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V.

Die Einsamkeit der nächsten Tage bei trübem Wetter, das den Bewegung liebenden Grafen zum Stubenhocken vollends zwang, wurde an einem Vormittag jäh durch ein Telegramm unterbrochen. Egon erhielt durch eine Depesche die alarmierende Nachricht, daß Onkel Botho mit dem morgigen Frühschnellzug kommen will. »Sorge für Unterkunft, ich bringe mein Personal und Pferde mit!« so hieß es in dem Telegramm, welches der junge Graf wie fassungslos anstarrte. Was Botho, der liebe, gute Oheim, damit sagen will, ist im Grunde genommen nicht so schwer zu erraten. Der alte Herr will sich in Lienz festsetzen, bringt daher seine Wiener Dienerschaft und sogar die Equipage mit. An sich ist eine solche Domizilsverlegung gewiß für Egon erfreulich, aber es beschleicht ihn doch ein Gefühl, als wenn sein Brief die Ursache des Kommens sein könnte. Die Anschauungen Bothos kennt Egon zur Genüge, um dem Gedanken Raum zu geben, daß der Oheim wegen der begeisterten Schilderung Idas sich zum persönlichen Eingreifen veranlaßt fühlen könnte. Ist der Onkel einmal da und wegen dieser Angelegenheit alarmiert, dann wird der süße Traum wohl ein jähes Ende nehmen.

Wo nur alles unterbringen? Die Gründung eines eigenen Haushaltes, den Bothos Dienerschaft zu führen haben wird, kann in der jetzigen Situation nur erwünscht sein, besonders wenn Botho eine gute Köchin mitbringt. Wo aber die Pferde hinbringen?

Egon ließ seinen Franz ins Bureau kommen und beauftragte ihn mit dem ganzen Arrangement der Angelegenheit. Der Kammerdiener äußerte unverhohlen vollste Befriedigung, eine Freude, die Egon auffiel, doch fragte der Graf nicht nach den Beweggründen.

»Besorge alles, Graf Botho Rothenburg bringt seine Dienerschaft, Pferde und Wagen mit, Du wirst also wissen, was Du alles zu thun hast. Ich weiß es nicht und habe auch keine Zeit, mich darum zu kümmern. Der Eilzug kommt morgen früh neun Uhr einunddreißig Minuten. Du wirst daher an der Bahn sein! Ich verlasse mich auf Dich.«

»Sehr wohl, Herr Graf. Es wird alles bestens besorgt!« sprach unter tiefer Verbeugung Franz und entfernte sich in seiner angenehm geräuschlosen Art.

Gleich darauf meldete Wörgötter, daß mehrere Parteien erschienen wären und um Gehör bitten möchten.

»Gut! Lassen Sie die Leute nach der Reihe ihres Eintreffens vor. Wer ist der erste?«

»Ein Bauer Namens Gmeinwieser, aufzuwarten!« erwiderte der Amtsdiener und verschwand auf den zustimmenden Wink.

Egon griff nach den bezüglichen Akten und sah sie flüchtig durch.

Unterdessen stolperte der Mann herein und stammelte die Bitte, der gnädige Herr Bezirkshauptmann möge ja nichts Schlechtes von ihm denken.

Der Graf ging sofort zur Sache über und sprach: »Er heißt Nikolaus Gmeinwieser, was?«

»Wenn S' nix dagegen haben, ja!«

»Es ist gegen Ihn vom Forstwart Anzeige wegen Forstfrevels erstattet worden. Wo ist die Vorladung?«

Gmeinwieser überreichte den Zettel, jammernd über himmelschreiende, ungerechte Verfolgung.

»Er ist angezeigt, widerrechtlich eine Lärche niedergehackt zu haben. Will Er diesen Holzfrevel zugestehen?«

»In Ewigkeit ischt es nicht wahr! Ich kann den schwarsten Jurament schwören vor'm Kruzifix und brennende Kirzen!«

»Sein Eid kommt hier nicht in Betracht. Ich ermahne Ihn, lieber gleich die That einzugestehen. Hat Er den Baum abgehackt?«

»Na, sell hab' ich nit!«

»Die Lärche hat Er aber trotzdem zu Seinem Hause geschafft!«

»Das wohl!«

»Nun also! Der verübte Holzfrevel ist damit eingestanden. Es fragt sich nur noch, wie der Baum gefällt worden ist. Zweifellos hat Er die Lärche umgehackt?!«

»Na, Herr Hauptmann, so dumm ischt unsereiner nit!«

»Was soll das heißen?«

»Aber Herr Hauptmann, Sie versteahn decht wenig vom Holzen!«

»Wieso?«

»Wenn S' meinen, ich plag' mich einen halben Tag mit'm Hacken, so sein S' irrig.«

»Zur Sache! Habt Ihr den Baum niedergehackt?«

»Na, ich hab' ihn mit der Säg' umg'schnitten, sell geht viel leichter! Sell könnten S' decht auch wissen.«

Egon biß sich auf die Unterlippe, dekretierte dann eine kleine Geldstrafe und schickte den Mann zur Strafbezahlung ins Steueramt.

Die nächste Partei war ein Jungbauer, bartlos, ersichtlich noch keine zwanzig Jahre alt, der in beweglichen Worten um Gnade bat.

»Wie heißt Er?«

»Mit Verlaub, ich heiß' Johann Linser!«

»Was will Er von mir?«

»Schön bitten möcht' ich, haben S' die Gnad', Herr kaiserlicher Hauptmann, ich möcht' auswandern!«

»Auswandern? Ja, das geht bei Ihm nicht, Er ist ja eben im Alter der Stellungspflicht, nicht?«

»Ja, sell schon! Eben dessentwegen möcht' ich ja auswandern!«

»Das ist ganz unmöglich! Wohin möchte Er denn auswandern?«

»Ins Fürschtentum Liechtenstein!« In Tirol und Voralberg findet sich ein merkwürdiges Verständnis für die Staatsverfassung des Fürstentums Liechtenstein, und zwar bei der jungen männlichen Bevölkerung, welche dorthin auswandern möchte, weil Liechtenstein bekanntlich kein – Militär hat. D. V.

»So, so! Nun geh' Er, die Auswanderung kann nicht bewilligt werden!«

Tieftraurig schlich der Jungbauer zur Stube hinaus.

Wörgötter meldete einen Bauer Namens Fürrutter und fügte wispelnd bei, der Mann sei als Protestler gegen jede Unterschrift amtsbekannt.

Sogleich ließ sich Egon den Akt dieses Mannes kommen und las die Protokolle durch, aus welchen sich ergab, daß Fürrutter sich seit Monaten hartnäckig weigerte, die Schulnachrichten über seine Kinder wie üblich zur Empfangsbestätigung zu unterschreiben. Eine Vorladung zur Schulbehörde mit entsprechender Belehrung und energischer Aufforderung war resultatlos verlaufen, ein Protokoll hierüber aufgesetzt, von Fürrutter jedoch nicht unterzeichnet worden. In kurzen Zwischenzeiten hatte sich der Vorfall mit dem gleichen Mißerfolge stets wiederholt, daher Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft erfolgen mußte. Von Amts wegen war daher Fürrutter auf heute vormittag citiert worden, Graf Egon hat nun pflichtgemäß die Aufgabe, den Starrkopf zur Unterschrift zu bringen.

Wie der Mann kerzengerade vor dem Beamten stand, höflich, aber selbstbewußt, von echtem Bauernstolz durchdrungen, ahnte Egon die Schwierigkeit, einen solchen Menschen umzustimmen. Auf einen diesbezüglichen längeren Vorhalt reagierte Fürrutter in keiner Weise, er blieb stumm und rührte sich nicht.

»Wollt Ihr gutwillig unterschreiben?«

»Nein!«

»Aber, Mann, macht doch mir die Arbeit leichter!«

»Euere Arbeit geht mich nichts an!« sprach der Mann dialektfrei; der Gebrauch des Hochdeutschen ist in allen Fällen im Amt eine bedenkliche Erscheinung, denn entweder ist alles erlogen, oder der hartnäckigste Widerstand zu erwarten.

Egon war zu jung im Amt, um eine solche Erfahrung dieser Art schon gemacht zu haben; er ärgerte sich, ungeduldig sprach er: »Es werden jetzt andere Maßregeln gegen Sie ergriffen werden und Sie werden schließlich doch nachgeben und dem Gesetze Folge leisten müssen!«

»So lang ich leb', unterschreib' ich nichts mehr auf Erden!«

»Unsinn! Sagen Sie mir doch, warum Sie sich eigentlich weigern, völlig harmlose Schulnachrichten zu unterschreiben?«

»Das kann ich dem Herrn Hauptmann schon sagen. Kennen Sie die Geschichte vom verbrannten Kind?«

»Gewiß! Ein verbranntes Kind scheut das Feuer! Habt Ihr etwaige Erfahrungen gemacht?«

»Und ob, Herr Hauptmann! Sehen S', gnä' Herr: Ich hab' einmal, dumm wie ich war, einen Wechsel unterschrieben und dabei achthundert Gulden verloren. Wär' schier darüber vergantet. Seither unterschreib' ich nichts mehr, auch keinen Postzettel, nichts mehr, so wahr ich selig werden will!«

»Aber, mein lieber Fürrutter! Die harmlose Schulnachricht ist doch kein Wechsel! In der Schulnachricht steht lediglich, daß Ihre Kinder einigemal den Schulbesuch geschwänzt haben! Sie sollten vielmehr für solche Benachrichtigung der Behörde dankbar sein! Also machen Sie weiter keine Geschichten, seien Sie vernünftig und unterschreiben Sie!«

»Gelesen hab' ich die Schulnachricht, die Kinder hab' ich verhauen, aber unterschrieben wird nichts!«

»Ich muß Sie in Strafe nehmen! Erst Geldstrafe, dann Arrest! Seien Sie doch vernünftig!«

»Ich unterschreib' nicht!«

»Gut, das weitere werden Sie schon erfahren!«

Höflich grüßend entfernte sich der Bauer, und Egon hätte hinreichend Veranlassung gehabt, über solchen Starrsinn nachzudenken, wenn nicht ein Gemeindevorsteher um Audienz in höchstwichtiger Angelegenheit hätte bitten lassen.

