Gustave Aimard
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Gustave Aimard

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18

Die Bekenntnisse einer Mutter

Es gibt im Leben Zeiten, wo uns entweder durch den Einfluß unserer äußeren Umgebung oder weil eine geheimnisvolle Gewalt in unserem Inneren waltet, uns ein Gefühl der Trauer überfällt, das wie eine Epidemie in der Luft zu liegen scheint. Bruder und Schwester empfanden, als sie bei einer qualmenden Lampe in dem schlecht verwahrten Zimmer beisammensaßen, die Gewalt eines solchen Einflusses. Von außen schlug der Regen gegen die Scheiben, der Wind ächzte durch den dünnen Bretterverschlag und wehte die Flamme der Lampe hin und her, während undeutliche Laute zuweilen gleich Seufzern emporstiegen und in der Ferne verhallten. Die Hunde sandten einander bellend ihre Grüße zu, die die Schar der indianischen Hunde von der Prärie aus kläglich erwiderte. Alles schien dahin zu wirken, die Seele traurig und träumerisch zu stimmen.

Nach einer ziemlich langen Pause ergriff die Wölfin – oder vielmehr Margarete Melville, wie ihr wahrer Name lautete – mit leiser, bebender Stimme das Wort. Der Klang dieser Stimme war mit der in der Natur herrschenden Stimmung in vollkommenem Einklang, denn es tobte draußen einer jener furchtbaren Orkane, die in jenem Himmelsstrich so häufig sind und die wir glücklicherweise bei uns noch nicht kennen.

»Es sind jetzt beinahe siebzehn Jahre her«, sagte sie, »und du, Harry, hattest eben, wie ich glaube, dein Leutnantspatent in der Armee erhalten; du warst damals jung und feurig, und die Zukunft lächelte dir in den heitersten Farben. Du kamst eines Abends bei einem Wetter gleich dem gegenwärtigen zu der Ansiedlung, die mein Mann und ich ausbeuteten, um uns zu verkünden, welche neue Stellung dir die Regierung anweise, und uns zugleich einen herzlichen Abschied zu sagen, in der Hoffnung, die wir damals teilten, daß die Trennung nicht lange dauern würde. Am nächsten Morgen ließest du dich durch keine Bitten zurückhalten, sondern umarmtest meine Kinder, drücktest meinem Mann, der dich so herzlich liebte, die Hand, gabst mir einen letzten Kuß und schwangst dich auf dein Pferd, das mit verhängten Zügeln davonjagte und bald hinter einer Staubwolke mit dir verschwand. Wer hätte damals gedacht, daß wir uns erst heute wiedersehen würden und nach einer siebzehnjährigen Trennung auf indianischem Gebiet und unter gefahrvollen Umständen wieder vereinigt werden sollten? Aber Gott hat es so gewollt; gelobt sei sein heiliger Name! Es hat ihm gefallen, seine Geschöpfe zu prüfen und seine Hand schwer auf ihnen ruhen zu lassen.«

»Sechs Monate nach jenen Ereignissen kehrte ich vergnügt zurück, sah aber mit unbeschreiblicher Bangigkeit, als ich vor eurer Tür hielt, einen Fremden aus eurem Haus treten«, antwortete der Major. »Auf meine dringenden Fragen antwortete er, daß die ganze Familie bereits vor drei Monaten ausgewandert sei und nach Westen gezogen wäre, in der Absicht, an der indianischen Grenze eine neue Niederlassung zu gründen. Vergebens erkundigte ich mich bei allen euren Nachbarn nach euch; sie hatten euch bereits vergessen. Niemand konnte - oder wollte vielleicht – Auskunft über euch geben, und ich mußte abreisen und mit trostlosem Herzen denselben Weg zurückkehren, den ich vor wenigen Tagen so vergnügt gekommen war. Seit der Zeit habe ich trotz aller Mühe, die ich mir gegeben, und aller Schritte, die ich deshalb getan habe, nichts von eurem ferneren Schicksal erfahren und das geheimnisvolle Dunkel nicht aufklären können, das über den traurigen Ereignissen schwebte, deren Opfer ihr, wie ich überzeugt war, geworden sein mußtet.«

