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Die Freundinnen.

Ich erinnere mich der regnerischen Nächte zur Zeit des Kriegs, wenn das Regiment, müde und schmutzig, bei einer Stadt vorbei marschirte und wir schwarze Schatten von Frauen am Fenster eines erleuchteten Salons stehen sahen: ich erinnerte mich immer jenes Ausspruchs von Jean Jacques, daß es eine Sehnsucht nach dem Weibe giebt, worein sich kein sinnlicher Gedanke mischt, die

Sehnsucht nach einem besondern, schwer zu erklärenden Vergnügen, welches wir in seiner Gesellschaft empfinden. Nach einem dreimonatlichen Feldzuge waren wir alle unsrer rohen, männlichen Freundschaft müde; wir bedurften einer Freundschaft mit sanfter Stimme und freundlichen Manieren. Welches auch unser Alter sein mochte, jeder hätte jene Damen um Erlaubniß

bitten mögen, eine Stunde bei ihnen bleiben zu dürfen, um sie sprechen zu hören, um ihnen tausend Dinge zu sagen, die wir seit drei Monaten Niemandem hatten sagen können: Gedanken und Gefühle, welche unter Männern sich nicht ausdrücken lassen, weil unter dem starken Geruch des Tabaks ihr Parfüm nicht wahrgenommen wird. Selbst manche alte Bäuerinnen, von wohlwollendem Aussehn, flößten uns diesen Wunsch ein, wir hielten uns mit Vergnügen in ihren armen, ungedielten Küchen auf, saßen auf einer Holzbank und hörten ihren einförmigen Reden zu, voll Mitleid für uns und voll Abscheu gegen den Krieg. Es waren grobe Stimmen und Reden unwissender Leute; aber es waren Stimmen und Worte von Frauen, Töne, durch eine süße, entfernte Harmonie gedämpft, in denen sich tausend Klänge vermischten von den Liedern, welche uns in der Wiege in Schlaf gesungen hatten, bis zu dem Schluchzen, welches bei unserm Abmarsch laut geworden war. Auch unter dem Zelt sagten sich Freunde, während das Lager im Schlaf lag, Worte voll Gefühl, aber die Art, wie diese armen Weiber unsere nassen Mäntel am Feuer ausbreiteten, der Ton, in dem sie uns nach unserer Familie fragten, drückte etwas aus, was keiner von uns auszudrücken vermochte und das doch für uns alle ein Bedürfniß war, sagen zu hören. Dabei dachten wir an gewisse Frauen in der Ferne, die wir früher Freundinnen genannt hatten, und dieser Name verschaffte uns eine neue, liebe Empfindung, nicht weniger lebhaft, aber ganz anders als die, welche in uns der einer Geliebten erweckt batte.

 

In den ersten Jahren fühlt man das Bedürfniß dieser Freundschaft nicht, es wird schnell durch das der Liebe verdeckt und erstickt. Wer erinnerte sich nickt seiner ersten Freundin? Wir konnten uns nicht lieben, weil wir beide gebunden waren, wir an ein leichtsinniges Mädchen, sie an einen (fünfzehnjährigen) Mann ohne Gefühl: aber da wir uns oft sahen, zwischen dichten Bäumen, und uns unsern Kummer vertrauten, so mußte Freundschaft entstehen. Liebe nicht – das wäre schändlich gewesen, so sagten wir beide, ganz ernsthaft. Aber wir waren Seelenfreunde, so daß wir keinen Augenblick zusammen sein konnten, ohne uns an den Händen zu ergreifen und in die Augen zu sehen. Wir errötheten allerdings ein wenig, wenn wir einander unversehens begegneten, aber bald beruhigten wir uns wieder und nahmen unsre ruhigen Gespräche wieder auf, wie verständige Freunde, die Schmerzen leiden müssen und Welterfahrung besitzen. Unsre Freundschaft suchte die Einsamkeit und liebte dichte Vegetation.

Ach, wir verstanden uns so gut! Auch wenn sie verheirathet sein würde und wir mit der, die wir liebten, verbunden wären, würden wir immer gute Freunde bleiben, nicht wahr? Wir würden uns immer Alles anvertrauen, wie damals; wir würden immer fest zusammen halten, auf dieselbe Weise, ohne Hintergedanken, wie Bruder und Schwester. Unterdessen suchte unsre unruhige Hand ihren kleinen Arm, am Ärmel aufwärts; aber was schadet das? Es war der Arm einer Freundin, und der Kopf, welcher sich einen Augenblick später auf ihre Schulter stützte, war der Kopf eines Bruders, und das Kochen, welches wir in unserm Blut fühlten, war das Kochen des Zorns gegen unsre untreuen Geliebten, der Unwille einer edlen Freundschaft, welche gemeine Seelen nicht kennen. Deswegen entfernten wie uns von einander, sobald das leisteste Geräusch von Schritten hörbar wurde, denn die Höhe gewisser Neigungen, so sagten wir, werde nicht von der Welt begriffen. Das wiederholten wir uns, sobald sich die Schritte entfernt hatten, indem wir uns gegenseitig die Haare hinter die Ohren strichen, und schwuren uns zu, in welche Entfernung uns auch das Schicksal schleudern sollte, sobald der eine von einem Unglück betroffen würde, so würde der Andre herbeieilen, ihm zu helfen, ihn zu trösten, ihm den Freundeskuß zu reichen, wie der, den wir in jenem Moment austauschten und welcher langsam von der Mitte der Stirn auf die Mitte des Mundes herabglitt. Das konnte man ja auch den Freundesküssen erlauben, wenn es wirklich eine aufrichtige, tiefe Freundschaft war.

