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Zweiter Theil.

Dritte Abtheilung.

Ein Blatt der Chronik.

Ueber die Alpen, zwischen niederstürzenden Wassern, zwischen sausenden Tannen geht Ahasverus. Feuchte Wolkennebel jagen vorbei; die Nacht brütet schon unten im tiefen Thal, wo man keine Menschenwohnung findet; die Dunkelheit steigt aus demselben hervor, wie einstmals die Wasser der Sündfluth um die Seiten des Ararat emporstiegen: höher, immer höher, während die Schneegipfel der Berge in der Abendsonne glänzen. – Die Alpenwandrung ist beendet; unübersehbare, dichte Wälder liegen vor ihm. Unter der tausendjährigen Eiche steht die Priesterin und schneidet in der Nacht die grünen Zweige ab. Nicht hemmt er seinen Fuß, nicht weilt sein Auge bei dem fremden Anblick, nicht lauscht das Ohr den neuen, seltsamen Tönen; – hin eilt er, wo der Römer-Adler Siege gewann, weiter nach Norden. –

Die dichten Schilfufer an der rollenden Donau werden von tausend Vogelschaaren umflattert; der Wolf haust in dieser Wildniß, wo nur der stärkste Sturm die Spitzen des Schilfes zu beugen vermag. Wo findet man eine Furt? Der halbvermorschte Baumstamm muß als Boot dienen, und der Strom selbst muß Steuermann sein.

Was sauset durch die Luft? Es ist ein mit einer Knochenspitze versehener Pfeil! Gestalten jagen vorbei; sie scheinen an den Rossen festgewachsen zu sein; ihre krummen Beine sind umwunden mit Schaafsfellen; ihr Rock, aus dem Pelze der Thiere des Waldes, hat seit Jahr und Tag Regen und Sturm ertragen; in Fetzen hängt er um sie. Tiefe Narben sitzen im Kinn und auf den Wangen. Es sind Männer aus den Steppen Mittel-Asiens; es sind die Hunnen.


Die Waldtaube singt.

Sie werfen die Schlinge um Ahasverus,
Sie fangen ihn so, wie die wilden Pferde,
Sie führen ihn in des Waldes Dunkel
Zu Attila's Lager, der Stadt, die sie bauten
Aus Zweigen und aus gefällten Stämmen. –
Bei manchem Lager am Ort der Ruhe,
Wo Mondschein bildet des Bettes Umhang,
Da sprießen üppig die wilden Rosen
Und bilden Theile von Dach und Wand.
Mit hohen Säulen von Eichenbalken,
Mit Dächern von blankpolirtem Holze
Die Herrscherburg prangt, um sie sind Häuser
Für hundert Frauen getrennt erbauet
In greller Farben stechender Pracht.
Ein Holzspahn glimmend als Fackel leuchtet
Und zeigt den Weg zum Herrscher der Scythen,
Dem hingelagerten Sieger Germaniens,
Ihm, der des Kriegsgotts Schlachtschwert gefunden,
Zu dessen Füßen Königsschaaren
Im Staube beben – zu Attila!


Die Schwalben.

(Aus- und einfliegend.)

Die Wänd' entlang im großen Prachtsaal,
Beglänzt von Flammen eines Holzspahns,
Der Krieger Schaaren hingelagert
Die Becher leeren reich von Gold.
Sieh'! Attila hoch oben sitzet,
Sein Becher ist von simplem Holz;
Er steht vor ihm, und aus ihn festet
Er sein durchbohrend Feueraug';
Das Haupt er stützt auf nerv'gen Arm –
Schwarzbraune Distel auf knorr'ger Eich'!
Sie singen Lieder von Kampf und Siegen,
Sie schlagen den Tact mit ihren Schwertern
Am Eichentisch, der Saal rings hallt,
Indeß der Becher am Feuer leuchtet.
Des Heeres Aelt'ste Zähren vergießen,
Indem sie denken an früh're Kraft.


Rundgesang.

Wie Steppenbrand, so ziehen unsre Schaaren,
Und Völker geh'n in diesem Feuer unter.
Wir brausen hin wie der Heuschreckenschwarm,
Der's Licht bedeckt, und dessen Schwingen tönen
Gleich wie der Hagelbruch in Waldeslaub.
Hebt Attila den Arm, so beugt sich Alles!

Attila.

Wer ist der Mann, schwarzbärtig, hoch und stolz?
Nicht in Germanien's Wäldern wurde er geboren,
Auch hat ein hunnisch Weib ihn nicht gesäugt.
Tritt her! Die Schlinge löst um Brust und Arm!
Sprich, Fremder, Du stehst jetzt vor Attila.
Band Schrecken Deine Zunge, Fremder, sprich!
Du sollst nicht sterben!

Ahasverus.

      Nein, ich soll nicht sterben!
Doch Du, und Deine niegezählten Schaaren,
Vor deren Kraft die halbe Welt erzittert,
Ihr sollet sterben, sinken wie ein Blatt,
Um Staub zu werden; aber ich soll wandern
Stets ohne Ruhe, wie der rothe Stern,
Der hoch vom Himmel auf uns niederglänzt.

Attila.

Ein Priester bist Du des Gekreuzigten,
Der in den Tod des Südens Götter stürzte!
Ich weiß, Ihr führt die Worte wie ein Schwert,
Und daß Ausdauer Eure Stärke ist.
Ihr gleitet wie die Wolken über Länder,
Wie Wolkenschatten prägt sich Eure Macht ab;
Ich rolle wie der Wüste schwerer Sand,
Vom Sturm getragen. – Christus ehrest Du?

Ahasverus.

Nein, nein! Von Deinen Lippen soll ich hören
Auch diesen Namen, der vergeh'n doch muß!
Und Märtyrer erstanden um sein Kreuz,
Aus ihrem Blute keimte eine Saat,
Gleich Hellas'[*?] Drachenzähnen, nur zum Morden.
Du, Attila, des Sieges Banner pflanze
Auf's Feld des Todes, der Verwirrung Schauplatz.

