Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Theil.

Erste Abtheilung.

Vordergrund.

Lucifer, des Hochmuths Engel,
      Stand auf gegen Gott, und fiel;
Bei dem Sturz die Schwingen glänzten
      Wie ein Sodoma in Flammen.
Aber Schatten war der Schein doch
      In der reinen Himmelsklarheit. –
Seiner Zähne Knirschen zuckte
      Schauerlich durch jeden Engel.


Ahas auch, des Zweifels Engel,
      Er, der Schwächste unter ihnen,
Der, was er nicht fassen konnte,
      Stets verneinte, stets bestritt,
Stürzte zu dem Stern hernieder,
      Welchen man die Erde nennt.
So wie Lenzschnee in der Sonne,
      Schmolzen ihm im Fall die Schwingen.
Als sein Fuß die Erd' berührte,
      Da war jegliche Erinn'rung
Seiner Vorzeit mit den Schwingen
      Ausgelöscht und ganz vergessen.
Nun ein Kindlein neugeboren,
      Lag er in der Mutter Schooß.


Doch des Himmels Hoffnungsengel
      Sprach von dem gefall'nen Bruder. –
Nicht hat Melodie'n die Erde
      Lieblich, wie sein Wort erklang. –
»Erdenkinder, sie erwachsen,
       Ahas wächst mit ihnen auf;
Er wird seh'n die frische Rose,
      Und beim Anblick, unerklärlich!
Treten Thränen in sein Aug',
      Senkt sich Wehmuth ihm in's Herz;
Seh'n das Meer, blau wie der Himmel,
      Und unendlich, so wie dieser.
Dann erweitert sich sein Denken;
      Ihn erfüllt ein seltsam Sehnen,
Eine Andacht – doch Erinn'rung
      Bleibt noch immer ihm versagt.
Da erblickt' er eine Mutter:
      Auf dem Schooß ein lieblich Kind.
Es schlägt auf das Aug' und lächelt
      Und erhebt die kleinen Hände.
In der Mutter Antlitz strahlet
      Freudenglanz. Der Blicke Ausdruck
Und das Lächeln um die Lippen
      Saget mehr, als Wort und Rede.
Und in des gefall'nen Engels
      Brust davon ein Strahl sich drängt.
Da wird ihm Erinn'rung wieder
      An den Himmel und an Gott.
Denn der glücklich-frohen Mutter
      Lächeln ob der kleinen Unschuld
Ist ein hehrer Abglanz Gottes,
      Ist ein Blick vom Himmelreich.«


»Frisch in Farben läßt nun Ahas
      Rosen blühen durch Jahrhundert';
Laut im Sange läßt er tönen
      Herzens Sehnsucht und Erinn'rung,
Hauet aus in Marmorsteinen
      Bilder mit dem Seelenblick
Und der Unschuld, die er sah im
      Aug' der Mutter und des Kindes.
Ganze Völker laut ihn preisen,
      Kränze werden ihm geflochten.
Mann ist er im Geist geworden;
      Im Gedanken nun erfaßt er
Klar die Kraft, die Gott ihm gab,
      Und voll Dank in seiner Freude
Beuget er sich demuthvoll.
      Heiße Reuezähren fließen,
Und durch diesen Strom – ich seh' es! –
      Wachsen wieder seine Schwingen.
Und je tiefer sein Gemüth sich
      Beuget, desto höher steigt er
Aus der Erde tiefen Thälern.
      Selber denkt er nicht daran,
Und bemerkt auch nicht den Schatten,
      Der beim Flügelschlage fällt
Auf die Wolken. Und dann steht er
      In dem Himmel, bei dem Gott,
In dem sein Gedanke ruhte,
      In dem er sein Ich vergessen.
Unter uns nun weilt er wieder,
      Jubelnd laut: Halleluja!«


»»Ja!«« es tönet durch den Himmel,
      »» Ahas kommt nun wieder zu uns!
Aber seine Wege geh'n nicht
      Wie sie Dein Gedanke führt.
Ahas sank herab zur Erde,
      Zum Geschlechte, dem er gleich ist
Im Verwerfen und im Zweifeln;
      Zu der Schwäche Kindern mit der
Gottheit Funken doch im Innern.
      Im Geschlecht ein Glied, ein ew'ges,
Mit demselben wächst er fort;
      In Jahrtausenden erhebt es
Sich zu uns in Kraft und Wahrheit.
      Die Entwicklung des Geschlechtes
Sind die Schwingen, die ihn heben
      Wiederum zum Himmel auf.««


In der armen Stadt auf Erden,
      Bethlehem, ward Christ geboren;
Und zur selben Zeit und Stunde
      Auch des Zweifelns und Verneinen's
Engel, Ahas, welcher hülflos
      Lag in Thränen und in Armuth.


Und das Kind erwuchs zum Manne:
       Ahasverus, früher Ahas.


Eingang.

Abenddämm'rung weilet über
      Königsgräbern in dem Thale,
Und ein Hirte treibet einsam
      Schwarze Schaafe vor sich her
Ueber den von Sonnenstrahlen
      Ausgedörrten Kedron-Bach.
Durch das Thor, das hohe, reitet
      Eine röm'sche Legion.
Weiße, bilderlose Fahnen
      Wehen in der rothen Sonne;
Sie beglänzt die fernen Höhen
      Und des Oelbergs dunkeln Gipfel.
In Jerusalem die Reiter
      Ziehen durch die engen Straßen.
»Nicht versperrt den Weg, Ihr Knaben!
      Auf, erhebt Euch! Schaut die Pracht dort!
Doch was ist's, wonach Ihr lauscht?
      Kann denn der armsel'ge Schuster
Zauber üben? Seid gefesselt
      Alle Ihr an seine Schwelle?«
»»Er weiß allerlei Geschichten;
      Er weiß von des Volkes Richtern,
Von den heiligen Propheten,
      Von Verheißungen Jehova's.
Nun erzählet er von Simson,
      Von dem Kampf mit den Philistern.««


Seine Gluth durchzuckt den Haufen,
      Selbst die kleinste Hand sich ballt:
Sie auch will ein Simson sein
      Und des Löwen Schlund zerreißen,
Mit dem Eselskinnbein schlagen.
      Augen funkeln, Lippen zittern,
Und das Haupt sie vorwärts beugen,
      Um genau zu hören Alles:
Simson der Philister Beute! –
      Nicht bemerkt der Haufe sie,
Die sich nähert, die da lauschet,
      Jung und schön – Veronika.


