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X.

Juha kann nicht, kann nicht immer in dem Glauben leben, daß Marja gern gegangen sei. Er glaubt es, wenn er am Tage arbeitet und schuftet, bald auf den Äckern, bald auf der Schwende, bald auf dem neuen Wiesenland, wenn er schuftet, daß es ihn selbst verwundert, was er fertig bringt. Aber dann geht seine Kraft zu Ende, er wird der Arbeit überdrüssig, mag tagelang nichts davon sehen, weil der gefällte Baum, der umgewälzte Stein da im Zorn auf Marja gefällt und umgewälzt ist. Da wechselt er den Arbeitsplatz, macht sich an etwas anderes – glaubt und glaubt nicht. Gewiß ist es wahr, da Kaisa es gesehen hat und da Marja gedroht hatte; und gewiß hätte er sie nicht mit Gewalt in das Boot bekommen, ohne daß es umgefallen wäre. Und da sie unfreundlich gegen mich war. Aber dann: wie sehr sie mich auch gehaßt hat, konnte denn ein so verständiger Mensch mit vollem Bewußtsein einen Hof verlassen, der ihm gehörte, für ihn gebaut war, sein eigenes Heim, das er selbst mit geschaffen hatte, und ins Ungewisse mit einem Fremden, einem Feind, dem Erbfeind davongehen? Wie konnte sie so unklug sein? Sie konnte nicht gern gegangen sein, sie war trotzdem mit Gewalt weggeschleppt worden.

Aber sie konnte ja gegangen sein, konnte im Ärger gegangen sein, konnte verzaubert gewesen sein, hat es aber bereut, hat es sicher schon unten an der Stromschnelle bereut, hat aber nicht mehr entfliehen können. Wenn sie auch zuerst gern gegangen war, dann hatte er sie mit Gewalt weitergeschleppt. Sie wird noch zurückkommen, wird sich irgendwie davonmachen. Solange es nicht friert, kommt sie wegen der großen Seen und Schnellen nicht fort. Sie mögen es mit ihr gemacht haben wie früher in den Kriegsjahren oft mit den gefangen Fortgeschleppten: haben sie mit verbundenen Augen lange Strecken geführt. Im Winter aber wirft sie sich auf die Schneeschuhe. Läuft immer geradeaus gegen Sonnenuntergang. Oder vielleicht hat sie schon im Sommer versucht zu entkommen, hat sich aber verirrt und ist ermattet und verschmachtet. Oder sie haben sie mit ihren Hunden verfolgt und eingefangen.

Oder sie ist gar nicht weggegangen. Wenn es ihr dort in ihrer Heimat gefällt. Dort mag es ihr wohl gefallen, und sie hat keine Lust wieder heimzukommen. Hier hat sie es ja auch nicht gut gehabt. Vergnüglich ist es ja hier nicht für sie gewesen. Erst wenn ein Fremder kam, fing sie an zu singen und zu lachen und leicht umherzugehen.

Wieder packte Juha die Arbeitswut, er stieg auf den Hügel und schlug Bäume um wie Weidengestrüpp. Von dem Hügel sah er die grenzenlosen Einöden, hier und dort einen Bergrücken des fremden Landes. Dahinter ist sie in irgendeinem Gehöft des anderen, geht auf den Höfen des anderen umher. Ob sie nun gern mit ihm gezogen oder mit Gewalt entführt worden ist – dort ist sie. Aber wo?

Dahin ist sie, für immer dahin. Sie kommt nicht mit, wenn ich sie auch fände. Es ist so, wie die Mutter gesagt hat. Ich bekomme sie nicht mit Gewalt in mein Boot, wenn sie nicht gern will. Und allein kann ich nichts gegen sie und die anderen. Und wenn ich auch den Wolf totschlüge und meine Marja noch lebendig anträfe – sie ist ja kein Tier, kein Hund, den man an der Kette nachhause führt. Ich mache sie mir nicht mehr zutraulich – so wenig wie früher. – Und da kam wieder die erschöpfende Mattigkeit über Juha, so daß er kaum nachhause gehen konnte, und er saß tagelang auf der Bank mit dem Kopf in den Händen oder irrte mit bloßem Kopf, mit bloßen Füßen, ohne Ausdruck in den Augen, mit schlaff geöffnetem Munde auf dem Hof umher.

Dann kam er wieder so weit zu sich, daß er nach Weihnachten sich nach einem Gehöft halbwegs zum Kirchdorf aufmachen konnte, wo dem Propst die Abgaben entrichtet werden mußten. Wenn er von dem einige Klarheit erhielte, wenn der doch zufällig irgendwie etwas erfahren hätte. Wenn er nur gewußt hätte, wie es dort stand – einerlei, wie es stand. Und noch einmal machte sich Juha auf, um seine Sache dem Propst auseinanderzusetzen, der sie getraut und ihnen Glück gewünscht hatte.

Der Propst saß an dem kalten, sternhellen Februarmorgen im Vorderteil seines Lastschlittens und fuhr vom Hof des Anwesens, wo die Abgaben entrichtet worden waren, auf das Eis, als er merkte, daß jemand hinten aufsprang.

»Wer ist das?«

»Ich, ich ...«

»Ach, Juha. Nun, wie ist's? Ich wollte dich dort schon fragen, habe aber dann nicht mehr daran gedacht.«

»Ich habe hier gewartet. – Es ist beim alten.«

»Na, das ist aber eine Geschichte. Sie ist also nicht zurückgekommen?«

»Und kommt wohl auch nicht, sie sagen, sie wäre gern gegangen.«

Juha redete da, bald neben dem Schlitten hertrabend, bald für eine kurze Weile auf die Schiene tretend, zum Propst, was die Magd gesehen und was seine Mutter gesagt hatte: daß Marja gar nicht mit Gewalt fortgeschleppt, sondern daß sie gern gegangen sei.

