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Das Rum-, Likör- und Spirituosengeschäft (wie die Schilder stolz besagten) der Frau Gansbein hatte nur wenige Gäste, die mit verdrossenen Mienen durch die Glastür in den verregneten, kalten Frühlingstag hinausstarrten.
Der Dienstmann Ulrich, der mit einem Kollegen sonst den lieben langen Tag auf einer Bank einem Auftrag entgegenträumte und den das naßkalte Wetter auf eine Weile hereingetrieben hatte, schlürfte aus einem Glase etwas, das als Tee mit Ersatzrum angesprochen wurde. Dabei äußerte er sich höchst mißliebig über die hundsmiserablen Zeiten, die durch die Launen der Natur noch unausstehlicher gemacht wurden. Am grimmigsten tadelte er seinen Beruf und die zweifelhafte Güte des Getränkes.
»Wann ma das G'wascht an' klan' Kind in's Tuttenflascherl füllert, kunnt ma die G'schicht aa no verantworten. A Kamill'ntee is nix dageg'n.«
Ein anderer Gast mit einer Dienerkappe, die seine Zugehörigkeit zu irgendeinem Amt verriet und der mit den gleichen Gefühlen des Behagens einen »Schwarzen gespritzt« sich einverleibte, gab dem Nörgler recht.
79 »Meiner Seel', wann mir das aner anmal g'sagt hätt', daß i an' Teeraufguß mit Brennspiritus saufen muaß, den hätt' i an' Bruch g'stöß'n. So a sündteuers Geld für das G'säuft. Reißen S' ma glei 's Beuschl außa,« wendete er sich an Frau Gansbein.
Diese nahm mit Bereitwilligkeit die Fehde auf. »Wer schimpft, der kauft, mein lieber Herr. Haßt Sünden bei die Preis'! Geh'n Se wo anders hin, ob Se so an' Kaffee und so an' Rum finden. Is a Vergnig'n, heut a Geschäftsfrau z' sein.«
»Jetzt – san ma ehrli, gnä Frau. Verhungert is auf so an' G'schäft no kaner. Kunnt mi wirkli net erinnern. Sie schaun aa in armen Lazarus net gleich.«
Frau Gansbein lachte schrill.
»Gute Witze macht er, der Herr, bei die schlechten Zeiten. Bin ich a Mann, daß ich sollt dem armen Lazarus gleichschaun? Ich möcht net wünschen, daß Sie so wenig essen möchten den ganzen Tag wie ich. Unberufen.«
»Da ham ma an G'spaß g'habt, Frau Gansbein,« nahm Ulrich das Wort. »So a Haxen von dem Viech, von dem Sie in Namen hab'n, hat no kan zum Verhungern bracht.« Er spielte auf den Namen Gansbein an.
»Schön wär's. Kaufen Sie mer a so a Viech, werd ich Ihnen sehr dankbar sein. Wirklich, de Herren san famos aufg'legt zu Witz' bei die Zeiten. Sieht man, daß Ihnen geht nicht so schlecht.«
»Das is Galg'nhamur. Wann mir Weaner den aa no verliereten, war's eh g'fehlt.«
Die anderen vier oder fünf Gäste äußerten ihre Zustimmung.
80 Die Tür öffnete sich und ließ einen naßkalten Luftzug mit dem Eintretenden herein, so daß die anderen unwillig ihm entgegenblickten. Aber er mußte ein guter Bekannter sein, denn ein »Grüaß Gott, Voda Leitmeier!« klang dem neuen Gast entgegen. Auch Frau Gansbein begrüßte ihn nach ihrer Art sehr herzlich.
»Der Herr Leitmeier. Grüß Sie Gott! Wie geht's? Noch gestern hab' ich an Sie gedacht. Sie schauen, unberufen, so gut aus, wie ich mer möcht wünschen. Wo haben Sie so lang gesteckt? A halbe Ewigkeit laßt er sich net ansehn.«
Vater Leitmeier war ein altes zusammengesunkenes Männlein mit eingeschlurftem, faltigem Gesicht, auf dessen gutes Aussehen, im Gegensatz zu dem der Frau Gansbein (unberufen!), der Besitzer nicht stolz sein brauchte.
