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IV.

Früher als alle seine Beamten erschien Egon in der um ein Stockwerk tiefer gelegenen Kanzlei, nachdem er Franz mit dem Brief an Onkel Botho zum Postamt geschickt hatte.

Im Bureau war Wörgötter, der den Ofen angeheizt hatte, eben beschäftigt, den Papierkorb zu entleeren und bedächtig sammelte der Amtsdiener die Dienstcouverte ein. Der unvermutet frühe Eintritt des Bezirkshauptmannes entlockte Wörgötter den Schreckensruf: »Jessas, der Graf!«

»Was machen Sie hier? Der Papierkorbinhalt ist zu verbrennen ohne vorherige Schnüffelei, ich bitte, das stets zu beachten. Wenn ich Sie brauche, werde ich schellen!«

Wörgötter stotterte eine Entschuldigung, warf die Papierstücke eilig in den Korb, packte diesen und schlich hinaus.

Egon setzte sich zur Arbeit an den Schreibtisch und öffnete die Dienstschreiben, welche vom Amtsdiener bereits von der Post gebracht worden waren. Privatbriefe befinden sich nicht darunter, durchweg Dienstschreiben in braunen Umschlägen, alle mit der gleichen Adresse: »An die Kaiserlich Königliche Bezirkshauptmannschaft in Lienz«; schon dem äußeren nach nicht geeignet, irgend welche Aufregung hervorzurufen.

Das erste Aktenstück faltete Egon gleichmütig auseinander; die Vorderseite ist ein Dienstschreiben der Bezirkshauptmannschaft Lienz an die Gemeindevorstehung in Bannberg, noch vom Kommissär Pitscheider als Amtsleiter unterzeichnet und folgenden Inhaltes:

 

»Nachdem Landsturmpflichtige, welche gedient haben, nur auf Grund eines Totenscheines in der Sturmrolle gelöscht werden dürfen, so sind über die anher genannten Verstorbenen die pfarrämtlichen Ex offo-Totenscheine einzuholen und anher zu senden. Zwei Beilagen.

K. K. Bezirkshauptmannschaft Lienz.«

 

Auf die Rückseite dieses Amtsschreibens war vom Gemeindevorsteher die Antwort Wörtlich und buchstäblich nach dem Original kopiert. D. V.in ungelenken Schriftzügen geschrieben:

 

»An die k. k. Bezirkshauptmannschaft Lienz.

Die zwei Beilagen der Landsturmpflichtigen werden wieder zurikgesand. Vom Ferdinand Stapf ist mit Brif von seiner Schwester hirher gesand das er gestorben sei, Todtenschein ist kein gekommen. Johann Baggl bin ich selber sofil als wie in der Gegenwart gewesen meine Kummeraten haben ihn begraben er hat sich selber erschoßen im Jahr ... am 16. Juni, wo ich selber dasmal in Ammerika war.

Jh. Förg Vorsteher.«

Egon schmunzelte; dieser Bericht machte ihm Spaß. »Der Tag fängt gut an!« flüsterte der Bezirkshauptmann und öffnete das nächste Schreiben, das wieder ein Vorsteherbericht war und folgendermaßen lautete:

 

»Bezüglich des verlangten Leinwandzeugnisses In gewissen Strichen Tirols bedienen sich die Gemeindevorsteher hartnäckig des Ausdruckes »Leinwand« für Leumund. D. V. kann nur folgendes gemeldet werden: Der Anton N. ist geizig – so geizig, daß er stiehlt, sein Bruder Xaver ist noch geiziger, außerdem ist er mehr als ortsüblich dem weiblichen Geschlecht zugethan und zeitweise abwesend, weil er mit seiner Bukowina im Land umherzieht.«

Der Bezirkshauptmann pfiff durch die Zähne. Seine Neugierde nach weiteren Berichten unfreiwilligen köstlichen Humors war geweckt und flink wurde ein nächstes Schreiben, von der Gemeindevorstehung in ... geöffnet. Hier der Inhalt:

 

»Es ist richtig, daß es in unterfertigter Gemeinde zwei Weibspersonen mit dem Namen Meyer giebt. Welche davon die Polizei haben will, ist mir gleich. Ich kann nur auf Diensteid angeben: Die eine Anna Meyer ist mit der polizeilich ausgeschriebenen Anna Meyer nahezu identisch, die zweite Meyer hingegen ist mit der gesteckt Verfolgten brieflichen Anna Meyer schon mehr als identisch.«

 

Egon mußte lachen, aus vollem Halse lachen. Es scheint, daß der Lienzer Bezirk reich ist an Humoristen. Wer hätte geglaubt, daß die trockene Amtskorrespondenz solche Schätze birgt!

Im Vorzimmer wurde es laut. Im breitesten Gebirgsdialekt verlangte ein Bauer zum Bezirkshauptmann gelassen zu werden, doch der Amtsdiener Wörgötter wollte erst den »Betreff« wissen.

»Was ich vom Hauptmann will, sag' ich eahm schon selm!« gröhlte der Gebirgler. »Laßt mich hiazt eini oder laßt mich nit?!«

Egon hatte jedes Wort gehört und schellte.