 

Die ersten Freundinnen haben wir erst einige Jahre später gehabt, als wir zum ersten Mal das Haus verlassen hatten. Die Traurigkeit unsres einsamen Zimmers, der Gedanke an unsre ferne Mutter, die Melancholie, welche auf die ersten Freuden der Freiheit folgt, nach der wir so lange geseufzt hatten, führten uns oft zu gewissen alten Damen; wir fanden einen Trost in den Ermahnungen und Ratschlägen, die sie uns gaben, mit gewissen Modulationen der Stimme, jenen langsamen Handbewegungen, welche fast allen Müttern gemein sind, welche gewissermaßen die Universalsprache der Mutterliebe bilden. Und wir gewinnen diese Frauen lieb. Wir bringen bei ihnen viele ruhige Stunden mit zufriedenem Herzen zu, in Speisezimmern, welche uns an das in unserm Hause erinnern, an den Tischen, durch eine Lampe mit Lichtschirm erleuchtet und mit ganz denselben Gegenständen bedeckt, welche unsre Mutter jeden Abend in den Händen hatte. Bisweilen schwoll uns wohl das Herz bei dem Gedanken an den großen Zwischenraum von Land oder Meer, welcher uns von jenem andern Zimmer trennte, wo unsre treuste Freundin vielleicht in demselben Augenblicke arbeitete, während ihre Gedanken bei uns verweilten. Dann ergriffen wir wohl die Hände jener guten Frauen, baten sie uns, wohlzuwollen und nannten sie Freundinnen mit einer Stimme, welche sie rührte. – Aber diese Freundschaften dauerten bei uns nur so lange, wie das Heimweh. Neue Freunde, die Liebe, der Genuß der Freiheit

nahmen uns bald ganz in Beschlag; dann wurden unsre Besuche seltener aus Nachlässigkeit, und dann noch seltener, weil wir uns schämten, unsre Änderung sehen zu lassen. Zuletzt ließen wir uns gar nicht mehr sehen, um den Vorwurf der Undankbarkeit zu vermeiden, und suchten diese Erinnerungen zu vergessen, um uns von einem Gewissensbiß zu befreien.

 

In jenen Jahren besteht unser Ideal darin, eine junge und schöne Freundin zu besitzen; wir haben in vielen Büchern gelesen, daß die Sache möglich ist: eine schöne Freundin, der wir alle unsre Geheimnisse, alle unsre Schmerzen anvertrauen; schön, aber von eigenthümlicher Schönheit, welche dem Herzen gefällt, aber die Sinne nicht erregt, eine Freundin, die wir täglich sehen können, ruhig, allein, stundenlang; gütig, wie ein Engel, voll Verstand und Sanftmuth, wenn wir Trost bedürfen und vergnügt wie ein Kind, wenn wir glücklich sind, ein freimüthiges, vorurtheilsfreies, muthiges, beredtes Weib, welches die tiefsten Tiefen unsres Herzens kennt und uns seine innersten Gedanken enthüllt, während sie uns erlaubt, ihre kleine Hand zu liebkosen, alle Adern, Gelenke und Grübchen derselben zu küssen, ohne daß wir den Faden ihrer Rede verlieren, die wir anhören wie eine Musik, mit halbgeschlossenen Augen, bisweilen auf ihrem Fußbänkchen knieend, eine liebevolle Schwester, der

wir an gewissen Tagen Thränen entlocken, die wir an anderen in Zorn versetzen, die uns aber immer verzeiht, weil wir ihr von ganzer Seele ergeben sind, deren Ruf wir mit unserem Blut vertheidigen würden und deren Freundschaft unser Herz bildet, unser Leben veredelt.

Wieviel haben wir geträumt von solchen Freundinnen! Große, blasse Frauen mit großen Augen und lauter Stimme, welche uns mannhafte Ratschläge ertheilten; liebende, melancholische Mädchen, welche den Kopf an unsre Brust lehnten und weinten; schöne, launische, cholerische Brünetten, welche unsre Freundschaft nach und nach zähmte und sanft machte. Wir nannten uns tausend Mal mit ihrer Stimme: »mein Freund, mein guter Bruder« und träumten von Spaziergängen im Walde, fröhlichem Wiedersehen nach langer Abwesenheit, so traurigen, edlen, poetischen Abschiedsszenen, daß auch unsre Geliebte nicht darüber eifersüchtig werden konnte. Wir vermischten so in unsern Gedanken Liebe und Freundschaft, von denen die eine in unserm Leben einen leidenschaftlichen, gewaltigen Kreis einnehmen, die andere eine leise Begleitung, ein zartes, dauerndes Tremolo auf dem Violoncell bilden würde.

 

Träume. Nach wenigen Jahren nehmen wir wahr, daß wir geträumt hatten. Die Welt legt einer solchen Freundschaft mehr Hindernisse in den Weg als der Liebe, denn sie hält sie für eine heuchlerische Liebe ohne Leidenschaft und ohne Muth, und sie täuscht sich selten. Wenn man ein Weib liebt, braucht man keine junge Freundin, und wenn man kein andres Weib liebt, so verliebt man sich zuletzt in die Freundin. Es giebt keine Freundschaft ohne Sympathie, aber bei einer schönen, frischen Freundin ist die Sympathie nichts weiter als die geschlossene Knospe der Liebe. Ein Philosoph sagt: »Es ist weder Leidenschaft noch Freundschaft, es ist eine besondere Art Zuneigung«. »Ja, für so lange, als die Leidenschaft zum Entstehen braucht, und das ist nicht länger als die Zeit, welche die Freundschaft braucht, um innig zu werden. Ein andrer sagt: »Es ist nicht Liebe, es ist ein weniger stürmisches Gefühl; es ist nicht Freundschaft, es ist eine zartere Empfindung«. Welche Spitzfindigkeiten! Ist es nicht einfacher zu sagen, es sei eine zarte Liebe, ohne Ungestüm? Ja, die Illusion der Freundschaft dauert einige Zeit. Der Blick, welcher anfangs nur die Augen der Freundin sucht, fängt allmählich an, ihren Kopf zu umkreisen, schlingt ihr dann ein Perlenband um den Hals, steigt zwischen Ohrmuschel und Schulterkrümmung auf und ab und liebkost sie, wie eine zerstreute Hand, dann nimmt er das Maß zu hundert und aber hundert seinen seidenen Schärpen um ihren schlanken Leib. Von Tag zu Tag zerstreut sich der Geist immer mehr bei den Reden von guter Freundschaft, voll Verstand und Artigkeit, von denen ihm früher kein Wort entging. Alle Gedanken gleiten einen sanften Abhang hinab und verschmelzen in einen einzigen Gedanken, welcher zuerst entschlossen zurückgewiesen, dann aus Schwäche geduldet, dann gehegt, während sie spricht, schweigend genossen und unter dem Anschein tiefer Aufmerksamkeit verborgen wird, wie es die Knaben machen, wenn sie in der Schule Süßigkeiten genießen wollen. Dann kommen jene warmen Abende, wo auch die klarste Stimme sich zu verschleiern scheint; melancholische Stimmungen, mit schmachtenden Augen und Gesten; brüderliche Vertraulichkeiten, ins Haar geflüsterte Unterhaltungen, durch einen Veilchenstrauß gestört; zufälliges Zusammentreffen der Hände auf einem Buch; eine Versuchung, ein immer unterdrücktes und immer wiederkehrendes Bedürfniß, ein Band anzufassen, eine Falte zu glätten, die Fäden einer Franze zu entwirren, die Blumen in einer Spitze zu zählen, den Wohlgeruch eines Straußes einzuathmen.

