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Fünftes Kapitel.
Pomona verursacht eine große Umwälzung in Ruderheim

Euphemia fand großes Wohlgefallen an ihrem Dienstmädchen. Jeden Abend erzählte sie mir ein neues Beispiel von Pomonas Erfindungsgeist und rühmte ihr Verständnis für die Eigentümlichkeiten unseres Haushalts.

»Denke dir nur,« sagte sie eines Nachmittags, »was für ein kluges Ding Pomona ist! Du weißt, wir hatten immer so viel Mühe damit, das gebrauchte Aufwaschwasser die Treppe hinaufzutragen und über den Bootsrand auszugießen. Das können wir uns jetzt ersparen, denn sie hat an der Küchenseite ein kleines Fenster ausgesägt und aus dem Holz, das herausfiel, einen Laden gemacht, der mit Lederriemen befestigt ist; nun braucht sie nur das Fenster zu öffnen, das nicht hoch über dem Boden ist, das Wasser auszugießen, wieder zuzumachen – und alles ist fertig! – Ist sie nicht klug?!« –

»Ja wohl, das will ich meinen! Mir kommt es aber nur vor, als ob sie sich mehr für solche außergewöhnliche Dinge und neue Erfindungen interessierte, als für die regelmäßige Hausarbeit!«

»O, du mußt sie nicht entmutigen, lieber Mann, sie macht sich mir sehr nützlich! Es ist nicht recht, über jedes höhere Streben gleich kaltes Wasser auszugießen.«

»Ich gieße es ja nur durch Pomonas kleines Fenster.«

»Das ist einerlei! Vor allem muß man den Menschen Mut machen; was sollte wohl aus der Welt werden, wenn wir immer gleich einen Dämpfer bei der Hand hätten und jeden Aufschwung hemmen wollten! Nichts Großes würde mehr vollbracht werden.«

»Schon gut,« sagte ich, »ich will sie nicht entmutigen!« –

Der Herbst machte sich jetzt schon recht bemerklich; es war zu kalt, um abends noch auf dem Verdeck zu sitzen, und da unser Garten recht jämmerlich aussah, karrte der Kostgänger neue Erde hinauf und machte ein großes Beet zurecht, in das er Rüben pflanzte, indem er uns versicherte, man würde sie im Spätherbst noch ernten können. Das Wetter wurde regnerisch und immer unfreundlicher; der Kostgänger war aber um einen Trost nicht verlegen: sei erst die Äquinoktienzeit vorüber, dann komme gewiß noch ein herrlicher, für das Wachstum der Rüben sehr günstiger Nachsommer.

Das klang alles recht schön – indessen blies aber der Wind immer heftiger und der Regen wollte nicht aufhören! Eines Abends entstand ein förmlicher Orkan und wir gingen früh zu Bett, um warm zu werden. Der Kostgänger war noch lange im Garten auf dem Verdeck beschäftigt, zur Verwunderung Euphemias, die nicht begreifen konnte, was er dort vorhatte: – »wenn er nicht vielleicht die Rüben vor Anker legt, damit sie nicht fortgeweht werden«.

In der Nacht hatte ich einen Traum. Es war mir, als sei ich wieder ein Knabe und wollte versuchen auf dem Kopf zu stehen, ein Kunststück, wegen dessen ich berühmt gewesen war. Statt aber wie gewöhnlich die Hände nach vorn auszustrecken und die Füße in die Luft zu heben, lag ich auf dem Rücken und versuchte mich von da aus auf den Kopf zu stellen. Plötzlich wachte ich auf, und gewahrte, daß das Fußende der Bettstelle viel höher war als das Kopfende – wir lagen auf einer ganz schiefen Ebene mit dem Kopf nach unten! Ich weckte Euphemia auf; als wir aber aus dem Bette steigen wollten, glitten wir auf dem Boden aus, der ganz mit Wasser bedeckt war.

Euphemia war noch halb im Schlaf, ich hörte einen gurgelnden Laut und einen Fall – schnell sprang ich über den Bettrand und eilte ihr zu Hilfe! Kaum hatte ich sie wieder aufgerichtet, da klopfte es laut und heftig an der Vorderthüre oder Eingangs-Luke und wir hörten die Stimme des Kostgängers:

»Steht auf, macht daß ihr herauskommt, laßt mich herein, – das alte Boot wird gleich umschlagen!« –

Mein Schrecken war groß, aber ich hielt Euphemia umfaßt, ohne ein Wort zu sagen, während sie laut aufschrie. Ich zog sie mit mir fort, halb in halb außer dem Wasser, durch das Eßzimmer, und setzte sie auf die Treppenstufen nieder, die noch trocken waren. An einem Nagel fand ich die Laterne mit einem Streichholzbüchschen darunter, machte Licht an, arbeitete mich wieder ins Schlafzimmer zurück und holte Euphemias Kleider. Die ganze Zeit über schrie der Kostgänger draußen und donnerte an der Thüre. Sobald Euphemia angekleidet war, machte ich auf und ließ sie herauf.

