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Die üble Nachrede.

Da haben wir noch eine andre angeborene Krankheit der Freundschaft: wir wollen ihre Diagnose aufstellen.

Das Erste, worauf man achten muß, ist die Ordnung, nach der die Freunde zusammentreten, sich sondern und kreuzen, um von einander schlecht zu sprechen, was sie fortwährend thun. Es ist, als ob sie unter sich eine höchst verwickelte Quadrille tanzten, und man muß auf die Figuren achten, welche in jedem größern Freundeskreise ungefähr gleich sind. Alle die, welche Geist und Schlauheit besitzen, bilden gewissermaßen einen Kreis in dem Kreise, welcher den Einfachen und Beschränkten immer den Stoff zuschneidet. Die Einen verständigen sich unter einander halb aus Neid, halb aus Vergeltungssucht, fortwährend von den Andern Böses zu reden. Nun wendet sich Jeder von den Geistreichen an Jeden der Dummen, um alle Freunde seiner eignen Gruppe zu mißhandeln, auf die er mehr oder weniger eifersüchtig ist; und Jeder der Dummen wendet sich an einen von den Geistreichen, um alle übrigen Dummen seines Gleichen zu verläumden, wie um zu zeigen, daß er nicht zu ihrer Fahne gehört. Dann vereinigen sich die ganzen und halben Schelme beider Gruppen, um die Reputation der Ehrenmänner auf die Höhe ihrer eignen herabzuziehen, die Ehrenmänner sammeln sich, um die Schelme zu geißeln, und die Leute zweifelhaften Charakters stimmen bald den Einen, bald den Andern bei, um sich über Alles lustig zu machen.

Außerdem verbindet sich Jeder mit denen, die einen andern Beruf haben, als er selbst, um allen seinen Kollegen die Mähne zu beschneiden; vorzugsweise wenden sie sich gegen die an der Spitze stehenden Berufsgenossen, welche sie mit ihren einflußreichen Freunden aus andern Ständen mit derselben Münze bezahlen, denn sie sind gegen die Verläumdungen der Mittelmäßigen unter einander verbündet. Unter allen diesen Gruppen bilden sich viele kleinere Kreise, aus wenigen Freunden bestehend, die durch innige Freundschaft verbunden sind; diese durchsuchen das Fell aller Andern, und durchsuchen es auch einander je zwei und je drei, gewohnheitsmäßig, in allen Augenblicken, welche ihnen die allgemeine üble Nachrede übrig läßt. Dann sammelt jeder witzige und gefürchtete Schmäher um sich einen kleinen Hof von Freunden, wo der ganze Rest der Gesellschaft durchgehechelt wird, und die ganze Gesellschaft, mit allen ihren Unterabtheilungen, kommt darin überein, mit einer gewissen Anzahl Unglücklicher Ball zu spielen, die sich in jedem Freundeskreis und in jeder Schule finden, und dazu geboren zu sein scheinen, den Andern zum Vergnügen als Schlachtopfer zu dienen. Zu allen diesen gewöhnlichen Verbindungen kommen noch die zahllosen zufälligen, denn Jeder ist immer geneigt, für einen Augenblick seine eigne Eitelkeit mit der des ersten besten Freundes zu verbinden, um sich hinter dem Rücken Abwesender lustig zu machen; so wird man sich eine Vorstellung von der Verwicklung der üblen Nachrede unter den Freunden bilden können.

Diese Arbeit dauert ununterbrochen fort. Jeder bemüht sich eifrig, Fehler zu finden, Lächerlichkeiten einzusammeln, Flecken zu entdecken, Geheimnisse aufzuspüren; das von Jedem Gefundene wird zum Eigenthum Aller; eine ungeheure Menge von Geschwätz kreist von Mund zu Mund, wird beständig umgearbeitet, verändert, fallen gelassen, wieder aufgenommen, und bildet eine Art ungeschriebener Zeitung, bei welcher Jeder Abonnent und Mitarbeiter ist. Diese hat ihre Zeiten des Blühens und des Darniederliegens und sammelt Witze, Dummheiten, Wahrheiten, Lügen, Verläumdungen; sie ist bisweilen schrecklich, oft boshaft, immer klatschhaft und wird von Allen mit Liebe und unendlichem Vergnügen redigirt und gelesen.

 

Es ist wunderbar zu sehen, wie gut alles Dies unter Freunden von einem gewissen Alter und in einer wohlerzogenen Gesellschaft seinen Fortgang hat. Die üble Nachrede macht ihren regelmäßigen Kreislauf, wie das Blut in einem gesunden Körper. Es giebt Freundeskreise, welche in dieser Beziehung als Beispiele für die »Ordnung in der Freiheit« angeführt werden könnten. Die Vorsicht Aller hat die Folge, daß Jedem das Böse, das man ihm nachsagt, unbekannt ist, und er von den Lästerungen nur Befriedigung, aber keinen Verdruß erfährt. Wenn irgend Jemand, was selten geschieht, einem Freunde die bösen Reden eines Dritten hinterbringt, so wird er sehr übel aufgenommen und mehr verabscheut, als der Verläumder selbst, die Gesellschaft stößt nach und nach die Verräther aus, denn sie will die Freuden der Lästerung in Frieden genießen. Ein wenig Spionage ist noch bisweilen erlaubt, aber sie muß mit Anstand ausgeführt werden, so daß sie anstachelt, ohne zu beleidigen, daß sie, so zu sagen, den Umlauf der Lästerung ein wenig belebt, ohne Störungen hervorzubringen. Wenn es vorkommt, daß Jemand bös wird und Lärm macht, so wird er von Allen getadelt, denn dieser Ärger bedroht die Freiheit Aller, und schnell wird die Ordnung wieder hergestellt. Die Lästerung wird von Allen stillschweigend als eine nothwendige und nützliche Seelenäußerung anerkannt, unter der Bedingung, daß sie sich in gewissen Grenzen hält, und diese sind durch ein stillschweigend anerkanntes Gesetzbuch genau bestimmt. Jeder erräth ungefähr oder glaubt zu errathen, was man von ihm spricht, und weiß also auch, wie weit sein Wiedervergeltungsrecht geht, und überschreitet es nicht. Der Lästernde möge er Recht oder Unrecht haben, wird von Allen mit jener wohlwollenden Geneigtheit angehört, deren Jeder jeden Augenblick bedürfen kann. Da Alle einander genau kennen, so durchschaut Jeder, wenn er von einem Dritten übel reden hört, sehr wohl die geheimen Beweggründe des Redenden und weiß sehr gut zu unterscheiden, was in seinen Worten Wahrheit und was Verläumdung ist. Es kommt auch nicht vor, daß der Redende es übel nimmt, daß die Zuhörer im Herzen seinen Worten nicht beistimmen, obgleich sie ihn reden lassen; es genügt ihm, daß man zuhört und der Lästerung nicht widerspricht. Aber das ist ein Ideal, welches wenige Freundesgruppen erreichen, erst nach langer Erfahrung, nachdem sie sich von allen gefährlichen Elementen befreit und die Gesellschaft auf eine erwählte Zahl von raffinirten und vorsichtigen Lästerern beschränkt haben. In der Mehrzahl der Gruppen giebt es dagegen häufige

Stöße, es entstehen Risse, welche viel Mühe zur Ausbesserung erfordern; bei gemeinen Leuten folgt daraus Zank, bei der Jugend Duelle, zwischen reifen Männern unversöhnliche Feindschaften. Jeden Augenblick wird die allgemeine Lästerungssymphonie durch den Mißton eines Störenfrieds unterbrochen, der in der Kunst noch unerfahren ist. Aber in jeder Gruppe herrscht eine unwiderstehliche Neigung, die Dinge so zu leiten, daß einem Jeden »der ruhige Genuß seiner Rechte« zugesichert wird, und der Fortschritt ist zwar langsam aber stetig.

