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Als Herakles unter die Götter erhoben war und zum erstenmal an des Zeus Tafel Platz nahm, begrüßte er jeden der Götter mit großer Herzlichkeit. Als aber zuletzt Plutos [der Gott des Reichtums] eintrat, bückte sich Herakles zur Erde nieder und wollte nicht von ihm gesehen sein. Da wunderte sich Zeus und fragte ihn, warum er von allen Göttern nur den Plutos nicht begrüße. Herakles aber sagte: »Ich wende mich deshalb von ihm ab, weil ich ihn, während ich da unten bei den Menschen weilte, meist mit den Schlechten zusammen sah.«
Ein Satyr und ein Mensch schlossen Freundschaft miteinander. Wie sie nun so beieinander waren, hauchte der Mensch in seine Hände, um sie zu erwärmen, denn es war Winter und kalt. Da fragte ihn der Satyr: »Was tust du da?« »Ich wärme mir die Hände«, sagte der Mensch. Kurze Zeit darauf setzten sie sich zum Mahle. Da nun die Speise zu heiß war, führte der Mensch immer nur ein Bißchen davon zum Munde und blies darauf. »Was tust du da?« fragte wiederum der Satyr. »Ich kühle die Speise ab, weil sie zu heiß ist«, entgegnete der Mensch. »Ich aber«, sprach der Satyr, »sage dir die Freundschaft auf. Denn ich will nichts zu tun haben mit einem, der aus demselben Munde Wärme und Kälte hervorkommen läßt.«
Der Nordwind und die Sonne stritten einst, wer stärker sei. Schließlich kamen sie überein, der solle Sieger sein, der einen Wanderer veranlasse, sein Gewand abzulegen. Der Nordwind begann und blies mächtig. Als sich darauf der Mann fester in sein Gewand wickelte, setzte ihm der Wind noch stärker zu. Der Mann, den die Kälte durchschauerte, holte einen Mantel hervor und zog den über. Da gab der Nordwind den Kampf auf, und die Sonne trat an seine Stelle. Sie strahlte den Menschen zunächst nur milde an. Da legte der Mann den Mantel ab. Nun ließ die Sonne die Wärme mächtiger und immer mächtiger auf ihn eindringen. Da konnte es der Mann nicht mehr aushalten, warf alle Gewänder von sich und stürzte sich in die kühlenden Fluten des vorbeifließenden Flusses.
Einem Holzhauer fiel seine Axt in den Fluß und wurde von der Strömung fortgetrieben. Wie er nun am Ufer saß und klagte, kam Hermes aus Mitleid mit ihm herbei und fragte ihn nach dem Grund seiner Trauer. Als er diesen erfahren hatte, tauchte er unter, brachte zunächst eine goldene Axt herauf und fragte ihn, ob das die seine sei. Der Holzhauer sagte: »Nein, das ist sie nicht.« Hermes tauchte wieder unter, brachte diesmal eine silberne Axt herauf und fragte wieder, ob er die verloren habe. Der Holzhauer verneinte es wieder, und nun brachte Hermes beim drittenmal die eigene Axt des Holzhauers herauf. Dieser erkannte sie sofort als sein Eigentum an, Hermes aber freute sich über die Redlichkeit des Mannes und schenkte ihm alle drei Äxte. Der Mann nahm sie, ging fort und erzählte dann seinen Gefährten das Vorgefallene. Da packte einen von diesen der Neid, und er hoffte das gleiche Glück zu erlangen. Er ging also an den gleichen Fluß und ließ beim Holzhauen absichtlich sein Beil in die Strudel des Flusses fallen. Dann setzte er sich hin und begann zu jammern. Auch ihm erschien Hermes, fragte nach dem Grund seines Klagens und erfuhr, was geschehen sei. Als er ihm aber nun ein goldenes Beil heraufholte, sagte der Holzhauer von der Habsucht verblendet: »Wahrlich, das ist mein Beil!« Hermes aber schenkte ihm weder das goldene noch brachte er ihm das eigene zurück.
