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III.

Mit den Worten: »So bitte ich denn die Herren Beamten, mich in Führung der Amtsgeschäfte unterstützen zu wollen, und zugleich gebe ich Ihnen die Versicherung, Ihnen stets ein gerechter Chef zu sein!« schloß Graf Egon Rothenburg, welcher zur Amtsübernahme gleich den übrigen Bezirksbeamten Dienstuniform, Flottenrock und Schiffhut nebst Degen trug, den Aktus. Der Reihe nach, vom Kommissär angefangen, reichte er den Herren die Hand, zuletzt dem Sekretär Ladurner, welcher scheu und schuldbewußt vor dem Chef stand. Ein ironisches Lächeln lag auf Egons Lippen; einen Moment schien der Graf zu überlegen, ob hier Gnade und Nachsicht angezeigt sei oder nicht. Schon hoffte die Säule, da sprach der Chef halblaut: »Ihnen, Herr Sekretär, muß ich nahelegen, sowohl im Amte als auf den wenigen einem Manipulanten zuzuweisenden Kommissionen die unerläßlichen Beamteneigenschaften im Auge zu behalten. Sie verstehen mich doch? Oder soll ich Ihnen den Matreyer Abend ins Gedächtnis rufen?«

»Um Gottes willen nicht, Herr kaiserlicher Graf!« stammelte zu Tod erschrocken der Sekretär und fügte beteuernd hinzu: »Ich bitt' Euer Gnaden, es wird gewiß nimmer geschehen!«

»Nun gut! Für diesmal will ich von einer Ahndung absehen. Aber bitte, hüten Sie sich!«

»Ich küß d' Hand, Herr Graf, für die gnädige Gnad'.«

So leise Egon aus zarter Rücksicht gesprochen, um den Verweis nicht in aller Ohren zu bringen, die krächzende Stimme, die laute Dankesbezeugung Ladurners ließ die Konzeptspraktikanten wie den Kommissär Pitscheider und den Forstkommissär die Wahrheit ziemlich leicht erraten, zumal der Sekretär im Amte ja als ein »Aufdraher« und schrecklicher Renommist hinlänglich bekannt war.

»Nun bitte ich, zu den Dienstgeschäften zurückzukehren!« sprach Egon und nickte den Herren freundlich zu, die sich tief verbeugten und hintereinander das geräumige, doch zur Zeit noch kahle, mit Dienstmöbeln dürftig ausgestattete Bureau des Hauptmanns verließen.

Stolz und hochaufgerichtet schritt durch den Korridor Kommissär Pitscheider, eine Gestalt mittlerer Größe, schwarzhaarig und mit einem auffallenden Blick in den dunklen Augen, einem Blick, der nichts Gutes kündet, sofern das Auge der Spiegel der Seele ist. Vor dem Hauptmann hatte Pitscheider eine Demut bekundet, die im schreienden Gegensatz steht zu seinen sonstigen Gepflogenheiten und der Liebäugelei mit jener demokratischen Phrase, die in der » Égalité im Wasser« gipfelt. Jetzt allein in seinem Bureau zischte der Kommissär vor sich hin: »Hochmütiger Aristokrat, Dich werd' ich noch klein kriegen, ich, die Stütze des Amtes!«

In der benachbarten Stube hatten die beiden Konzeptspraktikanten ihre Kanzlei; der eine ein Deutscher, Franz Baron Meyer-Treßhof, der zweite ein gebürtiger Südtiroler, Silvio de Trentini, der zum Deutschlernen in diese Bezirkshauptmannschaft geschickt worden ist.

Trentini, ein hochaufgeschossener, junger Mann mit pechschwarzem Haupthaar und Henriquatre-Bart, stand zur Zeit mit der »arten daitsen Sprack« auf schärfstem Kriegsfuß und hatte dienstlich völlig ungefährliche Sparten übertragen erhalten, in welchen kein Unheil angerichtet werden konnte. Gleichwohl mußten seine Akten vom deutschen Kollegen in Bezug auf Sprachfehler der Revision unterzogen werden, was für den stattlichen, feschen Baron Treßhof eine sehr unerwünschte Arbeitsbelastung ergab und ihn veranlaßte, bei jeder Gelegenheit über ganz enorme Überbürdung zu jammern.

Der Welsche radebrechte seine Meinung über den eben beendeten Akt der Vorstellung und Amtsübernahme und brachte mühsam heraus, daß der Aktus ohne Einladung zum Diner sehr mager gewesen sei.

»Denken Sie an die deutschen Akten, nicht immer ans Essen!« rief zornig Treßhof von seinem Pult zum Schreibtisch des welschen Kollegen hinüber.

»Prego, sein Sie alle junges Gesell, il conte, il commissario, signor barone collega und ick, alle gewesen an Taverna, wo nix kriegen zu ess', nur un poco. Sangue della Madonna, warum sein il conte nix vereiratet!«

»Tod und Teufel! Taci! Ihnen fehlt auch bloß noch das ›Eiraten‹ und ein Loch im Kopf!«

»O, ick eiraten sehr gerne, wissen Sie passende Partie, signor collega? Viel Geld, noble Abstammung, wenigstens sein contessa, non billiger!«

»Da suchen S' nur in loco, in Lienz wimmelt es von Baronessen und Komtessen!« höhnte Treßhof.

»Wie? Was sagen signor barone? Wimmeln? Wo? Was wimmeln? Ick aber nix gesehen Damen!«

»Weil Sie eben blind sind und zu wenig deutsch können! So alt möcht' ich werden, bis Sie selbständig einen Akt in deutscher Sprache erledigen können!«

» Patate!« knurrte der geärgerte Welsche, der recht gut deutsch verstand, jedoch sich nicht in dieser Sprache ausdrücken konnte.

»Ich geb' Ihnen gleich einen patate! Seien Sie froh, wenn Sie sich deutsche Erdäpfel verdienen können, Sie welscher Seidenwurm!«

Der verknöcherte Amtsdiener Wörgötter stapfte ins Bureau, um zu fragen, ob den Herren Praktikanten etwas zur Marend (Frühstück) geholt werden müsse.

»Mir nicht!« brummte Treßhof und kritzelte an einem Aktenstück.

Trentini flüsterte: » non posso!«

Wörgötter fühlte mit dem ewig hungrigen Welschen Mitleid und erklärte sich bereit, die Summe für ein paar »Heiße mit Krenn« auszulegen. Dann aber fügte der Amtsdiener hinzu: »Nun, meine Herren! Was sagen Sie zum neuen Chef? Ein vornehmer Herr, natürlich ein Graf, so vornehm, daß er auf das Einstandsfassel ganz vergessen hat!«

»Wörgötter, Sie werden doch nicht über unseren Chef losziehen wollen!?« rief Treßhof.

»Keinen Schein, Herr von Meyer!«

»Ich bin der Baron Treßhof!«

»Sehr wohl! Sie gehören auch zu der vornehmen Gesellschaft. Sie wissen schon, gelten S'! Na, bis zum nächsten Ersten wart' ich schon noch, länger geht's aber nimmer. Meine Alte will endlich einmal Ordnung haben.«

»O, stehen der Amtsdiener so forte unter Pantoffel?« spottete der schwarze Welsche.

Erbost wendete sich Wörgötter an Trentini. »Sie, mein lieber Herr, haben es auch nicht nötig, das Aufmanndeln. Sonst red' ich mit 'm Herrn Grafen ein Wörtl über die Verschuldung des Praktikantentums. Kommt mir auch nicht darauf an, bei der nächsten Inspektion dem Herrn Statthalter eine Andeutung zu machen, mit seinem Kammerdiener, dem ›Hofrat‹ Wondraschek, bin ich befreundet; es kostet ein Wort, und der Herr von Trentini spaziert in ein Amt, wo sich die Füchse gute Nacht sagen! Verstanden!«

» Si! Machen Sie keine Faxen!« stotterte betroffen und eingeschüchtert Trentini.