Sogleich vorgelassen, stutzte der Bauernbürgermeister aus der Kalser Gegend und meinte zögernd: »Hm, mir scheint, ich bin decht nicht am rechten Ort?!«

»Sie wollen zum Amtschef?«

»Schon zum Bezirkshauptmann, jawohl!«

»Dann seid Ihr ganz richtig, ich bin der neue Bezirkshauptmann!«

»Ah so wohl! Ehnder war aber ein anderer Herr da!«

»Ganz richtig, mein Vorgänger! Habt Ihr eine Vorladung?«

»Selle hab' ich nit bei mir!«

»Wer war denn unterschrieben?«

»Sell hab' ich nit lesen können!«

»Und in welchem Betreff seid Ihr hier?«

Der Vorsteher kratzte sich am Ohr und sprach zögernd: »Hm! Ischt eigentlich eine heikle Sach'; man redet nit gern davon, könnt' leicht sein, daß es heißt, es wäre eine Majeschtätsbeleidigung und unsereins hätt' keine Ahnung und schlechte Absicht ...«

»Da bin ich aber selbst neugierig!« rief Egon.

»Sell glaub' ich gern! Wir haben im Gemeinderat die Köpf' anders z'ammengesteckt, wie das Schreiben von der Hauptmannschaft kemmen ischt.«

»Habt Ihr das Schreiben hier?«

»Na, alles hab' ich in der Eil' daheim liegen lassen!«

»Wann ist Euch das Amtsschreiben zugegangen?«

»Wird wohl etliche Wochen her sein, könnt' sein, es sein ihrer auch sechse!«

»Na, überhudelt wird bei Euch die Antwort nicht! Was wollte denn die Bezirkshauptmannschaft von der Gemeinde?«

»Ja, das ischt eben die heiklige Sache. Ich bin vom Amt aufgefordert worden, wegen der Sach' im Kaiserhause ...«

»Wegen was?«

»Na, es hat decht g'heißen, in der Familie vom Kronprinzen soll ein Kind zu derwarten sein ...«

»Ach ja, wegen des bevorstehenden freudigen Ereignisses im allerhöchsten Kaiserhause! Nun, das ist ja bereits zur That geworden. Was hat denn das Amt von Euch verlangt?«

»Hm! Wir sollen alle Kundgebungen der Lo–loy–a–li–tät, jawohl, Loyalität an die Bezirkshauptmannschaft vermelden.«

»Habt Ihr das gethan?«

»Na!«

»Weshalb nicht? Seid Ihr in Eurer Gemeinde denn ganz teilnahmslos gewesen?«

»Aber na! Wissen S', Herr Hauptmann, es ischt halt nit g'angen und dessentwegen bin ich mündlich kommen!«

»Jedenfalls nicht verfrüht, aber gehörig verspätet!«

»Wir haben halt alleweil noch auf selles Ding, wie heißt es gleich, jawohl, auf die Loyalität haben wir gewartet!«

Um Egons Lippen zuckte es; mühsam unterdrückte er das Lachen.

»Jawohl, Herr Hauptmann! Seien S' so gut und verzeihen S' mir die Verspätung. Wissen S', selle Loyalität hat sich in unserer Gemeinde bis gestern abend noch nicht sehen lassen. Wenn sie aber in die nächsten Täg' decht noch kimmt, ich glaub' aber nit, so werd' ich sie schon durch unseren Gemeindediener ins Amt einliefern lassen!«

Egon schüttelte sich vor Lachen.

»Jawohl, so ischt es und ich bitt' um Absolutorium!«

»Schon gut! Er ist ohne Zweifel ein Prachtexemplar von einem Vorsteher!«

Geschmeichelt antwortete jetzt der Wackere: »Ich dank' für selle freundliche Anerkennung, Herr Hauptmann! Salles Lob freut mich! Ich thue ja allweil mein möglichstes, daß die Hauptmannschaft eine Ehr' hat mit mir!«

»Und ob! Es ist gut, ich acceptiere Seinen mündlichen Bericht, sowie die Entschuldigung für die Verspätung!«

»Ich dank'!« Nach einem Kratzfuß trollte der Vorsteher hinaus, vom Ergebnis seiner Unterredung höchlich befriedigt.

Egon aber schüttelte sich vor Vergnügen über das Gehörte.

*

Die Liebburg, das stille Schloß am Marktplatz von Lienz, zeigte seit der Ankunft des alten Botho Rothenburg mit Dienerschaft reges Leben. Der joviale Graf, ein kleiner, lebhafter Mann mit weißen Haaren und jungblitzenden Augen, versteht das Befehlen wie das Arrangieren. Die Diener hatten alle Hände voll zu thun, die geräumige Wohnung nach den Anordnungen des alten Herrn einzurichten, wozu ein ganzer Wagen mit neuen Möbeln von Wien gekommen war, und das Arrangement des genügsamen Neffen wurde gänzlich umgemodelt. Dagegen half kein Bitten und Einreden.

»Mein Neffe muß behaglich wohnen; gut gewohnt ist halb gelebt!« eiferte der lustige alte Herr und bestand auf seinem Willen, dem sich zu fügen die Klugheit gebot, zumal Graf Botho eine großartige Freigebigkeit entwickelte und alles dem lieben Neffen zu Eigentum schenkte.

So blieb Egon nur übrig, den alten Herrn walten zu lassen und herzlich für die Schenkung zu danken. Ein Schatten fiel freilich dazwischen, als Franz eingestehen mußte, daß die Pferde, mangels eines eigenen Stalles, bei Piffrader untergebracht worden seien. Unangenehm berührt fragte Egon, ob denn kein anderer Stall zu haben gewesen sei, und ob dieser Frage wurde Graf Botho aufmerksam.

»Ist der Stall bei dem Manne – wie heißt er, was ist er – etwa ungenügend?« forschte der alte Herr.

Franz konnte völlig beruhigende Antwort erteilen.

Als die Herren beim Thee saßen, kam Botho aber doch auf diese Angelegenheit zurück. »Wie heißt der Stallbesitzer doch?«

Egon geriet in Verlegenheit, heiser klang die Antwort: »Es ist der reiche Bräuer, Hotelier und Landtagsabgeordnete Piffrader hier!«

»Piffrader? Hm! Den Namen hab' ich schon irgendwo gelesen! Ja, ja, ganz richtig! Der Mann hat einen Engel Namens Ida, nicht?«

»Lieber Onkel! Bitte lassen wir das, ja?!«

»Im Gegenteil! Ich fühle mich verpflichtet, just recht eingehend mit Dir zu sprechen. Klipp und klapp herausgesagt, was Du Dir vielleicht schon gedacht hast: Deine begeisterte Schilderung jenes engelhaften Wesens – eine bürgerliche Biersiederstochter – hat mich veranlaßt, zur Überwachung meines geliebten Neffen in dieses todruhige Nest zu ziehen, und es ist meine bestimmte Absicht, dem verehrten Herrn Bezirkshauptmann den Kopf wieder zurecht zu setzen! Wie mir scheint, ist es dazu höchste Zeit!«

»Ich bitte Dich, Onkel –!«

»Bleib' nur hübsch bei der Stange! Auskneifen giebt es bei mir nicht! Also Du bist, sagen wir, verschossen in das Mädel; das wäre zu entschuldigen, wenn Du nicht Graf Rothenburg, nicht in hervorragender Stellung, und nicht in einer Kleinstadt wärest. So aber muß ich darauf bestehen, daß Du in thunlichster Eile der Geschichte ein wohlverdientes Ende machst! Du verstehst mich doch?!«

»Onkel, Deine Worte martern mich!«

»Larifari! In Deinem Alter haben Liebschaften nichts von Tragik! Du wirst Dich, selbstverständlich gentlemanlike, zurückziehen. Hoffentlich hast Du Dich nicht irgendwie gebunden! Heraus mit der Sprache, junger Herr!«

»Gebunden, nein! Wäre nach dem Vorfall mit Piffrader jetzt auch nicht möglich, solange der Mann nicht revoziert. Aber ich liebe Ida heiß, wahr und ehrlich. Es wäre mein Lebensglück, mit diesem Mädchen ehelich verbunden zu werden!«

Botho pfiff durch die Zähne und sagte dann: »Also doch schon akut! Nun muß ich deutsch mit Dir reden! Du weißt, was ich für Dich gethan; ich will Dir das nicht besonders, auch nicht in der Absicht, Dich zu demütigen, vorreiben. Es ist lediglich notwendig, Dich an Deine Abkunft zu erinnern. Willst Du Dich vermählen, was meines Erachtens nicht gerade eilt, so darf ein Graf Egon Rothenburg, von mir in jeder Weise unterstützt, wählen unter den Töchtern des österreichischen Hochadels. Genau so wie Nissi, Deine Schwester, trotz Vermögensmangels vollberechtigt war, dem Pejacsevits die Hand zu reichen. Eine Mesalliance bei Nissi hätte ich niemals geduldet und werde sie auch bei Dir unter keinen Umständen zulassen! Handelst Du trotzdem gegen meinen Willen, so sind wir zwei miteinander fertig. Mehr brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Eine Bürgerliche heiratet mein Neffe nicht. Die Mucken mit dem feenhaften Engel werde ich Dir schon auszutreiben wissen. Ein Egon Rothenburg läuft einer Gans nach, schauderös!«

»Onkel, bitte sprich von Ida nicht in dieser Weise!«

»Laß' mich in Ruhe! Denk' an Deine Abkunft und an Deine Stellung! Ein Bezirkshauptmann und um Erhörung winselnd bei einer Biermamsell! Bist wohl ›aus Liebe‹ Stammgast geworden beim Bierversilberer, he?«

Egon errötete.

