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Dreizehntes Kapitel.

Eine Stiege unter den Gemächern, welche so hell flimmerten, brannten nur ein Paar dünne Lichter auf Drahtleuchtern; auch die Kienfackel an der Wand über dem Spundfaß warf nur ungewisse Schlaglichter in die Räume des Ratskellers. Der Jubel von oben dröhnte dagegen durch die dicken Gewölbe und machte bisweilen die Bürger aufschrecken, die in den Winkeln, das Kinn auf den Armen und die Kanne vor sich, eifrige Rede wechselten.

Es ging sonst laut hier zu, lauter oft als oben, aber heut war es still. Man zischelte sich viel zu, und die Augen und die Fäuste, auf den Tisch getrumpft, begleiteten ausdrucksvoll die Reden; doch sah man's ihnen an, sie verhielten sich's, was sonst wohl jach rausbrach. Die Bürgerglocke hatte längst geschlagen, und einer entfernte sich jetzt nach dem andern. Die meisten drückten sich die Hände, auch wohl dem Wirte, der, über das Faß gelehnt, den Gehenden zunickte, und bewegte sich nicht aus seiner Stellung. Seine Gesellschaft gehörte nicht zu den schlechtesten! aber sehr vergnügt, als es wohl zu sein pflegte und es eines guten Wirtes Freude ist, sahen heut die wenigsten aus; und so schlichen sie auch fort.

Es waren nur noch ihrer zwei in einer Ecke sitzen geblieben. Der eine war Bartz Kuhlemey, der Meister von den Knochenhauern. Der lachte etwas spöttisch auf und knipste mit den Fingern: »Ein lieber Mann, der Matthis Blankenfelde!«

»Weist mir einen von den Stolzen, der zu den Gemeinen so artig spricht,« entgegnete der andere, dem man's ansah, daß er kein Knochenhauer war, sondern ein Schneider. »Er grüßt und geht unter uns, als wären wir seinesgleichen.«

»Puh!« Bartz Kuhlemey blies die Luft von sich.

»In den Morgensprachen redet er von der Kehle weg, und läßt so reden, und hört jeden an, wie's in seiner Zunft sonst geschieht.«

»Er weiß, daß er Schneider vor sich hat.«

»Freilich, den Knochenhauern muß man aufs Fell brennen, daß sie's verstehn.«

»Wer wurde denn unmächtig, als Herr Johannes ein grimmig Gesicht schnitt?«

»Wer lief denn vor 'nem tollen Ochsen? Und wer war der Ochs dabei?«

Der Schlächtermeister lachte: »Was zanken, wir sind ja noch nicht im Rate.«

»Ich sage Euch, Meister,« fuhr der Schneider fort, »man muß die uns freund sind, nicht vor den Kopf stoßen. Er meint es gut mit der Gemeinschaft.«

»Will durch sie erster Bürgermeister werden.«

»Aber mit Art muß man's anfangen.«

»Nichts mit Art!« trumpfte der Schlächter auf. »Mit Art haben wir's verdorben. Mit Art haben sie uns runter gebracht. Ich sage Euch, die Stolzen sind einer als der andere. Ihr könnt sie rot und grün und gelb ausfüttern, drinnen bleiben sie schwarz. halt's Maul, Zademack, keiner von ihnen hat ein Herz für uns, sag' ich Dir. Wenn sie mit uns sich gemein machen, spielen sie Affe und Katze; mit unseren Pfoten holen sie aus dem Feuer, wonach sie lüstet. Weiter ist's nichts!«

Der Wirt, der dem Gespräche aus der Ferne aufmerksam zugehört, war jetzt, als ihn die Pflicht zu keinen anderen Gästen rief, näher getreten: »Das ist schon recht, was Ihr sagt, Meister Kuhlemey. Allein es gab schon Männer unter ihnen – das Donnerwetter sollte dreinschlagen, wenn ihrer heut aufstünden wie damals!«

»Ja jetzt ein Tile und ein Albertus!« seufzte Hans Zademack, der Schneider.

»Meint Ihr!« lachte höhnisch der Knochenhauer. »Blitz Element! Der Gemeinheit fehlen nur die sie führen,« sagte der Schneider.