Attila.

Der Gott des Schwertes, wahrlich, spricht aus Dir!

Ahasverus.

Ja, er, der straft durch mehrere Geschlechter,
Der war, und ist, und sein wird – Jehova!
– Ich kenne diese Christen, und ich sah sie
Bei ihrem Ursprung. Eine kleine Schaar,
Schaafheerden gleich, und furchtsam, ohne Willen,
Im Winkel drängten sie sich an einander;
Der Widder stand mit seinem krummen Horn
Und sorgte wachsam um die bange Heerde.
Ich sah, wie dieses Krummhorn weiter wuchs
Zum Bischofsstab, der reich vergoldet strahlte
Im hohen Glanz der constantin'schen Krone;
Ich sah, es war ein Flammenschwert, so stark,
Was der Gedanke schmiedete und schwang!
»Ist der Gekreuzigte von Gott entsprungen?
Ward er vielleicht, wie wir, aus Nichts geboren?«
Die Heerd' zertheilte dies Gedankenschwert,
Sodaß Bischöfe nicht, selbst hundertweis',
Sie wiederum zu einer sammeln können!
Am Bosporus erhob sich, wie ein Wunder,
Die neue Christenstadt, wo Constantin
Der Mauern Gränze mit der Lanze zeigte,
Indeß der Bospor Stämme trug vom Balkan.
Dort steht mit reichen Kirchen, stolzen Bögen,
Die Christenstadt gen Osten, weit von Rom.
Es liegen viele Länder zwischen beiden.
Ein Steinmeer, Wälder füllen jenen Raum,
Und mehr als Abstand fernet diese Mächte
Die Wunde, die das Schwert schlug; – ist für Westen,
Dann für den Osten eine Todeswunde.
Auf, Attila! ergreif' den Augenblick!
Die Alpen übersteig', Dir folgt der Sieg,
Beherrsch' die blühende Italia!

Attila.

Ein Vogel bist der Nacht Du, Glück verheißend;
Mein Weg ist Deiner, ich laß nicht von Dir.

Attila's Narr.

Ein Glücksvogel trägst Du am Schnabel Barteszier,
Und mein Geschlecht soll dienen als Schleppe immer Dir,
Wir weichen nicht von Dir in Knall und in Fall,
Pfleg' Du, wenn ich veraltet, treu meiner Aemter all.
Denn ich, ich bin der Humor, ich soll und muß hinein,
Ich trage Klingeln an mir, mein Sinn muß klingend sein.
Wie Sonnenschein sie lachen, nur Attila lacht nicht:
Wer vornehm sein will, mach' ein langweiliges Gesicht.


Nacht.

Eine alte Eiche.

Tief schläft der Wald, doch traumlos ist der Schlaf;
Der wilde Hunne lehnt sich an den Spieß
Und starrt aufs halberlosch'ne Feuer hin,
Er starret zwischen Schlaf und halbem Wachen.
Da – was war das? auf fährt er wie das Wild;
Er lauscht und hebt den Spieß! Wer nahet sich?
Es fiel, geknickt von unsichtbarer Hand,
Ein welker Zweig vom Baume in das Feuer,
Sodaß es Funken stob und flog umher. –
Still Alles wieder ist, und tiefer Schlaf. –
Fußtritte schallten, doch als man sie hörte,
Da warf den Zweig hinunter die Dryade –
Und Ahasverus war nicht mehr im Lager!


Chor der Winde.

Er schreitet hin durch uralte Wälder,
Wo Nebel herrschen, und wo wir sausen,
Und nach den Ländern dort, wo in Wochen
Der kurze Sommer mit Blumen wuchert,
Und wo der Winter so lang und mächtig,
Schlägt übers Meer die eisstarke Brücke.

Sie schlachten Gefang'ne auf Opfersteinen
Dem Zorn der Götter; der Schönheit Göttin
Ziehen den Wagen die wilden Katzen;
Das Bild des Olymps in Griechenland
Sich hier abspiegelt in schweren Wolken,
In wilden Strömen und kaltem Nordlicht.
– Bei Kampf und Morden sterben die Völker.
Du müder Wandrer, darfst Du hier weilen,
Darfst Du hier ruhen die matten Glieder?
Nein, Du mußt wandern und immer wandern!

Des Nordens Gruß.

Nur getrost betritt die Schwelle,
Willst Du Ruhe finden, Wandrer.
Denn die Burg, gebaut von Balken,
Groß und stark, von Rauch geschwärzt,
Königs-Wohnung, steht Dir offen.
Den Pokal versorgt der Bursche:
Nie an Meth den Männern fehlt es.
Schlummernd streck' Dich in die Asche,
Wo die blut'gen Stücke braten,
Die man aus dem Ochsen schnitt.

Ahasverus.

Mein Fuß hat keine Ruhe,
Wie der Gedanke rastlos;
Und wandern muß ich, wandern
Durch kalte, feuchte Nebel,
In Sonnenschein und Schneesturm.

Ich seh' bei loher Flamme
Die Könige im Norden
Mit Panzern angethan;
Ein goldner Ring umschließet
Die langen, gelben Locken;
Sie schauen stolz vom Thinge;
Ein roher Stein im Felde,
Das ist ihr Königsstuhl;
Und über ihre Häupter
Im Sturm die Wolken zieh'n.

Nach Norden, stets nach Norden!
Doch ach! kein Bergstrom kühlet
Mein Blut, das immer brennt.
Des Tannenwaldes Sausen
Schallt wie des Richtplatz's Stimme;
Des Nordlichts rothe Flamme
Glüht wie der Tempelbrand.
Die Nächte, weh! im Norden
Sie brennen und sie leuchten,
Wie das Thal Josaphat!

