Alexis / Hitzig
Der neue Pitaval - Band 9
Alexis / Hitzig

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Die Quäker in Boston

1655-1675

In den gesetzten und friedliebenden Quäkern von heute wird es schwer, die Nachkommen jener Enthusiasten des 17. Jahrhunderts wieder zu erkennen, welche gleich so vielen Sekten und Parteien den Spottnamen, welchen ihre Gegner ihnen beilegten, jetzt als Ehrennamen führen.

Diese stillen Sektirer, die heute friedlich zu jedem stehen, waren einst der Gegenstand des Abscheues und Entsetzens für fast alle andern Religionsparteien. Ueberall in der alten Welt wurde die Verfolgung gegen sie losgelassen. In den englischen Verordnungen jener Zeit werden sie »eine verabscheuungswürdige Sekte« genannt, ihre Grundsätze »unverträglich mit jeder Art von Regierung«. Wo sie sich zeigten, waren sie Gefahren und Bestrafungen ausgesetzt. Sie wurden ausgepeitscht, mit Dieben und Räubern zusammengesperrt, in finstere Kerker geworfen, mit Geldbußen belegt, außer Landes gewiesen und selbst in einer Art Leibeigenschaft nach den Colonien geschickt.

Ihre Zuflucht blieb die neue Welt; aber es dauerte lange, bis sie das gehoffte Asyl dort fanden. Ihre ersten Zuzügler hatten in Amerika ein fast noch härteres Schicksal, als im Mutterlande. Namentlich wußte man in Neuengland, in den Staaten der Puritaner, der heiligen Pilger von über der See, nichts von religiöser Toleranz. Ja es ward gegen dieselbe, wo Obrigkeiten sie üben wollten, als gegen eine Sünde gepredigt, welche die Zornruthe des Himmels auf ein Land herabrufen müsse. Wir sahen in dem vorigen Falle, welche Gewalt die puritanische Geistlichkeit im Staate Massachusetts sich beilegte. Es war das Eldorado der Puritaner geworden; Gott der Herr herrschte unmittelbar durch sein erwähltes Volk, das mit ihm den heiligen Bund, den Covenant, geschlossen. Ringsumher Wildniß und Wilde und die schäumende See, und fern das England mit seinen geordneten Institutionen und Gesetzen, welche diesem göttlichen Staate und Regimente, voller Eingebungen von oben, hinderlich werden könnten.

Aber diese Eingebungen, welche den Vätern und Aelterleuten geworden, als sie sich gegen das Joch der bischöflichen Kirche erhoben, waren jetzt allmählich ein gewöhnliches Gemeingut geworden, es bedurfte nicht mehr neuer, die religiösen Doctrinen und Überlieferungen standen fest, sie waren in der Mitwissenschaft der ganzen Gemeinde, aber unter besonderer Obhut der Geistlichen, und man hielt jetzt noch Eingebungen für überflüssig; wenn die Jüngern sich aber darauf einlassen wollen, hätte man es Vorwitz geheißen. Noch weit unnöthiger aber hielt man es, wenn etwa Fremde durch solche Eingebungen noch Mehr, oder gar etwas Besonderes wissen wollten. Was jemand zu wissen brauchte, konnte er durch jeden heiligen Bruder oder jede heilige Schwester oder den erwählten Diener des göttlichen Wortes erfahren; darüber eine andere Meinung zu hegen, konnte schon zum Verrath am Staate werden. Daß man aber seine religiösen Meinungen wechseln dürfe, wenn man bis zur Vollkommenheit der puritanischen Erkenntniß gekommen, kam niemand als etwas, was zur Freiheit des Menschen gehöre, in den Sinn.

Wir sahen, wie der Prediger John Wheelwright verbannt, wie Anna Hutchinson bestraft und ausgewiesen wurden. Alle diese hatten sich nur erlaubt, Meinungen über die göttlichen Dinge zu haben neben denen, welche die Geistlichen für schriftgemäß erklärten. Wie sollten aber in diesem heiligen puritanischen Staate die Quäker aufgenommen werden, eine Sekte, die nichts von bestallten Predigern und Geistlichen wissen wollte, von der Schrift nur insofern, als sie mit ihren Eingebungen übereinstimmte, und für die der eigentliche Quell alles Wissens und Glaubens nur die Inspiration, das unmittelbare Ueberkommen des heiligen Geistes war, zu der jeder geweiht, jeder berufen sei?

Diese Sekte konnten die regierenden Geistlichen zum wenigsten dulden, und sobald die ersten Quäker aus England herüberkamen, traf sie die ganze Strenge nicht der Gesetze, sondern der Willkür, der angemaßten Machtvollkommenheit, die es als heilige Pflicht ansah, solche greuliche Sektirer zur Ehre Gottes und des Landes auszurotten. Der kleine puritanische Staat gewann durch seinen Eifer in dieser Verfolgung großen Ruhm unter den Heiligen, und die nachfolgenden Blätter sollen Eingebungen aus dieser Quäkertragödie erzählen. Es ist kein eigentlicher Criminalfall im strengern Sinne des Wortes, denn die Proceduren gegen die Opfer haben sich meist nur in historischen Registraturen erhalten; aber unsere Aufgabe ist, wie schon ausgesprochen, zuweilen eine weitergehende, als nur das aus den Acten Beglaubigte wieder zu berichten, und die Criminalprocesse, die nur in der Geschichte sich protokollirt finden, sind oft für Sitte, Recht und Seelenkunde wichtiger als die erstern. Einmal bei Fällen des Strafverfahrens, welches protestantische Sekten und Richter gegen Ketzer angewandt, mögen die nachfolgenden Skizzen als historischer Anhang und Beleg zu den beiden vorangegangenen Fällen betrachtet werden. Mit herausgerissenen einzelnen Bildern kann man wohl die Charakteristik einer Zeit, einer Epoche, einer geistigen Krankheit hinwerfen; aber wo es sich thun läßt, ziehen wir vor, aus dem einen größern Bilde, in Verbindung mit kleinen, aus seinem Umkreise ein landschaftliches Gemälde zu entwerfen. Für den Effect sind zwar herausgegriffene Bilder mit grellen Schlagschatten vortheilhafter, aber der Zweck unsers Werks ist nicht Spannung und Erschütterung, sondern im individuellen und im Völkerleben die Wahrheit aufzufinden, welche sich auch in den Verbrechen abspiegelt; in den Verbrechen derer, die darum gestraft wurden, weil sie den Buchstaben übertraten, und in den oft größern Verbrechen derer, welche sie darum straften. Uebrigens meinen wir, daß unser Leser nicht ohne Rührung diese, wenngleich nur lose aneinandergereihte Perlenschnur einer fast kindlichen Märtyrerlust und eines ergreifenden und erschütternden Märtyrerthums lesen werden.