Wörgötter erschien sofort und fragte: »Herr Bezirks–, ich bitt', Herr Graf befehlen?«

»Wörgötter! Bitte merken Sie sich das für alle Zeit: Es hat jeder Bezirksangehörige das Recht, zum Hauptmann und Bezirkschef gelassen zu werden!«

»Sehr wohl! Aber ich kann decht nicht jeden Rammel vorlassen?«

»Ich verbiete Ihnen, von den Bauern in solch verletzenden Ausdrücken zu sprechen. Die Beamtenschaft ist wegen der Bevölkerung da und zur Erledigung aller politischen und Verwaltungsangelegenheit berufen und verpflichtet. Merken Sie sich das! Wenn ich ungestört sein und nicht empfangen will, werde ich Ihnen das schon sagen. Lassen Sie den Mann, wenn er wirklich zu mir will, herein!«

Wörgötter guckte den Grafen an, als ob er an der Zurechnungsfähigkeit des Amtschefs zweifelte. Doch auf den leicht verständlichen Wink Egons entfernte sich der Amtsdiener mit größter Schnelligkeit, um hinter der Thür in maßlosem Staunen zu flüstern: »Der wird guet!« Zum Gebirgler aber rief er: »Der Herr Graf erlaubt es, geh' eini, Gscherter!« (Geschorner, Bartloser, ein landläufiger, nicht eben höflicher Ausdruck Bauern gegenüber.)

Der Gebirgler steckte den Kopf in das Zimmer und fragte, wiewohl die Thüraufschrift: »K. K. Bezirkshauptmann« jeden Zweifel beheben mußte: »Mit Verlaub, bin ich da reacht zum Hauptmann?«

Egon rief ihm vom Schreibtisch entgegen: »Jawohl, nur herein! Was wünschen Sie von mir?«

Vorsichtig trat der Bauer näher und drückte den Hut fest an die Brust.

»Wer sind Sie?« fragte der Graf.

»Kennen S' mich nit? Sell ischt schad'! Ich kimm decht so oft zum Amt!«

»Ich habe das Amt erst vor wenigen Tagen übernommen, kann daher noch nicht alle Leute persönlich kennen. Also wer sind Sie und was wollen Sie von mir?«

»Ich bin seither der Gemeindevorsteher von ... und hoff' es zu bleiben. Ich bin so freundlich, sein S' so frei, Herr Bezirkshauptmann, und haben S' die Ehr'!«

»Gut! Und was wünschen Sie?«

»Der Weg ischt soviel weit, Herr Hauptmann, sein S' nit bös, wenn ich müd' bin. Alsdann was der Herr Kommissär will, ich kann's beim beschten Willen nit durchführen.«

»Was wollte denn der Herr Kommissär von Ihnen?«

»Ich soll ein Taufzeugnis vom Gemeindeangehörigen Joseph Thäter beibringen. Der heißt aber gar nicht Joseph, er ischt als Franzl im Taufbuch eingetragen, und der Herr Pfarrer kann kein anderes Zeugnis geben als auf Franz Thäter. Selles Zeugnis will aber der Herr Kommissär nicht anerkennen.«

»Nun, ich werde mit dem Herrn Kommissär darüber reden. Was mich wundert, ist, daß Sie den weiten, beschwerlichen Weg ob solch verhältnismäßig geringfügiger Sache gemacht haben. Ein kurzer Bericht hätte ja auch genügt!«

»Ich schreib' nit gern, Herr Hauptmann! Meinen S', ich soll den Franz Thäter auf Joseph frisch taufen lassen? Dös wär' aber decht nit fein (angenehm)!«

»Unsinn! Die Sache wird sich schon auf anderem Wege regeln lassen. Haben Sie sonst noch ein Anliegen?«

»Na, es freut mich, daß ich Ihnen gesehen hab'! Mit Verlaub haben S' die Ehr'! Pfiat Gott, Herr Hauptmann!« Der Mann absolvierte einen Kratzfuß und schritt langsam zur Thüre, vor welcher er sich umdrehte und abermals zum Bezirkshauptmann sprach: »Nix für ungut! Ich hätt' ein Jagdhündl, einen ausgezeichneten Daxl, seller jagt wie der Teufel selber. Wenn S' ihn möchten, ich thät' Ihnen ein Präsent damit machen, weil ich den Daxl neammer brauch'. Mögen S' ihn, ischt ein soviel gutes Hundele!«

»Danke, mein lieber Vorsteher! Als Beamter kann ich keine Geschenke annehmen. Behalten Sie nur Ihren Hund! Wenn Sie kein weiteres Anliegen haben, können Sie sich nun entfernen.«

»Ich dank', Herr Hauptmann! Nix für ungut!«

Wieder schritt der Mann zur Thüre, kehrte aber zum zweiten Male um und ging jetzt erst auf das eigentliche Thema zum Zwecke seines Besuches über mit den Worten: »Hiazt hätt' ich bald vergessen, Herr Hauptmann, wissen Sie oder wissen Sie's nit, es ischt ganz gleich – hiazt sag' ich's Ihnen und daher wissen Sie's decht: Ich hab' ein'geben um die Poschtmeisterstell' in meinem Dorf, und da thät' ich Ihnen halt reacht schön bitten, daß Sie mir ein gutes Wort dabei reden bei der Poschtdirektion in Spruck – von Ihnen hängt ja alles ab! Mögen S' den Daxl wirklich nit?«

»Schon gut! Kommt die Anfrage an mich, so werden wir ja sehen!«

»Ich dank', Herr Hauptmann!« Dann ging der Mann endlich aus der Kanzlei.