Ein Greis hatte im Gebirge Holz gefällt und mußte nun das schwere Bündel den weiten Weg nach Hause schleppen. Unterwegs überwältigte ihn die Müdigkeit, er warf das Bündel weg und rief den Tod an. Als aber der Tod erschien und ihn fragte, warum er ihn gerufen habe, sagte er: »Damit du mir dies Bündel aufhebst!«
Als die Königin Arsinoe nach dem Tod ihres Sohns in stummem Schmerz verharrte, soll einer der damaligen Philosophen sie aufgesucht und so zu ihr gesprochen haben:
»Als Zeus den göttlichen Wesen ihre Ehrenrechte zuerkannte, war zufällig die Trauer nicht anwesend. Sie kam später, als alle Ehren schon vergeben waren. Wie sie nun auch ein Ehrenrecht forderte, geriet Zeus in Verlegenheit. Schließlich gab er ihr das Recht auf Klagen und Tränen bei Todesfällen. Und ebenso wie alle andern Dämonen diejenigen lieben, die ihnen Ehren erweisen, so steht es auch mit der Trauer. Wenn du sie mißachtest, wird sie dir nicht nahen, wenn du aber ihr pflichtgemäß die ihr gebührenden Ehrengaben, Klagen und Trauergesänge, erweisest, wird auch sie dich lieben und dir aus den Ehren, die du ihr darbringst, immer wieder Trost spenden.«
Ein Steinmetz bot ein Hermesbild zum Kauf aus. Zwei Käufer bieten: Einer will als Grabmal es an des jüngst verstorbnen Sohnes Grab setzen, der andre will zum Schutzgott ihn als Handwerker. Doch ist es spät – man kommt zu keinem Abschluß, und an dem nächsten Morgen soll der Steinmetz das Bild von neuem zeigen. In der Nacht nun sieht an des Traums Toren er den Hermes, der spricht: »Sieh' an, du darfst nun mein Geschick wägen! Du kannst zum Toten, du kannst mich zum Gott machen!«
Ein Mann verliebte einst in seine Magd sich, obgleich sie wüst und schmutzig war. Er gab ihr, was sie verlangte, willig. Drum im Goldschmuck und um die Beine feinsten Purpur nachschleifend, bot jene frechen Trotz und Hohn der Hausherrin. Doch Aphroditen, die ihr solches Glück sandte, beschenkte sie mit Kerzen, und am Altar lag betend, opfernd, flehend jeden Tag sie, bis einmal, als des Nachts die beiden sanft schliefen, die Göttin ihr im Traum erschien und so sprach: »Bedank dich nicht bei mir, daß ich dich schön machte – ich grolle diesem hier, der dich für schön hält!«
Da einst ein Schiff mit Mann und Maus zugrund ging, schalt einer ungerecht der Götter Wahrspruch, die, weil ein einziger Frevler auf dem Schiff war, so viele andre schuldlos in den Tod sandten. Noch sprach er so, da kroch, wie oft es vorkommt, an ihm vorbei ein dichter Schwarm von Ameisen, die in ein Weizenstoppelfeld zum Schmaus eilten, und eine biß ihn. Voller Wut umherstampfend, zertrat er alle. Plötzlich fühlt' er leis sich von einem Stab berührt und sah den Hermes in Götterschönheit vor sich stehn, der so sprach: »Willst du der Götter Urteil über euch schelten, der so den Richter spielte an den Ameisen?«
Ein Mann, der in dem dichten Walde fehlging, fand plötzlich sich in einer wilden Einöde, und vor ihm stand ein Weib in tiefer Trauer. »Warum«, so fragt er, »flohst du aus der Stadt fort und weilst hier einsam, Herrin, in der Wildnis?« Und sie entgegnet ihm voll tiefer Einsicht: »Vordem befleckte wenige nur die Lüge, doch jetzt beherrscht sie die gesamte Menschheit.«