Gustave Aimard
Freikugel
Gustave Aimard

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1

Ein Jägerlager

Amerika ist das Land der Wunder! Alles gelangt dort zu einer so gewaltigen Entwicklung, daß die Phantasie davor erschrickt und der Verstand stillsteht. Die Berge, Flüsse, Seen und Ströme sind nach einem erhabenen Muster gebildet.

Hier erblicken wir einen Strom des nördlichen Amerika, der nicht mit der Rhône, der Donau oder dem Rhein zu vergleichen ist, deren Ufer mit Städten, Anpflanzungen oder alten, durch die Länge der Zeit verwitterten Schlössern bedeckt, deren Nebenflüsse unbedeutende Gewässer sind und deren in ein zu enges Bett gezwängte Strömung hastig dem weiten Weltmeer entgegenbraust. Sein Wasser ist tief und geräuschlos, seine Breite gleicht einem Meeresarm, sein Anblick ist stolz und streng wie die wahre Größe, und seine Fluten, die unzählige Nebenflüsse geschwellt haben, gleiten majestätisch dahin und benetzen sanft den Rand der tausend Inseln, die sich aus seinem Schlamm gebildet haben.

Jene Inseln, die mit hohen Bäumen bedeckt sind, strömen einen würzigen und herrlichen Duft aus, den die Luft weiterträgt. Ihre Einsamkeit wird durch keinen anderen Laut als den sanften und klagenden Ruf der Taube oder das heisere und durchdringende Geheul des Jaguars unterbrochen, der sich unter den Schatten des Waldes lagert.

Hier und da sammeln sich die Bäume, die entweder durch die Zeit verwittert oder vom Sturm entwurzelt worden sind, auf dem Wasser; dort verbinden sie sich teils durch die Gewinde der Schlingpflanzen, teils durch den Schlamm, der sich dazwischen festsetzt, und bilden schwimmende Inseln; junge Bäumchen fassen auf ihnen Wurzel, der Peitia und die Wasserlilie öffnen ihre gelben Blüten dort, Schlangen, Vögel und Alligatoren wählen jene grünen Fähren zu ihrem Tummelplatz oder Ruhepunkt und werden mit ihm vom Weltmeer verschlungen.

Jener Strom hat keinen Namen!

Andere, die unter derselben Breite liegen, heißen Nebraska, Platte, Missouri.

Jener Strom trägt einfach den Namen Mécha-Chébé, der alte »Vater der Wässer«, der Strom der Ströme, mit einem Wort: der Mississippi! Sein Lauf ist so ausgedehnt und unbegreiflich wie die Unendlichkeit; seinen Ruf umgibt wie den Ganges und den Irawadi ein geheimnisvolles, unheimliches Dunkel, doch ist er für die zahlreichen indianischen Volksstämme, die seine Ufer bewohnen, das Urbild von Fruchtbarkeit, Unendlichkeit, Ewigkeit!

Am 10. Juni des Jahres 1834 saßen zwischen zehn und elf Uhr morgens drei Männer am Ufer des Stromes, ein wenig unterhalb der Stelle, wo er sich mit dem Missouri vereinigt, und verzehrten ihr Frühstück, das aus einem Stück gebratenen Hirschfleisches bestand. Die Stelle, an der sie sich niedergelassen hatten, war eine der malerischsten, die man sich vorstellen kann. Der Strom bildete dort eine anmutig geschwungene Biegung, die von Hügeln eingefaßt war, die im reichsten Blumenschmuck prangten. Die Unbekannten hatten die Spitze des höchsten Hügels zum Ruhepunkt gewählt, von wo aus der Blick ein prachtvolles Panorama umfaßte.

Zunächst breiteten sich dichtbewaldete Haine vor ihnen aus, die beim Hauch des Windes auf und ab zu wogen schienen; während sich auf den Inseln des Stromes unzählige Herden rotgeschwingter Flamingos auf ihren langen Beinen wiegten, Regenvögel und Kardinäle von Zweig zu Zweig hüpften und sich ungeheure Alligatoren träge im Schlamm wälzten. Zwischen den Inseln spiegelten sich die Sonnenstrahlen in den silbernen Fluten. Inmitten jenes blendenden Lichtscheins tummelten sich allerhand Fische auf der Oberfläche des Wassers und zogen schimmernde Furchen. Endlich zeigten sich, soweit der Blick reichen konnte, die Gipfel der Bäume, die die Prärie einfaßten und die ihre dunkelgrünen Spitzen nur wenig am fernen Horizont zeigten.

Die drei Männer aber, die wir schon erwähnten, waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihren heißhungrigen Jägermagen zu befriedigen, um sich im geringsten der Naturschönheiten zu erfreuen, die sie umgaben.