So viel erweislich, kamen im Juli 1656 die ersten Quäker nach Amerika. Es waren Anna Austin und Mary Fisher. Der Geruch ihres Ketzerthums war ihnen voraufgegangen, man fürchtete im voraus die Verpestung, und sobald sie ans Land stiegen, wurden ihre Kisten durchsucht, ihre Bücher confiscirt, vom Henker verbrannt, und, nachdem sie manche Unbilden erduldet und fünf Wochen gefangen gesessen, verwies man sie des Landes. Alles dies ohne irgend gesetzliche Bestimmungen. Ja, der Gefangenwärter nahm den Armen noch für seine schuldige Bezahlung ihre Betten ab. Beiläufig, so dämpfte diese Erfahrung in der neuen Welt den Muth der Frauen nicht im geringsten, ja, sie erhob den Mary Fisher's dermaßen, daß sie, in der civilisirten Welt abgewiesen, zu den Türken ging, um diese zum Quäkerthum zu bekehren. Allein reiste sie bis Adrianopel, wo sie dem Großvezier sagen ließ: eine englische Frau habe ihm etwas mitzutheilen, was der große Gott durch sie dem Großtürken melden lasse. Sultan Mohammed IV. ließ sie wirklich vor sich kommen, hörte sie mit Ernst an, und – ließ sie wieder gehen ohne Spott und Kränkung. Wahnsinnige gelten für gottbegeistert bei den Türken, bemerkt ein englischer Schriftsteller. Nicht allen Quäkern ging es übrigens dort so gut. Der Quäker Kelsey, der in den Straßen Konstantinopels predigte, erhielt, auf Anrathen des englischen Gesandten, die Bastonade.

Nachdem acht andere Quäker in Boston gelandet, sofort gefahndet, eingesperrt und mit demselben Schiffe, welches sie herübergebracht, wieder zurückgeschickt worden, hielt man es für nöthig, ein Gesetz zu geben, welches, im October 1656, in den Generalversammlungen Massachusetts durchging: »Als dieweil ist neuerdings in der Welt eine verfluchte Sekte von Ketzern aufgestanden, so gemeinhin Quäker genannt werden, welche fürgeben, unmittelbare Sendungen von Gott zu haben und daß der heilige Geist bei ihnen ist, wenn sie gotteslästerliche Meinungen sprechen, die Regierung verachten und die Ordnung Gottes in der Kirche und im Gemeinwesen, auch welche sich nicht scheuen, schlecht zu sprechen, und zu lästern gegen Obrigkeiten und Geistliche«, so ward verordnet, daß jeder Schiffskapitän, der einen solchen Quäker, insofern dessen Eigenschaft ihm bekannt, importire, 100 Pfd. St. Buße zahlen und Caution bestellen solle, ihn wieder mit seinem Schiffe nach dem Orte zurückzuschaffen, von wo er ihn hergebracht. Der Quäker aber als solcher, wenn er das Land betrat, sollte gepeitscht und ins Zuchthaus gesperrt werden. Wer nur einen Quäker aufnahm, verordnete ein späteres Gesetz, sollte 40 Schilling für jede Stunde, wo er ihn beherbergt, zahlen! War der Quäker schon einmal betroffen und ließ sich wieder betreffen, sollte ihm ein Ohr abgeschnitten werden, kam er zum zweiten male, das andere. Weiber sollten beide male scharf und schärfer gepeitscht werden. Wurden sie zum dritten male betroffen, so sollten ihnen, so Männern als Weibern, die Zungen mit einem glühenden Eisen durchbohrt werden.

Diese Strafen blieben nicht bloße Drohungen, sondern wurden an den Quäkern vollzogen; ja man findet Decrete, wo ausdrücklich bestimmt ward: jetzt soll diesem das rechte und diesem das linke Ohr abgeschnitten werden. Statt sich aber schrecken zu lassen, wurden die Quäker dadurch nur angelockt, und ihrer kamen und standen in Massachusetts immer mehr auf, jemehr die orthodoxe Bevölkerung gegen sie entbrannte. Sie triumphirten in ihren Leiden und gingen auf das Märtyrerthum aus. Zerpeitscht und verstümmelt wurden sie fortgeschickt, um mit dem nächsten Schiffe wiederzukommen. Nichts konnte ihre Zunge schließen, und so laut und furchtlos verkündeten sie ihre Lehren, daß das Volk erstaunte. Auch duldeten sie die grausame Strafe mit solcher Ergebung und Milde, daß immer mehr an das innere Licht glaubten, von dem sie geleitet zu werden vorgaben.

Andererseits aber traten diese Quäker, welche heutzutage jeder Obrigkeit gehorchen und durch Sanftmuth, Bescheidenheit und Gehorsam sich auszeichnen, in unserm Sinne als Hochverräther auf. Sie griffen zwar nicht zu den Waffen, noch forderten sie zu Empörung auf, aber sie erklärten die Regierung in Neuengland geradezu als eine verderbliche; sie protestirten gegen alle Verfügungen der Magistrate als ungöttliche; die eingesetzte Priesterschaft sei die Priesterschaft des Baal. Einige nannten die Sacramente fleischliche und götzendienerische Angewöhnungen, und einzelne gingen in ihrem fanatischen Eifer so weit, daß sie in den Kirchen aufschrien und den Geistlichen ins Wort fielen, was freilich zu keiner Zeit geduldet werden durfte. Die Quäkerinnen gingen darin noch weiter als die Männer, was bei der Sittenstrenge der echten Puritaner natürlicherweise großen Anstoß gab und den Abscheu gegen die Sekte im allgemeinen vermehrte.

Während man in Massachusetts sich gar nicht mehr zu helfen wußte vor den wie aus der Erde wachsenden Schwärmen von Schwärmern und schon zu neuen noch strengern Gesetzen überging, machten sich doch auch schon damals vernünftige Ansichten geltend. Der Staat von Rhode-Island, der die Quäker nicht weniger verabscheute, wollte kein Strafgesetz gegen sie erlassen: »Denn wir finden, daß in denen Orten, wo es diesen Leuten frei steht, sich zu erklären und auszusprechen, wie sie Luft haben und man ihnen nur durch Gründe in der Disputation begegnet, dahin haben sie am wenigsten Lust zu kommen, und sie werden dieser Orte überdrüßig, weil die bürgerliche Obrigkeit ihnen nichts in den Weg legt, sondern man mit aller Geduld und Sanftmuth zuläßt, daß sie von ihren Eingebungen und Weisungen reden, so viel sie wollen. Und daher finden wir auch nicht, daß sie hier viele für sich gewinnen; und es ist uns auch ganz klar, daß sie darein ihr Vergnügen setzen, von der Obrigkeit recht verfolgt zu werden, und wenn sie verfolgt werden, dann gewinnen sie weit mehr Anhänger durch die Art, wie sie geduldig leiden, als durch ihre gefährlichen Reden.«

Die goldenen Worte der Weisheit fanden damals so wenig als heute überall Eingang, vielmehr erließ der Staat Massachusetts 1658 ein neues Gesetz: daß jede Person von der »verfluchten Sekte der Quäker«, die sich innerhalb des Territoriums fände, sofort eingesperrt und auch nicht gegen Bürgschaft entlassen werden solle bis zur nächsten Gerichtssitzung. Dann solle ein ordnungsmäßiges Gericht über sie abgehalten und sie bei Todesstrafe verbannt werden. Dies Todesgesetz ging indeß nur nach langen Kämpfen und nur mit der Mehrheit einer Stimme durch. Mehrere Notabilitäten sprachen laut ihre Misbilligung aus und versuchten nach Kräften die Ausführung desselben zu hintertreiben.