Wörgötter begab sich ins Expedit, wo er seinen Freund, den Sekretär, wußte, der mehr Verständnis hat für eine so beispiellos »klanglose Amtsübernahme«. Auf die erste diesbezügliche Andeutung sprang Ladurner vorsichtig zur Thüre, welche die Verbindung zum Bureau des Forstkommissärs bildete, und überzeugte sich, ob ein Lauscher dahinter stehe. Diese Kanzlei war leer, der Forstkommissär also fortgegangen. Nun hatte es keine Gefahr für einen Erguß schöner Seelen.

Wörgötter legte los und sprach von der Leber weg. »Fast ein halbes Jahr haben wir die schwere Arbeit gehabt, alles machen müssen ohne den Hauptmann, ein Fortfretten, jeder überlastet, immer in der Hoffnung auf einen ergiebigen Einstand; und jetzt ischt er da, der Herr Graf, und kein Wörtl hat er geredet. Was sagen Sie dazu, Herr Ladurner?«

»Sein thut's schon ein Elend! Ich hätt' es nicht geglaubt. Aber so sein sie, die vornehmen Herren! Wie ich gehört hab', es kommt ein Graf, hab' ich mir gleich gedenkt: Brüderl, da spukt's! Mit 'm Satttrinken auf 'm Grafen seine Koschten ischt es nix. Dafür hat er was anderes gethan!«

»So? Was denn?« fragte in zudringlicher Neugierde der Amtsdiener.

»Einmal ischt es eine eigene Sach' mit dem neuen Grafen: der kommandiert nicht, er sagt immer nur: ›Bitte!‹«

»Dös sein mir schon die rechten, die alleweil bitten, das ischt viel schlimmer, als wenn einer fescht kommandiert!«

»Ja, und dann hat er gebeten, man möge das Pfeifenrauchen in den Kanzleien unterlassen.«

»Was nicht gar?« rief überrascht Wörgötter aus.

»Ja, ich bitt' Ihnen, lieber Freund! Bei dem kleinen Gehalt! Was hat denn unsereins sonst, wenn nicht das Pfeifenrauchen zum Magentäuschen. Eine Marend und Jause leidet es unsereinem eh nicht, will der hungrige Magen was, muß er getäuscht werden durchs Rauchen. Jetzt ischt das auch noch verboten! Na, die armen Mundisten und Diurnisten werden schauen!«

»Ich bin ganz perplex! Also das Pfeifenrauchen hat der Herr Graf gar verboten?! Na, der fangt gut an! Wahrscheinlich raucht er selber nicht!«

»Er trinkt auch nichts!«

»Was Sie nicht sagen: Er raucht nicht, er trinkt nicht! So, so! Dös sein schon die Wahren! Wer nicht raucht, ischt kein guter Mensch, das hat schon der frühere, alte, jetzt pensionierte Wachtmeister von der Gendarmerie gesagt und der war ein Menschenkenner, wie's keinen zweiten giebt in ganz Tirol. Der hat die Spitzbuben schon gekennt, bevor sie was angestellt haben. Na, dem neuen Herrn Hauptmann kann ich kein gutes Konversationslexikon ausstellen, ich nicht!«

»Werfen S' decht nicht mit den Fremdwörtern herum, Sie verstehen es ja decht nicht. Man sagt Prophylaktion in dem Fall!«

»Na, Sie derstickter Bettelstudent mit Ihneren zwei Klassen Lateinschul' haben die Weisheit auch nicht mit 'm Schöpflöffel eing'nommen! Wissen S', Ladurner, das mit der Säule glauben Ihnen bloß die Leut', die vom Amtswesen keinen Dunst haben, wir Beamte nicht, verstanden!«

»Na ja, sein S' nur wieder gut! Wenn wir untere Beamten nicht zusammenhalten, bei den oberen sein wir ja so wie so nix.«

»Ja, dös ischt wahr! Ischt decht schon ein bürgerlicher Hauptmann mehr als wir, und erscht gar ein adeliger.«

»Sein thut's ein Elend! Wird allweil schlechter! Wir müssen uns im Amt plagen bis aufs Blut –«

»Gehen S' zu: Sie und plagen bis aufs Blut, das glaubt Ihnen der stärkste Mann nicht!«

»Sagen müssen wir selles und jammern dazu, sonst wird aus der Gehaltsregulierung in Ewigkeit nix.«

»Da haben Sie wieder recht!«

»Na also! Und die Versorgung der Aristokraten in den Ämtern überall –«

Die Dienstklingel im Expedit erklang scharf, gebieterisch.

»Jessas, der Graf! Gleich, gleich! Wie der läuten kann! Ja, ja, diese Adeligen, man möcht' glauben, der Statthalter selber hätt' g'litten (geläutet). O, mein, was werden wir unter dem ›Neuchen‹ noch alles erleben!«

»Was Gutes nicht! Na, zwei Jahrl'n hab' ich noch, dann geh' ich in Pension, mit und ohne Grafen!« knurrte Wörgötter, indes Ladurner katzbuckelnd davonhüpfte.

Wenige Tage nach der offiziellen Amtsübernahme sollte zu Ehren des neuen Bezirkschefs ein von den Beamten wie vom Stadtmagistrat arrangierter Festabend im großen Saale des Piffraderschen Bräuhauses stattfinden. So sehr sich der im Innersten seines Wesens bescheidene Graf Egon Rothenburg gegen jedwede laute Ehrung sträuben mochte, die Stadthonoratioren ließen im Drängen nicht nach, der Bürgermeister wußte die Angelegenheit so zu drehen, als gelte der Festabend lediglich der amtlichen Stellung des Hauptmanns und sei es daher auch Dienstpflicht, die Versammlung zu besuchen.

Auf diese Andeutung schnappte der Graf in seinem stark entwickelten Pflichtgefühl und Amtseifer sofort ein, Egon sagte sein Erscheinen zu.

Wer ganz andere Gefühle hegte, das war Piffrader, Idas Vater, Brauereibesitzer, Hotelier, Gemeinderat und Landtagsabgeordneter. Ein tüchtiger Geschäftsmann, hatte er sein Geschäft in die Höhe gebracht, immer das Wort von der Pflugschar als Devise hochhaltend: Rast ich, so rost ich! Für das Beamtentum schwärmte dieser Self-made man durchaus nicht, aber dem Festabend zu Ehren des neuen Bezirkshauptmanns redete er sein gewichtig Wort, um das Geschäft dieses Abends den anderen Wirten wegzufischen, sein Bier abzusetzen und seinen Saal auszunutzen. Auf seinen Rat hin mußte das Lokal mit Festons und Guirlanden geschmückt werden, selbstverständlich auf Magistratskosten. Der kleine Bräuer entwickelte lebhafte Thätigkeit, als das Abendfest in seinem Hause durch Magistratsbeschluß gesichert war, quecksilbrig schoß er am Nachmittag vor dem Feste hin und her und machte den Handlangern und Bräugehilfen flinke Beine. Im Saalarrangement half Ida trefflich mit, die schmucke Tochter war begeistert, ihr Scherflein zur Ehrung des liebenswürdigen Bezirkshauptmanns beitragen zu können, ihr im Institut geläuterter Geschmack bewirkte, daß der anfangs plump angebrachte Saalschmuck verfeinert wurde, ja, eine gewisse Eleganz erhielt. Ida ließ Blattpflanzen aus ihrem Boudoir in den Saal bringen, arrangierte einen allerliebsten Hain, in welchem des Kaisers Büste aufgestellt wurde, darüber eine Art Baldachin, dessen grüne Guirlanden mit Fahnenstoff in schwarz-gelben und weiß-roten Farben umwunden wurden.

