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Zehntes Kapitel.

Ob die Berliner Herren es gewagt, sofort sich auf den Weg zu machen, nach Haus über dem Spandower Thore, steht in den Chroniken nicht geschrieben; es ist aber mehr als wahrscheinlich, daß sie es nicht thaten, weil es, wie man gleich hören wird, auf dem Platze noch keineswegs so ruhig war, daß sie sonder Gefährde und Beschimpfung sich öffentlich zeigen können. Vielmehr ist anzunehmen, daß sie sich um den verwundeten Herrn Strobant beflissen zeigten, dessen Zustand Hans Ferbitzens ganze Sorgfalt erforderte, und die ließ er ihm denn auch unten in der Badestube angedeihen, wie es sich für den Stand und den Reichtum eines so angesehenen Herrn schickte, der auf so schändliche Weise zu Schaden gekommen.

Dagegen sah man drei fremde Herren, die dem Ritterstande angehörten, in ihre Pelze wohl verhüllt und die Mützen tief ins Gesicht gedrückt, auf einem Umwege von der Badestube nach der langen Brücke ihren Weg nehmen. Und sie begleitete ein Berliner Kind, das ließ sich's angelegen sein, sie durch die dichtesten Haufen zu führen, und ward dabei von manchem sehr verwundert angeschaut, von vielen aber freundlich gegrüßt. Auch schüttelten ihm einige die Hand und andere lachten ihn an. Die aber nicht weichen wollten, stieß er mit dem Ellenbogen und gab ihnen derbe Antworten, wenn sie ihn derb anließen.

Die Herren besorgten anfangs, ihnen werde des Burschen Dreistigkeit schlimme Dienste spielen; auch daß er allen so bekannt war wie ein bunter Hund, war ihnen unlieb, man konnte es ihnen ansehen; denn grade, was sie vermeiden wollten, daß die Leute sie ansahen, das ward dadurch erst recht zuwege gebracht. Aber hinwiederum mußte es ihnen lieb sein, denn ohne ihn wären sie nicht durchgekommen: so groß war noch überall das Gedränge, und die Bürger schimpften und schmähten in Berlin wie drüben in Köln auf den Rat und die stolzen Herren, und, waren sie auch Fremde, so sah man's ihnen doch an ihren Kleidern an, sie gehörten zu dem Herrenstande, und wenn die Wut einmal losgelassen ist, will sie ihr Opfer haben, und sucht es auch seitwärts ab, wenn's nicht vor ihr liegt.

Als sie nun an die Jüdengasse gekommen, und dort ward mehr Platz, – denn wer tritt gern in die Jüdengasse, wenn er nicht muß? – meinte ihr Führer, er habe gethan, was er versprochen, und die Herren meinten es auch. Auf den Wink des Junkers wollte Herr Konrad dem Burschen ein großes Geldstück geben; der aber lachte und sprach: »So war's auch nicht gemeint.«

Die beiden Begleiter dachten, es sei ihm nicht genug, und Herr Konrad runzelte die Stirn, da er meinte, es sei hinlänglich für den kurzen Dienst, obwohl er noch einmal die Hand in das Wams that; aber der Junker im Zobelpelz hatte den Jungen schärfer ins Aug' gefaßt und sprach mit einer Handbewegung gegen Herrn Konrad:

»Laßt das. 'S ist wohl ein trotziger Bürgersohn, der keinen Lohn nehmen will von einem Fremden,«

»Warum nicht, wenn man was gethan hat,« entgegnete Henning. »Wüßte aber nicht, was ich gethan.«

Die beiden Ritter sahen sich einander an, während der Junker, und es schien nicht mit Mißbehagen, die kecke Miene des Jungen beobachtete.

»Einen Dienst hast Du uns doch erwiesen, und man soll nicht von mir sagen, daß ich dem Drescher seinen Lohn entziehe. Also sprich dreist, kann ich Dir helfen oder für Dich etwas thun?«

Der Bursch machte eine pfiffige Miene: »Ihr, Herr, nein.«

»Nun, nun, nur nicht zu stolz,« sagte der andere, »Geld kann ausgehen, und Mut klein werden.«

»Wenn Ihr die Salome noch sehen wollt, wie sie gepeitscht wird, macht rasch; die Hanne wird eben gebrannt, ich höre sie schreien,« rief der Bursch, und machte Miene davonzulaufen, da ihm das Gespräch zu lange währte.

»Halt doch, Bursch,« sprach der Herr. »Hängen und brennen wirst Du noch manchen sehen, denn es thut noch vielen not hier zu Lande; aber einem, der Dir gut will, laufe nicht weg. Wie heißt Du? Ich möchte Dich doch wiederfinden, wenn ich Dich brauche. Wo sucht man Dich?«

»Fragt nur den ersten besten auf fünf Meilen in der Runde,« sprach der andere nicht ohne Stolz, »und er wird Euch zum Henning Mollner bringen.«

»Und mich willst Du nicht suchen?«

»Was hätte ich denn mit Euch zu schaffen?«

»Nun, angeschrieben bleibt's Dir.«

»Topp!« rief der andere, »Wenn ich einmal in Eurer Stadt im Gedränge bin, dann führt Ihr mich auch heraus.« Und damit rannte er fort, was er konnte, durch die Jüdengasse, bis er in einem der Quergäßlein verschwand. Aber so eilig er war, er mochte es nicht unterlassen, einem paar Judenfrauen, die im Fenster lagen, die Zunge herauszustrecken und etwas zuzurufen, davor sie erschrocken zurückfuhren, und einen alten Juden, der ihm an der Ecke entgegenkam, lief er um, daß er in den Rinnstein fiel, und kümmerte sich nicht, ihm wieder auszuhelfen. Aber der Jude, als er sich aufrichtete, zog doch noch den roten Hut vor ihm und schaute ihm geruhig und ehrerbietig nach, so lange Henning zu sehen war, ehe daß er über seine Hausschwelle trat. Das thaten auch die andern alle, die an den Fenstern lagen und in den Thüren standen. Die Alten sahen ihm mit Scheu und Furcht nach; manches schwarzhaarige Mädchen aber mit blinkenden Augen und gefärbter Wange. Die Furcht macht nicht so rot.