Juha wartete und wartete, daß der Propst mit dem Peitschenstiel dreinschlagen und sagen sollte: ach was, das ist Weibergeschwätz, sie ist nicht gern weggegangen.

Aber der alte Propst erwiderte nichts. »Gern? Steht es wirklich so?« Und er sah sie bei der Trauung vor sich, den alten Mann und das junge Weib, und erinnerte sich, wie er sie miteinander verglichen und gedacht, gezweifelt, aber dann doch überlegt hatte: Vielleicht! Nun, weshalb soll es nicht ihr Glück sein können, da es unseres gewesen ist.

»Da ihr uns Glück gewünscht habt,« keuchte Juha, im Schnee trabend, »habe ich mir gedacht, ihr hättet es ja, wenn ihr es nicht geglaubt hättet, nicht gewußt – ihr habt ihr wohl an den Augen abgesehen, was sie ist.«

Der Propst verstand nicht recht, was Juha meinte.

»Was sagst du?«

»Ich meinte nur, wenn ihr vermutet hättet, daß sie so was tun konnte, dann hättet ihr nicht die Hand gereicht – oder ja – ja, ich meine nur: glaubt ihr, daß sie es getan haben kann? Gewiß, gewiß kann sie, da sie eine Russische ist.«

»Ach ja, sie ist ja eine Russische.«

»Ja. Von dort ist sie. Wenn ihr Blut sie dorthin gezogen hat? Aber brauchte sie es denn darum?«

»So etwas kann wohl auch im Blute liegen – ich will nicht sagen, daß es so ist, aber es kann so sein.«

»Im Blut, gewiß, im Blut. Ja gewiß. Wenn sie es schon nicht besser verstanden hat.«

»Ich will's ja nicht behaupten, denn ich weiß es nicht – ich meine nur!«

Juha ging hinterher, hielt gar nicht mehr fest – da es auch nach der Meinung des Propstes sein konnte, war es wohl auch so!

»Ich meinte noch – wenn ich noch etwas sagen darf –«

»Setzt euch hier auf den Rand.«

»Es geht hier schon – ich meine, was der liebe Gott hiermit – was er gewissermaßen eigentlich damit gegen mich bezweckt – ich meine, weshalb er mich so straft?«

»Siehst du es für eine Strafe an?«

»Ach je – weil es schneidet, als ob mir zwei Messer in der Brust herumgedreht würden. Nämlich, wozu das nur?«

»Wenn es darum wäre, weil du sie mehr als Gott geliebt hast?«

»Weil ich sie mehr –? oder also Gott weniger?« Juha schrie fast auf. – »Weniger? Ach, lieber Herr Propst, ich habe Gott darum nicht weniger – eher vielleicht mehr ...!«

»Mehr?«

»Nun, so wahr, wie – ich habe ihn ja gelobt und gepriesen ... daß er mir ein solches Glück gegeben, mir zur Freude eine so Junge und Sanfte gegeben hatte.«

»Fürwahr, ein sanftes Weib ist ein Geschenk Gottes.«

»So ist's ... die so warm und sanft war – wenn sie nur wollte.«

»Hättest doch nicht darauf sehen und dich darüber freuen sollen.«

»Aber ich habe darauf gesehen und mich gefreut. Und ich schäme mich nicht es zu sagen: jetzt habe ich eine so nagende Sehnsucht danach.«

»Darin liegt aber nicht das Lob des Weibes.«

»Worin sonst?«

»In sittsamem Wesen und anderen Fähigkeiten.«

»Sie war auch sittsam – gerade genug, ja zu sehr. Und auch in anderen Fähigkeiten tüchtig – ein arbeitsamer Mensch. Der Herr Propst versteht mich schon – habt selber eine Junge – solltet mich nicht tadeln!«

Juha ließ sich hinten von dem Schlitten abfallen und stand allein auf dem weiten See. Wieder war ihm Unrecht geschehen. Nein, nicht ihm, sondern Marja. Auch der Propst glaubte, daß sie gern gegangen war. Was habe ich mich auch hierher aufgemacht? Was habe ich ihn sagen lassen, daß es ihr im Blut liegt, der Russischen? Aber da er der gewesen ist, der uns getraut und uns die Hand gegeben und Glück gewünscht hat. Aber, zum Teufel, er hat es wohl gar nicht in seinem Herzen gewünscht, wenn auch mit dem Mund! Mochte dies insgeheim gedacht und das gesagt haben. Woher wollte er wissen, daß Marja gern –? Etwa deshalb, weil sie eine Russische ist? Das mag ihm meine Mutter eingeredet haben, hat ihm, dem feilen Hund, wohl etwas zugesteckt, damit er so zu mir spräche. Aber Marja ist nicht gern gegangen. Mit Gewalt ist sie weggeschleppt worden!

»Marja ist nicht gern gegangen,« sagte Juha, nachdem er dabeim angelangt war, plötzlich vor seiner Mutter stehenbleibend. »Sag nichts, mach den Mund nicht auf. Wenn du was sagst, dann –«

»So, also nicht.«

»Nein!«

»Dann ist's ja gut.«

»Ja, gut. 's ist gut.«

»Hat dir das der Propst gesagt?«

»Ja.«

An den folgenden Tagen war Juha noch fleißiger als sonst. Er fuhr den Schuppen auf dem Hof voll Heu, spaltete Holz und hackte einen großen Haufen Nadelzweige für den Kuhstall. An einem Morgen, als die Mutter aufstand, war Juha verschwunden, und die Alte konnte aus der Schneeschuhspur nicht erkennen, in welcher Richtung er davongefahren war.

 


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