Karl Adolph
Schackerl
Karl Adolph

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Sechstes Kapitel

(Zeigt zwei Helden in etwas katzenjämmerlicher Stimmung. Herr Kolb sieht zum erstenmal seinen Stammhalter, nachdem er die Schrecken Schaffnerischer Dialektik überstanden)

Kinder, die nach der Christbescherung, wenn auch später als sonst, doch sehr wider Willen zu Bette gebracht wurden und im seligen Nachkosten einer empfundenen Freude und Aufregung entschlummerten, wachen am nächsten Morgen mit einem ganz besonderen Gefühl auf.

Der Schlummer verklebt noch die Augen, die Erinnerung kriecht zögernd aus ihrem Schlupfwinkel in dem kindlichen Gehirn – sie bringt aber das Bewußtsein von etwas Köstlichem, Entzückendem, das den kleinen Schläfer bei seinem Erwachen erwartet.

Auch Liebende haben diese Empfindung, wenn der anbrechende Tag ihnen die Erfüllung eines heißen Herzenswunsches, sei es eines Wiedersehens oder einer endlichen Vereinigung, bringen soll.

Und die ärmsten aller Freudigen, die ein Gnadenwort vor dem Henker bewahrte und die 124 nach der ersten entsetzenslos verbrachten Nacht nach so vielen schaurigen, entsetzensvollen sich der Freude hingeben, für ein langes, erbärmliches Leben hindurch dennoch Tote zu sein . . .

Als Herr Kolb, erwachend, sich auf seinem improvisierten, ungewohnten Lager fand, stierte er vor allem in nicht sehr geistreicher Art umher. Bei ihm ließ sich die Erinnerung mit vieler Umständlichkeit Zeit, aus ihrer Höhle zu kriechen. Aber dennoch – eine Empfindung hatte sich aus dem unterbrochenen Bewußtsein in dessen Fortsetzung augenblicklich erneuert. Die Empfindung, mit der Tatsache eines glücklichen Ereignisses zu Bette gegangen zu sein. Zwar, was letzteres anlangt, so war Herr Kolb noch niemals in seinem Leben so sehr im unklaren über die Art und Weise, wie er zu Bette gelangt sei, als in diesem Augenblick. Er glotzte in der stumpfsinnigsten Weise eine Weile vor sich hin. Dann nötigte ihn ein bohrender Kater, zeitweise vor dem blendenden Tageslicht die Augen zu schließen. Aber, merkwürdig, durch alles rang sich immer wieder die Empfindung hervor: ich bin einem großen Glücke entgegen aufgewacht.

Als sich Herrn Kolbs Augen endlich entschlossen hatten, ihren gewöhnlichen, täglichen Funktionen nachzukommen, fielen sie auf Peperl, der sich in einer womöglich noch trostloseren Verfassung befand wie sein Gebieter.

125 »He, Peperl«, sagte dieser und blickte erstaunt umher, »wia kumm i denn da eina?«

Wehe Herrn Kolb unter anderen Umständen! Hätte Peperl sein gestriges Abenteuer nicht gehabt und wäre er zur Stunde nicht von dem fürchterlichsten aller Kater geplagt worden – er hätte nicht unterlassen, in geziemender, aber nichtsdestoweniger schonungslosester Art den Erinnerungen seines Meisters rasch auf die Beine zu helfen.

So jedoch hatte er mit pochendem Herzen und hämmernden Schläfen dessen Erwachen entgegengesehen. In seinem Gehirn war die Erinnerung an die Art und Weise, wie er zu Bette gebracht wurde, ebenfalls vollständig ausgelöscht. Nur das Bewußtsein beherrschte ihn, der verworfenste, frevlerischeste, niederträchtigste Verbrecher zu sein, den je die Erde getragen. Er hatte keine Ahnung von Herrn Kolbs gestrigem »Unfall« gehabt und meinte nicht anders, als dieser sei in alle Phasen seines Verbrechertums eingeweiht. In dieser Anschauung bestärkten ihn die Gesellen, die ihr Opfer auf dem Roste unbestimmter, aber gräßlicher Andeutungen langsam brieten.