Egon schellte dem Sekretär, welcher offensichtlich übernächtig in jenem Zustand war, den ein Studentenspruch treffend schildert: »Den größten Kater, lehrt Erfahrung, kuriert ein saurer Harung«.

»Herr Graf befehlen?«

»Heben Sie die Akten der letzten zwei Jahre betreff Gemeinde Huben aus und bringen Sie mir selbe noch im Laufe des Vormittags!«

»Zu Befehl, Herr Graf! Die Akten sind aber sehr umfangreich, der Hubener Gemeindevorstand ischt ein Streithansl.«

»Danach habe ich Sie nicht gefragt, bitte erledigen Sie meinen Auftrag!«

»Zu Befehl!« Wie ein begossener Pudel schlich Ladurner, die »Säule« der Bezirkshauptmanschaft, hinaus.

Wörgötter meldete eine »neue Partei«.

Höflich grüßend trat ein Jungbauer ein und brachte schüchtern vor: »Ich bitt', Herr Bezirkshauptmann, ich möcht' heiraten! Es pressiert!«

Egon schmunzelte: »So?«

»Ja, es pressiert damisch (sehr)!«

»Nun, wenn ich recht verstehe, soll das ›es pressiert‹ wohl heißen, es solle das kirchliche Aufgebot beschleunigt werden. Sie wünschen also statt dreimal, wie es Vorschrift und üblich ist, nur einmal von der Kanzel verkündet zu werden. Habe ich recht?«

»Ja!«

»Schön! Sie haben sich aber in diesem Falle an den unrechten Herrn gewendet. Wegen eines solchen Dispenses müssen Sie Ihren Herrn Pfarrer zuerst bitten! Wenn Sie diese Erlaubnis haben, dann kommen Sie wieder zu mir. Bringen Sie dann aber einen Fünfzig-Kreuzer-Stempel mit. Das weitere will ich Ihnen hernach gerne besorgen lassen!«

Entrüstet rief aber nun der Jungbauer: »Was, zum Pfarrer zurückgehen? Da derfet ich eine gute Stund' z'rucklaufen und aftn wieder herrennen! Und einen Stempel kaufen? Fünfzig Kreuzer ausgeben für nix und wieder nix! Na, Herr Hauptmann! Wenn das sellene Umständ' macht, dann laß ich's Heiraten ganz! Pfiat Gott, Herr, ich mag hiazt neammer!«

Und flink enteilte der Bursch.

Wörgötter in seinem Ärger lauerte förmlich auf Parteien und hatte eine grimme Schadenfreude, dem Hauptmann immer wieder einen störenden Besuch in die Kanzlei zu schieben.

Als dritter kam ein Bauer mit einem Zettel in der Hand.

»Sie wünschen?«

Statt jeder Antwort überreichte der Gebirgler den Vorladungszettel. Rasch las Egon den »Betreff«, aus welchem hervorging, daß Baron Treßhof sich diesen Mann citiert hatte, und sagte dann:

»Sie heißen Joseph Neururer vulgo Mausmetzger Mausmetzger scheint mir eine dialektische Verballhornung des Wortes »Maßmesser« (Kornhäufler, Kornmesser) zu sein. D. V. und –«

Beleidigt unterbrach der Bauer des Grafen Rede. »Na, Herr! So heiß' ich fein nit!«

»So? Wie heißen Sie denn? Auf dem Vorladezettel steht es doch ganz deutlich!«

»Ich heiß' Joseph Neururer, und weil es daheim zwei von dem Namen giebt, heiß' ich der Mausmetzger, und so hat schon mein Großvater g'heißen!«

»Nun also! Sie heißen Joseph Neururer, vulgo Mausmetzger!«

»Na, in Ewigkeit nit! Vulgo laß ich mich nit heißen!«

Mit Mühe unterdrückte Egon den Lachanfall, läutete und befahl dem Amtsdiener, diese Partei zu Baron Treßhof zu führen.

Die Zeit war mittlerweile zur Mittagsstunde vorgerückt. Da Egon einen eigenen Haushalt noch nicht führte, war er auf die Wirtshauskost angewiesen. Die Frage war nun die: soll der Graf sich wie bisher seit einigen Tagen das Diner vom Kammerdiener aus der Bahnhofsrestauration holen lassen oder soll er zu Piffrader essen gehen?

Egon überlegte nicht lange; in sofortiger Bethätigung des blitzschnell gefaßten Entschlusses griff er nach Hut und Überrock und pilgerte ins Etablissement Piffrader.

Ein Tisch der altdeutschen Trinkstube ist im Bräuhause den »Kostknaben«, wie Piffrader die ledigen Beamten und Mittagsgäste nannte, reserviert und jeder Stammgast hat seinen bestimmten Platz, den sicher einzunehmen jeder der Herren geradezu erpicht war. Das Präsidium führte Kommissär Pitscheider, links und rechts von ihm saßen die Konzeptspraktikanten, dann der Gerichtsadjunkt, der Steuerinspektor nebst einigen Herren des Steueramtes weiter unten.

Zufällig warf Trentini einen Blick durchs Fenster und erschrocken schrie er: »Chef kommt!«

»Wer? Was?« klangen die Rufe der überraschten Herren.

Graf Rothenburg war infolge Mangels jedweder Orientierung im Hause in die gewöhnliche Gaststube geraten und dem zufällig anwesenden Piffrader in die Hände gelaufen.