Ahasverus

(erzählt).

– – »Und Simson ward gefangen. Und sie schnitten
Sein Haar ab, stachen ihm die Augen aus;
Gefesselt mußt' er geh'n im Eselsjoche
Und auf der Mühle Korn für sie zermahlen.
Jedoch das Haar wuchs, seine Kräfte kamen.
In frechen Tänzen sprangen die Philister
Um Dagon's Bild; es ward gezecht, getrunken,
Und alle spotteten des blinden Kämpen. –
Zur Schau d'rauf brachten sie ihn in ein Haus,
Wo Cimbeln klangen, tausend Feinde tanzten.
Da packte er die Säulen, welche hielten
Das schwere Dach; der Arme Muskeln schwollen;
Er hob empor die ausgebrannten Augen,
Und Dach und Haus erdröhnten, stürzten nieder,
Zermalmend seine Feinde und ihn mit!
Denn stark ist Israel, selbst in seinem Tod;
Stark, sich zu rächen!« – Nun hab' ich erzählt;
Steht auf! Nicht mehr Geschichten höret Ihr
Vor morgen. Spielet nun, und plagt mich nicht!

Veronika.

Wenn Du erzählst, so seh' ich lebhaft Alles;
Doch weßhalb immer nur von Jephta, Simson
Und Gideon?

Ahasverus.

      Sie hören es am liebsten,
Und ich erzähl' von diesen auch am liebsten.
Mich freut zu sehen, wie die kleinen Seelen
Mein Wort erquickt, als wäre es die Quelle,
Die in der Wüste sprang durch Mosis Stab.
Als Knabe hab' ich ebenso gelauscht,
Hab' alte Chroniken mit Lust geschlürft:
Sie geben Muth, um kräftig auszuhalten.

Veronika.

Die Kinder schaaren sich so gern um Dich;
Erwachsene hören zu; selbst Pharisäer
Und Sadducäer sah ich häufig stille
Bei Deiner Werkstatt steh'n und mit Dir reden.
Für Jeden kannst Du Deine Worte fügen.

Ahasverus.

Zu Zeiten glaub' ich selbst, bestimmt zu sein,
Zu etwas Besserem, als Schuh' zu flicken.
Wenn der Levitensang mein Ohr erreicht,
Dann hab' ich Lust, zu sitzen zwischen ihnen,
Zu mischen meine Stimme mit den ihren;
Und höre ich der Schriftgelehrten Rede,
Quält's mich, daß ihre Weisheit ich nicht habe,
Und Böses kommt mir in den Sinn wie Saul.
Doch weißt Du, was mein Saitenspiel dann ist?
Es ist, auf diese Fremden hinzuschau'n
Und ihre Pracht; – und in mir flüstert's laut:
»Was sind sie gegen Dich, du Israel's Sohn!
Der rost'ge Nagel an des Herren Tempel
Ist mehr, als Gold an einem Götzenbild!« –

Veronika.

Zu Davids Zeiten stand das Reich in Blüthe,
Und Salomo sah Frucht die Blüthe werden.
Es fiel die Frucht und barst, zerstreuet sind
Die Kern' in Nord und Süd; nicht wächst der Baum
Mit David's Königskron' und Harfe mehr.

Ahasverus.

Hat seufzen müssen nicht einmal das Volk
Bei den Aegyptern hart in Sclaverei?
Sah's seine Söhne in den Nil nicht werfen?
Doch ihm entstieg des Volks Erretter: Moses!
Und als die Bundeslade dann geworden
Die Beute wilder, höhnender Philister,
Ward Samuel geboren! – Soll erzählen
Ich Chroniken, die Muth dem Herzen geben?

Veronika.

Entflammen kannst Du mich, bei mir erwecken
Ein stolzes Selbstgefühl, wenn ich bedenke,
Ich bin ein Weib aus Israel! – Aber bald
Sink' ich ermattet in mich selbst zurück.
Der Schriftgelehrten Wort ergreif' ich gierig,
Doch dieses drückt gleich einem Stein mich auch.
Der Pharisäer Weisheit mich verwirrt;
Sie kommt mir vor wie ein Verstandesspiel,
Und nicht werd' ich an Seel' und Herz gestärkt
Wie bei dem Nazarener, dem Propheten.
In seinen Worten habe ich vernommen
Des eignen Herzens heimlichste Gedanken!
Es war so klar und doch so tröstend Alles;
Mit mir und mit der Welt ich fühlte Frieden;
Der Heide selbst erschien mir als mein Bruder.

Ahasverus.

Vor falschen Lehrern und Propheten hüt' Dich!


Außerhalb Jerusalems.


Judas Ischarioth. Barrabas.


Judas.

Du hier? Du, Barrabas, verfolgt, geächtet?
Wo warst Du? Deine Spur, sie war verloren.

Barrabas.

Ich komme aus des Niles Land: Aegypten.
Am meisten lebt' ich mit der Schifferkaste,
Die beste Zeit in jenem Land ist ihre.
Wenn sich zu einem See der Nil erhebt,
Und alle Städte rundum Inseln werden:
Da segelt festlich Zug auf Zug das Volk
In vielen Tausenden von Stadt zu Stadt
Mit Sang, Musik und Tanz. – Ha, lustig geht es!
Du kannst mir glauben, daß die todten Herrscher,
Die mumiensteif in Pyramiden sitzen,
Recht gerne folgten, und wenn sie auch müßten
Platz an des Schweinehirten Seite nehmen.

Judas.

Den Augenblick, das Leben Du genossest!