Unter dem linken Arm trug er einen in ein Tuch eingeschlagenen Gegenstand, der in der Form einen großen Brotlaib hätte vermuten lassen. In der Hand trug er ein Bündel, aus einem blauen Sacktuch gebildet.
Er begrüßte alle Anwesenden und ließ sich auf einer Bank vor dem Tisch nieder, nachdem er beide Tuchinhalte sorgfältig neben sich versorgt hatte. Dann bestellte er einen »recht heißen« Tee. Das ganze vertrocknete Gebein schien einer Durchglühung zu bedürfen.
Als ihm das Verlangte vorgesetzt war, öffnete er das aus einem Taschentuch gebildete Bündel, entnahm ihm einige vertrocknete Stücke Brot verschiedener Sorte, die er in das heiße Getränk einbrockte.
81 »No, Voda Leitmeier, wo ha'm m'r denn so lang g'steckt?« nahm der Dienstmann das Wort.
»He? Ja so . . . Krank war i halt, recht krank. Die Jahrl'n – die Jahrl'n! . . . Is ka' Wunder net.«
»Jetzt san S' aber wieder bei'nand', wie ma' siecht. Und d' Frau Gemahlin? G'sund? Wohlauf?«
Der Alte, der mit dem Löffel die Brotstücke herumgerührt hatte, stellte seine Tätigkeit plötzlich ein, und sein faltiges, vergrämtes Gesicht ward um einige Falten des Grames reicher.
»Mei' Alte . . .,« murmelte er und blickte starr im Kreise herum, »unser Herrgott hat s' g'holt von mir. Is schon fünf Monat her. Fünf Monat, daß s' mi' allan hat 'lassen.«
»Is mögli'? War do' no' immer so a rüstig's Weiberl. No – unser Herrgott g'segn' ihr die Ruah'. Is a biss'l hart für Ihna, Voda.«
Aus dessen Augen war etwas in das Teeglas getropft, mit dem er sich wieder zu beschäftigen angefangen.
»A bissl' . . . a bissl' . . . Leut', wann ma' si' fufzig Jahr' g'wöhnt war! Vurig's Monat hätt' m'r die Goldene g'habt.«
»Was? Schon die Goldene? Wie alt san S' jetzt, Voda?«
»Fünfundsiebzig war i. Netta.«
»Wie is?« ließ sich die Stimme der Frau Gansbein vernehmen, die bis jetzt mit der Füllung neuer Gläser beschäftigt gewesen. »Ihner Frau ist gestorb'n? Was hat ihr gefehlt?«
»Was ihr g'fehlt hat?« der Alte schob jetzt das Glas von sich, als graute ihm plötzlich vor 82 seinem Inhalt. »Was ihr g'fehlt hat? . . .« Er ließ seine Stimme zu einem Flüstern herabsinken, gleichsam als wolle er einem Fürchterlichen nicht zu lauten Ausdruck geben, damit es kein Echo erwecke. »I werd' euch all'n was sag'n: verhungert is s'.«
Rufe des Entsetzens und Mitleidens ertönen von allen Lippen.
»Ja, so geht's heut vielen,« meinte Ulrich.
»Ja, so wahr i da sitz'. Sie war a alt's Leut, das hätt' so g'füttert werd'n müassen wia a klan's Kind. Mit Milchreis, Bischkoten, Kaffee, Mehlspeis' und was halt so a alter, schwacher Mag'n braucht. Aber die Lanzer Kost hat er net vertrag'n. Ka' Wunder net, wo umadum nix da is. Wenigstens net für die armen Leut'. Wann uns amal das wer g'sagt hätt' – wann uns das wer g'sagt hätt' . . .«
Und er stützte den Kopf in beide Hände. Ein Zittern der morschen Gestalt kündete allein von der tiefen Erschütterung, die sie durchbebte.
Eine Weile war es still. Nur Blicke des Bedauerns und Mitleidens irrten zu dem einsamen Greis.