Ihre Mahlzeit war übrigens nach wenigen Minuten beendet, und als die letzten Bissen verschlungen waren, zündete der eine seine indianische Pfeife an, während der andere eine Zigarre aus der Tasche zog. Hierauf streckten sie sich auf den Rasen und überließen sich mit jener Behaglichkeit, die den Rauchern eigen ist, dem Genuß einer guten Verdauung, indem sie mit träumerischen Blicken dem bläulichen Rauch folgten, der bei jedem Zug, den sie taten, in langen Säulen emporwirbelte. Der dritte hingegen lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm, kreuzte die Arme über die Brust und schlief höchst prosaisch ein.

Wir wollen die kurze Frist benutzen, die uns die Jäger lassen, um sie dem Leser vorzustellen und ihn näher mit ihnen bekannt zu machen.

Der erste war ein Kanadier von gemischter Abkunft, der etwa fünfzig Jahre alt sein mochte; er nannte sich Freikugel. Er hatte sein ganzes Leben in der Prärie und unter den Indianern zugebracht und war mit allen ihren Schlichen genau vertraut.

Freikugel war wie die Mehrzahl seiner Landsleute von hoher Gestalt, denn er maß über sechs englische Fuß; seine Glieder waren hager und dürr, seine Arme großknochig, aber mit stahlharten Muskeln versehen. Sein knochiges gelbes, dreieckiges Gesicht trug den Charakter ungewöhnlicher Offenheit und Munterkeit, und seine kleinen grauen, blitzenden Augen leuchteten voll Verstand. Seine vorspringenden Backenknochen, seine Nase, die über den breiten Mund herabhing, aus dem lange und weiße Zähne schimmerten, und sein spitzes Kinn bildeten zugleich das seltsamste und ansprechendste Ganze, das sich denken läßt.

In seiner Kleidung wich er in nichts von der Tracht der übrigen Waldläufer ab, d. h. sein Anzug bildete ein seltsames Gemisch indianischer und europäischer Mode, die sämtliche Jäger und weißen Trapper der Prärie angenommen haben.

Seine Waffen bestanden aus einem Messer, einem Paar Pistolen und einer amerikanischen Büchse, die gegenwärtig neben ihm im Gras, aber doch im Bereich seiner Hand lag.

Sein Gefährte war ein Mann von dreißig, höchstens zweiunddreißig Jahren, der jedoch kaum fünfundzwanzig zu zählen schien und hochgewachsen und Wohlgestalt war. Seine blauen Augen, deren sanfter, träumerischer Blick etwas Weibisches hatte, sowie die dicken Locken blonder Haare, die sich unter den breiten Rändern seines Panamahutes hervorstahlen und nachlässig auf seine Schultern wallten, und die weiße Farbe seiner Haut, die gegen die olivenfarbene, sonnengebräunte Färbung des Jägers grell abstach, deuteten an, daß er nicht unter dem warmen Himmel Amerikas geboren war.

Jener junge Mann war ein Franzose, hieß Charles Eduard de Beaulieu und stammte von einem der ältesten Geschlechter der Bretagne ab.

Die Grafen de Beaulieu haben zwei Kreuzzügen beigewohnt. Charles de Beaulieu verbarg aber unter der etwas weibischen Außenseite den Mut eines Löwen, der sich durch nichts abschrecken oder einschüchtern ließ. Er war nicht nur in allen Leibesübungen bewandert, sondern besaß überdies eine überraschende Kraft, und unter der feinen Haut seiner weißen, aristokratischen Hände schwellten sich eiserne Muskeln.

In einem von jeder Zivilisation so abgeschnittenen Land hätte jedermann, der sich die Zeit genommen hätte, darüber nachzudenken, die Kleidung des Grafen sehr auffallend finden müssen. Er trug einen mit Tressen besetzten grünen Jagdrock nach französischem Schnitt, der über der Brust zugeknöpft war; safrangelbe, hirschlederne Hosen, die mittels eines Gürtels aus Glanzleder um die Hüften befestigt waren, in dem ein Paar prachtvolle Kuchenreutersche Pistolen, eine Patronentasche und ein Jagdmesser in einem Futteral von gebräuntem Stahl mit kunstvoll gearbeitetem Heft steckten; seine Reiterstiefeln reichten ihm bis über die Knie herauf. Seine Büchse mit gezogenem Lauf lag gleich der seines Gefährten auf Armeslänge neben ihm im Gras; jene reichverzierte Waffe war mit dem Namen »Lepage's« bezeichnet und mußte eine unermeßliche Summe gekostet haben.

Der Graf de Beaulieu, dessen Vater den Prinzen in die Verbannung gefolgt und ihnen vorerst in der Condéschen Armee und dann in allen royalistischen Umtrieben eifrig gedient hatte, die während der Kaiserzeit unablässig im Gang waren, bekannte sich seiner politischen Gesinnung nach zu den Ultraroyalisten. Frühzeitig verwaist und Herr eines bedeutenden Vermögens, trat er zuerst unter den Musketieren und später unter der Leibgarde in militärischen Dienst.

Nach dem Sturz Karls X. empfand der Graf, der seine Karriere vernichtet sah, eine tiefe Mutlosigkeit und einen unüberwindlichen Lebensüberdruß. Europa war ihm verhaßt geworden, und er beschloß, es auf immer zu meiden. Er übertrug einem zuverlässigen Mann die Verwaltung seines Vermögens und schiffte sich dann nach den Vereinigten Staaten Nordamerikas ein.

