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IX.

Von Angesicht zu Angesicht.

Als der General Miramon Mexiko erreichte, war die Nachricht von seiner Niederlage schon verbreitet.

Da ereignete sich etwas Seltsames. Die Geistlichkeit und die Aristokratie, welche der Präsident Miramon immer unterstützt und vertheidigt hatte, und deren Gleichgültigkeit und Egoismus seinen Ruin und vollständigen Sturz verursacht hatte, beklagten jetzt ihre Handlungsweise gegen einen Mann, der allein fähig war, sie zu retten.

Wenn Miramon in dieser entscheidenden Stunde einen Aufruf an das Volk erlassen hätte, würde es sich um ihn geschaart haben und es würde ihm ein Leichtes gewesen sein, eine kräftige Vertheidigung zu organisiren.

Aber dieser Gedanke kam ihm nicht einmal in den Sinn; angeekelt von der Macht, wünschte er nur noch herabzusteigen und in das Privatleben zurückzukehren. Kaum in Mexiko angelangt, war seine erste Sorge, das diplomatische Corps zu berufen und seine Mitglieder zu bitten, sich in's Mittel zu legen, um die Stadt zu retten, indem sie einen Kriegszustand beendeten, der nichts Vernünftiges mehr von dem Augenblicke an hatte, wo Mexiko geneigt war, den verbündeten Truppen seine Thore ohne Kampf zu öffnen.

Eine Deputation, aus den Gesandten von Frankreich und England, dem General Beriozabal, dem Gefangenen von Toluca und dem General Ayestaran, dem besonderen Freunde Miramon's, bestehend, begab sich sogleich zu dem General Ortega, um eine ehrenwerthe Capitulation zu erhalten.

Don Antonia de-Cacerbar hatte versucht, sich der Deputation anzuschließen; er hatte das beklagenswerthe Ende seines Freundes Don Melchior vernommen und eine düstere Ahnung sagte ihm, daß ein gleiches Schicksal ihn bedrohe. Aber die Thore der Stadt waren sorgfältig bewacht, Keiner durfte dieselben ohne eine vom Platzcommandanten visirte Karte passiren; so war denn Don Antonio genöthigt, in Mexiko zu bleiben. Ein Brief, den er erhielt, gab ihm einige Hoffnung, da er die Entscheidung von Plänen, deren Ausführung er seit langer Zeit verfolgte, näher in Aussicht stellte, als er gehofft hatte.

Da indessen Don Antonio de-Cacerbar ein sehr vorsichtiger Mann war, den die düsteren Machinationen, denen er sein Leben gewidmet, gewöhnt hatten, beständig auf seiner Hut zu sein, so hatte er in seiner Behausung ein Dutzend Strauchdiebe zusammenberufen und sie hinter den Tapeten verborgen, um auf jede Eventualität gefaßt zu sein.

Es war an demselben Tage der Rückkehr Miramon's nach Mexiko, ungefähr neun Uhr Abends. Don Antonio hatte sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen und las oder versuchte vielmehr zu lesen, denn sein gequältes Gewissen ließ ihm nicht die nothwendige Geistesruhe, um sich dieser unschuldigen Zerstreuung hinzugeben, da hörte er plötzlich lautes Sprechen in seinem Vorzimmer. Er stand sogleich auf, und war in Begriff, die Thür zu öffnen, um sich über die Ursache des vernommenen Geräuschs zu unterrichten, als dieselbe aufging und sein vertrauter Diener erschien, der mehren Personen voranschritt. Es waren neun Personen: sechs maskirte und in ihre Zarapen gehüllte Männer und drei Damen.

Als Don Antonio sie erblickte, ergriff ihn ein nervöses Zittern, aber sich sogleich wieder fassend, hielt er sich vor seinem Tische aufrecht, indem er offenbar erwartete, daß einer der Unbekannten das Wort ergreifen würde.

Dies geschah auch in der That.

»Sennor Don Antonio,« sagte der Eine von ihnen, indem er einen Schritt vortrat, »ich überliefere Euch Eure Schwägerin, Donna Maria, Herzogin de-Tobar, Eure Nichte, Donna Carmen de-Tobar und Donna Dolores de-la-Cruz!«

Bei diesen, mit schneidender Ironie gesprochenen Worten trat Don Antonio einen Schritt rückwärts und sein Gesicht bedeckte sich mit leichenartiger Blässe.