»O, Herr Graf! Welche Ehre! Habe die Ehre, ich bitte, hab'n S' die Ehr' und kommen S' mit! Sie werden decht nicht in der Kutscherkneip' bleiben wollen?! Wollen S' bei mir speisen? Freut mich sehr, o, ich werde dafür sorgen, daß Sie was Ordentliches zu essen kriegen, Herr Graf! Bitt' schön, spazieren S' nur weiter ins altdeutsche Pumpzimmer, Pardon, wollte sagen Prunkzimmer! Tiroler Knödel giebt's heute für die Koschtknaben, Ochsenfleisch von der Kuh und Beilagen und Palatschinken! Wer's glaubt! Darf ich Herrn Grafen fragen: Hat's gut bekommen, ja? Freut mich! Wer's glaubt! Hat ziemlich lang gedauert, schad' ums Licht, ischt wenig 'trunken worden, Schampus gar keiner! Ich sag's immer: die wahre Noblesse ischt ausg'storben!«

Unter diesem Wortschwall Piffraders war Egon in das altdeutsche Zimmer geleitet worden, dessen Insassen sofort respektvollst sich von den Sitzen erhoben und den Bezirksobersten begrüßten.

»Bitte sich nicht stören zu lassen,« sprach höflich und liebenswürdig grüßend Graf Rothenburg und legte ab.

Pitscheider wollte von seinem Stammplatz rücken, doch Egon litt es nicht und nahm an einem in der Nähe befindlichen kleinen Tisch Platz, den Piffrader sogleich decken ließ.

Wäre nicht der Steueradjunkt, ein junger, lebfrischer Zillerthaler mit einem unverwüstlichen Humor, gewesen, die Grabesstille in der Stube hätte beängstigend wirken müssen. Die Beamten schwiegen, und Egon verzehrte sein Menü gleichfalls wortlos. Der Zillerthaler aber konnte nicht still sitzen, reden ist ihm ein Bedürfnis und so sprudelte er die tolle Bemerkung heraus: »Hiazt ischt es aber decht grad', als wären wir allsamt verheiratet unterm Pantoffele! Ich aber laß mich nicht einfädelen!«

Egon lachte und sprach herüber: »Und warum nicht?«

Mit den Armen zur Abwehr durch die Luft fahrend, erwiderte der muntere Zillerthaler: »Sell ischt sehr einfach, Herr Bezirkshauptmann! Mit dem kleinen Gehalt komm' ich selber kaum aus, könnt' ein Weibets schon gar nicht ernähren! Geaht nit!«

Amüsiert rief Egon: »Nun, so heiraten Sie doch eine reiche, junge Dame!«

»Oha! Sell wär' erscht das Wahre! Na, na, Herr Graf, so dumm bin ich nit! Da heißt's dann immer: ›Halt, Bürschel, Du bleibst mir schön daheim!‹ – Mit'm Wirtshausgehen hätt's ein End'! Lieber nit, Herr Graf! Lieber kein Weib und kein Geld, aber frei sein! Eppas einen Kredit hat der Mensch ja decht, und mit der Zeit werd' ich decht auch Kontrolor und mit grauen Haaren Einnehmer! Dann fehlt sich ja so nixen mehr!«

Trentini meinte zaghaft: »Ick schon möchten ricco heiraten und –«

»In Pension gehen!« spottete Treßhof, »man kennt ihn schon, den welschen Pappenheimer!«

» Niente pensione! Wollen sein erst capitano, ma in Trento!« replizierte Trentini.

»Wünsche wohl gespeist zu haben!« sprach Pitscheider, dem es in Gegenwart Rothenburgs unbehaglich war, und entfernte sich. Seinem Beispiele folgten rasch nacheinander die übrigen »Kostknaben«, so daß Egon zur Tasse schwarzen Kaffees allein in der Stube saß. Sein heimlicher Wunsch wollte sich nicht erfüllen. Resigniert griff der Graf nach den wenigen im Lokal aufliegenden Tagesblättern, um lesend noch ein Viertelstündchen zu verbringen. Doch der Kopf war nicht bei der Lektüre, Egon ertappte sich auf der oft bespöttelten Frage: »Ob sie wohl kommen wird?« und ärgerte sich über sich selbst.

Es ist auch geradezu eine lächerliche Situation: Sitzt der verhältnismäßig hohe Beamte Graf zu Rothenburg aus uraltem Adelsgeschlecht seufzend in der Wirtsstube gleich einem verliebten, blöden Jüngling und hofft auf das Glück, wenigstens das Kleid der Vergötterten rascheln hören zu können. Fehlte nur noch Onkel Botho, um die Situation ins Bizarre zu steigern.

Die Thür ging auf, im Hauskleid erschien Ida, jäh errötend beim Anblick des einsam sitzenden Grafen, in allerliebster Verlegenheit.

Egon sprang auf, freudig überrascht, nun selbst im ersten Moment befangen, heiß schlug ihm das erregte Blut zum Halse hinauf.