 

Eine Schwierigkeit bietet die große Verschiedenheit der Lästerer, deren es, wie man sagen kann, soviele Arten giebt, wie menschliche Charaktere. Wenn man nur die hauptsächlichsten sammelt, bringt man schon einen schönen Strauß zusammen. Die furchtbarsten sind die biographischen Lästerer; sie umfassen das ganze Leben des Freundes, suchen seine geringsten Jugendsünden zusammen, steigen bis zu den Vorfahren hinauf, beachten auch die Nebenlinien, ziehen mündliche und schriftliche Nachrichten von nahen uud entfernten Freunden ein, sammeln Dokumente, zerbrechen sich den Kopf, um dunkle Punkte aufzuklären, als wären es weltgeschichtliche Fragen,

und seciren einen Unglücklichen Monate lang, ohne Haß, eher mit Liebe, geduldig, und ruhen nicht, bevor sie ihn in Stückchen zerschnitten haben; dann machen sie sich an einen Andern. Dies sind die Pedanten der Lästerung. Andre könnte man ihre wüthenden Stiere nennen: sie lästern nur selten, aber gewaltsam, in unvorhergesehenen Stößen, mit wüthenden Vorwürfen und großen Worten, in einem Zuge, mit geschwollenen Halsadern und roth unterlaufenen Augen, als wollten sie sogleich mit ihrem Manne ein Ende machen und dann nicht wieder von ihm reden hören. Wenn der Wuthausbruch vorüber ist, beruhigen und erheitern sie sich schnell und trocknen sich die Stirne. Dann sind da die Boshaften, feine, kalte, grausame Lästerer, welche wenig, aber wohl Durchdachtes sagen, kleine Witze mit Widerhaken anbringen, welche Blut kosten und in der Wunde stecken bleiben; sobald der Streich geführt ist, ziehen sie die Hand zurück und sprechen mit gleichgültiger Miene von etwas Anderm. Ferner giebt es lästernde Spaßmacher, welche nur die lächerliche Seite ihrer Freunde angreifen und aus jeder Kleinigkeit einen großen Fastnachtswitz machen, mit lautem Geschrei und Gelächter, und nach und nach den ernstesten Mann von der Welt zum Hanswurst herabwürdigen; sie thun es, ohne einen Schatten von böser Absicht, fast ohne es zu bemerken; ein unbesiegliches Bedürfniß, über Alles zu lachen, treibt sie wider Willen zu solcher groben Spaßmacherei. Dann findet man auch zuckersüße Lästerer, welche mit freundlichen Worten, liebkosender Stimme mit bescheidenem Lächeln, mit einer Miene, als sollten ihre Worte das nicht bedeuten, was Alle wohl verstehen, dem Freunde Schlechtigkeit nachsagen. Den Schluß seines Geschwätzes bezeichnet ein freimüthiges, sanftes »Man sagt nur so«. Weiter haben wir den schurkischen Duckmäuser, welcher Niemandem Böses nachsagt, aber er thut Schlimmeres: er liefert den Andern den Stoff zur Verläumdung, um ihn zu verarbeiten und in Umlauf zu setzen; er giebt das zu entwickelnde Thema, regt die Zungen an und tritt zur Seite, um das Vergnügen ohne Mühe und Gefahr zu genießen. Es giebt auch einen frommen Lästerer, welcher mit wahrem Schmerz seinem Freunde Schlechtes nachsagt, weil er von seinem Gewissen dazu gezwungen wird; mit traurigem Gesicht und wohlwollender Stimme reißt er ihn in Stücke, stellt sich, als entschuldige er ihn, wenn er ihn gerade am heftigsten angreift, vertheidigt ihn gegen den Hieb eines Andern, um ihm einen stärkeren beizubringen und schüttelt bei jeder boshaften Phrase den Kopf, als wollte er sagen: »Es ist schmerzlich, so von einem Freunde reden zu müssen, aber die wahre Freundschaft ist aufrichtig«. Der Heuchlerischste von Allen aber ist der, welcher den Freund in seinen Krallen halt, ohne weder Gutes noch Böses von ihm zu sagen; aber er hat eine Art ihn zu untersuchen, zu striegeln und nach allen Seiten zu wenden, ihn zu beriechen und anzuhauchen, ohne jemals ein Urtheil auszusprechen, daß er ihn befleckt und beschmutzt, wie eine durch hundert Hände gegangene Birne. Auch einen stummen Lästerer giebt es, welcher aus Feigheit das Maul hält, aber, wenn die Freunde einen Abwesenden durchhecheln, sich einem süßen Genuße hingiebt, Beifall nickt, mit seinem Lächeln ermuthigt, mit Blick und Geste das Gesagte bestätigt, und wenn er unversehens um seine Meinung gefragt wird, eine ruhige Miene annimmt und sagt: »Das geht mich nichts an«.

 

Wie beredt sind doch fast Alle bei der üblen Nachrede! Man sollte glauben, die Geistesfähigkeiten nähmen zu, wenn man schlecht von seinen Freunden spricht: auch die Blödesten geben einen Witzfunken von sich. Leute, die bei jedem andern Gespräche uns fast umbringen, abgeschmackte, eintönige Schwätzer, bei denen man mit offenen Augen einschlafen möchte, finden bei der Lästerung scharfe Witze, bunte Phrasen, welche die Freunde in Erstaunen setzen und zur Aufmerksamkeit zwingen. Dumme Köpfe, die von Allen verspottet werden, entdecken zuerst an ernsten, achtungswerthen Personen gewisse verborgene, lächerliche Fehler, welche den Scharfsichtigen entgangen waren, und finden das gepfefferte Wort, welches sie bezeichnet und in die Mode kommt. Narren und Gauner, Säcke voll Fehler und Laster, übertreffen die anständigen Leute, wenn sie von den Freunden Böses reden. Man sollte glauben, sie besäßen in der That und in hohem Grade alle die Tugenden, deren Abwesenheit sie bei Andern beklagen, sie sprechen vortrefflich, mit einer würdigen, überzeugenden Ruhe, mit aufrichtigem Tone, mit väterlich ernsthafter Miene, welche Allen Achtung und Zuneigung einflößt, die sie nicht genau kennen. Sehr Viele, welche keine andre Ader von

künstlerischem Talent besitzen, sind wahre Künstler in der Lästerung. Sie rücken die Personen geschickt in's rechte Licht, in kurzen, gedrungnen Darstellungen, worin man Ordnung und Harmonie, mit seinem Geschmack beherrschte Übertreibung, eine kluge Mischung von Ernstem und Spaßhaftem, in jedem Wort einen feinen Pinselstrich findet. Viele werden in der Gesellschaft nur wegen ihrer Geschicklichkeit gesucht und gefeiert, von gewissen Personen Übles zu reden, über welche sie ein eignes Studium gemacht haben. Bei vielen Unterhaltungen ist es nicht möglich, eine Stunde lang auszuhalten, ohne auf dem Rücken des Nächsten herumzutrommeln; sobald die Lästerung aufhört, folgt auf das lustige Geschwätz sogleich und unfehlbar eine unerträgliche Langeweile. Fast in allen Freundeskreisen, wenn man ein wenig hin und hergeredet hat, verfällt man zuletzt in die Lästerung, denn Alle finden auf diesem Felde ein leichtes Mittel, sich Gehör zu verschaffen, Alle besitzen dafür einen reichen Wörterschatz, reiche Beobachtungen und einige eigne Ideen. Dann werden die Stimmen lauter, die Augen lebhafter, die Gesten aufgeregter; wer schon fortgehen wollte, setzt sich wieder, die Enfernteren rücken ihre Stühle herbei, und wenn die Versammlung auseinander geht, wird auch der fadeste Stotterer der Gesellschaft beim Nachhausegehen mit sich zufrieden sein: er hat gut gesprochen und Zuhörer gefunden. Das kommt daher, daß alle Leidenschaften beredt sind und die Lästerung von der Eigenliebe eingegeben wird, der sinnreichsten und beredsamsten aller Leidenschaften.

 

Ja, wir sprechen schlecht von unsern Freunden aus Eigenliebe, denn in jedem Tadel, den wir gegen sie aussprechen, fühlen wir ein Lob gegen uns selbst, und wenn wir einen ihrer Fehler mißbilligen, rühmen wir uns indirekt der Tugend, welche das Gegentheil dieses Fehlers ist. Dies ist eine sehr bequeme Art des Selbstlobs, bei dem wir keinen Widerspruch zu fürchten haben, denn es begreift auch den Zuhörenden mit ein; es ist selbstverständlich, daß wir ihn als frei von dem Fehler betrachten, den er mit uns tadeln soll. Zwei Freunde reden fast nur dann schlecht von einem dritten, wenn sie auf schickliche Weise gegenseitig ihrer Eigenliebe schmeicheln wollen, und wenn sie das Opfer mißhandelt haben, gehen sie auseinander, Jeder mit dem Andern zufrieden, wie zwei Personen, die sich gegenseitig auf zarte Weise gelobt haben, und nichts verbindet zwei Unbekannte schneller mit einander, als wenn sie zusammen von einem gemeinschaftlichen Bekannten Böses sprechen können.

