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VI.

Jesus Dominguez.

Nach Verlauf einer Stunde verließ Don Jaime den Palast und begab sich, von Lopez gefolgt, in das Haus der Vorstadt, wo er den Grafen und seinen Freund vorfand, die, vollständig von ihrer Liebe absorbirt, gleichgültig gegen die Ereignisse des Tages, ihre Zeit in Gesellschaft Derjenigen verlebten, die sie liebten, und sich mit jener glücklichen Sorglosigkeit der Jugend der süßen Gegenwart hingaben, ohne an die Zukunft zu denken.

»Ah! da bist Du ja, mein Bruder,« rief Donna Maria freudig aus, »wie selten erfreust Du mich mit Deiner Gegenwart!«

»Geschäfte über Geschäfte!« erwiderte lächelnd der Abenteurer.

Der Tisch stand gedeckt mitten im Saale, die beiden Diener des Grafen standen vor dem Büffet, um die Gäste zu bedienen, und Leo Carral wartete, eine Serviette unter dem Arm, daß man sich zu Tische setzen würde.

»Ei, da gerade angerichtet ist,« sagte heiter Don Jaime, »so werde ich Euch nicht allein mit diesen Herren speisen lassen, wenn Ihr mir erlaubt, Euch Gesellschaft zu leisten.«

»Welches Glück!« rief Donna Carmen.

Die Cavaliere boten den Damen den Arm, führten sie zu ihren Plätzen und setzten sich neben sie.

Das Abendessen begann.

Es war, wie es stets unter Leuten, die sich lieben und seit lange kennen, sein soll, heiter und fröhlich.

Die jungen Mädchen waren lange nicht so glücklich gewesen. Die Stunden flossen rasch dahin, ohne daß es Jemand bemerkte; plötzlich ertönte die Mitternachtsstunde von einer im Speisesaale auf einer Console stehenden Uhr.

»Mein Gott!« rief Donna Dolores mit leichtem Schrecken, »schon so spät!«

»Wie rasch die Zeit vergeht,« bemerkte nachlässig Don Jaime; »wir müssen daran denken, aufzubrechen.«

Man erhob sich vom Tische und nachdem die drei Freunde versprochen hatten, bald und so oft wie möglich wieder zu kommen, entfernten sie sich endlich und überließen die Damen der Ruhe.

Lopez erwartete seinen Herrn in der Hausflur.

»Was willst Du von mir?« fragte dieser.

»Wir werden beobachtet,« antwortete der Peone.

Er führte ihn zu der Thür und öffnete leise ein Schiebfensterchen in derselben.

Don Jaime blickte hinaus. Gerade der Thür gegenüber, fast mit der Dunkelheit verschmolzen, die im Hintergrunde durch die aufgeworfene Erde und das Gerüst eines Hauses hervorgebracht war, stand ein Mann, der einem weniger durchdringenden Blick als der des Abenteurers entgangen wäre.

»Ich glaube. Du hast recht,« sagte Don Jaime zu dem Peonen; »auf jeden Fall ist es nothwendig, sich dessen zu versichern, und ich werde das übernehmen;« setzte er zwischen den Zähnen murmelnd mit furchtbarem Ausdruck hinzu. »Gieb mir Deinen Hut und Mantel für den meinigen und begleite die Caballeros; dieser Mensch hat drei Männer eintreten sehen, er muß also auch drei wieder fortgehen sehen; jetzt zu Pferde und fort.«

»Aber,« bemerkte Dominique, »es würde einfacher sein, diesen Mann zu tödten, scheint mir.«

»Das könnte so kommen,« antwortete Don Jaime, »aber ich gedenke erst Gewißheit darüber zu erlangen, ob er ein Spion ist; ich mag keinen Irrthum begehen. Seid außer Sorge um mich, noch bevor eine halbe Stunde vergeht, werde ich wieder bei Euch sein und Euch berichten, was zwischen mir und diesem Manne vorgefallen ist.«

»Auf baldiges Wiedersehen,« sagte der Graf, ihm die Hand drückend.

»Auf Wiedersehen.«

Darauf verließen sie, von Leo Carral und den beiden Dienern des Grafen gefolgt, das Haus.

Der alte Diener Donna Maria's schloß lärmend die Thür hinter ihnen, aber gleich darauf öffnete er sie leise wieder.