»Wohin denn? Dahin, wo sie wollen. Sagt doch um aller Welt willen, was half's damals den Städten? Kamen unserer Väter Väter um einen Schritt näher, daß der Tile vor 'nem Rotzbuben die Mütze zog und der Albertus Kegel schob mit den Reifschlägern? Das thaten sie einen Tag in der Woche. Was denn die sechs anderen? Sie lachten sich ins Fäustchen über die wohlfeile Komödie. Bitt' Euch um aller Heiligen willen, was kam denn für's gemeine Wohl raus, daß sie mit Gewerken und Volk ins Rathaus einbrachen und in Lade und Arche? Ließen sie uns drin? Ei bewahre, sie schoben uns höflichst raus, zogen die Mützen und sprachen: »Wir danken Euch, liebes Volk;« schlugen dann die Thüren dem lieben Volk vor der Nase zu und setzten sich hin, und nun gewirtschaftet, hast Du nicht, siehst Du nicht –«

Der Schneider rieb sich vor Vergnügen die Hände.

»Freilich, klang's lustig,« fuhr Bartz Kuhlemey fort, »wie das aufgestockte Geld in den Händen der neuen Herren klimperte, das schöne Geld. Aber kam auch nur ein roter Heller zurück in unserer Väter Taschen?«

»Ihr Regiment war zu kurz.«

»Und wär's so lang gewesen, als wenn Ihr alle Eure Schneiderellen zusammenleimt, ich sag' Euch, es war in die Luft gegangen wie der Suppendampf, wenn Ihr den Löffel fortlegt. Und was war die Bescherung, als die Herren wiederkamen? Sie spannten uns noch ärger an, sie ließen sich mehr zahlen, sie rümpften die Nas' noch höher. Und das ist allemal das Ende vom Liede, wenn ein großer Herr zu den Kleinen sagt: Du bist mein lieber Freund.«

Der Wirt wiegte nachdenklich den Kopf, Hans Zademack schwieg

»Bin Eurer Meinung auch, Meister Kuhlemey!« rief eine Stimme, und unvermerkt den Redenden hatte sich ein vierter an den Tisch gesetzt, dessen der Leser sich noch erinnern wird, wenn er ihm in das gelbe Gesicht blickt und in die schielenden Augen, welche jetzt aber von einem stechenderen Glanze erleuchtet schienen, als da wir Baltzer Boytin zum erstenmale am Rathaus sahen.

»Art läßt nicht von Art,« pochte der Altmeister auf den Tisch. »Reden und schimpfen mag einer trotz uns, so lange er mager ist, auf die Fetten; aber wenn er selbst ein Bäuchlein hat, setzt er sich zu den anderen Bäuchen.«

»Ihr würdet's auch nicht anders thun, Meister,« sprach Baltzer Boytin. »Man sagt: Amt giebt Verstand; aber sie sagen auch: wer zum Amt kommt, vergißt die ihm dazu halfen. Nichts für ungut. Was Neues, Ihr Meister?«

»Der Bürgermeister hat den Schnupfen,« sprach Bartz Kuhlemey.

»Nein, Ohrenreißen. Ihr habt ihm zu stark geschrieen,« sagte der Wirt.

»Zum Ferbitz Hans ist geschickt, soll ihm ein Klystier geben,« setzte Hans Zademack hinzu.

Baltzer Boytin hatte mit ernsthaftem Gesicht das Barett etwas gelüftet, als der Bürgermeister genannt wurde: »Unpäßlich Seine Wohlweisheit. Das ist ein rechtes Unglück für die Stadt.«

Die andern suchten vergebens in Baltzers ernsthaften Mienen einen spöttischen Zug.

»Wenn das Oberhaupt einer Gemeinheit krank ist, so ist die Gemeine auch krank. 'S steckt nicht viel Gesundes in den Rathenows. Sein Vater Mattheus, mit dreiunddreißig Jahren schon eisgraues Haar. Lachte niemals. Sie sagen: aus Gewissensbissen, daß er seinen Vetter Martinus hinrichten ließ. Ja, ja, wenn der Mattheus mit des Tile Sohn draußen zusammengehalten, es sähe itzt anders aus mit der Stadt: ich meine mit dem wohlweisen Rate. Waren begütert, hatten Spießgesellen die Menge, brauchten nur zu pfeifen, und das Gesindel in den Heiden flog ihnen zu wie Motten ins Licht, Nun, die Ritter auf ihren Burgen hätten auch nicht scheel zugesehen, wenn die beiden mal in der Nacht vor Berlins Mauern stunden, und am Morgen früh auf dem neuen Markt Gericht hielten. Wo wären heut unsere Geschlechter!«,