Aber das enge, egoistische, kleinliche Leben in Amerika sagte ihm nicht zu, und der junge Mann konnte ebensowenig die Amerikaner begreifen wie sie ihn. In seinem Durst nach Abenteuern und mit einem Herzen, das sich von den unzähligen Niederträchtigkeiten und Treulosigkeiten, die er die Nachkommen der Pilger von Plymouth täglich begehen sah, tief verletzt fühlte, beschloß er eines Tages, sich dem traurigen Schauspiel, das sich seinen Blicken stündlich bot, dadurch zu entziehen, daß er in das Innere des Landes eindrang und die ungeheuren Steppen und Prärien durchstreifte, aus denen die Ureinwohner vertrieben worden waren, die den Verrätereien und Bübereien ihrer ränkesüchtigen Eroberer weichen mußten.

Der Graf hatte aus Frankreich einen alten Diener mit herübergebracht, dessen Vorfahren bereits seit Jahrhunderten im Dienste der Familie Beaulieu gestanden hatten. Ehe sich der Graf einschiffte, teilte er Ivon Kergollec seine Pläne mit und stellte ihm frei, ob er zurückbleiben oder ihm folgen wolle; der Diener schwankte nicht lange in seiner Wahl, sondern antwortete einfach, daß sein Herr das Recht habe, zu tun, was ihm beliebe, ohne seinen Diener deshalb zu befragen, und da es andererseits unzweifelhaft die Pflicht des letzteren sei, ihm überallhin zu folgen, werde er sich dieser auch nicht entziehen. Als aber der Graf beschloß, die Prärien zu durchstreifen, hielt er es für angemessen, seinen Diener davon in Kenntnis zu setzen; er erhielt aber dieselbe Antwort wie früher.

Ivon war ungefähr vierzig Jahre alt, und seine Erscheinung bot einen ziemlich vollendeten Typus des kecken, zugleich arglosen und schlauen Bauern aus der Bretagne. Sein Wuchs war klein und untersetzt, seine Glieder aber waren wohlgebildet, seine Brust breit, und sein Bau verriet überhaupt tüchtige Kraft. Sein ziegelrotes Gesicht wurde durch ein paar schlau blitzende Augen belebt, die wie Funken leuchteten.

Ivon Kergollec, dessen Leben bisher in den glänzenden Räumen des Palastes der Familie Beaulieu friedlich verflossen war, hatte die ruhigen, regelmäßigen Sitten des Dieners eines vornehmen Hauses angenommen; und da er nie in die Lage gekommen war, Proben seines Mutes abzulegen, wußte er nicht, ob ihm diese Eigenschaft zu Gebote stehe. Obwohl er seinem Herrn bereits seit mehreren Monaten auf dessen Reisen folgte und sich mitunter in einer gefährlichen Lage befunden hatte, waren seine Zweifel noch keineswegs beseitigt; er zweifelte nämlich an sich selbst und war sogar fest überzeugt, daß er nicht mehr Mut habe als ein Hase. Es war daher merkwürdig genug zu sehen, wie Ivon nach einem Zusammentreffen mit den Indianern, bei dem er mit dem Mut eines Löwen gekämpft und wahre Wunder der Tapferkeit vollbracht hatte, sich demütig bei seinem Herrn entschuldigte, daß er sich so schlecht benommen habe, da er noch nicht daran gewöhnt sei, sich zu schlagen.

Es versteht sich von selbst, daß ihm der Graf unter ausgelassenem Gelächter verzieh und ihn damit zu trösten suchte, denn der arme Teufel fühlte sich über seine vermeintliche Feigheit ernstlich unglücklich, hoffend, daß er wahrscheinlich beim nächstenmal besser bestehen und sich mit der Zeit an ein Leben gewöhnen werde, das so verschieden von demjenigen sei, das er bisher geführt hatte.

Bei solchen Tröstungen schüttelte der würdige Diener traurig den Kopf und antwortete mit tiefer Überzeugung: »Nein, nein, Herr Graf, ich werde mir nie Mut aneignen können; ich fühle es, der Mangel an Mut ist mir angeboren, und ich bin ein unheilbarer Feigling, das weiß ich nur zu gut.«

Ivon Kergollec trug eine vollständige Livree, doch war er in Anbetracht der Umstände ebenso vollständig bewaffnet wie seine Gefährten, und seine Büchse lag ebenfalls zur Hand neben ihm im Gras.

Drei prächtige Pferde voll Feuer und Ungeduld standen wenige Schritte von den Reisenden, die wir eben geschildert haben, angepflockt und verzehrten sorglos ihre Mahlzeit, die aus grünen Erbsenblättern und dem jungen Bewuchs der Bäume bestand.