Ein andrer Grund, welcher uns zur Lästerung gegen unsre nächsten Freunde treibt, ist ein Bedürfniß, uns für das Opfer zu entschädigen, das wir Jedem von ihnen in einem Theile unsrer Urtheilsfreiheit bringen, insofern wir in ihrer Gegenwart alle Wahrheiten verschweigen, welche sie beleidigen könnten. Wenn der Freund abwesend ist, leeren wir unsern Sack, um unsre Freiheit zu betonen: wir

glauben damit ein unbestreitbares Recht auszuüben, und die Sache scheint uns so natürlich, daß wir es gewöhnlich thun, ohne von einem Gefühl des Übelwollens dazu angetrieben zu werden. Wir bezwecken mit dem Lästern vielmehr unser Vergnügen, als den Schaden eines Andern. Es geschieht jeden Augenblick, daß wir lächelnd von einem Freunde schlecht sprechen, in wenig andrer Stimmung, als wenn wir ihn lobten. Bisweilen, während wir ihn eben herabsetzen, schwächen wir in unserm Innern einen Tadel nach dem andern ab, und wenn er in diesem Augenblick vor uns erscheint, kostet es uns nicht die geringste Anstrengung, ihn mit der gewöhnlichen Freundlichkeit zu empfangen; wir glauben nicht, uns zu verstellen und verstellen uns wirklich nicht. Manchmal tadeln wir unsre Freunde aus keinem andern Grunde, als um uns als feine

Menschenkenner zu zeigen; wir thun es, ohne es zu bemerken, durch den Ton witziger Unterhaltung verleitet, in welche die Lästerung sich unbemerkt einschleicht. Wir sprechen schlecht von ihnen aus feiger Faulheit, welche uns eine Lästerung, deren wir uns schämen, einer Vertheidigung vorziehen läßt, welche für uns mühevoll und für Andre mißliebig ausfallen würde. Wir sprechen schlecht von ihnen aus übler Laune, ohne den geringsten Grund, um etwa dem Ärger über einen Familienzwist oder dem Verdruß über einen Nervenschmerz oder ein Magenleiden Luft zu machen. Aber wir lästern sie auch – und wie oft! – aus Bosheit und Neid.

 

Und mit welcher raffinirten Kunst! Die Furcht, Widerspruch zu finden, das heißt also, indirekt der Leichtfertigkeit, der Ungerechtigkeit oder des Neids beschuldigt zu werden, macht uns vorsichtig; ehe wir die Zunge zuspitzen, probiren wir den Freund, um zu sehen, ob er geneigt ist, beizustimmen; wir befragen einander mit den Blicken; bisweilen will keiner von Beiden sich zuerst vorwagen; es geschieht oft, daß zwei Freunde aus gegenseitigem Mißtrauen eine Zeit lang einen dritten respektiren, den sie Beide Lust haben, in Stücke zu reißen, und man fährt erst wüthend über ihn her,

wenn man der beiderseitigen Übereinstimmung gewiß ist. Bisweilen bemerken wir, daß wir zu weit gegangen sind, schämen uns und weichen Beide zurück, ja loben gleichzeitig in Eile, ohne Überzeugung, irgend etwas Gutes an dem geschmähten Freunde, um ihn nach der kleinen Anerkennung mit ruhigem Gewissen weiter schmähen zu können. Nicht selten, auch wenn wir gegenseitig das schlechte Gefühl errathen, das uns reden läßt, und in unsern Augen ein wenig Verachtung für einander lesen, fahren wir fort, übel zu reden; aber ganz allmählich stellen wir uns, als würden wir es gewahr, und ziehen eine nach der andern, die gröbsten Schmähungen zurück, um die Achtung wiederzugewinnen, welche Jeder im Geiste des Andern verloren zu haben fürchtet. Auch wenn wir im Herunterreißen einstimmig sind, zaudern wir noch einen Augenblick und befragen uns mit den Augen jedesmal, wenn wir die Lästerung ein wenig weiter treiben und zu zarteren und wichtigeren Dingen übergehen wollen, als die bis dahin berührten. Je ernster dann die Sache wird, je giftiger die Schmähung, desto gemäßigter wird die Sprache, desto sanfter die Stimme, als wollten wir in unserm Bewußtsein die Traurigkeit unsrer Worte mildern. Wenn es uns scheint, nachdem wir einen Freund in Stücke gerissen haben, daß der Zuhörende uns für boshaft und hochmüthig hält, dann lenken wir die Unterhaltung auf einen andern, den ersten besten, sagen von ihm mit außerordentlichem Wohlwollen eine Menge Gutes, und machen uns ihm gegenüber klein und demüthig, um zu zeigen, daß wir den ersten nur aus Gewissensdrang mißhandelt haben und nicht für Jedermann ein Lästermaul sind.

So sehr wir übrigens auch böse Zungen führen, hat doch Jeder von uns drei oder vier bevorzugte Freunde, die wir nicht zu schmähen wagen; wir haben bei zu vielen Gelegenheiten, auch öffentlich, unsere Freundschaft für sie versichert, wir haben uns ihrer gerühmt, wie einer Tugend; wir haben in bewegten Augenblicken hundertmal versichert, daß wir sie wie Brüder lieben. Von ihnen, auch mit der schuldigen Rücksicht, schlecht zu sprechen, würde eine schimpfliche Wandelbarkeit beweisen. Wir möchten ihnen wohl manchmal den Pelz waschen, die Zunge juckt uns, wir suchen nach einem Mittel, ihnen auf seine Weise etwas anzuhängen, ohne die böse Absicht sehen zu lassen, aber es ist unmöglich, unsre Eitelkeit würde dabei mehr verlieren, als gewinnen; wir müssen uns die Lust vergehen lassen.

 

Und doch, so viel Schlauheit wir auch bei der Lästerung unsrer Freunde aufbieten, täuschen wir uns doch fast Alle aus Dummheit, wenn wir berechnen, was wohl die Freunde von uns sagen möchten. Es giebt wohl Niemand, der nicht aufrichtig von der Wahrheit des alten Spruchs überzeugt wäre, daß es uns Allen zum Vortheil gereichen würde, wenn wir auf das Gute verzichteten, das man von uns spricht, unter der Bedingung, daß man auch nichts Böses sagte. Dieser Irrthum rührt daher, daß wir von einer andern Wahrheit nicht genug überzeugt sind: nämlich, daß man uns nicht um dessentwillen verurtheilt, was wir überlegter Weise thun und sagen, sondern wegen dessen, was wir thun und sagen, ohne es zu bedenken; denn unser Wesen offenbart sich in diesen, deutlicher, als in jenem. Diese unsre Gedankenlosigkeiten vergessen wir, und bedenken nicht, daß Andre sich ihrer erinnern; was Einem entgeht, das sammelt der Andre auf; es sind ihrer hundert, die uns beobachten und sich die Früchte ihrer Beobachtungen mittheilen; zwanzig Worte, die wir bei zwanzig verschiedenen Gelegenheiten ausgesprochen haben, und von denen jedes für sich bedeutungslos ist, enthüllen ein Geheimniß unsrer Seele, das wir für undurchdringlich hielten, wenn sie von vier Freunden zusammengestellt und erläutert werden. Der Verdacht des Einen wird zur Gewißheit, wenn er mit der Vermuthung des Andern zusammentrifft und wenn Verdacht und Vermuthung der Einen und Andern sich fortwährend aufsuchen. Wie kein Tag vergeht, ohne daß wir von Jemand schlecht sprechen, in weitläufiger Unterhaltung, mit aller Gemächlichkeit, aus Langeweile, mit sorgfältiger Untersuchung nach allen Seiten hin, so vergeht auch kein Tag, ohne daß ein Paar Freunde uns derselben Prüfung unterwerfen und irgend etwas Neues entdecken, das von Mund zu Mund gehen wird, das man, so oft über uns auf diese Weise gesprochen wird, wieder durchsieht und umarbeitet, wobei dann aller Lästerstoff, der sich für unsre Rechnung seit vielen Jahren angesammelt hat, wieder benutzt wird.

Wir Alle fast würden uns entsetzen, könnten wir Alles hören, was unsre Freunde von uns sagen, laut, oder im Geheimen; wir würden an uns Fehler entdecken, die wir noch nie bemerkt haben, schweres Unrecht, dessen wir uns noch nie bewußt geworden sind; wir würden an, wer weiß, wie viele Ungereimtheiten, Dummheiten und Schelmereien erinnert werden, welche vor Jahren aus unserm Munde gegangen und uns nicht wieder in deu Kopf gekommen sind; wir würden Abscheulichkeiten, boshafte

Vermuthungen, Dinge für den Strafrichter vernehmen, welche da scherzhaft wie Kleinigkeiten, um die Unterhaltung zu würzen, vorgetragen werden. Vertrauliche Mittheilungen, die wir unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses gemacht, werden unverschämt ausgekramt und gegen uns gekehrt. Freunde, die uns unter vier Augen mit furchtsamer Achtung wie einen Höhern behandeln, reißen Possen hinter unserm Rücken; andere tadeln uns mit der Erbitterung über Dinge, um derentwillen sie uns am vorhergehenden Tage mit vom Herzen kommender Stimme warm beglückwünscht hatten. Eine solche Mißhandlung unsrer selbst ginge weit über unsre schlimmsten Vermuthungen hinaus. Das Wort würde uns ohne Zweifel im Munde erstarren, so oft wir

beim Mittagstisch sitzen, welcher gewissermaßen das Katheder der täglichen, ruhigen Familienlästerung ist, und einem Freunde das Fell durchsuchen, wenn uns dann nur die Hälfte von dem ins Ohr tönte, was man ganz gewiß über uns spricht, in jenen selben Augenblicken, an vielen andern Tischen, mit derselben ruhigen Zufriedenheit, welche unsre Augen und unsre Stimme verrathen.