Ich werde gleich dem Wilde
Gejagt von Sturm und Flammen!
Man gönnt mir keine Ruhe,
Fort muß ich, rastlos weiter,
Und nimmer kann ich sterben!


Verwandlung.

Ahasverus fort sich wendet von des Nordlichts rother Zier,
Wieder sieht er Deutschlands Wälder. Hat der Brand gelichtet hier?
War bei Wirbelwindes Stärke Rieseneiche nur ein Rohr?
Wie verändert! Er alleine unverändert, wie zuvor!
Wo sind Jene, deren Schaaren sich im Sturm gewälzt gleich Staub?
Sie verschwanden und verwehten wie des Waldes gelbes Laub.
Aus dem Felsen prangen Mauern, hoher Zinnen stolzer Trutz;
Kleine Hütten liegen ringsum in der Burg geweihtem Schutz.
In des Waldes Dunkel birgt sich des Einsiedlers Hütte jetzt.
Frommen Sinnes ist das Zeichen I H S daran gesetzt:
Jesus Hominum Salvator ist dem Kreuze eingeprägt,
Und des Waldes Zweige duften, in der Luft die Lerche schlägt
Und den Gruß: Gelobt sei Christus! ihm der Wind entgegenträgt.
Er versteht das Wort, und schweigend steht er mit gebeugtem Muth.
Hat des Nordens Eis gehauchet Einsicht ihm ins heiße Blut?
Oder hat ein neu Jahrhundert, das sich wie ein Tag verzehrt,
Weiser ihn gemacht und älter? Erdenwärts den Blick er kehrt,
Und Gedankenwogen wälzen sich durch seiner Seele Nacht;
Wie Gespenster bleich und blutlos, starrt er auf des Waldes Pracht.
Lieblich fallen Sonnenstrahlen auf das thaubesprengte Blatt,
Die Natur dem Herzen bietet jetzt ein frisches Lebensbad,
Alles duftet, Alles singet: frisches Leben Alles hat!


Hütte.

Der Einsiedler.

Bist Du verfolgt? Gesetzlos ist die Zeit,
Schutzlose werden nun des Stärkern Beute.
Ich sehe, daß Du ein Hebräer bist;
Hat die Gewalt die Schätze Dir genommen?
Bist ein verfolgtes Wild Du? Hier ist Schutz.

Ahasverus.

Wo sind die Hunnen? Wo sind ihre Sprossen?
Wer herrschet hier? Ich seh' nicht Roma's Adler.
Und floh das Kreuz nach diesen tiefen Wäldern?
Sind diese Bögen neue Katakomben?

Der Einsiedler.

Du redest seltsam! Ruh' erst, labe Dich!
Die Hunnen leben nur noch in der Sage,
Der Franken stolzes Scepter reicht hieher,
Im ganzen Lande prangt der Christen Kreuz,
Doch füllt kein Christensinn des Volkes Herz.

Ahasverus.

So seh' ich denn des Christenthumes Flamme
Mit letztem Glanz die Alpen überstrahlen!
Ich sollte, mußt' ihn sehen – und ich seh' ihn.

Der Einsiedler.

Der Christen Sonn' ist stark, doch Zeit bedarf sie,
Die Nebel dieses Urwald's zu zerstreu'n!
Sie wird's! – Das Frankenreich ist blutgedüngt,
Und wunderbare Kraft übt Christi Sonne:
Läßt frische Rosen aus dem Blut ersprießen;
Doch weder ich, noch Du erblicken sie.
Dem feuchten Baum ist ähnlich dies Geschlecht;
Es müssen ihn der Zeiten Stürme trocknen,
Eh' Himmels Blitz ihn kann in Flammen setzen.

Ahasverus.

Der Frankenkön'ge Scepter reicht hieher?
Doch wer sind diese?

Der Einsiedler.

      Merovinger sind's,
Ein Königsstamm. Dem feuchten Baum' gleich steht er
Vor'm Licht des Christenthums, das ihn beleuchtet,
Doch ihn durchdringen, das vermag es nicht.

Ahasverus.

Du gingst von Denen, die Du mußt verachten,
Waldeinsamkeit ist Deine Welt geworden,
Du fühlest keine Sehnsucht, keine Unruh',
Kannst Du auf einem Fleck, gleich Pflanzen, leben?

Der Einsiedler.

Ich gehe morgen fort von dieser Hütte;
Es kam hier eine Schaar von frommen Männern,
Sanct Benedict's Gesetz gehorchen sie.
Ein Kloster wollen sie am Flusse bauen,
Und sie versprachen, mich dort aufzunehmen.
Wir mauern selbst uns Zelle dicht an Zelle,
In Jahr und Tag ist unsre Wohnung fertig.
Dort woll'n wir nicht, wie Mönch' im Orient,
Nur grübeln, beten; nein, wir wollen laut
Das Evangelium von Christus künden.
Wir wollen, daß die Sonne Christi scheine
Ins Menschenherz, und Gottes Sonne glänze
Hin über Aecker, die der Pflug gefurcht;
Erquickt durch Wissenschaft werd' der Gedanke!
Bist Du bedrängt und leidend, schließ' Dich an;
Dort herrscht bei Arbeit und Gebet das Glück,
Das hohe Glück, sich zu bereichern mit
Des Geistes Schätzen, die uns Keiner raubt; –
Das hohe Glück, mit ehrlich treuem Willen
Das Gute, Wahre, Schöne zu beschützen.

Ahasverus.

Ein Reich des Geistes und des Herzens wollt Ihr
Auf dieser wilden Weltensee erbau'n?
Ihr, schwacher Rest, die letzte Purpurrose,
Die aus deß Blut, den man gekreuzigt, sproß.

Der Einsiedler.