Wir haben vergessen, zwei seltsame Gewohnheiten zu erwähnen, die Herrn de Beaulieu eigen waren. Die erste bestand darin, daß er fortwährend ein niedliches Lorgnon, das an einer schwarzen Schnur um seinen Hals hing, im rechten Auge eingeklemmt trug; zweitens trug er ständig Glacéhandschuhe, die, wie wir bekennen müssen, zum großen Bedauern des jungen Herrn anfingen, bedeutend an Glanz und Frische zu verlieren.

Wie kam es, und welcher seltsame Zufall hatte es gefügt, daß Menschen, die sich durch Geburt, Gewohnheiten und Erziehung so bedeutend unterschieden, sich in einer Einöde, die über sechshundert Meilen von jedem zivilisierten Wohnort entfernt war, und am Ufer eines – wenn auch nicht völlig unbekannten, doch bisher noch unerforschten – Stromes freundschaftlich nebeneinander auf dem Rasen gelagert hatten und eine mehr als einfache Mahlzeit brüderlich miteinander teilten?

Das wollen wir nun dem Leser mit wenigen Worten erklären, indem wir ihm einen Auftritt mitteilen, der sich sechs Monate früher, ehe unsere Erzählung beginnt, zugetragen hatte.

 

Freikugel war ein entschlossener Mann, der außer der Zeit, in der er im Dienst der Pelzwarengesellschaft stand, immer allein gejagt und getrappt hatte, denn er verachtete die Indianer zu tief, um sie zu fürchten, und es gewährte ihm einen Genuß, den der Tapfere begreifen wird, ihnen allein Trotz zu bieten, und ein unwillkürlicher Reiz trieb ihn immer wieder, sich ohne anderen Schutz als den des Allmächtigen immer neuen, noch unbekannten Gefahren auszusetzen.

Die Indianer kannten und fürchteten ihn seit langer Zeit. Häufig hatten sie sich mit ihm gemessen und sich seinen Händen fast immer mit schweren Verwundungen und unter Zurücklassung einer nicht unbedeutenden Anzahl von Toten entrissen. Sie hatten daher dem Jäger einen echt indianischen Haß, den nichts versöhnen kann, geweiht, und nur der qualvolle Tod des Opfers vermochte ihrer Rache zu genügen.

Weil sie aber wußten, welch einen Mann sie vor sich hatten, und kein Verlangen trugen, die Zahl der Opfer zu vermehren, die unter seiner Hand bereits gefallen waren, beschlossen sie mit jener Geduld, die ihrem Volk eigen ist, auf einen günstigen Augenblick zu warten, um sich ihres Opfers zu bemächtigen, und sich bis dahin damit zu begnügen, seine Bewegungen zu beobachten, damit er ihnen auf keinen Fall entgehe.

Freikugel jagte gegenwärtig längs der Küsten des Missouri. Weil er sich beobachtet wußte und unwillkürlich vor einem Hinterhalt auf der Hut war, traf er alle Vorsichtsmaßnahmen, die ihm sein erfinderischer Geist und seine neue Kenntnis der indianischen Hinterlist eingaben.

Eines Tages, als er die Küste des Flusses durchforschte, schien es ihm, als ob in einem in geringer Entfernung stehenden Gebüsch eine unmerkliche Bewegung wahrzunehmen sei. Er blieb stehen, streckte sich auf den Boden und kroch langsam auf das Gebüsch zu. Plötzlich schien der Wald bis in seine innersten, unerforschten Tiefen zu erbeben, ein Schwarm Indianer schien aus dem Boden zu wachsen, sprang von den Gipfeln der Bäume, tauchte hinter den Felsen auf, und der Jäger, buchstäblich unter seinen Feinden begraben, sah sich zu vollständiger Wehrlosigkeit verdammt, ehe er eine Bewegung hatte machen können, um sich zu verteidigen.

Freikugel wurde im Nu entwaffnet; hierauf trat ein Häuptling zu ihm, reichte ihm die Hand und sagte kaltblütig: »Mein Bruder kann aufstehen, die roten Krieger erwarten ihn.«

»Schon gut«, antwortete der Jäger brummend; »wir sind noch nicht zu Ende, Indianer, und ich werde mich zu rächen wissen.«

Der Häuptling lächelte. »Mein Bruder gleicht dem Spottvogel«, antwortete er höhnend; »er redet zuviel.«

Freikugel biß sich auf die Lippen, um einen Fluch zu unterdrücken, der ihm auf der Zunge schwebte; er stand auf und folgte seinen Bezwingern.

Er war der Gefangene der Piekanns, des kriegerischsten Stammes der Schwarzfüße. Der Häuptling, der sich seiner bemächtigt hatte, war sein persönlicher Feind.

Jener Häuptling nannte sich Natah-Otann, d. h. »Grauer Bär«. Es war ein Mann von höchstens fünfundzwanzig Jahren, und sein feines, intelligentes Gesicht trug das Gepräge der Ehrlichkeit. Sein hoher Wuchs, seine wohlgebildeten Glieder und sein kriegerischer Anblick machten ihn zu einem bedeutenden Mann. Sein langes schwarzes, sorgfältig gescheiteltes Haar fiel nachlässig auf seine Schultern herab.