»Ich verstehe Euch nicht,« sagte er mit zitternder Stimme, der er vergeblich Festigkeit zu verleihen suchte.

»Erkennt Ihr mich denn nicht, Don Horacio?« fragte darauf Donna Maria mit sanfter Stimme; »hat der Schmerz so vollständig meine Züge verändert, daß es Euch möglich sein sollte, zu läugnen, in mir die unglückliche Gattin des von Euch gemordeten Bruders zu sehen?«

»Was bedeutet diese Komödie?« rief Don Antonio heftig; »diese Frau ist wahnsinnig! und Ihr, Elender, der Ihr mit mir zu spielen wagt, nehmt Euch in Acht!«

Der, an welchen diese Worte gerichtet waren, antwortete nur durch ein verächtliches Lächeln und mit erhobener Stimme antwortete er:

»Ihr verlangt Zeugen zu Dem, was sich hier begeben soll, Caballero? Ihr findet wahrscheinlich, daß wir noch nicht in hinreichender Zahl sind, gut, es sei. Kommt aus Eurem Versteck hervor, Sennores, und auch Ihr, Caballeros, kommt.«

In demselben Augenblick wurden die Tapeten aufgehoben, die Thüren geöffnet und einige zwanzig Personen traten in das Zimmer.

»Ah! Ihr habt Zeugen herbeigerufen,« spottete Don Antonio, »so möge Euer Blut auf Euer Haupt zurückfallen!« Und dann sich zu den Männern wendend, welche unbeweglich hinter ihm standen, rief er: »Los auf diese Elenden! Tödtet sie wie Hunde!« und er stürzte auf ein paar sechsläufige Revolver zu, die in seiner Nähe auf einem Tische lagen.

Aber Niemand rührte sich.

»Fort mit den Masken!« befahl die Person, die bis dahin allein das Wort geführt hatte, »sie sind jetzt unnütz geworden, wir müssen mit unbedecktem Gesicht zu diesem Manne reden.«

Er lüftete die Maske, die sein Gesicht bedeckte; seine Gefährten thaten dasselbe.

Der Leser hat sie bereits wieder erkannt; es waren Don Jaime, Don Domingo, der Graf Ludovic, Leo Carral, Don Diego und Loïck, der Ranchero.

»Nun, Sennor,« nahm Don Jaime von Neuem das Wort, »gebt Euren angenommenen Namen auf, wie wir unsere Masken abgenommen haben; erkennt Ihr mich jetzt? Ich bin Don Jaime de-Birar, der Bruder Eurer Schwägerin; seit zwei und zwanzig Jahren bin ich Euch Schritt um Schritt gefolgt, Don Horacio de-Tobar, indem ich Eure Handlungen bespähete und die Rache suchte, welche mir Gott endlich mächtig und vollständig, wie ich sie geträumt hatte, bewilligt.«

Don Horacio erhob wieder stolz das Haupt und Don Jaime von oben bis unten mit einem Blick verächtlichen Hochmuths messend, sagte er zu ihm: »Nun, wohlan, mein edler Schwager, ich verzichte, wie Ihr es wünscht, auf jede Verstellung und willige ein, Euch anzuerkennen; welche so schöne und vollständige Rache habt Ihr denn nach zweiundzwanzig Jahren erreicht, edler Abkömmling des Cid Campeador? Die, mich zu zwingen, mich selbst zu tödten? Ist ein Mann meines Schlages nicht immer zu sterben bereit? Was könnt Ihr mehr? Nichts! Während Ihr voraussetzt, daß ich blutend zu Euren Füßen rollen werde, nehme ich das Geheimniß dieser Rache, das Ihr nicht einmal ahnet, und dessen Vortheile mir bleiben, mit mir in's Grab; und ich werde Euch durch meinen Tod in eine größere Verzweiflung versetzen, als diejenige war, welche in einer Nacht das Haar Eurer Schwester gebleicht hat.«