»Fünfundsiebz'g,« äußerte endlich der Mann mit der Dienerkappe, »und der Schluß is Lanz. Und langsam verhungern. Warum hab'n S' denn das G'schäft auf'geb'n, Voda?«
»Warum? Ja – warum? Was braucht a Uhrmacher? Guate Aug'n. Die ha'm mi' scho' lang verlassen. I bin ja vor fufzehn Jahr' mit'n Star operiert word'n. Dann war i no' aner aus der 83 alt'n Schul', da is no' jed's Rad'l ausg'feilt word'n. Net das 'preßte G'lump, wia ma's heute hat. Jetzt reparier' i grad no' Uhren, die a halbwegs guate Hand, aber kane richtigen Augen mehr brauchen.«
Er hob mit zärtlicher Sorgfalt den umhüllten, brotlaibartigen Gegenstand empor.
»Da hab' i von aner Wirtin a Uhr zum Reparier'n kriagt. Ob S' es glaub'n oder net, es is no' a Werk von mein' Lehrmaster. I hab's glei' 'kennt. Is a armer Batsch, die Wirtin. Bis heut waß s' no' nix von ihr'n Mann. Glaub' kaum, daß er no'mol z'ruckkummt. Wer waß, wo dem sein' Gruab'n 'grab'n is word'n. Und dabei drei Kinder. – O Gott, o Gott! – War das ganze notwendi'?«
»Dö Schuft'n, die uns da einig'ritten hab'n!« sagte einer ingrimmig.
»Und mir Eseln, die mir uns hab'n einireiten lassen!« sagte ein anderer.
»Und was is?« frug plötzlich Frau Gansbein. »Was macht der Enkel? I hab' g'hört, er is zurück. Hat er nix können verdienen und den Großeltern a biss'l helfen? Er war doch so a netter Bursch. Hab' ich ihn 'kennt, wie er noch war ganz klan. Seit Sie hab'n noch für mein' gottseligen Mann die Uhren repariert.«
Der Alte war plötzlich aus seiner augenblicklichen Erregung, in die ihn das Gedenken an seinen Lehrmeister und die Erwähnung der armen Wirtin versetzte, in sich zusammengesunken. Dabei blickte er mit solch einem Blick des Jammers die Fragerin an, daß dieser jedes weitere Wort auf den Lippen erstarb.
84 »Hätt'n S' mi' net g'fragt, Frau Gansbein! Hätt'n S' mi' um das ane net g'fragt! – Aber Sie hab'n 's ja net wissen können. War' mir lieber, er war' wo in Rußland oder Italien oder irgend wo tot 'blieb'n. I hätt' mi' g'freut, daß i bald mit eahm und meiner Alten hätt' können beisammen sein. Aber so . . . Mir is aber scho' gar nix derspart blieb'n.«
»Ja was is denn mit eahm?« frug man.
»Verschweig'n nutzert eh nix. Amal kummt's do' auf.« Und der Alte langte mit zitternden Händen abermals nach dem nun schon kalt gewordenen Glas, in dem er mechanisch weiterzurühren begann.
»War ja a netter Bursch, da hab'n S' recht. Wia er fort'gangen is. Und z'ruck'kumma is er . . . Jetzt sitzt er im Landesg'richt wegen Einbruch. Der Sohn von mein' Fleisch und Bluat! – Der Enkerl vom alten Leitmeier! – Er hat mir 's Herz 'broch'n. Was soll i meiner Alten amal sag'n? Was soll i ihr amal sag'n, wann s' mi' fragt: Du, was macht der Loisl? Geht's eahm guat da unten? Is er brav? – Leuteln!« und er sah mit Tränen in seinen müden, roten Augen umher, »das is das Furchtbarste, was uns der Kriag, von dem's amal g'haßen hat, er is a heiliger, und wia mir's 'glaubt hab'n, 'bracht hat. Die viel'n Seel'n von Kindern und jungen Leuten und aa von alten, die in Zeit und Ewigkeit ruiniert san. – In alten Leitmeier sein anzig's Enkelkind . . .« Er hielt beide Hände vor sein Gesicht und schluchzte. 85