»Deine Vermutung kommt der Wahrheit ziemlich nahe, Bruder«, erwiderte sie. »Zwei Monate nach deinem Besuch hatte mein Mann, der schon lange wünschte, unsere Niederlassung zu verlassen – weil der Boden, wie er sagte, nichts mehr tauge und die darauf verwendete Arbeit nicht mehr lohne –, einen heftigen Wortwechsel mit einem unserer Nachbarn wegen eines Stück Feldes, dessen Grenzen letzterer, wie mein Mann behauptete, in böser Absicht verrückt habe. Im gewöhnlichen Lauf der Dinge wäre ein solcher Streit bald beigelegt worden; mein Mann suchte aber nach einem Vorwand, um abzureisen, und gab ihn, als er ihn gefunden hatte, nicht so leicht wieder auf. Trotz aller Vorstellungen wollte er nichts von einer Schlichtung des Streites hören, sondern traf langsam seine Vorbereitungen zu der längst beabsichtigten Auswanderung und kündigte uns am anderen Tag an, daß wir am nächsten Morgen aufbrechen würden.

Wenn mein Mann einmal etwas beschlossen hatte, blieb nichts übrig, als ihm zu gehorchen, denn er gab nie einen gefaßten Vorsatz wieder auf. Am bestimmten Tag verließen wir bei Sonnenaufgang die Ansiedlung, unsere Nachbarn gaben uns während des ersten Tages das Geleit, und nachdem sie die wärmsten Wünsche für das Gelingen unserer Pläne ausgesprochen hatten, verließen sie uns am Abend, und wir blieben allein. Ich hatte das Haus, in dem ich getraut worden war, mit unsäglicher Trauer und schwerem Herzen verlassen; war es doch die Geburtsstätte meiner Kinder und der Ort, wo ich selbst die glücklichsten Jahre verlebt hatte. Mein Mann war vergebens bemüht, mich zu trösten und mir Mut zuzusprechen – nichts vermochte die süße und teure Erinnerung an die alte Heimat zu verlöschen. Je tiefer wir in die Wildnis drangen, um so größer wurde meine Trauer; mein Mann hingegen sah alles im rosigsten Licht, die Zukunft gehörte ihm, er wollte endlich frei sein und nach eigenem Gutdünken handeln. Er setzte mir seine Pläne auseinander, suchte mich für diese zu gewinnen – kurz, er wandte alles, was in seinen Kräften stand, an, um mich aus meiner Schwermut zu reißen; es wollte ihm aber nicht gelingen.

Wir setzten indessen unsere Reise unaufhaltsam fort und entfernten uns jeden Tag mehr von dem Bereich unserer Landsleute. Ich stellte meinem Mann vergebens vor, wie fern von aller Hilfe wir für den Fall der Gefahr wären und wie verlassen wir überhaupt sein würden; er lachte über alle meine Sorgen, versicherte mir wiederholt, daß die Indianer keineswegs so furchtbar seien, als man sie schildere, und daß wir nichts zu fürchten hätten, da sie nicht wagen würden, uns anzugreifen. Mein Mann war von der Wahrheit seiner Behauptung so durchdrungen, daß er versäumte, die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen gegen einen etwaigen Überfall zu ergreifen, und an jedem Morgen sagte er in neckendem

Ton zu mir: ›Du bist eine Närrin, Margarete; sei doch vernünftig, die Indianer werden sich hüten, uns in den Weg zu kommen!‹

Während einer Nacht wurde das Lager von den Rothäuten angegriffen, wir wurden im Schlaf überfallen und mein Mann lebendig geschunden, während zu seinen Füßen seine Kinder über einem langsamen Feuer verbrannten.« Bei diesen Worten klang die Stimme der armen Frau immer erstickter, und zuletzt überwältigte sie ihre Rührung so sehr, daß sie nicht weiterreden konnte.