»Ihr seid im Irrthum, Don Horacio,« antwortete Don Jaime; »ich kenne alle Eure Geheimnisse, und was Euren Tod betrifft, so nimmt diese Absicht erst die zweite Stelle in meinem Racheplane ein; ich werde Euch tödten, ja, aber durch Henkers Hand, – Ihr werdet den Tod eines Ehrlosen erleiden.«

»Du lügst, Elender!« rief Don Horacio wüthend aus, »Ich, der Herzog von Tobar! – edel wie der König, der ich einer der mächtigsten und ältesten Familien Spaniens angehöre! – von Henkers Hand sterben! Der Haß verwirrt Dich, Du bist wahnsinnig, sage ich Dir! Noch giebt es einen Gesandten Ihrer Majestät in Mexiko.« »Ja,« versetzte Don Jaime, »aber dieser Gesandte überläßt Dich der ganzen Strenge der mexikanischen Gesetze.«

»Er, mein Freund und Beschützer, der mich dem Präsidenten Miramon vorgestellt hat? Das ist nicht möglich, das kann nicht sein; überdies was habe ich von den Gesetzen dieses Landes zu fürchten, – ich, ein Fremder?«

»Ja, ein Fremder, der in Mexiko Dienste genommen hat, um es zum Nutzen einer andern Regierung zu verrathen; jener Brief, den Du so beharrlich von dem Colonel Don Felipe fordertest, und den er Dir nicht verkaufen wollte, er hat ihn mir umsonst gegeben und die für Dich so compromittirenden Briefe, welche Dir durch Don Estevan, den Du, obgleich er Dein Vetter ist, nicht kanntest, in Puebla geraubt worden sind, befinden sich in diesem Augenblick in den Händen Juarez'. Also von dieser Seite hast Du keine Hülfe zu erwarten, denn Du weißt, die Gnade ist gerade keine hervorragende Tugend des Sennor Don Benito Juarez. Endlich, was Dein kostbarstes Geheimniß betrifft, welches Du so wohl bewahrt glaubst, so besitze ich es ebenfalls: ich kenne die Existenz des Zwillingsbruders von Donna Carmen, ja mehr, ich weiß, wo er ist, und kann ihn, wenn ich will, sogleich vor Dir erscheinen lassen. Blicke her, hier steht der Mann, dem Du Deinen Neffen verkauft hast,« setzte er hinzu, indem er auf den neben ihm stehenden Loïck wies.

»Oh!« murmelte Jener, indem er auf seinen Stuhl zurücksank und verzweiflungsvoll die Hände rang, »oh; ich bin verloren.«

»Ja, und vollständig verloren, Don Horacio,« erwiderte Don Jaime verächtlich, »denn selbst der Tod würde Dich nicht von der Schande retten.«

»Um Gottes willen!« rief Donna Maria, indem sie ihrem Schwager näher trat, »habe ich mich nicht getäuscht? Hat Don Jaime die Wahrheit gesagt und habe ich endlich einen Sohn, den Zwillingsbruder meiner geliebten Carmen!«

»Ja,« murmelte er mit dumpfer Stimme.

»Oh! sei gesegnet, mein Gott!« rief sie mit unbeschreiblicher Freude aus; »und Ihr wißt, wo dieser Sohn ist; nicht wahr, Ihr werdet mir ihn wiedergeben? Ich bitte Euch, bedenkt, daß ich ihn nie gesehen habe, daß ich ein Bedürfniß fühle, seine Liebkosungen zu empfangen; wo ist er? sagt es mir.«

»Wo er ist?«

»Ja.«

»Ich weiß es nicht,« antwortete er kalt.

Die unglückliche Mutter sank auf einen Stuhl und verbarg ihr Gesicht in den Händen.

Don Jaime trat zu ihr.

»Muth, arme Frau!« sprach er sanft zu ihr.

Es herrschte ein düsteres Schweigen; man vernahm in diesem Zimmer, wo so viele Menschen vereinigt waren, nur die keuchenden Athemzüge und die erstickten Seufzer Donna Maria's und der beiden jungen Mädchen.

Da trat Don Horacio vor.