 

Aber nein, die Freundschaft besteht noch; die Achtung kann sie noch lange zurückhalten. Es giebt Augenblicke, wo der Geist und die Augen sich plötzlich verdunkeln und die ganze Seele sich ungestüm erhebt, um der triumphirenden Stimme der Natur zu gehorchen, welche uns zuruft: »Liebe, nimm, verschlinge!« –- Aber es giebt auch unerwartete Blicke, welche ein so ruhiges und liebenswürdiges Vertrauen ausdrücken, und andre, welche einen so traurigen Verdacht oder eine so strenge Warnung bedeuten, daß bei ihrem ersten Erscheinen die Liebe in Verwirrung geräth und sich schnell wieder hinter der Freundschaft versteckt. Ach, an dem Tage, wo Ihr den Trost ihres Wortes suchen werdet mit einem tiefen Schmerz in der Seele, an diesem Tage, seid Ihr überzeugt, wird Eure Freundschaft durch keinen rebellischen Gedanken getrübt werden. Ihr findet sie gütig, wie immer. Euer Schmerz lockt Thränen aus ihren Augen und Trostworte von ihren Lippen. Was sie Euch sagt, wißt Ihr nicht. Es ist ein Frauenherz, welches singt und Euch tröstet. Sie zieht alle Dolchspitzen heraus, die man in Euer Herz gestoßen hat, eine nach der andern, mit der Geduld und Schonung einer Mutter, welche ihrem verwundeten Kinde Glassplitter aus der Hand zieht. Ihr seid im Herzen schon getröstet, aber die stolze Würde des betrübten Mannes widersteht noch. Und sie besiegt nach und nach Euren ganzen Widerstand, mit einer Stimme, welche alle Eure heitern Gedanken aus den Tiefen, wo sie verborgen lagen, erweckt und langsam zum Vorschein bringt. Und je tiefer die Neigung ist, desto mehr scheint sie aus ihren Augen und ihrem Munde in blauen Strahlen und goldnen Wellen, sanft und warm, auszuströmen, welche Euch umhüllen und liebkosen, wie hundert liebevolle Hände. Ah! Also besteht diese göttliche Freundschaft doch! Euer Herz fließt von einem Gefühl unendlicher Dankbarkeit über, Ihr werft Euch vor ihr auf die Kniee nieder, sagt es ihr mit gefalteten Händen, mit einer von Zärtlichkeit erstickten Stimme: sie ist eine Seele, so schön und gut, wie die Sonne; Ihr werdet immer ihr Freund, ihr Bruder, ihr Diener sein, werdet für sie Euer Blut, Euer Leben hingeben, da ... da ... erschallt ein Kuß, hell, wie ein Nachtigallenton, unwiderruflich, wie ein Beschluß des Schicksals.

 

Und dann . . was folgt dann weiter? Entweder wird der Nachtigallenton nicht verziehen, und dann ist Alles vorüber. Oder er wird mehr als verziehen, und dann verwandelt sich die Freundschaft in etwas Anderes. Oder er wird nur nach einem Sturm verziehen, unter der Bedingung, sich nie zu wiederholen – dann bleibt die Freundschaft am Leben, so gut sie kann, mit dem Klange jenes Kusses in den Ohren. Aber sie krankt an unheilbarem Fieber. Die Welt ist voll

solcher Freundschaften mit hundert und zwanzig Pulsschlägen in der Minute. Ein wenig Nachsicht von der einen Seite, ein wenig Klugheit von der andern können sie einige Zeit am Leben erhalten. Es ist eine durchsichtige Freundschaft, welche einer Liebe mit gebundenen Armen zur Hülle dient, eine sinnliche, verstellte Freundschaft, immer durstig und gereizt, welche von zufällig abgefallenen Brosamen lebt, die Freundin mit weit geöffneten Augen hütet und mit der Einbildungskraft an den die Formen verrathenden Kleidern haftet. Es ist eine Freundschaft mit tastenden, sich einbohrenden Blicken, welche ihre Lust in Reden, Lächeln, Gesten, Wohlgerüchen sucht; heute bittend, morgen grollend, oft grausam, wie eine Nervenkranke, durch gewaltsame Pläne unterbrochen, worauf Neue mit Traurigkeit und Ergebung folgt, und dann wieder zügellose Empörung der Phantasie. Diese Freundschaft zeigt von Zeit zu Zeit ungestüme, edle Gefühle und Ergüsse zarter Beredsamkeit; aber das sind nur Überfluthungen der Begierde, welche in ihrem Lauf aufgehalten und von ihrem Ziele zurückgedrängt werden, poetische Sinnestäuschungen, rhetorische Deklamationen des überreizten, leidenden Fleisches – eine Art Tantalusqual, mit der tollen Raffinirtheit des Lächerlichen, ein dummes, schmerzliches Spiel, und endet fast immer mit einer dauerhaften Freundschaft.

 

Nun wohl, höre ich sagen, die Freundschaft wird eher möglich sein, wenn die Freundin noch jung, aber möglichst unschön ist. Das ist gewiß. Aber ... » aguardate« heißt es in einem spanischen Lustspiel, » grande es la fuerza de la mujer«. Jeder Mann trägt in sich zehn Frauengestalten, die eine nach der andern erscheinen, in großen Zwischenräumen, und bisweilen ist es die zehnte, welche die Freundschaft irre führt und blind macht. Jeden Tag, sehr langsam, wird der Mund der guten, liebevollen Freundin ein wenig kleiner, das Oval des Gesichts rundet sich ab, gewisse harte Schulterlinien erweichen sich, gewisse Stellungen gewinnen einen Reiz, eine unbestimmte Idee von Anmuth, die Ihr erstaunt seid, nicht früher beobachtet zu haben, die Ihr am folgenden Tage nicht wiederfindet, aber bald von neuem bemerken werdet, und nun für die Dauer. Nach jeder Eurer langen fröhlichen und freundlichen Unterhaltungen kommt die Freundin Euren Blicken leicht verändert vor, wie von innen umgestaltet und durch ihre Gefühle verschönt. Es giebt Näschen, welche die Natur unschön gebildet hat, man braucht Jahre, um sie zu verbessern; aber zuletzt werden sie gerade und spitz. Gewisse zarte Regungen bringen dieselbe Wirkung hervor, wie der Finger des Künstlers auf eine zu dick skizzirte Anlage, welcher mit einem Schlag ein unangenehmes Kinn in ein gefälliges verwandeln kann. Ein witziger, zierlicher Gedanke, den die Freundin öfter zum Ausdruck bringt, erscheint uns endlich auf ihrem Gesicht unter dem Bild eines anmuthigen Males, welches ihr Lächeln verschönert. Bisweilen