 

Es giebt auch eine Lästerung, welcher Niemand entgeht; es ist die, welche sich mit dem Äußern der Person beschäftigt: Nachahmung von Miene und Gesten, der Stimme und Aussprache, die Verspottung gewisser körperlicher Gewohnheiten, gewisser Sprachfehler. Dies ist eine furchtbare Lästerung oder vielmehr Kritik, welche tiefer trifft, als andere, weil sie uns der Lächerlichkeit preisgiebt, die wir mehr fürchten, als die Geringschätzung, und weil derjenige, der eine Persönlichkeit bekrittelt, die ganze Annehmlichkeit, ohne die Gehässigkeit der gewöhnlichen Lästerung besitzt, so daß Alle ihm Beifall geben und sich ohne Skrupel zu seinem Echo machen. Möchten wir uns nicht täuschen: uns Allen wird etwas davon zu Theil, auch dem, der durchaus nichts Lächerliches an sich hat, denn die genaue Nachahmung einer Stellung oder irgend einer Redeweise hat an und für sich etwas Komisches, das zum Lachen reizt. Aber wir Alle haben etwas, das sich zum Spott eignet, aber wir selbst können es nicht wahrnehmen, so wenig, als wir im Spiegel die Richtung unsres eignen Blicks sehen können. Wir bemerken an uns tausend unbedeutende Mängel nnd lassen uns manche grobe, lächerliche Fehler entgehen, die unsre Eitelkeit nicht einmal ahnt, eben weil sie grob sind; wir würden sterben, ohne sie zu kennen, weil die Furcht, uns zu beleidigen, die Freunde immer abhalten wird, sie uns mitzutheilen, und in tiefes Erstaunen gerathen, sie niemals bemerkt zu haben, wenn wir sie eines Tages Jemanden uns nachmachen sähen. Diese besondere Art der Lästerung hat ihre Künstler, von

Allen gefürchtet und gefeiert, und um so mehr zu fürchten, da Jeder von ihnen wieder seine Nachahmer hat, eine kleine Gruppe von Zöglingen, welche sich in seiner Schule vervollkommnen, denn überall herrscht die Manie, lieber die Nachahmung, als die Natur selbst nachzuahmen. Jeder hat sein besonderes Talent. Der Eine stellt Eure Geberde, Euer Lachen dar, als hätte er sich zehn Jahre lang in nichts Andrem geübt; ein Andrer ahmt Eure Art zu sprechen nach, und bringt in seinen Sätzen den Saft Eurer Meinungen unter; sowie alle Gemeinplätze, alle Wiederholungen Eurer Rede, die er, einen nach dem andern während vieljähriger Beobachtung im Fluge aufgefangen und mit sinnreicher Kunst wie eine Mosaik zusammengesetzt hat. Ein Anderer ist unübertrefflich in der Nachahmung einer Eurer Gesten, welche ihn die Freunde fortwährend wiederholen lassen, wobei sie sich vor Lachen den Bauch halten; das ist die Bewegung, mit der Ihr von Zeit zu Zeit Eure ausgestreckte, schöne Hand hin und herwendet und mit Wohlgefallen betrachtet. Wer weiß, wie oft, wenn wir glauben, ein Freund lausche aufmerksam unsern Worten und unsre Eigenliebe sich dadurch geschmeichelt fühlt, der Schelm nur eine besondere Modulation unsrer Stimme studirt, welche ihm noch fehlt, um unsre

Karikatur in dem gewohnten Kreise, dem wir vorzugsweise zur Erheiterung dienen, vollständig darzustellen. Wie viele Male werden wir absichtlich zu einem gewissen Gesprächsstoff hingeführt, um die Gesellschaft zu amüsiren, welche wünscht, daß wir in gewisse lächerliche Wiederholungen verfallen, in die wir, ohne es gewahr zu werden, regelmäßig gerathen, so oft die Rede jenen Gegenstand berührt; und wie oft, während wir in unserm Zimmer allein sind und in eine aufregende Lektüre vertieft oder in heroische Vorstellungen versunken, Stellungen annehmen, wie eine antike Statue, giebt es einen Salon am andern Ende der Stadt oder ein Wirthshauszimmer, wo homerisches Gelächter und rauschender Beifall ertönt, weil in einem

Kreise von Taugenichtsen ein lieber Freund von uns unsre aufgeregte Mimik in einer literarischen Diskussion nachäfft.

Aber es ist selten, daß die Freunde beim Spott stehen bleiben, denn von da gleitet man auf hunderterlei Weise, ohne es zu bemerken, in die Lästerung hinab, ja oft ist der Spott eine Art, den Boden zum Zerfleischen des Freundes vorzubereiten, gegen den man nicht plötzlich, auf rohe Weise, die Klauen auszustrecken wagt. Denn bei der Lästerung verfahren wir Alle nach gewissen Regeln, welche uns unser Interesse vorschreibt. Wir sind gewöhnlich nachsichtig gegen Fehler, welche uns nicht berühren, aber wir sind ohne Mitleid gegen den Hochmuth, weil er unsre Eitelkeit verwundet, für den Ehrgeiz, weil er unsern Weg kreuzt, für den Geiz, weil er uns beraubt, für die Dummheit, weil sie uns reizt; aber wir sagen wenig Böses über einen Freund, der uns mit Artigkeiten überhäuft und zugleich für seine Familie ein elender Tyrann ist, oder ein gehässiger Bedrücker für die im Amte ihm Untergebenen. Wir sind grausam gegen Jeden, der unsern Neid erregt. Wenn der Freund mit unermüdlichem Eifer und Glück arbeitet, so hängt er zu sehr am Gelde, verthiert sich bei der Arbeit, würdigt sein Amt herab, versteht nicht mehr, in der Welt zu leben, ist ein Egoist geworden, ist keines edlen Gefühls mehr fähig, wird auf seinen Geldsäcken umkommen, ohne daß ihn ein Hund beweint. Wenn Einer von einem Weibe geliebt wird und in dieser Liebe glücklich scheint, so begreift man nicht, wie er sie habe einflößen können, er ist lächerlich, muß verrathen werden, wird verrathen, er vernachlässigt seine Geschäfte, trägt seine Leidenschaft zur Schau, wie ein Schüler, ist unerträglich geworden, wird alle Tage dümmer, macht nur noch dummes Zeug. Der, welcher eine große Vergnügungsreise antritt, wirft sein Geld weg, sollte ein andres Land besuchen, wird unterwegs vor Langeweile umkommen, wird

zurückkommen, ohne irgend Etwas gesehen zu haben, wird einen Haufen Unsinns auskramen, wird eine lächerliche Miene als großer Reisender annehmen.

So groß ist das Bedürfniß, Übles zu reden, daß, wenn von Jemand nur Eins zu sagen ist, man dieses Eine ins Unendliche wiederholt, und darüber endlose Variationen macht, wie ein Violinspieler über ein musikalisches Thema, ohne sich dabei zu langweilen. Man wiederholt in den Abendgesellschaften dreihundertfünfundsechzig Mal im Jahre, der und der mache orthographische Fehler oder sei seinem Haarschneider dreihundert Mark schuldig. Plötzlich trifft auch unerwartete Hülfe ein. Wenn man über einen Freund alles Sagbare vorgebracht hat und anfängt seiner überdrüßig zu werden, da fällt in den Kreis ein neuer Freund hinein, welcher den Märtyrer zu anderer Zeit und unter andern Umständen gekannt hat, und eine neue Ernte von Nachrichten und Zeugnissen mitbringt, welche neue Nahrung liefern und die Lästerung wieder für einige Zeit zur Blüthe bringen. Nun bemühen sich Alle, etwas zusammenzubringen; um von dem Freunde schlecht sprechen zu können, fordert man Gutachten ein von seinen Kollegen im Amte, man fragt seinen Advokaten, wie er sich in Geldangelegenheiten beträgt, seine ehemaligen Geliebten, wie er sich in der Liebe

benimmt, seine ausländischen Freunde, wie er ihre Sprache spricht. Aber man braucht gar nicht zu fragen, der Stoff kreist fortwährend umher, man braucht ihn nur festzuhalten, wenn er vorbei kommt. Man weiß Alles und benutzt Alles. Man weiß, daß Ihr am Mittagsessen spart, um eine Loge im Theater zu haben; nach dem Essen der Familie schlummert Ihr eine Viertelstunde lang, mit herabhängenden Lippen, wie ein Büffel; Ihr seid hart gegen Eure Bedienung; während der letzten Krankheit Eurer Frau habt Ihr keine Nacht verloren; Ihr habt Eure Tochter einen schlechten Roman lesen lassen. Die Lästerung durchforscht selbst die verborgensten Winkel Eures Hauses und verfolgt Euch bis auf die Kissen des Bettes. Wenn man gar Nichts weiß, so erfindet man Etwas. Es geschieht sehr oft, daß zwei Freunde von einem dritten schlecht sprechen und dabei Alles aus der Luft greifen; sie wissen es beide sehr wohl, ohne darum weniger Vergnügen dabei zu empfinden.