Piffrader stand während dieser Arbeit neben seiner zierlichen, schönen Tochter und freute sich über deren Geschmack bekundende Anordnungen. Plötzlich aber kam ihm beim Betrachten der Flaggenstoffe der Gedanke, wer denn diese bezahle, und nach seiner Gepflogenheit wurde mit solchen Gedanken nicht lange hinter dem Berge gehalten.

Ida meinte lächelnd: »Aber Vaterle! Solche Bagatelle ischt decht nicht der Rede wert!«

»Was Bagatelle? Alles koschtet Geld und mit Kleinem muß man das Sparen anfangen, sonst bringt man es zu nichts!«

»Weiß schon, Papa! Mit dem Salz und den Zündhölzern muß man das Sparen anfangen!« lachte Ida im gutmütigen Spott.

»Gewiß! Das ischt mein heiliger Ernst! Wohin kämen wir auch im Landtag, wenn ich nicht immer und allzeit fürs Sparen wäre! Für die Saaldekoration muß der Magistrat aufkommen, also auch für den Fahnenstoff.«

»Es ischt schon gut, Vaterle! Es wird schon aufgerechnet!«

»Wer's glaubt!«

»Aber ja, ganz gewiß! Du sagst ja zu allem, ob es paßt oder nicht: ›Wer's glaubt!‹ Das ischt schon Deine Gewohnheit! Aber sieh' nur, Papa, dieses Arrangement wirkt nun wirklich prächtig, ich glaube, der Herr Graf wird seine helle Freude daran haben!«

»Wer's glaubt! Der Bezirkshauptmann ischt ein Adeliger und wird wohl schon bessere und schönere Arrangements gesehen haben. Wirscht es erleben, der Mann wird die Lippen verziehen und lacht heimlich.«

»Graf Rothenburg ischt zu sehr ein feingebildeter Weltmann, um dergleichen merken zu lassen!«

»Wer's glaubt! Was weißt denn überhaupts Du?!«

Eifrig erwiderte Ida: »Ich habe den Grafen decht schon kennen gelernt oben im Gschlöß und bin mit ihm von Matrey bis Huben gefahren.«

»Papperlapapp! In den paar Stunden wird ein junges Ding da gleich einen Mann studiert haben und noch dazu einen Aristokraten. Die Leut' von der Sorte darf man jahrelang kennen und man weiß dann decht nichts. Die geben sich nie wie sie sind.«

Ida wollte replizieren, als der Bezirkskommissär Pitscheider in den Saal kam, um auf ein Halbstündchen die Dekorationsarbeiten zu besichtigen. Süßlich grüßend trat der Beamte näher und lobte sogleich in übertriebener Weise: »Ei der Tausend, das ischt ja ganz wunderbar! Ja, ja, wo Damenhände im Spiel sind, muß ja was Feines zu Tage treten! Fräulein Ida hat Geschmack, ganz auserlesenen Geschmack! Ein Großstadtdekorateur kann es nicht feiner und eleganter machen.«

»Wer's glaubt!« brummte Piffrader.

Ida lehnte die Schmeichelei kühl ab, was den Kommissär veranlaßte, ihr einen giftigen Seitenblick zuzuwerfen, sogleich aber zog er die Lippen zu breitem Lächeln und erwiderte: »Es ischt meine Überzeugung, Fräulein! Wie wird sich der Herr Graf geehrt fühlen!«

Ida antwortete: »Die Ehrung gilt dem neuen Chef in seiner neuen Amtsstellung; es fällt daher jedes persönliche Moment weg.«

»Meinen Sie? Nun ja, wie gnädiges Fräulein wollen! Mir kann es recht sein.«

»Bitte, Ida Piffrader ischt kein ›gnädiges‹ Fräulein, eine Bräuerstochter hat mit Gnaden nichts zu thun und keine zu verteilen.«

»Bravo! Das nenn' ich das richtige Standesgefühl!« lobte Piffrader.

»Ich sehe schon, dem Fräulein kann ich es niemals recht machen! Weiß der Himmel, wodurch ich mir solche Ungnade zugezogen habe!«

»Hören S' auf, Herr Kommissär!« warf der Bräuer ein. »Sie haben decht grad' g'hört: In meinem Hause giebt es keine Gnaden, es kann also auch keine Ungnade geben. Die Hauptsache ist, daß jeder seine Sache ordentlich zahlt.«

»Was wollen S' damit sagen, Piffrader?«

»Zeche fröhlich, zahle ehrlich! So lautet ein Bandspruch im altdeutschen Kneipstübchen! Im übrigen bin ich der Herr Piffrader, auch bei Ihnen, Herr Kommissär.«

Ida benutzte die Gelegenheit, da sie nicht ins Gespräch verwickelt war, um dem Tapezier eine Anleitung zu geben und zog sich dann aus dem Saal zurück.

Der Kommissär nahm die Entfernung Idas wahr und ärgerte sich darüber. Doch schien es ihm nicht gerade unangenehm, mit dem Bräuer einige vertrauliche Worte sprechen zu können. Halblaut und mit etwas gesucht humoristisch klingenden Worten sprach er: »Lassen Sie decht die kleinlichen Reibereien! Ich weiß schon, ein besonderer Freund des Beamtentums sind Sie nun einmal nicht. Es war meinerseits ja nicht bös gemeint. Der Herr Piffrader sind und bleiben Sie immer. Wollte Gott, ich wäre in Ihrer Haut und ein wirklicher Herr! Sie wissen es ja gar nicht, wie schön Sie es auf Erden haben, ein wirklich unabhängiger Mann auf eigenem Grund und Boden, Herr Ihrer Entschließung und Ihrer Zeit. Wenn Sie etwas nicht selber wollen, kein Mensch kann Ihnen befehlen oder dreinreden.«

Geschmeichelt erwiderte Piffrader: »Gott sei Dank, sell ischt so! Aber gar oft sind halt die Verhältnisse decht stärker als der menschliche Wille. Es geht auch mir nicht immer alles nach Wunsch aus, wer's glaubt!«

»Aber decht eine andere Position als die meinige. Wie lange hat denn meine Herrlichkeit gedauert? Die paar Monate war ich der Amtsleiter, jetzt ischt der neue Chef da und ich kann wieder kuschen und schön Buckerl machen!«

»Wer's glaubt! Werden S' halt selber Hauptmann!«

»So geschwind geht das nicht bei uns. Oberkommissär werd' ich ja in allernächster Zeit, dann aber heißt es decht noch einige Jährchen warten, bis eine Hauptmannschaft frei wird. Als ›Ober‹ kann man sich aber schon sehen lassen, und eine Frau gebührendermaßen ernähren, meinen S' nicht auch, Herr Abgeordneter?«

»Schon, ganz wohl! Klopfen S' nur an, notabene in Familien, wo der Beamte mehr gilt als der Bürgersmann.«

Der Kommissär biß sich auf die Unterlippe.