Don Jaime hatte sich an die Thürspalte gestellt, von wo er im Stande war, allen Bewegungen des vermuthlichen Spions zu folgen.

Bei dem durch die Entfernung der jungen Leute verursachten Geräusch, hatte sich dieser rasch vorgeneigt, offenbar um die Richtung, die sie nahmen, zu erkunden, darauf war er wieder in die Finsterniß zurückgetreten und verharrte in vollständiger Unbeweglichkeit. So verging beinahe eine Viertelstunde, ohne daß sich der Unbekannte gerührt hätte; Don Jaime verlor ihn nicht aus den Augen, endlich schlich er leise aus seinem Versteck hervor, blickte vorsichtig um sich und von der vollständigen Einsamkeit der Straße beruhigt, wagte er sich kühner einige Schritte vorwärts und ging nach einem augenblicklichen Zögern entschlossen in gerader Linie über die Straße auf das Haus zu. Plötzlich ging die Thür auf und er befand sich Don Jaime gegenüber.

Er wollte sich schnell zurückziehen und die Flucht ergreifen, aber der Abenteurer ergriff ihn beim Arm, den er wie in einen Schraubstock preßte, und schleppte ihn, trotz des halsstarrigen Widerstands, den er ihm entgegen setzte, bis zu der von brennenden Kerzen umgebenen Statue einer Jungfrau, die über einem Gewölbe in einer Nische stand, dort hob er den Hut seines Gefangenen auf und blickte ihm neugierig in's Gesicht.

»Ah, Sennor Jesus Dominguez,« sagte er nach einer Weile mit ironischer Stimme, »also Ihr seid es? Wahrhaftig, ich glaubte nicht. Euch hier zu treffen.«

Der arme Bursche blickte ihm mit jämmerlicher Miene in's Gesicht, aber er antwortete nicht.

Der Abenteurer wartete einen Augenblick, dann, als er bemerkte, daß sein Gefangener stumm blieb, sagte er, indem er ihn derb schüttelte:

»Nun, Kerl, wirst Du mir endlich antworten?«

Dieser ließ ein dumpfes Aechzen vernehmen.

»Es ist el–Rayo oder der Teufel,« murmelte er endlich entsetzt, indem er einen starren Blick auf das Gesicht des Mannes heftete, der ihn fest hielt.

»Entweder der eine oder der andere in der That,« erwiderte der Abenteurer lachend, »Du bist also in guten Händen; willst Du mir nun endlich sagen, wie Du, ein Dieb und Guerillero der Landstraße, in dieser Hauptstadt zum Spion und wahrscheinlich je nach den Umständen auch zum Meuchelmörder geworden bist?«

»Durch das Unglück, Excellenz, man hat mich verläumdet, ich war zu ehrlich,« entgegnete Dominguez.

»Du? Teufel, wenn ich davon ein Wort glaube, ich kenne Dich zu gut, Bursche, als daß Du mich täuschen könntest; entschließe Dich also, mir die Wahrheit zu sagen und das sogleich, ohne weitere Ausflüchte zu machen, oder wenn nicht, so tödte ich Dich wie einen Feigling.«

»Wenn Sie mir den Arm etwas weniger pressen wollten, Excellenz, Sie werden ihn mir verrenken.«

»Sei es,« sagte er, ihn loslassend, »aber versuche nicht, zu fliehen, das würde Dir theuer zu stehen kommen; jetzt sprich, ich höre.«

Als sich Jesus Dominguez freifühlte von der festen Hand des Abenteurers, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus, schwenkte seinen Arm mehre Male hin und her, um die Circulation wieder herzustellen, worauf er sich endlich zum Reden entschloß.

»Ich werde Ihnen vor allen Dingen berichten, Excellenz,« sagte er, »daß ich noch immer Guerillero bin, ja mehr, daß ich sogar einen Grad höher gestiegen, denn ich bin Lieutenant.«

»Desto besser für Dich, aber was machst Du hier?«

»Ich bin auf einer Expedition, Excellenz.«

»Auf einer Expedition, ganz allein, in Mexiko? Ach, Du wagst es, frech mit mir zu scherzen?«

»Ich schwöre Ihnen bei meiner Seligkeit, Excellenz, daß ich Ihnen die strengste Wahrheit sage; übrigens bin ich nicht allein hier, mein Capitain begleitet mich, auf seinen Befehl bin ich hierher gekommen.« »Ah! ah! und wer ist dieser Capitain?«

