beendet.
Er macht in einem Tag so viele Bücher,
Als Ihr nicht schreibt in Eurem ganzen Leben.
Ruht aus und schlaft! Das ist fürwahr das Beste.
Was Guttenberg ergriff, ist eine Niete,
Die, glänzendbunt, für werthvoll gelten soll.

Der Kapuziner.

Des Abgrunds Flamme wohnt in dem Geschlecht,
So das Jahrhundert schuf; nach Himmelsweisheit
Greift es, fügt zu der Welt noch neue Länder,
Schafft Blitz und Donner und fliegt immer weiter.

Ahasverus.

Ein Fluggedanke kommt, er wird gepflegt,
Und bald ist er ein mächt'ger Lebensplan,
Für den man leidet, strebt und Alles opfert.
Vor vielen Jahren traf ich solch 'nen Thoren,
Für eine Kugel hält er unsre Erde.
Im Westen will er suchen Indien,
Der Erde Enden will er all vereinen,
Zu einer Fahne rings um sich die Völker
Versammeln all.

Der Kapuziner.

      Columbus!

Ahasverus.

      Ha, Du kennst ihn?
Columbus! Einer auch von den Titanen,
Den Himmelsstürmern. Häufig traf ich ihn
In seines Lebens wichtigsten Momenten.
In Andalusien am Klosterthor
Stand er mit seinem Kind verschmachtend da;
Wir sah'n uns nie zuvor; auch ich war Wandrer.
Mit seltner Kenntniß sprach er voll Begeisterung,
Erzählte uns sein ganzes Jugendleben,
Riß uns durch seiner Rede Feuer hin:
Den wackern Arzt, den Lootsen und Prior,
Perez, gewann er sich zum Freund. Wir schieden.
In Salamanca hörte ich ihn reden
Im Kloster Sanct Stephan, wo ihn Gelehrte
Mit Bibelstellen schlugen; aber stolz,
Gleich einem König, sprach er als Prophet!
Was nicht der Welt erhab'ne Philosophen
Ergründet, glaubte er gefaßt zu haben,
Und was in tausend Jahren nicht vermochten
Seefahrer, selbst die besten, aufzufinden,
Das wollte er. Die Knaben auf der Straße,
Die zeigten an die Stirn sich und sie lachten,
Wenn sie Columbus sah'n. Er geht wohl noch
Mit der Idee umher. Wir treffen uns,
Ich glaube sicher, Hoffnung hat er immer.

Der Kapuziner.

Ja, mehr als jemals. Hörtest Du denn nicht
Von Ferdinand's und Isabella's Siegen,
Was sie gelobt? Gefallen ist Granada,
Und auf sein Abenteuer geht Columbus.

Ahasverus.

Nach achtzehn langen Prüfungsjahren nun!
Ha, ha, roll' in die Weltentiefe, Träumer!
Doch dieser Tod bleibt immer groß und stolz!
Voll Jugendhoffnung fliegt er nun begeistert
Hin über's Meer, hin nach den starken Wirbeln,
Die ihn verschlingen. – Dem Columbus folg' ich!
– Wo hörtest Du davon? Wie weißt Du es?

Der Kapuziner.

Von einer Pilgrimsfahrt komm' ich aus Spanien.
Ich bin wie Du ein Wandrer – Lucifer!

(Verschwindet.)


Das Weltmeer.


(Am Bord der Caravelle Sancta Maria. Columbus sitzt vorne.)


Der Genius der Menschheit.

(Schwebt wie ein leuchtendes Meteor vor dem Schiffe und singt:)

Ich folgte Dir zum Klosterthor in Deiner Armuth Bangen,
Ich schützte in der Junta Dich, umfächelnd Deine Wangen,
Ich rief herbei, zu trösten Dich, der trop'schen Vögel Schaaren,
Und den Passatwind ließ ich weh'n, Du sah'st nicht die Gefahren.
Der Kuß der Luft erlabe Dich, blick' auf des Meeres Fließen:
Hier schwimmt ein Zweig so frisch und grün, d'rauf Blum' und Knospen sprießen;
O sieh', dort treibt ein Stab, er ist mit Farben bunt verzieret:
Bald find'st Du Land, und Gottes Hand hat Dich dahin geführet.