»Aber der Mattheus kroch zu Kreuz,« sprach Bartz Kuhlemey, »basta, und es blieb beim alten Betteltanz, und wird so bleiben – bis wir uns selbst helfen. Wasch' Du einen Mohren weiß, aber einen Herrn kannst Du nimmer zu einem Bürgerfreund machen.«

»Mein's auch. Indessen, Ihr Meister, mochte wohl gelebt haben zu Tiles Tagen. 'S war doch was sie so nennen ein Gaudium. Solch ein Sankt Veits Tanz, wo einem das Blut durch die Adern kitzelte und aus allen Fingern springen mochte vor Lust. So die stolzen Herren bescheiden an den Häusern schleichend, und unsereins in der Mitte. Holla, da wurden Blicke getauscht, die durch Mark und Nieren gingen. Glaubt mir, es fröstelt ihnen noch heut über den Leib, den Stolzen, wenn sie dran denken. Sie denken, es könne ja wiederkommen; wer verbietet uns, baß wir's auch denken?«

Baltzer Boytin blickte vor sich auf den Tisch. Alle schwiegen; aber die Tanzmusik schallte lauter; die schweren Sprünge der Tänzer dröhnten durch das Gewölbe, baß die Gläser auf dem Tische zitterten.

»Das geht ja lustig her!«

»Wenn wir erst über ihren Köpfen tanzen!« murmelte Hans Zademack.

»Wird auch kommen!« sagte jener mit schlauem Blicke. »Ich stand vorhin an der Thür und sah saure Gesichter. Ist auch ein Schimpf für die Herren –«

»Was?«

»Daß der Bürgermeister nicht unter ihnen ist. Hat's rein abgeschlagen.«

»Ist krank.«

»Wenn Brummen eine Krankheit ist! Er brummt über sie, und sie brummen, daß er brummt.«

Bartz Kuhlemey blies wieder die Luft aus den dicken Backen: »Haben sich schon ehe die Fäuste gewiesen! Pah! das schlagt und vertragt sich,«

Baltzer Boytins Augen glänzten recht boshaft: »Ich legte vorhin mein Ohr an die Thür, und ich sage Euch, das Brummen kam tief her. Wenn man eine Trompete dran hielte, das gäbe einen Ton, wie neunhundert Schweine nicht grunzen; einen Ton, daß manches Haus um Sankt Nikolas, so itzt noch hoch steht, in den Boden stürzte, – wie der Wardenberg ihres.«

Alle schwiegen, desto beredter sprachen die Augen; sie hatten sich verständigt und die Köpfe rückten näher zusammen.

»Ich mag das steinerne Gesicht nicht!« sprach Bartz Kuhlemey.

»Es verkehrt sich nicht mit ihm,« sagte der Schneider.

»Ihr Meister,« sprach Baltzer mit leiser Stimme, »der Johannes ist die Seele vom Rat. Was sind sie ohne ihn! Er ist's, der sie zusammenhält, der dem Rat Ansehen giebt nach außen. Heda! Wenn Ihr ihn loskriegtet von den andern!« Die Zuhörer schüttelten bei der Vorstellung ungläubig die Köpfe. »Wenn eine Mauer gespalten ist, hält sie nach keiner Seite. Ich sage Euch, der Riß ist so stark diesen Abend worden: wenn geschickte Leute sich dazwischenklemmen, schlägt sie morgen um. Ist das Nichts?«

»Er hat unsere Schrift zerrissen auf offnem Markte!« rief Hans Zademack. »Das muß er büßen!« riefen die andern.

»Meinethalben. Geht hin, verklagt ihn beim Rat. Den Rat wird's freuen.«

»Er bricht nicht los!« sprach Bartz Kuhlemey aufstehend.

»Wenn sie aber losbrechen, wenn sie es vor den Rat bringen, daß er gethan, was des Rates ist, wenn sie's ihm verbieten, daß er dem Henning Mollner nicht zahlen soll, meint Ihr, daß er das verträgt?«

»Dem Henning will er auszahlen!« schrie Bartz auf.