»Oh! Sie kennen ihn, Excellenz.«

»Das ist wohl möglich, aber ich denke, er hat einen Namen.«

»Gewiß, Excellenz; er heißt Don Melchior de-la-Cruz.«

»Ich vermuthete es; jetzt errathe ich Alles: Du hast den Auftrag Donna Dolores de-la-Cruz auszukundschaften, nicht wahr?«

»Ja, Excellenz.«

»Gut, und dann.«

»Dann, das ist Alles, Excellenz.«

»Oh! mein Bursche, es giebt noch etwas.«

»Nein, ich versichere Sie:«

»Gut, ich sehe, daß ich stärkere Mittel anwenden muß,« sagte er, indem er kaltblütig eine Pistole ergriff.

»Aber was thun Sie, Excellenz,« rief er entsetzt.

»Du siehst es, wie mir scheint, ich gedenke einfach Dich niederzuschießen; also wenn Du ein Gebet zu Gott schicken willst, so beeile Dich, es zu thun. Du hast nur noch zwei Minuten zu leben.«

»Aber das ist nicht das Mittel, um mich zum Sprechen zu bringen,« rief er naiv.

»Nein,« antwortete kalt der Abenteurer, »aber Dich zum Schweigen zu bringen.«

»Hm!« meinte Jener, »Sie führen so gute Gründe an, Excellenz, daß ich Ihnen nicht widerstehen kann, sondern vorziehe, Ihnen Alles zu sagen.«

»Du wurdest recht haben.«

»So hören Sie Folgendes: Ich war nicht allein beauftragt, Donna Dolores zu beobachten, sondern auch die alte und die junge Dame, bei der sie wohnt, sowie alle Personen, die bei ihr aus- und eingehen, zu überwachen.«

»Teufel! das ist ein gutes Stück Arbeit für einen einzelnen Mann.«

»Nicht zu sehr, Excellenz; sie empfangen fast Niemand.«

»Und seit wann treibst Du dieses ehrenwerthe Handwerk, Bursche?«

»Seit zehn oder zwölf Tagen, Excellenz.«

»Also Du machst mit den Banditen gemeinschaftliche Sache, die versuchten sich mit Gewalt in dieses Haus einzuführen.«

»Ja, Excellenz, aber das ist uns nicht gelungen.«

»Ich weiß es, bist Du wenigstens von Dem, der Dich verwendet, gut bezahlt?«

»Er hat mir allerdings noch nichts gegeben, aber er hat mir fünfzig Unzen versprochen.«

»Oh! die Versprechungen kosten Don Melchior nichts, es ist ihm leichter fünfzig Unzen zu versprechen, als zehn Piaster zu geben.«

»Glauben Sie, Excellenz, er ist also nicht reich?«

»Er ist ärmer als Du.«

»Hm! das ist allerdings traurig, denn ich habe nur von Schulden gelebt.«

»Ich muß gestehen, daß Du ein großer Dummkopf bist, und daß Du wohl verdienst, was Dir geschieht.«

»Ich, Excellenz?«

»Ei, wer sonst? Wie, Bursche, Du dienst einem Elenden, der keinen Sous besitzt, der ruinirt ist, anstatt für Diejenigen Partei zu nehmen, die Dich bezahlen würden.«

»Wer sind diese, wenn's beliebt, Excellenz? Ich gestehe Ihnen, daß ich solchen Personen mit wahrem Eifer dienen würde.«

»Daran zweifle ich nicht; stelle Dir zum Beispiel vor, daß es mir Spaß machen würde, Dir Aufträge zu geben.«

»Ah! wenn Sie das wollten, Excellenz, würde ich Ihnen mit Freuden dienen.«

»Du?«

»Warum nicht, Excellenz?«

»Ei, weil Du der Feind Derjenigen bist, die ich liebe, mußt Du auch der meinige sein.«

»Oh! wenn ich es gewußt hätte.«

»Was würdest Du gethan haben?«

»Ich weiß es nicht, aber sicher würde ich sie nicht ausgekundschaftet haben; verwenden Sie mich, Excellenz, ich bitte Sie inständig darum.«

»Du bist zu nichts gut.«

»Stellen Sie mich auf die Probe, Sie werden sehen, Excellenz, nur das sage ich.«

Der Abenteurer that, als wenn er überlegte; Jesus Dominguez wartete angstvoll.