»Aber jetzt verzeihen S' wohl, ich muß hinter meinen Leuten sein! Heut abend giebt es Kaiserbier, etwas ganz Feines, süffig, sag' ich Ihnen, wie Münchener, aber decht besser und licht wie der Jungfrau ihre Haar, wissen S', die am Rhein immer nicht weiß, warum sie sich die blonden Haar kampelt!«

»Die Lorelei meinen Sie, was?«

»Auf den Namen kommt's nicht an; wenn nur's Bier gut ischt! Na, Sie werden spitzen!«

»Wie lang lagert denn dieses Kaiserbier schon?«

»Sie, solche Fragen gehen einen politischen Beamten gar nichts an, verstanden! Nicht einmal die Finanz, die bei uns in Österreich überall ihre Nasen dreinhaben muß.«

»Pardon, Herr Piffrader! Ich fragte lediglich vom Standpunkt des Bierkiesers, dem ein gutgelagerter Stoff das höchste ischt.«

»Wer's glaubt!«

»Aber gewiß, Herr Piffrader! Sie wissen ja, ich stehe immer und überall auf Ihrer Seite! Wenn S' was brauchen von der politischen Behörde, dann wenden Sie sich immer nur an mich! Der Hauptmacher bin ich ja decht, der Hauptmann unterschreibt ja bloß!«

»Wer's glaubt! Aber es kann ja einmal sein, und dann werd' ich schon so frei sein. Ja, ja, sein könnte es; mir gefällt das Gemunkel unter meinen Bräugehilfen schon längere Zeit nicht recht, könnt' gar sein, daß die Höllteufeln mehr Lohn haben wollen. Da kommen sie aber an den Unrechten! Das fehlet noch, in Tirol und striken wie in Deutschland die Specialdemokraten. Na, na, selle Importsachen brauchen wir nicht in Tirol; was in Deutschland ischt, muß nicht auch bei uns sein. Wir haben in Tirol schon ganz andere Verhältnisse. Ich bin gewiß ein Freund des Volkes, das hab' ich oft genug gesagt im Landtag, aber mein Gerschtl (Geld) behalt' ich beisammen. Sollen nur dann andere selber schauen, wie sie in die Höh' kommen! Jawohl! Geld verdienen ischt ja so viel leicht, wer's glaubt!«

»Sie befürchten einen Strike, Herr Piffrader?« fragte lauernd der Kommissär.

»Ja!«

»Dann bleiben Sie nur fescht und rechnen Sie auf mich. Ich, das heißt in diesem Falle Macht und Gewalt stehen auf Ihrer Seite. Manus manum lavat!«

»Sehr freundlich von Ihnen! Aber was Sie da noch in der fremden Sprach' gesagt haben, sell möcht' ich schon auf deutsch wissen. Mit dem fremden Zeug wird unsereiner gern angeblümelt!«

»Na, das lateinische Citat heißt soviel als: Eine Hand wäscht die andere! Sie verstehen decht, nicht?!«

»Na! Ich wüßt' nicht, warum ich Ihnen eine Hand waschen soll!«

»Das ischt sehr einfach. Ich unterstütze Sie im drohenden Lohnkampf, und Sie – hm –«

»Was?«

»Nun, Sie haben eine Tochter –«

»Mit Verlaub, Herr Kommissär, jetzt muß ich aber wirklich zu meinen Leuten, es pressiert! Schamster Diener, gelten S', nichts für ungut! Vielleicht reden wir später noch über diese Sach'! Und Ihre Unterstützung, falls die Kerle wirklich striken wollen, nehme ich dankbar an. 'pfehl mich sehr, Herr Kommissär! Habe die Ehre!« Flink enteilte der kleine, dicke Bräuer.

Pitscheider stand mit höchlich verdutztem Gesicht, das sich alsbald verzerrte. »Verdammter Protz!« zischte er und schritt dann durch den Saal hinaus, der Kanzlei zu.

Früh dämmerte es, der trübe Oktobertag ging zur Rüste, Nebelschwaden schlugen vom Spitzkofel herunter und rückten aus dem Drauthal herein in das stillfriedliche Städtchen Lienz, dessen Honoratioren und Familien heute abend vor Festbeginn nichts weniger denn schläfrig waren.

Der längliche, festlich geschmückte Saal in Piffraders Bräuhause war fertig zum Empfang der Gäste. Fichtenkränze belebten die öden, einst weißgetünchten, nun geschwärzten Wände, von den Ecken zogen kreuzweise Guirlanden durch den Saal, welchen ein Kronleuchter mit zahlreichen geschliffenen Glasstangen und einigen Dutzend Wachskerzen, sowie Petroleumlampen matt beleuchteten. Petroleumgeruch, Tannenduft und die zwei erstmals angeheizten Eisenöfen spendeten ein Parfüm, in welches sich der Gulyasgeruch aus der Küche mischte, ein Duftchaos, das ebenso anheimeln wie abstoßen konnte.

Der halbe Saal war mit weißgedeckten Tischen und Rohrstühlen gefüllt, die andere Hälfte offensichtlich dem Tanzvergnügen reserviert. Die Galerie, deren Geländer auch mit Fahnenstoffen drapiert ist, dient den Musikern zum Aufenthalt, und birgt bereits die dorthin verbrachten Instrumentenkasten. Breit steht die rot-weiß angestrichene große Trommel oben, und eine Baßgeige lehnt wie lebensmüde in einer Ecke.

Auf acht Uhr ist das Fest angesetzt, daher fanden sich die ersten Gäste um eine Stunde früher ein, um nur ja recht gute Plätze einnehmen zu können, möglichst nahe dem durch einen Blumenstrauß kenntlich gemachten Ehrentisch, auf welchem außerdem ein Plakat lag: »Reserviert«.

Steif, kühl, fast ängstlich verhielten sich die ersten Gäste, Bürgerfamilien mit Töchtern, aufgeputzt so gut es ging mit Rücksicht auf Kosten und die Leistungen von eigens bestellten Störnäherinnen. Dünne Fähnchen, die durch Schleifen und bunte Bänder belebt wurden. Erwartungsvolle gerötete Gesichtchen mit hellen Augen und einer unverkennbaren Freude über die Abwechslung im Alltagsleben des Städtchens. Junge Herren tauchten im Saale auf, möglichst in Schwarz gekleidet, ängstlich im Schwarm bei einander stehend, bis freundliche Zureden sie ermutigten, da und dort an die Tische zu treten und unter steifen Verbeugungen die Erlaubnis zum Platznehmen zu erbitten. Dann ein Stuhlrücken, Tuscheln, Gucken, wiewohl nichts zu sehen war als da und dort eine Aushilfskellnerin, welche nach den Befehlen fragte und hübsch langsam Speisen und Getränke herbeischleppte. Das Erscheinen der Familien des Richters und des Bürgermeisters steigerte die Erwartung der schon Anwesenden; Stimmengewirr erfüllte den Saal und die Musiker begannen ihre Instrumente auszupacken, Geigen wurden gestimmt, die Baßgeige brummte probeweise und ein schriller Klarinettenlaut gixte.

»Si thian schun öppas blasen!« meinte ein kleines Fräulein und stieß die Nachbarin mit dem Ellbogen an.

Einem Feldherrn gleich kam Piffrader, den dicken kurzen Leib in einen Schwarzrock gepreßt, so eng, daß die Knöpfe zu platzen drohten. Prüfend überflog des Bräuers und heute sozusagen Hausherrn Blick das Arrangement; befriedigt nickte er und schritt grüßend durch die Tischreihen. »Hab' die Ehre, guten Abend allseits aufzuwarten. Haben die Herrschaften schon bestellt? Ja, schön! Kaiserbier heute, süffig, was? Freut mich! Neues Faß Burgunder angestochen, famoser Tropfen, steht zur Verfügung! Halte feinste Bouteillenweine empfohlen! Kleinoschegg Schampus ist eingekühlt, bitte zu verlangen!«

Einige Schritte weiter kam Piffrader zum Ehrentisch, an dem die Bürgermeisterfamilie und die Richterischen sich placiert hatten. »Ah, schon bereit! Habe die Ehre, Herr Bezirksrichter, guten Abend zu wünschen! Gnä' Frau befinden sich wohl, ja, freut mich! Fräulein Cenzi wie eine Blume, lieblich ach und fein, wie der Dichter singt! Backhendl kann ich sehr empfehlen, später was Süßes für die Damen! Weiß schon, wer's glaubt! Grüß Dich Gott, Herr Bürgermeister! Siehst blaß aus, das reinste Bleichgesicht unter Rothäuten! Natürlich, die Feschtrede im Leib! Trink fein nix, bis die Red' aus dem Leib ischt! Laß Dir ein parfümiertes Kracherl Sodawasser mit Fruchtsaft. geben, sell ischt gut, erfrischt den Geist, wer's glaubt! Als Parlamentär weiß ich das!«