Ahasverus.

(Sitzt zwischen den Matrosen in dem andern Theile des Schiffes.)

Die letzte Spur von Land ist längst verschwunden,
Ein Chaos von Gefahren sehen wir.
Beständig führt der Wind uns gegen Westen,
Doch mit ihm kommt kein einzig Schiff zurück;
Das letzte Zeichen nur ist ausgenommen,
Das Todeszeichen: jener Mast, der trieb!

Ein Matrose.

Gleich einem Raben schreist Du meine Furcht!
In Palos haben sie uns längst beweint,
Ein Trauertag war's, als wir fortgesegelt.
Gutwillig reiste Keiner; Du allein,
Erkauft, gezwungen nicht: weßhalb ging'st Du?

Ahasverus.

Ich weiß, das Meer verliert sich gegen Westen
In fürchterlichen Strömen, tiefen Wirbeln,
Die Alles in das Chaos zieh'n. Ich ging,
Weil ich nicht länger Lust zu leben habe.

Ein Seemann.

Wir wollen nun nicht länger gegen Westen:
Wir haben einen Willen, stark wie seiner.
Ein Fremder ist er, machtlos in der Heimath:
Wer weiß in Spanien, ob es eine Welle,
Ob wir es waren, die in's Meer ihn warfen.
Dort steht er stolz und stumm, der Mörderengel,
Columbus!

Mehrere Seeleute.

      Weh', kein Wind erhebt sich mehr,
Ringsum ist Todtenstill', es ruht die See.

Columbus.

Ich gebe dreißig Kronen an den Ersten,
Der Land erblickt; es wird sich bald jetzt zeigen.
Es treiben frische Blumen auf dem Meer,
Ein Vogel singt: vernehmt Ihr seine Stimme?
Das Vöglein setzte sich in unser Tauwerk.
Nun schwillt das Meer! Glaubt mir, wir finden Land!

Die Seeleute.

Nun wallt die See! o heil'ge Mutter Gottes!
War es ein Zeichen? Leben ist im Meer.

Ahasverus.

Die Thoren, immer hoffend und betrogen!
Columbus, Du betrügst Dich selber nicht.
In Nächten sich Dein Auge bange heftet
An den Kompaß, der seine Kraft verlor.
Den Zauberkreis das Schiff schon überschritt,
Der Luft und Wogen hält in seiner Macht.
Die Sonne sinkt! Das Schiff, es flieget weiter
Und Funken streut das Meer, als ob es brenne!


Nacht.

Columbus.

Höher die See geht,
Stärker der Wind weht.
Herz, O! wie schwillst Du!
Herr, Du begleitest mich,
Dein Will' geschehe!
Du, ja Du zeigst es mir:
Leise beweget sich
Licht dort, ich seh' es.
Wie es die Luft nicht hegt,
Wie es das Meer nicht birgt –
Nun ist's erloschen; nein!
Langsam wird es bewegt.
Herz, O! wie schwillst Du mir,
Stärker als Meeresfluth
Ringsum der Erde Rund!


Ahasverus.

(Im Schiffsraum.)

Wie schwillt die See! Ist jetzt erreicht das Ziel,
Das ich gesucht: der Tod, wo Alles endet?
Wie? oder steigt für uns die Sonn' noch einmal,
Und glätten sich zum Spiegel neu die Wellen?
– Sie wollen morden ihn! Das Schiff doch bleibt:
Vor Hunger und vor Durst stirbt Jeder dann.
Atlantis, die versunkne Insel, streckt
Grasarme auf und hält damit das Schiff
Hier auf der stillen Weltentiefe fest;
Ich, der nicht sterben kann, ich bleibe hier,
Verbannet aus der Menschen großem Kreis,
Allein, gebunden fest gleich dem Polypen
An diese Planken, so die Sonne dörrt,
Die Jahr für Jahr verfaulend sinken werden.
Und wenn den Schiffsrumpf hebt des Meeres Tosen,
Dann trennen sich die Planken – und nur ich,
Ich, der nicht sterben kann, treib' auf dem Meer
Alleine. Weh' mir! Weh'! Es fiel ein Schuß,
Und wieder einer! Wie! sie rufen Land!
Nein! das ist wiederum ein Spiel der Wolken.

