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Achtes Kapitel.
Pomona taucht wieder auf

Kein Zweifel! – es war Pomona!

In den Zügen unserer frühern Dienstmagd vom Kanalboot malten sich Staunen und Verwunderung; der Strohhut saß ihr schief aus dem Kopf, in der Hand trug sie einen gelben verschossenen Sonnenschirm und unter dem Arm ein Päckchen in Zeitungspapier.

»Ei, du meine Güte!« rief sie aus.

»Schnell ins Haus!« stieß ich hervor, »der Kettenhund ist los!«

»Da kommt er schon!« schrie Euphemia, »oh, er wird sie in tausend Stücke reißen.«

Mit wütendem Gebell stürzte das große schwarze Tier gerade auf Pomona zu. Sie aber blieb unbeweglich stehen, und wandte nicht einmal den Kopf nach dem Hunde, welcher wild um sie herumsprang und fürchterlich bellte, doch ohne sie anzufallen.

Wir wagten kaum zu atmen; ich wollte schreien: »Laufe fort!« oder: »Leg' dich nieder!« brachte aber keinen Ton heraus.

»Kannst du nicht hier herauf?« rief Euphemia in Todesangst.

»Wozu denn?« sagte das Mädchen.

Der Hund hörte jetzt zu bellen auf und blickte bald starr Pomona an, bald zu uns empor. Sie that, als ob er gar nicht da wäre.

»Gut, daß ich nicht gestern gekommen bin,« wandte sie sich zu meiner Frau, »der Hund hätte mich nicht lebendig gelassen.«

»Ich verstehe dich nicht,« sagte Euphemia, »das schreckliche Tier war doch eben noch so wütend.« – Der Vorgang war uns beiden in der That vollständig überraschend und unerklärlich!

»Heute bin ich klüger als gestern,« versetzte Pomona. »Gerade vorhin auf der Pferdebahn habe ich Etwas in einem Buche gelesen, und beim Aussteigen als Zeichen die Schere hineingelegt. Hören Sie einmal zu!« Sie wickelte ihr Paket auf, nahm eines der beiden darin befindlichen Bücher heraus, das andere behielt sie unter dem Arm mit dem Einwickelpapier, das wie eine Fahne im Winde wehte – schlug den Band an der Scherenstelle auf, blätterte einige Seiten zurück und las wie folgt:

Lord E-du-ard schritt lang-sam den brei-ten Baum-gang hin-auf, als plötz-lich aus dem Ge-büsch ei-ne wü-ten-de Dog-ge her-vor-sprang. Der Busch-klep-per in dem hoh-len Baum glaub-te schon das Blut des jun-gen E-del-manns flie-ßen zu sehn. Doch nein! – Lord E-du-ard stand nicht still und wan-dte nicht ein-mal den Kopf. Ge-las-sen schritt er wie-ter wohl wis-send, daß wenn er kei-ne Furcht zeig-te, das Tier er-ken-nen wer-de, daß er Herr auf sei-nem Grund und Bo-den sei. So zog die Ge-fahr glück-lich vor-ü-ber, sein ed-ler Mut hat-te ihn ge-ret-tet und der Hund kehr-te be-schämt in das Dick-icht zu-rück. – »Wie-der durch-kreuzt! Groll-te der Busch-klep-per.«

»Sobald ich den Hund kommen sah,« fuhr Pomona fort, indem sie das Buch zuklappte, »fiel mir dieses Beispiel ein, und so schritt ich furchtlos weiter. Gestern als ich noch nichts davon gelesen, hätte ich sicherlich Furcht gezeigt, und würde jetzt wahrscheinlich eine Leiche sein. – Hat er Sie denn da hinauf gejagt?«

»Ja,« versetzte Euphemia und erklärte ihr eilig, wie es gekommen.

»Dann will ich ihn doch lieber an die Kette legen,« meinte Pomona, schritt kühn auf den Hund los, faßte ihn beim Halsband und zog ihn nach dem Schuppen.

Das Tier sträubte sich zwar anfangs, folgte ihr aber bald und sie kettete es fest an.

»So, nun können alle herunterkommen,« sagte Pomona.

Ich half Euphemia hinuntersteigen, während Pomona der Magd Mut zusprach.

»Er wird mich in die Waden beißen,« jammerte diese.

»Ach bewahre! Sie Furchthase, er denkt nicht daran!« Darauf wagte sie sich herab.

Wir forderten Pomona auf, ins Haus zu treten und erkundigten uns, wie es ihr inzwischen ergangen sei.