Die Reihen hinauf und wieder herab kam Piffrader just dem Bezirkskommissär in den Lauf. »Ah, Herr Kommissär, auch schon da, habe die Ehre! Wo werden Platz nehmen? Heiratsfähige Töchter genug da, so viel wie Brennesseln! Ehrentisch?«

Pitscheider knurrte: »Danke für Obst! Werde mit meinen Konzeptpraktikanten separat wo sitzen!«

»Wie's beliebt! Ihre Praktikanten hocken aber noch im altdeutschen Zimmer, dort ischt's Essen um einige Kreuzer billiger. Habe die Ehre, Herr Kommissär! Viel Vergnügen!«

Weiter schob sich der Bräuer, das ganze Gesicht glänzte vor Freude und Schweiß. Lauter, immer lauter und lebhafter wurde es im warm werdenden Saal, ganz Lienz war nun erschienen, es fehlte nur noch der Festgast.

Hedwig trug ein etwas phantastisch aufgeputztes Kaschmirkleid, das rotblonde Haar mit einem Kranz von Epheublättern geschmückt, und wirbelte auf Piffrader zu, der die Bäckertochter erschrocken anstarrte und dann wenig höflich rief: »Ja, Madel, wie haben S' denn Dich an'zogen!«

Zornig zuckte Hedwig zusammen: »Herr Piffrader, sell' verbitt' ich mir! – Wo ischt Ida?«

»Wird wohl noch oben sein im Kammerl und sich putzen für den Festgast! Sein thut's ein Elend mit den Weibets! Nix wie Putzsucht! Wer's glaubt!«

Hedwig rauschte hinweg, Piffrader grinste im Gefühle, der ihm unsympathischen Bäckerstochter wieder einmal einen unblutigen, doch festsitzenden Stich versetzt zu haben.

Knapp vor acht Uhr war die ganze Beamtenschaft vollzählig, Steueramt, Bezirksgericht, Domänenverwaltung und die Bezirkshauptmannschaft bis auf Egon.

Die Herren stellten sich zum Spalier auf, an der Spitze der Bürgermeister, dem die Lippen nervös zuckten.

An der mit Tannenreis geschmückten Eingangsthüre postierte sich Piffrader mit einer Serviette in der Rechten, mit der er das Zeichen für die Musiker geben wollte.

Punkt acht Uhr trat Graf Egon ein, tadellos in Galakleidung, Frack, weiße Binde, den Klapphut zusammengedrückt in der weißbehandschuhten Linken tragend.

Piffrader winkte; ein schmetternder Tusch rauschte durch den Saal, Stühle klapperten und fielen um; die Damenwelt ist aufgestanden und macht lange Hälse, den schönen Grafen-Bezirkshauptmann zu sehen, der leider von dem Herrenspalier völlig verdeckt ist.

Piffrader als erster drückte Egon die Rechte und stammelte: »Willkommen, Herr Graf in meinem Hause! Haben S' die Ehr' und treten Sie ein!«

»Besten Dank für freundlichen Empfang! Doch bitte, keine Umstände, meine Herren!« sprach, verbindlichst nach allen Seiten grüßend, Graf Rothenburg.

Die Beamten standen wie die Mauern; eine quälende Stille trat ein, aller Blicke waren auf den Bürgermeister gerichtet, der todesbleich mühsam nach Luft schnappte und nach Worten rang.

In Piffrader regte sich der Parlamentarier, boshaft rief er mit seiner fetten Stimme in den kirchenstillen Saal: »Lauter!«

Grabesstille. Schon will Egon der peinlichen Situation ein wohlthätig Ende bereiten, da hebt der Bürgermeister an: »Hochverehrter Herr Graf und Bezirkshauptmann!«

»Bravo!« rief Piffrader, den der Teufel zu reiten schien.

»Herr kaiserlicher Graf! Sie haben die Ehre, wir haben die Ehre und begrüßen Sie in unserer Mitte. Leben Sie wohl! Er lebe hoch, hoch, hoch!«

»Tusch!« schrie Piffrader unter einem Sticklachen, das ihm die Augen weit aus den Höhlen trieb.

Trompeten und Hörner schmetterten, die Trommel wirbelte, die Versammlung akklamierte wie befreit jubelnd den Ehrengast.

Egon blieb stehen, bis wieder Ruhe eintrat und sprach dann mit sonorem, sympathischem Organ: »Gestatten die Herrschaften, daß ich Ihnen allen für den wohlgemeinten und herzlichen Willkomm meinen aufrichtig empfundenen Dank sage. Zugleich gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß es meiner Amtsführung vergönnt sein möge, zum Wohle und Gedeihen des mir anvertrauten Bezirkes wirken zu können. Gerne weile ich heute in Ihrer Mitte und bitte die verehrten Herrschaften ohne weitere Rücksichtnahme auf meine Person in entente cordiale zu einem gemütlichen Abend beitragen zu wollen! Guten Abend allerseits!«

Nun war der Bann gelöst; die Herren beeilten sich, dem Grafen die Hand zu drücken, die Vorstellungen begannen. Egon, vom schwitzenden, nun knallrot im Gesicht gewordenen Bürgermeister geleitet, begrüßte jede der vorgestellten Damen in gewinnendster Liebenswürdigkeit. Nach einem Stündchen konnte er glücklich am Ehrentische Platz nehmen, wo die Honoratiorendamen nun eine Unmenge Fragen zu stellen wußten: ob sich der Herr Graf schon eingewöhnt habe, wie ihm die Luft bekomme und dergleichen.

Immer gleich höflich und liebenswürdig horchte Egon, gab Bescheid und ließ mit keiner Miene merken, wie peinlich diese neugierigen Fragen wirkten. Ab und zu irrte sein suchender Blick durch die Reihen und kehrte enttäuscht zurück.

Piffrader hatte sich herbeigeschlängelt, er will den Ehrengast eigenhändig bedienen und daher schob er die nach Befehlen fragende Kellnerin grob weg mit den Worten: »Abfahren! Den Herrn Grafen bediene ich selm! Herr Graf, was ischt Euer Gnaden gefällig?«

»O, sehr gütig! Es ist ja Bedienung da!«

»Nein, nein! Den Ehrengast bedean ich selm! Was darf ich bringen? Wein, Bier?«

»Nun, um Ihren Willen zu erfüllen, ich bitte um eine halbe Flasche Gießhübler!«

Piffraders Gesicht zog sich in die Länge. »Und was für einen Wein darf ich bringen?« tönte es gedehnt, wie enttäuscht.

»Ja so, das muß wohl sein? Nun, dann bitte eine halbe Flasche Vöslauer!«

»Sehr wohl, Herr Graf! Werden wir gleich haben!« Sich umdrehend winkte Piffrader zur Galerie hinauf und rief: »Musik!« Dann stapfte der Wackere quer durch den Saal zur Schenke.

Während nun ein flotter Marsch den mählich mit Cigarren- und Cigarettendampf sich füllenden Saal durchbrauste, suchte Egon abermals mit sehnsüchtigem Blick den Mädchenflor ab. Nichts von Ida zu sehen. Welche Enttäuschung! Oder doch ein Hoffnungsfunke? Ist das dort unten nicht die Begleiterin Idas, die zweite Sommerfrischlerin? Hedwig hat Egons suchenden Blick aufgefangen und für sich gedeutet.