bleibt ihr Gesicht, wie es ist; aber das Auge ändert sich, wird groß, tief, schwarz, sanft, mächtig, so daß man an der ganzen Person nur dies noch sieht; oder es ist die Stimme, welche nach langdauernder Freundschaft eine wunderbare Sanftheit, vielerlei neue Töne, einen geheimnißvollen Klang voll geheimer Liebkosungen, dunkler Verheißungen angenommen hat; Ihr hört aufmerksam zu, verwundert und gedankenvoll, ohne den Sinn der Rede zu verstehen. Und dann – eines schönen Tags – sucht Ihr die Freundin; sie ist nicht mehr da; es ist ein andres Weib – das Weib. – Ihr ruft die Freundschaft, da springt Euch der lockige, furchtbare Knabe entgegen, der schon seit einem Jahre hinter Eurem Rücken verborgen war.

 

Es giebt nur eine Freundschaft, welche von Dauer ist: wenn bei der Freundin der Sinn für das Lächerliche das Gefühl überwiegt. Wer hat es gesagt? Es ist wahr. Die Liebe fürchtet das spöttische Lachen, die Lustigkeit zerstreut die Versuchungen. Diese Art Freundschaft ist leicht zu schließen, sie macht in kurzer Zeit große Fortschritte, denn Vertraulichkeit entsteht ebenso schnell, wenn man zusammen lacht, als wenn man zusammen weint; beides sind tiefe Seelenäußerungen. Es schadet auch nichts, daß der Witz des Weibes, da ihm viele Dinge und viele Worte verboten sind, auf ein engeres Feld beschränkt ist, als der unsrige: wo er treffen kann, trifft er tiefer, denn er ist feiner zugespitzt, wie auch weibliche Hände die Nadel geschickter zu behandeln verstehen als männliche. Gewiß ist es ein großes Vergnügen, im Verborgenen mit der Freundin, in Gegenwart von Andern, über Dinge oder Personen zu lachen, über welche man nicht offen lachen darf. Wenn sie unter vier Augen die Stimme und die Gesten gemeinschaftlicher Bekannten nachahmt, so sieht man in der dreißigjährigen, schönen Frau die ehemalige unverbesserliche Schelmin aus der Schule wieder durchbrechen; dann funkeln die schönen Augen über einen glücklichen Witz, der Kopf biegt sich nach der Stuhllehne zurück, die biegsame Büste windet sich in Lachkrämpfen. Dies ist eine Art von Herrschaft, welche man für einige Augenblicke über ihre schöne Person gewinnt, ein Sieg der Rede, welche das Gemüth des Mannes beruhigt und sänftigt mit Befriedigung der Sinne. Und dann ist es etwas so Furchtbares, Gegenstand des spöttischen Lachens einer schönen Frau zu sein, daß es zugleich nützlich und angenehm ist, die Freiheit davon durch die Freundschaft zu erkaufen.

Doch diese Freundschaft hat ein kurzes Leben. Der Scherz wird unversehens giftig und sinkt zu liebenswürdig boshafter Verläumdung herab. Das Weib verliert dabei ihr Zartgefühl,

Ihr steht nur das Lächeln gut an; das gewöhnliche Lachen, das breite, komische Lachen entstellt ihr Herz und ihr Aussehen. Wenn eine gewisse Zeit verflossen ist, möchte man die Freundin bitten, nicht mehr zu lachen. Eine an Spott gewöhnte Freundschaft findet keine Worte mehr für die Zuneigung, wenn sie ihrer bedarf, und wagt nicht mehr, sie auszusprechen, aus Furcht vor dem eignen Lachen – sie hat nichts Weibliches mehr; sie gleicht einer Freundschaft unter Jünglingen, etwas weniger frei, nach der Schicklichkeit zugeschnitten; sie ist kein anmuthiges Ding mehr.

 

Da ist die »Gedanken«-Freundschaft, die Frau von viel Geist und Bildung. Bei dieser sollte die Bewunderung ihrer Intelligenz und der lebhafte Gedankenaustausch die Liebe verhindern. Aber ach! Entweder ist sie dem Manne sehr überlegen, und dann kann er ihr Geliebter, nicht ihr Freund sein, oder er ist ihr ungefähr gleich, und dann ist sie auf ihn eifersüchtig. Er nimmt vor der Frau eine Haltung an, wie vor der natürlichen Bewundrerin eines Triumphkranzes oder einer Löwenmähne, die er auf dem Haupt zu tragen glaubt; er entschließt sich nur schwer dazu, die Rollen umzutauschen. Bei gleichen Geistesgaben ist ihm die Frau überlegen. Unter andern Nachtheilen, welche er der Freundin gegenüber hat, ist auch die Artigkeit, welche ihm nicht erlaubt, alle seine Kampfmittel geltend zu machen; sie verbietet ihm die Heftigkeit, den Spott, die rücksichtslose Beredsamkeit und das schneidende Wort. Auf dem Felde der Empfindung kann er leicht der Frau den Sieg überlassen, denn es ist ihr Feld; aber die Niederlage, die er auf dem Felde des Gedankens erleidet, läßt seinen Stolz bluten. Lächelnd erträgt sie ein geistiger Riese, dem gegenüber die Frau, wie hoch auch ihre Begabung sein möge, nur ein Kind ist; aber in der Mehrzahl der Fälle hat die geistreiche Freundin das Übergewicht auf der Wage der Freundschaft. Der Freund wird durch den Widerspruch gereizt, es ermüdet ihn, eine fortwährende Geistesanstrengung machen zu müssen, um sich mit ihr auf gleicher Höhe zu erhalten, jeden Augenblick sich selbst bekennen müssen, es gehöre ein andres Gehirn und eine andre Beredsamkeit dazu, um seiner Eigenliebe, wie er gern möchte, jene kleine Rebellin mit den weißen Händen zu unterwerfen. Dann entsteht bei ihm leicht aus dieser Wuth des gefesselten Stolzes eine heftige Begierde, auf einem andern Felde das Übergewicht zu gewinnen, im Blute dieser Herrscherin Liebe zu entzünden, sie wenigstens auf diese Weise zu unterwerfen, ihr gedankenvolles Köpfchen zwischen beiden Händen leidenschaftlich zu pressen, mit den Lippen ein Siegel darauf zu drücken, diesen schrecklichen Mund, welcher im Streit strahlende, siegreiche Worte hervorschleudert und fortwährend das männliche Übergewicht zurückweist, durch Küsse zum Schweigen zu bringen. So dringt ihm allmählich die Liebe ins Herz, schleichend und glühend, voll physiologischer Neugierde, voll Pläne der Vergeltung und verfeinerter, seltsamer Einbildungen, so daß er lange schweigend dasitzt, ohne auf die glänzende Beweisführung seiner Freundin zu achten, die Augen auf die Spitze ihres Füßchens geheftet und die Lippe zwischen die Zähne geklemmt.

