Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XX.
Eklektischer Katholizismus

Die vier Jahre, die er in Aylesburgh verweilte, betrachtete Lukas immer als die glücklichsten seines Lebens, Hier hatte er alles, was ein scharfer Verstand und ein feiner Geschmack verlangen konnten. Er fand sogar Zeit zum Nachdenken in den Intervallen unablässigen Wirkens; jeden Montag, nach der großen Sonntagspredigt, gönnte er sich einen Tag Erholung. Er nahm wenigstens Pio, den großen braunen Apportierhund, mit sich und ging ins Freie. Aber auch bei diesen Spaziergängen, den einsamen Fluß entlang, kam sein Geist nicht zur Ruhe; bald dachte er an seine nächste Predigt, dann wieder an das Gespräch vom vorigen Abend im »Salon«; besonders auch an die vielen, vielen Gesellschaften und Vereine zur Hebung des Volkes, denen er entweder als aktives oder Ehrenmitglied angehörte.

Darin waren einbegriffen: eine Gesellschaft zur Rettung entlassener Sträflinge, eine Gesellschaft zur Unterdrückung öffentlicher Laster, eine Gesellschaft zur Herstellung von Armenwohnungen, eine Gesellschaft zur Sanierung der Bühne etc. etc.

»Ich sehe Ihren Namen, Vater Delmege,« bemerkte eines Tages Doktor Drysdale trocken, »leider nicht im Komitee zur Beförderung der Wahrheitsliebe bei Staatsmännern und zur Einführung des siebenten Gebotes auf der Börse.«

Lukas schloß daraus, der alte Herr sei eifersüchtig. Er hatte auch allen Grund, es zu werden. Er war rein nichts mehr. Lukas stellte ihn vollständig in Schatten.

»Sie werden natürlich Sonntag abend predigen, Vater Delmege?«

»Bedaure, leider nicht. Sonntag abend ist Doktor Drysdale an der Reihe.«

»O, wie schade, wie schade! Und die Lefevrils wollen kommen! Könnten Sie keine Aenderung herbeiführen?«

»Ich würde Ihnen gern entgegenkommen, aber Sie können sich denken, daß der Pfarrer die Zumutung kaum gut aufnehmen würde.«

»Bitte, versuchen Sie es doch wenigstens, Vater! Es ist wirklich wichtiger, als Sie sich denken oder ich es Ihnen sagen kann. Und wenn Sie wüßten, wie außerordentlich wichtig es ist –«

»Ich fürchte, es ist ganz unmöglich, Mr. Bluett.«

»O Gott! O Gott! Der Doktor ist so eine liebe Seele, aber er ist auch so trocken. Das wäre mir aber egal, wenn nicht gerade Sie –«

Kein Wunder, daß Lukas an seinen Predigten arbeitete! Um zehn Uhr morgens setzte er sich Dienstags an seinen Schreibtisch und arbeitete ununterbrochen bis Mittag. Am Freitag abend hatte er seine fünfzehn Seiten Predigt geschrieben. Am Samstag prägte er sie dann seinem Gedächtnis ein und hielt sie, ohne auch nur ein Wort zu ändern oder auszulassen, am Sonntag morgen beim Evangelium der Missa cantata oder bei der Vesper am Abend. Während dieser ganzen vier Jahre wagte er es nie, öffentlich ohne diese sorgfältige Vorbereitung zu sprechen. Später wunderte er sich selbst darüber, gab aber zu, daß er sich nicht anders getraute. Er wußte ja nie, wer ihm vielleicht zuhorche in diesem seltsamen Lande, wo jeder sich so sehr um die Religion kümmert, weil jeder sein eigener Papst ist; und doch so unbekümmert ist, weil es ihm gleichgültig erscheint, was all die anderen Päpste, und selbst der Erzbischof von Canterbury, glauben oder lehren. Aber die Uebung war doch gut für Lukas; sie gab ihm eine Leichtigkeit im Predigen, die ihm fürs ganze Leben blieb.