Es wurde schon gesagt, daß Peperl ein Gentleman, gar nicht sentimental und am wenigsten feig war. Gelegentliche »Auseinandersetzungen« des 126 Meisters mit seinen Haaren, Ohren oder Backen betrachtete er ganz einfach als die Folgen eines latenten Kriegszustandes. Er hätte zu anderen Zeiten alle zwei »Uhrwascheln« geopfert, ehe er ein Zeichen unwürdiger Schwäche gezeigt hätte.

Aber man bedenke die Macht eines Katers! Ihre Kenntnis ist vielleicht als zu allgemein vorausgesetzt. Wer sie noch nie kennen gelernt hat, sich jedoch trotzdem für sie interessiert, möge sich die nötigen Anleitungen geben lassen, um in ihr schauerliches Bereich zu gelangen.

Also Herr Kolb hatte gesagt: »He, Peperl«, und glotzte diesen an. Peperl tat geraume Zeit das gleiche. Dann raffte er sich auf und sagte:

»Guat'n Murg'n, Herr Master!«

»Sag' m'r nur, wia kumm i denn da her?« lautete die Wiederholung der ersten Frage.

Peperl zuckte die Achseln. Man hatte es nicht für nötig befunden, ihn über diesen Umstand zu informieren. Daß eine solche Unterlassung, was seine Person betraf, nicht zu den zartfühlenden Eigenschaften der anderen gehörte, ist klar.

»Herrgott«, murmelte Herr Kolb, »mir scheint, gestern war a schwarer Tag. Mein Schäd'l . . . mein Schäd'l! . . .« Er preßte die Faust gegen das unglückliche Objekt. Plötzlich besann er sich:

»Wia spät hab'n m'r denn?«

127 »Sieb'n Uhr«, wagte Peperl schüchtern zu antworten.

»Jessas, und da weckst mi net scho lang?«

»I hab' net därfen, d' Frau Beugler hat g'sagt, i soll Ihna schlafen lass'n«, lehnte Peperl jede Verantwortung ab.

Das Wort »Frau Beugler« hatte wie mit einem Zauberschlag alle Lähmung der normalen Gehirntätigkeit schwinden gemacht. Die Verbindungskette der Erinnerung in allen Einzelheiten hatte sich zu einem stattlichen, lebenden Glücksbewußtsein ausgewachsen.

Herr Kolb sprang mit beiden Füßen auf. O Gott! Er schlief hier auf trunkenem Lager und in dem vierten Raume von hier lag seine Roserl und an ihrer Seite lag der erbetene Stammeserbe.

»Wia geht's d'r Frau Masterin«, keuchte er Peperl an, »und 'n Klan?«

Peperl, als Wachtposten aufgestellt, um Herrn Kolbs Erwachen abzuwarten, rapportierte:

»I soll sag'n, d'r Frau Masterin geht's guat und 's Kind is aa wohlauf.«

»Gott sei Dank!« seufzte Herr Kolb. »Jetzt aber tummel di, lauf', bring mir a Wasser zum Waschen eina. Wer is denn bei d'r Frau Masterin?«

128 »D' Frau Beugler und d' Frau Schaffner.«

Der junge Vater stöhnte. Dieselben unmännlichen Furchtanwandlungen, die Peperls Knie schlottern machten, hatten auch ihn erfaßt. Er wußte, was ihm bei einem etwaigen Zusammentreffen außerhalb der versöhnenden Nähe der Wöchnerin erwartete.

Er wusch sich etwas zögernder, als seine väterliche Ungeduld vorschrieb, kleidete sich etwas umständlicher an, ging zu seinem Schranke (der seinen Platz in der Werkstätte hatte) und trank zwei bis drei Magenwärmer mehr als sonst.

»Wo san die G'sell'n?« fragte er dann.

