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Sechzehntes Kapitel.
Ein alter Freund taucht auf und die Hochzeitsreise geht weiter

Sofort sprang sie aus dem Bett und nach den Gashähnen hin. – die waren alle zu, aber von Frau Jackson keine Spur zu entdecken! Halbtot vor Schreck fuhr sie in die Kleider und eilte zu ihrem Gatten hinüber. Sobald sie konnten, zogen sie mit dem Dicken aus, um nach der Vermißten zu suchen. General Tom Thumb schien sich zwar keine große Sorge um sie zu machen, allein sie durften ihn nicht aus den Augen lassen und so ging er denn überall mit hin. – Der Hausknecht erwiderte auf ihre Frage, vor etwa einer Stunde sei eine ältliche Dame die Treppe herunter gekommen und habe ihn gefragt, wo es nach der Bank der Vereinigten Staaten gehe; welchen Weg sie genommen, habe er nicht beachtet.

Sie liefen nun mehrere Stunden lang die Straßen auf und ab, fragten jeden Polizeidiener und zogen Erkundigungen auf dem Rathaus ein; sie gaben sich alle erdenkliche Mühe, aber Frau Jackson blieb verschwunden! Mittlerweile waren sie so müde und hungrig geworden, daß sie in die erste beste Restauration gingen, um sich etwas zu stärken – dann fingen sie ihre Jagd von neuem an; – wie viele Leute sie aber auch auf der Straße fragten, niemand konnte ihnen Auskunft geben. Endlich sahen sie schon von weitem in einer engen Straße einen großen Auflauf. Mitten in einem Kreis von Gassenbuben und Straßenbummlern erblickten sie Frau Jackson in dem kleinen Strohhut und den grünen Pantoffeln. Ihr Kleid zierlich gefaßt haltend, tanzte sie auf offener Straße eine Art Fandango. Eben wollte Pomona auf sie losstürzen und sie festhalten, als ein Mann aus dem Kreise trat und der Tanzenden auf die Schulter klopfte. In dem Mann erkannte Pomona sofort den früheren Kostgänger.

Da sie von ihm auf ihrer Hochzeitsreise nicht in solcher Gesellschaft gesehen sein wollte, zog sie den Schleier ihres Reisehutes über das Gesicht.

»Madame,« sagte der Kostgänger sehr ehrerbietig zu Frau Jackson, »wo wohnen Sie? – bitte, erlauben Sie mir, Sie nach Hause zu begleiten!«

»Noch nicht, mein Herr,« versetzte sie, »ich warte hier, bis die Staatsbank geöffnet wird; dann können Sie mich im Wagen abholen, – jetzt wollen mich aber diese guten Leute hier tanzen sehen.«

Damit begann sie ihren phantastischen Tanz von neuem, aber Pomona ließ ihr nicht lange Zeit dazu, sondern faßte sie beim Arm und zog sie mit fort. Nun kam der Dicke mit zorngerötetem Gesicht herbei: »Hast du alles Geld aus der Bank genommen!« schrie er Frau Jackson an, – »womit soll ich denn mein Ochsengespann bezahlen?!« – Da sie den Unsinn der beiden nicht länger mit anhören wollten, so nahm Jonas den Mann und Pomona die Frau ins Schlepptau – und fort ging es. Nachdem der Kostgänger der Straßenjugend bedeutet, daß jetzt nichts weiter zu gaffen sei, ging er auf Pomona zu und frug: »Guten Tag, Pomona, wie ich höre, sind Sie auf Ihrer Hochzeitsreise?«

Pomona hätte in die Erde sinken mögen. – Woher in aller Welt wußte er das?

»Ist das Ihr Mann?« fragte er, auf Jonas zeigend.

»Ja,« sagte sie.

»Wie gut von ihm, eine so schöne Reise mit Ihnen zu machen, – und die beiden sind wahrscheinlich Ihr Brautführer und Ihre Brautjungfer?« –

»Nein, die sind verrückt!«

»Eine nette Gesellschaft!« – Damit ging er zu Jonas hin, schüttelte ihm die Hand und stellte sich als alter Bekannter seiner Frau vor.

»Nun leben Sie wohl, Pomona, ich muß in mein Geschäft,« – damit wandte er sich wieder an diese, »ich wünsche Euch noch recht viel Vergnügen und wenn Ihr wieder einmal ein paar Narren braucht, laßt mich's nur wissen, ich kann Euch welche verschaffen!«

Damit ging er lachend weg, kehrte aber bald wieder um und frug Pomona, ob sie schon etwas in der Stadt gesehen hätten, und ob sie lieber ins »The-a-ter«, in den »Zir-kus« oder zu den wilden Tieren ginge.