Doktor Drysdale war aber nichts weniger als eifersüchtig auf Lukas. Er war zu alt, zu gescheit und zu fromm, um etwas anders als belustigt – und etwas besorgt um seinen jungen Mitbruder zu sein. Belustigt war er, sogar sehr belustigt, über das keltische Ungestüm, mit dem sich Lukas auf jede Arbeit warf. Seine aufopfernde, hochherzige, mannhafte Art und Weise war ein solcher Kontrast zu des alten Priesters sanfter Friedensliebe, daß er im Anfang sehr interessant war. Dann aber wurde Lukas der Gegenstand schwerer Sorge für den Pfarrer.

»Das ist ein sehr schätzenswertes und interessantes Buch,« konnte dieser sagen und Lukas ein Werk von irgendeinem großen katholischen Schriftsteller zuschieben, denn er war Mitglied der St. Anselms-Gesellschaft, einer Gesellschaft, der Lukas nicht angehörte. »Nehmen Sie es mit in Ihr Zimmer und lesen Sie es mit Muße durch.«

Lukas nahm es dann mit; aber Mill, Heine und Emerson hatten ihn so mit Beschlag belegt, daß er es nach einigen Tagen unaufgeschnitten zurückbringen konnte mit einer Bemerkung, die recht vielsagend sein sollte.

»Alle Poesie der Welt ist in der katholischen Kirche; und alle Literatur der Welt außerhalb,« oder: »Mir scheint, unsere ganze Philosophie besteht aus Brocken unverdaulicher Behauptungen, die mit dem Schaum von Syllogismen garniert sind.«

Der Pfarrer rieb sich dann wohl das Kinn und meinte »hm!«, was ja auch beredt genug ist.

Sonntag nachmittags konnte der Pfarrer sagen: »Schenken Sie mir eine halbe Stunde, Vater Delmege, und helfen Sie mir am Altare!«

Der »Altar« war in dem Sinne ein privilegierter, daß niemand, nicht einmal der Vorstand der Gesellschaft zur Schmückung der Altäre ihn zu irgend einem Zwecke berühren durfte. Die Anordnung der Altartücher, der Vasen, der Blumen – alles das war des Pfarrers ausschließliches Arbeitsgebiet, in das niemand eingreifen durfte. Aber seinen besonderen Stolz setzte er darein, den Hochaltar für den Segen am Sonntag Abend zu schmücken. Es war eine Arbeit, die mit aller Liebe verrichtet wurde und mehr als drei Stunden des Sonntagnachmittags in Anspruch nahm. Es gab da manchmal hundertundzwanzig bis hundertundfünfzig Kerzen zum Anzünden aufzustecken; und der Pfarrer hatte die Ansicht, sie sollten zu jedem Segen anders angeordnet sein. Sodann bestrich er zum Schlusse den Docht jeder Kerze mit einem Präparat aus geschmolzenem Wachs und Paraffin – eine chemische Verbindung, auf die er sehr stolz war und die er ernstlich patentieren zu lassen gedachte. Das Präparat und sein Topf ließen Lukas nicht aus der Verwunderung herauskommen. Freilich fürchte ich, daß die Verwunderung etwas verächtlicher Natur war. Sehen zu müssen, wie dieser hervorragende Greis, der Doktor der Theologie, Mitarbeiter der Dublin Review war und mit französischen und italienischen Philosophen in Briefwechsel stand, eifrig dieses Oel und Wachs zusammenmischte und dann auf einer Leiter stehend Kerzen und Blumen aufstellte, herabnahm und wieder hinsetzte, das war etwas, was Lukas' Fassungskraft überstieg. In späteren Jahren, als seine Augen weiter aufgegangen waren, weinte er freilich manche bittere Träne über den Salbentopf – und über sich selbst.

»Unmöglich, Herr Pfarrer!« konnte er dann auf die Einladung zur Antwort geben. »Ich habe wirklich etwas Ernsthaftes zu tun. Können Sie denn diese Dinge nicht die Damen oder den Küster tun lassen?«

Der greise Pfarrer pflegte dann nicht zu antworten, außer seinem unsichtbaren Herrn.