»In' Hof draußt'n, sie hab'n nix arbeiten können, so lang der Herr Master g'schlaf'n hat.«

»Und das war dir halt recht. Was? Mistbua . . .«

Peperl duckte sich zusammen. Wenn sich jetzt der Meister des gestrigen Tages nur nicht erinnern wollte! Aber der dachte wahrlich nicht daran und wenn, so gehörte das Kapitel Peperl mit zu den beschämenden Ereignissen, soweit sie die Angelegenheit mit dem Beten betrafen. Und wie seine eigene Heimkehr war auch die seines Lehrjungen gänzlich vergessen. Das merkte der und atmete erleichtert auf, indem er seinem Herrn aus dem Wege zur Küche folgte.

129 Dessen Unstern ließ ihn die Tür von der Werkstätte eben öffnen, als von der anderen Seite die alte Hebamme heraustrat. Die Küche war unglückseligerweise durch zwei Räume vom Wochenzimmer getrennt, so daß keinerlei Rücksicht auf dieses das alte gefürchtete Weib zur Mäßigung nötigte. Ferner war sie noch der Ein- und Ausgang nach der Hofseite und der Hof war nicht menschenleer, wie er es seit Gedenken nie war; und die Küche lag nicht nur offen für die Blicke und Ohren der Außenstehenden, nein, sie war heute ebenso von teilnahmsvollen Nachbarinnen erfüllt wie am Vortag.

Also in dem Augenblick, als Herr Kolb dieses neutrale Gebiet betrat, betrat es von der anderen Seite die Hebamme, um – doch das sind Kindbettgeheimnisse. Kurz, die Schaffnerin befand sich auf freiem Kampffeld.

»Hihihi!« kreischte sie, »schon aus dö Federn? Das haßt aus 'n Schweinskober? Wünsch' wohl geruht zu hab'n, Herr von Kolb. So guat wia Sie gestern und heut nacht hat's Ihna Frau net g'habt. Da garantier' i Ihna. No ja, mein liaber Himmel, es is ja nur d' Frau. Gelt'n S', ja? Oder net? Ha? Wann S' an' Hund hätt'n, der Junge kriagt hat, hätt'n S' sicher net schlafen können vor Aufregung. Oder ja? Glaub'n S'? – Saufen wia 's liabe Viech und die ganze Gassen 130 rebellisch machen, daß s' ganz schwarz war vor lauter b'soffene Mannsbilder und Tagdiab, indem 's Weib daham währenddem beinah' sterb'n kunnt. Das macht bei so an' Lackl nix aus. Vielleicht ja? Ha! Oder net?« schrillte sie, daß es gellte.

»Aber Schaffnerin«, lallte Herr Kolb, »es war nur aus Freud'. Und dann war' i ja eh glei kummen, aber . . . aber, Sie ham's ja nöt erlaubt.«

Er sagte das wie ein gescholtener kleiner Junge, der alle für seine Verteidigung tauglichen Tatsachen vorbringt.

»Hihihihi! I – net erlaub'n! Hörn S' es?« wendete sie sich an die umstehenden Frauen, die mit ernsten Mienen und mit von dem Verbrecher abgekehrtem Gesicht dastanden, nur von Zeit zu Zeit düster und bestätigend mit dem Kopfe winkend. »I hätt's net erlaubt! Alle ham S' es g'hört. Oder net? Alsdann ja. An' b'soffenen Viech wir i erlaub'n, a arm's Weib in Tod z' jag'n. Schamen S' Ihner! Ja? Pfui Teufel! Wo a and'rer Mann in an' Winkel kniat und bet', sauft er mit seine Brüaderln und verführt no and're halbwegs anständige Männer dazua, an dö no a bißl was zum verderb'n war. Ah . . .! Weil i beim Beten bin, den Hundsbuam, den niederträchtigen, den gottverlassenen, schickt er beten statt 131 seiner. Ja, di man' i«, wendete sie sich an Peperl, der kreidebleich wie sein Herr hinter diesem Deckung suchte. »Di man' i, schau mi nur an! Herrgott! Daß 's ka Gerechtigkeit gibt und daß ma so a Mißgeburt net vertilg'n därf! Aber natürli – der Herr b'soff'n wia a Ochs, destweg'n d'r Bua b'soff'n wia a Schwein.«

Sie sprach wieder zu Herrn Kolb.