 

Die am schärfsten durchspähten, die am meisten durchgehechelten, die am übelsten behandelten von Allen im Kreis ihrer eignen Freunde sind die »Berühmtheiten«. Ihr Glanz, groß oder klein, ist wie eine große Decke, deren sich Alle zugleich bedienen, um sie die berüchtigte Qual, das Mantamiento, leiden zu lassen, wie es Sancho Pansa zu erdulden hatte. Jeder glaubt, von ihnen ohne Gewissensbisse schlecht sprechen zu können, weil sie von so vielen Leuten gelobt werden und also immer im Vortheil sind, und dann ist ihre bevorzugte Stellung eine zur Lästerung reizende Herausforderung, auch für die, welche sie lieben. Ihre nächsten Freunde sprechen schlecht von ihnen, um zu beweisen, daß sie keine knechtischen Schmeichler sind. Andre, sowie auch die, welche sie nicht kennen, thun es aus Eitelkeit, um zu zeigen, daß sie mit ihnen sehr vertraut sind, sie kennen ihre geheimsten Fehler und erfinden deren nöthigenfalls. Kennen Sie den und den? Sehr genau; ein Schmutzfinke, er ist im Stande, einen ganzen Monat lang seine Haare nicht auszukämmen. – Das Einzige, was die vertrauten Freunde ihnen nicht nachsagen, ist, daß sie stolz seien, denn diese Anklage würde auf sie zurückprallen und ihren eignen Hochmuth verwunden. Im Gegentheil, sie werden immer als gute Kerle geschildert, fügsam, wie Wischlappen. Alles, was sie ein wenig lächerlich machen, in den Augen der Einfältigen, die sie aus der Ferne bewundern, ein wenig verkleinern kann, wird vergrößert und mit apostolischem Eifer ausgebreitet. Wenn der Freund den Chianti-Wein nicht geradezu verabscheut, so haben ihn Alle zehn Mal unter dem Tisch hervorgeholt und in den Wagen getragen. Wenn er das Geld nicht händeweis wegwirft, so ist er ein Knicker, ein Filz mit Allem, was er verdient, und man muß sein Freund sein und ihm wirklich wohlwollen, um sich nicht gegen ihn zu empören. Wenn er ein Brunnen der Wissenschaft ist und ihm einmal ein Unsinn entschlüpft, so ist es ein Fest für Alle. Der Unsinn wird von hundert Zangen im Fluge erfaßt und sorgfältig unter eine Glasglocke gesetzt. Da bleibt er Jahre lang ausgestellt und wird mit Jahrmarktslärm der halben Welt gezeigt. Die kleinsten Lücken seiner Gelehrsamkeit, alle schwachen Seiten seines Geistes werden mit unendlicher Geduld aufgesucht, und einmal entdeckt, dienen sie auch den Einfältigsten zum Gespötte.

Ein Blättchen aus einer entfernten Stadt, welches ihn als Esel und Charlatan behandelt, gelangt immer fast wunderbarer Weise in die Hände seiner Freunde; diese überliefern sich dasselbe im Verborgenen von Tasche zu Tasche, mit ein wenig Scham und viel Vergnügen. Wenn er mit irgend Etwas durchgefallen ist, wird die Lästerung mitleidig. Wie geht es ihm? Wer hat ihn gesehen? Ist er sehr verändert? O, er ist entmuthigt, er wird sich nicht wieder heben; er ist ein todter Mann! Und Jeder findet einen Grund, um seinen Fall zu rechtfertigen. Wenn er einen Triumph davon trägt, so folgt ein kurzer Waffenstillstand, Alle schweigen, um nicht in den Verdacht des Neides zu kommen, aber nach und nach ermuthigen sie sich gegenseitig und mißhandeln ihn nur um so schlimmer, als Ausgleich für sein gutes Glück. Abgesehen von seiner Kunst oder Wissenschaft, ist er eine bloße Null, Wenn er ein Dichter ist, so kann er einen spitzen Winkel nicht von einem stumpfen unterscheiden; ist er Mathematiker, so verwechselt er die Gothen mit den Sarazenen. Was er Gutes hervorbringt, kommt ihm entweder von seiner Natur, wie dem Vogel der Gesang, entschlüpft ihm gewissermaßen wider Willen, so daß er kein Verdienst dabei hat, oder es kostet ihm eine so riesige Arbeit, daß man sagen kann, er verdanke Alles dem Sitzfleisch, Nichts dem Genie.

Seine Freunde verbreiten auf seine Kosten soviele seltsame Gerüchte, daß der arme Mann, wenn er unter Unbekannte geräth, sich oft tausend ungünstigen Vorurtheilen gegenüber befindet, die er sich nicht erklären kann, er wird verkehrt beurtheilt, um Fehler willen verspottet, die ihm ganz fremd sind, und erst nach langer Zeit gelingt es ihm, für das erkannt zu werden, was er wirklich ist. Das ist die Schuld der Maske, die ihm seine Freunde umgehängt haben.

 

Die »Berühmtheiten« üben auch unter einander eine besondere, sehr zierliche Lästerung aus, besonders Literaten und Künstler, denn unter ihnen ist die Eifersucht am lebhaftesten. Es ist eine Lästerung voll ausgesuchter Feinheiten, Einige, um nichts Übles von Andern zu reden, weil es zu verdächtig wäre, loben sie immer, aber ans verschlagene Weise, sie verschweigen das, was an ihnen das Beste ist nnd lassen sich gewissermaßen zu ihnen herab, um sie zu liebkosen, als wären sie Pygmäen. Andre beginnen mit einer warmen, unbeschränkten Lobpreisung ihres Kollegen, um jeden Verdacht von Eifersucht zu entfernen, und wenn sie sich so den Rücken frei gemacht haben, geben sie zu Einzelheiten über, und durch kleine, bescheidene Bemerkungen in ruhigem Gespräch machen

sie die Anfangs gespendeten Lobreden eine nach der andern der Reihe nach mit größter Feinheit zu nichte. Gewisse Andre sind noch bösartiger: wenn das Gespräch auf ihre gefürchteten Nebenbuhler fällt, so schweigen sie ganz still, aber in auffallender Weise, um zu verstehen zu geben, daß sie aus Rücksicht schweigen, daß sie nichts sagen, weil sie nichts Böses sagen wollen: so lassen sie merken, sie könnten, Gott weiß was, sagen und machen sich ein Verdienst aus ihrem Schweigen, das giftiger ist, als die Lästerung. Am hübschesten aber ist es, wenn einer von ihnen sich unter Fremden befindet, die auf einen seiner Kollegen losziehen, und muthig dessen Verteidigung übernimmt. Dieser Fuchs genießt mit ganzer Seele die Schmähungen und spielt zugleich die schöne Rolle eines Vertheidigers seines Nebenbuhlers; aber man muß sehen, mit wie tiefer Achtung er die Gründe seiner Gegner anhört, wie sorgfältig er sich hütet, sie zu unterbrechen, wie geschickt er den Werth seiner eignen Vertheidigung abschwächt, sobald er merkt, daß sie anfängt zu überzeugen.

Bisweilen werfen jedoch auch die Pfiffigsten die Maske ab. Sie stimmen im Chor mit Andern das Lob eines Kollegen an, um sich gerecht und großmüthig zu zeigen; aber, zum Teufel! die Andern übertreiben es, hören nicht auf mit dem Lobsingen: da verliert unser Mann plötzlich Geduld, Klugheit und Scham und bricht gegen den Gelobten mit wilder Wuth los, die alle blutenden Wunden seines Neides bloslegt. Wenn ihrer Mehrere beisammen sind, gehen sie vorsichtig zu Werke, sie wissen, daß Jeder die Eifersucht, den Neid und die Taktik aller Andern kennt; es ist allzuschwer, daß die Sache glatt abgeht. Dann sprechen sie schlecht von ihren abwesenden Rivalen, obenhin, in unbestimmten Ausdrücken, indem sie einander im Auge behalten; bisweilen loben sie den und jenen gemeinschaftlich, um sich gegenseitig zu ärgern, und nichts ist komischer, als der Gegensatz zwischen der scheinbaren Übereinstimmung der Meinungen und den schiefen Blicken, die sie sich zuwerfen. Bisweilen, aber selten, stimmen auch Alle überein, um einen Einzelnen zu bedienen, und dann geht es dem Unglücklichen, als wäre er zwischen zwei Zahnräder einer arbeitenden Maschine gerathen, ans welcher nur Knochensplitter und Fleischlappen wieder zum Vorschein kommen.