Ida faßte sich rasch: »Ei, Herr Graf hier! Willkommen bei uns! Ich hatte keine Ahnung von Ihrer Anwesenheit, sonst hätte ich gewiß meine Pflicht erfüllt!«

Wieder Platz nehmend, sprach Egon fragenden Tones: »Ihre Pflicht erfüllt? Wie meinen das gnädiges Fräulein?«

»Bitte, Herr Graf, ich bin nur das Fräulein Ida Piffrader! Und meine Pflicht wäre gewesen, den hochgeschätzten Gast zu begrüßen und ihm nach der Landessitte etwas Gesellschaft zu leisten! Wenn Sie gestatten, hole ich das Versäumte geschwind nach. Doch ich sehe, die Moidl hat vergessen, Ihnen das Glas Wasser zum ›Schwarzen‹ zu geben. Mit Verlaub, ich werde ...«

»Bitte nein! Ich möchte –«

»Sie möchten mich nicht servieren sehen?« lächelte Ida. »Das Servieren läßt sich aber mitunter nicht vermeiden. Die Tochter eines Gasthofbesitzers muß wohl ab und zu Hand mit anlegen, was just keine Schande sein wird.«

»Gewiß nicht!« pflichtete Egon bei, um seine geheimsten Gedanken zu beschwichtigen.

»Waren Herr Graf mit dem Menü zufrieden? Bitte ganz offen etwaige Bemerkungen zu machen und Wünsche zu äußern. Ich bin ja nicht die Köchin, kann daher einen Tadel anhören, ohne beleidigt sein zu müssen. Gewissermaßen befinde ich mich im Zustande der Exterritorialität!«

»Ei der Tausend! Fräulein Ida haben diplomatische Kenntnisse?«

»Wundert Sie das? O, Herr Graf, wir haben im Institut Diverses gelernt, was für eine Bräuers- und Hotelierstochter nicht absolut nötig gewesen wäre!«

»Was Sie sagen! Doch über dem Plaudern vergesse ich ganz, mich zu erkundigen, wie Ihnen der Festabend bekommen hat!«

»O, danke vielmals, Herr Graf! Nach dem Ehrentanz, den Sie mit mir zu tanzen die Güte hatten, mußte ich ja zur Pflicht zurück, und am Büffett war zu besonderem Echauffement keine Veranlassung gegeben. Ich weiß auch gar nicht, wie lange die Sitzung und der Tanz gedauert hat. Hoffentlich waren Herr Graf von dem guten Willen einigermaßen befriedigt, die Sache selbst ließ ja zu wünschen übrig. In kleinen Orten geht es nicht besser, der Wille muß da oft das Werk ersetzen!«

»O, tausend Dank, Fräulein Ida! Ihnen ganz speciell muß ich für das opferwillige Arrangement danken ...«

»Bitte, Herr Graf, kein Wort weiter darüber! Über eine selbstverständliche Sache wollen wir lieber nicht parlieren. Nur nicht unnütz schwätzen!«

»Ein löblicher Grundsatz bei Männern und bei Damen schon gar!« neckte Egon, dem wundersam wohlig ums Herz war.

»Spotten Sie nur, es ischt decht so, das heißt nach meiner unmaßgeblichen Meinung. Freilich macht eine Schwalbe bekanntlich keinen Sommer und in kleinen Orten muß das Schwatzen vielfach anderweite Vergnügungen, wie Theater, Konzerte und so weiter ersetzen.«

»Vermissen Fräulein Ida derartige Vergnügungen schwer?«

»Nein! Ich bin an Thätigkeit gewöhnt, betrachte weibliche Arbeit als Lebensbedürfnis. Der Mensch ischt ja auch der Arbeit wegen auf der Welt. Vergnügungen sind ja angenehme Zerstreuung, deren jedoch der Naturfreund nicht so sehr bedarf. Ein Spaziergang zum Abend in Gottes freier Natur zu jeder Jahreszeit ischt Erholung und Genuß und stärkt den Menschen. Zu betrachten giebt es da immer etwas, die Natur ist alt und ewig neu, man muß nur richtig schauen können!«

»Ach ja, Sie haben mir ja schon im herrlichen Gschlöß oben das Richtige sehen gelehrt. Es wäre schön, wenn wir den Unterricht herunten in der Ebene fortsetzen könnten!« Ein inniger Blick begleitete dieses heimliche Werben um die Gunst eines Spazierganges.

Ida senkte den Blick und schwieg für einen Moment, dann richtete sie die schönen Rehaugen auf Egon und sprach leise: »Will es ein Zufall, so sollen Sie mir ein angenehmer Begleiter sein, Herr Graf, wir wollen aber nie vergessen, wo und wer wir sind. Verzeihen Sie, ich muß nun zur Arbeit zurück und habe Sie schon zu lange aufgehalten.« Ida reichte dem Grafen die Hand zu flüchtigem Abschied und wippte dann zierlich und elegant zur Thüre hinaus.

Nun litt es Egon nicht länger im Lokal; die Zeche war schnell beglichen, und mit raschen Schritten entfernte er sich.

Träg und trüb schlichen die Nachmittagsstunden dahin; still bis auf das Federgekritzel war es in den Amtsstuben der Bezirkshauptmannschaft.

Egon saß über einem dicken Aktenbündel, das der Sekretär auftragsgemäß abgeliefert hatte, und studierte den Fall betreffend Anstände in Huben. In solcher Arbeit verblaßte für eine Weile das Bild Idas im Herzen des emsig schaffenden Oberbeamten. Die Aktenlesung verschlang einige Stunden, dann war Egon aber gründlich unterrichtet und ersah zu seinem Staunen, daß jener Vorsteher ihm gegenüber doch eine Unverfrorenheit bekundet hatte, die man nicht alle Tage antrifft. In allen Fällen sind endgültige Endscheidungen der Statthalterei erfolgt, es ist dem Vorsteher die Versehung des Dienstes eines Gemeindeaufsehers verboten worden und ebenso untersagt, daß das Schulhaus zu Magazinen und Musikproben benutzt werde.