»Wia i Ihnerer armen Muatta von Ihner g'holfen hab', hätt' i Ihner derwürg'n, dertret'n soll'n. War' viel Elend in der Welt weniger g'west. Vielleicht net, ha? Aber jetzt schau'n S' amal zu dem armen Weib eini, vielleicht interessiert Ihner das Kind. Ja? Is aa a Mannsbild. Unser Herrgott sei derer gnädig, die den amal heirat't, wann er sein' Lackl Vodan nachg'rat.«

Es muß wundernehmen, wie viel sich die alte Hebamme herausnehmen durfte. Herr Kolb war ein gutmütiger Riese. Aber wäre er ebenso bösartig gewesen, er so wenig wie irgendein anderer, der die Schaffnerin kannte, hätte eine Auflehnung gewagt.

Ihr Alter, ihre Erfahrung, ihre Geschicklichkeit, ihr hohes Ansehen bei den Frauen umgaben ihre Person fast mit dem Zauber der Unverletzlichkeit gleich dem der Stammesältesten eines Zigeunerklans. Und dann spielte eine für die jüngere 132 Generation sagenhafte Lebensgeschichte der alten Frau mit, die tieftraurigen Klang hatte.

Sie war einmal eine glückliche junge Frau. Und wie es jungen, glücklichen Frauen zuweilen zu ergehen pflegt, machte der Mann diesem schönen Zustand ein Ende. Er war ein Lump, »Drahrer«, verspielte und vertrank einen Wochenlohn um den anderen, ohne sich um Frau und zwei Kinder viel zu kümmern.

Die Kinder starben und im Augenblick, als Frau Schaffner (ich meine die noch junge Frau Schaffner) einem dritten Kinde das Leben geben wollte, kam eine Nachricht, die der Mutter fast das Leben gekostet hätte: ihr Mann sei wegen Totschlages um einer Straßendirne willen eingesperrt worden. Das dritte Kind lebte auch nicht mehr lange. Aber die Frau überlebte sehr, sehr lange, bis zum Tage den Tod ihres Mannes. Von der Zeit an, da sie das Schrecklichste getroffen, die Frau eines Totschlägers zu sein, datierte ihr Haß gegen das männliche Geschlecht. Aus einer einst jungen, lebensvollen, heiteren Frau war allmählich eine mürrische, keifende Greisin geworden, die nur eines kannte: die liebevollste Rücksicht gegen die ihrer Hilfe bedürftigen Mitschwestern.

Eine alltägliche, banale Geschichte. Aber wenn sie den Schnee auf dem Haupte einer Greisin 133 verklärt, nicht weniger wert als manche andere, hochdramatische, die nur dem Bedürfnis eines Tages genügt . . .

Der Abgekanzelte beeilte sich, die ersehnte Erlaubnis zum endlichen Besuch der Wöchnerin auszunützen, während Peperl gleich einem von Todesängsten gejagten Mäuslein durch die Schar der höhnisch lächelnden oder grimmig blickenden Frauen dem Hofe zu enteilte, wo er sich mit seinem durch die draußen versammelte Menge erst richtig hergenommenen Ehrgefühl abfinden mag wie er will.

Als Herr Kolb mit hochklopfendem Herzen so leise als möglich die Türe öffnete, fand er sich nicht gleich in dem verdunkelten Zimmer zurecht. Er blieb einen Augenblick zögernd beim Eingang stehen und glotzte nach dem Lager, auf dem er was Weißes ruhen sah.

Frau Beugler trat ihm entgegen, faßte seine Hand und führte ihn dem Weißen zu. Jetzt, wo sich sein Auge an das Dämmerlicht gewöhnt, erkannte er das bleiche Gesicht seiner Roserl, die ihm mit einem glücklichen Lächeln matt die Hand entgegenstreckte und nur leise: »Radl, mein liaber Radl!« zu flüstern vermochte. So übermannte sie die Erregung des Augenblicks.