»Na,« meinte sie, »das ist bald gesagt,« und dann erzählte sie uns, sie sei zuerst wieder eine Zeit lang im Dienstbotenheim gewesen, aber ohne viel zu profitieren; nur habe sie sich das laute Lesen abgewöhnt, weil man ihr sonst das Buch wegnehmen wollte. Dann sei sie zu einer abscheulichen Frau gekommen, die eins ihrer Bücher ins Feuer geworfen habe, ehe sie noch halb damit fertig gewesen. Und was für ein gutes Buch: »Der Leichnam der Braut oder Montregors Fluch.« Die Leihbibliothek habe sich's natürlich bezahlen lassen; da ihr der Dienst also verleidet worden, sei sie auf die Bühne gegangen.

»Auf die Bühne!« rief Euphemia, »was hast du denn da gemacht?« –

»Gescheuert!« versetzte Pomona. »Ich dachte, wenn ich nur erst beim Theater angestellt wäre, so könnte ich mich allmählich hinaufarbeiten. Da fing ich denn mit dem Scheuern an, – als ich aber einmal den Souffleur fragte, ob er glaube, ich könne höher steigen, meinte er: »ja wohl – wenn Sie die Galerien scheuern!« Ich verbat mir seine Witze und sah mich nach einer andern Stelle um. Als ich nun hörte, daß Sie hier draußen wohnen, dachte ich, ob Sie mich wieder in Dienst nehmen würden? Es wird auch wohl am besten sein, Sie behalten mich gleich da, denn als Ihre Magd vom Schuppen herunter war, sagte sie mir, sie gehe morgen fort; wo man einen solchen Hund halte, könne sie nicht länger bleiben. Ich konnte ihr nicht begreiflich machen, daß er nur vor Freude so herumgesprungen sei, weil er von der Kette los war.«

»Schöne Freudensprünge!« meinte Euphemia, »hättest du ihn gesehen, so würdest du anderer Meinung sein. Aber kannst du wirklich dableiben? Wo hast du denn deine Sachen?« –

»Am Leibe!« versetzte Pomona.

Da es sich bestätigte, daß unsere irische Magd wirklich fort wollte, überlegten wir Pomonas Vorschlag. Wir waren bald entschlossen, sie zu nehmen; und ich verpflichtete mich sogar, ihr die Bücher aus der Leihbibliothek zu besorgen, bei der sie abonniert war, – in der Hoffnung, auf diese Weise einigen Einfluß auf ihren Geschmack auszuüben.

So waren denn die alten Bewohner von Ruderheim, bis auf den Kostgänger, wieder beisammen.

Die Bewirtschaftung unseres kleinen Pachthofs machte uns täglich größere Freude. Nicht lange nach Pomonas Ankunft kaufte ich eine Kuh. Euphemia wünschte sich eine Jerseykuh, weil diese so sanft und glatt sind, aber solchen Luxus mußten wir uns noch versagen. Ein Jerseykalb wäre eher zu erschwingen gewesen, dann hätten wir aber noch eine Reihe von Jahren auf die Milch warten müssen, und darum war es schon besser, eine gewöhnliche Kuh anzuschaffen.

Wer beschreibt unser Entzücken, als nun unsere eigene Kuh langsam und feierlich in den Hof schritt und den Klee auf der kleinen Wiese zu fressen begann! Sie ließ sich friedlich von Pomona und mir in den Stall treiben, während Euphemia bemüht war, den glücklicherweise angeketteten Hund von zu heftigen Gefühlsäußerungen abzuhalten, indem sie ihm auseinandersetzte, daß es seine Pflicht sei, unsere Kuh, als neue Hausgenossin zu beschützen und sie niemals anzubellen. Nach dem eindringlichen und vertraulichen Tone, in dem sie zu ihm sprach, glaubte der Hund nicht anders, als er werde jetzt losgelassen, um der Kuh den Garaus machen zu können. Er that seine Bereitwilligkeit in großen Freudensprüngen kund und zerrte so gewaltig an der Kette, daß Euphemia sich zu fürchten begann und es für geraten hielt, ihrer Wege zu gehen. – Der Hund, auf Pomonas dringendes Verlangen »Lord Eduard« genannt, war auf bestem Wege, sich anzugewöhnen. Abends ließ er sich von mir losketten, und es gelang mir auch meist, ihm morgens die Kette wieder anzulegen, wenn ich ihm einen großen vollen Napf zum Frühstück brachte und ihn damit in den Schuppen lockte.