Barrabas.

Nicht immer schlief ich dort auf seidnen Polstern,
Nicht alle Tage tanzt' ich muntre Tänze!
Das aber kitzelt einen Sinn wie meinen.
Aus mancher Nacht, wo nah' dem Krokodile
Ich schlief, kenn' ich des Mondes kalte Strahlen.
Ich fühlte auch die heiße, schwere Luft
In Theben's Katakomben; jede Wand dort –
Nur Mumien, aufeinander hingeschichtet.
Es stürzten viele um: man tritt auf sie.
Da herrscht ein Dunst, ein Staub und eine Hitze!
Doch der Geächtete ist sicher dort.

Judas.

Reich war Dein Leben, auf dem Antlitz sieht man's.

Barrabas.

Ja, dieses Antlitz ist ein Talisman!
Du weißt es selbst, denn Du warst jung mit mir,
Ein Leben führtest Du, wie sich's gehört.
Ja, häufig brachte mir dies Antlitz Glück.
Man hat ein Fest zur Herbstzeit in Aegypten,
Das Cherubs-Fest genannt: da führt man einen
Recht fetten, prächt'gen Ochsen vor, geschmückt
Mit Hieroglyphen und mit gold'gen Hörnern;
Und junge, schöne nackte Mädchen tanzen
Mit Blumen um ihn, und ein kleines Kind,
Das schönste, welches in der ganzen Stadt ist,
Sitzt als Symbol der Unschuld auf dem Ochsen.
Ich war das Kind als Kleiner, und man sagt,
Daß ich gewisse Züge noch besitze
Von süßer Unschuld; und das macht mein Glück.

Judas.

Doch was ist nun Dein Plan in diesem Land'?
In Dir ist eine Kraft, ein eig'ner Muth,
Was, klug geleitet, Großes schaffen kann.

Barrabas.

Judas Ischarioth hat gleiche Kraft,
Doch zur Besonnenheit der Muth erstarrte.
Du bist so wohl berechnend, was gewann'st Du?
– Ein kleines Amt, in dem Du täglich nun
Der Armuth Alltags-Jammer hören kannst,
Und Einblick in das Land des Elends hast.
Wer wählte gut, Du oder ich, mein Bruder?
Vor funfzehn Jahren hätte ich erwartet,
Du würdest mehr! Ein Träumer bist Du ja,
Und deshalb schließest Du Dich an den neuen
Propheten an!

Judas.

      Den Du durchaus nicht kennst!
's ist eine große, herrliche Natur,
Ein Funken, aus dem harten Stein entsprungen.

Barrabas.

Ich weiß, er hat gemein so manche Zeichen
Mit ihm, den aus den allerält'sten Zeiten
Bezeichneten Propheten als Messias.
Es ist Naturspiel, wie bei uns der Apis,
Ein Glückswurf, auf die Weise zu erscheinen.
Und Du, Du folgest ihm, wie in Aegypten
Dem Apis kluge Priester handelnd folgen.
Wohl! ist es so, dann reich' auch ich die Hand,
Und die Zusammenkunft kann Früchte tragen.

Judas.

Wir können unter einem Dach nicht weilen.

Barrabas.

Der Wüste Wege laufen ineinander.
Leb' wohl. Du Priester für der Juden Apis;
Geh' Du zu Deinen mächtigen Mysterien,
Ich suche meine; – diese sind heut' Nacht
Ein lieblich Mägdlein, eine ächte Perle.
Ich werfe sie in meinen goldnen Becher –
Gleich der Kleopatra – und werd' ihn leeren!

(Er geht.)

Judas.

Ein Senfkorn warf er mir in meine Seele:
Soll's wachsen, oder soll es gleich verweh'n?
Die Zeiten sind erfüllt: Messias kommt,
Und jegliche Weissagung über ihn,
Man kann sie sinnvoll auf den Nazarener,
Auf meinen hehren, großen Lehrer deuten.
Was war es, das zuerst mich an ihn band?
Es war mein Haß für diese Pharisäer,
Die mich durch falsche Größe tief gereizt.
Sie steh'n wie Goliath mit Wortes Lanzen
Bewehrt, mit allen schlauen Fechterkünsten;
Er ging wie David gegen sie, gewaffnet
Allein mit Einem, nur mit seiner Unschuld!
Der Wunderbare! Klug so wie die Schlange,
Fromm wie die Taube; ja! ich halt' an ihn.
Er ist, wie Barrabas gesagt, ein Apis,
Mit allen Glückes Zeichen. Es gilt nur,
Daß auch das Volk die Zeichen sieht und kennt.
Es soll, es muß! Ja, die Zusammenkunft
Gab Blüthe dem Gedanken, Barrabas!
Wer weiß, sie kann vielleicht zur Frucht einst reifen.


Jerusalem.

(Nacht.)

Die Chronik erzählt:

In der ärmlichen Stube, wo der Wasserkrug am Lager steht, sitzt Veronika, die junge, elternlose Lieblichkeit; die alte Großmutter mit der runzlichen, gelben Haut, dem silberweißen Haar und den großen, kohlschwarzen Augen löst mit ihren magern Fingern die herrlichen Locken des jungen Mädchens; und wie ein Fluß, der die Finsterniß birgt, fallen sie auf die feinen und doch so festen, runden Schultern herab. Saron's Rose ist nicht so schön, die junge Hindin auf den Bergen Beter's ist nicht behender! Der Seelenblick ihrer Augen ist Segnung; die Frische ihrer Lippen ist lieblicher, als aller Duft, der den köstlichsten Salben entströmt. Nun lehnt sie ihr Haupt an die Schulter der alten Großmutter und flüstert: Gute Nacht! – Aber durch die offenen Laden des Daches starren zwei böse Augen; sie starren wie die Augen der Schlange vom Baume, wenn sie feucht und geschmeidig an den Zweigen hängt und auf das sorglose Zicklein springen will, welches im Grase spielt. Ein Fremder fand den Weg über die flachen Dächer der Häuser. – Barrabas mit einem Messer und mit unerschütterlichem Willen bewaffnet, sättigt sein böses Auge an der frischen Schönheit. Wilde Lüste gähren in seinem Blut; seine Gedanken hat Salomo ausgesprochen: »Läge mein linker Arm unter Deinem Haupte, und mein rechter um Deine Hüften.« – Es ist stille in der ärmlichen Hütte; die Lampe erlischt. – Weh! Weh! Hör' das Angstgeschrei! Hör' das Todesgeschrei!