(Eilt hinauf.)

Columbus.

(Knieet, das Antlitz gegen den neuen Welttheil gewandt.)

Du Gott der Kraft, durch mich, Dein schwaches Werkzeug,
Ist jetzt gelöst des Weltenmeers Geheimniß!
Du gabst mir Kraft in Tagen der Gefahr,
Nun zittre ich bei Deiner Herrlichkeit
Am Tag des Glücks. Land! Land! mein Auge sieht's!
O selig, wen Dein Athem mild berührt,
O selig, wen zum Werkzeug Du erwählt!
Von Deiner Herrlichkeit schwillt mir das Herz,
Gelobt seist Du, o Gott, und Jesus Christ!

Die Seeleute.

(Knieen um Columbus.)

O, Herr, vergib uns unsre Sünd' und Schwäche!
Vergib, vergib, es wohnt ein Gott in Dir!

(Ahasverus starrt gegen die Küste, sieht die waldbewachsenen Berge in der steigenden Morgensonne, stößt einen Schrei aus, und sinkt um.)


Amerika.

Chor der Eingebornen.

Sieh', der Geist, der große, sandte
Ueber's Meer, herab vom Himmel,
Zu uns seine besten Kinder.
Vögel, größer als die Hütten,
Trugen sie auf starken Schwingen
Diesen langen, weiten Weg.
Mit sich haben sie den Donner;
Wenn er rollet, bebt das Herz,
Alle unsre Berge beben.
Doch sie bringen Glück zu uns,
Denn der große Geist sie sandte.


Ein Weib.

(Mit einem Spiegelscherben.)

Siehst Du diese dünne Fläche,
Die geschnitten aus dem Wasser?
Sieh', mein Antlitz d'rin erscheint.
Und wie weiß die Zähne steh'n,
Blut seh' ich in meinen Wangen.
Eine Gabe ist's von diesen
Männern, die der Geist gesandt.
In das Haar will ich sie stecken:
Eine Flamme trag' ich dann,
Die im Sonnenlicht den Abglanz
Auf die Wand der Hütte wirft.

Ein Krieger.

Söhne von dem großen Geiste
Traf ich, Einer hielt in Händen
Fest ein hohl' und blattlos Rohr,
D'rin der Blitzstrahl saß verborgen.
Hielt er's gegen seine Schulter,
Hatt' es Stimme, und der Blitz traf
Einen Vogel über uns.
Ich wär' stark, ich wäre Herrscher
Ueber alle Himmels-Vögel,
Hätte ich das hohle Rohr.

Des Waldes Geist.

Weh' Dir, Vaterland, und Deinen Söhnen!
Da den Weg vom Osten Männer fanden!
Seufzer, werdet Sturm! In Waldeswüste
Ist das Beil gehoben schon, das fällen
Stämme soll, die tausend Jahre standen,
Nur bedrohet von des Himmels Blitzstrahl.
Und das Gold hier unter diesen Bäumen,
Ausgewaschen wird's vom Blut der Kinder.
Bittre, schwere Tage werden kommen,
Fremde Männer werden auf Euch jagen,
Jagen Euch von Ort zu Ort; nicht ruhen,
Wandern immer, so wie Israel's Sohn,
Sollt Ihr, der mit seinem Fluch betreten
Diesen Boden. Stille sitzt er dort
Unter jener schattenden Platane,
Sieht auf's Meer, das weithin wogende,
Wo er herkam, wo er wieder hingeht,
Um gejagt zu werden, so wie Ihr.

Chor der Eingebornen.

Söhne von dem großen Geist!
Seht, wir lieben Euch, denn größer,
Besser auch seid Ihr, als wir.
Süße Früchte wir Euch bringen,
Zubereitet Fleisch vom Wilde.
Wenn Ihr hier im Grase speiset,
Tanzen wir beim Trommelklang.

Der Weltgeist.

Bahn ist gefunden! Wieder ein Land ich
Habe geknüpft an das menschliche Glück.
Es bebt der Urwald, mich nicht versteht er.
Ewiger Wandrer, Du mich versteh'n wirst!
Komm, laß des neuen Welttheils Erschließung
Dich Dir erschließen, damit Du lesest
Weisheit und Tröstung und göttlichen Willen,
Und dieser lautet: Künftig der Menschheit
Ein Volk, ein Denken, Eintracht, Verständniß.