»Einem grasgrünen Praktikanten will ich dergleichen nicht verübeln, Du bist aber kein Praktikant mehr! So, nun kennst Du meine An- und Absichten, ich erwarte von Dir, daß kein Schritt mehr auf diesem ›Liebespfade‹ gethan wird.«

Graf Botho begab sich ins Städtchen, um nach den Pferden zu sehen. Egon mußte wieder die Kanzlei aufsuchen, in Akten studieren, Schriftstücke unterschreiben, eine harte Arbeit, wenn der Mensch sich in solch gedrückter Stimmung befindet. Beim besten Willen vermochte sich Egon nicht aufzuraffen; er las, doch der Geist war nicht bei der Sache und das Unterschreiben vollzog sich mechanisch, kaum daß der Graf den »Betreff« oben ansah. Wie hat er oft gegen das blind vertrauende Unterschreiben nichtgelesener Akten gewettert in früheren Jahren, gespottet, daß viele Beamte sogar das Todesurteil unterschreiben würden, ohne es zu merken, und nun thut er desgleichen und in Gedanken entschuldigt er sich vor sich selbst: der Hauptmann muß sich auf seine fachmännischen Beiräte verlassen können.

Soll der süße Traum, kaum begonnen, wirklich zu Ende, alle Seligkeit warmen, ehrlichen Empfindens für die herzige Ida verloren sein?! Ist der Oheim, sonst so lieb und gut, im Innersten seines Herzens wirklich so grausam, hier trennend wirken zu wollen? Haben nicht schon andere Angehörige des Hochadels Ehen mit bürgerlichen Damen geschlossen? Prinzen und Fürsten sogar und die Welt ist nicht aus den Fugen gegangen!

Immer intensiver beschäftigen sich Egons Gedanken mit diesen, sein Herz so nahe treffenden Fragen. Wie, wenn gegen den Willen Bothos geheiratet würde? Mehr als enterben und verstoßen kann der Oheim seinen Neffen nicht, die Stellung zu nehmen, liegt nicht in Bothos Macht. Freilich mit dem nackten Gehalt eines Bezirkshauptmanns heißt es eingeschränkt und sehr bescheiden leben; es ginge aber zur Not, die Vereinigung wäre wenigstens möglich und durchführbar. Was aber wird Piffrader sagen, der Vater Idas?! Großer Gott, es ist ja gar nicht möglich, der Mann mit seinem Hochmut und der geringschätzigen Meinung vom Beamtenstande wird dem Werber, und sei dieser zehnmal Bezirkshauptmann, höhnisch die Thüre weisen! Kann sich ein Egon Rothenburg solchem Eclat aussetzen? Nein, nein, das ist undenkbar, unter den gegebenen Verhältnissen ganz unmöglich.

So sagt der Verstand, das Herz aber sehnt sich nach dem lieblichen Mädchen und hofft und hofft!

Vor dem Hauptmann steht schon eine Weile Kommissär Pitscheider und wartet auf die Antwort. Egon hatte den Kommissär wohl sprechen gehört, den Sinn des Referats jedoch gar nicht erfaßt, die Gedanken weilen anderswo.

Pitscheiders Katzenaugen funkelten tückisch; es macht dem Kommissär Freude, den Chef so geistesverloren zu sehen, das paßt ganz prächtig, um Egon unbeschränkte Vollmacht abzulocken. Leise drängte Pitscheider: »Wollen Herr Graf mich diesen Fall erledigen lassen! Sie wissen, ich bin mit den Verhältnissen seit Jahren völlig vertraut, ebenso mit den in Frage kommenden Gesetzesbestimmungen. Herr Graf können sich ja außerdem nicht gut in die Arbeiterkreise mengen!«

»Ja, ja, ich gebe Ihnen Vollmacht,« sprach Egon wie geistesabwesend.

»Sehr wohl! Es wird alles bestens besorgt!« erwiderte Pitscheider und sandte dem gebeugt vor den Aktenstößen sitzenden Grafen einen giftigen, höhnischen Blick zu. Dann schlich der Kommissär hinaus, und in seiner Amtsstube allein, rieb er sich vergnügt die Hände. Besser hätte es gar nicht gehen können; mit plein pouvoir kann der Kommissär jetzt schalten und walten, dem Piffrader helfen oder nicht, der Bräuer muß zu Wachs werden, das Pitscheider nach Belieben kneten wird, und ist Piffrader einmal genügend präpariert, muß Ida Frau Pitscheider werden.

Unterdessen war Graf Botho Rothenburg allein durch das Städtchen spaziert und hatte im Bräuhause nach seinen Pferden gefragt. Die Kellnerin wußte von nichts, und Piffrader war nicht in der Gastwirtschaft anwesend. Zufällig trat Ida ein und den vornehmen Herrn gewahrend, fragte das anmutige Mädchen sogleich in vollendeter Höflichkeit nach dessen Wünschen und Befehlen.

Botho schmunzelte im Anblick dieses allerliebsten Geschöpfes, das er für ein Stubenkätzchen hielt und schien zum Schäkern geneigt. Doch mit der Äußerung, daß er eigentlich gekommen sei, um nach seinen Pferden zu schauen, veränderte Graf Botho, ohne es zu wollen, die Situation augenblicklich.

Ida verbeugte sich und bat: »Herr Graf wollen die Güte haben, mir zu folgen; ich selbst werde Euer Gnaden zum Stallgebäude geleiten!«

Jetzt wußte Botho, wen er vor sich habe. »Sehr liebenswürdig! Habe wohl die Ehre, das Fräulein vom Hause zu begrüßen? Möchte aber Gnädigste nicht bemühen!«

»Nicht doch, Herr Graf! Gefällig zu sein ischt meine Pflicht und fällt in meine berufliche Sparte!«

»Wieso?«

Lächelnd erwiderte Ida: »Nun, ich denke, als Tochter eines Hoteliers wird es decht wohl meine Aufgabe sein, den Gästen gefällig zu sein!«

Ida schritt graziös voraus, den Weg weisend durch den Hof zum großen Stallgebäude, und Botho folgte hinterdrein, langsam, das Mädchen wohlwollend betrachtend und sich im geheimen doch eigentlich ärgernd. Die Kleine ist allerliebst, ganz anders, als der Graf gedacht, chic und doch bescheiden. Aber eben bürgerlich, Bräuerstochter!

Man betrat den sauber gehaltenen Stall und schritt zu den Barren, in welchen die Füchse des Grafen standen.

»Hier, Herr Graf, Ihre herrlichen Tiere! Ich habe meine helle Freude an diesem ›Blut‹! Schön gebaut, reine Gänge!«

»Ei der Tausend! Fräulein scheinen ja Fachkenntnisse zu haben!« sprach erstaunt und angenehm berührt Graf Botho.

»Nicht doch, Herr Graf! Dergleichen lernt man sozusagen von klein auf in einem Hause, in welchem viele Pferde eingestellt und auch gehalten werden!«

»Zugegeben zum Teil, aber die technisch richtigen Ausdrücke überraschen mich doch! Können Fräulein vielleicht reiten?«

»Bevor ich ins Institut kam, nannte Papa mich seine ›wilde Hummel‹ und klagte, daß ich kein Bub geworden!«

»Und später verzichteten Fräulein auf den edlen Reitsport?«

»Das brachten wohl die Verhältnisse mit sich, es ischt in einer kleinen Stadt nicht wohl passend, spazieren zu reiten, derweilen andere Leute arbeiten müssen.«

»Ja, ja, Kleinstadt bleibt Kleinstadt! Aber mal eine forsche Fahrt, das kann doch nicht so ungemessenes Aufsehen erregen?«

»Auch darauf muß verzichtet werden! In einem Hause, dem die Frau fehlt, muß die Tochter nach dem Rechten sehen, das geht nicht anders!«

»Schade! Hätte Fräulein gerne mal meine Füchse dirigieren sehen! Glaube, in Ihren weichen Händchen liegt genügend Energie!«

»Meinen Herr Graf?!« lächelte Ida schelmisch.

»Wie geboren zum edlen Sport!« erwiderte Botho, dessen Feueraugen die elegante Gestalt des tannenschlank gewachsenen Mädchens umfingen. Errötend verbeugte sich Ida und bat, nunmehr den häuslichen Geschäften nachgehen zu dürfen.

»Bitte sehr! Meinen besten Dank für gütige Bemühung!« sagte Graf Botho und grüßte höflichst.