Da hieß es nun, ein für allemal ein Exempel statuieren, und Graf Rothenburg, der seelensgute Mann, schrieb einen Bescheid schärfster Art an die Gemeindevorstehung in Huben, so scharf, daß Egon bei Durchlesung hinterher fast etwas wie Erbarmen fühlte. Ordnung muß aber innegehalten werden, sonst tanzen die Bauern auf den Beamtenköpfen. So schellte denn der Hauptmann und beauftragte den katzbuckelnden Sekretär, das Konzept ausfertigen zu lassen und zur Unterschrift vorzulegen. »Muß heute noch in Auslauf kommen!«

Akt um Akt wurde aus den übrigen Sparten zur Unterfertigung eingeliefert, Egon in seiner Gewissenhaftigkeit mühte sich ab, alles zu lesen, bevor er seinen Namen unterzeichnete, und darüber wurde es spät.

Nicht wenig neugierig, das erste Konzept des neuen Chefs zu lesen, war Ladurner in seine Stube zurückgekehrt, gefolgt vom Amtsdiener, dem die »Säule« ein Zeichen gegeben.

Wörgötter fragte gespannt: »Was ischt denn schon wieder los?«

»Das erschte Konzept vom ›Neuchen‹ hab' ich da! Wollen S' nicht auch hören, was unser ›sanfter Heinrich‹ schreibt?«

»Heißt er denn Heinrich? Ich habe geglaubt, der Graf heißt Egon!?«

»Sie sind ein – na, ich will mich in der Zoologie nicht weiter ausdrücken! Also loosen S' zu, Wörgötter!« Ladurner verlas das Schriftstück, wobei vor maßlosem Staunen seine Augen immer größer wurden. Am Schlusse sagte der Sekretär: »Heiliger Reichsadler! Das steckt sich der Vorsteher nicht an den Spiegel! Wer hätt' das geglaubt! Jessas, kann der neuche Chef scharf sein! Na, gute Nacht! Wenn der mit uns auch so umspringt, dann, Wörgötter, werden wir früher pensioniert als im Gehalt aufgebessert!«

Der Amtsdiener war kleinlaut geworden und stammelte: »Da heißt es aber aufpassen! Sakra, der Graf versteht seine Sach'! Ich werd' das Spassettelmachen decht lieber bleiben lassen! Na, so was! Den zwei Praktikanten will ich's stecken, auf daß sie nicht hereinfallen. Ja, ja, es geht eine andere Luft, das merk' ich. Aber dem Kommissär sag' ich nix, der soll nur z'ammen wachsen mit dem Hauptmann, den kürzeren wird schon der Pitscheider ziehen, sell ischt gewiß.«

Nach diesen Worten schlich Wörgötter davon.

Die »Säule« ließ das scharfe Schriftstück von einem Diurnisten kopieren, und trug das Aktenstück dann demütig zum Hauptmann. Im Arbeitseifer hatte Egon völlig übersehen, daß die Kanzleischlußstunde längst verstrichen war. Bei Lampenschein arbeitete er fort.

Im Vorzimmer hockte Wörgötter, geduldig auf den Schluß wartend, und ebenso die »Säule« wie die zwei Praktikanten; sie wagten nicht, das Bureau zu verlassen, bevor der Chef gegangen ist. Unthätig in der Kanzlei sitzen, ist aber äußerst langweilig, zum Zeitvertreib nahmen daher die jungen Herren einige Restanten vor, es wurde »über Zeit« gearbeitet und erledigt, was unter gewöhnlichen Umständen vor Ablauf einer Woche nicht zur Vorlage fertig geworden wäre.

Um acht Uhr trat Graf Rothenburg aus dem Bureau und befahl dem Amtsdiener, die Lampe zu löschen und das Zimmer zu lüften. In Gedanken stieg Egon statt eine Treppe höher in seine Behausung, hinunter, und ehe er es sich versah, stand er im Nebenzimmer des Bräuhauses, zum größten Ärger des Kommissärs, der offensichtlich in einem Gespräch mit Piffrader gestört worden ist. Während der Bräuer den vornehmen Gast auf das höflichste begrüßte, trank Pitscheider mit auffallender Hast sein Viertele Rötel aus, grüßte und verließ das Lokal.

Egon meinte zu dem ihm Gesellschaft leistenden Piffrader: »Der Herr Kommissär scheint aber frühzeitig die Penaten aufzusuchen? Geht er immer zu solch früher Stunde nach Hause?«

»Decht nicht, Herr Graf! Wird wohl in der ›Rose‹ oder in der ›Poscht‹ ein Viertele draufsetzen!«

»So, so! Pflegt wohl regen Verkehr mit der Bevölkerung?«

»Könnt' es nicht behaupten. Etwas ein eigener Herr ischt er wohl!«

»Wieso?«

»Ich meine, etwas anders als die anderen Beamten. Na, er wartet halt schon lang auf das Avancement und langes Warten macht manchen ungeduldig und verbittert!«