Aber Lukas war glücklich, und sein großes Glück bestand im Umgange mit Konvertierenden. Hier hatte er ein breites Feld der Tätigkeit, auf dem er Gelehrsamkeit, Takt und Mitgefühl zeigen konnte. Diese zitternden Seelen über die Sümpfe und schwanken Moore des Unglaubens emporzuheben, sie zu erleuchten, aufzuheitern und zu stützen unter all den schrecklichen geistigen und seelischen Versuchungen beginnenden Zweifels, bis er sie sicher zu seinen Füßen auf den besten Boden katholischen Glaubens und Lebens gestellt hatte; der Zeuge ihres fast überschwenglichen Glückes zu sein, wenn sie geschlossenen Auges und schweren Herzens den letzten Schritt getan hatten und sich nun schließlich heiter und sicher fühlten; ihren verwunderten Blicken allen Glanz und alle Schönheit zu zeigen, die sie bis jetzt nur in entstelltem und unklarem Lichte geschaut hatten; an ihrem Glück und ihrer Dankbarkeit teilzunehmen – o! das war Seligkeit, und Lukas fühlte: Ja, wahrhaftig! Hier liegt mein Beruf; hier habe ich mein Lebenswerk gefunden! Und wenn in dieser Zeit je ein Zweifel über seine Studien seinen Kopf durchfuhr, so beschwichtigte er die klagende Stimme sofort mit der dogmatischen Versicherung:

»Der erste Schritt, den Feind zu besiegen, ist, die feindlichen Arsenale zu nehmen und die feindlichen Waffen zu benützen.«

Es waren freilich auch einige Nachteile dabei. Hin und wieder konnte ein albernes Mädchen oder ein eingebildeter Bibelleser in aller Form konvertieren und dann wieder »zurückkonvertieren«. Eines Tages wünschte ihn eine Dame zu sprechen. Sie war tief verschleiert und wünschte dann und dort in die Kirche aufgenommen zu werden. Lukas zögerte. Er nahm sie mit ins Kloster der treuen Gefährtinnen und vertraute ihren Unterricht der Sorge der ehrwürdigen Mutter an. Er war ganz stolz darauf, denn es handelte sich augenscheinlich um eine vornehme Dame. Ein paar Tage später spazierte er gemächlich ins Kloster hinunter und erkundigte sich nach seiner Konvertitin. Die ehrwürdige Mutter empfing ihn mit einem Lächeln.

»Nein, die Dame hatte nicht konvertiert. Sie war eine Irrsinnige, der es gelungen war, aus dem Wagen ihrer Mutter zu entfliehen, während diese Einkäufe besorgte; und der Ausrufer hatte die ganze Stadt alarmiert, um sie wieder zu finden.«

Lukas geriet auch in einen Zeitungsstreit. In der Nachbarschaft gab es nämlich einen sehr, sehr hochkirchlichen Pfarrer. Er hatte viel mehr Kerzen in seiner Kirche als die bloß Römischkatholischen, und seine kirchlichen Gewänder kosteten noch einmal so viel als die ihrigen. Er bewahrte das kostbare Blut (so meinte er wenigstens, der arme Mann!) auf, und hatte sich eine eigene Lünette für die Phiole beim Segen machen lassen. Er gab in Nachahmung der ersten kirchlichen Jahrhunderte den Leuten schreckliche Bußen auf, und jedes Jahr frischte er seine übertriebene Orthodoxie ein oder zwei Male durch heftige Angriffe auf die friedfertigen Katholiken auf. Einige aus seiner Zuhörerschaft waren durch diese heftigen Philippiken erbaut und bestärkt, besonders ein paar Leute, deren Angehörige katholisch geworden waren und die sich daher »verdächtig« gemacht hatten; viele aber waren geekelt, denn selbst im Ritualismus hält der Engländer noch seine persönliche Gedankenfreiheit hoch. Die meisten der Zuhörer waren jedoch belustigt.