»Will's, und der Rat wird's ihm verbieten; will's itzt, und der Rat sagt: itzt sollst Du nicht. Du sollst Dir keinen Anhang schaffen unter der Gemeinheit. Ja, Ihr Herren, das wird der Rat ihm morgen zu wissen thun. Nun, und was wird Johannes thun? Wird das Barett ziehen, nicht wahr? und sich tief neigen und sprechen: Alles wie meine gestrengen Herren vom Rate befehlen.«

»Alle zehntausend Teufel, der wird auffahren!«

»Bei des Henkers Bart, das klingt lustig!« rief der Wirt, und ward ganz frisch, wie die andern auch.

Sie stießen ihre Kannen zusammen, aber der Knochenhauer strich noch nachdenklich den Bart: »Meister und Brüder! 'S klingt manches schön, und ist doch nichts mehr als ein Klang, der verhallt, wenn der Wind umspringt.«

»Sehr richtig, Ihr Herren,« fiel Baltzer Boytin ein. »Der Braten ist erst auf einer Seite geröstet, und ein gescheiter Mann läßt ihn auf beiden gar werden, bis er einschneidet. Nun, habt Ihr Angst, daß er verbrennt?«

Der Nachtwächter stieß draußen, wie es seine Pflicht war, vor dem Rathause ins Horn, und sein:

Bewahrt das Haus vor Feuer und Licht,
Auf daß der Stadt kein Schade geschicht!

tönte schrillernd durch die Gewölbe. Baltzer richtete das Gesicht auf und musterte spöttisch die andern:

»Nun, wollt Ihr die Wassereimer tragen und löschen? An Brunnen fehlt's nicht in den Gassen. – Wüßte freilich nicht, wer's Euch dankte. Aber ein Feuer kann um sich greifen, meint Ihr als fürsichtige Bürger.«

Hans Zademack schüttelte sein Bier in der Kanne: »Der Henning trug den Niklas Perwenitz auf seinen Schultern ins Rathaus. Der Johannes Rathenow ist nicht schwerer. Das gäbe 'nen Ausschlag.«

»Und die Bescherung davon?« fragte Bartz Kuhlemey. »Für die alten Herren ein neuer vom selben Stoff.«

Baltzer, als hätte er nicht darauf gehört, sprach vor sich hin: »Ich habe gelesen von den Republiken im Land Lombardia. Meint Ihr, daß die Bürger da so lange warten als Ihr? Ober daß die Geschlechter den Nacken weniger stolz tragen? Sie probieren, wie all überall, was das Volk erträgt. Je geduldiger es ist, um so stärker drücken sie. Das sind Herren da, andere als unsere, die nicht wissen, wo sie her sind. Die essen auf Gold, und Ritter bedienen sie, Marmorpaläste haben sie, wo eine Wand kostet, was Euer ganzes Rathaus nicht wert ist'; und Fürsten und Herzöge nennen sie ihre Brüder, und ihre Söhne werden Kardinäle und Päpste; aber meint Ihr, daß die Gewerke nur drei Jahr dulden, was Ihr dreißig Jahr aussteht? Da braucht nur ein Funken zu fallen, und es lodert und brennt. Eine aufgeworfene Lippe, ein Seitenblick, den einer nicht verträgt: frisch ein Dolchstoß in die Rippen, nun ein Aufruhrgeschrei, – die Welschen können Euch schreien, daß die Brut aus den Vogelnestern, fällt. Nun klettert einer auf ein Gitter. Mag er Hannes heißen, oder Henning oder Matthis, sie fragen nicht danach, ob er das Volk lieb hat und was ihn treibt. Wenn er nur die Herren haßt. Ein blutiges Tuch, ein Fetzen, was es ist – ein Kruzifix, ein Dolch, ein Gesicht dazu, daß die Weiber in Ohnmacht fallen. Vergeltung! Rache! ruft er, Freiheit! Nieder mit den Tyrannen! Tausende schrein's mit und machen Euch Augen, davor der Wurm sich verkriecht. Ehe Ihr's Euch verseht, ist die halbe Stadt auf den Beinen, die Fensterscheiben klirren, die Glocken läuten, ehe man sie rührt, denn die Luft selber bewegt sich vor Angst und Wut. Die Schemel rühren sich unter dem Schuster, die Bänke unter dem Schneider, die Messer am Gurt des Fleischhauer fahren von selbst aus der Scheide. Die Luft zuckt von blitzendem Stahl, der Wind ist lauter Pfeilspitzen und ein Donnerwetter rollt über die Dächer. Gnade Gott, wo es einschlägt. – So thun's die im Land Italien. – Meine Zeche, Meister!« rief er, seinen Beutel vorziehend. »Wir sind ordentliche Bürger, zahlen, was man von uns fordert. Das bringt Ruhe und Freude. Laßt die Herren Herren sein. Ihr seid gute Bürger, und wenn die von Magdeburg und Stendal, und wo sie im deutschen Reich rascheres Blut haben, fragen: »Will denn die hundemäßige Geduld derer von Berlin nicht endlich reißen?« was kümmert's Euch. Laßt sie lachen, Ihr sitzt warm.