War überhaupt in der Gasse viel Leben, wenn es auch still war und kein Verkehr. Denn überall aus den Thüren und Fenstern drängten sich Köpfe, und die Nachbarn flüsterten sich in ihrer Sprache vieles zu, und die Augen flogen nach links und rechts, und große Angst und, Besorgnis war überall sichtbar. Aber die Neugier war noch größer, als sie die drei stattlichen Herren, mit herrlichen Pelzen und Baretten und schönen Degen durch ihre Gasse kommen sahen, und aller Augen waren nun auf sie gerichtet. Als sie jetzt an der nächsten Quergasse zweifelhaft stehen blieben, fühlte der Junker sich am Pelz leis gezupft, und als er sich umwandte, war es der alte Jude, der mit entblößtem Haupte, fast bis zur Erde gebückt, hinter ihm stand und mit leiser Stimme sprach:

»Gnädigster, gestrenger Herr! als ich mich darf unterstehn ein Wort zu sprechen, die Junker sind Fremde zum alten Berlin: Das ist nur die Jüdengasse.«

»Hund von Jude, rühr ihm das Kleid nicht an!« fuhr Herr Konrad auf.

»War's doch was ich wollte sagen,« fuhr der Hebräer fort. »Sie haben sich nur verirrt, die vornehmen Herren, und durch das Gäßlein hier führt es schnell hinaus. Es hat sie noch keiner gesehn von den Berlinern; haben itzt auf anderes zu schaun als auf unsere schlechten Häuser.«

Aber als fühle der Junker sich durch die Warnung des Juden aufgefordert, ihrer nicht zu achten, erhob er den Kopf und schaute sich weit um, und der Anblick der Tausende von Köpfen an den Fenstern und auf den Dächern schien ihn zu befremden.

»Ist's ein Feiertag bei Euch?«

»Was soll sein ein Tag der Furcht ein Tag der Feier, gnädigster, gestrenger Herr! Ziehen wir an seidene Kleider und Bänder und neue Pelzmützen, wenn wir sind in Angst, daß sie einbrechen in unsere Häuser, und aufschlagen unsere Läden und uns treten mit Füßen!«

Ein strenger Blick des Junkers fragte deutlicher als es seine Worte thaten. Er meinte, der Zank zwischen den Städten und Bürger und Rat habe mit den Juden nichts gemein.

»Wenn die schönen und großen Häuser in Feuer stehn, mein hochedler Herr,« entgegnete er, »werden die schlechten Hütten dazwischen dann nicht brennen? Es ist schlimme Zeit, wenn ist Streit in den Städten, für die armen Juden. Wenn die großen Herren und die Bürger sich schlagen, fallen ab die Beulen auf uns.«

»Es ist vorüber,« sagte der Junker und schien weitergehen zu wollen.

»Der Segen des Herrn begleite die vornehmen schönen Junker, und daß sie mögen kommen aus der Stadt ungefährdet und ungescholten, ungeschlagen und ungestochen! Aber was vorüber ist, das kommt wieder, die Städte werden nicht machen Friede und die Herren vom Rate es nicht vergessen und die Gewerke und das Volk werden toben und lärmen, und büßen müssen's unsere Leute.«

»Jud, verschluck Deine Litanei!« fuhr Herr Konrad dazwischen, und wollte dem Junker um die Ecke folgen.

Aber in der kläglichen Miene und dem klugen Blicke des Alten mußte etwas liegen, was den Junker anzog. Also winkte er, daß der Jude ihm folgen solle, dieweil er langsamen Schrittes voranging. Und zum Erstaunen aller in der Jüdengasse folgte der alte Baruch dem vornehmen Herrn, und dieser richtete viele Fragen an ihn und hörte mit freundlichem Ernst seinen Antworten zu, die der Jude, freilich mehr mit dem Kopf auf die Erde gebückt, gab, als zum großen Herrn aufgerichtet. Die zu seinem Hausstand gehörten, Weiber, Kinder und junge Bursche, sie waren alle vor die Schwelle getreten, als sie den Hausvater sahen mit dem fremden vornehmen Junker so vernehmlich sprechen; und jetzt schlugen sie die Hände überm Kopf zusammen, vor großem Erstaunen, und gingen wieder ins Haus zurück, weil Baruch ihnen winkte, aber aus den Fenstern und um die Pfosten der Thüre schauten sie ihm neugierig nach, und einer zupfte den andern zurück, daß er auch das Ungewöhnliche sehen könne. Die Ritter aber folgten mit lächelnder Miene den beiden, ohne die Juden umher nur eines Blickes zu würdigen.

»Wir haben Glück mit unsern Führern in dieser Stadt,« sagte Herr Konrad.

»Gewiß eine sehr ehrbare Kumpanei,« entgegnete Johannes. »Und diese neuen Bekanntschaften, die er in der trotzigen Stadt macht, werden ihm von absonderlichem Nutzen sein,« fuhr der andere etwas höhnisch fort.

Aber der Junker schien nicht so zu denken, vielmehr horchte er aufmerksam auf alles, was ihm der Hebräer klagte.