 

Es giebt noch eine andere Art von Freundschaft, die zarteste von allen, mehr als selbstverständlich angenommen, als deutlich ausgesprochen. In einzelnen Fällen, so selten, wie die Poesie im Leben, kann sie für einige Zeit zwischen einem eben aufblühenden Mädchen und einem Manne bestehen, der sich dem Alter der Reife nähert, wenn beide fein von Geist und edel von Gemüth sind. Es ist keine eigentliche Freundschaft, denn sie entbehrt der Freiheit, der Innigkeit, es ist ein Gefühl, das sich nicht mit einem Wort erklären läßt: aus verschiedenen Gründen bei Beiden fast gleich furchtsam, Niemandem mitgetheilt, denn es würde weder begriffen, noch geglaubt werden; zitternd und unbestimmt, wie ein in freier Luft, am hellen Tageslicht brennendes Flämmchen. Bei ihm kann sie entstehen aus Schmerz über eine frühere Liebe, bei ihr aus einer unbestimmten Ähnlichkeit, die sie zwischen dem Äußern dieser wohlwollenden Reife und einem geliebten Phantasiebilde aus früher Jugend findet; sie kann aus dem Schmerz um eine verlorene Tochter und der Liebe zu einem gestorbenen Vater hervorgehen, aus reiner künstlerischer Bewunderung der Schönheit und ehrerbietiger, unbewußter Sympathie für das Talent. Aber

damit vermischen sich noch andre Gefühle bei dem Freunde: zwischen den Blättern der noch halb geschlossenen Blüthe unbekannte Farbentöne zu entdecken; während seiner Bildung jenes schreckliche und anbetungswürdige Wesen zu studiren, welches in seinem Leben einen so großen Raum eingenommen hat; ein geheimes Mitleid mit dieser Jugend, welche die wilden Leidenschaften der Welt wie ihre Beute erwarten; ein neues Vergnügen, welches er darin findet, tausend Dinge verschweigen, seine Sprache wohl hüten und sich um tausend Hindernisse herum winden zu müssen, welche plötzlich vor ihm auftauchen. Mitten in der Zärtlichkeit einer fast väterlichen Zuneigung erscheint wohl unversehens eine bittere Sehnsucht nach den entflohenen, schönen Jahren, steigen ungestüme Begierden auf, welche mit einer Art wüthenden Vergnügens heftig unterdrückt werden, stellen sich dem Geiste unendliche theure Erinnerungen dar, welche ihm, wie zum ersten Male, das Geheimniß der menschlichen Natur vorführen. So entzündet sich für kurze Zeit längst verflogene Begeisterung, aufgegebener Ehrgeiz von neuem, dem er sich wieder hingeben, mit dem er sich wieder berauschen möchte, um sich eine zweite Jugend zu schaffen. Aber er gewinnt den Frieden des Gemüths wieder, müde und unzufrieden auch mit dieser Freundschaft, wie mit einem schönen, sentimentalen Romane, welcher von dem wirklichen Leben allzusehr abweicht.

 

Nein, es giebt nur eine Freundin für den Mann, die Freundin mit weißen Haaren, vor welcher der Geist vollkommen frei und die Sinne vollkommen ruhig sind: das ist das Ideal. Eine alte Freundin, welche in ihrem Alter die Anmuth bewahrt hat und ich weiß nicht was im Grunde ihrer Augen, in der Bewegung der Lippen, das uns erlaubt, uns ein undeutliches Bild ihres einst schönen, lebhaften Gesichts zu bilden; eine heitere, aber starke Natur, welche im edlen Sinne alle Gefühle gekannt hat, welterfahren, ohne Zweifelsucht, gütig, aber mit leicht humoristischer Ader: seine Kennerin zarter Empfindungen; witzige Erzählerin anmuthiger Anekdoten; reich an schönen Erinnerungen an vergangene Freundschaften und Ereignisse, welche von dem Freunde mehr Herzlichkeit, als Verehrung beansprucht, mit ihm wieder jung wird, die, wenn er lacht, zur Schwester, wenn er leidet, zur Mutter wird, beim Scherzen Meisterin der

Anmuth, im ernsten Gespräch Meisterin des gesunden Urtheils ist.

Ach, welche eine edle Freundin, die Alles begreift, Alles fühlt, tausend Dinge sagt, ohne sie auszusprechen, uns die Hand aufs Haupt legt, wenn wir das Gesicht in den Händen verbergen und schluchzend den Kummer über getäuschten Ehrgeiz, die Verzweiflung über verrathene Liebe bekennen, und uns Ergebung, Vergessen, Arbeit, Vertrauen auf die beruhigende Macht der Zeit mit feierlicher, sanfter Stimme anräth, welche aus dem Grabe unsrer guten, verlorenen Mutter zu kommen scheint. Gesegnete Abende bringen wir bei ihr zu, die durch Thränen lächelt, wo wir gemeinschaftlich zerstreute oder gebrochene Hoffnungen aufsammeln und neu ordnen, eine neue Zukunft vorzeichnen, wobei wir in unsrer kräftigen, warmen Jünglingshand ihre kleine, abgemagerte Hand halten, die uns in diesem Augenblick theurer ist, als die einer Geliebten, verehrt wie die einer Heiligen. Welch eine gute, schöne Freundschaft, welche uns Liebe zur Vergangenheit einflößt, so daß wir mit Gefühl von unsern Todten sprechen, unsre Gedanken über das Sinnliche erhebt und uns an ein langes, fleckenloses Leben und ein heiliges Alter glauben läßt. Theure Freundin, unvergeßliche Freundin, der unsere Jugend soviele schöne Stunden der Sammlung und des fruchtbaren Stillschweigens der Leidenschaften und der Erhebung des Gedankens verdankt!