»Nein,« sagte er endlich; »Du bist kein Mann, auf den man sich verlassen kann.«

»Oh! wie schlecht kennen Sie mich, Excellenz, ich, der ich Ihnen so ergeben bin.«

Der Abenteurer brach in Lachen aus.

»Das ist eine Ergebenheit für meine Person, die Dir sehr schnell gekommen ist,« sagte er. »Nun, wir wollen sehen, ich willige ein, mit Dir einen Versuch zu machen; aber wenn Du mich täuschest?«

»Es genügt, Excellenz, daß ich Sie kenne; seien Sie unbesorgt, Sie werden mit mir zufrieden sein; um was handelt es sich?«

»Ganz einfach darum, Deinen Mantel umzuwenden.«

»Gut, ich begreife, das ist leicht gethan; mein Herr wird keinen Schritt thun, ohne daß Sie davon benachrichtigt sein werden.«

»Hat er keinen vertrauten Freund, dieser theure Don Melchior?«

»Ja, Excellenz, einen gewissen Antonio Cacerbar, sie sind auf's Innigste verbunden.«

»Du wirst wohl daran thun, ihn bei derselben Gelegenheit auch zu überwachen.«

»Darauf soll es mir nicht ankommen.«

»Und da jede Mühe eine Belohnung verdient, so gebe ich Dir eine halbe Unze im Voraus.«

»Eine halbe Unze!« rief er mit entzückter Miene.

»Und weil Du Geld brauchst, will ich Dir zwanzig Tage vorschießen.«

»Zehn Unzen! Sie werden mir zehn Unzen vorauszahlen, Excellenz oh! das ist unmöglich.«

»Da nimm sie, damit Du es für möglich hältst,« antwortete er, indem er sie aus der Tasche zog und sie ihm reichte.

Der Bandit ergriff dieselben mit fieberhafter Hast.

»Oh!« rief er, »Don Melchior und sein Freund mögen auf ihrer Hut sein.«

»Sei geschickt, denn Don Melchior und Don Antonio sind schlau.«

»Ich kenne, sie, aber sie haben es mit einem Schlaueren, als sie sind, zu thun; verlassen Sie sich auf mich.«

»Das ist Deine Sache; bei dem geringsten Fehler gebe ich Dich auf.«

»Ich fürchte nicht, daß das geschieht.«

»Hast Du mir nicht von Deiner Fingerfertigkeit erzählt?«

»In der That, ich habe davon gesprochen, Excellenz.«

»Nun, wenn diese Herren zufällig einige Papiere herumliegen lassen, wirst Du gut thun, dieselben aufzuheben und mir zu bringen; ich bin sehr neugierig.«

»Das genügt! im Fall keine herumliegen sollten, werde ich sie suchen.«

»Dieses Mittel ist gut, ich billige es. Erinnere Dich, daß ich jedes der Papiere, wenn es etwas werth ist, mit drei Unzen außerdem bezahle; sobald Du Dich täuschest, wird es für Dich um so schlimmer sein, da Du dann nichts erhältst.«

»Ich werde vorsichtig sein, Excellenz; jetzt wollen Sie mir sagen, wo ich Sie treffen kann, sobald ich Ihnen Mittheilungen zu machen oder Papiere zu überliefern habe?«

»Das ist sehr leicht; ich mache täglich von drei bis fünf Uhr einen Spaziergang am Canal de-Las-Vijas.«

»Dorthin werde ich kommen.«

»Sei hauptsächlich vorsichtig.«

»Wie ein Opossum, Excellenz.«

»Leb' wohl, wache aufmerksam.«

»Excellenz, ich habe die Ehre, mich zu empfehlen.«

Sie trennten sich.

Nachdem Don Jaime dem alten Diener seiner Schwester, der während der ganzen Unterredung die Thür offen gehalten hatte, in's Haus zu gehen und dasselbe von Innen fest zu verschließen, befohlen hatte, schlug er händereibend seinen Weg nach der Wohnung der jungen Leute ein.

Beunruhigt durch das lange Ausbleiben Don Jaime's, erwarteten der Graf und sein Freund ihn mit Angst; schon wollten sie ihn aufsuchen gehen, als er eintrat. Sie empfingen ihn mit warmer Freude und baten, ihnen das Erlebte mitzutheilen.