Er trug wie alle ausgezeichneten Krieger seines Volkes ein Hermelinfell am Hinterkopf und um den Hals ein Band aus Bärenklauen und Bisonzähnen – dieser sehr kostspielige Schmuck wird bei den Indianern in hohen Ehren gehalten. Sein Hemd bestand aus Bisonfell, hatte kurze Ärmel und war am Halsausschnitt mit einer Art Überschlag von scharlachrotem Tuch versehen, der mit Stacheln des Stachelschweins besetzt war; die Nähte jenes Kleidungsstückes waren mit Menschenhaaren, die den geraubten Skalps entnommen waren, bestickt; das Ganze vervollständigte eine Ausschmückung, die aus kleinen Streifen Hermelinpelz bestand. Seine Mokassins, von denen jeder eine andere Farbe hatte, prangten in der feinsten Stickerei. Sein Mantel aus Bisonfell war innen mit einer Unzahl buntfarbiger, ungestalteter Figuren bedeckt, die die Heldentaten des jungen Kriegers darstellen sollten.

In der rechten Hand trug Natah-Otann einen Fächer, der aus dem vollständigen Flügel eines Adlers bestand, und am Handgelenk hing an einer Schlinge die kurze Peitsche mit langen Riemen, die den Indianern in der Prärie eigen ist; über der Schulter hingen sein Bogen und ein Köcher aus Jaguarfell, in dem seine Pfeile steckten; an seinem Gürtel hingen seine Jagdtasche, sein Pulverhorn, sein langes Jagdmesser und seine Streitaxt. Sein Schild hing über die linke Hüfte herab. Sein Flinte lag quer über dem Hals seines Pferdes, das statt des Sattels ein prachtvolles Jaguarfell trug. Das ungebändigte Kind der Wälder bot mit seinem wallenden Mantel und seinen langen, wehenden Federn auf dem ungezähmten Roß, das der Indianer gewandt zu tummeln verstand, einen ebenso ergreifenden wie großartigen Anblick.

Natah-Otann war der erste Sachem seines Stammes. Er winkte dem Jäger, ein Pferd zu besteigen, das einer seiner Krieger am Zügel hielt, worauf die ganze Truppe im Galopp nach dem Lager des Stammes davonsprengte.

Natah-Otann jagte zu der Zeit den Bison in den Ebenen des Missouri. Er hatte die Dörfer seines Volkes nebst 150 auserlesenen Kriegern bereits vor zwei Monaten verlassen.

Der Weg wurde schweigend zurückgelegt. Der Häuptling schien sich keineswegs um seinen Gefangenen zu kümmern. Obgleich sich letzterer scheinbar unbeobachtet sah und ein vortreffliches Pferd ritt, versuchte er kein einziges Mal zu entfliehen. Er hatte seine Lage auf den ersten Blick erkannt und bemerkt, daß ihn die Indianer nicht aus den Augen verloren und ihn, wenn er flüchten wollte, sofort wieder einfangen würden. Die Piekanns hatten ihr Lager auf dem Abhang eines bewaldeten Hügels aufgeschlagen.

Während zweier Tage schienen sie ihren Gefangenen vollständig vergessen zu haben, den sie mit keinem Wort anredeten. Am Abend des zweiten Tages wandelte Freikugel gleichmütig auf und ab und rauchte gelassen sein Kalumet.

Natah-Otann trat zu ihm. »Ist mein Bruder bereit?« sagte er zu ihm.

»Wozu?« antwortete der Jäger, indem er stehenblieb und eine gewaltige Rauchwolke von sich blies.

»Zu sterben«, erwiderte der Häuptling lakonisch.

»Vollkommen.«

»Gut, mein Bruder wird morgen sterben.«

»Meint Ihr?« erwiderte der Jäger sehr kaltblütig.

Der Indianer blickte ihn einen Augenblick verwundert an, dann wiederholte er: »Mein Bruder wird morgen sterben.«

»Ich habe es sehr wohl verstanden, Häuptling«, antwortete seinerseits der Kanadier lächelnd, »und ich wiederhole Euch: Meint Ihr?«

»Mein Bruder kann sehen«, fügte der Sachem mit bedeutsamer Gebärde hinzu.

Der Jäger schüttelte den Kopf. »Bah!« sagte er gleichgültig. »Ich sehe wohl, daß alle Vorbereitungen getroffen – und zwar gewissenhaft getroffen – sind; was ist aber damit bewiesen? Vorläufig bin ich, wie mir scheint, noch am Leben.«

»Ja, aber bald wird mein Bruder tot sein.«

»Wir werden ja morgen sehen«, antwortete Freikugel achselzuckend. Hierauf ließ er den Häuptling verblüfft stehen, streckte sich in den Schatten eines Baumes und schlief ein.

Der Schlaf des Jägers war so wenig erheuchelt, daß die Indianer am anderen Tag gezwungen waren, ihn zu wecken. Der Kanadier öffnete die Augen, gähnte zwei- bis dreimal aus Herzensgrund und stand auf. Die Rothäute führten ihn zum Marterpfahl und banden ihn dort fest.