In der Brust des Riesen tobte ein Schluchzen 134 beim Anblick der geliebten Frau. Auch er brachte nichts hervor als ein: »Roserl, mein liab's Roserl!« Dann entstand eine lange Pause, in der sich die beiden großen Kinder unter Tränen anlächelten und bei den Händen hielten.

Dann aber siegte der Stolz der neuen Mutter. Sie tastete mit der Rechten nach einem Bündel neben ihr und winkte Frau Beugler zu sich. Diese verstand sogleich die Bewegung. Vorsichtig hob sie das Bündel aus dem Bette und präsentierte seinen Anblick dem Vater.

Ja, es war der wirkliche, leibhaftige Sohn.

Aber wenn Herr Kolb, was die Eigenschaft zu glotzen anlangte, ein Tüchtiges zu leisten imstande war – nichts kam dem Vermögen dieses Augenblicks gleich. Er starrte mit solchen, förmlich aus dem Kopfe getriebenen Augen auf das winzige Päckchen wie vielleicht ein kleiner Junge, dem man monatelang hindurch täglich von einem großen, schönen, aufgezäunten Hutschpferd als Geschenk gesprochen, ihm den Kopf mit den entzückendsten Beschreibungen verdreht, und der im Augenblick des erhofften Glückes ein kleines, weißes Zehnkreuzerpferd an Stelle des versprochenen Hutschpferdes findet.

Förmlich gestielt erschienen die Augen des Kolosses. Seine noch von gestern verwirrte 135 Phantasie hatte ihn einen Jungen so ungefähr von der Größe Peperls sehen lassen und die Enttäuschung glich zur Stunde einem Absturz von irgendeiner Bergeshöhe.

»Dös is alles? . . .«, stammelte er endlich, als handelte es sich um die Größe einer Essensportion.

Frau Rosa fühlte sich gekränkt wie eine Geschenkgeberin, die für eine gutgemeinte, in ihren Augen sehr wertvolle Gabe kühlen Undank erntet.

»So red'st du, Radl? Von dein' Kind?« fragte sie voll tiefen Vorwurfes, dabei einen zärtlichen Blick auf das winzige Päckchen werfend, das sie plötzlich in den ungeschlachten Armen des Gatten schaukeln sah.

»Schrei'n möcht' i 'hn anmal hör'n, daß i waß, ob er wirkli lebt«, äußerte Herr Kolb nach einer Weile.

»Net wird er leb'n, du graußlicher Ding«, erwiderte mit lächelndem Zürnen die Gattin. Sie kannte ihren Alten zu gut, um ihm lange seine »Dummheiten« nachtragen zu können.

»O Gott! Radl!« fuhr sie dann mit einem leisen Schaudern fort; »was i ausg'standen hab' . . . Es war anfach schreckli. I hab' scho im Geist von dir Abschied g'numma. Warum der Himmel aner Mutter ihr Freud' gar so teuer derkaufen laßt! . . . 136 Radl, wann i von dir hätt' gehn müass'n . . . du armer Hascher . . .« Und bei dieser Vorstellung weinte Frau Rosa leise.

»Roserl, Roserl!« stöhnte Herr Kolb, »mach' mi net ganz zu an' klan' Buam. I war's gestern gnua. G'want hab' i Lackl Mann . . .« Und er verschluckte die Worte, die sich noch vordrängen wollten, um sich nicht wieder von unmännlicher Rührung fortreißen zu lassen.

Nach einer Weile sagte er gefaßt und eindringlich:

»Jetzt aber is alles guat, Roserl, Gott sei Dank! Und für das, was d' ausstehn hast müass'n, will i di auf d' Händ' trag'n und hab'n kannst, was dei Herz begehrt. Gelt, Roserl, i war d'r bisher aa no nia a schlechter Mann. Das kannst do net sag'n.«

Die Wöchnerin wehrte mit tränenüberströmtem Antlitz ab.