 

Aber ist denn eine warme, lebhafte Freundschaft, von dem jugendlichen Hauche des Weibes bewegt, durchaus nicht möglich? Ja; es giebt eine Freundin, mit welcher eine solche Freundschaft bestehen kann, eine Freundin, welche in jene Periode des Lebens eingetreten ist, wo das verführerische Alter noch nicht ganz vorüber ist und das nicht verführerische schon eingetreten zu sein scheint. Im Äußern hat sie noch Einiges von dem ersten, im Gemüth aber hat sie sich schon dem zweiten gefügt, mit einer gewissen sanften, melancholischen Ergebung, wie gewisse Sonnenuntergänge im Herbst, wo eine große, unbewegliche, rosenrothe Wolke mit ihrem schönen Widerschein die einsame Landschaft erleuchtet. In ihrem Denken und ihrer Stimme ist schon etwas Mütterliches, Ernstes; aber durch ihr Herz zieht noch ein Hauch, durch ihre Augen ein Schimmer aus der schönen Zeit, welche bisweilen auf Stunden, andre Male nur auf wenige Augenblicke ihren Blick, ihr Antlitz, ihre Stimme umwandeln und den Freund plötzlich zum Schweigen bringen. Erstaunt wie bei dem Anblick einer Maske, ist er fast in Versuchung, ihr zuzurufen: »Bleibe so, theure Freundin!« Nun wohl, wenn die Freundschaft in leichten Schlaf versunken scheint, wird sie durch solche plötzliche Rückkehr der Jugend aufgerüttelt, wie von einer Welle scharfen Wohlgeruchs, und wenn nach dieser Erschütterung die Gefühle des Freundes eine andere Wendung machen wollen – dann ist die Welle vorüber. So dauert diese Freundschaft, ruhig und lebhaft, bisweilen durch ein Zittern erregt und von flüchtiger Röthe gefärbt, eine Freundschaft voll unaussprechlich zarter Genüsse der Einbildungskraft und des Herzens, mit verschiedenen sanften Empfindungen gemischt, welche in einander übergehen, wie die Strahlen des Prismas, und sich vermischen, wenn man sie genau betrachtet; eine Freundschaft, die sich in Blick und Stimme, im Händedruck zeigt und eine ihr eigne, weniger als brüderliche, mehr als freundschaftliche Vertraulichkeit

erzeugt, achtungsvoll dem Gefühl nach, fast verliebt im Anschein, frei und gezügelt zugleich, für Beide ein lieber Gegenstand für wunderliche Gedanken und ein heimliches Lächeln.

 

Ja, das ist eine Freundschaft, welche das Herz erweitert und verjüngt, eine Süßigkeit und eine Kraft für das Leben. Ohne die Liebe unsrer Freundin zu suchen, thun wir Alles, um sie hervorzurufen. Es ist nicht Eitelkeit, es ist ein unwiderstehliches Bedürfniß, ihr zu gefallen und ihre Zuneigung zu gewinnen. Alle unsre Fähigkeiten erwachen und gerathen in Thätigkeit. Ohne es selbst zu wissen, sänftigen wir die Rauhheit unsrer Stimme, wir pflegen die Aussprache, veredeln die Gesten, sänftigen das Lächeln, wählen die Worte; mit wunderbarer Schnelligkeit holen wir aus den Tiefen des Gedächtnisses und des Herzens Alles hervor, was frisch und liebenswürdig erscheint, die Gedanken strömen uns hastig aus dem erregten Geiste hervor, und die Rede fließt leicht und bunt dahin, wie ein Bach, welcher das blumige Ufer widerspiegelt. Wer kann das wiederholen, was man in solchen köstlichen Stunden spricht, welche wie Minuten verfliegen, in solchen Unterhaltungen, immer voll und warm, von tausend Gefühlen durchkreuzt, auf tausend Dinge ausgedehnt, tausendmal abgeschnitten und wiederbegonnen, hie und da durch ein Schweigen, welches angenehmer ist als das Reden, von einem unvorhergesehenen Hindernisse unterbrochen, melancholisch, scherzhaft, phantastisch, zügellos, durch verstohlene Thränen benetzt, durch leidenschaftlichen Streit erregt, innig wie Beichten, heiter wie Feste, undeutlich wie Träume? Mit unsern Freunden tauschen wir nur die Münzen des Gefühls aus; mit jener Freundin tauschen wir Perlen; Alles, was die Welt kindisch nennt und was doch die lebendigsten Fasern unsres Herzens berührt; Alles, was der Mann sich schämt, dem Manne zu sagen; eine seltsame, weitläufige, traurige Mischung von Familienerinnerungen, Kindheitseindrücken, religiösen Verzagtheiten, Erbietungen zur Aufopferung, Liebesphantasien, verlorene Hoffnungen, Gewissensbisse, Freuden und Thorheiten aus der Kinderzeit, die wir eifersüchtig vor der männlichen Freundschaft verbergen und die nur ein Weib begreift. O gewiß, von den aufrichtigsten, beredtesten, zierlichsten Worten, welche je aus dem männlichen Munde geflossen sind, wurde ein sehr großer Theil von ihren Freundinnen gesagt oder zu Freundinnen, deren Jugend dahinschwand und noch zuweilen auf ihr sanftes, trauriges Gesicht einen Strahl warf, der die Freundschaft durch Liebe verschönte.

 

Und wie viele Dinge lernt man! » L'homme est toujours un homme, c'est à dire, un peu butor« sagt ein französischer Dichter. Der liebenswürdigste Mann wird noch von einer liebenswürdigen Frau abgeschliffen. Tausend Härten und Gemeinheiten, die er nie an sich bemerkt hat, werden ihm täglich durch eine leichte Wolke, welche über die Stirn der Freundin zieht, wie der Schatten einer vorüberfliegenden Schwalbe, oder durch eine fast unmerkliche Bewegung ihres Kopfs, wie das Zittern eines Blattes, bemerklich gemacht. Lange Zeit hindurch wird seine Eigenliebe kleine schmerzhafte Stiche erleiden müssen. Er wird zuerst nicht zugeben wollen, aber bald wider Willen eingestehen müssen, daß in jedem Gefühl, in jedem Gedanken die Freundin etwas entdeckt, wie die versteckte Fuge eines Schlosses, was er niemals zuerst auffindet. Ihre Welterfahrung ist weniger weit als die seinige, aber innerhalb ihres eigenen Kreises schärfer und vollständiger. Über tausend Dinge hat sie eifriger und klarer nachgedacht, als er, während der langen Stunden des Stickens. Wie die Hand eines Kindes mit Leichtigkeit die kleinen Knoten löst, an dem die groben Finger des Mannes die Geduld verlieren, so löst die Feinheit ihres Gedankens beim ersten Versuch ganz leicht eine Menge von zarten Problemen des Herzens, um welche der Freund sich mit den mächtigen Werkzeugen seines Verstandes vergebens bemüht. Ihre Macht liegt nicht so sehr in dem, was sie sagt, als in dem, was sie uns durch auf den Lippen stockende Worte, durch den unendlich beweglichen Ausdruck ihres Lächelns zu verstehen giebt.