Schon ein Jahr darauf kam es indeß gegen drei Personen in Ausübung.

Mary Dyer, Marmaduke Stephenson und William Robinson waren, als geständliche Quäker, die schon einmal unter Todesandrohung ausgewiesen worden, gefänglich eingezogen und hatten nach dem Gesetz das Leben verwirkt.

Mary Dyer gehörte früher zur Sekte der Antinomier, sie hatte mit Anna Hutchinson vor 20 Jahren die Colonie verlassen. Marmaduke Stephenson hatte schon früher in Boston Unruhen erregt. Als er 1656 in seinem Vaterlande, in Yorkshire, hinter dem Pfluge ging, hatte er laut die Stimme des Herrn gehört, die ihn hieß: ein Prophet unter den Völkern zu werden. William Robinson aus London war sogar schon einmal ausgepeitscht worden.

Mary Dyer war schon früher einmal nach Boston zurückgekehrt, aber ihr Mann hatte sie nach Rhode-Island zurückgerufen. Die andern beiden waren mit dem bestimmten Vorsatz nach Massachusetts zurückgekommen, ihr Leben dem heiligen Zwecke zu opfern, das Werk des Herrn in der Gegend von Salem zu fördern. Als der Gerichtshof sich versammelte, gingen sie deshalb freiwillig nach Boston, und unter vielen andern begleitete sie dahin auch Alice Cowland, die weiße Linnen mitbrachte, um ihre Leichname darein zu hüllen, wenn sie verurtheilt und gerichtet wären! Da hielt es auch Mary Dyer vor Sehnsucht nicht länger aus, sie verließ den Mann und kam nach Boston, um auch für das gute Werk zu sterben.

Am 19. October 1659 standen die drei vor Gericht, angeklagt: »wegen Aufruhrs und weil sie anmaßlich sich uns aufgedrängt, wiewol sie schon zur Verbannung verurtheilt waren unter der Strafe des Todes«. Alle erkannten: »Ja, wir sind Quäker, wir wurden verbannt und unter Todesstrafe.« Am nächsten Tage ward ihr Todesurtheil ausgesprochen. Die Verdammungsformel, welche vollständig uns erhalten ist, lautete für den einen wie für den andern zum Schluß: »Du sollst gehen von hier nach dem Orte, von wannen du gekommen bist und von dort nach dem Platze, wo du gerichtet wirst, und dort und dann sollst du hängen bis du todt bist.«

Sie appellirten nicht gegen das Urtheil, sie klagten nicht über dessen Grausamkeit, sie vertheidigten sich auch nicht eigentlich; sie bewiesen nur, daß sie recht gethan, und daß sie nicht anders hätten thun können. Robinson erklärte, während er in Rhode-Island gearbeitet, habe der Herr ihm befohlen, nach Boston zu gehen und dort sein Leben niederzulegen. Nun habe er gehorchen müssen ohne fragen zu dürfen, warum und wie so; indem er des Glaubens, daß er als Kind seinem Vater und Herrn Gehorsam zeigen müsse ohne alles Widerstreben. Deshalb sei er da und bereit zu sterben. – Ebenso versicherte Stephenson: Der Herr habe ihm befohlen, Weib und Kind zu verlassen und sein Prophet zu werden bei den Völkern. Er ging zuerst nach Barbadoes. Dort hörte er von dem neuen, in Neuengland gemachten Gesetze, daß man die Diener des lebendigen Gottes zum Tode verdammen wolle, wenn sie aus der Verbannung zurückkehrten. Als er nun darüber nachdachte und das Ding in seinem Herzen erwog, da hörte er plötzlich die Stimme des Herrn, und sie sprach: »Du weißt nicht, aber du möchtest gern dahingehen!« Und bald darauf rief dieselbe Stimme wieder: »Gehe nach Boston mit deinem Freunde William Robinson.« Und da gehorchte er, nicht dem eigenen Willen, sondern dem Befehle Gottes.

Am 22. October war der Tag der Hinrichtung. In feierlichem Zuge wurden die Gefangenen nach einer bestimmt deshalb erlassenen Anordnung zur Richtstätte hinausgeführt. Hundert Soldaten mit Piken, Musketen, Pulver und Kugeln unter einem Hauptmann begleiteten sie, auch viele Reiter mit Pauken, die sie schlagen sollten, damit verhütet werde, daß das Volk irgendetwas von dem höre, was sie sprechen möchten. »Da sah man Zeichen von himmlischer Lust und Freude in den Gesichtern und dem ganzen Benehmen dieser drei Personen, die Hand in Hand gingen, Mary in der Mitte.« Sie riefen mit leuchtenden Augen alle, denen sie begegneten, an, ihnen zu bezeugen, daß sie für die Sache der Wahrheit litten. Mary Dyer rief: »Dies ist eine Stunde der größten Freude, die ich je erlebte. Kein Ohr kann hören, keine Zunge kann äußern, kein Herz kann verstehen die süße Labung des Geistes des Herrn, die ich jetzt empfinde.«

Robinson's letzte Worte waren: »Ich leide für Christus, in dem ich lebe und für den ich sterbe.« Stephenson sagte: »Noch heute werden wir mit dem Herrn ausruhen!«

Mary Dyer sah vor ihren Angen ihre beiden Gefährten sterben und stieg dann mit sichern Tritten die Leiter hinauf, um ihnen zu folgen. Alles war fertig; der Strick saß schon um ihren Nacken, ihre Arme und Füße waren schon gebunden und ihr Gesicht verhüllt, als man in der Ferne einen schwachen Ruf hörte. Er ward stärker und stärker und ward jetzt von Hunderten willig wiederholt: »Aufschub! Begnadigung!« Die Execution ward unterbrochen. Aber Mary selbst, deren Geist schon in einer andern Welt weilte, rief laut, sie wolle, sie verlange zu sterben mit ihren Brüdern, wenn die Obrigkeiten nicht das schändliche Gesetz aufhöben.