»Fasse Mut!« sagte der Major, der zwar ebenso erschüttert war wie sie, seine Gefühle aber besser zu beherrschen verstand.

Sie bestrebte sich mühsam, nach Fassung zu ringen, und fuhr mit stockender Stimme und in abgerissenen Worten fort: »Aus einer Grausamkeit, deren Grund ich nicht sofort erkannte, blieb mein jüngstes Kind, meine Tochter, von den Heiden verschont. Als ich die Marter meines Mannes und meiner Kinder sah, der beizuwohnen man mich zwang, empfand ich einen solchen Schmerz, daß ich zu sterben meinte; ich stieß einen lauten Schrei aus und fiel rücklings zu Boden. Ich kann nicht sagen, wie lange ich so gelegen habe; als ich zu mir kam, war ich allein – wahrscheinlich hielten mich die Indianer für tot und hatten mich daher verlassen. Ich stand wieder auf, und ohne recht zu wissen, was ich tat, schleppte ich mich, wie von höherer Gewalt getrieben, nach der Stelle, wo die Greueltat verübt worden war. Ich mußte drei Stunden wandern, kann aber nicht begreifen, wie ich so weit weg vom Lager geraten war. Endlich kam ich hin – ein entsetzliches Schauspiel bot sich meinen erschrockenen Blicken, und ich rollte bewußtlos auf die entstellten und halb verkohlten Überreste meiner Kinder. Wahrscheinlich gab mir die Verzweiflung die Kräfte, die mir abgingen, zurück; ich grub, halb sinnlos vor Schmerz, ein Grab und vergrub meinen Mann und meine Kinder – alles, was mir auf Erden teuer gewesen war - unter einem gemeinsamen Hügel. Als ich diese traurige Pflicht erfüllt hatte, beschloß ich, mich hinzulegen, um an derselben Stelle zu sterben, wo meine Lieben umgekommen waren. Aber es gibt Zeiten während der langen Stunden der Nacht, wo die Toten mit den Lebenden reden, um ihnen zu befehlen, sie zu rächen! Ich vernahm während jener unvergeßlichen Nacht die furchtbar mahnende Stimme aus dem Grab, die während eines schrecklichen Aufruhrs der Elemente, der den ganzen Erdball aus den Fugen zu reißen drohte, zu meinem Ohr drang. Von Stund an war mein Entschluß gefaßt, und ich wollte das Leben ertragen, um sie rächen zu können. Ich bin seit jener Zeit keinen Zollbreit von der Bahn gewichen, die ich mir vorgezeichnet hatte, und sooft sich die Gelegenheit dazu bot, suchte ich jenen Heiden Böses mit Bösem zu vergelten! Ich bin der Schrecken der Prärien geworden, und die Indianer fürchten mich wie einen bösen Geist und betrachten mich mit unüberwindlicher, abergläubischer Furcht. Man hat mich die lügenhafte Wölfin der Prärien benannt, denn sooft ihnen eine Gefahr droht oder ein Unglück bevorsteht, erscheine ich vor ihren Blicken! Ich warte bereits seit siebzehn Jahren unermüdlich auf die Stunde der Rache und verliere nicht den Mut, denn ich bin gewiß, daß der Tag kommen wird, wo ich gleichfalls das Knie auf die Brust meiner Feinde stemmen und ihnen die furchtbaren Qualen vergelten kann, zu denen sie mich verdammt haben.«

Bei den letzten Worten drückte die Miene der Frau so viel Grausamkeit aus, daß der Major trotz seines Mutes schauderte. »Kennst du deine Feinde?« sagte er nach einer Weile. »Und kannst du sie beim Namen nennen?«