»Er protestiert zu viel,« gestanden sie. »Es ist nur wegen dieses Hundes Pio, der den guten Geschmack besitzt, des Sonntags in unsere Kirche zu kommen.«

Jawohl. Aber nicht um zu beten; Pio hatte sich nämlich geheimnisvoller Weise die Gewohnheit angeeignet, jeden Sonntagmorgen zur ritualistischen Kirche hinunterzutrotten und sich da am Kirchentor aufzustellen und jedes Gesicht und jede Gestalt, die zum Gottesdienste kam, sorgfältig zu mustern.

»Der römische Priester hat ihn hergeschickt,« behauptete der Pfarrer, »um aufzupassen, ob nicht ein verirrtes Schäflein in den wahren Schafstall wandere.«

Aber der ritualistische Pfarrer war toll. Und die »Aylsburgher Post« war gerade das richtige Werkzeug seines Irrsinns. Ein solcher Haß, eine solche Geringschätzung, eine solche kühle, unverfälschte Verachtung für »seine« Pfarrkinder, »diese römischen Priester«, fanden ihresgleichen nur noch bei den auswärtigen mächtigen Sprachrohren der Sekte; und auf die scharfe Philippika folgte gewöhnlich eine zornige Anfrage nach Gebühren oder Zehnten von »seinen Pfarrkindern«. Dr. Drysdale las lächelnd die Sache und warf das Blatt ins Feuer. Lukas aber war anders geartet. Lukas war tief in Gedanken, und seine Gedanken fanden ihren Ausbruch in Worten. Der verehrliche Herausgeber der »Aylesburgher Post« hatte noch nie zuvor ein derartiges Manuskript erhalten, nicht einmal von dem hochkirchlichen Pfarrer. Vernichtender, beißender Sarkasmus, Zitate anglikanischer Theologen, die eine Statue zum Erröten gebracht hätten, Widerlegungen, die unwiderleglich waren, und logische Folgerungen, die nicht wegzuleugnen waren – und all das in einer Sprache, die das Papier in Brand zu stecken schien! Der Herausgeber las lächelnd den Erguß und warf das Manuskript dann in den Papierkorb, worauf er nachsah, ob es nicht brenne.

Lukas lief vierundzwanzig Stunden mit seinem brennenden Geheimnis herum. Er hoffte, in der Stadt eine große Sensation zu erregen, wahrscheinlich sogar einen großen Abfall vom Ritualismus – wenigstens eine lange, heftige, erregte Kontroverse, aus der er mit Zuhilfenahme all seiner vielen Hilfsmittel unfehlbar als Sieger hervorgehen würde. Der zweite Tag war ein Tag des Fiebers und der Unruhe. Endlich nahte der dritte Morgen. Da stand ein zweiter sarkastischer Brief des Hochkirchlers in der Zeitung und darunter eine kurze redaktionelle Bemerkung:

»Wir haben über diesen interessanten Gegenstand auch eine Zuschrift von L. D. erhalten. Der Herr versteht mit seiner Feder gut umzugehen.

Die Red.«

Wie bei einer früheren Gelegenheit, so spielte Lukas auch jetzt Rugby-Fußball in seinem Zimmer herum, zum großen Gaudium seines Pfarrers, der diese Fußnote mit verständnisinnigem Vergnügen gelesen hatte, und brach in ein aufgeregtes Selbstgespräch los:

»Ehrliches Spiel! Britisches ehrliches Spiel! Sie sind die größten Hallunken und Heuchler auf Gottes Erdboden! Da liegt ein offener Angriff vor, der ganz grundlos, ohne alle Ursache erfolgte! Und hier ist eine gerechte, maßvolle, ehrliche Antwort darauf und siehe da! sie wird unterdrückt. Es ist die alte, alte Geschichte. Sie reden von Wahrheit, wenn sie lügen! Sie reden von Religion, wenn sie Gott lästern! Sie reden von Humanität, wenn sie rauben, plündern und morden! Sie reden von ehrlichem Spiel, wenn sie einem die Hände binden, um ihn treffen zu können!« Das zeigt, daß auf Lukas' überströmende Bewunderung alles Englischen manchmal ein tüchtiger Mehltau fiel. Er sprach mit seinem guten Pfarrer nie über die Sache. Er entlastete seine Seele anderswo.