Lodernd, verlangend flog das optische Antworttelegramm zurück, so heiß, daß Egon erschrocken die Augen senkte. Und ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf: »Gott, wie sieht das Mädel aus!«

Piffraders Ida erschien zum großen Bedauern Egons nicht im Saale und ohne die junge, zierliche Dame war dem Grafen der Festabend öde. Nach dem Fräulein zu fragen, ist nicht schicklich; selbst eine versteckte Frage müßte das Mädchen und den Grafen sofort in den Mund der ohnehin neugierigen Leute bringen.

Mit halbem Ohre hörte Egon den an ihn gerichteten Gesprächen zu, die meist Fragen waren, ob der Herr Graf von Wien komme oder schon einige Zeit in Tirol gewesen ist. Höflich, doch kurz waren Egons Antworten und selbst das dieselben begleitende verbindliche Lächeln vermochte die Enttäuschung der Honoratiorendamen nicht zu beheben. Wie hatten sich die Ehrentischfrauen und -fräuleins darauf gefreut, mit einem wirklichen, hochgeborenen Grafen diskurieren zu können, aus seinem Familienleben etwas zu erfahren oder gar aus dem Verkehr seiner Person mit den höchsten Herrschaften bei Hof in Wien! Und der Graf sagte schier gar nichts und das Wenige nur knapp! Mit dem erhofften, vornehmen »Ratscherl« (Schwätzen) ist es sonach nichts. Bleibt nur noch der Tanz, von dem wenigstens die jungen Fräuleins etwas erhoffen dürfen, denn mit Richters Cenzi und Bürgermeisters Laura muß der Graf tanzen, das geht nicht anders, das ist des Ehrengastes Pflicht. Egon entschuldigte sich für einige Zeit, er müsse nun wohl auch dem Beamtentisch seinen Besuch abstatten. Kaum war der Graf außer Gehörweite, ging es los am Ehrentisch und die spitzen Zungen bekamen Arbeit.

An zwei Tischen saßen die Beamten von der Bezirkshauptmannschaft, so der Bezirkskommissär Pitscheider mit seinem falschen Blick, der Forstkommissär und die von der altdeutschen Stube gekommenen beiden Konzeptpraktikanten. Die »Säule« Ladurner hatte es nicht gewagt, an diesem Tische Platz zu nehmen, der Sekretarius saß weiter unten bei dem Gerichtskanzlisten und dem Steueradjunkten, wo er sich wohler fühlen konnte und vor Sticheleien seiner Vorgesetzten sicher war.

Die Bezirksbeamten erhoben sich, als Egon an ihren Tisch trat, daher Graf Rothenburg mit gewinnender Liebenswürdigkeit bat, es möchten sich die Herren nicht inkommodieren. »Ein angenehmer Abend,« meinte Egon, »ich bin den Herren Arrangeuren aufrichtig dankbar. Und wie hübsch alles dekoriert ist! Feiner Geschmack.«

Pitscheider krümmte den Rücken und scheinheilig sprach dieser Heuchler: »Kein Wunder, Herr Graf! Hochdieselben werden mit dero geläutertem Blick und Kunstsinn leicht die Damenhand erkannt haben, welche hier gewaltet, das Ganze geleitet hat!«

Überrascht rief Egon: »Wie? Eine Dame hat die Dekoration dirigiert? Darf man fragen, wem das geschmackvolle Arrangement zu danken ist?«

Pitscheiders Augen blickten lauernd auf Egons Antlitz, als der Kommissär sprach: »Das ischt kein Geheimnis. Im Gegenteil sehr leicht zu erraten, das gnädige Fräulein vom Hause.«

Mit knapper Not unterdrückte Egon noch den freudigen Ruf: »Ida!« doch glänzte ein Freudenschimmer auf seinem geistvollen Antlitz, der die angenehme Überraschung nur zu deutlich offenbarte.

Pitscheiders Lippen zuckten, doch gelassen sprach der Kommissär: »Jawohl, Herr Graf, Fräulein Ida, die gnädige Dame des Hauses, hat das Arrangement geleitet. In specie die hübsche Blattpflanzengruppe ischt Fräulein Idas eigenstes Werk; opferwillig hat das Fräulein die eigenen Pflanzen aus dem Privatgemach hierherbringen lassen.«

»Wie liebenswürdig von dem Fräulein!« sprach Egon, dem wohlig um das Herz war. »Doch warum ist das Fräulein nicht sichtbar in unserem Kreise?«

Höhnisch antwortete Pitscheider: »Die Gnädigste hat Jour.«

»Was ist das? Ich verstehe nicht!« meinte Egon.

»Bei aller feinen Institutsbildung und -erziehung, die Herr Piffrader seiner verzärtelten Tochter angedeihen ließ, hält der Wackere, durch und durch Geschäftsmann, wie er nun einmal ischt, darauf, daß das ›gnädige‹ Fräulein decht auch arbeitet im Hause.«

»Arbeitet! Wieso?«

»Durch einen Besuch am Büffett können Sie sich, Herr Graf, persönlich überzeugen, daß Fräulein Ida bis zum Tanzbeginn Jour am Büffett hat und aufschreiben muß.«

Egon zuckte leicht zusammen, welche Bewegung dem lauernden Blick Pitscheiders nicht entgangen war. Der Hieb sitzt also.

»Ach so!« meinte Egon, »nun ja, dergleichen Arbeit schändet nicht.« Den Kommissär durch ein Kopfnicken grüßend, sprach Egon nun Baron Treßhof an: »Wie gefällt es Ihnen, lieber Baron, hier?«

»O, danke bestens, Herr Graf. Bin seit zwei Jahren völlig eingewöhnt und auf dem besten Wege, als Garçon zu verknöchern!«

»Fehlt es denn hier an Familienanschluß?« fragte Egon.

»In abondance! Aber nichts für uns!« lachte Treßhof.

»Und der gute Trentini?« fragte Egon, den welschen Praktikanten begrüßend.

Trentini verbeugte sich, ohne zu sprechen.

»Nur Mut! Im tempo adagio werden Sie sich schon einarbeiten, so grimmig dem Sohn des sonnigen Südens auch unsere deutschen Akten erscheinen mögen. Die Tedeschi hinunter, die Herren Italiener aus dem Trento herauf, der deutsche Beamte Tirols muß italienisch lernen und vice versa der Welsche deutsch. Der Kalkül unseres verehrten Landeschefs ist ganz richtig: Ist einmal die Beamtenschaft beider Landessprachen mächtig, wird auch ein Sprachengesetz ad hoc überflüssig sein und dem Lande bleibt der Hader und Verdruß, welcher immer mit einem solchen Sprachengesetz verbunden ist, erspart. Also hübsch deutsch lernen, Trentini. Attachieren Sie sich an eine blondzöpfige Germanin, diese sind die besten Sprachlehrerinnen.«

Treßhof witzelte: »Am Willen ad hoc fehlt es auch nicht, aber der gute Silvio will hoch hinaus. Eine Baroneß ischt ihm schier zu wenig. Wo aber in Lienz eine Komtesse hernehmen und nicht stehlen?«

Egon lächelte. »Ja, wenn Trentini solch hochfliegende Pläne hat, muß er sich freilich in eine andere Gegend versetzen lassen.« Den Blick hebend, fragte der Graf den an seiner Seite stehenden Treßhof scherzenden Tones: »Und wo ist die ›gefürchtetste‹ Person des Amtes?«

»Wieso? Wen meinen Herr Graf?« fragte verdutzt Treßhof.