Barrabas! weßhalb ermordetest Du die alte Frau?

Nächster Morgen.

(Im Hause bei Ahasverus.)

Veronika.

Weh' mir! in unserm Haus' war der Vernichtung Geist,
Mich faßte sein starker, umschlingender Arm,
Ich fühlt' seinen brennenden Athem!
Jehova! ich rief und er gab mir Kraft,
Ich flog hin, als ob Stürme mich trügen!
Das hängende Weinlaub zur Stiege mir ward,
Und die Mauern führten mich weiter!
Ich weiß es nicht recht, doch ich hört' einen Schrei,
Meiner Großmutter Schrei im Ringen mit ihm.
Sie vergoß ihr Blut, ward ermordet heut' Nacht;
Ihre Augen, die milden, seh'n nicht mehr auf mich,
Ihre Hand fällt kalt mir vom Herzen!

Ahasverus.

Die Mutter getödtet! Wie greifst Du hinein
In die tiefste Wunde, Du selbst weißt es nicht; –
O, ich leide wie Du, und kein Wort gibt mir Trost!
Verdammniß über Herodes!

Veronika.

Sie war mir statt Eltern, war Alles mir!
In ihr meine Welt ich erblickte.
Für mich ist Alles nun stille und todt,
Da ihr liebendes Herz ist erstarret!

Ahasverus.

Ich kenne es, weiß es, Veronika;
Auch ich, ich verlor eine Mutter!
Ich hört' ihren Schrei, und ich schaute ihr Blut.
In Bethlehem – ja, Du hörtest es oft –
Hat Herodes getödtet die Kindlein.
Meine Schwester war zart, sie säugend lag
An der Mutter Brust, als wir flohen.
Des Todes Angst trieb, und ich lief und ich flog,
Doch mein Fuß ward müde, die Mutter mich trug.
Hinter bröcklicher Mauer, zwischen Cactus-Gesträuch
Versteckten wir uns; einer Leiche glich
Sie marmorweiß, und ihr kohlschwarzes Haar
Barg das Kindlein an ihrem Busen.
Soldaten kamen; sie griff mit der Hand
Nach dem scharfen Schwert, warf sich nieder alsdann,
Bedeckte ihr Kind; aber mich riß man fort,
Aus Mitleid geschah es – Jehova!
Ich sah sie erschlagen die Mutter dann!
Das säugende Schwesterlein hoben sie hoch,
Zerschmetterten es an der Mauer.
Ich sehe es noch und nie wird die Zeit
Den Gedanken verlöschen – die Rache!


Außerhalb Jerusalems.


Chor.

In die Wüste wollen wir gehen und den neuen Propheten hören. Seine Hand berührt den kranken Körper, und er wird gesund; sein Geist berührt die kranke Seele, und sie geneset!


Im Hause bei Ahasverus.


(Judas Ischarioth ist bei ihm.)


Ahasverus.

– – Nun gut, so zeig' mir der Propheten Zeichen
Bei ihm, der jetzt aus Nazareth gekommen.

Judas.

Sein Stern erglänzte über David's Stadt,
Und Hirten auch verkündeten Herodes
Vom Kinde, das in Bethlehem geboren.
Und der Tyrann, in Angst und Furcht, befahl
Zu tödten alle Kleinen –

Ahasverus.

      Ja, ich weiß es!
Getödtet jenes Nazarener's wegen?
Um seinetwillen trugen Mütter Jammer?
Dein erstes Zeichen ist in Blut getaucht.
Weh, zehnfach Weh! Was gibt er uns dafür?
Mit Teppichen von salomon'schem Reichthum
Muß er bedecken jenen eklen Blutgrund,
Mit David's Harfenspiel den Angstruf dämpfen.
Ich kniee vor ihm, oder ich zertrete – –
Doch sprich! Gieb mehr der Zeichen der Propheten
Bei ihm, der ward in Bethlehem geboren!

Judas.

Den Finger tauch' ich in der Wahrheit Quelle
Und netze deine Lippen, Ahasverus!


Jerusalem.

(Mehrere Tage später.)

Chor.

Hosianna, Davids Sohn!
Sei gesegnet, welcher naht in
Deinem Namen, o Jehova!

Veronika.

(Kommt aus der Wüste.)

Ich hörte ihn, die Sorge ist verweht;
Das Herz, es weinte, voll vom Freudenscheine;
Ich hörte den Prophet aus Nazareth;
»Hosianna, Davids Sohn,« sang selbst der Kleine.
Brecht Palmenzweige, Schmuck werd' hingelegt!
Durch ihn sind heilig selbst der Wüste Leeren;
Gedanken hat er in mein Herz gelegt,
Die neues Leben wiederum gebären;
Und spräche ich sie aus an Kedron's Bach,
Und wo die todten Herrscher Israel's ruhen,
Die nackte Hecke ständ' in Blüthen jach,
Die Todten stiegen lebend aus den Truhen!

Chor.

Hosianna, David's Sohn!

Ahasverus.

(Unter der jubelnden Menge.)

Das Blut vergossen ist, wie's ward gesagt;
Es naht der Glanz, wie die Propheten lehren,
Und David's Reich ersteht in seiner Pracht:
Jerusalem, erheb' Dein Haupt in Ehren.
Des Heiden Reich' zerschmelze wie der Schnee,
Die Stärke seiner Arme soll verfliegen,
Daß alten Glanz das Volk Jehova's seh',
Und daß es alle Länder wird besiegen!

Chor.

Hosianna, David's Sohn!


Nacht.

Böse Geister.