Ein bewundernder Blick folgte dem schönen Mädchen, bis Ida im Haus verschwunden war.

» Sapristi! Ein Prachtmädel! Jetzt verstehe ich Egons begeisterte Epistel! Aber – es geht nicht! Art muß bei Art bleiben,« flüsterte Graf Botho und überließ sich für wenige Augenblicke seinen Gedanken, die darin gipfelten, daß eben der Schönheit dieses Geschöpfes wegen die Situation für Egon und die ganze Verwandtschaft doppelt gefährlich sei. Aber ein allerliebster Käfer ist die Kleine doch.

Von rückwärts, aus dem Trakt des Sudhauses tönte Stimmengewirr herüber, untermischt mit lauten Rufen, anzuhören wie wenn eine größere Versammlung stattfinden würde mit lebhafter Acclamation eines Volksredners.

Der alte Graf, welcher für die nächsten Stunden ohnehin nicht wußte, wie er die Zeit verbringen sollte, ging dem Lärm entgegen und traf einen Bräuburschen, der eilig sich entfernen wollte.

»He, Sie da! Was ist denn da drinnen los?« rief Botho.

»Ernst wird's und dem Bierversilberer wird die Meinung beigebracht!« sprach hastig der Bräubursche und wollte am Grafen vorüber.

»Halt, Freunderl! Hier haben Sie für die Auskunft ein Trinkgeld!« sprach Botho, gab dem Burschen einen Silbergulden und verlangte näheren Bescheid.

»Ah so wohl! Vergelt's Gott! Na, wenn S' Ihnen für unsere Sach' verinteressieren, kann ich Ihnen schon 'was verzählen. Wissen S', wir stehen in der Lohnbewegung als organisierte Korporation, der Bräuer muß schwitzen!«

»Was muß er?«

»Schwitzen, einen höheren Lohn muß er zahlen, oder wir fangen heut' noch mit dem Strike an!«

»Was? Ein Strike in Sicht, hier in dem Nest und gar noch dazu in einem Bräuhause?! Ah, das interessiert mich. Wieviel Mann treten in den Ausstand?«

»Sein thun wir unser grad' ein Dutzend!«

»Und wieviel wollt Ihr Lohnerhöhung?«

»Nicht zu viel, dreißig Kreuzer pro Tag mehr!«

»Und das will der Bräuerfilz nicht bezahlen? Hat er denn die Mittel nicht dazu?«

»Der Bräu? O, der hat mehr als alle Bürger von Lienz zusammengerechnet! Das ischt Ihnen ein Schwerer (Reicher)! Je mehr einer hat, desto weniger will er auslassen!«

»Also der Bräuer verweigert die Lohnerhöhung?«

»Ja! Grad' ischt der Strike beschlossen worden!«

»Und was wird der Biersieder thun?«

»Um die Polizei schicken! Hätt' er genug Hausknecht', ich glaub', er lasset uns hinauswerfen!«

»Habt Ihr zwölf Manndeln denn genug in der Strikekasse zum Ausparieren? Wie lange könnt Ihr ohne Lohnbezug aushalten?«

»Etliche vierzig Gulden haben wir schon!«

»Für zwölf Mann vierzig Gulden! Das langt ja nicht für eine Woche!«

»Was kannst machen? Hätt' der Herr vielleicht was für uns arme Burschen?«

»Die Sache interessiert mich! Hier habt Ihr fünfzig Gulden Beitrag! Schaut, daß Ihr den Biersieder rumkriegt!« Botho überreichte dem überraschten Bräuburschen die Geldnote.

»Vergelt's Gott im Namen meiner Kameraden! Aber jetzt druck' ich mich zum Hauptmann, sehen S', Herr, dort kommt schon der Kommissär mit die Gendarmen! Natürlich, die Gewalt hilft immer den Besitzenden!«

Flink enteilte der Bursche, und Graf Botho suchte nach rückwärts ins Freie zu kommen, geriet aber in die Nähe der schreienden Menge, welche den wütenden Bräuer umringte und gegen seine Schimpfworte entrüstet protestierte.

Solch Schauspiel war dem Grafen Botho neu, gespannt verfolgte er dessen Entwickelung.

»Nix zahl' ich mehr! Nicht ein Kreuzer wird bewilligt! Macht, daß Ihr fortkommt, ich laß Euch alle verhaften wegen Hausfriedensbruch, Ihr schamlose Bande, Ihr Raubgesindel!« tobte Piffrader.

»Zurücknehmen diese Beleidigung!« schrie der Obermälzer als Anführer der Bräuburschen.

»Nicht ein Wort nehm' ich zurück!«

In den Raum trat Kommissär Pitscheider mit einem größeren Aufgebot Gendarmen, welche das Bajonett auf die Gewehre aufgepflanzt hatten und sogleich alle Ausgänge besetzten.

»Gewalt! Schande!« schrieen die erbosten Gehilfen.

»Ruhe! Im Namen des Gesetzes fordere ich Ruhe! Niemand verläßt den Raum! Der geringste Widerstand wird mit Waffengebrauch beahndet!«

Schrille Hohnrufe erschollen, doch unterließen die Strikenden jeden thätlichen Angriff.

»Ruhe!« gebot Pitscheider und rief dann: »Herr Piffrader, bitte auf ein Wort!«

Der Obermälzer protestierte gegen die heimliche Verabredung des Machthabers mit dem Bräuer, und die Genossen stimmten lärmend dem Proteste bei.

Der Kommissär trat mit Piffrader etwas abseits und sprach heiseren, gedämpften Tones: »Ich habe ganze Vollmacht vom Hauptmann! In wenigen Minuten dämpfe ich den Aufruhr mit Gewalt! Wie ischt's mit uns zweien? Geben Sie mir Ida?«

Ausweichend erwiderte der Bräuer: »Schaffen Sie mir erscht Ordnung! Ich bin meines Lebens nicht sicher! Wir reden noch darüber!«

»Ja oder nein?« flüsterte Piffrader.

»Ich hoffe, es wird gehen!«

»Gut!« Der Kommissär trat vor die Bräuburschen und rief: »Auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen fordere ich Euch auf: Alle in der Brauerei beschäftigten Arbeiter müssen binnen einer Stunde die Arbeit bedingungslos wieder aufnehmen oder es erfolgt die Ausweisung aller nicht in Tirol beheimateten Strikenden!«

Scharf replizierte der Obermälzer: »Das ischt unerhört! Die Staatsgewalt darf den Arbeitern nicht in den Rücken fallen! Das ischt Brutalität! Wir protestieren zur Statthalterei!«

»Ruhe! Protestieren könnt Ihr zum Teufel! Ich proklamiere den Belagerungszustand! Ihr seid alle wegen Aufruhr verhaftet! Wer kein Tiroler ischt, wird noch heute zwangsmäßig per Schub weitergebracht!«

Die entrüsteten Bräuburschen lärmten gegen solche Vergewaltigung, die Aufregung steigerte sich zusehends.

Graf Botho, den der Vorgang außerordentlich interessierte, trat aus seinem Versteck, von welchem aus er alles beobachtet hatte, hervor und rief dem Kommissär zu: »Herr, nach meiner Meinung gehen Sie zu weit!«

Pitscheider zuckte im ersten Moment zusammen, weil er nicht gleich wußte, wen er vor sich hatte, in der Erregung aber schrie er: »Ich verbitte mir jede Einmischung! Ich bin hier als Vertreter des Bezirkshauptmanns und mit ganzer Vollmacht versehen! Gehören Sie zu dieser Bande da, so erkläre ich Sie gleichfalls als verhaftet!«

»Oho! Ich sage Ihnen, Sie gehen zu weit! Wenn Sie mich übrigens verhaften wollen, ich stehe zur Verfügung, mein Name ist Graf Rothenburg, Oheim des Herrn Bezirkshauptmanns!«

Pitscheider erbleichte, ein jäher Gedanke schoß ihm durch den Kopf, die bange Frage, ob dieser Beobachter nicht gar von der Privatabmachung mit Piffrader etwas vernommen habe.

Von jenem Bräuburschen, dem Botho in einer Anwandlung neugieriger Gutmütigkeit Geld geschenkt, geführt, erschien plötzlich Egon in Uniform.

Ein Zischlaut der Wut entfuhr Pitscheider, als er den Chef erblickte.

»Was geht hier vor? Herr Kommissär, erstatten Sie mir sofort in gebotener Objektivität Bericht!«

Der Obermälzer protestierte: »Herr Bezirkshauptmann, bitte, dem Kommissär fehlt jede Objektivität, er paktierte mit dem Bräuer ...«

»Ruhe! Nach dem Herrn Kommissär kommen Sie an die Reihe!« Egons Blick streifte die Runde und damit den Grafen Botho. »Du hier, Onkel?« rief erstaunt der Bezirkshauptmann.

»Jawohl und von Deinem Stellvertreter für verhaftet erklärt!« antwortete Botho unter sarkastischem Lächeln.

»Pardon! Es war ein Versehen!« stotterte in Verlegenheit der unsicher gewordene Kommissär.

»Wo ein Versehen ist, stecken meist noch andere Mißgriffe. Bitte, den Bericht!« gebot Egon nun völlig dienstlich scharf und ernst.

Pitscheider referierte über seine Anordnung und die Verkündigung sofortiger Ausweisung von Strikenden nichtösterreichischer Abkunft.