»Ihr also haltet's mit dem Rate?«

»Was können wir halten, als was uns hält, denn wir sind schwach. Die gestrengen Herren sind stolz und hochfahrend, denn sie sind satt; aber wer satt ist, der nimmt nicht des armen Mannes Brot, weil ihn hungert, und nicht des armen Mannes Kleid, weil ihn friert. Sie lassen uns kriechen im Staube und spielen in der Sonne, und gönnen uns, was sie nicht mögen, weil sie's haben besser. Aber die nicht satt sind und essen möchten an der Herren Tischen, und sich kleiden in Sammet und Seide, die sehen uns an scheel, und drohen uns, wenn wir finden im Staube ein Körnlein und die Sonne einmal warm scheint auf unsern Scheitel.«

»Doch rühmen sich diese Herren der Stadt,« sprach der Junker, »daß sie gerecht richten lassen, und weise Leute das Urteil billigen, das ihre Schöffen finden. Um so mehr werden sie Euch Recht finden lassen gegen das Volk, wenn das Euch was anhaben will.«

»Die weisen Leute finden das Urteil, gnädiger Herr, aber was gefunden ist, bekommt es allemal der, der's hat verloren? – Ihr Gericht ist gerecht, rühmen sie, und die Leute sprechen es nach; und sie sind stolz und sehen hochmütig nieder auf die Gemeinen, und sagen: was wollen die reden mit! Aber wenn die Gemeinen murren und drohen, dann schaun sie sich an, und einer flüstert's ins Ohr dem andern, daß es gefährlich ist, Trutz bieten dem Gemeinwillen, und ihnen nichts bringt und hilft. Und sie zählen die schönen Rechte, die sie haben, und die sie verlieren können, und um wen? – Um einen schlechten Juden! Und das schwerste Recht, was fanden die Schöffen, geht verloren unter der Hand wie ein leichter Heller, und das gradeste Recht, grad wie eine Klinge von kölnischem Stahl, wird gebogen krumm wie ein Draht. Um des Friedens willen, heißt es, und das gemeine Wohl; ist aber der Herren eigen Wohl, daß sie nicht gestört werden im Nachmittagsschlaf, und das Volk nicht schreit garstig vor ihren Fenstern, wenn sie die Pauken lassen schlagen und die Trompeten blasen bei ihren Tafeln. Unsere Väter haben gehabt hübsche Rechte und seine Sicherheit und guten Handel in den Städten, und es war alles gut gekauft mit Gold und Silber von den Herren, die sitzen am langen Tische. Aber ein Recht um das andere haben sie uns wieder genommen ab, und das Geld doch nicht gegeben wieder; denn kamen vors Rathaus mit Fahnen und Musik die Zünfte und sprachen: das schadet uns und wir sind gute Bürger, und sie sind schlechte Juden. Drum dürfen wir kaufen kein Vieh und verkaufen kein Fleisch, als was die Fleischhauer nicht mögen, und dürfen nicht sitzen auf dem Markt, als bis der Wisch ist fort, und dürfen nicht umgehn aus unserer Straße, und nicht sitzen vor unseren Thüren, und nicht rufen über unsere Schwelle einen christlichen Mann.«

»Und doch betet Ihr, daß des Rates Recht bleibe,« sprach der Junker.

»Wir beten's Tag und Nacht, hoher Herr, denn was soll werden, wenn sein Regiment ist um! So die Zünfte kommen ans Regiment, wird's uns gehen besser? Und wenn sie nicht finden den Weg ins Regiment, den Weg in die Jüdengasse finden sie doch, und toben und laufen und schreien, und schmeißen die Fenster ein und schlagen die Läden entzwei, und raufen am Bart uns und speien ins Angesicht uns, und unsere Weiber schreien vor Angst, daß es zerreißt die Gedärme. Wir haben gesehen böse Tage in Berlin, gnädiger Herr, und die bösen Tage werden kommen immer wieder, und die Kindeskinder von denen, die heut schreien in der Wiege, werden noch nicht sehen das Ende.«

»Das ist eine lange Voraussicht!« sprach der Junker, als er am Ende der kleinen Gasse blieb, und ein Schatten langen Nachdenkens flog über seine hohe Stirn.

»Wir zittern auf unsern Dächern und verkriechen uns in unsern Kellern jedesmal, wenn das Volk tobt gegen den Rat, denn es kann nicht werden besser, es kann nur werden schlechter.«

»Es muß besser werden!« Ein Strahl des Unwillens, und zugleich eines Willens, der in dem Augenblick in der Brust geboren wurde, zuckte über das Gesicht des Junkers. – »Es wird sich vieles in diesem Lande ändern, oder ich kenne nicht den Willen des Markgrafen.«

Der Jude blickte schlau, doch mit ungläubigem Lächeln zu dem Junker auf. »Der Segen des Herrn und unsere Gebete für den hohen Fürsten, aber es wird nicht werden besser. Ruhm seinen Waffen und Ehre allen seinen Thaten, aber er wird's nicht machen besser.«

»Jud!« Der Junker blickte ihn halb verwundert, halb zornig an. Baruch fuhr im selben Tone fort:

»Er hat eiserne Zähne, sagen sie, und einen Willen, der ist grad wie ein Ritterschwert. Aber wer bricht Türme ab und dicke Mauern und reißt Bäume aus, die stehen Jahrhunderte, auch mit eisernen Zähnen, und wer kann gerade von einem Punkt zum andern, wenn im Lande alle Wege sind krumm!«

»Burgen genug haben die Markgrafen doch gebrochen,« sprach mit gerunzelter Stirn der Junker, »und die hohen Türme klein gemacht.«

»Da haben ihnen die Städte beigestanden alle im Lande,« erwiderte der Jude, »und die Schlösser sind worden zerstört; aber was half es? Die drin hausten, sind sie von der Erde verschwunden? – Ihre Häuser und Schlösser sind überall, an den Heerstraßen und in den Wäldern, und ihr Markt ist allerweges. Und wenn der Markgraf geändert, seinen Sinn und will nun zerstören die Städte, wer steht ihm bei? Das Land etwa? Will er das, muß er rufen die aus den Wäldern und von den Heerstraßen, und sie werden auch kommen, aber wie heulende Wölfe; und wird er wollen sie loslassen, daß sie ihm fressen die Beute, die er will? – Das Regiment des Rates ist hart; der Herr lasse es uns ertragen. Vorm Regiment der Zünfte und Gemeinen, er wolle uns davor bewahren gnädig! Daß der Markgraf, den Gott erhalte, setze den Fuß des Zornes auf den Nacken der Städte, der Herr wolle es wenden und unser sich erbarmen! Denn wir wissen, was da ist, aber wir wissen nicht, was da wird kommen.«

»Der Kurfürst tat noch niemand geschädigt, der ihm vertraute und recht thut,« sprach der Junker fast in aufgeregtem Tone.