Baltzer Boytins Rede hatte gewirkt. Nur verschieden auf den drei Gesichtern, die noch ernster wurden, als er fort war. Sie pflogen ein stilles Gespräch, und ihre Blicke deuteten noch oft auf den Platz, wo er gesessen. Es war ihm keiner hold, das konnte man sehen, aber seine Rede kitzelte ihr Ohr.

»Was der Baltzer spricht, hat Schick und Ordnung,« sagte Hans Zademack.

»Schweigt mir von dem Safrangesicht,« fuhr der Schlächter auf. »Wenn ich einem ehrlich die Hand reiche, muß er wissen, was er will. Was will denn der?«

»Just, was wir wollen,« lachte der Wirt.

» Wir wollen mit den Zünften in den Rat,« rief der Knochenhauer, mit der Hand auf die Brust schlagend. » Wir wollen sitzen auf den Bänken, wo sie jetzt sitzen, und sprechen und raten, und schalten und walten, und Bürgermeister küren und Altermänner, alldieweil es so vor alters war und sie in anderen Städten, alldieweil wir ebenso gut sind als sie, und ihr Ansehen ist erschlichen und erkauft, wo unsere Väter die Augen zuthaten. Und wir sind so frei und so deutsche Leute als sie, und verstehen's so gut als sie, und sie waren vor alters kein Haarbreit mehr. Darum wollen wir's, wir Zünfte und Gilden, und die Gewerke voran, wir wollen ins Rathaus. Aber die Bänke sind eng. Für uns wollen wir die Spitze und nicht für andere. Was scheren uns die Krämer, die nicht mehr zusammenhalten, der eine hält's mit dem Rat, der andere mit den Bürgern. Sind keine Innung mehr, und den Baltzer haben sie selbst ausgestoßen. Ist ein Roßtäuscher worden. Also was will der? Sich an den Rockzipfel halten der Rathenows? Ich stoß' ihn mit dem Fuß von der Treppe, wenn er will, wo er nicht hingehört. Aber Ihr seid kluge Leute, fürsichtige Rechenmeister. Holt Euch Hilfe und Beistand aus allen Mausenestern, vertragt und wagt und zagt, und wenn's bricht aus, bleibt fein zu Haus, es könnte setzen Beulen, und das Heulen wäre dann an Euch.«

Als der Knochenhauer mit einigem Ungestüm die Treppe hinaufgestiegen war, sprach Hans Zademack: »Sag' ich's doch immer, ein Maul haben die Knochenhauer, als wollten sie die Stadt auffressen. Aber mit Vernunft ist ihnen nicht beizukommen.«

»Und paßt acht, wenn sie erst zu Rat sitzen,« entgegnete der Wirt, »da brechen die Bänke unter ihrem Übermut.«

»Konnten in ihrer Morgensprache heut nicht mal einen Schluß zustande bringen,« fuhr Hans Zademack fort. »Die müssen nicht vorn am Regiment sitzen.«

»Wäre auch der Stadt pures Unglück,« sprach der Wirt, »so eine Gilde über der andern säße.«

»Habt keine Sorge, dafür sorgen die andern drei,« antwortete ihm Hans Zademack.

Der Wirt kraute sich mit einem schielenden Blick hinterm Ohr. »Ihr?«

»Wir und die Bäcker und die Schuster. Die Bäcker, weil sie den ältesten Brief haben, die Schuster, weil jedwed Gemeinwesen auf den Füßen stehen muß.«

»Und Ihr Schneider,« sagte etwas spöttisch der Wirt, »alledieweil das Gemeinwesen was auf den Leib haben muß und nicht nackend gehen darf, wie als wir noch wilde Männer waren.«