Uns wird gesagt, daß sie durch die Vermittelung ihres Sohnes gerettet worden, aber es war nur unter der ausdrücklichen Bedingung zugestanden worden, daß sie bis zum Richtplatz geleitet würde, dort mit dem Strick um den Hals stünde und darauf aus der Colonie geschafft würde. Man führte sie demzufolge nach Rhode-Island; aber ihr Entschluß blieb unerschüttert, und wieder trieb der Geist sie zurück nach der »blutigen Stadt Boston«, wo sie im Frühjahre 1660 sich wieder einfand. Sie war alt und schwach, und doch wollte sie alle Schrecken des Gesetzes ausstehen. Die Obrigkeiten waren erstaunt darüber; aber auch sie waren stolz und halsstarrig; sie konnten nicht abweichen von ihren Grundsätzen und Beschlüssen. Die frühern Hinrichtungen hatten schon vielerlei Misvergnügen hervorgerufen; sollten sie das arme alte Weib nun wirklich hängen? Man hoffte, sie werde sich bewegen lassen, freiwillig das Gebiet zu räumen und in die Verbannung zurückzugehen. Vielleicht gab es auch noch ein anderes Mittel, sie und sich zu retten.

»Seid Ihr dieselbe Mary Dyer, welche bei der letzten Generalsitzung hier war?« fragte sie der Gouverneur Endicott und gab ihr eine Gelegenheit, durch ein Leugnen der Untersuchung zu entgehen, denn es war noch eine andere Mary Dyer aus England zu der Zeit zurückgekehrt. Aber sie antwortete mit heller Stimme: »Ich bin dieselbe Mary Dyer, welche bei der letzten Generalsitzung hier war.« – »Bekennt Ihr Euch als eine Quäkerin oder nicht?« – »Ich bekenne, daß ich eine derer bin, die ihr Quäker scheltet.« – Sie ward darauf verurtheilt, am folgenden Tage gehängt zu werden. »Das ist ja nicht mehr, als du vorhin sagtest«, sprach sie unerschrocken. – »Jetzt aber kommt es zur Ausführung«, entgegnete der Gouverneur; »darum bereite dich vor, denn morgen um 9 Uhr mußt du sterben.«

»Ich kam«, erwiderte Mary, »dem Willen Gottes gehorchend, während der letzten Gerichtssitzung, voll Verlangens, die Rücknahme eurer ungerechten Gesetze von Ausstoßung und Verbannung zu erlangen. Und in derselben Absicht komme ich jetzt und verlange es ebenso fest. Und ich sage euch, wenn ihr verweigert, sie zurückzunehmen, wird der Herr andere seiner Diener senden zu Zeugen gegen euch.«

Am folgenden Tage wurde die Hinrichtung wirklich vollstreckt. Der Zug dahin, wie das erste mal, Trompeten und Pauken voran und hinterher. Noch auf dem Galgen sagte man ihr: wenn sie still nach Hause kehren wolle, dann möge sie nur wieder heruntersteigen und ihr Leben solle ihr geschenkt sein. »Ich kann nicht«, erwiderte sie. »Meines Herrn Willen gehorsam, kam ich her, und in seinem Willen will ich treu verharren bis zu meinem Tode.« – Jemand rief ihr zu, da sie schon einmal da oben gestanden und nun das Gesetz gebrochen durch ihre Rückkehr, so wäre sie selbst schuld an ihrem Blute. – »Kam ich doch«, rief sie mit derselben Festigkeit aus, »die Blutschuld von euch fern zu halten, voll Verlangen, euch zu erlösen von dem ungerechten Gesetze der Verbannung bei Todesstrafe, so ihr erließet gegen die unschuldigen Diener des Herrn. Deshalb wird mein Blut von euch gefordert werden, denen es eine Lust ist. Was die aber sind, die es in der Einfalt ihres Herzens thun, so bitte ich den Herrn, daß er ihnen vergebe. Ich kam, den Willen meines Vaters zu thun, und seinem Willen gehorchend, gehe ich nun in den Tod.«

Ein Prediger erhob seine Arme: »Mary Dyer, bereue, bereue, und laß dich nicht so täuschen und irreführen durch die Arglist des Teufels.« – Sie erwiderte: »Nein, Mann, an mir ist's nicht, zu bereuen.« Man fragte sie, ob sie wünsche, daß die Aelterleute für sie beteten? »Ich kenne keine Aelterleute hier.« Aber sie wünschte, daß das ganze Volk Gottes für sie bete. Sie meint vielleicht, rief eine Stimme spöttisch, es gebe hier keines! – Mary wendete den Kopf zum Sprecher: »Ich kenne nur wenige hier, die Gottes sind.« – Noch einmal drang man in sie, ob sie denn nicht wolle, daß die Aeltesten für sie beteten? – »Nein, erst ein Kind, dann ein junger Mann, dann ein Erwachsener, lieber als ein Aeltermann in Jesus Christ.« Sie sprach von der andern Welt und der ewigen Seligkeit, in welche sie nun eintreten werde. Mitten unter diesen religiösen Betrachtungen ward der Strick befestigt und sie hing entseelt am Galgen. »Da hängt sie, wie eine Flagge«, rief einer, »daß andere ein Exempel daran nehmen!«

Das nächste Opfer war William Leddra. Er war schon einmal ausgepeitscht worden, hatte gefangen gesessen und war dann verbannt worden, aber 1661 nach Boston zurückgekehrt. Nachdem er die Wintermonate hindurch an einen Holzblock geschmiedet im Kerker gesessen, von der Kälte fürchterlich leidend, ward er im März vor Gericht gestellt. »Was habe ich denn Böses gethan?« fragte er. – »Ihr habt der Obrigkeit Trotz geboten, und Hohn gesprochen ihren Geboten. Ihr habt Euch geweigert, den Hut abzunehmen im Gerichtshofe und habt immer »du« und »dir« gesprochen.« – »Wollt Ihr mich zu Tode bringen, weil ich gut englisch spreche, und weil ich meine Kleider nicht vom Leibe abnehme?« – »Man kann auch Hochverrath in gutem englisch sprechen.« – »Ist es Hochverrath, wenn ich »du« und »dir« zu einer einzelnen Person sage?« – »Wollt Ihr nach England zurückkehren?« fragte ein Richter. – »Ich habe da nichts zu thun«, war die Antwort. – »Dann geht Euern Weg nach dem Galgen«, sagte der Richter danach hinweisend. – »Wollt Ihr mich darum zu Tode bringen, weil ich geathmet habe in der Luft Eurer Gerichtsbarkeit? Was habt Ihr denn gegen mich? Ich appellire an die Gesetze Englands. Bin ich nach denen schuldig, so will ich sterben.« – Aber 20 Jahre früher war es in der Kolonie für Hochverrath erklärt worden, von einer Appellation an den König zu sprechen. Ein böses Lächeln ging durch die Versammlung und einer machte die Bemerkung: »Dieses Jahr appellirt Ihr nach England, im nächsten wird das Parlament herschicken, um zu untersuchen, aber im dritten Jahre wird das Regiment in England verändert sein.« König Karl II. hatte ein feines Ohr. Ueber das Brausen des Atlantischen Meeres hörte er diese hingeworfene Bemerkung und vergaß sie nicht.