»Nun den allerorts riesig ›beliebten‹ Steuerinspektor der Hauptmannschaft.«

»Ach so! Ja, unser Inspektor Gritz, vulgo ›Steuerschraube‹, und Ärarbereicherer, der Mensch gewordene Fiskus. Geruhen Herr Graf, den Blick schräg hinunter zu richten, so werden Sie finden, daß die Steuerschraube Epheu knabbert. Eine famose Kost für einen Zahlenmenschen!«

Egon blickte hinunter. Richtig sitzt der Steuerinspektor Gritz, ein dürres Männchen in den dreißiger Jahren mit etwas verwildertem Bartwuchs, an Hedwigs Seite, auf Tod und Leben dem grobknochigen Fräulein den Hof machend, wobei der Zahlenmensch sich so sehr Hedwigs Ohr näherte, daß es schien, als wollte er die Epheublätter des phantastisch um Hedwigs Kopf gewunden Kranzes wegbeißen.

»Prost Mahlzeit!« spottete Treßhof.

»Wir wollen nicht stören!« sprach Egon und absolvierte den Besuch nun am Tische, wo der Steuereinnehmer, der Kontroleur, der Gerichtsadjunkt und so weiter auf die Ansprache des Ehrengastes harrten.

Die Musikkapelle spielte ein Stück nach dem anderen, in die Melodien mengte sich das Geklapper von Tellern, Messern und Gabeln, denn es gehört zum guten Ton, daß Honoratiorenfamilien mindestens einmal offiziell an solchem Festabend und nicht vor neun Uhr warm speisen.

Am Ehrentisch war man so rücksichtsvoll, die Speisen erst kommen zu lassen, als Graf Rothenburg wieder auf seinem Platze aß. Der Ehrengast sollte es sehen, wie nobel man sein kann. Egon rückte, um Platz für die Essenden zu machen, vom Tische etwas weg, und hatte nun Zeit, seinen Gedanken Audienz zu geben. Wie gerne würde er Ida am Büffett besuchen. Doch ist das ganz undenkbar, unmöglich. Es heißt ausharren, gute Miene zum wenn nicht bösen, so doch herzlich langweiligen Spiel zu machen. Vielleicht bringt der Tanz die Ersehnte?!

Nach zehn Uhr begannen Walzermelodien zu locken. Egon seufzte und stand auf, um Bürgermeisters Töchterlein gebührendermaßen zum Ehrentanz zu führen. Eine Rundtour herum, immer hübsch rechts, denn der Versuch nach links und Sechsschritt war jämmerlich mißglückt. Die Kleine strahlte aber dennoch vor Glück und Vergnügen, als Egon sie an den Tisch zurückgeleitete. Dann kam Richters Cenzi daran, ein bewegliches Figürchen, das aber mehr auf zärtliches Gespräch denn auf flotten Tanz zu geben schien und schon bei der ersten Halbtour bat, promenieren zu dürfen. »Das auch noch!« dachte Egon, das Opferlamm dieses Abends, und fügte sich ergeben ins Unvermeidliche.

Die tanzlustige Jugend hielt sich diskret zurück; es müssen die zwei Ehrentänze absolviert sein, dann erst gehört der Tanzboden den Jungen.

Wie Egon seine Plaudertasche zum Tisch geleitete, erblickte er Ida, die, in weiße Seide gekleidet, eben durch die Reihen schritt und nach allen Seiten hin grüßte.

Lebhaftes Gemurmel erhob sich, die Kritik über solch' wahnwitzige Verschwendung. Weiße Seide und ein Perlenhalsband von unerhörter Pracht!

»Drei Familien könnten zehn Jahre davon leben, was das Versatzamt auf dieses Perlenkollier leihen würde!« meinte die Richterin so laut, daß Egon jedes Wort hören mußte. Diskret lieferte er schleunigst die Tochter an die scharfzüngige Mutter ab und ging, dem Drang seines Herzens folgend, Ida entgegen, die, überglücklich ob dieser Auszeichnung, herzlichst und dankbarst dem galanten Grafen das Händchen reichte.

Egon hauchte einen Kuß auf den weißen Glacé und bat Ida um die Ehre eines Tanzes.

»Herzlich gerne, mit Freuden, Herr Graf!« lispelte Ida und legte die Hand in Egons Arm.

Verblüfft starrte alles auf dieses unerwartete Schauspiel, aber bald verriet allseitiges Gemurmel, daß die Schleusen der Beredsamkeit geöffnet sind und zwar an allen Tischen und auch in der Menschenmauer, die sich im Halbkreise um den Tanzboden aufgestellt hat. Hedwig mit dem Steuerinspektor glaubte vor Neid platzen zu müssen, ließ aber keineswegs den geangelten Courschneider los.

Pitscheider höhnte so laut, daß seine Stimme die Musik übertönte: »Nobel, grad' nobel! Das Büffettfräulein kommt wie eine Königin von der Schankbudel herein und wird vom Ehrengascht ehrerbietigst zum Tanz geführt! Jetzt hol' ich mir ein Kocherl, weil's gleich nobel ischt!«

Piffrader hatte die Scene gleichfalls beobachtet und wußte nicht recht, soll er sich darüber freuen oder ärgern. Eine Auszeichnung ist das Verhalten des Grafen unter allen Umständen, eine Galanterie, über welche sich die Mütter und Töchter schändlich ärgern werden. Was aber führt dieser auffallend liebenswürdige Graf im Schilde? Einem Aristokraten darf man nicht über den Weg trauen. Und zum Zeitvertreib giebt Piffrader seine schönzierliche Tochter nicht her. Nein, überhaupt nicht, und am allerwenigsten einem Beamten! Aber nett ist es doch vom Bezirkshauptmann! Die Kaiserin selber hätte er nicht eleganter führen können. Und ein bildsauberer Mann ist dieser Graf!

Das zierlich tanzende schöne Paar kümmerte sich nicht um die ringsum befindliche Lästerwelt. Vereint ein Paar sich sympathischer Menschen zu anmutigem Tanz, Herz an Herz. Ida birgt das zierliche Köpfchen an Egons Brust, zärtlich hält der Graf dieses süße Geschöpf in den Armen. Wie herrlich wäre es, wenn er einen Kuß auf dies duftende Haar drücken dürfte!

Ida tanzt leicht, elegant, ein Schweben ist's in höchster Glückseligkeit.

Die Instrumente werden lärmender, der Schluß naht. Ein zärtlicher Druck, ein inniges Pressen des geschmeidigen Mädchenkörpers an die Mannesbrust, dann giebt Egon das holde Mädchen frei und bietet ihm seinen Arm an. Die Blicke tauchen für einen Moment ineinander, ein Aufatmen, ein leiser Druck im Arm, ein zärtlich Wort heißen Dankes, dann gehört das schöne Paar wieder der Welt.

Der Graf geleitet Ida zurück, verbeugt sich tief und dankt nochmals für die Ehre dieses Tanzes. Erglühend zieht sich das Fräulein zurück, was die Lästerzungen erst recht in Bewegung bringt.

Die tanzlustige Jugend aber applaudiert der Kapelle und kündet damit, daß der Walzer da capo gewünscht wird. Flott setzt die Musik wieder ein, und nun giebt es kein Halten mehr, die Jugend will ihr Recht.

Zwanglos wird das Geplauder älterer Herren, die nun den Grafen aufsuchten. Man steht in Gruppen schwätzend, auch politisierend; doch zum Ärger einiger tirolischer Bismärcker reagierte Graf Rothenburg nicht im geringsten. Punkt elf Uhr verabschiedete sich Egon unter nochmaligem Dank für den genußreichen Abend und verließ während einer eben frisch beginnenden Polka unauffällig den Saal.

Ein Viertelstündchen später saß Graf Rothenburg beim Lampenschein am Schreibtische seiner Wohnstube, die vom Kammerdiener Franz mit den von Wien gekommenen Möbeln gleich dem Schlafraum bereits behaglich eingerichtet und wohlig erwärmt war.