Aber wie ändert sich die Form und Natur der Lästerung je nach dem Orte, wo wir uns befinden, der Stunde, unserm Zustand und hundert andern Dingen! Mit den Freunden, denen wir bei Tage auf der Straße begegnen, in dem Volksgedränge, beurtheilen wir die Abwesenden in eiligen Andeutungen, halten wir kurzes Gericht, mit der Grobheit von Leuten, welche beschäftigt sind und nicht Zeit haben, tief auf Gründe einzugehen und ihre Worte zu wählen. Auf ruhigen Spaziergängen über Land spinnt man dagegen lange Biographieen aus, macht geduldige psychologische Analysen, von Zeit zu Zeit durch einen heitern Blick in die Ferne unterbrechen. Die schöne Aussicht, die Ruhe der Gegend, die durch die Körperbewegung erzeugte gute Laune disponiren die Seele zu gemäßigter, aber weitläufiger und gründlicher Lästerung.

Am schlimmsten ist die Lästerung in den Salons, denn da wird die Eigenliebe am meisten erregt und die Gegenwart der Damen fordert Mäßigung in den Ausdrücken: das bringt den Schmähenden auf und läßt ihn desto mehr Gift in den Inhalt legen, je weniger heftige Worte er gebrauchen darf. In den Kaffeehäusern, unter Freunden, fehlt gewöhnlich alle Haltung, man ist müßig nnd gelangweilt, selbst die dumpfe Luft riecht nach dem Geschwätz einer halben Welt, und so gerathen wir in eine kleinliche, zügellose, gemeine Lästerung, die fast immer nur Ekel erregt. Im Theater läßt die Erregung der Nerven nnd die Heiterkeit die epigrammatische Form vorherrschen, man fühlt eine besondere Lust, von dem gegenwärtigen und dem abwesenden Freunde schlecht zu sprechen: seine Gegenwart ist ein Stachel, und Dank seiner Abwesenheit ist man frei; es ist eine doppelte Lust, wenn der Freund aus seiner Loge nach uns blickt, lächelnd, doch mit einem unbestimmten Verdachte, der einen Schatten über sein Lächeln wirft. Im Allgemeinen ist es weniger schlimm, den herumspazierenden, als den sitzenden Freunden zwischen die Zähne zu gerathen, denn die Lästerung, welche sich jeder Bequemlichkeit erfreut, ist ohne Vergleich bösartiger, als die andre. Auch der Zustand des Magens hat viel dabei zu sagen: während einer schweren Verdauung ist man fürchterlich, dagegen tadelt man mit freundlicher Lehrergravität während der leichten Schläfrigkeit einer guten Chylusbildung. Von Hühneraugen gequälte Freunde sind sehr bösartig, bei jedem Stich stoßen sie ein Schimpfwort aus; Manche schlagen Euch ans Kreuz, so oft der Tag windig ist, noch Andre sind den Tag über nachsichtig und nur am Morgen, kurz nach dem Aufstehen, ohne Mitleid: ihr Magen kommt erst wieder in Ordnung, wenn sie ein Stück von der Reputation eines Freundes verzehrt haben.

Aber die wahre, die allgemeine, zügellose Lästerung kommt erst am Abend zu Stande, wenn Alle sich von den Mühen des Tages erholen, sich an den kleinen erlebten Verdrießlichkeiten rächen wollen: dann schmäht eine Hälfte des Menschengeschlechts die andre Hälfte. Wenn man in einer großen Stadt wie ein Adler umherfliegen, in alle Gesellschaften eindringen, das Ohr an alle Thüren legen, jede einzelne Stimme in dem ungeheuren Gesumme des gewaltigen menschlichen Bienenstocks unterscheiden könnte, so würde man finden, daß drei Viertheile der gehörten Reden Lästerungen sind, und daß drei Viertheile der Lästerungen von Freunden über Freunde ausgesprochen werden. Es ist leicht, am Abend auf den Straßen die zu erkennen, welche in diesem süßen Geschäft begriffen sind. Wenn man zwei anständige Leute von gewissem Alter in lebhafter Unterhaltung spazieren gehen sieht, wie sie mit ausgestrecktem Zeigefinger gestikuliren, sich häufig Zeichen des Beifalls geben, leise sprechend die Köpfe zusammenstecken, sich vorsichtig umsehen und in herzliches Lachen ausbrechen, dann kann man hundert gegen eins wetten, daß sie einen Freund durchhecheln.


Nirgends läßt sich übrigens die komische Seite des Lästerns so gut studiren, wie bei einem Gastmahl unter Freunden. Wie spaßhaft ist es, den Fortschritt zu verfolgen! Anfangs spricht man von allerlei Dingen; erst gegen die Mitte des Mahls fühlt man das Bedürfniß, einem abwesenden Freunde das Zeug zuzuschneiden; Alle tragen dazu bei. Die Zungen sind gelöst, die Geister erregt; man braucht mir einen Namen mitten auf den Tisch zu werfen, und Alle sind bereit, das Spiel zu eröffnen. Zu Anfang herrscht einige Zurückhaltung, die Lästerung beschränkt sich auf einen anständigen Witz, sie, kratzt, kneipt, sticht, giebt kleine Stöße, wirft den Freund mit einem gewissen Anstande hin und her, als wollte sie ihn nicht zu schnell abnutzen. Aber bei jedem Schluck Weins wird eine Rücksicht bei Seite gesetzt. Der Freund, welcher Anfangs »kein Adler« war, fängt jetzt an, von fern die Umrisse eines Saumthiers zu zeigen. Ein etwas zu grober Scherz eines Tischgenossen wird mit halb ernstem, halb spaßhaftem Murmeln der Mißbilligung aufgenommen, aber ein darauf folgender, nach schärferer, erregt nur herzliches Gelächter. Man geht zu biographischen Thatsachen über, Alle haben das klarste Gedächtniß und von ihren Lippen fließen wie von selbst tausend lächerliche, merkwürdige Einzelheiten, deren sie vorher nicht gedacht hatten. Die Lästerung vertieft sich, erhebt die Stimme, wird possenhaft; Jeder sucht die Aufmerksamkeit Aller für einen Augenblick zu fesseln, indem er immer kräftigere Ausdrücke gebraucht. Der Esel bekommt immer schärfere Umrisse, irgend Einer, durch zu schnelles Trinken erhitzt, zeichnet auf den Esel eine Schelmenfigur ein, und dann theilen sich die Lästerer in zwei Gruppen. Die Einen macht der Wein lustig; diese bleiben beim Spott, den sie nur allmählich verstärken; die Andern, die der Wein boshaft macht, gehen zu blutigen Schmähungen über, Beschimpfungen kreuzen sich mit Scherzen. Wenn eine neue Weinsorte ankommt, hört jeder Versuch eines Widerspruchs von Seiten der Gemäßigteren auf. Witze, Späße, unzarte Enthüllungen, Erfindungen, halbe Verläumdungen, Dinge, deren sich Alle im nüchternen Zustande schämen würden, Alles wird angenommen, mit dem Opfer wird über den Tisch hinweg Ball gespielt, wie mit einem Bündel Lumpen, mit Händeklatschen und Gelächter. Hie und da sondern sich Paare von Tischgenossen ab, welche mitten in dem allgemeinen Bachanal sich mit leiser Stimme Dinge sagen, die sie den Andern nicht haben beibringen können, sie bearbeiten ihren Mann insgeheim und suchen für sich selbst mit ihm ein Ende zu machen. Dann versammeln sich die Wüthendsten in einer Ecke des Saales und fangen wieder an, ernsthaft und weitläufig das zu erklären, was sie wahrend des Essens wegen des Gelächters nur haben andeuten können; an einer andern Stelle treffen sich die am meisten Angeheiterten, um unter Schluchzen die unterbrochenen Anekdoten zu Ende zu bringen. Bisweilen verlängert sich diese unmenschliche Mißhandlung eines Unglücklichen bis auf die Straßen, tief in der Nacht; man sieht lustige Freundesgruppen, mit geröthetem Gesicht, welches von einem seinen Mahl im Wirthshaus erzählt, langsam, laut schwatzend, vorüberziehen; bei einer Laterne bleiben sie stehen und belachen die Rede des Einen von ihnen, die unser Ohr nicht erreicht. Das war der letzte Keulenschlag, der Gnadenstoß, den die Gesellschaft einem gemeinschaftlichen Freunde versetzt, den sie seit mehreren Stunden gemartert hat. Wenn sie am folgenden Morgen erwachen, werden sie sagen: »In der That, gestern Abend sind wir etwas zu weit gegangen«, – sie werden sich ein wenig schämen – und das nächste Mal werden sie noch weiter gehen.