»Halt! Ich habe mit eigenen Ohren gehört, daß der Herr Kommissär vorhin gesagt hat: ›Wer von den Strikenden kein Tiroler ist, wird abgeschoben!‹« warf Graf Botho ein, und die Bräuburschen bestätigten diese Worte.

Egons Antlitz verfinsterte sich. »Ich bitte, mich in der Amtshandlung nicht zu stören! Herr Graf Botho Rothenburg wird die Güte haben, später auf Befragen als Zeuge zu antworten!«

»Bravo! Das ist objektiv!« rief der Obermälzer unter dem Beifall seiner Genossen, auf welche die Haltung des Bezirkshauptmanns selbst seinem nächsten Verwandten gegenüber einen imponierenden Eindruck gemacht hatte.

Botho verbeugte sich schweigend.

Sodann forderte Egon den Obermälzer auf, die Angelegenheit zur Sprache zu bringen, kurz, sachlich und ruhig.

Ein geschulter Agitator, konnte der Mann diesem Begehren vollkommen entsprechen, und gewandt fügte er die Bitte bei, es möge der Herr Bezirkshauptmann gütigst die Verfügung des Kommissärs aufheben und außerdem die Gendarmerie entfernen.

»Gesetzlich ist die Ausweisung nichtösterreichischer Arbeiter zulässig,« begann Egon gemessenen Tones, »der Fall ist jedoch noch nicht spruchreif. Solange mir keine Gewähr für Einhaltung absoluter Ruhe gegeben ist, kann ich die Gendarmerie nicht fortschicken.«

»Ich garantiere für absolute Einhaltung von Ordnung und Ruhe. Im Namen meiner Genossen bitte ich den Herrn Bezirkshauptmann, unsere Lohnforderungssache prüfen und den Vermittler machen zu wollen!«

»Ist dies der Wunsch aller beteiligten Bräuburschen?« fragte Egon.

Sämtliche Genossen erhoben die Rechte und riefen: »Ja!«

»Gut! Ihr Wortführer haftet mir mit seinem Ehrenwort für Wahrung der Ordnung und Ruhe. Die Gendarmerie hat in ihr Kasernement abzurücken, Bereitschaft ist nicht nötig!«

»Bravo! Hoch der Bezirkshauptmann!« riefen die Genossen.

Die Gendarmen verschwanden. Tadellos ruhig standen die Burschen.

In Pitscheider kochte es, nur mühsam vermochte er seine Wut über das Fehlschlagen seiner Aktion zu bemeistern.

»Herr Kommissär können sich jetzt auch entfernen! Ihre Vollmacht ist annulliert, ich werde den Fall persönlich zum Abschluß bringen!« sprach Egon und entließ den Kommissär mit leichtem Kopfnicken, der sich entfernte, jedoch horchend an der Thür stehen blieb.

»Kann ich jetzt auch gehen?« fragte Botho.

»Es besteht kein Hindernis! Wir sprechen uns nachher zu Hause!«

Inzwischen hatte jener Bräubursche, der Egon zu Hilfe geholt, den Genossen zugerufen, daß der alte Herr einen Fünfziger zur Strikekasse gespendet habe. Die erfreuten Genossen acclamierten daher den abgehenden Grafen mit einem solennen »Hoch«, das Botho vergnügt acceptierte.

Egon forderte zur Bildung eines dreiköpfigen Komitees auf und erklärte sich bereit, die Verhandlungen zur Strikebeendigung mit dem Ausschuß und Herrn Piffrader aufnehmen zu wollen.

Drei Genossen inklusive dem Obermälzer waren rasch gewählt.

Piffrader verspürte wenig Lust, sich auf Verhandlungen, noch dazu mit dem Grafen Egon, einzulassen, doch wollte er nicht direkt ablehnen und hoffte, durch ein dilatorisches Verhalten die Sache im Sand verlaufen lassen zu können.

So wurde die erste Verhandlung auf den nächsten Tag im Amtszimmer des Hauptmanns anberaumt.

In größter Ruhe entfernten sich die Bräuburschen, denen dann Egon und zuletzt Piffrader folgten.

Keine Stunde dauerte es, daß ganz Lienz von der Strikegeschichte genaueste Kenntnis hatte; Pitscheider hatte erlauscht, daß Graf Botho zur Strikekassa eine größere Summe spendete. Diese Kunde war Balsam auf die klaffende Wunde seiner Niederlage, diese Thatsache giebt erwünschte Gelegenheit, der Oberbehörde ein Licht aufzustecken und den neuen Hauptmann gebührend zu beleuchten.

Ein Bogen Kanzleipapier war rasch mit der Anzeige des Faktums vollgeschrieben, Pitscheider schrieb eine flammende Beschwerde im Namen Piffraders gegen das Vorgehen des Hauptmanns und schilderte die Unzulässigkeit der Einmischung des Grafen Botho Rothenburg, der noch dazu vorher der Strikekassa ein Geschenk von fünfzig Gulden gemacht habe. Das giftgeschwollene Schriftstück schloß mit der Bitte um Abstellung solchen dienstwidrigen Unfuges durch Versetzung des für sein Amt in Lienz ungeeigneten Bezirkshauptmannes.

Mit diesem Beschwerdeschriftstück begab sich Pitscheider zum Bräuer, der es unterschreiben und an die Statthalterei schicken soll.

In der altdeutschen Trinkstube ging es, seit man wußte, daß Graf Egon nicht mehr kommen werde, wieder fidel und ungezwungen her; die Kostknaben fühlten sich als unumschränkte Herren, denen sich mancher Beamte aus anderen Sparten anschloß. Wie Pitscheider in die von Cigarettenqualm erfüllte Stube eintrat, wurde eben der Zillerthaler, jener muntere, freiheitsdurstige Steueradjunkt, aufgefordert, die famose Geschichte von dem Stubaier Bauernburschen zu erzählen, der zum ersten Mal in seinem Leben in die Stadt Innsbruck gekommen sei.

»Sell werden wir gleich haben!« lachte der lustige junge Mann und begann die Erzählung im breitesten Dialekt. Die hochdeutsche Übersetzung dieser kostbaren Erzählung, die von Johann Leis durch Aufzeichnung vor Vergessenheit gerettet wurde, folgt Seite 187.

»Der Stubacher Jogga, wia'r af Sprugge kimmt. 'm lötzten Fösttag ischt's g'wösen, do steah i' um Togaläuten au, lög' mar mei' böst's G'wandl un, moch' mi' über'n olten Schoiberg derho, über die nuia Stroßa obaus durch'n Hohlweg och'n in die Stadt. Kam kimm' i' aus'n Hohlweg fürcher, siech i' a groaßes Gebäuda, dös ma 's Wiltinger Kloaster hoaßt, und voar der Thüra steahn zwoa saggrisch große Lödter dervoara, oaner hot gor a Trum Bam in der Totza und oaner hot an lungan Sabl g'hobt. I' hun g'fragt, wear dö Lödtar san, nochar haben sö g'sögt, däs san die Wiltingar Riesen. Do hun i' mar gedönkt: Jogga, do geahsta. Nochar bin i' in die Kircha einch'n a gongen, da hun i', 's klöckt kam a Dutzed, Oltara g'söchn; voar öben ischt der Hoacholtor gewösen, do hob'n a hunderscht Körzlar gabrunnen, und der Prilot hot guldana Schuachlar ung'hobt und hot a Messa g'löst und in dar Heach'n öben hot's gewisp'lt. Da hun i' mar gedönkt: Jogga, da geahsta! Nochar bin i' weiter geg'n Sprugge zua gerönnt, so kimm i' zua'n groaßan Stoan'rhaufa mit an groaßan Löch und zwoa kloanara Löchar; und in der Heach'n san zwoar guldana Krünlar öben und nockete Lödtar und Gitschelar san krad gnueg öben. Do hun i' g'frogt, wia dear Stoan'rhaufa hoaßt; do hot mar sö a Hearrische mit an Fluigengatta voar da Fotza g'sögt, daß ma dös die Strumpfspforsta hoaßt. A sö, die Strumpfspforsta! Da hun i' mar gedönkt: Jogga, da geahsta! Nochar bin i' weiter och'n geloffen, bin i' krod für a Kircha für, wia sö hob'n zwölfa gelitten, ober vun dö bocklutherischen Lödtar hot koan'r an Huat ogethun. Oan'r ischt gar au und o gongen mit ar Büchsa in dar Hand und a Kerza drau und hot mi' ausgeschrieen. Nochar hun i' g'frogt, wos dös ischt und da hab'n sö mar g'sögt, dös sei die Hauptwocha. A sö, die Hauptwocha! Da hun i' mar denkt: Jogga, da geahsta! Nochar bin i' weiter unter die G'wölb'n och'n gongen, und bin i' in a Kaffeehütta einch'n geroten; dört san sö hearrische Laggl in gewösen, hoben Stöckelar in dar Hond g'habt und hoben Kügelar in die Löchar einch'n gerönnt. Da hun i' mar gedönkt: Jogga, da geahsta! Derweil kimmt aber krod a sagg'rische Kuntin, die Kellarin und frogt: ›Jogga, magst an Kaffee?‹ ›Moch' Di' durch mit der Kaffeesuppa!‹ hun i' g'sögt, ›an Unawanzelar geist mar!‹ Nochar hun i' trunken und gezohlt und bin in die schwoarza Mandarkircha umch'n gangen und hun mar dö Lödtar ang'schaut. Do ischt aber krod oan'r dahear kömmen und hat g'sögt: ›Jogga, hiazt muaßta gschwinda auß'n geahn, heut' ischt Mittig, hiazt wear'n dö schworzen Mandar ausg'lassen und in dö önglische Unloga och'n ... g'führt.‹ Do hun i' mar gedönkt: Jogga, do geahsta, mit dö schworzen Mandar ischt nit z'spassen. Nochar bin i' g'schwinda über dö Nuistodt auch'n schnuargroda hoamzua geloffen und hun mar gedönkt: Na, do geaht 's dar zua in dear Stodt, dös ischt a Greu'l!«