Durch Egons junges Herz zitterte noch die wohlige Erregung des ach so kurzen Beisammenseins mit Ida. Jetzt ist es ihm unmöglich, das Ruhebett aufzusuchen, er würde mit offenen Augen liegen müssen. Darum die Stunde des Alleinseins ausgenützt; tagsüber ist ja ein Bezirkshauptmann selbst in außerdienstlichen Stunden nicht Herr seiner Zeit, und Egon mit seiner zartfühlenden Seele, dem weichen Gemüt und angeborener Liebenswürdigkeit für den Geringsten der Bevölkerung erst recht nicht. Zudem hatte Egon den schönen Charakterzug, niemand unnötig warten zu lassen.

Unnötig warten lassen; doch, der Onkel Botho, der liebe, gute, alte Herr, wartet seit drei Tagen, nein, seit schier einer Woche auf den ersten Bericht seines Schützlings und wird sehr gespannt sein, zu vernehmen, wie sich der neue Bezirkshauptmann im neuen Wirkungskreise fühlt.

Darum also endlich geschrieben!

Vom milden Schein der Lampe bestrahlt, lag das weißglänzende Papier mit der Grafenkrone in der Ecke vor Egon, die Feder ist in Tinte getaucht, und dennoch zaudert der Graf mit dem Beginn des Briefes. Seine Gedanken eilen aus dem stillen Gemach des todruhigen Schlosses Liebburg, das Amt und Privatwohnung in sich birgt, hinüber in den Saal, oder genauer gesagt, in das Kämmerlein Idas, welches das liebliche Geschöpf, das zierlichste Wesen Tirols beherbergt.

Diese geheimsten Gedanken, die Sehnsucht, dieses schöne Mädchen dereinst freien zu können, dürfen doch nicht zu Papier gebracht werden!

Egon schloß die Augen und schwelgte in den Gedanken an Ida, deren Bild vor sein geistiges inneres Auge trat mit allem Zauber süßesten Liebreizes.

Vom Turm der Pfarrkirche schlug es die Mitternachtsstunde, der feierliche Ton riß Egon aus der wohligen Träumerei, hastig begann er zu schreiben:

 

»Lieber, guter Onkel Botho!

Verzeihe die Verspätung meines Berichtes, die im Drang der sich überstürzenden Geschäfte wurzelt. Eine Amtsübernahme stellt sich in Wirklichkeit doch anders dar, als im Kopfe eines Idealisten, wie denn auch das Dienstleben weit nüchterner sich anläßt, als ich es mir gedacht. Ich bin aber ganz bei der Sache, liebe meinen Beruf und hoffe meinen Mann ganz stellen zu können, Deinen und des Statthalters Erwartungen vollauf gerecht zu werden.

Die Hauptsache ist das Eingewöhnen, das möglichst rasch zu erzielende Vertrautwerden mit dem Volk und den Verhältnissen des Bezirkes in concreto.

Über meine Erlebnisse der Inkognitoreise will ich Dir gelegentlich mündlich Bericht erstatten. Drollig nach einer Seite, aber auch sehr ernster Natur sind sie; doch hoffe ich, den ›Augustus‹stall, wie wir einst im Theresianum das Wort ›Augias‹ verballhornten, recht bald gründlich zu reinigen, und zwar suaviter in modo, fortiter in re.

Dir, lieber Onkel, sei es eingestanden: Ich bin ungern hierher gegangen. Es ist ja Innsbruck auch keine Weltstadt, aber immerhin ein Ort, in dem sich behaglich leben läßt, in welchem man Standesgenossen, hochgebildete Vorgesetzte und Kollegen findet; an Vergnügungen fehlt es im Winter in der Oenipontana auch nicht.

Des Avancements halber hieß es scheiden, Innsbruck mit Lienz tauschen. Mir graute vor diesem Domizilwechsel und um den Kontrast von der behaglichen Stadt zum kleinen Nest zu mildern, war ich auf den Gedanken verfallen, meinen Bereich von rückwärts als bescheidener Tourist aufzusuchen.

Denke nur, lieber Onkel, ich habe, gewißlich dazu nicht erzogen oder trainiert, Großglockner und Großvenediger bestiegen! Alle Achtung, wirst Du sagen! Salige Fräulein der tirolischen Sagenwelt habe ich in der Eiswelt nicht gefunden, aber ein Menschenkind als Sommerfrischlerin im sogenannten Gschlöß, ein Wesen, wie es sich in meinen kühnsten Träumen kaum gezeigt.

Der Inbegriff von Liebreiz und Zierlichkeit, ein hochgebildetes, fein erzogenes Mädchen, das dem edelsten Hause angehören könnte. Meine Freude war groß, zu vernehmen, daß dieses Idealgeschöpf in Lienz residiert. Grolle nicht, lieber Onkel, ich weiß, was ich meinem Namen, unserem Geschlecht schuldig bin. Idealist war ich immer und habe mir auch in der trostlosen Praktikantenzeit die Ideale, so das Leben verklären und lebenswert machen, nicht rauben lassen. Warum soll ich am Anblick einer entzückenden Mädchengestalt in meinen jungen Jahren keine Freude haben?

Auf Deinem Kopf lastet der Schnee des Alters, und dennoch siehst Du schöne Geschöpfe gern, meines Wissens sogar ohne besonders scharfe Trennung von Bürgertum und Aristokratie.

Also nicht böse sein, lieber Onkel!

Mir verklärt jene Idealgestalt das nüchterne Leben im Städtchen. Selbst die Kanzlei erscheint mir sonnenerfüllt, wenn ich an das reizende Geschöpf denke. Ist das nicht ein heiliges Glück? Denke Dir, ich verhandle mit derbknochigen Hochgebirgsbauern in ödester Dienstangelegenheit und habe dennoch strahlenden Sonnenschein, ein wohliges Glücksgefühl im Herzen. Im Gedanken an jenes idealschöne Frauenwesen weitet sich die Brust.

Unerbittlich rückt der Uhrzeiger von der Mitternachtsstunde hinweg, es wird Zeit, das Lager aufzusuchen, um morgen frisch, den Untergebenen zum Vorbild und Beispiel, frühzeitig im Dienst zu erscheinen.

Zur Not hat mir Franz einige Räume der nebenbei bemerkt sehr schönen Dienstwohnung eingerichtet. Dank Dir, herzlichen Dank, lieber Onkel, für Deine munifizente Möbelspende; ich fühle mich reich, blicke ich auf diese Prachtstücke, welche Deiner Noblesse und Deinem Geschmack alle Ehre machen.

Darf Dir ein Appartement bereitgestellt werden? Du kommst doch zur Inspektion? Bitte herzlich um Deinen lieben Besuch!

Also, teuerster Oheim, Freund und Gönner, auf baldiges Wiedersehen im stillen Lienz!

Mit innigen Küssen und Grüßen

Dein dankbarer Neffe
Egon.«

 

Wie der junge Graf diese Epistel in den Umschlag, der des Oheims Adresse: »Graf Botho Rothenburg, Wien, Burgring«, trug, stecken wollte, kam Egon das Gefühl einer gewissen Bangigkeit. Ist es nicht indiskret, einem dritten Mitteilungen über die herzige Ida zu machen? Und könnte Onkel Botho solchen Gefühlserguß nicht übel deuten? Doch nein, Botho ist die »gute Stunde« selber, ein väterlicher Freund, dem man alle Herzensgeheimnisse anvertrauen darf, dem Egon ja alles verdankt, alle Wohlthaten seines bisherigen Lebens. So ward denn der Brief postfertig gemacht, dann löschte Egon die Lampe und zog sich in sein Schlafzimmer zurück.


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