Erkenntniß-Frucht ward gebrochen, mit ihr unser Band.
Der erste Labtrunk, Cain, floß uns von Deiner Hand!
Nun unsre Stimme wir mischten laut mit den Stürmen:
»Jetzt ist unser das Land mit den Wogen, die sich thürmen,
Und der, so in seinem Bild und Geist erstand!«

Judas.

– Das Volk, es streute Palmen vor ihm her,
Er zog ein in Jerusalem. Weßwegen?
Wohl um zu stürzen in des Tempels Vorhof
Der Krämer Stühle und zu heilen Kranke;
Zu reizen Priester, und darauf dann stille
Zu gehen nach Bethanien auf die Wand'rung?
– Ein Zaudrer ist er! Und nicht fliegt der Pfeil
Vom Bogen gegen's Ziel rasch, wie er soll;
Ich selber muß wohl Bogenschütze werden.

Ahasverus.

Er ist nicht länger der Prophet der Städte,
Er ist Jerusalem's; er trat auf gegen
Den Sanhedrin, und gegen Pharisäer
Und Sadducäer. Gut, daß es so ist!
Nothwendigkeit ist unser guter Genius,
Nicht zaudern darf man, 's muß gehandelt werden!
Ist er Messias, werden tausend Engel
Sich nah'n auf sein Gebot – und ist er's nicht,
Dann mag er stürzen! – Ich hab' keine Furcht.
Der Hülfe Aron's Moses ja bedurfte,
Messias Judas' Hülfe! Unsre Namen,
Wie Zwillingssterne stehen sie verbunden,
Wenn einst geboren wieder David's Reich.

Die bösen Geister.

Wie reinstes Glas fürwahr,
Wie Hauch paradiesischer Nächte,
Ist Dein Sinn so klar,
Dein Wille der einzig rechte!

Judas.

Ich geh' zu Caiphas und handeln will ich!


Der Engel der Trauer.

In dem feuchten, finstern Kerker
      Schlummert Barrabas; er ruhet
Mit dem Haupt auf kaltem Stein.
      Traumlos ist sein Schlaf und stärkend.
Tropfen, von der Mauer fallend,
      Zählen langsam die Minuten.
Stille ist es wie im Grabe
      Drinnen, und in der Natur
Stille draußen; Luft und Sterne
      Leuchten in der stummen Nacht.
Von der fernen Karawane
      Höret man so leis' die Glocken,
Wie den Ton, wenn Saiten zittern.
      Sicher schläft die Turteltaube
Auf des Baumes Zweigen hoch
      Mit dem Kopfe unter'm Flügel,
Der erglänzt wie Perlemutter
      In dem klaren Sternenlicht.
Nicht ist in des Kindes Seele
      Ruhe heiliger als hier.
Und in dieser Friedensstunde
      Wird verrathen Jesus Christ!


Nächster Morgen.

Judas und Ahasverus.


Judas.

      Ja, ich verrieth ihn!
Geld sie mir gaben:
Brich es in Stücke,
Und Du siehst Blut!
Ich übergab ihn
An seine Feinde,
Aber, Du weißt es:
Mein Zweck war gut.

      Nur seine Macht soll,
Dacht' ich, erscheinen,
Daß er im Glanze
Prächtig ersteht.
Mensch aber war er
Und nicht Messias:
D'rum wird gemordet
Unser Prophet!

      Reinere Herzen
Giebt's nicht auf Erden!
Könnte ich meines
Reißen entzwei!
Der mit dem Volke
Palmen Du streutest,
Du mit dem Volke
Mach' ihn nun frei.

Ahasverus.

      Falsch der Prophet war,
Falsch auch die Zeichen:
Bethlehems Kinder
Starben jedoch!
Mutter und Schwester! –
Vor Eurem Mörder
Streute ich Palmen,
Beugt' ich mich noch!

Wie war ich thöricht,
Wie konnt' ich denken,
Zimmermann's Knabe
Sei ein Prophet!
Glauben, von Nazareth
Käm' ein Messias!
Aermlich, wie ich, ja
Vor mir er steht.

Zitternd vor Kälte,
Dürstend und hungernd,
Schlafesbedürftig
Ist er, voll Noth;
Er unser König!
Blut an der Geißel
Werde sein Purpur,
Und ihm der Tod!

»Kreuzigt ihn!« ruf ich
Laut mit dem Volke;
Er ist ein Schilf nur
Auf wilder Fluth!

Judas.

Sein Blut wird kommen
Ueber das Haupt mir.
Weh', ich verrieth ja
Unschuldig Blut.

Ahasverus.

Ihr riß't zur Seite
Der Priester Mantel,
Zeigtet der Wunden
Jede allhier;
Rieft: »Seht, getünchte
Gräber sind diese!«
Aber was – sagt es –
Botet denn Ihr?

Reizen die Leute,
Stürzen Gesetze:
Das nur Ihr wolltet
Im trotz'gen Muth!

Judas.

Weh' mir! Ich sündigt',
Handelte böse,
Weil ich verrathen
Unschuldig Blut!


Der Engel des Mitleid's.

Tausende haben gefühlt den brennenden Durst in der Wüste:
Langsam weiter es geht, tief ist und glühend der Sand;
Gleich einer Flamme schlägt dem Wandrer ins Antlitz der Luftzug,
Und in den Mantel dann hüllt er es zum Schutze sich ein;
Hemmt den Lauf des Kameel's; doch Labetrunk findet er nirgends,
Keine Gränze er sieht, außer nur Himmel und Sand.
Tausend Zungen verschmachteten dort, sie könnten erzählen,
Schildern die Stunden des Leids, schildern die endlose Quaal. –
Judas allein vermag es zu sagen, was Judas gelitten
In der Verzweiflung Nacht, in der Nacht voll Jubel des Abgrunds.

Chor der Geister.