In dem Augenblicke trat ein anderer verbannter Quäker, Winlock Christison, unerwartet vor die Schranken, stellte sich neben den Gefangenen und unterbrach durch seine Erscheinung die Verhandlungen: »Seid Ihr nicht Winlock Christison, der unter Todesstrafe verbannt worden?« fragte der Gouverneur.– »Ja ich bin es.« – »Was thust du denn hier?« – »Ich bin hergekommen, Euch zu warnen, daß Ihr nicht mehr unschuldigen Blutes vergießen sollt, denn das Blut, das Ihr schon vergossen habt, schreit zu Gott dem Herrn nach der Vergeltung, die über Euch komme.« Er ward augenblicklich abgeführt. Leddra wurde noch einmal das Leben angeboten, wenn er fortgehe und versprechen wolle, nie wiederzukommen. Er weigerte sich, ward zum Tode verurtheilt und die Hinrichtung auf den 14. März angesetzt.

Am Tage vor seinem Tode schrieb er noch einen Brief an seine Freunde, in welchem es heißt: »Der süße Einfluß des Morgensterns, sickernd und plätschernd wie eine Springflut durch mein demüthiges Haus, hat mich so erfüllt mit der Freude des Herrn in der Schönheit seiner Heiligkeit, daß mein Geist sich fühlt, als bewohne er nicht mehr ein Haus von Erden, sondern schon aufgenommen und verschlungen sei von dem Busen der Ewigkeit, von dannen er kommen ist.« Als er fessellos zum Galgen geführt worden, drängte sich ein Fremder, der eben über See angekommen und tief ergriffen von dem Anblick war, durch die Menge und versuchte das Schreckliche abzuwenden: »Um Gottes willen«, rief er mit lauter Stimme; »nehmt den Mann nicht sein Leben; gedenket, was Gamaliel den Juden rieth. Kommt dies von Menschen, so wird es nicht bestehen; kommt es aber von Gott, dann könnt Ihr es nicht umwerfen. Hütet Euch, daß Ihr nicht erfunden werdet als Streiter wider Gott.« – Der Hauptmann hieß ihn schweigen und gehen. Er schied mit Thränen, vergebens ihnen vorstellend, daß sie weder Gottes Wort, noch des Königs Willen für sich hätten, den Mann zu hängen. Als der Henker den Strick um Leddra's Nacken befestigte, hörte man ihn rufen: »Ich befehle meine gerechte Sache dir, o Gott.« – Unter den Worten: »Herr Jesus, empfange meine Seele!« endete er. Die Menge verlief sich endlich, doch erlaubte man William Leddra's Freunden, die Leiche, nachdem sie der Henker ihrer Kleidungsstücke beraubt, in Empfang zu nehmen und ihr die letzte Ehre anzuthun.

Mit kühnem, herausforderndem Muthe trat Winlock Christison vor das Gericht: »Nach welchem Gesetze wollt ihr mich zu Tode bringen?« – »Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetze mußt du sterben.« – »Wer gab euch das Recht, dies Gesetz zu machen?« – »Wir haben ein Decret, welches uns die Macht verleiht.« – »Habt ihr Macht und Recht, Gesetze zu machen, welche den Gesetzen Englands widerstreiten?« – »Nein.« – »Alsdann seid ihr über eure Grenzen hinausgegangen. Wenn der König eure Herzen kennte, wie Gott sie kennt, dann würde er sehen, daß sie zerbrochen und verdorben sind so gegen ihn als gegen Gott. Ihr und ich, wir sind Unterthanen des Königs, und ich fordere, daß ich gerichtet werde nach den Gesetzen meines Volkes. In England ist kein Gesetz, welches erlaubt, Quäker zu hängen.« – »Aber es ist in England ein Gesetz, welches erlaubt, Jesuiten zu hängen.« – »Wenn ihr mich zu Tode führt, so ist es nicht, weil ich unter dem Namen eines Jesuiten gehe, sondern unter dem eines Quäkers. Ich appellire an mein Volk.« – »Ihr habt unser Gesetz gebrochen, und darum richten wir Euch.«

Die Jury sprach ohne Zaudern das Schuldig aus, aber die Richter waren doch schwankend, ob sie die Todesstrafe aussprechen sollten. Man meint, weil eben ein anderer Quäker, Edward Wharton, durch ein Schreiben angezeigt, daß er aus der Verbannung nach Salem zurückgekehrt sei, und man Anstand nahm, gegen diesen zu verfahren. Der Gouverneur, aufgebracht, warf ihnen ihre Lauigkeit und Menschenfurcht vor. Man stimmte noch einmal und die Majorität war jetzt für die Todesstrafe.

»Was gewinnt ihr dadurch? Denkt nicht, daß ihr den lebendigen Gott zu Schanden macht, wenn ihr das Leben seiner Diener nehmt. Für den letzten, den ihr zu Tode gebracht, sind an seiner Statt ihrer fünf hier. Habt ihr Macht, mein Leben zu nehmen, dann kann Gott dasselbe Leben wieder erwecken in zehn seiner Diener und sie an meiner Statt senden, daß ihr Qualen auf Qualen habt, die euer Theil sind; denn in den Gottlosen ist kein Friede, sagt mein Gott!«

Die kühne Sprache schien doch nicht ohne Eindruck geblieben. Winlock Christison, oder wie er in den Registraturen genannt wird, Wendlock Christopherson ward wieder in sein Gefängniß zurückgeführt und im Juni 1661 abermals vor Gericht gestellt. Nun heißt es: »Der Gerichtshof, nachdem er, was Wendlock Christopherson vor den Schranken für sich anführen konnte, hinsichtlich seiner Appellation von dem Urtheil und Erkenntniß des letztgesessenen Gerichtshofes im März, in Erwägung gezogen, verordnet, daß der Gouverneur in offener Gerichtssitzung das Todesurtheil gegen ihn ausspreche, und erkläre, daß der Tag der Vollziehung auf den 13. dieses Monats Juni angesetzt sei, gleich nach der Verlesung, auf den Befehl des Gouverneurs. Angesehen indessen, daß besagter Christopherson noch vor seiner Execution die Gnade des Gerichtshofes anginge und sich verpflichtete durch ein Schreiben von seiner Hand, daß er sofort aus diesem Gerichtsbezirk sich entfernen und nimmermehr zurückzukehren gelobe, dann soll er, ohne daß es deshalb eines Berichts an den Gerichtshof oder die Generalversammlung bedürfe, auf der Stelle entlassen werden.« Dies letztere traf ein, man hatte es wahrscheinlich voraus gewußt. Nachdem Christopherson das Urtheil verlesen war, nahm er die Gnade des Gerichtshofes an, entsagte dem Märtyrthum und ward aus der Haft entlassen.