»Nun«, wandte sich Natah-Otann hohnlachend zu ihm, »was denkt mein Bruder jetzt?«

»Wie?« versetzte Freikugel mit jener unerschütterlichen Zuversicht, die sich keinen Augenblick verleugnete. »Glaubt Ihr denn, daß ich schon tot bin?«

»Nein, aber in einer Stunde wird mein Bruder tot sein.«

»Bah«, erwiderte der Kanadier gleichmütig, »in einer Stunde kann sich manches ereignen.«

Natah-Otann entfernte sich, innerlich entzückt über die unerschrockene Haltung seines Gefangenen. Nachdem er sich einige Schritte entfernt hatte, besann er sich anders und kehrte zu Freikugel zurück. »Mein Bruder höre«, sagte er; »ein Freund redet zu ihm.«

»Redet, Häuptling«, antwortete der Jäger, »ich bin ganz Ohr!«

»Mein Bruder ist ein starker Mann, sein Herz ist groß«, fuhr Natah-Otann fort; »er ist ein furchtbarer Krieger.«

»Darüber könnt Ihr einigermaßen urteilen, nicht wahr?« antwortete der Kanadier.

Der Sachem unterdrückte eine Äußerung des Mißmuts. »Das Auge meines Bruders ist unfehlbar und seine Hand sicher«, fuhr er fort.

»Sagt lieber gleich, was Ihr bezweckt, Häuptling, und ergeht Euch nicht in so vielen indianischen Umschweifen.«

Der Häuptling lächelte. »Freikugel ist allein«, sagte er mit sanfter Stimme; »seine Kämpfe sind einsam. Warum hat ein so großer Krieger keine Gefährtin?«

Der Jäger blickte sein Gegenüber durchdringend an. »Was kümmert es Euch?« antwortete er.

Natah-Otann fuhr fort: »Das Volk der Schwarzfüße ist mächtig; die jungen Frauen des Stammes der Piekanns sind schön.«

Der Kanadier fiel ihm lebhaft ins Wort: »Genug, Häuptling!« sagte er. »Trotz der Winkelzüge, deren Ihr Euch bedient habt, um mir Euren seltsamen Antrag zu machen, habe ich Euch doch durchschaut.«

Natah-Otann runzelte die Brauen.

Der Jäger fuhr fort: »Ich werde niemals eine indianische Frau zu meiner Gefährtin wählen. Ihr könnt Euch daher fernere Anträge ersparen, die doch zu keinem befriedigenden Resultat führen würden.«

Der Häuptling stampfte zornig mit dem Fuß und schrie: »Hund von einem Bleichgesicht! Heute abend sollen meine jungen Leute Kriegspfeifen aus deinen Knochen machen, und ich selbst will Feuerwasser aus deinem Schädel trinken!«

Nach dieser furchtbaren Drohung verließ der Häuptling den Jäger, der ihm achselzuckend nachblickte und in sich hineinmurmelte: »Das entscheidende Wort ist noch nicht gesprochen! Es ist nicht das erstemal, daß ich mich in einer verzweifelten Lage befinde, und bis jetzt bin ich stets davongekommen; ich wüßte nicht, weshalb ich diesmal weniger glücklich sein sollte! Ich will es mir zur Lehre dienen lassen und ein andermal vorsichtiger sein!«

Der Häuptling hatte unterdessen Befehl gegeben, die Vorbereitungen zur Todesmarter zu betreiben, und diese schritten ihrer Vollendung entgegen.

Freikugel folgte den Bewegungen der Indianer so neugierig und unbefangen, als handle es sich um jemand ganz anderen als ihn. »Jaja, ihr Burschen«, sagte er, »ich sehe euch wohl; ihr bereitet alle Marterwerkzeuge vor: dort ist das grüne Holz, das bestimmt ist, mich einzuräuchern wie einen Schinken; jetzt schnitzt ihr die kleinen Pflöcke, die ihr unter meine Nägel zwängen wollt. Aha«, fügte er mit vollkommen befriedigter Miene hinzu, »ihr wollt mit dem Flintenschießen anfangen; laßt sehen, ob ihr geschickt seid! Was wird das für ein Fest für euch! Wie werdet ihr euch unterhalten, einen wackeren weißen Jäger zu Tode zu martern! Der Teufel mag wissen, welche verrückten Einfälle euch noch durch den Kopf fahren werden. Beeilt euch aber, sonst könnte es sein, daß ich euch entwischte!«

Während dieses Monologs hatten einige der geschicktesten Krieger des Stammes ihre Flinten erfaßt und sich ungefähr zwanzig Schritte vom Gefangenen entfernt aufgestellt. Das Schießen begann. Sämtliche Kugeln schlugen wenige Linien vor dem Gefangenen auf den Boden, und der Jäger schüttelte nach jedem Schuß den Kopf wie ein durchnäßter Pudel, was den Anwesenden zum besonderen Vergnügen gereichte.