»Dafür lohne ihn der Herr, der schuf Himmel und Erde, und lasse ihn ernten die Saat, die er gesäet; aber helfen wird er nicht uns. Des Fürsten Hand ist eine kräftige Hand, und sein Mund redet am lautesten; aber die Berge, die tausend Jahre standen vor ihm, stößt er damit nicht um, und die Stimme der Wolken überschreit er nicht. Sein Wille ist gut, aber er kann nicht machen, was krumm ist, grad, und dem Wurm, den sie treten mit den Füßen, kann er nicht sagen: steh auf und renne wie der Hirsch, und fliege wie der Adler. Wie Balsam und Myrrhe ist sein Atem und sein Blick ist Gnade, aber nur für die, so geboren sind, Gnade zu atmen und Huld; die leben im Schmutz und verkehren im Staube, trifft er nicht. Es haben's viele gnädige Herren und Fürsten gewollt gut mit uns, die Herren von Anhalt, der große Waldemar, seine hohe Witib Agnes, auch der Bayer Ludewig, und was sie schenkten uns, war wie der Schlemihl, der kommt in des Armen Haus: er zehrt auf, was darin ist. Der Neid ward gefüttert mit den Brosamen, und das Haus wuchs nur, daß der Sturm seinen Giebel fasse und das Feuer Futter finde in seinen Sparren. Der Herr bewahre uns vor der Gnade, die nicht gehört uns. Sie leuchtet unsern Feinden wie eine Fackel, daß sie finden, was uns blieb! Weh uns, wenn einer uns Gutes will; wer uns wohl will, der wende uns nicht zu seine Augen, er kehre uns seinen Rücken; und wer uns sinnt Liebes, der denke nicht an uns.«

Die Begleiter des Junkers mochten verwundert sein, wie er, der vorhin auf alles Augen gehabt, jetzt stumm und in sich versunken ging und nicht einmal auf ihre Fragen hörte. Herr Konrad meinte, der alte Jude müsse ihn behext haben, Herr Johannes aber äußerte, er kenne das Gift, das in dem Herrn wurme, seit er in diesem Lande sei, und des Juden Rede habe nur geweckt, was lange geschlummert. Sie unterhielten sich leis miteinander, warum Juden überall in einem christlichen Lande geduldet würden. Sprach Herr Konrad: »Sie glauben doch allein an den lebendigen Gott, den Schöpfer des Himmelreiches und Erdreiches, und halten nur den alten Bund, und sind des neuen Widerstreiter, das ist der ganzen Christenheit, und haben Christum, den wahren Gott, zu dem unschuldigen Tode gebracht. Darum ist's doch wunderlich, daß man den Juden gestattet, unter Christen zu wohnen!« Darumme ist dat wunderlich, dat man stadet di ioden bi der christenheit tu wesene. Berliner Schöppenrecht.

»Das hat vier Ursachen,« entgegnete Herr Johannes, »daß man sie unter Christenleuten leben läßt, so uns die alten Rechtslehrer aufbewahrt. Die erste ist, daß wir von ihnen den alten Bund haben, und dadurch Zeugnis von Christus. Die andere, um der Altväter willen, von denen Christus den Anfang seiner Menschheit nahm, nämlich vom Geschlechte Jesse. Die dritte, um der Juden eignen Belehrung willen; sintemalen sie noch vor dem strengen Gerichte Gottes bekehrt werden sollen. Die vierte, um des Gedächtnisses willen Jesu Christi. Denn so oft wir einen Juden sehen, ebenso oft sollen wir der harten Marter in unserm Herzen gedenken, die er unsertwillen trug.«

»Ich weiß noch einen Grund,« sagte Herr Konrad nach einer Weile und lächelte. – »Und der ist?«

»Weil sie immer Geld haben, wenn man Geld braucht. Und wißt Ihr, ob die Burggrafen jetzt in der Mark säßen, wenn der Hofjude Herrn Friedrich des Ersten kein Geld gehabt! Der Pfandschilling war viel Geld.«

»So mögen wir uns freuen,« warf Herr Johannes ein, »daß der Hofjude Kaiser Sigismunds keins hatte: sonst hätte er das Land nicht verpfändet.« – Der Junker, der es gehört, sagte, indem er sich umwandte: »Und müssen wir uns denn freuen?«

Wenn die beiden Ritter auch eine Antwort darauf gehabt, der Junker ließ ihnen dazu keine Zeit, denn er bog rasch um, nicht nach der großen Herberge zum Hirschen, wo ihre Pferde standen, sondern er ging die Gasse zum grauen Kloster hinauf und hieß sie ihm folgen. Fast verwunderten sie sich, als er dem hohen Hause zuging, das ist des Markgrafen Haus, und einer blickte den andern an: »Was will er – so uns der Schloßhauptmann sähe!« – Aber er schritt an dem hohen langen Gebäude, – was mehr wie eine große Steinmasse, denn wie eine fürstliche Residenz aussah und gegen die Gasse wie gegen einen Feind Stirn bot, weil seine Fenster nach den freundlichen Höfen zugekehrt waren, – rasch und ohne den Kopf dahin zu wenden, vorüber, und bog hinterm Kloster der grauen Brüder da um, wo die alten Lindenbäume vor der Kirche stehen.