»Sagt lieber, weil wir's am feinsten einzufädeln wissen, und die Sache zuschneiden, daß sie ein Schick hat und sich vor den Leuten sehen lassen mag,« lächelte Hans Zademack. »Jeder Faden kann ein Loch zunähen, und das schlechteste Stück Zeug ist zu einem Rock gut, wenn man's recht zuschneidet. Darum, zu ernst gesprochen, Gevatter, waltet ein kluger Mann ab, was ihm die Zeit bringt, und stößt nicht von sich, was ihm in den Weg getragen wird. Das Tuch, daraus die Geschlechter gewebt, ist stark Zeug; die Fäden halten, wenn auch die Wolle ab ist. Darum von allen Seiten dran gerissen. Da hat der Baltzer recht. Daß kein Stück nachher in seiner Hand bleibt, das ist unsere Sorge. Laßt sie sich jetzt reiben, die Geschlechter und die Städte, den Bürgermeister und die Herren; eingeheizt und geholfen, geblasen und geschrieen, bis das Zeug mürbe ist. Dann braucht's kein Schlächterbeil; mit einer Schere schneidet man's durch.«

»Daß Du Dir von den Stücken einen Rock für Dich flickst!« sprach der Kellerwirt, hinter dem Meister die Thür zuschlagend.

»Ihr seid mir auch die Rechten. Werden wie die Kampfhähne sich spreizen, auf die Bänke springen und durch die Straßen ziehen, und wird's um kein Haar besser als bei den Stolzen, wenn die Gewerke dran kommen.«

Aber als er den Riegel vorschieben wollte, polterte es draußen, und die Thür wurde mit Heftigkeit von mehreren kräftigen Armen zurückgestoßen. Vor dem Rathaus, wenn ein Patrizier darin ein Fest gab, pflegte es jederzeit lustig herzugehen; daher verwunderte sich der Meister auch nicht darüber, aber er hatte wenig Lust, die späten Gäste aufzunehmen, zumal nicht, die sich so anmeldeten. Aber es half ihm nichts, und wenn er auch all sein Gesinde zu Hilfe gerufen; so viel lustige Kerle in allerhand Mummereien, wenn man das so nennen konnte, waren hereingebrochen und nahmen lärmend Platz. Der eine hatte den Kragen weit über die Ohren, der andere ein Tuch um den Kopf, daß er wie ein ungläubiger Türkenhund aussah, ein paar auch das Hemd über den Kleidern, einer aber gar die Schellenkappe an, und alle mochten des süßen Weines in sich haben. Denn wie ernst auch der Wirt sie zurecht wies, und fast bös wurde, als sie so wenig auf ihn achteten, thaten sie doch nichts als lachen, und der eine setzte sich auf den Tisch, der andere warf sich auf die Bank, und der dritte schlang seinen Arm um den Wirt, als wär' es sein bester Freund und Bruder, und fragte ihn: »Was Neues in Berlin, Hans Zapfen?«

Der Wirt, der nun wohl sah, was es war, machte ein ernsthaftes Gesicht und antwortete: »Es hat Narren geregnet.«

»Der Kuckuck ruft seinen eigenen Namen,« sagte darauf einer und schlug ihm auf die Achsel.

»Wer sich selbst kitzelt, der lacht wenn er will.« antwortete der Wirt, und nun erinnerte er sich, daß es nicht Zeit sei, und an die strengen Gebote des Herrn, daß er seinen Keller verschließe. Da brüllten sie in großer Lustigkeit und einer sprach: »Wir sind allhier auf Gebote des Herrn.«

Und ein anderer: »Wir dienen dem Rat in seinen schlimmsten Nöten.« Der Wirt sprach nun: »Ihr seht mir nach Schelmengesichtern aus, und nicht nach Ratsdienern. Aber wenn Ihr gute Leute seid, bringt einen ehrlichen Mann nicht um seine gute Nahrung.«

»Hört den Lügner an!« rief einer mit verstellter Stimme. »Wie oft haben wir ihm gute Nahrung gebracht, als wir seinen schlechten Wein austranken.«

»Dafür dank ich Euch, wenn's wahr ist, und Ihr mögt ein andermal wiederkommen, wenn's Euch gefällt.«

»Uns gefällt es so bei Dir, daß wir gleich bei Dir bleiben.«

»Das gefällt mir von Euch, aber da's den Herren vom Rat nicht gefällt, so macht Euch auf die Beine, oder die Herren werden Euch Beine machen.«

Da wollten sich alle wieder vor Lachen ausschütten, keiner über rührte nun seinen Fuß.