(»Am letzten Festtag ist es gewesen, du stehe ich zur Zeit des Tagesläutens auf, kleide mich in mein bestes Gewand, wandere über den alten Schönberg über die neue Straße und durch den Hohlweg in die Stadt Innsbruck. Kaum komme ich aus dem Hohlweg hervor, sehe ich ein großes Gebäude, das man das Wiltener Kloster heißt. Vor der Thüre stehen zwei große Männer (angemalt), einer hat gar ein Stück eines Baumes in der Hand und der andere einen langen Säbel. Ich habe gefragt, wer diese Männer sind, dann haben die Leute mir gesagt, das seien die Wiltener Riesen. Da habe ich mir gedacht: Jakob, da gehst Du! Dann bin ich in die Kirche hineingegangen, da habe ich, es reicht kaum, ein Dutzend Altäre gesehen; vorne oben ist der Hauptaltar gewesen, da haben wohl hundert Kerzen gebrannt, und der Prälat (Abt von Wilten) hat goldene Schuhe getragen und die Messe gelesen, und oben im Chor wurde die Orgel gespielt. Da habe ich mir gedacht: Jakob, da gehst Du! Dann bin ich weiter gegen Innsbruck zugerannt, da komme ich zu einem großen Steinhaufen mit einer großen Durchfahrt und zwei kleineren Durchgängen und in der Höhe sind zwei goldene Krönlein oben und nackte Männer und Mädchen sind genug oben. Da habe ich gefragt, wie der Steinhaufen heißt; da hat mir eine Dame mit einem Schleier vor dem Mund gesagt, man nenne das die Triumphpforte. Da habe ich mir gedacht: Jakob, da gehst Du! Hernach bin ich weitergelaufen, kam in eine Kirche, wie es eben zwölf Uhr läutete, aber von den ketzerischen Männern nahm keiner den Hut ab. Eine Schildwache ist gar mit einem Gewehr und einem Bajonett darauf hin und her spaziert und hat gerufen: ›Gewehr heraus!‹ Dann habe ich gefragt, was das ist, und bekam zur Antwort, das sei die Hauptwache. Da habe ich mir gedacht: Jakob, da gehst Du! Dann bin ich auch weiter unter den ›Lauben‹ gegangen und in ein Caféhaus geraten, dort waren Herren, welche Billard spielten. Da habe ich mir gedacht: Jakob, da gehst Du! Unterdessen kam ein großes Frauenzimmer, die Kellnerin, und fragte, ob ich Kaffee wolle. Ich sagte: ›Entferne Dich mit der Kaffeesuppe, gieb mir ein Gläschen Enzian.‹ Nachdem ich getrunken und gezahlt, bin ich in die Hofkirche gegangen (mit ihren berühmten Erzstatuen) und habe mir die großen Statuen betrachtet. Da kam ein Herr dazu und sagte: ›Jakob, Du mußt Dich sofort entfernen, heute ist Mittwoch, jetzt werden die schwarzen Erzstatuen ausgelassen und in die englische Anlage (kleiner Park am rechten Innufer) geführt.‹ Da habe ich mir gedacht: Jakob, da gehst Du, mit den schwarzen Männern (Statuen) ist nicht zu spaßen. Dann bin ich rasch über die Neustadt (jetzt die Maria-Theresienstraße) schnurgerade heimgelaufen und habe mir gedacht: Nein, wie es in der Stadt zugeht, das ist ein Greuel.«)

Pitscheider war nicht in der Stimmung, am Tischulk sich zu beteiligen, er suchte den Bräuer auf, der mit seinem Freunde Zoderer, dem Bäckermeister und Vater Hedwigs, in der Privatstube im ersten Stockwerk den unangenehmen Zwischenfall mit dem Bräuburschenstrike besprach.

Das Klopfen und sofortige Eintreten Pitscheiders, der auf das »Herein« gar nicht wartete, schreckte die beiden Dickwänste auf, und Zoderer ächzte: »Jesses, bin ich aber erschrocken!«

Piffrader ärgerte sich über den Überfall und etwas höhnisch erkundigte er sich nach der Ursache des unerwarteten Besuches.

»Das kann ich Ihnen nur unter vier Augen sagen!« erwiderte gewichtigen Tones der Bezirkskommissär.

»Ah so wohl! Da bin ich also überflüssig?« meinte der Bäcker Zoderer.

»Momentan ja!« sprach der Kommissär spöttisch.

Piffrader schien eine scharfe Bemerkung auf der Zunge zu haben, schluckte sie aber unausgesprochen wieder hinab. Zum Bäckermeister aber sprach er: »Freunderl! Sei so gut und trink' derweil ein Viertele unten in der Gaschtstub'! Ich hol' Dich dann schon wieder herauf!«

Grußlos ging der beleidigte Bäcker aus dem Zimmer.

Pitscheider begann sogleich, als die Thür ins Schloß fiel: »Herr Piffrader, ich denke, Sie werden sich den Vorfall, die Einmengung des alten Grafen, nicht gefallen lassen! Es ischt unerhört, das Geschenk an die Strikekassa geradezu ein Skandal! Ich habe Ihnen eine Beschwerde an die Statthalterei aufgesetzt, fix und fertig, Sie brauchen das Schriftstück bloß zu kopieren und mit Ihrem Namen unterfertigt nach Innsbruck abzusenden. Die Oberbehörde wird Ihnen ganz gewiß recht geben und beistehen, und die Grafenwirtschaft sind Sie dann los!«

Mißtrauisch musterte der Bräuer den Beamten, es war, als stiege Piffrader so etwas wie Verdacht auf, doch schwieg der Bräuer sich hierüber aus.

»Schicken Sie es sogleich ab! Morgen kann bereits ein Telegramm der Statthalterei da sein; es wäre das sehr günstig, weil ich dann die Strikeangelegenheit wieder in die Hände bekomme und in Ihrem Sinne zu Gunsten des Arbeitgebers mit Abschubung der Renitenten erledigen kann.«

»Das mit dem Strike pressiert nicht so arg, aber beschweren will ich mich!«

»Hier ist das Konzept, ich muß Sie natürlich um Diskretion bitten. Das ischt indes als selbstverständlich vorauszusetzen, denn nunmehr glaube ich Ihnen ja doch recht bald auch familiär nahe zu stehen!«

Ein forschender, lauernder Blick flog zu Piffrader, der das Schriftstück flüchtig durchlas und dann einsteckte.

»Haben Sie, Herr Piffrader, mit Ida schon gesprochen?«

»Herr Gott, sind Sie ein Pressierer! Wissen S', selle Drängelei ischt mir schon sehr zuwider! Sie machen nix wie Sprüch', ausgerichtet haben Sie gar nix, die Sach' ischt verpatzt durch Ihr Hineintappen, jawohl, ich bin Parlamentär und fürcht' mich durchaus nicht vor Ihrem giftigen Geschau. Wissen S', ich hab' sogar dem Statthalter schon ins Gesicht gesagt: ›Herr, das verstehen Sie nicht!‹ Wer's glaubt!«

»Stimmt!« höhnte Pitscheider in seinem Arger.

»Ob es stimmt oder nicht, sell ischt mir gleich! Wie die Sache jetzt liegt, hab' ich keine Zeit und auch keine Lust, meine Tochter wegen einer Heirat zu drangsalieren. Zuerst muß ich den Strike aus der Welt haben! Dann kommen noch eine Menge anderer Sachen und zu allerletzt vielleicht Sie! Wer's glaubt!«

»Ich habe Ihnen das Konzept aus Freundschaft verfertigt, in der sicheren Erwartung ...«

»Schon recht! Wenn's was kostet, sagen Sie's nur, es kommt mir auf etliche Gulden nicht an!«

»Herr, wagen Sie es nicht, meine Beamtenehre anzutasten!« brauste Pitscheider auf.

»Sie, ich werd' Ihnen jetzt was sagen: Vertragt sich das mit der Beamtenehre, hinter dem Rücken von Ihrem Vorgesetzten solche Beschwerden und Denunziationen aufzusetzen, he? Was glauben S' wohl, was der Graf sagen möcht', wenn er das erfährt? Wenn S' mir nicht gleich meine Ruh' lassen, dann versprech' ich Ihnen, daß ich in der nächsten Landtagssitzung das G'schichtel verzähl'! Sie, der Statthalter wird da die Ohren anders spitzen, mein' ich!«

»Geben Sie mir mein Konzept wieder!«

»Fällt mir nicht ein, was ich hab', behalt' ich, das war von jeher mein Grundsatz! Aber ich will Ihnen nicht schaden. Ich dank' Ihnen für die Schrift; nutzt sie was, ich laß mich nicht lumpen. Dabei bleibt es, wer's glaubt!«

Ein nochmaliger Versuch, das Schriftstück wieder zurückzuerlangen, schlug fehl, dagegen war Piffrader so freundlich, zu erklären, daß das »Hängen« andurch beseitigt sein solle.