»Ich kenne sie alle«, antwortete sie in schneidendem Ton, »und weiß ihre Namen.«

»Sind sie es, die den Frieden brechen wollen?«

Margarete lächelte ironisch. »Nein, sie werden den Frieden nicht brechen, mein Bruder, sondern dich unvermutet überfallen, denn sie haben sich zu einem gewaltigen Bund vereinigt, dem du – wenigstens wie sie meinen – nicht wirst widerstehen können.«

»Nenne mir die Namen jener Verräter, Schwester!« rief der Major energisch aus. »Ich schwöre dir, daß ich sie finden werde – und hätten sie sich im tiefsten Abgrund der Hölle versteckt –, um sie auf exemplarische Weise zu züchtigen.«

»Ich kann dir jetzt die Namen noch nicht nennen, mein Bruder; aber sei unbesorgt, bald sollst du sie kennen. Du wirst sie nicht sehr weit zu suchen brauchen, denn ich mache mich verbindlich, sie in den Bereich der Büchsen deiner Soldaten und Jäger zu bringen.«

»Sieh dich vor, Schwester«, sagte der Major kopfschüttelnd, »denn in einer solchen Angelegenheit ist der Haß ein schlechter Ratgeber, und wer zuviel haben will, läuft Gefahr, nichts zu erhalten!«

»Ach«, erwiderte sie, »meine Maßnahmen sind schon lange getroffen; schon sind sie in meiner Hand, und ich kann sie leicht fassen, sobald ich will oder vielmehr, wenn die Zeit dazu gekommen ist.«

»Tu nach deinem Gefallen, meine Schwester, und rechne auf meinen Beistand; die Rache berührt mich selbst zu nahe, als daß ich zugeben könnte, daß sie mir entginge.«

»Dank!« sagte sie.

»Verzeih mir«, fuhr er nach einer Weile fort, »wenn ich auf die schmerzlichen Ereignisse zurückkomme, die du mir erzählt hast, doch scheint mir, daß du einen wichtigen Umstand übergangen hast.«

»Ich verstehe dich nicht, Bruder.«

»Ich will mich deutlicher erklären. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, hast du mir gesagt, daß deine Tochter dem Schicksal ihrer Brüder entgangen und durch die Indianer gerettet worden ist.«

»Ja, Bruder, das habe ich allerdings gesagt«, antwortete sie mit erstickter Stimme.

»Nun, was ist aus dem unglücklichen Kind geworden? Lebt es noch? Weißt du etwas von ihm? Hast du es wiedergesehen?«

»Meine Tochter lebt; ich habe sie gesehen.«

»So?«

»Ja, der Mann, der sie rettete, hat sie erzogen – ja an Kindes Statt angenommen«, fügte sie höhnisch hinzu. »Weißt du, was der Mann mit der Tochter des Mannes zu tun gedenkt, dessen Henker er gewesen ist? Denn er, er allein ist es gewesen, der meinen Mann, nachdem er ihn an einen Baum gebunden hatte, lebendig geschunden hat. Kannst du dir denken, Bruder, was seine Absicht ist?«

»Rede, um Gottes willen!«

»Was ich dir mitzuteilen habe, ist entsetzlich – ja so furchtbar, daß ich mich scheue, es dir zu entdecken.«

»Mein Gott!« rief der Major aus, indem er unwillkürlich vor dem flammenden Blick seiner Schwester zurückbebte.

»Wohlan!« fuhr sie mit erzwungenem Lachen fort. »Meine Tochter ist herangewachsen und zu einer so schönen Frau herangereift, als man sich irgend vorstellen kann. Das Herz jenes Mannes, jenes Teufels, jenes wilden Tieres ist beim Anblick dieses Engels geschmolzen. Er liebt sie wahnsinnig und will sie zu seiner Frau machen.«

»Entsetzlich!« rief der Major aus.