Diese Unterhaltung währte bereits einige Minuten und versprach sich noch viel länger auszuspinnen, denn die Schwarzfüße fanden zu entschiedenes Vergnügen daran; plötzlich aber sprengte ein Reiter in die Mitte der Waldlichtung und zerstreute die Indianer, die ihm in den Weg traten, mit Peitschenhieben. Hierauf nützte er die durch seine unerwartete Ankunft entstandene Bestürzung, eilte auf den Gefangenen zu, sprang vom Pferd, zerschnitt ruhig seine Fesseln, gab ihm ein Paar Pistolen und stieg wieder auf sein Tier. Das alles hatte sich in wesentlich kürzerer Zeit ereignet, als wir gebraucht haben, um es zu erzählen.

»Bei Gott«, rief Freikugel vergnügt aus, »ich wußte wohl, daß ich diesmal noch nicht sterben würde!«

Die Indianer lassen sich durch kein Gefühl – welcher Art es auch sein mag – lange beherrschen; nachdem sich der erste Schrecken gelegt hatte, umringten sie die beiden Männer mit Geschrei, geschwungenen Waffen und wütenden Gebärden.

»Platz gemacht! Fort mit euch Schurken!« rief der Neuangekommene in befehlendem Ton, indem er diejenigen scharf mit der Peitsche züchtigte, die unvorsichtig genug waren, in seinen Bereich zu kommen. »Kommt jetzt!« fügte er, zum Jäger gewandt, hinzu. »Ich bin zufrieden«, antwortete dieser; »doch scheint mir die Sache nicht eben leicht.« »Bah! Versuchen wir unser Heil«, erwiderte der Unbekannte, indem er gelassen das Lorgnon ins rechte Auge klemmte.

»Versuchen wir unser Heil!« antwortete Freikugel. –

Jener Unbekannte, der von der Vorsehung bestimmt zu sein schien, den Jäger zu befreien, war kein anderer als der Graf Charles Eduard de Beaulieu, den der Leser ohne Zweifel bereits erkannt hat.

»Holla!« rief der Graf mit lauter Stimme aus. »Komm hierher, Ivon!« »Hier bin ich, Herr Graf!« antwortete eine Stimme aus dem Wald.

Ein zweiter Reiter kam hierauf in die Waldlichtung gesprengt und stellte sich kaltblütig neben den ersten. Der zuletzt Angekommene war Ivon Kergollec, der Kammerdiener des Grafen.

Die drei Männer, die kaltblütig in der Mitte der Indianer standen, die sie heulend umringten, boten einen seltsamen Anblick. Der Graf saß mit dem Lorgnon im Auge stolz aufgerichtet auf seinem Pferd, und indem er einen hochmütigen Blick um sich warf und die Oberlippe verächtlich aufwarf, untersuchte er das Schloß seiner Büchse. Freikugel hielt in jeder Hand eine Pistole und war entschlossen, sein Leben teuer zu verkaufen, während der Diener gelassen auf den Augenblick wartete, wo er Befehl erhalten würde, auf die Wilden einzustürmen.

Die Indianer, die die Unerschrockenheit der Weißen zur höchsten Wut reizte, forderten sich gegenseitig durch Gebärden und Geschrei auf, eine schnelle Rache an den Unbesonnenen zu nehmen, die sich so unvorsichtigerweise in ihre Hände geliefert hatten.

»Die Indianer sind ausnehmend häßlich«, bemerkte der Graf. »Jetzt sind Sie frei, mein Freund, wir haben folglich nichts mehr hier zu suchen und können gehen.« Er schickte sich an, sich Bahn zu brechen.

Die Schwarzfüße schritten vor.

»Sehen Sie sich vor!« rief Freikugel aus.

»Was fällt Ihnen ein?« erwiderte der Graf achselzuckend. »Die Schlingel werden es sich doch nicht etwa einfallen lassen, mir den Weg versperren zu wollen?«

Der Jäger blickte ihn auf eine Weise an, die auszudrücken schien, daß er Zweifel habe, ob er einen Verrückten oder ein mit Vernunft begabtes Wesen vor sich habe, so unerhört kam ihm die Äußerung des Grafen vor.

Der Graf gab seinem Pferd die Sporen.

»Zum Teufel!« brummte Freikugel in sich hinein. »Er wird sich umbringen lassen; aber er ist trotzdem ein unerschrockener Patron, und ich werde ihn gewiß nicht verlassen.« Der Augenblick war allerdings entscheidend, denn die Indianer hatten sich in dichten Massen zusammengeschart und waren im Begriff, einen verzweifelten Angriff auf die drei Männer zu wagen. Ein solcher Angriff wäre auf jeden Fall entscheidend gewesen, denn die Europäer entbehrten jeden Schutzes und mußten sich vollständig den Hieben ihrer Feinde preisgeben, denen zu entkommen sie nicht hoffen konnten.