»Die Herren sitzen oben zu Tisch, und wenn einer runter kommt, giebt's eine schwere Ladung, das versichre ich Euch.«

»Das wissen wir, und darum sind wir hier,« antwortete einer sehr feierlich, und die andern thaten wie vorhin, und auch der geredet hatte, konnte nicht ernst bleiben.

»Warum seid Ihr hier?« fragte nun der Kellerhalter.

»Wir wollen den Rat austragen.«

»Das wird Euch Schläge eintragen,« antwortete in demselben Tone der Wirt.

»Wir wollen ihn zu Grabe tragen,« fuhr von jenen einer fort. –

»Da könnten Euch die Raben ein Liedlein singen.«

»Was Raben! Die Hähne krähen,« rief ein anderer, und fing an zu krähen wie die Hähne, wenn es Morgen ist, und alsbald war es, als wäre der Keller ein Hühnerstall, daß der Wirt selbst mitlachen mußte, ob er doch eigentlich sehr ernsthaft war, und itzo auch neugierig, denn die Stimmen kamen ihm bekannt vor, und er mochte wohl ahnen, wer es war.

»Der Morgen ist noch nicht kommen, und Ihr thätet gut, Eure Schnäbel zu halten, sonst weckt Ihr die, die schlafen.«

»Die lassen sich auch wecken!« rief der Schalksnarr, und fing ein solches Kikeriki an, daß das vorhin gar nichts dagegen war, und nun alles lachte, was es konnte, und der Wirt sich den Bauch halten mußte.

»Du Tausendelementsnarr,« ging er den Sänger an, »was hast Du wieder vor? Sie sagen, Du wärst gescheit worden. Aber die Narrenkappe hängt Dir noch immer übers Gesicht.«

»Eben darum, Gevatter Zapfen.«

»Sie munkeln, Du hättest heut morgen in der Schellenjacke gesteckt, als sie auf der Straße die Puppe köpften. Nimm Dich in acht.«

»Zapfen! Nimm Du Dich in acht. Schweigen verrät sich nicht. Plaudere nicht, was im Fasse steckt. Was Du nicht weißt, macht Dich nicht heiß.«

»Wären die verdammten Zapfen nicht, es wäre diesmal alles rausgelaufen,« rief ein anderer.

»Holla, ist's so bestellt.« sprach der Wirt und musterte die Gesellen, deren er jetzt wohl die Mehrzahl erkennen mochte. »Habt Ihr das Spiel von heut' morgen nicht satt gekriegt? Wißt nicht:

Was Narren anfangen,
Macht Kluge nicht bangen.«

»Umgekehrt,« rief der Schalksnarr, der noch immer behaglich auf der Bank lag:

»Was Narren einfädeln,
Müssen die Klugen aushäkeln,
Danach man ringt, einem gelingt.«

»Bei gutem Winde ist gut segeln,« sprach der Meister, »aber bei Lahmen lernt man hinken.«

»Bist Du kahl, so bocke mit keinem Widder,« erwiderte der Schalksnarr. »Wer sich menget unter die Kleie, den fressen die Säue.«

»Weißt Du, was die Alten sagten?« erwiderte der Wirt. »Ein weiser Narr sein wollen, heißt Schnee im Ofen dörren. Wein im Feuer kühlen, das Merr ausbrennen, und Hühnern die Schwänze aufbinden, hat noch keinen Magen fett gemacht.«

»Weißt Du, wer der schlechteste Wirt ist?« versetzte jener drauf. »Der seine Gäste mit Worten speist. 'S ist alle Tage Jagdtag, aber nicht alle Tage Fangtag; merk's Dir, wenn Du nach Witz auf die Jagd gehst.«

»Wenn Ihr nach Weisheit jagt, wißt Ihr, was Ihr fangen werdet? Schlingen. Und wißt Ihr, was der schwerste Gang ist? Der zum Galgen.«

»Wenn faule Pferde erst ziehen,« sagte der Narr, »alte Weiber tanzen, weiße Wolken regnen und Dummköpfe pfiffig reden, dann ist kein Aufhören. Wein her, Meister Grobschmied. Wenn Du keine feine Nase hast, haben wir doch seine Zungen. Seht einmal,« wandte er sich zu den andern, »der Zapfen will alles wissen, und weiß noch nicht mal, was die Glock' geschlagen!«