Judith Browne und Peter Pierson, vor denselben Gerichtshof gestellt, wollten nicht Rede stehen. Wir wissen aus andern englischen Criminalfällen, daß das Gesetz den Richtern für diesen Fall die Macht ertheilte, sie zum Geständniß zu pressen, indem schwere Centnerlasten von Blei und Steinen ihnen auf die Brust gelegt wurden, welche in dem Maße gesteigert werden konnte, bis der widersetzig Stumme zu Tode gedrückt war. Die Richter in Massachusetts machten davon keinen Gebrauch; aber sie verordneten, daß der Constabler von Boston sie aus dem Gefängniß holen, ihnen die Kleider bis zum Gürtel ausziehen und sie dann vom Gürtel aufwärts durchpeitschen solle. Alsdann sollten sie hinten an einen Karren gebunden und mit 20 Peitschenhieben durch die ganze Stadt getrieben werden. Von Boston wurden sie nach Roxbury abgeliefert, dort wieder an einen Karren gebunden und abermals mit 10 Peitschenhieben durch die Straßen gepeitscht. Von Roxbury wurden sie nach Dadhorn gebracht, und hier in selber Art, abermals mit 10 Streichen durch die Gassen geführt. Von da ab wurden sie unter ihrer Gefahr aus dem Gebiet gestoßen.

Gleich nach diesem Edict steht in den Acten der Regierung (es findet sich nicht einmal ein Strich dazwischen) ein Decret, daß am 4. Juli 1661 ein Festtag sein solle, um dem allmächtigen Gott für die mancherlei Gunstbezeigungen zu danken, durch welches es ihm gefallen, so viele Jahre hindurch, die Colonie in dieser äußersten Wildniß der Welt zu segnen.


Diese Barbarei hatte indeß damit ihren Gipfelpunkt erreicht, das Maß war voll, die Magistratspersonen handelten nicht mehr gestützt auf die öffentliche Meinung. Der Unwille in ganz Massachusetts war deutlich ausgesprochen und die Obrigkeiten hatten davon die deutlichsten Anzeichen. Das Mitleid für die Leidenden hatte sich schon so laut und unverkennbar ausgesprochen, daß die Behörden alle Mühe hatten, die Massen von Menschen, welche sich um die Gefängnisse drängten, nur von den Fenstern derselben zurückzuhalten. Bei jeder Execution mußte eine große bewaffnete Macht mit ausmarschiren, um Aufstände zu vermeiden, und Soldaten mußten doch auch in der Stadt zurückbleiben, um hier die Ordnung und Sicherheit zu erhalten.

Inzwischen waren Berichte über diese gesetzlichen Greuel nach London gekommen. Quäker selbst hatten sie König Karl II. hinterbracht, und dabei nicht verfehlt, ihn davon zu unterrichten, wie die puritanischen Obrigkeiten bei Gelegenheit des Gerichts über Leddra sich gegen seine Autorität geäußert. Der kaltherzige, indifferente Karl Stuart hatte ebenso wenig Mitleid für die Quäker als Liebe für die Puritaner; aber die Gelegenheit kam ihm, nicht unwillkommen, den Colonien, die ihm in ihrem störrischen und fanatischen Benehmen und auch sonst Grundes genug zum Misvergnügen gegeben, seine bestrittene oder in Abrede gestellte Macht fühlen zu lassen. Er sandte ein Mandamus an alle Gouverneure Neuenglands, des Inhalts: daß sie sich fortan aller körperlichen Züchtigungen gegen die Quäker enthielten, solche Individuen derselben aber, welche sie für schuldig hielten, nach England zu schicken, mit einer specificirten Angabe ihrer Vergehungen, damit sie dort nach den Gesetzen gerichtet würden.

Die Quäker in London beeilten sich, ein Schiff auszurüsten, und einer ihrer Brüder, Samuel Shallock, welcher selbst unter Todesstrafe aus Boston verwiesen war, segelte, mit dem Mandamus in der Hand, nach Amerika ab. Schon nach sechs Wochen langte das Schiff im Hafen von Boston an. Shallock und der Kapitän begaben sich in das Haus des Gouverneurs. Dieser ließ, nach der Gewohnheit, dem Quäker den Hut vom Kopfe abschlagen; aber nachdem er den koniglichen Brief gelesen, setzte er selbst ihm den Hut wieder auf und nahm den seinigen ab. Nach kurzer Berathung mit dem Vicegouverneur erklärte er dem Abgesandten, daß sie dem Willen des Königs gehorchen würden. Am Abende war große Freude unter den Quäkern in der Stadt; laut dankten sie Gott für seine Gnade, welcher in dieser Befreiung sich abermals so wunderbar bewiesen.


Sie durften die Quäker nicht mehr hängen, brennen, schinden und peitschen, und der Gerichtshof sah sich genöthigt, seine deshalb erlassenen Gesetze zu suspendiren; aber ihnen blieb doch ein Ausweg. Wenn sie die Quäker als solche auch nicht mehr belästigen durften, so war doch damit nicht gesagt, daß sie nicht Quäker, welche vagabundierten, fahnden dürften. Plötzlich wurden daher die Gesetze gegen die vagabundirenden Quäker wieder losgelassen und mit ähnlichem puritanischen Grimm und Grausamkeit gehandhabt. Diese durfte jeder aufgreifen, sie vor die nächste Magistratsperson schleppen, wo sie dann wieder sofort bis auf den Gürtel konnten entkleidet, ausgepeitscht und zum fernern Peitschen an einen Karren gebunden werden; und so von Stadt zu Stadt bis über die Grenze des Staates. Doch machte man zwei Einschränkungen: in keiner Stadt sollten sie mehr als 10 Streiche erhalten und im ganzen jeder nur durch drei Städte gepeitscht werden. Da aber die Ermächtigung hierzu auch den untern Beamten ertheilt war, so zählte jeder, wie es ihm beliebte, und es wurde weder mit der Zahl der Schläge, noch der Städte sehr genau genommen.

Factisch wurden erst jetzt Greuel begangen, vor denen unser Gefühl schaudert. Sie sind nur zum Theil in den Annalen registrirt, aber in der Tradition und in Schriften der Zeitgenossen hat sich ihr Andenken erhalten. So wurden 1662 drei Frauen, Anna Coleman, Mary Tomkins und Alice Ambrose an den Karren gebunden und zuerst in Dover und dann noch ebenso durch 10 andere Städte gepeitscht. Ein armes sechzigjähriges Weib, Elisabeth Hooton, ward hinter dem Karren durch Cambridge, Waterlowe und Dedham gerissen und gepeitscht. Sie kehrte nach Boston zurück. Da sperrte man sie ins Zuchthaus, peitschte sie wieder, führte sie nach Roxbury, peitschte sie dort am Karren und auch noch in Dedham. Sie kam doch wieder zurück. Nach zweitägiger Einsperrung ließ man sie von der Gefängnißthür bis ans Weichbild der Stadt peitschen und dann nach Rhode-Island durch den Schub bringen, mit der Anweisung, sie von Stadt zu Stadt zu peitschen. Wir übergehen die namentlichen Anführungen anderer, die sämmtlich unter der Rubrik Vagabunden zum Märtyrerthum kamen. Einer dieser Armen flog der Peitschenknoten so um den Leib, daß er zu entsetzlichem Schmerz die Brustwarze aufriß.