»Nun ziehen Sie sich flink selber an,« rief mir der Kostgänger zu, »ihr soll kein Schaden geschehen, bis Sie heraufkommen!«

Der Stuhl mit meinen Kleidern war auf's Fußende des Bettes gefallen und dieselben daher nicht naß geworden; – so erschien ich denn bald völlig angekleidet auf dem Verdeck. Der Wind blies noch heftig, aber es war weniger kalt und hell genug, daß wir die Gegenstände um uns her unterscheiden konnten. Das Boot lag ganz auf der Seite, so daß das Verdeck einem schräg gelegten Landungsbrett glich. Mir war die ganze Scene und alle sie begleitenden Umstände so schrecklich, daß ich nur inbrünstig wünschte, alles möge nur ein Traum sein. Der Kostgänger dagegen war bereits zu voller Thatkraft erwacht.

»Nur schnell,« rief er, »an dieser Stelle können wir sie am besten herunterlassen! Klettern Sie hier herab, wo es ganz trocken ist, die hohe Seite des Boots liegt nach dem Wasser zu; ich binde hier oben ein Seil an, an dem können Sie sich festhalten und hinuntergleiten, dann helfe ich ihr hinab.«

Ich kletterte über den Rand und hatte bald festen Boden unter den Füßen, dann hob der Kostgänger Euphemia in die Höhe, ließ sie sanft hinabgleiten und hielt sie so lange an den Händen fest, bis ich sie erreichen konnte. Sie sagte kein Wort, sondern schrie nur von Zeit zu Zeit auf; ich trug sie ein Stück das Ufer hinan und ließ sie dann nieder; eigentlich wollte ich sie in das Haus unserer Milchfrau bringen, aber sie weigerte sich weiter zu gehen, bis wir Pomona gerettet hätten. Ich hüllte darum Euphemia warm ein und ging nach dem Boot zurück, um nach dem Mädchen zu sehen. Der Kostgänger hatte unterdessen das Landungsbrett so gelegt, daß man, ohne gerade das Gleichgewicht zu verlieren, das Boot vom Ufer aus erreichen konnte. Als ich das abschüssige Verdeck betrat, stolperte er eben die Treppe hinauf mit einem Stuhl aus dem Eßzimmer und dem großen eingerahmten Dante nach Raphael – (einem häßlichen Bild, aber voll wahrer Empfindung; wenigstens behauptete das Euphemia, obwohl ich den Sinn davon nicht recht verstand).

»Wo steckt Pomona?« fragte ich, indem ich versuchte, auf dem schlüpfrigen Verdeck Fuß zu fassen.

»Ich weiß nicht,« entgegnete er, »wir müssen zuerst die Sachen herausschaffen, die Flut und der Wind sind im Steigen und ehe wir's uns versehen, kann das Boot umschlagen.«

»Aber wo ist das Mädchen? – wir können sie doch nicht ertrinken lassen.«

»Ein großer Schaden wäre es nicht,« sagte er und kletterte mit seiner unbequemen Last am Boot hinunter, »sie macht doch nur dumme Streiche! Hätte sie nicht das Loch in die Küchenwand gemacht, so wäre von alledem nichts geschehen.«

»Sie glauben, das Loch sei die Ursache?« rief ich und hielt ihm einstweilen Bild und Stuhl, während er sich zum Landungsbrett hinabließ.

»Versteht sich,« erwiderte er, »die Flut geht sehr hoch, das Wasser ist über das Loch gestiegen und hineingeströmt. Wind und Wasser werden nun dem alten Wrack bald ein Ende machen.«

Er nahm mir die Last ab und trug sie hinunter, ich aber stieg die Treppe hinab, um Pomona zu suchen. Die Laterne hing wieder am Nagel und ich leuchtete mir damit in die Küche, wo ich Pomona ganz angekleidet und schon den Hut auf dem Kopf fand, gemächlich beschäftigt, einen Korb voll zu packen.

»Schnell, mach' daß du herauskommst,« rief ich, »weißt du nicht, daß das Haus, – das Boot meine ich, nicht mehr lange halten kann?«

»Ja wohl, Herr, ich weiß, – bald werden wir ein Spiel der Wellen sein!« –

»Nun, dann eile dich doch! Was thust du da in den Korb?«

»Etwas zu essen,« sagte sie, »wir werden es brauchen können.«

Ich machte nicht viel Federlesens, sondern faßte sie bei der Schulter, half ihr aufs Verdeck, über den Rand des Boots, das Landungsbrett hinab und brachte sie zu dem Platz, wo ich Euphemia verlassen hatte.

Mein armes Frauchen saß still da und hatte sich ganz zusammengekauert, um sich vor dem Wind zu schützen! Ohne Zeit zu verlieren, ging ich mit meinen beiden Schützlingen nach dem Hause der Milchfrau, wo ich Mühe hatte, die Insassen zu wecken; sobald ich aber Euphemia und Pomona in Sicherheit wußte, überließ ich ihnen alle weiteren Erklärungen und eilte zum Boot zurück.