* * *

»Nichts erinnert mich so sehr an die ruhige Standhaftigkeit und Stärke der ersten Christen,« sagte der große »Meister« eines Abends im »Salon«, »als der Friede, der auf die Seele neu zum Katholizismus Uebergetretener herabzukommen und da zu weilen scheint.«

»Natürlich, gewiß,« erwiderte Amiel Lefevril; »der ganze Grund und die ganze Entstehung des Katholizismus beruht darauf, daß er Lust im Schmerz sucht. Unsere Religion halte ich da schon für höher und tiefer, weil wir den Schmerz in der Lust suchen.«

Der Meister lächelte. Seine Schüler machten Fortschritte im Platonismus.

»Das ist ein Grund,« fuhr sie fort, »warum ich nicht zum römischen Katholizismus übertrete, der mir sonst ganz sympathisch ist. Er scheint nur auf der Selbstsucht aufgebaut zu sein. Seine Nächstenliebe sucht stets ihren Lohn, sei es in der Wertschätzung anderer oder in der Hoffnung auf den Himmel. Ist es nicht höher, edler und erhabener, um der abstrakten Idee willen, der Menschheit wohl zu tun, zu handeln und zu denken? So ist es auch mit dem Gebet. Ich kann ein Gebet wohl verstehen als eine Ekstase beim Gedanken ans Unendliche, als ein Emporheben der Seele in höhere Sphären, als ein bewußtes Versenken des Ich in das All. Aber euer ewiges Winseln um Gnade, eure Gebete gegen die Naturgesetze sind mir unverständlich. Und was die Reue anlangt, was ist sie anders als das Entzücken der Qual – das feine, tiefe Leiden, das den selbstbewußten Peiniger in einer Ekstase des Segens badet?«

»Sie scheinen zu übersehen, Miß Lefevril,« wandte Lukas schüchtern ein, »was auf dem Grunde aller asketischen Uebungen und Gebete liegt – die wesentlichen Dogmen oder Wahrheiten der Religion.«

»Wahrheiten meinen Sie? So etwas gibt es überhaupt nur als Abstraktum. Deswegen behaupte ich stets, daß wir praktisch – das heißt, alle guten Menschen – dasselbe sind. Und jeder Seele steht es frei, sich ihre eigenen Glaubenssätze auszusuchen und daraus ein Ganzes zu bilden.«

Lukas blickte verwundert auf den Meister, der mit seiner Schülerin sehr zufrieden schien. Er wagte aber doch einzuwenden: »Ich kann Ihnen wirklich nicht folgen, Miß Lefevril; es scheint mir eine logische Folgerung: Ohne Wahrheit auch kein Grundsatz.«

»Ich spreche aber von Glaubenssätzen. Es besteht doch ein natürlicher und logischer Kausalnexus zwischen Glauben und Grundsatz.«

»Und wie läßt sich Glauben ohne Objekt – ohne dieses eine Objekt, Wahrheit, denken?«

»Mein Gott! Wie soll ich's Ihnen denn erklären? Sie wissen natürlich – ich glaube, ich habe es Sie sogar schon aussprechen hören –, daß mathematische Beweise die vollkommensten sind?«

Lukas nickte.

»Daß nichts so sicher ist, als daß zwei gerade Linien niemals einen Raum einschließen können?«

Lukas bejahte.

»Und daß jeder Punkt im Umfang eines Kreises gleich weit vom Mittelpunkt entfernt ist?«

»Genau so!«

»Aber diese Dinge existieren doch nur und können nur existieren als logische Abstraktionen des Geistes. Da gibt's doch keine objektive Wahrheit, weil kein Objekt vorhanden ist. Gerade so ist's mit jeder Wahrheit, denn jede Wahrheit ist immateriell und rein subjektiv.«

»Dann glauben Sie auch nicht an Gott?« fragte Lukas gerade heraus.