Diese neuen schmerzlichen Verfolgungen scheinen aber auf der andern Seite den Fanatismus nur noch mehr aufgeregt zu haben. Es kamen damals bei den Quäkern Manifestationen ihrer Begeisterung vor, die uns heute unglaublich dünken, und die, wären sie vorangegangen, einigermaßen wenigstens die grausamen Maßregeln hätten rechtfertigen können. Aber die Wahrnehmung der Obrigkeiten von Rhode-Island bestätigte sich auch hier: diese Tollheiten waren und wurden erst erweckt durch die mit ähnlicher Tollheit betriebene Verfolgung der Gläubigen. – Eine angesehene Frau, Lydia Wardell, trat 1665 in die Kirche von Newbury, ihrer frühern Parochie, splitternackend, und ward von den Ihrigen in den Himmel erhoben wegen ihrer demuthvollen Unterwerfung unter das ihr aufgegangene innere Licht. Denn dieses Licht hatte sie angetrieben zu einer heiligen Pflicht, nämlich durch die unanständige Exposition ihrer Person die geistige Nacktheit ihrer Nachbarn ins rechte Licht zu stellen. Ein späterer Schriftsteller der Quäker äußert sich darüber: »Die Leute, statt demüthig und fromm über ihre eigene Lage nachzudenken, welche sie ihnen auf diese Weise darstellen wollte, fielen in eine wahre Wuth und ergriffen sie und schleppten sie nach dem Gerichtshause zu Ipswich!« Dort wurde sie nach einem höchst summarischen Verfahren zum Auspeitschen verurtheilt. Man band sie, wie sie war mit den Brüsten gegen einen Pfosten, auf dem ein Gasthausschild befestigt war, und geißelte ihren Leib mit mehr als 20 Streichen. Obgleich sie dadurch grausam zerfetzt wurde, jubelten doch ihr Mann und ihre Freunde darüber, denn sie waren eines Sinnes mit der Märtyrin, und lobten und trösteten sie wegen der gottgefälligen Leiden.


Im selben Jahre versuchte, wahrscheinlich durch Lydia Wardell's Beispiel augelockt, Deborah Wilson, eine junge und sehr anständige Frau, selbst eifrige Quäkerin, aber nicht an einen Quäker verheirathet, dasselbe in den Straßen von Salem. Sie ward deshalb an den Karren gebunden und mit ihrer Mutter und Schwester, die es ihr gerathen, durch die Straßen gepeitscht. Ihr junger Ehemann, wie schon gesagt kein, Fanatiker, ging betrübt nebenher, und hielt zuweilen seinen Hut zwischen die Peitsche und ihren Rücken, um sie vor den schwersten Streichen zu schützen. . >

Zehn Jahre später, im Juli 1675, stürzten vier Weiber und ein Mann in die Stadtkirche zu Boston an einem Sonntage und erregten einen so furchtbaren Aufstand und Tumult, daß mehrere schwangere Frauen in Gefahr geriethen, unzeitig niederzukommen. Ihre Anführerin war Margaret Brewster, die erst vor kurzem aus Barbadoes herübergekommen war. Sie und ihre Gefährtinnen hatten ihre Reisekleider und Schuhe vor der Thür gelassen. In Sackleinen gekleidet, Asche auf dem Kopf, das Haar über die Schultern wallend, das Gesicht mit Kohlenstaub beschmiert, stürzten sie barfuß herein und erhoben ein Geschrei und Geheul, welches, alle Beschreibung überstieg. Margaret erklärte, sie wäre ein Bild der schwarzen Pocken, die dem Volke drohten als das nahende Gericht Gottes wegen seiner Verfolgung der Heiligen. Natürlicherweise ward sie ergriffen und vor Gericht gestellt, wo sie erklärte, seit drei Jahren habe Gott ihr geboten, wie sie gethan, und ihr Ehemann habe es gebilligt, da er erkannt, daß es Gottes Wille sei. Sie und ihre Gefährtinnen mußten, wie zu erwarten, die herkömmliche Strafe durch die Straßen von Boston erdulden, nackt vom Gürtel bis zum Wirbel, 20 Streiche auf jeden Rücken.

Hiermit schweigt die Geschichte. Die Raserei schien sich erschöpft zu haben, aber auch damit die Verfolgungswuth. Sie ging, noch nicht ein Menschenalter später, auf einen andern Gegenstand des Wahnes über, den wir in der Geschichte der Tragödie von Salem erzählt haben. Aber wie gleich nach diesem greulichen Trauerspiel die gesunde Vernunft siegreich auftrat und, die Nebel des Wahns vertreibend, nach Rechtfertigung, Entschuldigung und Buße suchte, machte sich auch hier die Stimme der Humanität und Billigkeit hörbar, und bald so stark die Thaten der puritanischen Intoleranz verdammend, daß sich hinwiederum Patrioten gedrungen fühlten, ihr Land und ihre Bürger dagegen zu vertheidigen. Ein amerikanischer Geschichtschreiber jener Zeit, Hubbard, sagt: »Ließe sich das nicht anhören? Die Einwohner unserer Colonie hatten das Land für sich selbst gekauft. Sie hielten es für ein nicht zu vertheidigendes Unrecht, wenn irgendjemand anmaßlich, ohne Erlaubniß oder Vergünstigung zu ihnen kam, um unter ihnen zu leben und die Saat gefährlicher und verderbter Grundsätze unter den Einwohnern auszusäen, die darauf hinausgingen, alles umzustürzen, was gut, heilig oder bürgerlich ordentlich war. Um deswillen hielten sie sich für verpflichtet, scharf allen denen entgegenzutreten, die es wagen wollten, sich unter ihnen einzudrängen. Wer das mit Bewußtsein und halsstarrig thun wollte, beging ein Verbrechen, gleich denen, die in jemandes Haus einbrechen wollen, unbekümmert, ob er sie aufnehmen will oder nicht.« –