Welche reiche, kostbare Quelle des Lächerlichen würde uns ans einmal versiegen, wenn wir Alle von dieser Krankheit des Lästerns genesen sollten! Wie viele komische Scenen würden verloren gehen! Habt Ihr schon einmal vier Freunde gesehen, welche zwei und zwei spazieren gehen? Die zwei Hintersten reden schlecht von den beiden Vorausgehenden, und diese bezahlen sie in derselben Münze. Dann kombiniren sich die Paare auf andre Art, und nun verbindet sich Jeder mit dem neuen Nachbar, um den eben verlassenen Freund herunterzureißen, bis sich dann eine dritte Kombination bildet, wodurch Alle quitt werden. Dieser Fall ist sehr häufig. Und wenn in einer Versammlung von bösen Zungen spät Abends Keiner zuerst fortgehen will, aus Furcht, von den Zurückbleibenden in Stücke gerissen zu werden, und Jeder die Andern nach Hause begleiten will, so daß der Spaziergang sich zum Ärger Aller verlängert, bis Einer vorschlägt, Alle sollten Euch au derselben Stelle trennen und Jeder auf einem ander Wege nach Hause gehen? Und die hübsche stumme

Scene in einem Salon, wenn Jemand fortgeht nnd Alle sich ansehen und in ihren Blicken die Lust sichtbar wird, von ihm Übles zu sagen, wobei sie in den folgenden Minuten des Schweigens sein lächeln, und Jeder im Andern das Gefühl von Scham erräth, welches ihn hindert, sogleich anzufangen und zugleich die kindische Ungeduld, die ihn verzehrt? Und das unbeschreibliche Gesicht eines lästersüchtigen Freundes, wenn er in eine Unterhaltung gerade in dem Augenblicke geräth, wenn man eben ein Opfer abgethan hat, das ihm zuwider ist, wie er sich gierig vorwärts stürzt, zugleich ärgerlich über sein Zuspätkommen und befriedigt, daß er noch den Geruch der Zerstörung einathmen kann. Und welche hübsche Figur macht eine würdige Persönlichkeit, wenn sie bei einem Gastmahl eine feierliche Rede abliest, während ringsum die Gesichter der Gäste sich je zwei und zwei einander nähern, lächelnd, mit Spott in den Augen und auf den Lippen, bis am Ende der Rede Alle sich sammeln und in einen

Beifall ausbrechen, welcher tief aus Herzensgrund kam, wie die Zeitung am folgenden Tage sagen wird. Welch ein interessantes Augenspiel zwischen drei Freunden, wenn der Eine dazu kommt, wenn die andern Beiden gerade schlecht von ihm sprachen; diese erweisen sich dann ungewöhnlich liebenswürdig, werfen sich aber dabei funkelnde Blicke zu; er merkt Unrath uud weiß nicht, ob er in ihr Lachen einstimmen oder Jedem von ihnen einen Hieb versetzen soll. Und die edle Einfalt gewisser unverbesserlicher Lästerer, welche zehn Jahre lang gegen die ganze Welt das Kreuz gepredigt haben und plötzlich mit tiefer Verwunderung bemerken und mit Thränen in den Augen beklagen, daß sie Feinde haben!

 

Diese Einfalt ist sehr gewöhnlich und rührt daher, daß wir nicht genug davon überzeugt sind, daß die Freunde früher oder später sicher Alles wieder erfahren werden, was wir ihnen nachsagen. Wir selbst sind ihnen dazu behülflich; aus unserm Schweigen bei gewissen Anlässen, dem Ausdruck unsres Gesichts errathen sie ungefähr, in welchem Sinne, in Bezug auf welche Dinge wir von ihnen schlecht zu sprechen pflegen, und dadurch wird es ihnen leicht, sich von den andern Freunden unsre Lästerungen wiedersagen zu lassen, Sie brauchen sich gar nicht viel Mühe zu geben. Die aufrichtigen Freunde, wie ein Spaßvogel sagte, sind ausdrücklich dazu da, um uns mitzutheilen, was die zweifelhaften Freunde Böses von uns reden. Merkwürdig ist der Kreis, den diese Nachrichten durchlaufen, bis sie zu unsren Ohren gelangen. Bisweilen kommt eine in vierundzwanzig Stunden an, nachdem sie durch den Mund von zehn Personen gegangen ist, welche sich dieselbe ohne Unterbrechung überliefern, wie es die Maurer mit den Ziegelsteinen machen; und der Letzte überbringt sie uns noch rauchend. Andre Male durchläuft sie zehn andre Freunde, die sie Alle vergessen, bis auf Einen; dieser pökelt sie lange in sich ein, nimmt sie nicht selten mit in ferne Länder und trägt sie uns nach Jahren in einem ärgerlichen Augenblicke schon vertrocknet und verschimmelt auf.

Von andern Schmähungen erfahren wir, daß sie schon eine Weile umgelaufen sind, ehe sie zu uns gelangten; sie haben sich entfernt und wieder genähert, sind im Zickzack durch unbekannte Leute gegangen, sind mit der Post gereist, sind schon mehrmals untergegangen und wieder auf der Oberfläche erschienen. Ehe die Freunde sie uns zuflüstern, haben sie sie schon auf ihre Weise bearbeitet. Einige pfeffern sie, wenn sie ihnen nicht wohlschmeckend genug scheinen; wenn sie zu grob sind, werden sie in Pillen getheilt, die wir, eine nach der andern zu verschlucken haben. And die Art, wie sie uns die Sache mittheilen! Es giebt Eiferer, welche uns ausdrücklich aus einem entfernten Stadtviertel her einen Besuch machen, nachdem sie sich drei Monate lang nicht haben sehen lassen, und uns bei ihrem Eintritt küssen. Der Anfang ist fast immer derselbe: »Ich habe etwas gehört, das mir einen großen Verdruß verursacht hat.« Einige holen weit aus, damit es nicht scheine, als wären sie zu diesem Zweck gekommen, soweit, daß Ihr die Geschichte schon errathen habt, wenn sie noch mit unschuldiger Miene in der Irre herumschweifen; dann lassen sie den Schuß losgehen, unversehens, hin und her blickend, und einen Augenblick später sehen sie Euch flüchtig an. Häufig erzählt Euch ein Freund, was ein Andrer gesagt hat, nur um Euch durch einen fremden Mund mitzutheilen, was er selbst Euch sagen möchte, und räth Euch, darüber zu lachen; wenn Ihr aber wirklich aufrichtig darüber lacht, so giebt er Euch mit zusammengezogenen Lippen von ungefähr zu verstehen, in den Worten jenes Dritten liege wirklich etwas Wahres oder wenigstens Ernstes, und wenn nichts weiter, etwas Perfides. Natürlich haben Euch alle mit gezogenem Schwert vertheidigt und verlangen keinen Dank, mit gleichgültiger Miene, die kleinen Judasse, die – wir sind.

 

Jeder hat seine besondere Art, die Lästerung zu fühlen, welche dem Maße seines Stolzes, dem Grade seiner Erfahrung und der unbewußten Kenntniß seines Nächsten entspricht. Es giebt Originale, denen es Vergnügen macht, sich die Schlechtigkeiten erzählen zu lassen, die man ihnen nachsagt, die danach begierig sind, ihren Scherz damit zu treiben, wie mit Dingen, die sie nichts angehn, denn sie stellen sich die Sache so schlimm vor, daß jede Schmähung noch hinter ihrer Erwartung zurückbleibt, und sie immer noch dabei gewinnen. Andern dagegen raubt das Geringste, was sie wieder erfahren, ihre Ruhe; sie suchen dem ersten Ursprung des Geredes auf die Spur zu kommen, befragen alle Freunde, die davon gehört haben, rechtfertigen sich vor Jedem und mühen sich einen Monat lang, um die Wirkung eines Wortes aufzuheben. Es giebt auch Zornmüthige, welche um jeder Kleinigkeit willen ein Trauerspiel aufzuführen drohen, aber diese beruhigen sich gewöhnlich, wenn ihre erste Jugend vorüber ist, denn sie haben die Erfahrung gemacht, daß sie durch ihren Zorn die Lästerung nur ein wenig ferner von sich halten, daß sie dagegen, je mehr sie sich zurückzieht und vorsichtig wird, an Hartnäckigkeit und an Wohlgeschmack zunimmt. Aber fast Alle leiden wir lebhaft durch die üble Nachrede. Wir mögen immerhin auf das Schlimmste gefaßt sein, uns tausendmal die ungünstigsten Urtheile, den Spott, den man uns hinterbringt, vorgestellt haben, aber wenn wir sie mit bestimmten Worten aussprechen hören, kommen sie uns immer unerwartet. Wir waren auf Alles gefaßt, nur nicht auf dieses Einzige, das uns eben mitgetheilt wurde, ja wir waren auch auf dies vorbereitet, nur nicht gerade auf die besondern Ausdrücke, in denen es hinterbracht wurde. Nichtsdestoweniger, wie wir in Jahren vorrücken und täglich in Erfahrung bringen, wie wenig Gewicht die Menschen ihren Worten beilegen, mit welcher Leichtigkeit sie heute abläugnen, was sie gestern gesagt haben, aus welchen Gründen sie jeden Augenblick das Gegentheil von dem sagen, was sie denken, und wie oft wir Wohlwollen für einen Unbekannten fühlen, gerade weil wir fortwährend übel von ihm reden hören, so bekommen wir Alle zuletzt Schwielen gegen die Lästerungen unsrer Freunde. Ja wir haben Genuß davon, wie wir sie und uns selbst besser kennen lernen; kein psychologisches Studium ist nützlicher und ergötzlicher. Man muß versuchen, die besondere Art und Weise der Lästerung jedes seiner Freunde kennen zu lernen, nachzuforschen, welche Leute er mit Vorliebe mißhandelt, und welche Fehler er am strengsten verurtheilt, jeden Abend in der Gesellschaft darauf achten, von wieviel abwesenden Freunden man schlecht spricht, wie die Lästerung verfährt, welchen Theil ein Jeder daran nimmt, die Widersprüche, die daraus entstehen, die geheimen Gefühle, welche sie hervorbringen. Nach einer solchen Beobachtung von einigen Tagen bemerkt man unfehlbar, wenn die Gelegenheit sich darbietet, daß man auf dem Wege zur Gleichgültigkeit gegen das, was die Freunde von Einem sagen können, einen Fortschritt gemacht hat. Dem, welcher allzusehr von der Lästerung leidet, kann man nur einen Rath geben: sie zu studiren.