Pomona wäre das Theater am liebsten gewesen, denn sie hatte ja selbst einmal zur Bühne gehen wollen; aber so unmittelbar nach dem Irrenhaus war ihr das doch zu viel der Romantik und sie antwortete deshalb:

»Im Zirkus war ich schon früher einmal, da ist es schön! – die Musik schmettert nur so, und die Tänzerinnen, die auf den Pferden springen, die Ritter in stolzer Rüstung, die wehenden Fahnen und die feurigen Rosse, das ist alles ganz herrlich! – ich höre aber auch gern die wilden Tiere in den Käfigen brüllen und sehe noch lieber die riesigen Elefanten, wenn sie den Rüssel in die Luft strecken.«

»Ich dachte mirs gleich,« meinte er, »daß das etwas für Sie ist;« und damit übergab er ihnen zwei Eintrittskarten zu einer um acht Uhr draußen in Hoboken stattfindenden Versammlung der »intimologischen« Gesellschaft (wie Pomona sich ausdrückte). »So etwas,« fügte er bei, »kann man in der Stadt nicht haben, denn wenn die Tiere davonliefen, würden schreckliche Folgen entstehen.«

Unser junges Paar steuerte nun geraden Weges auf des Doktors Wohnung los. Dieser war recht ärgerlich, als sie ihm Frau Jackson und den General überlieferten, denn seine Aufgabe war es, sie wieder in die Anstalt zurückzuschaffen. Erst fürchteten sie, er würde keinen Finger rühren, um ihnen wieder zu ihrem Koffer zu verhelfen, aber zuletzt wurde er doch freundlicher und meinte nur, sie sollten auf der übrigen Reise weniger Unheil anrichten.

Am Nachmittag gingen sie in der Stadt herum, sahen sich aber alles nur von außen an, denn Jonas meinte, er müsse jetzt sein Geld zu Rate halten. Er war daher auch ganz froh über die beiden Freibillets, die sie geschenkt bekommen hatten. Nachdem er eines um das andere genau angesehen, meinte er:

»Euer alter Kostgänger ist wohl ein rechter Spaßvogel, daß er sich die Kurzweil machen will, uns da hinzuschicken! Weißt du, was da los ist? Allerlei Insekten sind zu sehen, besonders Kartoffelkäfer, und über die wird immer hin und her gesprochen! Etwas Dümmeres hätte er nicht gut für uns ausdenken können, und wenn er sich's stundenlang überlegt hätte. Vielleicht meint er, das wäre gerade der richtige Schluß für so eine Hochzeitsreise, wie unsere. Nun ist's aber genug der Thorheiten, jetzt wollen wir die Sache noch so gut zu Ende führen, wie dein Kostgänger sich's gar nicht träumen läßt. Morgen früh fahren wir zu meinem Vater nach Haus, der hat gewiß unterdessen Geld für die Ernte eingenommen, wovon ein Teil mir gehört, damit machen wir einen Ausflug nach Washington, sehen den Präsidenten, den ganzen Kongreß, das Weiße Haus, und alle übrigen Herrlichkeiten!«

»Wie reizend!« rief Pomona ganz entzückt.

Am nächsten Morgen fuhren sie mit dem Schnellzug zu seinem Vater nach Haus; kaum waren sie aber zehn Minuten da, so erfuhr Jonas, daß er unterdessen zum Geschworenen gewählt worden sei. – Ganz blaß vor Schrecken teilte er es seiner Frau mit.

»Wann mußt du denn fort?« fragte diese.

»Auf der Stelle; die Gerichtssitzung ist heute morgen; ich muß schnell machen, sonst bekomme ich eine Vorladung. Laß dir aber nur keine grauen Haare darüber wachsen, die Sache dauert vielleicht nur einen Tag.«

Der Vater spannte an und unser Paar fuhr zusammen nach dem Gericht, – sie waren ja auf der Hochzeitsreise. Pomona sah sich die Sache oben von der Galerie an, und Jonas saß unter den andern Geschworenen im Gerichtssaal.

Der Rechtsfall betraf einen Mann Namens Braun, der die Stiefschwester eines gewissen Adam geheiratet hatte, der sich hernach mit Brauns Mutter vermählte und an Braun ein Haus verkaufte, das er von Brauns Großvater für die Hälfte einer Mahlmühle bekommen hatte. Die andere Hälfte gehörte dem ersten Mann von Adams Stiefschwester, der sein ganzes Vermögen dem Vorstand einer Suppengesellschaft hinterlassen hatte, bis sein Sohn großjährig wäre, – der wurde das aber nie, sondern vermachte in seinem Testament seine Mühlenhälfte an Braun. Die Parteien in dem Prozeß waren Braun und Adam und Braun und Adams Stiefschwester, die von Braun geschieden war; auch war ein Mann Namens Ramsey beteiligt, weil er ein neues Sackschaufelrad an die Mahlmühle gemacht hatte.