»Niemals net, Radl. Unser Herrgott sei mei Zeuge, wia i in die schwer'n Stunden nur an di denkt hab', und hab' die allweil müassen um Verzeihung bitten. Allweil, Radl – weil i mehr Sünden geg'n di hab' g'habt als du jemals geg'n mi. I glaub' aber, i hab' s' abbüaßt und hab' d'r dafür a große Freud' g'macht.«

137 Es versteht sich, daß sich während des Austausches ehelicher Geheimnisse Frau Beugler diskret entfernt hatte und der Säugling wieder wohlgeborgen an der Seite der Mutter lag. Vorher hatte er, offenbar um den Wünschen seines Vaters nachzukommen, einige klägliche Töne von sich gegeben, die jedoch Herrn Kolb aufs höchste befriedigt hatten, da sie ja den Beweis ergaben, daß der Stammeserbe lebe.

»Schau m'r nur auf unsern Buam«, sagte nach längerer Pause der Ergriffenheit der glückliche Vater.

»Na, net wer i schau'n«, sagte die noch glücklichere Mutter mit einem so überzeugenden Tone, der die anscheinende Negation dem Wiener als heiliges Gelöbnis erscheinen läßt, denn das »net« bedeutet ein hundertfältiges »Ja«.

Und in diesem Sinne nahm es auch Herr Kolb, der sein normales Glotzen in ein Schauen voll Zärtlichkeit, Glückseligkeit und Stolz verwandelt hatte. Ein Schauen, wie es zu allen Zeiten jungen, närrischen Vätern zu Gebot steht und stets stehen wird, besonders wenn der Sproß männlichen Geschlechts ist. Ein Umstand, dessen sich alle Männer als einer sehr verdienstlichen, heroischen Leistung rühmen.

»Und jetzt sag' mir nur, wia hast denn g'schlafen 138 heut?« erkundigte sich voll ehelicher Teilnahme die junge Mutter. »Hast wohl ka Aug' zuadruck'n könna, gelt ja? Von mir aus hätt'st scho an' Sprung einimachen können, du armer Batsch, aber die Schaffnerin hat's um kan' Preis zuageb'n.«

Herr Kolb stöhnte innerlich. So war ihm das fressende Ungeheuer Reue noch nie ans Herz gekrochen, wie in dieser sonst so seligen Stunde, bei den harmlosen, liebreichen Worten seiner Rosl. Erst wollte er mit der Versicherung, ganz gut geschlafen zu haben, über das Thema weggehen.

Aber dann beichtete er in wenig beschönigender und rednerisch hervorragender Art über die Vorgänge des gestrigen Abends mit einer Reue, die Frau Rosa ergriff.

»Aber hörst, Radl, wird dir net ums Geld lad tuan?«

»Ums Geld? Und wann's no amal soviel g'wesen war'. Aber, daß du da in Schmerzen liegst und i Viech sauf . . .«

Und plötzlich zerriß der Schleier, der Peperls Sünden bisher gedeckt; die Worte der Schaffnerin und dann die Vision: Peperl bleich, mit ins Genick gedrängtem Hut, die Virginiazigarre zwischen den Fingern, geführt und begleitet von einer johlenden Schar – das alles stand nun klar vor Herrn Kolb als die reale Tatsache, die sie wirklich war.

139 »Aber den leich i mir aus«, endete er mit meisterlichem Ingrimm, als er seiner Frau Peperls skandalöse Heimkehr erzählte.

»Radl«, sagte aber die gütige Frau Rosa, »wannst mi gern hast, laßt eahm die G'schicht' durchgehn. Er hat's sicher aa nur aus Freud' 'tan. Und wann der Master . . .«

»Hast recht, Alte! I war aa net viel g'scheiter. Also schenk'n m'r eahm's. Aber bet'n schick' i 'n nimmer, und wann no zehn Buam kumma sollten.« 140

 


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