»Mein edler Schwager,« sagte er mit fester Stimme und einer gewissen Erhabenheit im Ton, »ich bitte Euch, gestattet diesen Caballeros sich in ein Nebenzimmer zurückzuziehen; ich wünsche einige Minuten mit Euch und meiner Schwägerin allein zu sein.«

Don Jaime verneigte sich und zu dem Grafen gewendet, sagte er:

»Mein Freund, wollen Sie die Güte haben und diese Damen in den Salon führen, der an dieses Zimmer stößt?«

Der Graf reichte den jungen Mädchen die Hand und verließ schweigend das Gemach, gefolgt von den Uebrigen, die sich auf einen Wink Don Jaime's ihm anschlossen.

Nur Dominique war geblieben und richtete einen heißen Blick auf Don Horacio.

»Was mich anbetrifft,« sagte er im finstern Tone, »so werde ich mich, da ich nicht weiß, was hier vorgehen wird, und weil ich eine Schlinge fürchte, nur auf den bestimmten Befehl Don Jaime's entfernen, er hat mich erzogen, ich bin sein Adoptivsohn, es ist daher meine Pflicht, ihn zu vertheidigen.«

»So bleibt, Sennor,« antwortete Don Horacio mit trübem Lächeln, »da Ihr fast zu unserer Familie gehört.«

Don Jaime trat vor und begann:

»Mein Schwager, dieser Sohn, den Ihr meiner Schwester geraubt hattet, der Erbe der Herzoge von Tobar, den Ihr verloren glaubtet, ich habe ihn gerettet! Dominique umarmt Eure Mutter! Maria, dort ist Euer Sohn!«

»Meine Mutter!« rief der junge Mann, indem er mit einem mächtigen Satze auf sie zusprang, »meine Mutter!«

»Mein Sohn!« flüsterte Donna Maria mit erlöschender Stimme, dann fiel sie ohnmächtig in die Arme ihres Kindes, welches sie endlich wieder gefunden hatte.

Stark gegen den Schmerz, wie alle erhabenen Naturen, hatte die Freude sie besiegt.

Dominique nahm seine Mutter in seine nervigen Arme und legte sie sanft auf ein Sopha nieder; dann trat er langsamen Schrittes, mit zusammengezogenen Brauen, blitzendem Auge und gepreßten Lippen auf Don Horacio zu.

Dieser sah ihn mit einem Schauder des Schreckens sich nähern, mit starrem Auge und bleicher Stirn wich er Schritt für Schritt vor ihm zurück, bis er endlich mit seinen Schultern die Wand berührte und wider Willen sich gezwungen sah, still zu stehen.

»Mörder meines Vaters, Henker meiner Mutter,« sprach der junge Mann mit furchtbarer Stimme, »elender Feigling, sei verflucht! ...«

Don Horacio beugte das Haupt unter diesem Fluche; aber sich sogleich wieder aufrichtend, sagte er:

»Gott ist gerecht! meine Strafe beginnt, ich wußte, daß dieser junge Mann am Leben war, ich hatte endlich die Nachforschungen, ihn wiederzufinden, aufgegeben, nachdem ich ihn in der Stunde seiner Geburt an jenen elenden Loïck verkauft hatte.«

»Ja,« antwortete Don Jaime, »und dieser Loïck, welchen das Elend zum Verbrechen geführt hat, bereute seinen Fehler und gab ihn mir zurück.«

»Ja, dies Alles ist die Wahrheit,« fuhr Don Horacio fort; »dieser junge Mann ist mein Neffe, denn er hat die Züge und Stimme meines unglücklichen Bruders.«

Er verbarg sein Gesicht in den Händen.

Als er sich sogleich wieder aufrichtete, begann er von Neuem mit fester Stimme:

»Mein Schwager, Ihr besitzt fast alle Beweise der schrecklichen Verbrechen, die ich begangen habe,« und indem er einen Schrank erbrach, setzte er hinzu: »Hier sind diejenigen, die Euch noch fehlen,« und er überreichte ihm ein Packet Papiere. »Vielleicht war schon, ohne daß ich es ahnte, der Gewissensbiß in mein Herz gedrungen, denn hier ist mein Testament, nehmt es; es ernennt meinen Neffen zu meinem Universalerben, indem es seine Rechte unumstößlich festsetzt; aber der Name de-Tobar soll nicht beschimpft werden. Um Euretwillen, um Eures Neffen willen, dessen Namen der meinige ist, führt Eure grausame Rache, die Ihr gegen mich vorbereitet habt, nicht aus. Ich schwöre Euch auf meine Ehre als Edelmann, auf die fleckenlose Ehre meiner Ahnen, daß Ihr vollständige Satisfaction für alle Verbrechen, die ich begangen, haben werdet.«

Don Jaime und Dominique blieben düster und schweigsam.