Die letzte Blume? Fremder, wer bist Du?
Im Osten, Westen, Norden und im Süden,
Da wachsen reich und herrlich solche Rosen;
Und in dem alten Rom, wo der Apostel
Sanct Petrus saß in Ketten, sprießt der Stamm
So stark und frisch, der feste Rosenstamm,
Der in die Welt den Blumenflor entsendet,
Der höchste Bischof – Papst wird er genannt,
Du hörtest wohl von ihm? – Gregor der Erste,
Ein Bild der Einigkeit des Christenthum's.
Der Diener ist er für des Herren Diener,
So mächtig ist nicht Osten's Patriarch!

Ahasverus.

(In tiefen Gedanken.)

Ja, ich erkenne, ich begreife es!
Groß, groß war Dein Prophet, ich glaubt' es nicht;
Nun aber seh' ich seiner Lehre Macht,
Ihr unerhörtes, wunderbares Glück.
Er, Marie Josephs Sohn, den man gekreuzigt,
Der Nazarener, welchen ich – – gewiß,
Groß ist er durch sein wunderbares Glück,
Doch wird ein Größ'rer noch geboren werden!
Er kommt, er soll und muß! Denn die Propheten
Verkünden es und Israel ihn erwartet.
Behaupten wird er das Bestehende
Und Alte; Mensch nur war Maria's Sohn;
Im Tempel schwang die Geißel er im Zorn,
Ertheilte den Verwünschungsspruch – ich weiß es.
Verwünschung! – Doch ein Größ'rer wird geboren,
Der sammeln wird die Heerde Israel's!

Der Einsiedler.

Weich' von mir, Satan, denn ich bin nicht Dein!
Du seist verflucht, und das, was Du gesprochen!


Rom.


Colosseum.


Ein kleiner Vogel singt.

Ueber Alpenwälle blitzend
Zogen blonde Kämpenschaaren;
Adler sah hinab sie fahren,
Auf den blanken Schilden sitzend.

Unser schönes Land sie schauten,
Brausten hin wie Sturmeswetter,
Sie zerbrachen Marmorgötter,
Flamme schlug aus alten Bauten.

Es erbebten diese Steine,
Stolze Bögen sind geknicket,
Nur das Kreuz stand, und es blicket
Auf das Trümmerfeld alleine.


Chor der Engel.

Hier, wo das Blut der Märtyrer floß,
Und wo sich laut ihr Gesang ergoß:

Der gierige Adler des Heiden
      Mag mir zerkrallen die Brust!
      Du Ros' unter Dornen sollst weiden,
      O Jesus, mein Auge mit Lust!

Hier tönet die Freudenbotschaft so laut
Aus Davids Stadt, die den Herren geschaut.


Ein Blatt der Chronik.

– Unter des Colosseum's buschbedeckten Mauern, wo der Vogel singt, wo Gottes Engel bewachen des Kreuzes Stamm, versammelt sich das Volk. Der Reiche und der Arme stehen neben einander, die Mütter heben ihre Kindlein in die Höhe, der Säugling wendet sein Haupt von der Mutter Brust, über die starke Bewegung verwundert. Sie betrachten Alle einen Pilgrim; sein Fuß betrat die Erde, welche durch Jesus Christus geheiligt ist, sein Auge hat den Kreuzesstamm gesehen, welcher den Erlöser trug; er sah ihn, Kaiser Heraclius entriß ihn den Persern; er sah ihn wieder aufrichten, umstrahlt von tausend Silberlampen; seine Stimme mischte sich mit dem Gesang der Gemeinde in Jerusalem, der Stadt der Christen. Und der Pilgrim steigt auf die Marmorsäule, welche zerbrochen und umgestürzt daliegt; er spricht von den heiligen Orten, und alle Ohren und Herzen lauschen. –

Aber mitten zwischen Allen stehen zwei, deren Antlitz zeugt vom Geschlechte aus dem Lande des Kreuzes. Ueber die Wangen des Aelteren rollen schwere Zähren; sie fallen in seinen Bart; der Jüngere ist nicht so weich; wild blickt er um sich, wie der Tiger, wenn er nach Beute späht. –

Die Gemeinde sinkt auf die Knie; die Beiden stehen aufrecht, wie des Feldes wilde Disteln. »Hebräer!« tönt es rings umher, und mit bösen Worten und Mienen werden sie aus dem Kreise der Christen gestoßen; Verhöhnung folgt ihnen. –

Fest hält der Aeltere die Hand des Jüngeren; sie flüchten in die engen Gassen hinein, in den finstersten Winkel, in das ärmlichste Haus. –

»Bruder in Israel, tritt über meine Schwelle!« so lauten des Alten Worte.

»Jerusalem der Christen Stadt«! wiederholt der Jüngere, und seine Hände ballen sich gegen die Stirn; er fährt auf, wie aus einem bösen Traum erweckt. Aber weich und lieblich erklingt aus der Kammer daneben der Gesang eines Weibes; der Jammer unzähliger Nächte und Sehnsucht bebt in demselben:

»Das Gold sammt den Edelsteinen,
Wir geben's, und gold'ne Ketten,
Mit Freuden, um stille zu weinen
An unsrer Herrscher Stätten.

Bei Heiden wir ruhig erscheinen,
Uns gebend in Sclavenketten
Mit Freuden, um stille zu weinen
An unsrer Herrscher Stätten.«

Und der alte Hebräer führt seinen Gast in die Kammer, wo reiche Tapeten die rauhen Mauern bekleiden, wo das Rauchgefäß geschwungen wird; verborgen, wie einst die Christen, singen hier nun die Kinder Israel's ihren Lobgesang auf Jehova. Und der Fremde mischt seine Stimme in ihren Chor; sie tönt wie Gesang des Sturmes; tief und brennend betet sein Herz; aber aus dem verborgenen Hintergrund hört man die trauernde Stimme der jungen Jüdin. »Um die Tempel Jerusalem's, welche fielen, um die Mauern, welche niedergerissen wurden, um unsre Könige, welche sie verachteten, um Israels gestürzte Herrlichkeit« – »sitzen wir hier einsam und weinen,« antwortet ihr der Chor. –

Erst spät in der Nacht verstummt der Gesang und das Lesen der Bücher. In der Stube werden auf Weise des Orients Teppiche ausgebreitet; das ungesäuerte Brot wird gebrochen; das Lamm wird gespeist; mit dem Blut desselben ist nach heiligem Gebrauch der Thürpfosten bestrichen.