Hier erst mäßigte er den Schritt, und sein Auge schaute um sich auf das ehrwürdige Gebäude, auf die herrlichen Bäume, die auch in ihrem Winterkleide schön, mit den beeisten Zweigen und Ästen, eine würdige Vorhalle des Tempels dastanden, und er musterte die vielen Krüppel und Lahmen und Gebrechlichen, die auf der Schwelle des Portals und auf den Steinen unter den Linden saßen und standen und stumm ihre Hände ausstreckten nach denen, so zur Kirche gingen. Auf seinen Wink teilte Johannes reiche Almosen aus, und sie dankten laut den mildthätigen frommen Herrn und erflehten des Himmels Segen auf ihren Ein- und Austritt in dieser Stadt; denn sie wußten alle, daß es Fremde waren: »Und daß sie bald wiederkehren möchten!« rief der eine, und ein anderer: »Und immerdar in unserer Stadt bleiben, denn so fromm und freigebig sind unsere stolzen Herren nicht.« Der Junker lächelte, da er auf der Schwelle vor der Pforte stand, und fragte den Johannes: »Und was meinst Du, Johannes, zu dem Wunsche?«

Aber auch diesmal mußte Herr Johannes seine Antwort verschlucken, denn schon war der Junker barhäuptig in die Kirche getreten und wandelte gesenkten Hauptes unter den Betern daher, daß er sie nicht in ihrer Andacht störe. Die Kirche war aber dunkel, denn die Sonne hatte sich verzogen, und durch die bunten Fenster und grauen Schneewolken drang nur geringes Licht. Die Kerzen auf dem Altar, davor der Priester Messe hielt, erhellten auch nur wenig Raums umher. Dennoch suchte der Junker unter den Bildern an den Mauern, als kenne er sie, bis er eines fand, und davor blieb er stehen mit gekreuzten Armen.

Und war es gleich nicht der Ernst, wie ein Frommer vor einem Heiligenbilde kniet, war es doch ein Ernst, der seine Begleiter um mehrere Schritte zurückbleiben ließ. Sie flüsterten sich, am Pfeiler gelehnt, zu, welchen alten Krieger das Brustbild vorstellen möge, davor ihr Herr so sinnend stehe, als verrichte er seine Andacht? Der Sigrist, der es hörte, winkte ihnen beiseit in die Fensterbrüstung, wo sie keinen durch ihr Gespräch störten, und hub also an:

»Das ist weder ein Bild aus der alten Zeit, noch ist's ein alter Krieger, den jetzt die Lebenden vergessen haben sollten. Vielmehr kannte ich ihn noch, als er frisch und rot war. Das sind just dreißig Jahre her, daß er durch Berlin ritt, und das Volk ihm zujauchzte, und die Zünfte ihm mit klingendem Spiel folgten, und die Herren vom Rat an der langen Brücke ihm den Ehrenbecher reichten. Und wie sahen ihn die schmucken Bürgerdirnen an und die Frauen, so von unsern Herren, als von den Gemeinen! Denn er war volle sechs Fuß hoch, und auf dem Pferde saß er, wie man's von unsern Rittern zu Lande nicht gewohnt war. Das gab hier Bankett über Bankett, daß es ihm selbst doch zu viel ward, denn er verlangte in die Schlacht, wo er denn doch früh genug hinkam. Und unter den Zünften war's ordentlich ein Streit und Wetteifer, wer unter ihm und ihm zunächst streiten sollte, wie sie heut unter keinem Edelmann und Herrn fechten möchten. Sein Federbusch, der war zwei Fuß hoch, und die Rüstung war ganz mit Silber eingelegt; es war eine Freude, es zu sehen, und nun haben sie ihn doch schon vergessen. Sein Name war Hans von Hollach, ein Graf, wie es wenige gab im Reich.« – Die beiden Ritter richteten nun ihre Augen mit andern Blicken nach dem dunklen Bilde. Der Sigrist aber fuhr fort:

»Bei Cremmen am Damm, wo manch Berliner Sohn eingescharrt liegt, traf ihn, dort unter der Schulter, eine pommersche Keule. Er kannte den bösen Boden nicht und hatte sich zu leicht vorgewagt. Die Städter wußten es wohl, aber sie waren alle voll Lust, es dem Landadel anzuthun, und wie verhext und trunken von dem Stolz und der Zuversicht des Grafen, folgten sie ihm ohne Widerrede und meinten, es müsse gehen. Im Gedränge dann bekam er noch eine Wunde dort auf der Schläfe, und nun hing er nur noch im Pferd, das ihn mit den andern zurücktrug. Wer dem jungen edlen Herrn, dessen Seele Gott gnädig sei, den letzten Stoß gab, niemand weiß es, und er könnt' es nicht mehr sagen. Denn als sie ihn nach Berlin brachten, einige sagen, er war schon verblichen und ein Leichnam, die andern, er habe in unserer Stadt zum letzten Male geatmet. Das war ein Heulen und Klagen, und sie hatten in den Städten Grund genug, denn wie viele von den Ihren blieben da im Sumpf zurück, wie viele reiche Bürgersöhne waren gefangen von den havelländischen Herren, die sich nachmals tüchtig bezahlen liehen, und die zurückkamen, waren alle zerhauen und zerstochen. Durchs ganze Land war's ein Jammer. Denn wenn's solch ein Ritter und Feldherr, wie der Hans von Hollach, der den Sieg in seiner Faust trug, mit dem Adel nicht ausmachte, und wo alle Städte zugezogen waren, freiwillig, mit Mann und Roß, wer sollte's da! Und sie alle meinten, es stände mit des Burggrafen Sache recht schlecht, und er werde es nimmer kriegen. Und die sonst stolz waren und hochfahrend, wie waren sie niedergeschlagen, und wie ließen sie im ganzen Lande die Köpfe hängen! Denn sie meinten, nun würde es mit dem Adel gar nicht auszuhalten sein. Aber es dauerte nur kurze Weil. Die Not, die allen gleich nahe war, ließ sie den Hader vergessen, denn sie lagen, die Städte, die Herren und die Gemeinen, sich dazumal wie jetzt in den Haaren. An dem Tage, wo der hohe Herr Graf begraben wurde, und sie hier die Seelenmesse für ihn lasen, denn er ist ohne Beichte und Absolution von hinnen gegangen, ich sehe es noch, wie alles auf den Knieen lag, und die Thränen den Weibern nur so aus den Augen stürzten, und die Männer selbst sich halten mußten, daß die Augen trocken blieben. – Dazumal schüttelten sich, die Feinde waren, die Hände, und in der Kirche und davor traten sie zusammen und redeten, wie es recht ist und gut. Der Bürgermeister, Herr Mattheus Rathenow, der Vater von dem jetzigen, wie sprach der da, als sie den Grafen in die Gruft senkten! Worte waren's, die ein Herz von Stein rühren konnten. Man solle nicht im Aug' haben, was man verloren, sondern was man noch verlieren könne. In solchen Zeiten müßte jeder brave Mann sich vergessen, für das Beste der Stadt und des Landes. Der sei nicht wert, ein Bürger zu heißen, der, weil der Nachbar ihm auf die Hacken trat, Zeter schrie, dieweil der Feind aller vor den Thoren lache, und alles, was Ordnung heiße und gute Sitte, unter seinen Fuß von Stahl zu treten drohe. Und vor las er ihnen die Schreiben des Kurfürsten, der dazumal noch Burggraf war, und die Bürger ermahnte, auszuhalten, bis er selber komme ins Land, um die Übermütigen und Räuber zu züchtigen und die Friedensbrecher selbst zu brechen. Und was für Worte sprach er über den toten Grafen, der nicht um Hab und Gut und kleinliche Händel, der gekommen wäre aus seinem schönen Lande allein um der guten Sache willen; und an seinem Grabe, ihm zu Ehren sollten sie Eintracht geloben, das wäre dem Seligen dafür der schönste Lohn, daß er gefallen sei für der Städte Wohl, wo er kein Haus gehabt, kein Weib und Kind, nicht einmal das Recht, das der Jude hat und der Bettler, der darin geboren ist. Das wirkte denn auch, und die von den Geschlechtern, die sich nicht ansehn mochten, drückten sich die Hand; da versprachen die reichen Herren so viel aus den Ihrigen zu rüsten, als sonst drei, sieben, zehn, nicht zusammen thaten. Die Zünfte wetteiferten, jede wollte es der andern zuvorthun, nicht in eitlem Prunk und Rechthaberei, vielmehr in Geld und guten Diensten für die Stadt und das Allgemeine. Und das hat denn auch seine Früchte getragen, als der Markgraf Friedrich, hochseligen Angedenkens, im Frühjahr drauf in die Mark kam, denn er fand die Städte in Stahl und Eisen vom Kopf bis zur Zeh, und die adligen Räuber flohen und zersprengten, wie das Wild im Felde, wenn der Jagdzug bläst; aber sie suchten es auf in seinen Höhlen und Verstecken, und ihre Schlösser wurden gebrochen, und ihre Türme stürzten, und die Gräben wurden gefüllt, und die Burgverließe verschüttet, und das Herz aller Rechtschaffenen im Lande schlug wieder freier, und es war voller Dank gegen den Himmel und den Markgrafen und die braven Bürger und die Städte, die ihr alles drangesetzt.«

Die beiden Ritter mochten nicht alles von der langen Rede des alten Sigristen vernommen haben, aus dessen Wärme sich leichtlich ergab, daß er nicht immer ein Mann des Wortes gewesen, sondern vordem einer der That, der wohl dazumal, als die Städte in Stahl und Eisen standen, nicht auf der Bärenhaut gelegen, noch hatte er auf dem Lotterbette seinen narbenvollen Körper gepflegt. Die Ritter standen vielmehr, gleich dem Junker dort, mit gesenktem Haupt, in stummem Gebet für die Seelenruhe des toten Helden Johann von Hohenlohe ihre Hände faltend.

Langsam schritten sie dann durch die dunklen Hallen aus der Kirche.

Draußen sprach der Junker, dessen Gesicht noch um vieles ernster aussah als vordem, zu seinen Begleitern: »Das war das erste edle Blut, damit der junge Baum unserer Herrschaft in diesem Boden begossen ward. Wolle Gott und seine Heiligen, daß es das letzte sei!«

Die Ritter schwiegen, aber auf ihren Gesichtern stand vieles zu lesen. Die Gassen waren noch sehr belebt, und allerwärts besprachen die Leute die Vorfälle vom Morgen, und in jedem Haus und in jeder Familie mochte der Streit noch einmal durchgekämpft werden. So wilde Gesichter sah man allerwegen. Durch andere Gassen, als sie gekommen, erreichten die Fremden ihre Herberge. Es war auch da großer Tumult auf dem Hofe, und es kostete Mühe, bis sie ihre Pferde durch die vielen Rüstwagen und Gespanne und Rosse aller Art vorgezogen erhielten. Der Wirt bedauerte sehr, daß sie nicht zum Mittagimbiß bleiben wollten, denn er habe auch nach fränkischer Art und Weise zukochen lassen, wie an des Kurfürsten eigner Tafel gekocht werde. »Wir kommen wohl einmal wieder,« sprach der Junker, als der Wirt ihm ehrerbietig den Steigbügel hielt. »Und wollen dann allerwärts auf fränkisch zukochen lassen,« murmelte Herr Konrad.

Aber sie hatten Not, daß sie nur bis zum Spandower Thor kamen, denn von da strömte es zurück von allen, die dem Auspeitschen beigewohnt, und andere liefen noch neugierig hinaus. Als am Thor der Wärter nach Stand und Namen fragte, nannte sich der Junker: Graf Konrad von Knipprode, in Diensten des erlauchten Burggrafen Albrecht von Nürnberg, itzund abgesandt an den Hof seines durchlauchtigsten Bruders, des Kurfürsten Friedrich des Andern, und sie ritten nach Spandow zum Fürsten. Worauf der Thorwärter ehrerbietig die großen Thorflügel öffnete, und auch die zween andern als sein Gefolge passieren ließ, ohne sie um ihre Namen zu fragen.