Pitscheider verstand augenblicklich und sprach: »Gut, ich bin Ihnen also jetzt nichts mehr schuldig und bitte um die Quittung!«

»Die sollen Sie noch heute erhalten. Wir sind quitt!«

»Gut, ich danke! Aber –«

»Lassen S' mich in Ruh! Meine Tochter soll sich dereinst ihren Mann selber wählen, wer's glaubt. Habe die Ehre!«

Pitscheider mußte in diesem Augenblick froh sein, wenigstens die Befreiung der hängenden Schuldenlast erreicht zu haben, und wenn auch ärgerlich über das Mißlingen seiner Werbung um Ida, entfernte er sich doch aufatmend. So schnell hat er ja doch noch nie an fünfhundert Gulden »verdient«, beziehungsweise eine gleichwertige Zahlungspflicht von sich abgeschüttelt.

Piffrader prüfte das Schriftstück nun sehr genau, das Konzept gefiel ihm ausnehmend gut, und zur Ersparnis von Zeit und Mühe setzte er gleich unter das Original, das auf einem Amtsbogen geschrieben war, seine Unterschrift mit markigen Zügen. Dann steckte er das Schriftstück in einen Umschlag mit dem Aufdruck seiner Firma, klebte die nötigen Marken auf und trug den Brief persönlich zur nahen Poststelle.

Hierauf holte er seinen Freund Zoderer wieder zur Besprechung in die Privatstube. Hin und her wurde geraten, die Frage blieb offen, ob die Forderung der Bräuburschen bewilligt werden solle. Einen Moment war Piffrader willens, die Forderung zu bewilligen, was maßen die paar Kreuzer Erhöhung nicht viel ausmachen und eigentlich wohl verdient wären. Freilich müßte dann, damit die Bräuerei nicht zu kurz komme, der Bierpreis erhöht werden.

»Wenn ich aber mit dem Preis hinauffahre, so ischt zu befürchten, daß der schnüffelnde Steuerinspektor mich in der Steuer hinaufsetzt und dann sitz' ich erst recht in der Zwickmühl'!«

Zoderer erwiderte: »Was den Steuerinspektor anlangt, so brauchst keine Angst nicht zu haben!«

»Wieso?« fragte erstaunt Piffrader.

»Ja, Du weißt es halt noch nicht, es ischt auch noch nicht offiziell, weißt, aber die Hand drauf, es muß derweil noch stilles Geheimnis bleiben: Der Steuerinspektor wird mein Tochtermann!«

»Höllteufel!« schrie Piffrader in seiner Überraschung.

»Jawohl, gelt, da guckst! Der Inspektor hat um Hedwig bei mir ang'halten, und ich hab' nicht nein gesagt. Bloß das hab' ich gemeint, er soll bis zum Oberinspektor warten. Sell, meint er, wird er bald; wenn der Hauptmann, sein oberster Chef, seinen Senf dazu giebt, kann es sein, daß mein Tochtermann noch heuer avanciert. Dann können s' heiraten!«

»Hm! Da hättest die ›Schrauben‹ eigentlich in der Hand, wer's glaubt!«

»Freilich! Selles Hinaufschrauben werden wir ihm schon abgewöhnen, mein' ich. Du darfst also ganz beruhigt sein, ohne meinen Willen treibt er Dich nicht in der Einschätzung hinauf. Probiert er's decht, so zieh' ich die Tochter zurück, und sell wird ihm decht unangenehm sein!«

»Wer's glaubt!«

»Freunderl, laß' die dummen Sprüch'!«

»Na ja, es ischt halt so meine Gewohnheit und nicht bös gemeint! Aber, was ich fragen möcht', was giebst ihm denn mit?«

»Etliche tausend Gulden, die Aussteuer und Semmeln, soviel er braucht für Lebenszeit!«

»Also mit 'm Brot ischt er fein heraus!« spottete Piffrader.

»Lach' nur, wenn Du es z'ammenrechnest, es macht im Jahr auch etwas aus und ischt besser wie nix!«

»Freilich, wer's glaubt! Fehlt mir noch, daß er bier- und weinfrei wird!«

»Na, sell kannst ja Du ihm bewilligen! Ich hab' auch für meine Person nix dagegen.«

»Freunderl, ausnahmsweise: sell glaub' ich!«

»Na, also!«

»Ob er's aber annehmen thät', sell glaub' ich wieder nicht!«

»Ich kann ihn ja etwas in dieser Sach' aushorchen. Die von der Steuer sein meistens freilich hantige Leut', nicht besonders zugänglich, das kommt, weil sie zu der so viel politischen Behörde gehören. Weißt es ja selber, einem politischen Beamten ischt nie recht zu trauen, sie hören und sehen auch das, was nicht da ischt.«

»Ischt nicht gar so gefährlich. Wir vom Landtag haben die Leut' ja decht etwas in der Hand. Aber aushorchen kannst ihn, sell schadet nix. Derweil beantrage ich Aussetzung der Verhandlung in der zwideren Strikesach'. Schraubt mich Dein Inspektor nicht, na, so bewillige ich die Erhöhung und fahr' gleichzeitig mit dem Bierpreis hinauf. Das letztere thue ich übrigens auf jeden Fall. Die Zeiten sein alleweil zu schlecht, wer's glaubt!«

Damit endete die vertrauliche Aussprache.

*

Im Salon der Privatwohnung beider Rothenburgs saßen sich Oheim und Neffe gegenüber und Egon äußerte ganz unverhohlen seine Meinung über das unglaubliche Verhalten Bothos in der ohnehin sehr fatalen Strikeangelegenheit, wodurch die dienstliche Stellung des Amtsvorstandes geradezu kompromittiert erscheine.

Der alte Onkel guckte staunend auf Egon, den er noch niemals so ernst, gemessen, sozusagen so gesetzt männlich und energisch gesehen, und unwillkürlich kam Botho der Gedanke: »Aus dem Menschen wird was Tüchtiges! Oder ist er es schon!«

Sagen mußte der alte Graf etwas auf den nicht unberechtigten Vorhalt und so replizierte er: »Na ja, mach' mir nur den Gaul nicht scheu! Es war ja Übles nicht beabsichtigt! Und schließlich kann ich meinen Mammon doch nach eigenem Ermessen verschenken!«

»Das muß ich bestreiten, wasmaßen es sich hier um Propagierung einer Lohnbewegung handelt, in welcher Sache ich und mit mir mein nächster Verwandter absolut intakt und in peinlichster Objektivität dastehen muß!«

» Sapristi! Die Welt wird nicht untergehen wegen der verschenkten lumpigen paar Gulden!«

»Nein, gewiß nicht! Was aber, wenn der Oberbehörde zu Ohren kommt, daß gewissermaßen aus der Hauptmannschaft heraus ein Strike finanziell unterstützt wird? Meine Konduite wird getrübt, ein Verweis ist nahezu als sicher zu erwarten und es ist mir schmerzlich, sagen zu müssen, daß eine Rüge vollauf verdient, durch meinen väterlichen Freund und Gönner unbedachtsamerweise heraufbeschworen worden ist!«

»Na, mi perdoni, es thut mir leid! Ich werde sorgen, daß der Verweis lediglich mir, nicht Dir erteilt wird.«

»Das ist unmöglich, ich bin der verantwortliche Amtschef!«

»Na, sollten sie es zu bunt machen, so quittierst Du und gehst in Pension! Das weitere laß' meine Sorge sein! Du bist ja doch mein Haupterbe, das heißt, soferne Du nicht vorher Dummheiten machst. Apropos, mit dem ›Engel‹ habe ich gesprochen.«

»Mit Ida?« rief erregt Egon und eine Glutwelle schoß ihm in das feine Antlitz.

»Hui! Tempo presto! Aber nur hübsch langsam! Hast Du bis vor wenigen Augenblicken im Tone der spanischen Inquisition zu Deinem in Ehren ergrauten Oheim gesprochen, so ist es Deine Pflicht, auch jetzt, da wir über eine hübsche Dame reden, schön gelassen und ruhig zu bleiben!«

»Findest Du Ida, will sagen, Fräulein Piffrader nicht auch entzückend?

» Adagio tempo, lieber Freund! Hübsch, nein, schön ist das Mädel, zierlich, elegant, chic, versteht sogar von Pferden etwas! Spricht wie ein Buch, ein allerliebster Käfer! Gestehe willig: wäre begehrenswert, wenn nicht bürgerlich. Thut mir leid, muß beharren auf meinem Standpunkt, es geht nicht!«

»O, lieber Onkel, sei barmherzig! Erteile Deine Einwilligung! Dein Ja macht mich glücklich, erfüllt mein heißestes Sehnen!«

»Hast Du denn wirklich um das Mädel angehalten?«

»Nein, mit keinem Wort! Aber ich liebe Ida heiß und ehrlich! Ihr angetraut zu werden, wäre mein höchstes Glück auf Erden!«

»Und der famose Bierversilberer als Dreingabe dazu! Danke!«

»Was kümmert mich der dicke Bräuer?«

»Freilich, aber ich hätte ihn dann auf dem Hals. Die Protzerei mit der hochgräflichen Verwandtschaft kenne ich! Gott bewahre mich vor solcher Gesellschaft! Lieber heirate ich selber ein Waschermadl von die enteren Gründ'!« näselte Botho in Wiener Vorstadtmundart so drollig, daß Egon auflachen mußte, so wenig rosig sonst seine Stimmung war.