Mitternacht.

Der Fremde.

– So ist Jerusalem der Christen Stadt?
Weh' Dir, o Israel, wo ist Dein Glück?
Wann wird erfüllet der Propheten Wort?
Wird der Messias niemals, niemals kommen?

Der alte Hebräer.

Er kommt: erfüllt wird der Propheten Wort!
Er kommt, er ist gekommen, ja, ich glaub' es!
Das Schiff, das jenen Pilgrim hergeführt,
Der neulich predigte im Colosseum,
Ein wunderbar Gerücht hat es gebracht.
Fern in Arabien, im Land der Wüste,
Wo Ismael, der Sclavin Hagar Sohn,
Stammvater eines mächt'gen Volkes ward,
Trat ein Prophet auf, welcher laut verkündigt
Den einzigen, den wahren Gott. So ist es!
Mehr weiß ich nicht, doch glaube ich daran.
Er ist Messias, ja, er muß es sein;
Er kommt; was uns gelobt ward, wird gescheh'n!

Der Fremde.

Er ist es, er! Die alte Herrlichkeit
Wird neu erstehn, wie einst zu David's Zeit.
Der neuen Weltgeschlechter Kampf war nur
Ein Spiel der Wolken in der dunkeln Nacht.
Nun steigt des Ostens klare Sonne wieder!
Messias kommt jetzt, Israel's Messias!
Nicht Ruhe hat mein Fuß, und wandern muß ich,
Es kann mein Haupt sich nicht zum Schlafe neigen,
Nein wandern, wandern – nach Arabien,
Zum Wüstensand, wo Ismael einst Herrscher!

Der alte Hebräer.

Wie ist Dein Nam', Hebräer?

Der Fremde.

Ahasverus.


Arabien.


Der Beduine.

(Zu seinem Pferde, während sie durch die Wüste jagen.)


Erhebe Deinen stolzen Kopf mit den klugen, menschlichen Augen! Laß die lange, weiße Mähne wie glänzende, silberweiße Fahnen um Deinen schlanken Hals flattern, den das Amulett beschützt, und den der Wüste lieblichstes Weib mit ihrer feinen Hand streichelte.

Es geht nicht nach dem ruhigen Lager an der blühenden Oase, wo die Zelte ausgespannt sind, und wo die alten Frauen die Kameele melken, während die Jugend im Kreise sitzt und den Mährchen lauscht, schöner und reicher, als Arabiens Lieblichkeit.

Nicht geht es auf Raub, wo die Karawane mit kostbaren Kaufmannsgütern auf wohlbeladenen Kameelen kommt, und wo liebliche Frauen auf dem zusammengerollten Zelt auf dem Rücken des Dromedars sitzen, langsam sich durch den rothgelben Sand der Wüste bewegend, wie die Spur der Wasserschlange auf der Fläche der See.

Nach Mekka, der prächtigen Stadt Arabiens, fliegen wir; zum Tempel Kaaba, wo die Götterbilder umgestürzt sind, wo nun von der alten Pracht Nichts mehr vorhanden ist, als die gold'nen Namen der Dichter, welche im Wettkampf des Gesanges siegten. Nach Mekka fliegen wir, um den Propheten zu schau'n, um unter seiner Fahne die Welt zu besiegen!

Die scharfen Schwerter mögen in unser Fleisch dringen, die Flamme brennender Städte mag uns umfächeln wie der Sand der Wüste, vom Samun gehoben; aber Mahomed's Name soll über die Erde leuchten, und wir werden im Gesange genannt werden, wenn die Dichter ihren jährlichen Wettkampf beginnen; unsre Namen werden durch Jahrtausende von der Lippe tönen, dort, wo eine Schaar sich an der Oase rinnender Quelle versammelt, oder an der Cisterne, die mit dem erquickenden Wasser der Wolken gefüllt wird.

Flieg' weiter, hurtig wie der Strauß, der über den Sand gejagt wird! Du verstehst mein Wort und meine Gedanken: deßhalb wieherst Du, als hörtest Du die schmetternde Kupfertrompete; Du wieherst, und streckst Deine feinen starken Beine und den stolzen Kopf vorwärts, so daß sie sich treffen und den Wind theilen. Es ist nur ein Gott und Mahomed ist sein Prophet!


Jerusalem.


(Die Kirche des heiligen Grabes.)


Hoch ob der Grabeshöhle, wohin man Christus bracht',
Wölbt stolz sich jetzt die Kuppel mit Gold und Farbenpracht;
Am Todesort in Lichtglanz sich Lamp' an Lampe reiht,
Wo Gottes Engel Trost gab mit Lebens Herrlichkeit.
Still, draußen Stürme steigen, sie singen inhaltsschwer,
Der Kirche Geist blickt droben bedenklich weit umher.

Der Kirchengeist.

Weshalb ist diese Geschäftigkeit?
Nicht kenn' ich das Fest, das sie feiern;
Es dauert durch Nächte und Tage.
Sieh, alle die Bischöf' und Priester
In ihrer prächtigsten Kleidung,
Doch all' mit dem Schwert um die Lenden;
Alle hier drinnen und draußen
Tragen Waffen und Rüstung.

Der Sturmwind.