Ahasverus.

Es rauschet seltsam in den alten Wäldern,
Wie einst in Israel's Tempel rauschten Hymnen.

Der Weltgeist.

Reich wie Amerika, lagst Du, o Israel,
Den weit verbreiteten Völkern verschlossen;
Du hattest Geistes Gold, der Sagen Urwald,
Du warst das Abbild von dem Bestehenden:
Wiesest von Dir d'rum, was von Gott neu kam.
Dies war Dein Untergang, Israel's Volk!
Blick' auf Dein eignes Bild, ewiger Wanderer,
Die ganze Menschheit sei Dir jetzt ein Spiegel.
Immer das Alte verläugnet das Neue,
Gott Wird geboren, gekreuzigt und – lebet!
Rostfrei den Schatz an's Gestad' der Vollendung
Siegreich die Well' des Jahrhunderts nun trägt.
Der Länder Genieen haben's verkündet,
Das Buch geöffnet, welches Euch vorlag,
D'rin die Geschichte stand der Geschlechter.
Ein Blatt gewandt ist, sieh' jetzt ein neues,
Lies auf dem Blatt, das Columbus gezeigt Dir,
Blicke dann rückwärts auf die geles'nen.
– – Doch wenn selbst Todte erständen und sprächen,
Nimmer verständet Ihr's, würdet's verwerfen,
Schlagen an's Kreuz doch das Neue vom Herrn.
Stets Ihr verneinet, was doch wird siegen
Und tragen vorwärts das Menschengeschlecht.

Ahasverus.

Ein Wirbelwind fährt mir durch die Gedanken,
Ein Chaos, das sich schließt zu einem Ganzen.
Was bin ich, und was war ich – welche Größe!
So klar wird Alles mir – auf kurze Zeit!

(Er streckt die Hände gegen das unendliche Meer aus, die Sonne steigt höher und höher.)

Die Wandertauben.

Was flüstern Bäume, grüne Waldesspäher?
Was sahen sie, was gab sich ihnen kund?
Der erste Kuß, mit dem ein Europäer
Verschloß des Karaiben-Mädchens Mund.

Des Waldes Geist.

Weh', weh', mit einem Kuß verrieth auch Judas!

Das Weltmeer.

(Das Meerweib erzählt seinen Kleinen.)

Und Kain mordete den Bruder Abel!
Das war das Erste in der alten Welt.
Und eine neue fand, gewann Columbus.
Zwei Brüder waren da, und beide Kön'ge,
Der eine, Atahvalpa, war ein Kain:
Er tödtete den Bruder. Kainszeichen
Vereint die neue mit der alten Welt.
Strafengel zwei an Urzeits Eden standen,
Strafengel zwei Columbus Land betraten.
Den Einen schuf der Himmel ihm in Cortez,
Und von der Hölle ward gesandt Pizarro.
Und es floß Blut, und immer mehr des Bluts, –
Doch schwamm das Gold hin nach Europa's Küsten.

Gute Geister.

Alles in Einklang und größer wir sehen,
Zeichen des Sieges die Wimpel wehen.

Veronika's Geist.

Von der Zeit, als Jerusalem sank in die Gluth,
Bis Columbus das Land sah in wilder Fluth,
Eine Spanne der Ewigkeit nur verrann,
Der neuen folget die neue alsdann.
Du, Ahas, entfaltest die starken Schwingen,
Sie wachsen und werden zum Himmel Dich bringen,
Dich und die Geschlechter, der Schwachheit Erben,
In Kraft erstanden, wie Leben aus Sterben.

Chor der Engel.

Laßt, Skalden der Erde, die Harfen erklingen,
Ein Jeder erblicke auf Liedes Schwingen
In seiner und in der Welt Historie,
Des Geistes Ursprung, Ringen und Glorie.

Die Muse des Gesanges.

Was in der Ahasverus-Mythe klang,
Es ist ein Echo von dem Meer der Zeiten.


Ein bess'rer Skalde wird in besser'm Sang
Uns jene Wand'rung, welche folget, deuten.


 

Druck von Fr. Nies in Leipzig.


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