Hier arbeitete der Kostgänger aus Leibeskräften und hatte schon einen ganzen Haufen Möbel ans Ufer geschafft. Nun griff ich tüchtig mit an: eine volle Stunde dauerte der eilige und höchst beschwerliche Auszug. In der That eine harte Arbeit: die Fußböden waren ganz abschüssig, die Treppe lag nach der Seite über und das Brett war steil und viel zu kurz.

Indeß brachten wir eine Menge Haushaltungsgegenstände in Sicherheit. Einiges wurde dabei zerbrochen, anderes wurde vergessen, vieles war zu groß, um es fortzuschaffen, aber in Betracht der Umstände konnten wir mit dem Resultat zufrieden sein.

Der Wind heulte, die Flut stieg und das Boot stöhnte und knarrte in allen Fugen. Wir waren gerade in der Küche, um den Ofen auseinander zu nehmen – der Kostgänger meinte, wenn wir nur das Rohr herausthäten und Füße und Thüren abnähmen, so könnten wir ihn gewiß hinunterschaffen – da hörten wir einen starken Krach. Wir eilten auf das Verdeck und siehe, – der Garten war eingestürzt, das ganze Rübenbeet in das Zimmer des Kostgängers hinuntergefallen. Ohne Zaudern kletterte dieser seine enge Treppe hinunter, ich folgte ihm und als er die kleine Laterne, die an der Wand hing, angezündet hatte, zeigte sich vor uns die schrecklichste Verwüstung: der Boden, das Bett, die Stühle, der Wasserkrug, das Waschbecken, alles war über und über mit Gartenerde und Rüben bedeckt! Der Zustand war ganz unbeschreiblich! – Der Kostgänger stand in der Mitte, hielt die Laterne in die Höhe und beleuchtete den ganzen Schauplatz. Endlich sagte er:

»Schade um die Rüben! Wenn wir nur Zeit hätten, eine Partie mitzunehmen!«

»Aber Ihre Möbel!« rief ich.

»O, die sind nun doch einmal verdorben!« erwiderte er.

So machten wir denn gar keinen Versuch, sie zu retten, sondern faßten nur beide den Koffer an und trugen ihn ans Land. Als wir wieder zurückkehrten, war das Wasser bereits durch die Scheidewand eingedrungen und hatte das ganze Zimmer in einen schlammigen See verwandelt. Da im untern Raum das Wasser jetzt mit großer Schnelligkeit stieg, und das Boot immer mehr auf die Seite kippte, hielten wir es für geraten, den Schauplatz zu verlassen, und begaben uns aufs Trockne.

Wir konnten unsere unglückliche Habe, die in einem wüsten Haufen am Ufer umherlag, nicht wohl verlassen; und nachdem ich geschwind Euphemia benachrichtigt, brachte ich mit dem Kostgänger den Rest der Nacht damit zu, am Strande auf- und abzugehen und die Cigarren zu rauchen, die sich glücklicherweise in seiner Tasche vorfanden.

Am Morgen ging ich mit Euphemia nach dem nahen Hotel, wo wir auch unsere Möbel solange, bis wir eine neue Wohnung gefunden, unterbringen lassen wollten. Letztere beschlossen wir nun aber in einem soliden Hause zu suchen, wo von der Flut nichts zu fürchten war. Im Laufe des Vormittags wurden unsere Effekten glücklich unter Dach geschafft, und der Kostgänger ging zur Stadt, um sich nach einem möblierten Zimmer umzusehen, – er hatte nichts als seinen Koffer dahin mitzunehmen.

Während Euphemia im Hotel ihr Nachmittagsschläfchen hielt, dessen sie recht bedürftig war, da sie die Nacht auf dem harten Lehnstuhl der Milchfrau zugebracht hatte, schlenderte ich am Fluß entlang, um noch einen letzten Abschiedsblick auf das alte Ruderheim zu werfen.

Es schnitt mir tief in die Seele, als ich auf dem wohlbekannten Pfade nach dem Kanalboot ging, kein anderer Fuß hatte diesen Weg so oft betreten als der meinige und gewiß niemand mit so frohem Herzen. Alles Unangenehme war vergessen, ich dachte nur an die glückliche, köstliche Sommerzeit, die hinter uns lag.

Es war ein wunderschöner Herbsttag und der Wind hatte sich ganz gelegt. Als ich unserer alten Heimstätte ansichtig wurde, bot sie einen wahrhaft trübseligen Anblick dar: das Bugspriet des Bootes lag weit drinnen im Fluß und war fast ganz unter Wasser, das Hinterteil dagegen ragte hoch in die Luft empor, und es sah ganz lächerlich aus, wie das Boot den Vorübergehenden am Ufer statt der Längsseite den Kiel entgegenstreckte!

Mit dem alten Ruderheim war es auf immer vorbei, und ich wandte den Trümmern unserer frühern Behausung trüben Blickes den Rücken. –


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