Willibald Alexis
Der Neue Pitaval
Willibald Alexis

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Ein sonderbarer Geschworener.

(Nordamerika.) 1882.

Am 5. April 1882 sollte in Neuyork ein Proceß vor dem Schwurgericht verhandelt werden. Als Ankläger trat ein gewisser Baumgarten auf, der Angeklagte war ein Mann Namens Joseph David. Dittenhöfer, der Anwalt des letztern, wurde kurz vor dem Beginn der Verhandlung durch eine eilige Sache genöthigt, sich in seine Office zu begeben, und beauftragte seinen Schreiber, ihn durch das Telephon zu benachrichtigen, sobald der Fall aufgerufen würde. Dies geschah, Dittenhöfer kehrte zurück, war aber sehr erstaunt, als er seinen Clienten nicht mehr auf dem für ihn bestimmten Platze antraf; der Schreiber suchte ihn vergeblich im Zuschauerraum und im Zeugenzimmer, endlich entdeckte er ihn auf der Bank der Geschworenen. David hatte zufällig auf der Geschworenenliste gestanden, war ausgelost worden und saß nun mit in der Reihe der Urtheilsgeschworenen. Dittenhöfer, dem dies begreiflicherweise äußerst komisch vorkam, lachte laut auf und beantragte die Vertagung. Der Anwalt des Anklägers widersprach und erklärte, sich darauf in keinem Fall einlassen zu wollen. »Nun«, erwiderte Dittenhöfer, »Sie werden doch wol zustimmen müssen, denn der Angeklagte sitzt ja auf der Bank der Geschworenen.«

Richter, Anwälte, Geschworene und Zuhörer brachen in ein schallendes Gelächter aus. Als die Ruhe wiederhergestellt und David aufgefordert wurde, sich darüber auszusprechen, wie er unter die Geschworenen gekommen sei, antwortete er: »Er sei ausgelost worden und habe seinen Sitz ohne Bedenken eingenommen, denn er kenne den Fall sehr genau, und sei doch viel besser im Stande, darüber zu urtheilen, als andere, die nichts davon wüßten.« Das Gericht theilte diese Ansicht natürlich nicht, David mußte seinen Platz räumen, und die Verhandlung wurde vertagt.


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