Franz klopfte diskret und trat dann in den Salon mit der Meldung, es wäre eine Deputation da, welche Herrn Grafen Botho Rothenburg den Dank für die Spende ausdrücken möchte.

»Um Gottes willen, das auch noch!« rief Egon ganz bestürzt.

Botho bedeutete dem Kammerdiener, daß der Dank für empfangen betrachtet werde, die Sache erledigt sei, worauf sich Franz entfernte.

»Onkel, was hast Du mir angerichtet!« jammerte Egon.

»Ach was, Unsinn! Wegen solcher Lappalie! Versprich mir lieber, daß Du das dumme Projekt fallen lässest!«

»Niemals! Ich werde keinen Schritt thun, der sich nicht mit meiner Ehre verträgt, aber meine Liebe zu Ida laß' ich mir nicht aus dem Herzen reißen!«

»Primanerliebe!«

»Nein, Onkel! Es ist ein heiliges Gefühl, ich lasse nicht von Ida und wenn sich Berge von Hindernissen auftürmen sollten!«

»So, so! Berge von Hindernissen! Wie sagt doch einer von den dichtenden Hungerleidern der sogenannten klassischen Periode: Geschwind fertig ist die Jugend mit dem Mund oder dergleichen!«

»Onkel, Du ziehst Dir eine Schiller-Beleidigung zu! Willst Du citieren, citiere richtig. Warst schon lange nicht mehr im ›Wallenstein‹!«

»Das fehlte mir noch! Sag' mir lieber, auf welcher Straße ich meine Fuchsen laufen lassen kann. Sind ja miserable Chausseen hier in der Gegend. Werde mal mit dem Statthalter reden müssen!«

»Thu's lieber nicht, Onkel! Unsere Excellenz hat sehr gute Augen und einen weiten Blick. Wer weiß, wie bald in diesem Betreff ein neues Gesetz an den Landtag kommt!«

»Huhu! Wirtschaftspolitik! Da rede ich beinahe lieber über Deine knabenhafte Liebeseselei!«

»Onkel, Du gehst zu weit!«

Graf Botho verließ den Salon, und alsbald sprang sein Diener fort, um die Füchse einzuspannen.

Egon kehrte in die Kanzlei zurück, in deren Vorzimmer die Strikedeputation bereits wartete. Freundlich fragte der Bezirkshauptmann, ob der Bräuer auch erschienen sei. Wörgötter überreichte einen Brief Piffraders, den Egon sogleich öffnete.

»Nun, meine Herren, das ist eine erfreuliche Nachricht! Herr Piffrader schreibt mir, daß er die Lohnforderung bewillige, damit entfällt jede weitere Verhandlung!«

Der Obermälzer als Führer dankte dem Bezirkshauptmann für sein gütiges Einschreiten und die freundliche Vermittlung. »Aber eine Bitte hätten wir doch, Herr Graf! Möchten Sie uns nicht den Brief geben, wir müssen ja was Schriftliches haben!«

»Bedaure! Der Brief muß den Akten einverleibt werden! Herr Piffrader wird sein Wort schon einlösen! Gehen Sie sogleich zu ihm, sagen Sie, ich hätte Sie auf Grund seines Briefes geschickt, dann wird die Angelegenheit wohl in Ordnung kommen! Gott befohlen!«

Schwerfällig entfernten sich die stämmigen Gestalten.

Egon begab sich in sein Amtszimmer, froh der Lösung dieser Angelegenheit und insgeheim hoffend, daß der mißliche Eingriff des Oheims folgenlos bleiben möge.

In trockener Diensterfüllung verging ein weiterer Tag. Egon traute der Sache doch nicht völlig, mit einer gewissen Angst nahm er jede Post entgegen und forschte vor allem nach etwaigen Schreiben von der Statthalterei. Ein dicker Brief trug richtig den Aufdruck: »Von der K. K. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg.«

Fast zitterte der Hauptmann bei Öffnung dieses Briefes und zog zwei Schreiben heraus. »Großer Gott, des Statthalters eigene Handschrift!« flüsterte Egon und begann zu lesen.

Ein Seufzer der Erleichterung. Der Landeschef schreibt, es möge dem Grafen die beiliegende Beschwerde zur Kenntnis dienen und eine dienstliche Äußerung hierzu abgegeben werden. Auch würde es den Statthalter interessieren, zu erfahren, ob der in der Beschwerde erwähnte Graf Botho Rothenburg einst im Regiment der Windischgrätz-Dragoner gedient habe. Wenn ja, würde sich der Statthalter freuen, in Graf Botho Rothenburg einen alten Freund und einstigen Kameraden entdeckt zu haben.

»Gott sei's gedankt!« murmelte Egon und griff dann zur Beschwerdeschrift, in welcher der Hauptmann auf den ersten Blick die Handschrift Pitscheiders erkannte. Eine nette Überraschung!

Noch am selben Abend ging die dienstliche Rückäußerung zur Beschwerde mit dem Bemerken an die Statthalterei, daß der Bezirkskommissär das Konzept verfaßt habe, das der schreibfaule Beschwerdeführer gleich im Original einsandte.

In seiner vornehmen Denkweise unterließ Egon jede weitere Äußerung, so sehr ihn die Intrigue schmerzte, er wollte dem tückischen Kommissär nicht schaden. Mit dem Vertrauen hat es nun aber ein Ende, Egon ist gewarnt.

Als Graf Botho von der Ausfahrt heimkehrte und Kenntnis von der Anfrage des Statthalters erhielt, jagte der freudig überraschte, in Erinnerungen schwelgende alte Herr sogleich ein Telegramm an den einstigen Waffenkameraden zur dankbaren Begrüßung mit der Einladung zum Besuche in Lienz. Und ein Brief folgte der Depesche mit postalischer Gemächlichkeit nach. Der nächste Tag brachte ein Telegramm des Statthalters, worin ein Abkommen zur Zeit als unmöglich bezeichnet und Graf Botho eingeladen wurde, nach Innsbruck zu kommen.

Der alte Herr war wie verwandelt. Natürlich ist er entschlossen, nach Innsbruck zu fahren und längere Zeit bei seinem alten Freunde zu bleiben. Aber die Sache hat einen Haken. Den gefährlich verliebten Egon aufsichtslos in Lienz zu lassen, das geht unter keinen Umständen, es muß jemand aus der Familie zur Überwachung da sein, jemand, der die gleichen Anschauungen über Mesalliancen hat und dem girrenden Tauber die Heiratsgelüste auszutreiben vermag.

»Heureka! Ich hab's!« rief Graf Botho und begab sich zum Telegraphenamt, wo er depeschierte:

 

»Gräfin Agnes Pejacsevits, Schloß Málfa bei Veszprim, Ungarn.

Erbitte dringend Deinen Besuch auf längere Zeit. Bin bei Egon seßhaft in Lienz. Freuen uns auf Dein Kommen. Motiv mündlich. Drahtantwort.

Onkel Botho.«

 

Das Geheimnis hütete der alte Herr, bis zum Abend während des Soupers die Antwort einlief:

 

»Graf Botho Rothenburg, Lienz, Tirol.

Mit Vergnügen. Ankunft nächsten Sonntag.

Agnes.«

 

Egon hielt das ihm von Botho überreichte Telegramm in Händen und fragte: »Du hast Nissi eingeladen, weshalb? Dieses Paprika-Quecksilber-Weib in meiner stillen Hütte?!«

»Eine nette Geschwisterliebe, das muß ich sagen!« spottete Botho.

»Ich habe Schwester Nissi gewiß herzlich lieb, aber in der Entfernung noch lieber. Ihr Temperament kontrastiert zu sehr. Gott, wird das ein Rumor werden! Ich könnte auch rufen: ›Ich wollt' es wäre Schlafenszeit und alles wär' vorüber!‹«

»Sehr freundlich! Aber ich will Nissi hier haben, und hoffe, Du hast nichts dagegen!«

»Bitte, verfüge nach Deinem Belieben!«

»Bist ein prächtiger Mensch, Egon, bis auf – na, Du weißt schon. Vielleicht kuriert Dich Nissi von Deinem Herzleiden!«

»Ah, deshalb hast Du die Gräfin Pejacsevits gebeten?! Ich verstehe! Graf Botho beordert Hilfstruppen! Wird Dir nichts nützen, Onkel, mein Gefühl sitzt zu tief und ist stark genug, alles zu überwinden! Wenn nur Ida auch so fest hält ...«

»Hoffentlich weiß des ›Engels‹ Herz von solchen Gefühlen nichts! O, wie freue ich mich auf Nissi, die hat Leben in sich!«

»Ja, das hat sie, mehr Feuer, als meinem Naturell angenehm ist!« Ein Seufzer begleitete diese Worte Egons.

»Also abgemacht. Ich lasse noch schnell von Wien Möbel für die rückwärtigen Appartements kommen ...«

»So soll Nissi auf längere Zeit hier bleiben?«

»Gewiß, solange sie es aushält, ich hoffe auf einige Monate!«

»Gottlob, daß wir im Winter stehen. Der wird der genußsüchtigen Schwester den Geschmack am Städtchen rasch genug verleiden. Nissi auf dem Feuerwehrball, Nissi mit Holzknechten tanzend, herrlich, gottvoll!«

»Papperlapapp! Auf Málfa hat sie nicht einmal solche Vergnügungen und in Veszprim ist auch nichts los. Punktum! Sie kommt! Gute Nacht, Egon!«

 


Ende des ersten Teils.

 


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