Vor dem Abendessen gingen wir alle in die Scheune, um die Kuh melken zu sehen. Pomona sollte dies Geschäft besorgen, da sie bei Ackergerätschaft und Viehzucht auf dem Lande aufgewachsen war. Es glückte ihr aber nicht damit, denn, so eifrig sie auch melkte – es kam keine Milch.

»Das ist eine komische Kuh,« sagte Pomona.

»Bist du denn auch sicher, daß du das Melken verstehst?« fragte Euphemia besorgt.

»Das will ich meinen,« versetzte sie, »ich habe so oft melken sehen, ich glaube hundertmal reicht nicht!«

»Aber du hast es nie selbst gethan?«

»Nein, aber ich weiß doch, wie man's macht!«

Das mochte wohl sein, – aber jedenfalls konnte sie's selber nicht! Wir mußten endlich den Versuch aufgeben und beschlossen die Kuh am andern Morgen von dem Mann, der ab und zu bei uns im Tagelohn arbeitete, melken zu lassen.

Spät abends, ehe ich zu Bette ging, sah ich noch einmal aus dem Fenster nach der Scheune, in der die Kuh stand, und war erstaunt, Licht darin zu bemerken!

»Was,« rief ich aus, »sollen wir denn nicht eine einzige Nacht im friedlichen Besitz unserer Kuh bleiben können!«

Ich nahm den Revolver und eilte in den Hof hinunter, während Euphemia mir nachrief, doch ja recht vorsichtig mit der Pistole umzugehen. – Draußen pfiff ich nach dem Hunde, erhielt aber keine Antwort.

»Sollte man ihm ein Leids angethan haben?« dachte ich und wünschte mir lebhaft bewaffnete Verstärkung herbei.

In der Nähe der Scheune sah ich jemand mit einer Laterne und einem Hunde auf mich zukommen: Es war Pomona, mit einem Milcheimer am Arm.

»Sehen Sie nur,« sagte sie, »über die Hälfte voll! Ich bin in die Scheune gegangen statt zu Bett, denn ich wollte melken lernen, und wenn mich's die ganze Nacht kostete! Eine Stunde war ich dort, und nun brauche ich morgen keinen Mann zu holen!« fügte sie triumphierend hinzu und hing den Stallschlüssel an den Nagel.

Ich erwähne den Umstand nur, um zu zeigen, wie sich Pomonas Charakter unterdessen entwickelt hatte.

Auf unserm Anwesen fehlte es nie an Arbeit, und wir waren stets auf Verbesserungen bedacht.

»Wir kaufen es später ja doch einmal!« pflegte Euphemia zu bemerken, um unsere Aufwendungen zu rechtfertigen.

Im Herbst sollte Weizen gesäet, und nächstes Jahr die reichste Ernte gehalten werden.

Wir teilten uns in die wirtschaftlichen Pflichten, wobei Euphemia sich die Sorge für den Hühnerhof vorbehielt. Sie wollte auch ein Geschäft für sich allein haben, wie ich das meine in der Stadt hatte. Da sie sich's so schön ausgedacht hatte, von ihren eigenen Ersparnissen die Hühner zu kaufen und alle erforderlichen Ausgaben zu tragen, durfte ich schon darum nichts dagegen einwenden.

Zuerst schaffte sie sich ein Buch über Hühnerzucht an und war so voll davon, daß sich alle unsere Gespräche wohl eine Woche lang nur um Hühner drehten. Ein Hühnerhaus war schon da, der Hof sollte aber erst angelegt werden und zwar gleich recht groß, denn Euphemia wollte die Sache geschäftsmäßig betreiben.

»Vielleicht können meine Hühner noch das Gütchen kaufen,« sagte sie, und diese Aussicht war mir gar nicht zuwider. Alles ging ganz systematisch vor sich: es sollten italienische Hühner, Brahmaputras und gewöhnliche Haushühner angeschafft werden: Die Hühner der ersten Rasse legen die meisten Eier, die von der zweiten sind besonders groß und schön und die dritte hat die besten Mütter.

»Wir essen und verkaufen dann die Eier der ersten und dritten Klasse, meinte sie, und legen die Eier der zweiten Klasse den Hennen der dritten unter!«

»Das scheint mir doch ziemlich ungerecht,« meinte ich, die erste Klasse bleibt dann immer kinderlos, die zweite hat nichts mit ihrer Nachkommenschaft zu thun und die dritte muß alle fremden Kinder aufziehen und versorgen.«

Meine Stimme gab jedoch hiebei nicht den Ausschlag, und sobald der Zimmermann den Hof fertig hatte, einige Hühnerkörbe angeschafft und alle Vorbereitungen getroffen waren, ließ sich Euphemia einen Wagen kommen und fuhr in der Umgegend umher, um Hühner zu kaufen.