»Wo die Glocke von Leder ist, und der Klöppel ein Fuchsschwänz, da hört man den Klang nicht fern.«

»Richtig, Zapfen! Den Esel kennt man an den Ohren, am Gesichte den Mohren, an den Worten den Thoren, den Topf am Klang, den Vogel am Gesang. Woran aber Leute, die den Rat, der nicht mehr gehen kann, auf ihren Schultern tragen werden?«

Da schoben jetzt ein Paar von den Gesellen eine Trage vor die Thür, und einer probierte ein leeres Stückfaß, ob es sich rollen lasse, und der eine meinte, der dickste Ratsherr könne darin so bequem ausschlafen als wie im Rathaus. Da erst merkte der Kellerwirt, was es gelte, und lachte herzlich, denn er wußte, daß der gute Herr Thomas Wyns starke Leute bestellt, die seine Gäste, wenn ihnen was Menschliches zustieße, nach Hause schaffen sollten, und er mochte sich's denken, warum die lustigen Gesellen gekommen. Aber als ein guter Wirt, den nicht heiß macht, was er nicht weiß, schwieg er still, und trug den Wein auf, der von den frohen Gesellen gefordert ward, und sie tranken, als wär' es Hochzeit bei einem reichen Manne, und sie hätten's nicht zu bezahlen. Da fielen denn die Kappen und Tücher nachgerade ab, und man erkannte manches frohe Gesicht von Bürgersöhnen, und sie erzählten lustige Geschichten von heut morgen und sonst, und sangen und scherzten und keiner blieb dem andern was schuldig, wenn er ihm eins versetzte. Nur der in der Schellenkappe legte sie nicht ab, und ob er schon so laut war als die andern, mochte er doch nicht ebenso viel trinken. Vielmehr schlich er jetzt, als die andern in einem lauten Wortwechsel sein nicht acht hatten, um den Pfeiler, und wollte mit einem Satz auf die kleine Wendeltreppe, die ins Haus hinaufführte, als eine starke Hand ihn auf die Schulter faßte und zurückzog. Der Kellerwirt hob den Zeigefinger der andern Hand drohend in die Höhe: »Mit Narreteidungen ist's nicht geschehen.«

»Wer kegeln will, muß aufsetzen,« antwortete der in der Schellenkappe.

»Du thust nicht recht, Henning.«

»Wer jedermann will recht thun, muß früh aufstehen.«

»Wenn der Scherz am besten ist, so soll man aufhören, sagt das Sprichwort.«

»Esel und Treiber denken nicht eins,« war die Antwort, und der Bursch wollte ihm entlaufen, aber der Wirt hielt ihn fest.

»Ob Du der Esel bist oder der Treiber, weiß man nicht. Bist Du der Esel, so merk Dir's, wenn dem zu wohl ist, geht er aufs Eis und bricht ein Bein. Bist Du der Treiber, dann treib's nicht zu weit. Hast Du was Ernstes vor, so kennst Du Deine Freunde.«

Henning sprach: »Wem's Glück wohl will, dem kälbert ein Ochs.«

»Glück und Glas! Trau nicht auf das. Ihr habt Schabernack vor mit den Herren. Daß Euch die Finger nicht brennen.«

»Ei behüte,« antwortete der Bursch mit seiner einfältig frommen Miene, die wir schon kennen. »Sie werden sie kühle legen, in Schnee oder auf den Mist.«

»Und Dich werden sie ins Loch stecken.«

»Das ist ein schlimmer Fuchs, der nur ein Loch weiß.«

»Henning, wo willst Du hin?«

»Oben zuschauen.«

Der Wirt erschrak, aber der Junge war lachend hinaufgesprungen. Er brummte nur zurückkehrend für sich: »Stroh im Schuh, Spindel im Sack und ein Herr in einem Haus, gucken alleweg heraus. Aber aus dem guck's ein anderer raus, was drin steckt, und 's ist übel kämmen, da kein Haar ist. Indessen,« setzte er, sich tröstend, hinzu: »Liebe, Husten, Rauch und Geld niemand auf die Läng' bei sich hält,« und ging seine anderen Gäste bedienen, welche schon in der Lage waren, daß sie niemand vermißten, und sich mehr und mehr in die versetzten, wo es mißlich wird, andern, die schon darin sind, die Hilfe zu leisten, um deren willen sie doch hergekommen waren.


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