Don Jaime hatte keinen Grund, ihnen das Geschehene zu verschweigen, und so erzählte er ihnen denn seine ganze Unterredung mit Jesus Dominguez und wie dieselbe endlich damit geendet habe, daß jener um ihm als Spion zu dienen an seinem Herrn zum Verräther würde.

Diese Erzählung belustigte die jungen Leute sehr.

Die drei Männer blieben bis Tagesanbruch beisammen; etwas nach Sonnenaufgang trennten sie sich; Don Jaime's letzte Worte, als er sie verließ, waren folgende:

»Meine Freunde, urtheilt noch nicht über meine Handlungsweise, so sonderbar dieselbe Euch auch erscheinen mag; in wenigen Tagen höchstens, werde ich endlich das Ziel erreicht haben, welches ich seit langen Jahren vorbereite. Was auch geschehen mag, alsdann wird Euch Alles klar werden; habt also Geduld, Ihr seid mehr bei dem Erfolg der Sache interressirt, als Ihr glaubt. Erinnert Euch, daß Ihr mir einen Schwur geleistet habt, und haltet Euch zum Handeln bereit, sobald ich Eurer Hülfe bedarf. Lebt wohl.«

Er drückte ihnen herzlich die Hand und entfernte sich.

Eine ganze Woche verfloß, ohne daß sich ein bemerkenswerthes Ereigniß zugetragen hätte.

Indessen herrschte eine dumpfe Gährung in der Stadt; zahlreiche Versammlungen bildeten sich in den Straßen und auf den Plätzen, wo alle politischen Nachrichten ausgetauscht wurden.

In den Kaufmannsvierteln wurden die Läden höchstens einige Stunden des Tages geöffnet, die Lebensmittel wurden immer seltener und theurer, die Indianer kamen nur noch in geringer Anzahl nach der Stadt und brachten nur noch wenig Producte mit.

Eine lebhafte Bewegung herrschte ohne eine bestimmte Ursache in der Bevölkerung, man fühlte, daß der Moment der Krisis sich rasch näherte und daß das so lange über Mexiko schwebende Gewitter mit furchtbarer Wuth losbrechen würde.

Don Jaime führte wenigstens scheinbar das müßige Leben eines Mannes, den seine Stellung über alle Eventualitäten hinwegsetzt und für den die politischen Ereignisse von keiner Wichtigkeit sind. Er ging und kam bald hier, bald dort; er schlenderte, seine Cigarre rauchend, durch die Straßen und Plätze, hörte theilnahmlos die Nachrichten, welche man sich erzählte, und nahm scheinbar die größten, von den Neuigkeitskrämern erfundenen Albernheiten für Wahrheit an, ohne daß er selbst sich darüber äußerte.

Täglich machte er einen Spaziergang am Canal-de-Las-Vigas; der Zufall ließ ihn oft mit Jesus Dominguez zusammentreffen, sie plauderten lange, indem sie neben einander ihren Weg fortsetzten, und trennten sich darauf, offenbar sehr befriedigt von einander.

Indessen schien Don Jaime seit einigen Tagen nicht mehr so zufrieden mit seinem Spion zu sein; scharfe Worte, ja selbst Drohungen wurden zwischen ihnen ausgetauscht.

»Mein Freund, Jesus Dominguez,« hatte einst Don Jaime bei der sechsten oder siebenten Zusammenkunft, welche er mit ihm hatte, zu seinem Spion gesagt, »nehmt Euch in Acht, ich glaube zu bemerken, daß Ihr ein doppeltes Spiel treibt, ich habe einen feinen Geruch, wie Ihr wißt, und ich wittere Verrath.«

»Oh! Ew. Herrlichkeit,« rief darauf der Sennor Dominguez, »Sie sind im Irrthum, ich bin Ihnen treu ergeben, glauben Sie mir, man verräth einen so edelmüthigen Caballero nicht.«

»Es ist wohl möglich; auf alle Fälle habe ich Euch gewarnt, handelt darnach, und hauptsächlich unterlaßt nicht, mir morgen die Papiere zu bringen, die Ihr mir bereits seit drei Tagen versprochen habt.«

Darauf hatte Don Jaime den Spion ganz bestürzt und sehr beunruhigt darüber verlassen, daß die Dinge, wenn er nicht sehr vorsichtig handelte, sich gegen ihn wenden konnten. Denn man muß zugeben, daß das Gewissen des Sennor Jesus Dominguez durchaus nicht ruhig war; der Verdacht Don Jaime's entbehrte nicht ganz alles Grundes: wenn der Spion seinen edelmüthigen Beschützer noch nicht verrathen hatte, so war ihm wenigstens der Gedanke gekommen, es zu thun, und für einen Mann wie der Guerillero, ist von dem Gedanken bis zur Ausführung nur ein Schritt.