Den ganzen Tag blieb sie fort – denn was sie suchte, war nicht so leicht zu finden. Am Abend brachte sie jedoch einen riesig großen Brahmaputrahahn nebst zehn wirklich schönen Hennen nach Hause. Sie war sehr stolz auf ihren Einkauf und als ich einige Anspielungen machte, daß die Zimmermannsarbeit, die Rundfahrt und alle die Hühner recht viel kosten würden, meinte sie:

»Du siehst die Sache in ganz falschem Licht, weil du dich nicht so eingehend damit beschäftigt hast, wie ich. Warte nur, wie das Geschäft rentiert, wenn es ordentlich betrieben wird!« Sie zog ein mit Zahlen beschriebenes Papier hervor und fuhr fort: »Fangen wir mit zehn Hennen an, – es rechnet sich so am besten, obwohl ich nur vier Bruthühner habe; – nach einiger Zeit lege ich jeder dreizehn Eier unter, wenn nun auch drei davon schlecht sind, so brütet doch jede Henne zehn Küchlein aus, von denen wenigstens fünf am Leben bleiben – wie du siehst, lasse ich für Verluste einen weiten Spielraum. – Das macht fünfzig Küchlein, dazu die zehn Hennen, so haben wir sechzig Hühner am Ende des ersten Jahres. Wenn dann im nächsten Jahre alle sechzig brüten und jede fünf Küchlein groß zieht – natürlich werden es mehr sein, aber ich will ganz sicher gehen – so macht das dreihundert Küchlein, dazu die Hennen, sind dreihundert sechzig am Ende des zweiten Jahres. Setze ich die Berechnung ebenso fort, so kommt die Zahl im dritten Jahr auf zweitausend einhundert und sechzig Küchlein, im vierten auf zwölftausend neunhundert und sechzig und am Ende des fünften Jahres – weiter brauchen wir noch nicht zu gehen – habe ich vierundsechzig tausend achthundert Küchlein. Was sagst du dazu?! – Das Stück zu 75 Cents berechnet, – was ja sehr billig ist! – so beträgt das 48 600 Dollars! – Gegen eine solche Summe kann doch die Herstellung eines Zauns und der Einkauf von ein paar Hühnerkörben gar nicht in Betracht kommen!« –

»Es wäre ganz lächerlich,« versetzte ich, es auch nur zu erwähnen, »es ist ja wie ein Tropfen im Ozean! – Um nichts in der Welt möchte ich deine prachtvolle Berechnung anzweifeln – aber eine Frage habe ich doch noch auf dem Herzen!«

»Oh, ich weiß schon!« fiel sie ein, »du willst von den Futterkosten für das ganze Hühnervolk sprechen! – Die bestreite ich durch die Küchlein, von denen ich angenommen habe, daß sie sterben würden. Das werden sie aber nicht! Die Annahme, daß jede Henne nur fünf aufzieht, wäre lächerlich. Was darüber hinaus am Leben bleibt, wird die Futterkosten reichlich einbringen.«

»Natürlich ist das auch in Betracht zu ziehen,« meinte ich, »aber ich wollte etwas anderes einwenden. – Du hast vier gewöhnliche Haushühner, nicht wahr, und wenn ich recht verstehe, läßt du sie nur fremde Eier ausbrüten und denkst nicht daran, Nachzucht von ihrer Rasse zu bekommen. Sollen denn nun diese vier Hennen fünf Jahre lang alle Eier ausbrüten und sämtliche Mutterpflichten erfüllen und das an eventuell über 64 000 Küchlein?«

»Ja, da habe ich mich wohl geirrt,« sagte sie, leicht errötend, »das geht ja gar nicht! Aber ich weiß schon was ich thue, – ich lasse jede Henne in jedem Jahre brüten!«

»Aber vielleicht sind auch Hähnchen unter den Küchlein! – nach deiner Berechnung sollten sie alle brüten, sobald sie groß genug sind!« –

Sie dachte eine Weile nach und sagte dann:

»Zwei sehen doch immer mehr als einer! – Aber, wenn auch die Hälfte der Küchlein Hähnchen sind, so kommt der Profit noch immer auf 24 300 Dollars und das ist noch übrig genug, um das Anwesen zu kaufen!« –

»So viel brauchen wir lange nicht!« rief ich voller Freude, »Ruderheim ist schon so gut wie unser!« –


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