Ueber Jerusalem schwebet
Wieder der Geist des Verderbens.
Melden kann ich die Botschaft,
Denn weit stürmt' ich umher.
Wüstenschaaren mit Seelen,
Glühend wie Afrikas Sonne,
Jagen nun siegend weiter,
Jagen mit mir um die Wette.
Das Paradies vom Propheten
Dem ist versprochen, der kämpfet
Auch nur so lang, wie das Junge
Läßt des Kameeles Euter,
Um zu athmen die Luft.
Jeder, deß Fuß wird bestäubet
Bei der Feldschlacht für den Herrn,
Wird an dem Tag des Gerichtes
Ferner von jeglichem Leiden
Sein, als der Weg kann betragen,
Den der hurtigste Reiter
Fliehend vermag zu durcheilen,
Eilt' er auch ein Jahrtausend.
Für Glauben kämpfen ist größer,
Heiliger selbst und besser,
Als zu reichen dem Pilgrim
Einen labenden Trunk.
– Deßhalb brausen sie weiter,
Deßhalb den Sieg sie erreichen –
Kennen nicht Schlummer noch Ruhe,
Stündlich wächst ihre Menge.
Süß wird jegliche Wunde,
Süß wie der Kuß eines Weibes;
Blut wird leuchten wie Wolken,
Welche der Morgen beglänzt.
Deßhalb den Sieg sie erringen,
Deßhalb wird Mahomed's Mond
Prangen als Banner des Sieges
Ueber Jerusalem's Mauern;
Blut soll in Strömen fließen
Durch die Straßen und Thore;
Um das Grab soll es fließen,
Hier, wo die Weiber weinten,
Und wo der Engel sie tröstet'
Mild mit der Auferstehung.

Chor der Christen.

Meine Seele ist in Angst und Noth,
Dir, Herr, ich Seufzer sende;
Du über Leben herrsch'st und Tod,
Ich falte meine Hände;
Es brennt der Herzenswunde Gluth,
Mein Haupt in Deinem Schooße ruht!

Der Kirchengeist.

Die wilden Schaaren kommen,
Ich hör' das arge Schreien,
Es mischt sich mit dem Sturme,
Sie dringen in die Kirche.
Hör', Säbelhieb' und Seufzer,
Die rothe Fackel leuchtet
Her durch die Tempelthür. –
Ein wilder Mann sich zeiget,
Das Antlitz[*?] bleich und blutig,
Er stürzt hervor und hebet[*?]
Die Fackel, die er schleudert
An goldgeschmückten Balken,
Und an den reichen Vorhang. –
Jetzt hält er ein, es ziehen
Vorbei ihm Todtengeister
In langen, weißen Kleidern;
Sie schweben hin wie Nebel,
Sie schwingen Palmenzweige,
Die droh'n wie Flammenreiser;
Im Vordergrunde sah ich
Sancta Veronika.
Er hebt die Fackel wieder –
Wer darf den Tempel zünden?
Dein Name, wilder Tiger,
Soll Grausen stets erwecken,
Wenn ihn die Nachwelt nennt.

Veronika's Geist.

Ahasverus!

Der Sturmwind.

      Ahasverus! Ahasverus!
Warum stehst Du so erschrocken?
Auf dem Haupte sträubt Dein Haar sich,
Aus der Höhle springt Dein Auge,
Bleich und blau bebt Dir die Lippe.
Wie aus Erz gegossen stehst Du,
Starrend nach dem Felsengrabe,
Wo der Lampen tausend Flammen
Welken Blumenblättern gleichen
In dem Glanze aus dem Grabe,
Woraus Jesus Christ erstand.

Veronika's Geist.

Ahasverus!

Der Sturmwind.

Ich ergreif' ihn, dreh' ihn wirbelnd!
Mit Entsetzen und mit Beben,
Stürzt er nun vernichtet hin.
Ahasverus! Ahasverus!
Du sollst leben, Du sollst leiden,
Wandern, wandern, immer wandern:
Denkst des Herren Urtheil Du?

Ahasverus.

Wie Moses sah die Flamm' ich,
Aus ihr sprach eine Stimme.
Doch wer sind diese Christen?
Beschützest Du, Jehova,
Das Volk, das ich verfolge?
Ja, wandern will ich, wandern
Nach ihren größten Städten;
Ich will in reiner Wahrheit
Sie lesen wie ein Buch;
Ihr Handeln will ich sehen,
Ihr Glauben – denn wie Moses
Vernahm ich eine Stimme
Aus ferner, bess'rer Zeit!

Chor der Muselmänner.

Es ist nur ein Gott und Mahomed ist sein Prophet!


Weihnachtsmorgen. Jahr 800.


Rom.


Ein Bürger.

Er ist es mit den großen, klaren Augen,
Der kräftig-schlanke Mann mit weißem Haar;
Er ist's, der Frankenkönig Karl, der mächt'ge
Und treue Freund von unserm heil'gen Vater.

Ein Zweiter.

Streng hat er Recht gesprochen; die Rebellen,
Die aus der Procession Papst Leo rissen,
Sie sind gefesselt, ihrer harrt das Beil.

Der Erste.

Ein Julius Caesar ist er unsrer Zeit,
Unruhig, keck und glücklich immerdar;
Weit fliegt sein Sinnen und sein Arm hat Kraft.
Von Spanien's Bergen bis nach Rom's Campagna,
Von Albion's bis Germania's fernster Gränze
Das Evangelium mit dem Schwert er predigt
Und tauft die Heiden in dem Heidenblut!

Ein Dritter.

Er half dem Papst im Kampf mit Longobarden.
Seit jener Zeit seh' ich ihn heut' erst wieder;
Da war ich auch dabei, ihm zuzujauchzen.
Das ganze Rom zog aus in Procession,
Ihm zu begegnen, und ich sah ihn knie'n
Am goldnen Sarg Sanct Peter's mit dem Papst,
Gelobend heil'ge Freundschaft für das Leben.
Und Karl ist stark als Freund und hart als Feind.