Als die eichenen Thorflügel hinter ihnen zuschlugen, bäumte sich das Pferd des Junkers, daß er Mühe hatte, es zu regieren; aber sein Herr warf einen finstern Blick auf das verschlossene Thor zurück, das düster und trotzig aussah mit den vielen Eisennägeln, Riegeln und Stangen, damit die dicken Eichenbohlen beschlagen waren. Und ringsum an der Brüstung drüben starrten Balkenköpfe heraus mit Eisenstacheln bespickt, und trotziger noch als die Thore drohten die beiden hohen Türme von roten Ziegelsteinen mit kunstreich gebrochenen Zinnen; und in die Mauerwände waren schräge Schilde von Sandstein eingekeilt mit den Wappen der verbündeten Städte und der Geschlechter der Stadt. Auch Männer sah man auf den Türmen und den Mauerbrüstungen, doch waren's diesmal nur Neugierige. Aber ihre Federbüsche und Helmkappen mit den Spießen der Wächter und was von Kriegswerkzeug umherstand, hatte doch ein sehr kriegerisch Ansehn; wie denn in jedweder Stadt dazumal nur die Lärmtrommel zu tönen und die Glocken zu stürmen brauchten, und es war eine Festung, auf allen Angriff wohl vorgesehen.

»Ist das nicht dasselbe Thor, wo mein Vater seliger –« sprach der Junker; doch Herr Johannes faßte rasch die Zügel seines Rosses, das einen gefährlichen Sprung machte itzt wo sie auf der Zugbrücke waren, und der tiefe Graben drunten, der in die Spree sein Wasser ergoß, hätte Reiter und Roß verschlingen mögen.

»Um Gott, gnädiger Herr, es ist's!« rief Herr Johannes, ihm ins Wort fallend. »Aber hier ist keine Weil für uns.« Und er führte das Pferd über die Brücke durch das Weichhaus, während der Junker noch immer den finstern Blick auf das finstere Thor zurückwandte.

»Noch ist dort Weil für uns,« sprach Herr Konrad, links hinzeigend, wo viel Volks zusammenstand und in ihrer Mitte der Büttel, der sich mit seinen Gesellen, nachdem es geschehen, auf den Rückweg machte, derweil die Kinder und Weiber und mutwillige Bursche schreiend und zischend ihre grausame Kurzweil mit den abgestraften Weibern trieben. Also lenkten sie, nachdem die Brücke passiert, rasch rechts um in die Vorstadt von schlechten Häusern, wo das Gesindel neugierig die Köpfe nach den vornehmen Herren ausstreckte. Aber sie ritten rasch durch, und die Hufen ihrer Rosse bespritzten mit Schnee und Kot die Jungen, die ihnen Schimpfworte nachschrieen. Und erst als sie weit hinaus waren, wo keine Häuser mehr standen, hielten sie inne, und es war, als atmeten sie alle drei auf, wie aus einer Gefahr entronnen. Es war trüber Himmel worden, und die Schneewolken drängten von Spandow herüber. Die Städte lagen dampfend ihnen zu Füßen, kein erfreulicher Anblick, wie es die ganze Natur umher nicht war. Die Spree in ihren Krümmungen dämmerte nur matt hinter der langen Reihe alter Weiden, die auf dem Damm sich erhoben. Ringsum trüb gefärbter Schnee und lange Streifen ungastlicher Kieferwaldungen, und nur sparsam am Horizont, die Spitze eines Kirchturms, der verriet, wo in der weiten Umgegend ein Dorf war. Dagegen erhoben sich zahllose Schwärme von Krähen aus den kahlen Sträuchen, umschwirrten die einzelnen hohen Kiefern und ließen sich dann kreischend wieder auf die Schneefelder nieder, ungestört von der Gegenwart der Reiter.

»Der Herr sei gelobt und seine Heiligen,« sprach Herr Johannes, »daß er uns so geschützt und geführt hat! Mein Rat war es nimmer.«

Der Junker, als er sich umwandte ihm zu antworten, hatte ein ganz anderes Gesicht, als das wir in der Stadt gesehen; denn nicht allein, daß er einen andern Bart trug, kleiner und zierlicher denn der vorher Nacken und Kinn umschattete, auch als er mit dem Sacktuch über das Gesicht gefahren, war die Farbe anders, heller denn vorhin geworden, ob man doch auch hätte behaupten können, es sei nur ein düsterer Ausdruck darin, denn in dem seinen und edlen Gesicht traten um so mehr die Falten des Ernstes heraus, und die sinnenden Augen, darin viel zu lesen stand, glänzten dunkler auf der weißen Hautfarbe, wie vorhin auf dem braunen Anhauch.

Und als sie nun weiterritten, wandte sich der Junker zu Herrn Konrad: »Du bist still! Das ist nicht Deine Art.«

»Mag's die Luft sein, gnädiger Herr, oder der Krähengesang, oder der Geruch der Stadt, der mir noch nicht aus der Nase will.«

»Riecht es in Nürnberg besser? Oder sind in Frankfurt und Bamberg keine engen Gassen?«

»Gnädigster Herr, die Lohgerber und Seifensieder und Fleischhauer stinken in aller Welt. Da es nun einmal ohne sie nicht abgehen kann, muß es Städte geben. Aber die in diesem Lande kommen mir wie die Windmühlen der Kinder vor, die sich immerfort drehen, aber sie machen kein Mehl. Ja es dünkt mich wie Spott, diese Schmutznester Städte nennen; und ihrem Geschrei ein Ohr zu leihen, ist mir, wie wenn einer aus dem Schwirren und Krächzen der Krähen die Natur der edlen Falken studieren will.«