Der Fall war natürlich nicht so leicht zu verstehen, und das Gericht brachte ihn auch am ersten Tag nicht zu Ende, sondern verhandelte eine ganze Woche darüber. Als alle Zeugen ausgesagt hatten, trat ein Advokat auf und hielt eine Rede, nach welcher einem der verwickelte Fall so klar schien, daß man ihn völlig durchschauen konnte, von dem Sackschaufelrad bis zu Brauns Großvater.

Dann kam ein anderer Advokat und zeigte die ganze Geschichte von einer neuen Seite. Sie war ebenso klar und durchsichtig, aber mit dem ersten Fall hatte sie gerade so viel Ähnlichkeit wie ein Apfelkuchen mit einem Liter Apfelmost. Zuletzt nahmen beide die Sache auf und warfen sie wie einen Ball zwischen sich hin und her, bis sie verwirrt, zerzaust und verknotet war, wie ein Garnknäuel, das junge Katzen zu packen gekriegt haben – und so zugerichtet übergaben sie den Fall an die Geschworenen. Als die sich nun zurückzogen, wußte kein einziger von ihnen – Jonas mit eingeschlossen – ob Braun tot war oder Adam, und ob in der Mühle Suppe gemahlen werden sollte, oder ob man Suppen-Kraft brauchte, um sie in Bewegung zu setzen! Natürlich kamen sie da zu keiner Einstimmigkeit In den Vereinigten Staaten entscheiden Schwurgerichte auch bei Zivilprozessen und zu einem Urteilsspruch ist Einstimmigkeit der Geschworenen erforderlich. Anm. d. Übers.: drei wollten ein Urteil zu Gunsten des verstorbenen Sohnes abgeben, zwei entschieden sich für Brauns Großvater und die übrigen Stimmen waren zersplittert. – Jonas hielt seine Ansicht zurück, denn er wollte mit den übrigen elf Geschworenen stimmen, wenn sie einig wären, aber dazu kam es nicht, und sie blieben drei Tage und vier Nächte eingeschlossen.

Pomona war bitterböse: jeden Morgen nahm sie sich etwas zu essen mit, ging in den Gerichtshof und wartete, und wartete! Einmal, um die Mittagszeit, sah sie den Richter an der Thür des Saales stehen und sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischen. Sie trat auf ihn zu und fragte, ob denn die Geschichte noch nicht bald fertig wäre.

»Das weiß ich wirklich nicht,« antwortete er, – »sind Sie vielleicht bei dem Fall beteiligt?«

»Das will ich meinen,« versetzte sie, und erzählte ihm, daß Jonas Geschworener sei und sie auf der Hochzeitsreise wären.

»Da bedauere ich Sie, liebes Frauchen,« sagte er, »aber der Fall ist schwer zu entscheiden und es wundert mich nicht, daß es so lange dauert!«

»Mich auch nicht!« meinte sie, »aber meiner Meinung nach würde das Urteil nicht lange auf sich warten lassen, wenn die Advokaten nur für sich allein eingeschlossen würden und ihre Reden hielten, so daß die Geschworenen sich's vernünftig überlegen könnten.«

»Da mag etwas Wahres dran sein,« bemerkte er und ging wieder in den Gerichtssaal zurück.

Jonas mußte es schließlich aufgeben, mit den andern Geschworenen zu stimmen, denn diese konnten sich nicht einigen und wurden alle entlassen, so daß die ganze Geschichte umsonst war.

Als Jonas herauskam, sah er ganz matt und müde aus und fragte seine Frau höchst trübselig: »Haben wir schon Frost gehabt?«

»Ja wohl, zwei für einen!« erwiderte sie.

»Gut,« meinte er, »dann gehen wir nach Hause und richten uns ein! Die Hochzeitsreisen mit Wasserfällen ohne Wasser, Irrenhäusern und Schwurgerichten habe ich gründlich satt, und wenn wir Frost gehabt haben, brauchen wir uns ja nicht mehr vor dem Fieber zu fürchten.«

»Ich war's zufrieden,« schloß Pomona, »und so sind wir denn jetzt zu Hause und die Geschichte von der Hochzeitsreise ist fertig und zu Ende. Jetzt möchte ich nur noch einmal nach dem Pferd, der Kuh und den Hühnern sehen, wenn es Ihnen recht ist!«

Damit waren wir sehr einverstanden; wir führten Pomona auf dem ganzen Gütchen umher und zeigten ihr alles mit dem größten Vergnügen. –


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