Sie spricht fast immer besser als er, mit wunderbarem Gefühl für die Bedeutung jedes Wortes, mit angeborener, verehrungswürdiger Kunst, den Vorwurf zu lindern, das Lob zu würzen, den Scherz anmuthig, die Bitte wechselvoll, die Erzählung farbenreich, den Gruß werthvoll zu machen. Erst nach langer Zeit bemerkt der Freund den wohlthätigen Einfluß, den sie auf ihn ausübt, unter seinen eignen Besitzthümern findet er einen Schatz von Gefühlen und Gedanken, die nicht aus seiner eignen Seele stammen; er fragt sich, woher sie kommen und unterwirft sie einer Prüfung. Dann sammeln, ordnen sie sich und reihen sich an einander und bilden wie einen Wohlklang in seinem Herzen: und dieser Wohlklang ist ihre Stimme.

 

Liebe, gute Freundinnen, denen wir so oft mit Undank vergelten. Der freundliche Zwang, den sie uns auflegen, ermüdet uns; das gereizte Thier zerreißt den seidenen Zügel und stürzt sich wieder brüllend dahin, wohin es der Instinkt der Freiheit und der Unordnung treibt. Aber es ist schwer, daß dieses Verlassen lange dauern sollte. Eines Tags erfaßt uns unendlicher Widerwille gegen die eitlen und leeren Freundschaften, die elenden Lästerungen, die ewigen dummen, schmutzigen Reden, welche das Herz vor Unmuth schwellen lassen; ganz unversehens, muten in einer elenden Orgie, in einem jener Augenblicke, wo eine plötzliche Reue in uns den Wunsch erregt, alles mit einem Fußtritt in die Luft schleudern zu können, erscheint uns das Bild der Freundin von fern mit ausgestreckter Hand, mit unwiderstehlich gütigem, melancholischem Lächeln in den Augen. Dann kehren wir zu ihr zurück, das Gehirn noch umnebelt und durchsetzt mit unedlen Gedanken; und nach und nach, unter den musikalischen Liebkosungen ihrer Stimme, hellt sich der Geist wieder auf, das Herz weitet sich aus, das Kind erwacht, die edle Männlichkeit erhebt sich wieder.

Wie ekelt uns dann die elende Schwäche an, um derentwillen wir so leicht gemein mit den Gemeinen, pessimistisch mit den Traurigen werden, und all der Schmutz, in dein wir fern von ihr wühlen, ohne daß sie es weiß oder nur ahnt. Wir fühlen ein süßes Vergnügen, wie nach der Rückkehr von einer Reise, das Buch an derselben Stelle wieder aufzuschlagen, wo wir es verlassen haben, alle die kleinen Gegenstände auf ihrem Tischchen einen nach dem andern wieder zu berühren, die wir so oft in schweigender Gemüthsbewegung zwischen den Fingern gedreht haben, unsre gute Freundin vom Kopf zu den Füßen zu betrachten, sie hundertmal mit dankbaren Blicken zu liebkosen und zu umfassen, wie um sie wieder in Besitz zu nehmen. Während sie fortfährt zu sprechen, drängen sich in unsrer Erinnerung alle Wohlthaten ihrer Freundschaft zusammen, ihre liebevollen Rathschläge, ihre schwesterlichen Vorwürfe, die langen Abende, die sie aufwendete, um uns in einer Betrübniß zu trösten, die traurigen Tage, an denen sie uns umsonst erwartet hat, unsre Härten, ihre Schmerzen und Verzeihungen: dann bricht die Zuneigung wie eine Woge aus unserm Herzen hervor, und wenn wir nichts andres fassen können, ergreifen wir mit beiden Händen den Saum ihres Schürzchens und füllen es ihr mit heißen Küssen und schönen Worten an, bis uns der Athem ausgeht ...

 

Aber solche – wahre Freundschaften sind in der Welt nicht häufiger als die wahre Liebe. Die meisten von ihnen gleichen einer kleinen, schlecht aufgeführten Komödie. Wer wird wohl ein Buch über die »Freunde der Frauen« schreiben? Sie sind so mannigfaltig und so merkwürdig! Da ist der Weiberheld, der Verehrer des Unterrocks, welcher nicht einmal Freundschaft verlangt und fortwährend in frömmelnde Betrachtung versunken ist; er ist schon zufrieden, wenn er dieselbe Luft einathmen darf, wie sie; er spielt die Rolle des Bedienten und der Hauskatze, mit gekrümmtem Rücken und halbgeschlossenen Augen. Da ist der Spiritualist, Destillateur zarter Empfindungen, welcher seine Freundschaft für die Frau in solcher Höhe hält, wie er sagt, daß ihn die gebildetsten unter seinen Freunden nicht einmal mit den Gedanken erreichen können; ferner der Eitle, welcher vertraute Freundschaft mit Frauen aufsucht mit dein einzigen Zweck, daß man sie für Liebesverhältnisse halten soll, was er jedoch mit einem Zartgefühl, für welches er Bewunderung beansprucht, hartnäckig leugnet; dann der Wollüstige, welcher in solchen Freundschaften cm auserlesenes Reizmittel für Begierden sucht, die er auf nicht sehr seine Art anderwärts befriedigt; der Erschöpfte, der nur noch den Freund der Frauen spielen kann, wie ein heiser gewordener Sänger sich darauf beschränkt, die Aussprache zu lehren; ein meistens sehr argwöhnischer Freund, welcher nicht den geringsten Scherz über die Reinheit seiner Freundschaft oder die Tugend seiner Freundin erlaubt; der Professorfreund, der Akademiker der Unterhaltung, welcher leichte Bewundrerinnen braucht, um ihnen in näselndem Tone seine Lehren feilzubieten, welche die Männer bestreiten oder sich weigern zu verschlucken. – Da ist auch ein sehr spaßhafter Typus, ein guter Bursche, etwas ungeschliffen und etwas einfältig, mit offenherziger Liebe zum eleganten Leben, mit Apostelhänden, welche ihm die Handschuhe sprengen, nach den Wohlgerüchen eines Vorstadtbarbiers duftend. Dieser sucht die Freundschaft der Frauen, denn er hat gelesen, daß sie »die Manieren bilden«. Dann kommen allerlei alte Männer. Der süße, ehrwürdige Freund, welchem Großvaterliebkosungen erlaubt sind, die er aber mit heimlichem Enkelvergnügen verrichtet; der Einbildungssünder, welcher sich am Widerschein fremder Liebe wieder erwärmt, der strenge Freund, Wächter über die Ehre des Hauses, welcher mit Inquisitorenaugen die jugendlichen Freunde überwacht, in deren Haut er sich befinden möchte; der alte, feurige, liebenswürdige Freund, welcher unter einer im Grunde aufrichtigen Freundschaft eine kleine Absicht von Galanterie ohne Ansprüche und ohne Hoffnung einschmuggeln möchte, welche als eine erlaubte Form der Höflichkeit gütig aufgenommen wird; und endlich der wahre Freund, der alte Freund der Damen, edel an Gesinnung und Sprache, ergeben im Unglück, liebevoll und treu bis zur letzten Stunde des Lebens. Vielleicht ist der Ausspruch wahr, man könne nur in dem Alter ein wahrer, vollkommener Freund einer Frau sein, wo man sich nicht mehr um die eigne Person kümmert und aufrichtig darauf verzichtet, Liebe einflößen zu wollen.