Der Erste.

Das Glück ist mit ihm, deshalb wachset stolz
Sein Land und Reich. Und sicher, Du sollst seh'n,
Wächst es zuletzt bis an den Bosporus,
Und in Byzanz setzt er sich auf den Thron.

Der Zweite.

Dazu bedarf es einer Heirath nur.
Die Kaiserin Irene ist ein Teufel,
Wir aber sah'n, er kann die Teufel zähmen;
Wenn sie nicht wollen, nun, so züchtigt er
Mit Schwert und Feuer! – Welch' Gedränge dort!
Sie strömen Alle in Sanct Peter's Kirche.
Komm', Nachbar, komm' und sieh' des Papstes Truppen,
Wie sie marschiren aus dem Vatican.
Papst Leo kommt! Laß einen Platz uns suchen!


Die Schwalben.

Hier ist unser Nest, das kleine;
Hier ist's luftig, gut zu sein,
Und wir hören, was die Leute
Drunten sagen, groß und klein.
Wir versteh'n es, können reden,
Sprechen Worte inhaltsschwer:
Nicht die Leut' in Papstes Sälen
Zogen so wie wir umher.

Die Eine.

Ich am weit'sten war, das glaub' ich,
Bin gewesen in Byzanz,
Sah die Kaiserin Irene,
Sah die Pracht und sah den Glanz.
Auf dem offnen Platz mit Bäumen,
Wo die Heil'genstatuen steh'n,
Hab' ich aus dem Nest der Mutter
Auf die Knieenden geseh'n.
Ihre kranken Kinder legten
Sie den Statuen in den Arm.
Später sah ich Bilder stürmen –
Welcher Jammer, welcher Harm!
Unser Nest hab' ich verloren,
Und das Blut in Strömen rann.
Zeiten wechselten und gingen,
Neue Statuen kamen dann;
Jubelnd rief das Volk: Irene!
Ich flog nach dem Schloß voll Muth,
Guckte durch die Fensterscheiben,
Ich erinn're mich noch gut.
Sie saß in dem Kaisersaale
Wie des Sieges reiche Braut;
Ihr zur Seite stand der Henker –
O, ich selber hab's geschaut,
Wie er ausstach beide Augen
Dann Irenen's eig'nem Sohne!
Sie erhob ihr Haupt, das stolze,
Setzt' sich selber auf die Krone.
Und des Sohnes Schrei durchbohrte
Mich, von Schloß und Stadt ich zog;
Ueber Meere, über Berge
Angsterfüllt hierher ich flog.
Doch der Schrei mich noch verfolget –
Sieh', den Henker seh' ich klar,
Ihre blanke Krone brennet,
Wie mir scheint, in ihrem Haar.

Eine Zweite.

Ich auch flog nach einem Fenster,
Herrliches hab' ich geseh'n:
Es wird einst in alten Schriften
Reich mit Gold und Schnörkeln stehn.
Ich erwuchs in Deutschlands Wäldern,
Bei dem letzten Flammengruß
Stolzer Heiden, wo die Eiche
Fällte Bonifacius.
Ich flog weit, ich flog nach Frankreich,
Nach des Königs reichem Schloß;
Da geschah's an einem Abend,
Als die Luft sich mild ergoß,
Daß des Königs Fenster offen
Stand; ich flog so dreist dahin;
Doch das Lampenlicht mich schreckte,
Mehre Stimmen hört' ich d'rin.
Ich verbarg mich am Karnieße,
Auf den König Karl ich sah;
Auf den Tisch beugt' er sich nieder:
Pergamente lagen da.
Und er trocknete die Stirne
Mit dem Tuch, das prächtig schien. –
Die er um sich hatte, hießen
Engelbert und Alcuin.
Manch' ein kräftig Wort sie führten,
Doch der König sprach zumeist
Kraftvoll von den Heldensängen,
Von dem starken deutschen Geist,
Von dem Glück und Wohl des Volkes;
Und als ihn der Eifer trieb,
Da warf er sein Tuch, das reiche,
Ueber Jenen hin, der schrieb;
Und es traf mich: ich erschrocken
Flog – und ward des Schreckens Raub –
Ich flog an die Brust des Königs,
Bebte wie ein Espenlaub.
Er griff mich mit beiden Händen,
Ich in Aengsten flattert' wild;
Seine königlichen Lippen
Drückte er auf mich so mild;
Setzte mich dann aus dem Fenster:
»Flattre frei in Lust und Fried'!«
So ward just ich sein Gefang'ner,
Immer folg' ich, und mein Lied
Hört er zwischen bessern Sängen,
Hört mein lautes Quirrevit.

Eine Dritte.

Liebst Du so den Frankenkönig,
Eile dann, zum Nest zu geh'n:
Dinge, die weit ruchbar werden,
Wohl in dieser Stund' gescheh'n.
Einen Vogel hört' ich dieses
Singen in der Morgenzeit:
Leo hat zur Nacht versammelt
Seine höchste Geistlichkeit;
Man hielt Rath und nannte Karl oft;
Sicher Großes wird gescheh'n;
Laß uns nach der Scheibe fliegen,
Laß uns in die Kirche seh'n.

(Sie fliegen an das Kirchenfenster.)

Sieh', das Volk in Demuth knieet,
Reich' und Arme, Groß und Klein;
Herrlich, gleich den Sternen, strahlen
Lampen um Sanct Peters Schrein.
Nah' dem Grabe knie't der König,
Fromm er auf die Brust sich schlägt;
In dem Chore steh'n die Priester,
D'raus der Papst sich herbewegt.
Mit der gold'nen Kaiserkrone
Nähert, feierlich und hold,
Er dem König sich und setzt ihm
Auf das Haupt das blanke Gold;
Faltet seine frommen Hände,
Und begeistert schallt es weit:
»Herrsche lange, röm'scher Kaiser,
Karl Augustus gottgeweiht.«


Derselbe Abend.