Tief in Klippen, wo die Schwalbe
Nimmer schwebet leis',
Wo der Schakal nur, der falbe,
Felsenspalten weiß,
Blutig und zerschmettert strecket
Sich der Leib – der Nam' selbst schrecket:

»Judas Ischarioth!«

Von Urwäldern hoch im Norden,
Und aus unentdeckter Welten
Unbekannten, fernen Ländern,
Von Geschlechtern, ungeboren –
Tönet die Verdammung laut.

Der Engel des Mitleid's.

Aber Judas nur kann sagen, was gelitten Judas einst,
Wie er fühlte, rang und lebte in den Schrecken jener Nacht.


Jerusalem.


Charfreitag.


Und das Volk am frühen Morgen
      Woget in den engen Straßen.
Ein'ge steigen auf die Dächer,
      Andre auf den hohen Thurm
Dicht beim Thore, wo sie können
      Seh'n zum Berge Golgatha.
Und der Storch ruft: »Stärkt ihn! Stärkt ihn!«
      Von dem Nest hoch auf der Säule;
»Labt ihn!« singt die Schwalbe furchtsam.
      Jesus Christus ist verurtheilt.
»Sein Blut,« rief das Volk, »es komme
      Ueber uns und uns're Kinder!«
Mitten steht er in dem Kreise.
      Dieses Evangelium,
Steh'n wird es in allen Herzen
      Aller Völker aller Zeiten.


»– Und sie zogen ihn aus, und legten ihm einen Purpurmantel an.«

»Und flochten eine Dornenkrone, und setzten sie auf sein Haupt und legten ein Rohr in seine rechte Hand; und beugten die Knie vor ihm und verspotteten ihn und sprachen: Gegrüßet seist Du, der Juden König!«

»Und speieten ihn an, und nahmen das Rohr, und schlugen damit sein Haupt.«

»Und da sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus, und zogen ihm seine Kleider an, und führten ihn hin, daß sie ihn kreuzigten.«


Chor von Weibern.

Weinet, Jerusalem's Töchter! Mischet die Zähren!

Veronika.

Mit wallendem Haar und zerrissenen Kleidern
Folget Jerusalem's Tochter und weinet.
Sie wird Dir trocknen die blutige Stirn.

Ahasverus.

Für ihn einst Bethlehem blutet':
Vor dem Blick die Verzweiflung mir steht!
Er war's, dem wir Palmen streuten,
Den wir durch Jubel erfreuten:
– Und er ist ein falscher Prophet!
Wann werden geheilet die Wunden,
So die Welt meinem Herzen schlug?
– Dort führen die Knecht' ihn gebunden,
Es nahet der Todeszug.
Und gegen der Häuser Wände
Das Volk sieht wogen mein Blick;
Zwei Räuber, geknebelt die Hände,
Den Henker mit Nägel und Strick.
Und unser Prophet, der hehre,
Den der Triumphzug umgab,
Trägt selber des Kreuzes Schwere,
Tief beugt es ihn herab.
Ha! er sinkt! Aber heilen
Kann dies die Seele mir nicht.
Fort! Hier darfst Du nicht weilen:
Deiner harrt dort das Gericht.
Du hast beflecket das Reine,
Säetest Verwirrung und Noth
Und Deines Jerusalems Steine
Rufen herab Deinen Tod.
Bei meiner Mutter Gewimmer!
Fort nach Golgatha dort!
Rasten laß' ich Dich nimmer!
Gleich ohne Weilen hier fort!

Stimme von oben.

Rasten laß' ich Dich nimmer!
Gleich ohne Weilen hier fort!

(Ahasverus sinkt zusammen.)

Unsichtbarer Chor.

Ahasverus, Ahasverus!
Als der Menschheit Bild erscheinest
Du, bestreitest und verneinest
Gott selbst in dem Göttlichen,
Dem doch Sieg nicht kann entgehen.
– Einer gleichet Ihr dem Andern.
Wandern sollst Du, immer wandern,
Bis wir einst uns wiedersehen.

Ahasverus.

(Entsetzt.)

O! Rasten laß' ich Dich nimmer, gleich ohne Weilen hier fort!
Vernahmst Du die Stimm' in den Lüften? Sie ging mir durch Seele und Mark!
Vernahmst Du die Worte des Zauber's? Er trat mich mit seinem Fuß,
Er trat mich, wie eine Schlange – ich habe nicht Ruhe noch Rast;
Weil von der Thür' ich ihn jagte, werd' selber ich fortgejagt!
Ja, wandern in allen Zeiten, umwandern die ganze Erd',
Bis einst er wieder erscheinet! Du hörtest des Richters Wort:
O! Rasten laß' ich Dich nimmer; gleich ohne Weilen hier fort!

Veronika.

Die Stimme, die Dich erschreckte, gebar Dein Trotz und Spott.
Du hast Dich verurtheilt, Ahasver: es lebet in uns ein Gott!

Ahasverus.

Es bebt die Erde! o, welch ein Dunkel!
Die Todten steigen aus ihren Gräbern,
Ich seh' sie wandern durch stille Straßen –
Ich flieg' zum Tempel, das Haupt ich lehne
An Israels Gott!

Veronika.

Wie Wolken schweben die luft'gen Schaaren,
Nomadenschaaren mit Patriarchen,
Und auch die Richter und Israel's Herrscher,
Als Banner flattert die Davidsharfe;
Im Kreis sie stehen, o welche Glorie
Den Berg umhüllet, wo er genagelt
Ward an das Kreuz!

Ahasverus.

Mit finstern Mienen die Hand sie ballten,
Die ihn verhöhnen, wie ich verhöhnte,
Die ihn verstießen, wie ich verstoß' ihn
Auf alle Zeit!


Fünfundzwanzig Jahre später.


Die Chronik erzählt.