 

Nur eine Freundschaft wird jungen Leuten leicht und ist nicht viel weniger schön als die Liebe: die mit entfernten Freundinnen. Ihre Bilder sind poetischer als ihre Personen, ihre geschriebenen Worte lieblicher als die gesprochenen; aber sie können Liebe wecken, ohne die Freundschaft zu zerstören. Der Kuß der Liebe, den wir in einem erregten Augenblicke auf ihren Brief drücken, stört unsre Freundschaft nicht; sie fühlt ihn nur aus der liebevollen Lebhaftigkeit der Antwort heraus. Die Begierden, welche uns die Freundin sonst durch ihre Gegenwart einflößte, entzünden sich oft von neuem; aber da man nur die Einbildung vor sich sieht, verwandeln sie sich zuletzt und gehen in zarte Gefühle über. Die Entfernung ist wie ein weißer, durchsichtiger Schleier, welcher ihre Person in ein liebliches Geheimniß hüllt und in uns ein gewisses Gefühl von träumerischer Neugierde wach hält, welches dem Herzen angenehmer ist, als die frühere Vertraulichkeit. Die Feder kann Liebkosungen wagen, welche der Hand versagt werden. Die Frauen schreiben viel besser als wir, wohltönende, leichte Briefe, in denen der Gedanke kaum sichtbar wird und zu fliehen scheint, als wollte er den unsern zur Verfolgung auffordern. Man fühlt

darin den Duft von nicht deutlich ausgedrückten Empfindungen, welche man zwischen den Zeilen aufsuchen muß, wie Veilchen zwischen den Blättern, und kleine Auslassungen verursachen uns langes Nachdenken, wie unartikulirte Töne, welche einem Liebenden im Traume entschlüpfen. Mit welcher Ungeduld zerreißt man das Couvert an traurigen Tagen, wenn wir der erzwungenen, gewöhnlichen Tröstungen unserer Umgebung müde sind, und wie wohl thut unserm Herzen das ungewöhnliche Zittern der feinen Schriftzüge, welche uns sogleich sagen: sie hat geweint! Süße, liebkosende Briefe, welche den Schmerz besänftigen, wie der Gesang einer Mutter, Worte aus einer unbeschreiblichen Sprache, welche der Mann versteht, aber nicht spricht; Murmeln der Seele, welches die Musik allein den Sinnen übersetzen kann. – Aber die Jahre vergehen, die Briefe werden seltener und trauriger, die Freundin wird uns durch die Liebe, die Familie, den Zufall entzogen – aber niemals dem Gedächtniß. Dieses bleibt wie ein sanfter Glanz der Poesie in unserm Leben; Briefe von Freundinnen werden nicht verbrannt, wie solche von Geliebten; die rothen Wolken ziehen vorüber, aber der blaue Himmel bleibt zurück.

 

Wenn jeder von uns die Geschichte seiner weiblichen Freundschaften erzählen sollte, die ein übles Ende genommen haben! Denkt einen Augenblick daran und vor Eurem Geiste wird das Inhaltsregister eines halb ernsthaften Romans aufsteigen, der Aufsehen machen würde: Reine Freundschaften, welche heimlich, wie eine lange unterirdische Lunte, Monate und Jahre lang fortgeglimmt haben und plötzlich, wie ein Haufen Pulver, zu einer wüthenden Liebe explodirt sind, worüber der Freund und die Freundin, wie über ein psychologisches Wunder, in großes Erstaunen geriethen; welke, dumme Freundschaften, wie Schimmel auf dem Stamme einer vermoderten Liebe und dann von Beiden mit Verachtung abgebrochen; poetisch- dramatische Freundschaften von der nachgemachten Art, einige Zeit ernsthaft unterhalten und dann eines schönen Tages in schallendem Gelächter zu Ende gebracht; heitere, schöne Freundschaften, welche unsre ungeduldige Jugend plötzlich durch eine zornige Beleidigung zerstört hat; zweideutige, abwechselnd geistige und sündhafte Freundschaften, die sich nach gewissen Gesetzen aus der andern Welt richten, welche jedoch, je nach dem Nervenzustand, fortwährend verletzt und wieder heraufbeschworen werden; Freundinnen, die man sieben Tage lang wie höhere Wesen verehrt und dann wie Puppen wegwirft, wenn sich das erste Loch zeigt, aus welchem das im Leibe enthaltene Sägemehl ausfließt. Dazu kommt noch eine komische, widerliche Prozession von Ehemännern, welche von

unsern psychologischen Zuständen wenig überzeugt sind, Freundinnen der Freundin, noch weniger Überzeugt als der Gatte, und Rivalen, die am allerwenigsten überzeugt sind, Spötter, Spione und Spielverderber jeder Art, welche unsre Freundschaft stürmischer machen, als die Liebe.

Nein, eine wirkliche Freundschaft zwischen Mann und Weib in dem Alter, wo man noch an Liebe glaubt, ist nur ein Zufall; sie verlangt von beiden Seiten solche Verhältnisse der Gemüthsart, der Familie und des Lebens, daß sie nicht viel leichter vereint zu finden sind, als die, welche zwei künstlerische Geister finden müssen, um gemeinschaftlich an demselben Kunstwerke arbeiten zu können. Wenige Männer haben solche Freundschaften gehabt. Wohl ihnen! Denn sie hinterlassen dem, der sie einmal besessen hat, einen unverlöschbaren Abdruck von Zartgefühl, von dem man noch unter dem Schmutz der gemeinsten Leidenschaften und unter den Trümmern der Ehre Spuren findet.


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