»Das geht in dieser Sparte eben nicht anders!«

»Ja, ja, es ischt ein Elend mit dem Beamtentum!«

»Bitte, Herr Piffrader, halten Sie Ihre Meinung in dieser Beziehung etwas zurück! Wir sind nicht im Landtag und Immunität können Sie außerhalb der Landstube nicht beanspruchen.«

»Das ischt mir für den Augenblick zu hoch, Herr Graf! Ich muß erscht wegen der verzwickten Fremdwörter nachschlagen. Aber so viel möcht' ich decht sagen, nehmen S' mir's nicht übel: In meinem Anwesen kann ich reden, was ich mag!«

»Das kommt darauf an! Ich kann Sie nur bitten, Äußerungen über die Beamtenschaft in meiner Gegenwart gefälligst unterlassen zu wollen. Ich bin Beamter und werde keine Verunglimpfung meiner Berufstellung dulden. Bitte, beachten Sie das!«

»Sehr schön, Herr Graf! Falls es Ihnen aber in meinem Hause nicht völlig passen sollte, es giebt andere Wirtshäuser auch in Lienz!«

»Zahlen!« rief Egon, berichtigte die Zeche, ohne das bestellte Abendessen abzuwarten, und verließ unter kurzem Gruß das Lokal, in welchem nun doch etwas verblüfft der protzige Bräuer zurückblieb.

»Sakra, da ischt mir decht der Gaul eppas durch'gangen! Scharf ischt er, der neue Häuptling, sakrisch scharf! G'fallt mir eigentlich von ihm! Ein schneidig's Manndl! Aber ich bin der Joseph Piffrader, Bräuer, Hotelier und Landtagsabgeordneter allhier, und der ischt allweil noch mehrer als ein Bezirkshauptmann mit dem lumpigen Gehalt! Jawohl! Paßt es ihm nicht bei mir, ich kann ohne einen solchen Gascht auch leben! Jawohl! Wird schier besser sein, er bleibt aus; er vertreibt mir eh die anderen Koschtknaben, die sich nimmer 'reintrauen vor lauter dummem Respekt. Er trinkt schier nix, ischt kein Profit! Und wenn die anderen auch pumpen, eppas zahlen sie am Monatserschten decht! Jawohl!«

Nach diesem Monolog fühlte sich Piffrader wieder mutiger und er suchte die gewöhnliche Kneipstube auf, um mit den Bürgern zu plaudern und ihnen die Neuigkeit zu erzählen, daß er soeben den neuen Bezirkshauptmann »ausgeschafft« habe. Natürlich rief diese Mitteilung eine wahre Sensation hervor, und Piffrader renommierte, daß sich die Balken bogen. Und wie Flugfeuer verbreitete sich am nächsten Morgen diese interessante Kunde im Städtchen.

Ahnungslos amtierte Egon den Tag über. Von dem Getuschel in den Kanzleien konnte er nichts merken, da Egon aus seiner Amtsstube nicht herauskam und ziemlich regen Parteienverkehr hatte.

Das Mittagessen holte Franz wieder aus der Bahnhofrestauration, wo er durch spitzige Bemerkungen zu allerlei Fragen veranlaßt wurde. So sagte die Restaurateurin: »Na, Herr Kammerdiener, sind wir jetzt wieder gut genug?«

Ein treuer Diener seines Herrn war Franz eben doch nur Domestik und als solcher, wie alle, neugierig und klatschsüchtig. »Wieso?«

»Na, thun S' decht nicht so, als wenn S' nichts wüßten! Gelten S', die Täg' her hat der Herr Hauptmann im Bräuhaus diniert, und weil er gestern vom Piffrader ausgeschafft worden ischt, jetzt ischt unser Essen wieder gut genug!«

»Nicht möglich! Mein Graf und ausgeschafft? Das ist ja lächerlich dummes Geschwätz!«

»Es ischt aber decht so! Na, für die nächsten Täg' wollen wir das Essen liefern, aber wenn der Herr Graf Ansprüche machen sollten oder schimpfen, dann können wir das auch, was der Piffrader kann. Jawohl! Wir haben Reisende als Gäscht' grad' genug und können die Gäscht' aus der Stadt leicht entbehren!«

»So! Na, dann geben S' nur acht, Frau Restaurateurin, daß Sie die Konzession nicht verlieren! Der Arm des Bezirkshauptmanns reicht weit! Verstanden?«

»Lassen S' Ihnen nicht auslachen, Herr Kammerdiener mit die langen Füß'! Wir haben die Konzession von der Südbahn, und die Bezirkshauptmannschaft hat uns nicht einen Pfifferling d'reinzureden. So, 'pfehl mich recht sehr, Herr Kammerdiener, und verschreiben S' Ihnen recht bald eine Köchin, damit S' nicht verhungern, Sie und der Herr Graf! Das Essen macht einen Gulden zweiundfünfzig Kreuzer! Natürlich ohne Wein! Den hat wohl der Bezirksarzt verboten, he?«

Franz beantwortete die impertinenten Sticheleien mit Grobheiten und ging mit den Speisen in dem Tragkorb ins Schloß zurück.

Beim Servieren juckte es Franz, die Geschichte dem gnädigen Herrn zu erzählen, doch unterdrückte der Diener dieses Verlangen, um dem Gebieter eine Unannehmlichkeit zu ersparen.