In den Bergwüsten des Libanons knieet ein Mann, angethan mit des Täufers grobem Kleide; sein Haar ist ergraut, die wilde Gluth seiner Augen ist gemildert, seine Hände falten sich, und er ruft den Namen des Erlösers, der sterben mußte, damit das Kind der Sünde erlöst werden konnte. Es ist Barrabas. Jahre sind verronnen; wie läuterndes Wasser strömten sie durch sein hartes Herz; er sah den Unschuldigen mit dem Purpur der Verhöhnung angethan; hörte ihn an dem Kreuze die Seele aushauchen, so daß die Erde zitterte und Alles in Finsterniß eingehüllt ward. Der Hauch des Entsetzens war Barrabas' erste Taufe. Im Himmel ist Freude über jeden Sünder, welcher umkehrt. Einsam durchwandert er die Bergwüsten; die wilden Bienen speisen ihn mit ihrem Honig; die Klippe öffnet ihre Brust, um ihn zu laben. Nicht fürchtet er die wilden Thiere in den tiefen Höhlen; er ruht darinnen seine Glieder aus, während die Nacht den Libanon umhüllt. – Was erhebt sich in der finstern Höhle? welches Geheul, welches herzzerreißende Geschrei? Dort steht ein Mann, halbbedeckt von seinem langen Haar, mit Gliedern wie gehämmertes Kupfer. Kein Kleid bedeckt seine Blöße Dort steht er aufrecht vor dem büßenden Barrabas. Der Abendsonne rothe Strahlen fallen in die Höhle auf die Beiden. Barrabas reicht ihm die Hand dar mit dem Gruße des Jüngers: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»Verflucht!« ruft Jener mit der Stimme des wilden Thieres und stößt sein Haupt gegen die Felsenwand; es ist, als ob die Steine des Gebirges auf einander stießen. So treffen sich Barrabas und Ahasverus.

Das Zusammentreffen.

Ahasverus. Barrabas.


Ahasverus.

In Sommerhitze und in Winterstürmen,
Jahr aus, Jahr ein, ich ohne Ruhe wandert'
Im Land der Väter. Kanaans Fluren selbst,
Wo seine Zelte Abraham aufgespannt,
Sie boten keinen Hügel für mein Haupt;
Nicht auf dem Berge, von dem Moses sah
Ins Land hinein und zu Jehova ging,
Kam in die Seele Freude mir und Frieden.
Ich warf mich an dem Jordan in das Schilf:
Die Schlange lag betrübt an meiner Seite;
Der Tiger, der den Durst zu löschen kam,
Er kehrte um, wo ich mich hingelagert.
Das ganze Land, ich habe es durchwandert,
Doch immer kehrte wieder ich zurück,
Hin nach Jerusalem. Ich fühlte Lust,
Hineinzusteigen und das Aug' zu laben
Am Brot des Tempels, und die Goldgefäße
Zu sehen, lauschend dem Leviter-Sang.
Doch wenn ich mich dem Bache Kedron's nähert',
Und kam nach Golgatha, dann fuhr ein Schauer
Durch alle Bäume. Weiber, Kinder flohen,
Wenn sie mich sahen; selbst Veronika,
Die Schwester fromm, unschuldig und so gut,
Bedeckte ihr Gesicht, wenn sie mich schaute.
Doch einmal, kämpfend gegen ihre Furcht,
Besiegte sie dieselbe, nannte mich,
Ausbreitend ihre Arme, mich anblickend
Mit jenem Ausdruck, mit dem mich betrachtet
In jener Schreckensstund' der Nazarener.
Und ich entsetzte mich und mußte fliehen. –
Die finstern Höhlen hier im Libanon
Am Abgrundsrand sind meines Jammers Wohnung.

Barrabas.

Mit Dir sei Frieden! Er, den Du verstießest,
Der an dem Kreuze starb, stand wieder auf,
Kam unter uns: ich hab' ihn selbst geseh'n.
Ich hört' ihn reden, er stand auf dem Berge,
Verhüllt von einer Wolke, und verschwand
Wie Moses. Jesus Christus sei gelobt!

Ahasverus.

Ist wieder auferstanden? Wandern, wandern
Soll ich, bis er zurückkehrt. Er kommt nicht!
Er kann es nicht. – Ich selber sah die Nägel
An Händ' und Füßen, Todesseufzer hört' ich.
Sie stießen ihm den Speer in seine Seite,
Und Blut und Wasser floß. Er kommt nicht wieder!
Er war es nicht, von dem Propheten sprachen.
Lies recht, und deut' mit Israels alter Klugheit.

Barrabas.

Was ist die Klugheit?!

Ahasverus.

      Israel's Eigenthum.

Barrabas.

Die Klugheit machte Euch zum Volk des Hochmuths,
Obwohl Euch Babel und der Euphrat beugte.
Vergebens fielen edle Makkabäer,
Verzweifelt raste gegen sich das Volk.
Du, Klugheit Israels, stirbst den Tod in Hochmuth!
Von Jehova bekamt Ihr heil'ge Frucht,
Doch Ihr verbargt sie, wie der Geiz verbirgt.
Sie schimmelte im Priesterkönigreiche,
Für jeden Fremden war die Thür vernagelt.
Nun hat der Kern die alte Frucht gesprengt
Und ward ein Lebensbaum für alle Völker.

Ahasverus.

Weh' mir! Jerusalem!

Barrabas.

      Bald hört es auf!
In wilden Banden rasen dort Parteien,
Die Römer stehen mit gehob'nem Beil.
Kein Weinstock rankte sich seit Jahr und Tag
Rings um die Mauern, nein, nur Feindeslanzen.
Das Kornthal tönet von dem Römersang,
Und nächtlich flammt das Blutschwert des Kometen;
Es formen sich am hellen Tag die Wolken
Zu Thieren, wild, wie kriegerische Heere!
Kampfplatz und Festung ist der stolze Tempel,
Auf dem Altare liegen Schwert und Rüstung,
Entheiligt sind des Herren Goldgefäße;
Jegliche Straße ist zur Festung worden,
Und jedes Haus zur Burg. Entsetzlich streiten
Sie mit sich selbst und mit dem Heidenvolk;
Man findet keine Ruh', nur die des Todes!
Erfüllt ist Christi Urtheil!

Ahasverus.