Besser noch führt Chandler die Vertheidigung seiner Vorfahren. Er fragt, ob die Colonisten der Bai von Massachusetts allein die Sünden der ganzen Christenheit jener Zeit tragen und verantworten sollten? Wie hätte man gerade von den Puritanern besondere Duldungsgrundsätze erwarten sollen, die selbst um ihres Glaubens willen aus ihrem Vaterlande fortgewiesen worden? Sie kamen ja nur in die Wildnisse Amerikas, um ungestört ihren eigenen religiösen Meinungen leben zu können. Zu diesem Zwecke errichteten sie eine eigene Regierung. Neuengland war ursprünglich nur eine religiöse, keine zu Handelszwecken bestimmte Niederlassung. Sie wollten nur ihre religiöse Doctrin in aller ihrer Reinheit bewahren. Sie fragten nicht nach Convertiten, sie wollten niemandem über ihre Gerichtsbezirke hinaus ihre Lehren und Ansichten aufdringen. Also mochten sie ein Recht haben, welches auch von den modernen Ansichten ihnen nicht bestritten werden dürfte, aus ihren Grenzen und aus ihrer Gerichtsbarkeit hinaus alle diejenigen zu stoßen, welche sich offenbar dagegen sträubten, und deren Trachten dahin ging, ihren Glauben, ihre Einrichtung, ihre Verfassung zu verunglimpfen und umzustürzen. Wie ein Schwarm Rasender fielen ihnen die Quäker in ihr stilles, zufriedenes Gemeinwesen. Sie wollten die tollen, frechen Gäste nur hinaus haben, mehr anfänglich nicht; erst als diese immer wiederkehrten und in gesteigertem Wahnsinn nicht Ansprüche auf Duldung, sondern auf Herrschaft machten, verloren auch sie die Geduld und griffen dann freilich zu Maßregeln, welche nach unsern Ansichten alles vernünftige Maß des Rechts, der Billigkeit und der Klugheit überschritten. Aber sie handelten nach den Grundsätzen ihrer Zeit, und nicht nach denen, welche wir nach einem zweihundertjährigen Kampfe so glücklich sind – oder glauben errungen zu haben. Indem ich das niederschreibe, lese ich ein Edict, welches in einem, sonst von edler Humanität geleiteten, Staate die Deutsch-Katholiken wie in Massachusetts die Quäker von seinen Grenzen weist; eine Weisung an uns, auch gegen die Irrthümer der Vorzeit im Gefühl der eigenen Schwäche, die uns beschleichen könnte, mild zu sein.

Wenngleich möglich ist, die Regierung von Massachussetts zu entschuldigen und zu vertheidigen, ist es doch weit erfreulicher, zu hören, wie auch schon damals die öffentliche Stimme in der Verwerfung der angewandten Maßregeln und der unchristlichen Unduldsamkeit sich geltend machte, und, selbst unter sonst finster gesinnten Geistern hierin der Strahl eines andern Lichtes ihnen aufging. Cotton Mather, der wüthende, verstockte Hexenverfolger und Inquisitor ein Menschenalter später, sagt über die Quäkerverfolgung, die er erlebt: »Es ist deshalb ein gewaltiger Lärmen gegen unser Neuengland erhoben worden; und will jemand die Verfolgung vertheidigen, so mag er es thun, ich kann es nicht. Ich bin vollständig davon überzeugt, diese armseligen Quäker würden binnen kurzem (wie wir es ja schon jetzt sehen) auf ihr Nichts reducirt worden sein, wenn die bürgerlichen Obrigkeiten keine Criminalstrafen über sie verhängt hätten; auch meine ich überall nicht, daß Ketzermord ein evangelischer Weg sei, um Ketzereien zu vertilgen.«

Deutlicher noch spricht für den Rück- oder Umschlag in der öffentlichen Meinung, daß nach Stephenson's und Robinson's Hinrichtung der Gerichtshof und die Generalversammlung selbst es für nöthig und räthlich hielten, ihr Verfahren vor der Welt zu rechtfertigen. Es geschah zum Theil durch schriftliche Darstellungen, die an den Hof und nach England gesandt wurden, zum Theil nahm man auch damals schon die Presse in Anspruch durch Schriften, in welchen juridisch die Berechtigung der Colonie als Staat, solche fanatische Eindringlinge auch mit aller Strenge zurückzuweisen und zu bestrafen ausgeführt, dann aber mit einem fruchtbaren Aufwande theologischer Gelehrsamkeit bewiesen wurde, daß die Lehren der Quäker die Fundamentalwahrheiten der Religion und der heiligen Dreieinigkeit und besonders die heilige Schrift als eine vollkommene und fertige Vorschrift für Glauben und Leben gefährdeten. Die ganze Bibel, ward zu Hülfe gerufen und bot so willig den Puritanern Stellen zu ihren Gunsten, als sie den Quäkern geboten, den Hochkirchlern und den Katholischen. – Auch anderwärts waren übrigens die Quäker nicht viel besser behandelt worden. Sie wurden in England gelegentlich von dem aufgebrachten Pöbel verhöhnt, gemishandelt und geschlagen und verschmachteten in dumpfen Kerkern. Sie mußten mit schweren Geldbußen ihre Conventikel büßen und waren, schon beim dritten Betretungsfall, zur Transportation in die Colonien reif. Auch in Virginien durften sie so lange eingesperrt werden, bis sie gelobten, das Land zu verlassen. Kehrten sie zum dritten male wieder, verhängte das Gesetz den Tod darüber.


Worin unterscheiden sich diese Greuel, von religiöser Intoleranz dictirt, in ihren Wirkungen von denen, welche früher, gleichzeitig und später die römische Kirche und ihre Inquisitionstribunale gegen die Ketzer verhängte? War der menschliche Dünkel und Hochmuth, der sie dictirte, nicht ebenso furchtbar, waren die zugefügten Qualen und Schmerzen minder schmerzlich? Ja, jener hatte das noch für sich, eine übertausendjährige Autorität, er glaubte handeln zu müssen, wie die ganze christliche Geschichte ihn lehrte; hier war die Berechtigung und der Glaube oft kaum ein Jahrhundert alt, und doch schon so unerbittlich streng! Und doch warum schaudern wir minder zurück vor diesen Barbareien, im Namen der Religion von Protestanten geübt, als vor denen der römisch-katholischen Ketzerverfolger? – Warum wird der Schauer nicht zum Entsetzen, wenn wir in Paris über die Blutplätze der Revolution fortgehen, während in Venedig es uns überfröstelt und unser Blut im Augenblick stockt, wenn der Führer mit der Fackel in die engen, niedrigen, angeräucherten, halb unterirdischen Kerker des Dogenpalastes leuchtet? Wir athmen erst wieder auf und kein Schauer überfällt uns mehr, wenn er uns oben im Sonnenlichte den Platz zeigt, wo ein Doge sein Haupt auf den Block legen mußte. Es ist die freie amerikanische Luft, das Gefühl der Oeffentlichkeit, daß das ganze Volk es sah, was die Schauer mildert. Auch in Serveto's Kerker, so viel der Arme gelitten haben mag, drangen doch Stimmen von außen; er sah Menschen vor sich, wenn er vor Gericht gerufen ward, mit denen er disputiren konnte, auch seine Stimme ward gehört, und sein Scheiterhaufen loderte mitten in den freien Alpen. Es ist ein schwacher Trost, öffentlich zu leiden, aber ein Trost bleibt es dem Gefühl.


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