Egon ließ sich durch den Sonnenschein des klaren Spätherbsttages zu einem Spaziergange nach Schloß Bruck verlocken. Auf der Wanderung durch das langgestreckte Städtchen machte der Graf die überraschende Beobachtung, daß verschiedene Leute offensichtlich nicht recht wußten, wie tief sie den Hut ziehen sollten. Einige Bürger guckten dem Hauptmann ins Gesicht und lüpften überhaupt kaum merklich den Hut.

»Was die Menschen doch nur haben?« dachte Egon und schritt rasch vorwärts. Bald hatte er die Ausläufer des Städtchens hinter sich, und auf der sonnigen Landstraße pilgerte der Graf behaglich dem Hügel zu, auf welchem das zu einer Wirtschaft adaptierte Gemäuer der ehemaligen Burg »Bruck« thront. Ein Bedürfnis zu einer Erfrischung hatte Egon nicht; er schritt daher den links zum Wald führenden Pfad hinan, und befand sich bald in erquickender Waldeinsamkeit, im wohlthuenden Grün der Fichten und Tannen, durch deren Geäst nimmermüde die Meisen hüpften und geschäftig Zwiesprache führten, indem eine Kohlmeise lockte: »Zi–zi–peh, zi–zi–peh!« worauf ein winziges Blaumeischen antwortete: »Be–be–zih, be–be–zih!«

Stillstehend lauschte Egon den munteren Tönen und hatte seine Freude daran. Mit einem Male aber flatterten die Vögelchen piepsend davon, als hätte sie etwas aufgescheucht. Egon schritt weiter und wie er an die Ecke kam, die der Pfad nahm, da erblickte er dicht vor sich Ida.

»Welch gütiger Zufall!« rief Egon, und helle Freude leuchtete aus seinen treuen Augen.

Das Fräulein schien aber unangenehm überrascht von dieser Begegnung zu sein, das Madonnengesichtchen zeigte tiefen Schreck, bleich sind die Wangen, ein Beben läuft durch den zierlichen Körper.

Ängstlich erwiderte Ida: »Nicht doch, Herr Graf! Bitte, geben Sie den Weg frei, wir dürfen nicht mitsammen gesehen werden!«

»Um Himmels willen, was ist geschehen? Sprechen Sie, Fräulein Ida! Hier in der Waldeinsamkeit wird kaum ein Lauscher stehen. Lassen Sie mich wissen, was Ihre Bestürzung hervorruft!«

»Verzeihung, Herr Graf, ich kann und darf nicht reden. Und Papa würde zürnen!«

»Ach so, Herr Piffrader! Den habe ich ganz vergessen!«

»Herr Graf, nicht diesen Ton, es ischt mein Vater!«

»Bitte, der Weg ist frei!«

Jetzt blieb Ida stehen und sprach: »Herr Graf, ich weiß nicht genau, was gestern vorgefallen ischt und kenne nur des einen Teiles Rede. Bitte, sagen Sie mir, was Papa in solche Erbitterung treiben konnte!«

»Erbitterung? Ich wüßte nicht! Herr Piffrader hat sich in Äußerungen über den Beamtenstand ergangen, die ich als Beamter zurückweisen mußte.«

»Ischt das alles?« fragte ängstlich und ungläubig Ida.

»Ja!«

»Herr Graf verheimlichen etwas. Hat Papa nicht reagiert?«

»Bitte, lassen wir das, mit Damen bespricht man derlei nicht!

»Doch! Ich bitte herzlichst, sagen Sie mir alles!«

»Nein, Fräulein Ida! Ich kann doch nicht über Ihren Herrn Vater mich äußern!«

»Bitte, sagen Sie mir, was Papa auf die Zurückweisung geantwortet hat!« flehte Ida.

»Es ist nicht der Rede wert. Ich bedaure nur, daß mir die Freude genommen ist, Fräulein Ida ab und zu bei Tisch zu sehen.«

Erschreckt rief das Mädchen: »Herr Graf, mein Vater hat Sie –«

»Bitte, sich nicht zu echauffieren! Vielleicht reut Herrn Piffrader das unüberlegte Wort. Wir wollen ihm lieber eine goldene Brücke bauen.«

»Großer Gott! Das Unglückswort ischt in aller Mund. Die ganze Stadt weiß davon!«

Egon zuckte zusammen und tonlos sprach er: »Dann allerdings kann vom Brückenbauen keine Rede mehr sein. Herr Piffrader hat sich erlaubt, mir andere Wirtschaften zu empfehlen; ich ziehe vor, überhaupt nicht mehr auszugehen, das heißt in Gasthäuser. Die Wanderung in den Bergwald soll meine einzige Erholung sein und bleiben!«

»Die unglückselige Renommiersucht! Auf das schöne Fest so kurz darauf ein solcher Verdruß. O bitte, Herr Graf, seien Sie gnädig!«

»Keine Ursache zu bitten, mein Fräulein! Doch zur Schonung Ihres Rufes wollen wir das Gespräch lieber abbrechen. Irre ich nicht, so kommt jemand den Steig herauf.«

»Leben Sie wohl, Herr Graf! Vergessen Sie die arme Ida nicht!«

»Fräulein!« flüsterte Egon und drückte Idas Hand innig.

»Bleiben Sie mir gut!« lispelte errötend das Mädchen und hastete dann den Pfad hinunter.

Egon schritt gesenkten Hauptes weiter, um dann in einem großen Bogen zur Stadt in die Kanzlei zurückzukehren.


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