»Nicht wahr, das ist entsetzlich!« erwiderte sie, indem sie fortfuhr, gellend und krampfhaft zu lachen, was schrecklich zu hören war. »Er hat der Tochter seines Opfers verziehen! Ja, er ist großmütig; er vergißt die Qualen, die er dem Vater verursacht hat, und begehrt die Tochter!«

»Das ist ja entsetzlich, meine Schwester; solche Niederträchtigkeit und Schamlosigkeit ist selbst unter den Indianern unerhört!«

»Meinst du etwa, daß ich dich täusche?«

»Fern von mir ist ein solcher Gedanke, meine Schwester; doch jener Mann ist ein Ungeheuer!«

»Ja, so ist es.«

»Du hast also deine Tochter gesehen, mit ihr gesprochen?«

»Ja.«

»Du wirst sie gewiß vor der schändlichen Liebe gewarnt haben.«

»Ich?« rief sie hohnlachend aus. »Kein Wort habe ich ihr gesagt!«

»Wie?« erwiderte er verwundert.

»Mit welchem Recht würde ich so zu ihr gesprochen haben?«

»Mit welchem Recht? Bist du nicht ihre Mutter?«

»Sie weiß es nicht.«

»Ach!«

»Und meine Rache?« antwortete sie kalt.

In dem Wort sprach sich der Charakter jener Frau so unumwunden aus, daß das Herz des alten Soldaten in seiner Brust stillstand. »Unglückliche!« rief er aus.

Ein verächtliches Lächeln flog um die Lippen der Wölfin. »Ja, so seid ihr anderen!« sagte sie herb. »Ihr Städter, ihr Weichlinge der Zivilisation! Wenn ihr die Leidenschaft begreifen sollt, muß sie sich in gewissen Grenzen halten, die ihr im voraus gezogen habt. Ihr entsetzt euch vor der Rache mit all ihrer Wut und ihrem Übermaß. Ihr erkennt nur die hinkende, entsetzliche Rache an, die die Behörde gutheißt. Bruder, wer das Ende will, muß das Mittel wollen. Was kümmert es mich, ob ich über Trümmer steigen oder durch Blut waten muß, wenn ich nur das bestimmte Ziel erreiche? Nein, ich gehe gerade vor mich hin mit der unheilvollen Gewalt des Stromes, der alle Hindernisse zertrümmert und vernichtet, die sich auf seinem Weg erheben. Mein Ziel ist die Rache; Blut um Blut und Aug' um Auge lautet das Gesetz der Prärien; es ist auch das meinige, und ich werde meiner Rache genügen und sollte ich auch ... Aber«, fuhr sie einlenkend fort, »wozu die vielen müßigen Worte zwischen uns, mein Bruder? Beruhige dich, denn meine Tochter ist durch ihren eigenen Instinkt besser geschützt worden, als es meine Ratschläge vermocht hätten. Sie liebt jenen Mann nicht, ich weiß es; sie hat mir gesagt, daß sie ihn niemals lieben würde.«

»Gott sei Dank!« stöhnte der Major.

»Ich habe nur einen Wunsch, einen einzigen«, fuhr sie schwermütig fort: »Ich möchte nach vollzogener Rache meine Tochter wiederfinden, sie in meine Arme drücken, sie küssen nach Herzenslust und ihr endlich entdecken, daß ich ihre Mutter bin.«

Der Major schüttelte traurig den Kopf. »Sieh dich vor, meine Schwester«, sagte er in strengem Ton. »Gott hat gesagt: >Die Rache ist mein.< Sieh dich vor, daß du nicht schwer dafür gezüchtigt wirst, daß du dich zum Werkzeug der Vorsehung aufgeworfen hast und ihr Werk vollbringen wolltest. Vielleicht trifft es dich gerade in der Person, die dir am teuersten ist.«

»Rede nicht so, mein Bruder!« rief sie erschrocken aus. »Du bringst mich um den Verstand!«

Der Major senkte stumm den Kopf.