Des Juden Isaak Haus.

(Ahasverus sitzt vor einem erloschenen Feuer. Isaak tritt ein.)


Isaak.

Wie! Seid Ihr heimgeblieben, weiser Rabbi?
Im ganzen Rom herrscht Festlichkeit und Freude:
Ein röm'scher Kaiser ward Europa wieder.

Ahasverus.

Ich weiß es!

Isaak.

      Morgen müssen wir uns trennen:
Ich reise fort. Bleibt und benutzt mein Haus.
Was, oder habt Ihr Lust zu folgen mir?

Ahasverus.

Ihr reiset?

Isaak.

      Ja, in diesem Augenblick.
Ich komme von dem edlen Kaiser Karl;
Er ließ mich rufen: früher schon vollführte
Ich sein Gebot; nun sendet er mich wieder.
Nach Bagdad zu der Türken Salomon,
Harun al Raschid, geh' ich als Gesandter;
Ihm will der Kaiser Karl die Nachricht geben,
Daß er zum röm'schen Kaiser ward gekrönt.
Es wird ein Trupp Soldaten mich begleiten
Zur Küste, nach der Stadt Brundusium,
Wo ich mit reichen Gaben geh' zu Schiffe.

Ahasverus.

Schon lange, Israel, sind Deine Söhne
Der Christen Diener!

Isaak.

      Ihr seht böse aus!
Wer wollt' nicht gerne dienen Kaiser Karl?
Beneiden werden Tausende mein Loos.
Wenn Ihr kein bessres Ziel habt, folget mir;
Ihr habt Erfahrung, redet alle Sprachen:
Ihr könnt die Reise herrlich mir verkürzen.
Wenn Ihr erzählet, hat es fast den Anschein,
Daß Ihr in allen Zeiten habt gelebt.
Geht mit mir, weiser Rabbi, denn zu reisen,
Sich umzuseh'n, macht reich und lang das Leben:
Das Leben ist und bleibt das Beste doch.

Ahasverus.

Das Beste!

Isaak.

      Ja, ich glaub' es nun einmal;
Laßt deßhalb uns nicht streiten, folget mir:
Nicht sollt Verlust Ihr haben, nein, Gewinn;
Kostbare Decken, Räucherwerk und Perlen,
Die bringen wir vom Oriente heim.
Ich reise sicher, reise als Gesandter,
Ihr führet Euren Theil dann auch zurück.
Doch weßhalb heftet Ihr das Aug' auf mich?
Weßhalb verhüllet Ihr so Euer Haupt?
Und Ihr zerreißet Euern Gürtel! Rabbi,
Was ist, und welch Gedanke von Gehenna
Geht auf in Eurer Seele? Ihr haßt ja
Die Christen wahrlich mehr noch, als Ihr hasset
Die wilden Heiden!

Ahasverus.

      Ja, ich hasse sie!
Habt Ihr gehört: die Wölfin, sie zerreißt
Das eigne Junge stets, wenn sie erfährt,
Daß es nur halb ihr Fleisch ist und ihr Blut,
Und halb vom Hunde! Wilder hasset sie
Ein solch gemischtes Blut. Und solcher Abkunft
Sind diese Christen! Ja, ich hasse sie!
Ich haßte sie von ihrem ersten Ursprung,
Selbst eh' mir der Gedanke klar, weßhalb!
Mich trieb Instinkt, und ich verfolgte sie.
Die Fackel schwang ich selbst in ihrem Tempel!
Da sah' ich ein Gesicht, mir nicht verständlich.
Ich glaubt' zu seh'n wie Moses eine Flamme,
Und aus der Flamme sprach zu mir die Stimme;
Es war beim Grabe Christi in der Kirche.
Und wer sind diese Christen? Kann Jehova
Beschützen sie? – Ich ging nach ihren Städten,
Erspähte ihre Handlungen, ihr Glauben;
Und ich zog fort: ich kam, ich sah und las
An allen Orten und in allen Herzen.
Je mehr ich las, um desto klarer ward mir
Der Inhalt und auch die Tendenz des Buches;
Und heute las ich hier das letzte Blatt:
Das ganze Buch, ich kenn' es nun, es handelt
Von Israel, jedoch vom falschen handelt's,
Vom stolzen Schatten unsrer Herrlichkeit!
Das letzte Blatt im Buche zeiget es:
Es salbt der Papst den Frankenkönig Karl,
Und er ist groß und froh, wie Saul es war,
Als mit der Krone Samuel ihn schmückte. –
Du liegst zersplittert, Israels schöner Baum,
Jedoch das Christenthum, der wilde Schuß,
Der aus der Wurzel tief entsprang, wächst herrlich,
's ist unser Glaube, der verfälscht nun blüht!
Und unsre Königsmacht und Hierarchie
Sind neu erstanden, wiederum geboren;
's ist Israel, doch ein verfälschtes nur.
All' ihre Weisheit ist aus unsern Büchern;
Nach tausend Jahren sind sie, wo wir waren.
Das ist das neue, bess're Weltenstreben!
Der Wölfin Junges, doch nur halb ihr Blut –
Zerrissen sollt' es werden von der Mutter! –
Ist aufgewachsen. Sie liegt todt, verhöhnt:
Das Junge, stark und groß, ist Herr des Waldes!
Dien' ihm, beug' Dich vor ihm, knie' in den Staub!
Mein Weg ist Deiner nicht, wir seh'n uns nimmer!

(Eilt hinaus.)

Chor der Engel.

Auf Deiner Bahn begleiten wir, o Ahas, Dich,
Und Deine Schwingen wachsen Dir unwissentlich.



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