»Da hat also Johannes in Dir einen Bundesgenossen,« lächelte der Junker. – »Die Falkenjagd ist eine schöne Lustbarkeit. Aber die Jagden sind auf der Erde mannigfach verteilt. Wer fischen wollte auf den Bergen und Gemsen jagen in der Ebene, den würde man einen Thoren heißen. Den Eber fangen und den Hirsch hetzen, ist eine königliche Lust; aber wer dem Bär nachstellen und die Wölfe jagen muß, fühlt auch eine Lust, wenngleich die Weidmannskunst geringer davon denkt. Er fühlt die hohe Lust, das Land zu befreien. So sind die Aufgaben geteilt, Freund Konrad. Ich jagte auch lieber mit meinem Bruder im schönen Franken, an den Rebenhügeln und dem sanft gekrümmten Main nach edlem Wild. – Es sollte nicht sein. Mein Vater stellte ihn dort als Jäger hin und mich hier. Ich habe nicht darüber gemurrt, ob doch einige mir zuraunen wollten: »Er hat ungerecht geteilt. Du, der ältere, dem das Beste Zukommt, erhieltest den dürren, unfruchtbaren Boden, und er, der jüngere, den fetten, reichen, der von selbst trägt; Du sollst die saure Arbeit haben, und ihm gab er die süße Ernte.« Ich sprach bei mir: wem er die Arbeit gab, dem gab er auch die Ehre; und wenn es mir gelingt, den dürren Boden fruchtbar zu machen, wer weiß, ob meine saure Ernte nicht süßer ist, als seine leichtere. Darum hab ich nie mit Neid auf meinen Bruder gesehen, und keinen Augenblick das Testament meines Vaters bedauert. Ich nahm mir vor, ein Jäger zu sein, ein Landmann und ein Gärtner, wie es sich schickt für das Revier, wo ich hingestellt bin. Ich wende nicht mehr mein Auge zurück nach den grünen Bergen und Auen, den lieblichen Bächen und den stolzen Felsburgen meiner Väter – hier ist mein Vaterland. Diese rauhe Luft ist mir itzt vaterländisch; ich werde jagen in diesen Kiefernwäldern und pflügen und säen in diesem flüchtigen Sande, und wenn der Wind sie auch hundertmal verweht, ich werde wieder von neuem säen, und will ausdauern, so lange der Herr mir Kraft giebt.«

Da sprach Herr Johannes: »Amen!« und sie ritten schweigend eine Weile mit'nander. Und darauf redeten sie von dem Leben und von den Thaten des edlen Grafen Johann von Hohenlohe, dem der Junker und Graf Konrad verwandt waren, und beide waren seines Lobes voll und Johannes stimmte willig darin ein, daß er ein Ritter gewesen seiner Zeit wie wenige. Und nur bedauerte er, daß er fallen müssen ohne zu siegen, und verbluten ohne Hoffnung, und sein Andenken sei vergessen, kaum daß sein Name verstümmelt unter diesem Volke fortlebe, für das er sein Herzblut vergossen.

»Vergessen!« rief Friedrich, und sein Auge leuchtete von wunderbarem Ernst. »War das keine schöne Grabtafel im Munde des alten Küsters? Es hatte sie keiner ihm diktiert, und keiner seiner Verwandten sie bestellt, und sie klang doch so herrlich, als eine lateinische Inschrift, die wir mit Golde bezahlen! Oder murrst Du, daß sie nur im dunklen Winkel einer Kirche steht? Und ist er denn gefallen ohne zu siegen? Ist nicht unsere Herrschaft der Sieg, den er mit seinem Heldentod erkaufte? – Er war eins der Saatkörnlein, die, früh in den verwilderten Boden geworfen, vom Unkraut erstickt wurden. Aber es war nicht verloren. Sein Blut düngte den Acker, und der Baum, den mein Vater darauf mit starker Hand pflanzte, ist er nicht aufgegangen?«

Sie schwiegen, Konrad sprach nach einer Weile: »Wir werden noch viel düngen müssen, daß er Wurzel schlägt im losen Sande.«

»Wie der Herr will,« sprach Friedrich. »Oder traust Du mir die Kraft nicht zu, ihn zu halten?«

»Mehr noch trau ich Eurem Heldenarm zu,« rief Konrad mit inniger Wärme. »Viel kann ein reicher Mann. Das schlechteste irdene Gefäß kann ein Goldschmied mit Gold und Edelsteinen belegen, daß es kostbar aussieht und unschätzbar wird; aber niemand wird billigen, daß der Schmied Gold und Edelsteine und seine ganze Kunst auf einen schlechten Küchentopf verwendet; er kann bessere Stücke machen, und leichter, wenn er in edlerm Metall arbeitet. Was kann aus diesen Sandbänken und Moortümpeln werden; die das Meer vergaß, als es in sein Bett zurücktrat?«

»Das weiß ich nicht,« sprach Friedlich. »Das aber weiß ich, daß, welchem Mann sein Vater eine Erbschaft ließ, und sei sie noch so schlecht geordnet und verspreche wenig Ertrag, er muß sie hüten und pflegen; denn er empfing sie von seinen Vätern, nicht für sich, sondern für seine Kinder und Kindeskinder. Also handelt er nicht um seinetwillen, sondern als Verwalter, der Rechenschaft ablegen muß. Diese Marken wurden in alten Zeiten mit teurem germanischen Blute, mit dem Opfertode von tausend Märtyrern den Wäldern und ihren slavischen Bewohnern abgerungen, und erkämpft für das römische Reich deutscher Nation, daß sie deutsch blieben, in unserer Zucht und Sitte. Dazu empfingen sie von dem Reiche, dessen gehorsame Kinder wir alle sind, die Markgrafen vor uns, als eingesetzte Verwalter! dazu empfing sie mein Vater, und mein Vater seliger ließ sie dazu mir. Und an mir ist's, nicht zu grübeln, ob der Boden die Mühe lohnt, gleichwie ein Vater, dem Gott Kinder gab, die Gebresten haben, nicht grübeln darf, warum sie nicht schön sind und grad gewachsen, daß sie Ritter würden, sondern er muß grad an ihnen thun, und mit derselben Liebe sie pflegen, als wären sie wohlgethan und würden ihm Freude bringen und Ehre im Alter.«


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