      Immer sein's!
Sein Wort bleibt stets zermalmend! Stark ist Israel!
Nun faß' ich meine Taufe: jene Flammen,
Die meinen Körper härteten zu Stahl.
Jetzt wag' ich mit dem Tod wohl einen Kampf,
Wie Jakob wagte ihn mit Israels Gott.
Wenn ich mich in die wilden Flüsse stürzte,
Sie trugen mich, als wären's stille Wasser;
Die wilden Thiere floh'n erschreckt vor mir.
Wohlan! ich komme und ich dringe durch
Die starken Heere, brech' der Heiden Schwert.

(Eilt fort.)


Jerusalem.


(Ein Schwarm Raben flattert über den Thurm Psephenon.)


Der Eine.

Komm und setz' Dich auf die Mauer, denn hier ist kein Wächter mehr,
Keine Hand uns hier verjaget von den Dächern leichenschwer,
Alle Gärten sind vernichtet um der Stadt geweihten Kreis.
Bin gesättigt, will hier ruhen, drunten ist die Luft so heiß.

Der Zweite.

In das Römerlager kamen Tausend Juden auf der Flucht,
Doch sie werden gleich geschlachtet, weil man Gold in ihnen sucht.
Blut, es strömet! und ich habe gleich die erste Leich' erwählt:
Nie im Neste meiner Mutter ward von solchem Schmaus erzählt!

Der Dritte.

Sieh, dort unten auf der Straße schleichende Gespenster geh'n!
Unser sind sie! Laß uns warten! Könnt Ihr Rabenschrei versteh'n?

Chor des Volkes.

Weh' Dir Jerusalem, weh'! Verworfen bist Du vom Herrn!
Es zerreißt Deinen Leib Hungers rasende Wuth.
Mütter schlachten die Kinder, verzehren die zuckenden Glieder;
Löcher der fallenden Mauer stopft man mit Leichen zu Hauf.
Wer im Lager gefangen, man sendet zurück ihn verstümmelt;
Hier ist kein thränendes Aug', hier ist des Elendes Schlund!
Ueber Israels Kinder nun schwebt der Geist des Entsetzens,
Schweigend steh'n sie geschaart, Angst erfüllt sie und Noth.
Doch geschworen es ist, das Schwert beraubt den der Zunge,
Welcher das Wort ausspricht: Gieb in die Hand Dich des Feind's!

Chor von Leviten.

Wo ist solch ein Jammer und solcher Gram,
Jehova von seiner Burg Abschied nahm,
Verließ sein Volk in der bittern Noth;
Unser Herz ist todt, unser Volk ist todt,
Zerbrochen liegt Cymbel und Harfe!


Lager der Römer außerhalb Jerusalems.

Ein Soldat.

Halbtodt sind sie drinnen schon vor Hunger,
Sie essen ihre Gürtel, ihre Schuhe,
Und nagen an dem Leder ihrer Schilde.
Jerusalem ist jetzt der Tempel nur,
So reich und prächtig! Beute gibt es da!
Die Tuba tönt!

Ein Anderer.

      Es ist das Angriffs-Zeichen!
Ich pflücke eine von den goldnen Trauben
Im Tempel, um sie später auszupressen.

Der Erste.

Es rückt der rechte Flügel an die Mauer,
Sturmleitern setzt man jetzt. Sieh unsre Leute!
Ameisen gleich sie klettern; jede Leiter
Ist voller Kriegsvolk; sie bedecken sich
Mit ihren Schilden gegen Feindes Pfeile.
Sieh dort, und wieder dort: ein Grauen ist's!
Die Angriffsleitern werden weggeschleudert;
Wie junge Schwalben fallen unsre Leute!
Hör', welch ein Schrei; die Reihe ist an uns!
Sprich kein entweihend Wort! Hilf, Jupiter!


Sieh, der Römer hat die Mauer, Israel nun sein Schicksal weiß.
Schon die Tempelpforten brennen, und das Silber tröpfelt heiß.
Zwischen Flammen, zwischen Schwertern sieht man Israel todtenbleich,
Seine Kinder würgt der Römer mit des Schwertes scharfem Streich.
In des hohen Tempels Fenster wirft man jetzt den Feuerbrand!
Flammen prasseln, Waffen schallen, All' umschlingt des Rauches Band.


Chor der Römer.

Hoher Sieg winkt Rom's Soldaten,
Rauch schlägt an des Lagers Zeilen,
Sengend nah'n sich Feuersäulen,
Schmelzend Tempels gold'ne Platten.
Hochmuth's Söhne sind versteint;
Die mit Hungertod gerungen,
Flieh'n jetzt vor des Feuers Zungen;
Ein Geschrei im Thal erklungen
Ist, als ob der Berg geweint!
Hör', o hör', wie laut sie klagen!
Scharf wir mit dem Schwerte schlagen;
Blut fließt strömend – nicht kann's löschen
Dieser Flammen grellen Schein:
Jupiter vermag's allein!

Ahasverus.

Sieh, wie die blutrothe Gluth dort glänzet in Josaphat's Thale,
Auf die Gräber sie scheint, wo Israels Herrscher nun Staub.
Unser Jugend-Geschlecht wird verjagt vom rauchenden Heerde,
Gleich einem Haufen des Viehs – das ward Jerusalems Loos!
Israel's Töchter! die Lippen reißt ab, geschaffen zum Lächeln;
Stechet die Augen Euch aus, welche bezaubert so süß,
Daß das Heidengeschlecht mit Schrecken vor Euch entfliehe.
Ich, in des Tempels Brand stürz' ich mich, um zu vergeh'n,
Daß mit den heil'gen Gefäßen verbrennend ich schmelze zusammen.
Hemme mich nicht! O! entweich', Du blutige Horde der Tiefe!
Nicht Euer spaltendes Schwert drängt in den Körper sich ein! –
Wo erhieltet Ihr Kraft – Kraft, meine Arme zu halten?
Kraft, zu fesseln den Fuß? Ha! Israels Stund' ist gekommen,
Wahr des Propheten Wort! Nicht ist Jerusalem mehr!



 << zurück weiter >>