»Wollt Ihr es mir verweigern? Wollt Ihr denn ohne Barmherzigkeit sein?« rief er angstvoll aus.

In diesem Augenblick erhob sich Donna Maria von dem Sitze, zu welchem ihr Sohn sie geführt hatte; sie schritt langsam und mechanisch auf Don Horacio zu und stellte sich zwischen ihn und ihren Bruder und Sohn; dann streckte sie voller Erhabenheit den Arm aus und sagte mit unbeschreiblicher Sanftmuth:

»Bruder meines Gemahls, die Rache gehört nur Gott! Im Namen des Mannes, den ich so sehr geliebt habe und den Eure grausame Hand mir geraubt hat, verzeihe ich Euch die schrecklichen Qualen, welche Ihr mir auferlegt habt, die namenlosen Schmerzen, zu welchen Ihr mich seit zweiundzwanzig Jahren verurtheilt habt, ich arme, unschuldige Frau verzeihe Euch! Möge Gott Euch barmherzig sein.«

Don Horacio fiel zu ihren Füßen nieder.

»Ihr seid eine Heilige,« rief er aus, »ich bin unwürdig Eurer Verzeihung, ich weiß es, aber ich werde versuchen, so viel es von mir abhängt, durch meinen Tod die Verbrechen meines Lebens zu sühnen.«

Er erhob sich hierauf und wollte ihr die Hand küssen, aber sie wich mit einer Geberde des Entsetzens zurück.

»Das ist gerecht,« sagte er traurig, »ich bin nicht werth, Euch zu berühren.«

»Nein,« erwiderte sie, »da die Reue in Euer Herz gezogen ist.«

Und sie reichte ihm mit abgewandtem Gesicht die Hand.

Don Horacio drückte ehrerbietig seine Lippen auf dieselbe und sich zu seinem Schwager und Neffen wendend, die noch immer unbeweglich dieser Scene zuschauten, sagte er trübe:

»Wollt Ihr allein ohne Barmherzigkeit sein?«

»Wir haben nicht mehr das Recht zu strafen,« antwortete Don Jaime dumpf.

Dominique senkte das Haupt und verharrte in seinem Schweigen, seine Mutter näherte sich ihm und ergriff ihn sanft am Arm; bei dieser Berührung bebte der junge Mann.

»Was wollt Ihr, meine Mutter?« fragte er.

»Ich habe diesem Manne verziehen,« sagte sie mit sanfter, bittender Stimme.

»Meine Mutter,« erwiderte er im Tone unversöhnlichen Hasses, »als ich diesen Mann verfluchte, sprach mein Vater durch meinen Mund, und er war es, der mir von seinem blutigen Grabe aus, in welches ihn dieser Elende gebettet hat, diesen Fluch dictirte. Er wird an ihm haften als ein unauslöschliches Zeichen und Gott wird, wie bei dem ersten Brudermörder fragen: Kain! was hast Du mit Deinem Bruder gethan?« ...

Bei diesen mit drohender Stimme gesprochenen Worten fiel Don Horacio niedergeschmettert zu Boden.

Don Jaime und Donna Maria hatten sich von ihm mit Schrecken weg gewendet.

So blieb er einige Minuten auf dem Fußboden des Saales ausgestreckt, ohne daß die Umstehenden eine Bewegung machten, ihm zu Hülfe zu eilen; endlich neigte sich Donna Maria über ihn.

»Haltet ein, meine Mutter!« rief der junge Mann, »berührt diesen Elenden nicht, diese Berührung würde Euch beschmutzen.«

»Ich habe ihm verziehen!« sagte sie matt.

Nach und nach indessen gelangte Don Horacio wieder zum Bewußtsein, er erhob sich langsam; seine schrecklich entstellten Züge trugen den Ausdruck seltsamer Entschlossenheit.