 

Der Gegenstand verdient es in der That. Das Feld ist unbegrenzt und man entdeckt darauf Wunderbares, unerwartete psychologische Fälle, welche einen Schatz werth sind und reichlich jeden Ärger ausgleichen. Man stelle sich einen braven Mann vor, welcher bei der ersten Nachricht von der Krankheit eines Freundes in dessen Haus eilt, sich als Krankenwärter an sein Bett setzt, ihn mit der Hingebung einer Mutter bedient, bis zu Thränen gerührt wird, unter der Bewunderung und den Segnungen der Familie drei Nächte nach einander wacht, und wenn er am dritten Tage ausgeht, um ein wenig Luft zu schöpfen, begegnet er irgend Einem und erzählt ihm, der Kranke sei ein Schmutzfinke und sein Haus eine Kloake, und noch einen Haufen ähnlicher Schlechtigkeiten: dann kehrt er zurück und pflegt den Freund mit derselben Zärtlichkeit, wie vorher. Nehmt einen Andern, der bei Euch gespeist und einen kleinen Rausch in Rheinwein davon getragen hat, der ihm tausend lyrische Freundschaftsschwüre entlockte; er geht hin und sagt: Ihr verschwendet unsinniger Weise Euer Geld, um den großen Herrn zu spielen. Ihr nähmt Euern Kindern das Brot aus dem Mund, und dabei erhitzt er sich und schreit, als ob Ihr ihn auch mit ruinirtet. Habt Ihr Euch niemals dabei ertappt, einen geheimen Fehler eines Freundes mit besonderer Schärfe zu verurtheilen, den Ihr allein entdeckt habt und aus dem einfachen Grunde genau kennt, weil auch Ihr ihn besitzt und den Fehler des Freundes an Eurem eignen Herzen studirt habt? Habt Ihr Euch wohl einmal unter zwanzig Personen befunden, welche vor einem Wirthshaus einem gemeinschaftlichen Freund erwarteten, den sie aus Freundschaft zu einem Ehrenmahl eingeladen haben: sie alle benutzen in Übereinstimmung die Verspätung des Freundes, um ihn auf abscheuliche Weise zu zerfleischen, ohne einen Schatten von Groll, blos um die Zeit angenehm hinzubringen. Es giebt keinen Widerspruch, keine Seltsamkeit oder Lächerlichkeit, die man nicht bei der Lästerung fände. Es giebt Leute, die dem Freunde alles Mögliche nachsagen, nur um einen Dritten zu ärgern, der darunter leidet, oder um einem Andern Vergnügen zu machen, dem sie gefallen wollen, oder um zu zeigen, daß sie diesen Freund nicht fürchten, der im Rufe eines zu fürchtenden Mannes steht. Andere giebt es, welche sich nicht das Vergnügen versagen wollen, von Jemand schlecht zu sprechen, dessen Lob sie gestern gesungen haben, wodurch sie frei bekennen, sie hätten ihn aus Heuchelei, aus Unwissenheit, aus Dummheit oder aus Interesse gelobt. Man findet Lästerer, bei denen das Laster der Schmähung so eingewurzelt und groß gewachsen ist, daß sie Gutes von irgend wem nicht nur nicht sagen, sondern nicht einmal mehr anhören können, selbst nicht über Leute, die sie gar nicht kennen. Sie grunzen, um zu protestiren, oder lächeln mit zweifelhafter Miene, wenn sie irgend ein Lob hören, komme es, von wem es wolle und sei es gerichtet, an wen es wolle. Es giebt alte, innige Freunde, welche seit Jahren zusammen leben, sich tausend Beweise von Freundschaft gegeben haben, und, wenn sie einen Tag von einander getrennt zubringen mußten, sich traurig und hülflos fühlen, wie der Blinde, der seinen Stab verloren hat, sich aber nicht den Rücken zukehren können, ohne von einander schlecht zu sprechen und jeden freien Augenblick benutzen, um sich in Gegenwart gemeinschaftlicher Freunde gegenseitig durchzuhecheln; diese sprechen dann schlecht von allen Beiden. Wie spaßhaft kommt Einem die Lästerung vor, wenn man an solche Erbärmlichkeiten denkt!

 

Trotz alledem geschieht es einem Jeden von Zeit zu Zeit, daß er eines Tags voll Ärger über die Schlechtigkeit und Bosheit seiner eignen Zunge nach Hause kommt und sich feierlich vornimmt, nie wieder von irgend Jemand schlecht zu sprechen. Wir haben uns den Zügel schießen lassen und sind so nach und nach, ohne es zu merken, zu einer solchen Possenhaftigkeit in der Kritik, dem Spott und der Verläumdung herabgestiegen, daß wir uns selbst hassen. Von Morgen an, sagen wir, wird aus unserm Munde kein böswilliges Wort über einen Freund mehr hervorgehen. Und am folgenden Tage bemühen wir uns, Wort zu halten. Wir Ärmsten! Wieviel schwerer ist die Ausführung, als wir dachten! Wir fühlen unsre Kraft gebrochen, die Unterhaltung gestaltet sich schwerfällig, bedeutungslos, kalt; unser Witz ist dahin; wir finden, daß wir nichts zu sagen haben, daß wir ein fader Gesellschafter sind und jeden Augenblick von der Unterhaltung der Freunde ausgeschlossen werden. Diese mühsame Anstrengung, die wir zu Gunsten Aller machen, scheint uns dann nach kurzer Zeit zu so zarten Rücksichten dun Seiten unsrer Freunde zu berechtigen, daß die erste Lästerung eines von ihnen, die uns zu Ohren kommt, uns erzürnt, wie eine monströse Undankbarkeit der ganzen Welt und uns in unserm Vorsatz wankend macht. Dann werden wir durch tausend unsichtbare Fäden zur Lästerung hingezogen. Wir fangen mit einem beistimmenden Lächeln über einen Witz an. Dann fügen wir den Worten eines Redners, dem wir zustimmen, etwas Beißendes hinzu; das scheint uns erlaubt. Da, mit einem Male, haben wir die Stücke von dem Felle eines Freundes in der Hand, ohne uns zu erinnern, wie wir angefangen haben, ihn abzuschlachten.

Wie können wir auch hoffen, in uns das Laster der üblen Nachrede auszurotten, wenn wir nicht zuvor die Eitelkeit, den Neid und die andern Leidenschaften fortschaffen, in denen sie wurzelt? Nach einem Versuche don wenigen Tagen empören sich die niedergedrückten Leidenschaften wieder und ersticken uns, und wir fühlen ein so wüthendes Bedürfniß, uns Luft zumachen, daß wir, in unser Zimmer eingeschlossen, gegen die Wände Schmähungen ausstoßen würden. Ach, es ist unmöglich auszuhalten, rufen wir endlich, fallen über den Ersten besten her und erholen uns in einer Stunde von den Entbehrungen und Qualen eines Monats. Die Lästerung ist sogar nützlich, sagen wir uns, sie ist die Censur der Freundschaft, sie macht uns auf unsre Fehler aufmerksam, straft unsre Ungehörigkeiten, zügelt unsre Eitelkeit, beruhigt unsern Zorn, mäßigt unsern Haß, färbt und erheitert unser Gespräch und schärft unsern Witz. Sie verderbt nicht, sondern reinigt das menschliche Herz, denn es gewährt schlechten Leidenschaften einen Abfluß, deren Aufenthalt darin es brandig machen würde. Durch solche Gründe aufgemuntert schreiten wir vorwärts und fahren fort, mit voller Lust die Striegel zu gebrauchen.


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