Bruder und Schwester saßen einander eine Zeitlang gegenüber, ohne ein Wort zu sagen. Beide waren in Nachdenken vertieft.

Die Wölfin nahm die Unterhaltung zuerst wieder auf. »Wenn du erlaubst, lieber Bruder, wollen wir den traurigen Gegenstand eine Zeitlang ruhen lassen, um uns mit dem zu beschäftigen, was dich persönlich betrifft – nämlich mit der großen Verschwörung, die die Indianer gegen dich angezettelt haben.«

»Ich gestehe«, erwiderte er aufseufzend, »daß ich sehr zufrieden bin; mein Kopf ist ganz wüst, und wenn es eine Zeitlang so fortgeht, so glaube ich, weiß Gott, daß ich unter mehreren Stunden nicht imstande sein werde, meine Begriffe zu ordnen, so tief hat mich deine Erzählung erschüttert.«

»Ich danke dir.«

»Die Nacht ist vorgerückt, meine Schwester, ja ist fast ganz vergangen. Wir haben daher keine Zeit zu verlieren; ich bin ganz Ohr.«

»Ist die Garnison der Festung vollzählig?«

»Ja.«

»Aus wieviel Mann besteht sie?«

»Aus siebzig; ungefähr fünfzehn Jäger und Trapper nicht mit eingerechnet, die gegenwärtig zwar draußen beschäftigt sind, die ich aber jeden Augenblick einberufen kann.«

»Gut! Bedarfst du deiner sämtlichen Mannschaft zur Verteidigung des Forts?«

»Es kommt darauf an. Warum?«

»Weil ich beabsichtige, mir zwanzig Mann von dir geben zu lassen.«

»So? Zu welchem Zweck?«

»Du sollst es gleich erfahren. Du bist allein hier und hast von keiner Seite Hilfe zu erhoffen, weil die Indianer, während sie die Festung belagern, deine Verbindung mit Fort Clark, Fort Union und den übrigen Posten, die am Missouri verstreut liegen abschneiden werden.«

»Das fürchte ich allerdings. Was aber ist zu tun?«

»Ich will es Dir sagen: Du wirst von einem amerikanischen Squatter gehört haben, der sich vor wenigen Tagen drei bis vier Stunden vor der Festung niedergelassen hat.«

»Allerdings; ein gewisser John Bright, wie ich glaube.«

»Ganz recht. Die Niederlassung jenes Mannes also dient dir natürlich als Vorposten, nicht wahr?«

»Vollkommen.«

»Benutze daher die kurze Zeit, die dir bleibt, und schicke unter dem Vorwand einer Bisonjagd zwanzig Männer aus dem Fort, die sich bei John Bright verstecken sollen, von wo sie zu gelegener Zeit einen Ausfall machen können, der eure Feinde zwischen zwei Feuer bringt und sie zu dem Glauben verleitet, daß euch die übrigen Forts Verstärkung schicken.«

»Der Einfall ist gut!« sagte der Major.

»Wähle aber Leute, auf die du rechnen kannst!«

»Sie sind mir alle treu ergeben; du wirst sie bei der Arbeit sehen.«

»Desto besser. Das wäre also abgemacht?«

»Ja!«

»Und jetzt bitte ich dich - da es notwendig ist, unsere Verwandtschaft geheimzuhalten, um das Gelingen der Sache nicht zu gefährden -, mir das Tor zu öffnen.«

»Wie? Schon jetzt? Bei der furchtbaren Nacht?«

»Es muß geschehen, mein Bruder, denn es hängt viel davon ab, daß ich augenblicklich aufbreche.«

»Du willst es?«

»Ich bitte dich darum um unser beider willen.«

»So komm, Schwester, und zürne mir nicht, weil ich dich nicht zurückhalte.«

Zehn Minuten später stieß die Wölfin trotz des Orkans, der noch mit derselben Gewalt wütete, vom Ufer und entfernte sich von Fort Mackenzie.


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