Er wandte sich zu Dominique.

»Ihr fordert es,« sagte er, »so sei es, die Genugthuung wird glänzend sein.«

Er öffnete eine sorgfältig verschlossene Schublade vermittelst eines Schlüssels, der an einer goldenen Kette um seinen Hals hing, nahm etwas heraus, was man nicht sehen konnte, stieß die Schublade wieder zu, ging dann festen Schrittes auf die Thür zu und öffnete beide Flügel derselben.

»Treten Sie ein, Caballeros, treten Sie Alle ein,« rief er mit durchdringender Stimme.

In einem Augenblick war das ganze Gemach gefüllt.

Nur der Graf de-la-Saulay und Don Estevan waren auf einen Wink Don Jaime's mit den beiden jungen Mädchen in dem Salon geblieben.

Don Jaime schritt auf seine Schwester zu und reichte ihr den Arm:

»Komm,« sagte er, »komm, Maria, diese Scene tödtet Dich; Dein Platz ist nicht mehr hier, nachdem Du diesem Mann verziehen hast.«

Donna Maria setzte nur einen schwachen Widerstand entgegen und folgte ihrem Bruder, welcher sie in den Saal führte, dessen Thür er hinter ihr schloß.

Bald darauf vernahm man das Rollen eines Wagens; es waren die drei Damen, welche in Gesellschaft des Grafen in ihre Behausung zurückkehrten.

In demselben Augenblick ließ sich draußen Waffengeklirr vernehmen.

»Was ist das?« sagte Don Horacio erschreckt.

Zahlreiche Tritte näherten sich, die Thüren wurden lärmend aufgerissen und Soldaten erschienen.

An ihrer Spitze kam der Präfect der Stadt, der Alcade-Mayor und mehre Gerichtsdiener.

»Im Namen des Gesetzes,« sprach der Präfect mit befehlender Stimme, »Ihr seid mein Gefangener, Don Antonio Cacerbar; Diener des Gesetzes ergreift diesen Mann.«

»Don Antonio Cacerbar existirt nicht mehr,« sagte Don Jaime, indem er rasch zwischen die Schergen und seinen Schwager trat.

»Habt Dank,« antwortete dieser, »daß Ihr die Ehre meines Namens gerettet habt; Sennores,« setzte er mit lauter Stimme hinzu, indem er auf den neben ihm stehenden Dominique zeigte, »hier ist der Herzog de-Tobar; ich bin ein großer Schuldiger; bittet Gott, daß er mir verzeiht.«

»Nun, Ihr Diener des Gesetzes,« rief der Präfect, »bemächtigt Euch dieses Mannes, sage ich Euch.«

»So kommt,« antwortete Don Horacio kalt, indem er rasch die Hand an seinen Mund brachte.

Plötzlich erbleichte er, wankte wie ein Trunkener und rollte auf den Boden, ohne auch nur einen Laut auszustoßen.

Er war todt. Don Horacio hatte sich vergiftet.

»Sennores,« sagte darauf Don Jaime zu dem Präfecten und dem Alcademayor, »Eure Mission ist vor dem Tode des Schuldigen erloschen, sein Leichnam gehört von nun an seiner Familie; wollen Sie sich entfernen.«

»Möge Gott diesem Unglücklichen dieses letzte Verbrechen verzeihen!« sagte der Präfect; »wir haben hier nichts mehr zu thun.«

Und nachdem er sich höflich verneigt hatte, entfernte er sich gleich darauf.

»Meine Herren,« wandte sich Don Jaime mit trüber Stimme an die Umstehenden, die noch erstarrt waren von der seltsamen und raschen Entwicklung dieser Scene, »lassen Sie uns für die Seele dieses großen Schuldigen beten.«

Alle knieten nieder, nur Dominique blieb stehen und starrte mit finstern Blicken den Leichnam an.

»Dominique,« sagte sein Onkel sanft zu ihm, »Dein Haß geht also auch über das Grab hinaus?«

»Ja!« rief er mit furchtbarer Stimme aus, »ja, er sei verflucht in Ewigkeit!«

Die Anwesenden erhoben sich entsetzt, dieser furchtbare Fluch hatte das Gebet auf ihren Lippen erstarren gemacht.


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