Seit der Ankunft des Grafen schien der indianische Sachem wie vor Schreck gelähmt zu sein, denn er hatte sich nicht gerührt, sondern starrte vor sich hin und schien heftig bewegt zu sein. Plötzlich, als die Schwarzfüße teils ihre Flinten anlegten, teils ihre Bogen mit Pfeilen versahen, schien Natah-Otann einen Entschluß gefaßt zu haben; er stürzte vor, schwang seinen Bisonmantel in der Luft und schrie mit lauter Stimme: »Halt!«

Die Indianer leisteten dem Befehl ihres Häuptlings augenblicklich Folge.

Hierauf trat der Sachem drei Schritte vor, verneigte sich ehrerbietig vor dem Grafen und sagte in unterwürfigem Ton: »Mein Vater wolle seinen Kindern vergeben, sie kannten ihn aber nicht; mein Vater ist groß, seine Macht ist unermeßlich, seine Güte unendlich, und er wird vergessen, was Beleidigendes in ihrem Benehmen gelegen hat.«

Freikugel hörte die Anrede verwundert an und verdolmetschte sie dem Grafen, indem er unumwunden gestand, daß ihm die Sache unbegreiflich wäre.

»Es wird nichts weiter sein«, antwortete der Graf lächelnd, »als daß sie Furcht bekommen haben.«

»Hm«, brummte der Jäger, »das ist nicht wahrscheinlich, dahinter steckt etwas anderes. Wie dem auch sei – wir müssen eine List gebrauchen.« Er wandte sich hierauf zu Natah-Otann und sagte: »Der große bleiche Häuptling ist mit der Ehrerbietung zufrieden, die seine roten Kinder für ihn hegen, und verzeiht ihnen.«

Natah-Otann legte seine Freude an den Tag.

Die drei Männer schritten durch die Reihen der Indianer, die bereitwillig zur Seite traten, und begaben sich in den Wald, ohne daß man ihren Rückzug zu hindern suchte.

»Gott sei Dank!« rief Freikugel aus, sobald er sich in Sicherheit sah. »Aber«, fügte er kopfschüttelnd hinzu, »darunter steckt etwas, das ich nicht begreifen kann.«

»Jetzt, mein Freund«, sagte der Graf, »steht es Ihnen frei, zu gehen, wohin Sie wollen.« Der Jäger bedachte sich einen Augenblick. »Hören Sie«, antwortete er nach einer Weile, »ich verdanke Ihnen das Leben; und obwohl ich Sie nicht kenne, scheinen Sie doch ein guter Kamerad zu sein.«

»Sie beschämen mich«, erwiderte der Graf lächelnd.

»Wahrlich nicht; ich sage, was ich denke. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir wenigstens so lange beisammen bleiben, bis ich meine Schuld abgetragen und Ihnen gleichfalls das Leben gerettet habe.«

Der Graf reichte ihm die Hand und antwortete bewegt: »Ich danke Ihnen, mein Freund, und nehme Ihr Anerbieten an.«

»Es gilt!« rief der Jäger vergnügt aus, indem er die dargereichte Hand herzlich drückte. Der Bund war geschlossen.

Freikugel, der sich anfangs aus Dankbarkeit dem Grafen angeschlossen hatte, empfand bald eine wahrhaft väterliche Zuneigung für ihn, doch war ihm das Benehmen des jungen Mannes, der stets so handelte, wie er es in Frankreich getan haben würde, auch in der Folge ebenso unbegreiflich wie am ersten Tag, und die kecke Entschlossenheit und kräftige Handlungsweise des jungen Grafen spotteten der alten Erfahrung des Jägers. Ja es ging so weit, daß der Kanadier, der wie alle rohen Naturen abergläubisch war, sich schließlich für überzeugt hielt, daß das Leben des jungen Grafen gefeit sei, weil er wohlbehalten aus Gefahren hervorging, in denen jeder andere untergegangen wäre. Infolgedessen dünkte ihm in Begleitung eines solchen Gefährten kein Ding unmöglich, und die seltsamsten Vorschläge des Grafen erschienen ihm um so einfacher, als unbegreiflicherweise und wider alle Erwartung alle ihre Unternehmungen glückten.

Die Indianer schienen sich stillschweigend entschlossen zu haben, nicht nur nicht mehr gegen sie zu kämpfen, sondern sogar jede Begegnung mit ihnen zu vermeiden. Sooft sie einem Wilden begegneten – gleichviel, von welchem Stamm –, erschöpfte er sich in Äußerungen der Ehrerbietung vor dem Grafen, den sie nur mit einer Mischung von Schrecken und Liebe anredeten. Den Grund dafür suchte der Jäger vergebens zu erforschen, weil sich nie eine Rothaut dazu verstanden hätte, ihm Rede zu stehen. –

So standen die Dinge bereits sechs Monate vor dem Tag, wo wir die drei Männer am Ufer des Mississippi beim Frühstück getroffen haben. Wir nehmen den Faden unserer Erzählung wieder an der Stelle auf, wo wir ihn verlassen haben, und schließen hiermit die eingeschaltete Erklärung, die zum Verständnis der folgenden Ereignisse unerläßlich war.


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