Auch beschloß er, durch einen glänzenden Streich das verlorene Vertrauen Don Jaime's wieder zu gewinnen, indem er sich vorbehielt, ihn später zu betrügen. Um dies zu verwirklichen, beschloß er, sich in den Besitz der Papiere zu setzen, welche Don Jaime von ihm verlangte und dieselben ihm am nächsten Tage zu bringen, entschlossen, sobald sich eine günstige Gelegenheit finden würde, sie ihm wieder zu entwenden.

Am andern Tage erschien Don Jaime zur verabredeten Stunde. Jesus Dominguez kam auch bald und übergab ihm, seiner Gewohnheit gemäß mit großer Prahlerei ein ziemlich umfangreiches Päckchen Papiere. Der Abenteurer warf einen raschen Blick darauf, verbarg sie unter seinem Mantel und nachdem er dem Guerillero eine schwere Börse gegeben, wandte er diesem den Rücken, ohne auf seine Betheurungen zu hören.

»Teufel!« murmelte Jesus Dominguez, »das brennt; er sieht heut nicht sanft aus, wir dürfen ihm keine Zeit lassen, seine Vorsichtsmaßregeln zu treffen.

»Ich habe glücklicherweise seine Wohnung entdeckt, ich muß handeln und Alles Don Melchior erzählen. Er wird die Dinge auf eine Weise zu arrangiren wissen, daß er glaubt, ich habe nur so gehandelt, um seinem Feinde Vertrauen zu erwecken und ihn leichter zu überliefern, statt dessen, wenn ich ihn wirklich in seine Hände bringe, wird er entzückt sein und mich wegen meiner Geschicklichkeit loben. Wahrhaftig! es ist doch eine schöne Sache, gescheidt zu sein; ich bin entschieden ein intelligenter Mann.«

Indem er diese Complimente an sich selbst richtete, stieß Jesus Dominguez, der mit gesenktem Kopf, wie alle in Nachdenken versunkene Leute, dahinschlenderte, gegen zwei Personen, welche Arm in Arm vor ihm gingen und über ihre Angelegenheiten plauderten.

Diese beiden Männer waren wahrscheinlich von wenig duldsamem Character, denn sie drehten sich rasch herum und macht dem Guerillero ziemlich harte Vorwürfe.

Dieser fühlte sich im Unrecht, und da er eine beträchtliche Summe bei sich führte, so wollte er sich nicht in Händel verwickeln, sondern versuchte, sich auf's Beste zu entschuldigen.

Aber die Unbekannten wollten nichts davon wissen, und fuhren fort, ihn mit Schimpfreden zu überhäufen.

So langmüthig der Guerillero auch war, so ging ihm doch endlich die Geduld aus und er ließ sich durch den Zorn hinreißen, die Hand an sein Messer zu legen.

Diese unvorsichtige Bewegung war sein Unglück; die beiden Unbekannten stürzten sich auf ihn und schlugen ihn zu Boden. Da die Straße, wo dieser Streit stattgefunden hatte, vollkommen leer war, und sie daher Keiner gesehen hatte, so entfernten sie sich ruhig, nachdem sie sich überzeugt, daß der arme Bursche wirklich todt sei, und sie ihn seines Geldes und aller Papiere, die seine Identität feststellen konnten, beraubt hatten.

So starb Sennor Jesus Dominguez.

Die Celadores hoben seinen Körper zwei Stunden später auf und da ihn Niemand kannte, so wurde er ohne Ceremonie auf dem Kirchhof in eine Grube geworfen, ohne daß sich Jemand weiter um ihn kümmerte.

Don Melchior war vielleicht erstaunt, ihn nicht wieder zu sehen; da er aber nur geringes Vertrauen in seine Ehrlichkeit gesetzt hatte, so vermuthete er, daß er nachdem er sich einige Veruntreuungen hatte zu Schulden kommen lassen, das Weite gesucht habe, und dachte nicht weiter an ihn.


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