»O, gewiß! Ich glaube an meine eigene Auffassung von Gott, wie Sie an die Ihrige.«

»Oder an die Hölle, oder an ein zukünftiges Leben?«

»Ganz gewiß glaube ich an eine Hölle – an die Hölle, die wir uns selbst durch unsere Missetaten schaffen, und an die Unsterblichkeit meines Selbst, meiner Seele, die in der Unsterblichkeit meiner Rasse alle Zeiten überdauert.«

»Ich bedaure, sagen zu müssen, Miß Lefevril, daß Sie mit solchen Ideen niemals eine Katholikin werden können!«

»Aber ich bin eine Katholikin! Wir sind alle Katholiken! Uns beseelt alle der gleiche Geist. Mr. Halleck ist Katholik, wenn auch kein solcher wie Sie –«

»Ich bitte um Entschuldigung. Mr. Halleck ist Mitglied unserer Kirche und hat sein Glaubensbekenntnis abgelegt.«

»Freilich hat er das; aber seine Subjektivität ist nicht die Ihre, noch die Mr. Drysdales, noch Mr. Bluetts, noch die meine. Jede Seele taucht in die See und nimmt, was sie fassen kann. Sie werden doch nicht wohl behaupten wollen, daß die armen Leute, die in Primrose Lane wohnen und Ihre Kirche besuchen, und der gelehrte Mr. Halleck die nämlichen subjektiven Glaubenssätze bekennen?«

»Um so schlimmer für meinen Freund Halleck, wenn das wahr wäre!« wagte Lukas einzuwenden.

»Ganz und gar nicht! Er ist nur ein eklektischer Katholik, wie wir alle es sind – wie der Meister, wie Kanonikus Merrit oder sogar Mr. N. –,« und sie nannte den Namen eines Mannes, mit dem Lukas eine heftige Preßfehde gehabt hatte.

Er wich voll Abscheu zurück.

»Wie können Sie die Namen Mr. Hallecks und Mr. Merrits mit diesem – gewöhnlichen Menschen in einem Atem nennen?«

»Aber mein lieber Mr. Delmege, wir sprechen ja nicht von Gewöhnlichkeit oder Bildung, sondern von Anschauungen – Gedanken – Meinungen – Glaubenssätzen –«

»Und Ihr ganzer Glaube ist reiner Skeptizismus.«

»Ganz und gar nicht!« lächelte Miß Amiel. »Sie verstehen mich nicht! Sie müssen wirklich Plato über Ideen nachlesen, um den Begriff des subjektiven Idealismus zu erfassen, oder das, was ich eklektischen Katholizismus genannt habe.«

Lukas begann jetzt zu fühlen, daß sein Pfarrer recht hatte, und daß er beim alten John Godfrey und seiner Pfeife besser aufgehoben wäre. Aber während sein Glaube vollkommen war, fehlte ihm noch die Gnade der Erleuchtung. Er tappte immer noch in den dunklen Gewölben dessen herum, was er das »feindliche Arsenal« zu nennen beliebte.

Und es entstand daraus wieder eine herrliche Predigt, die Lukas am folgenden Sonntag abend hielt. Man konnte ihn kaum tadeln; um diese Zeit war in England der Gedanke ausgesprochen worden, man solle eine Irrlehre dadurch besiegen, daß man nicht nur eine Kenntnis ihrer Geheimnisse vorgebe, sondern sich auch ihrer Sprache und Ausdrucksweise bediene. Und es war ein kaum verhehlter Wunsch entstanden, die Lehren der Kirche so abzuschwächen, daß sie sich dem zu bekämpfenden Irrtum mehr anpaßten. Diese Idee war natürlich das ausschließliche Eigentum von Neuerern und erregte nicht nur den Verdacht älterer und besonnenerer Köpfe, sondern wurde von ihnen geradezu verdammt. Diese konservativen Elemente predigten bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit, daß die Kirche nicht auf den Verstand und die Einsicht sehe, sondern auf den Charakter und die Lebensführung, das heißt auf die Seele. Aber junge Köpfe sind recht schwer davon zu überzeugen. So hatte Lukas eine Zeitlang lauter Zitate in seine Predigten eingeflochten, die der heiligen Schrift recht ähnlich klangen, in Wirklichkeit aber sehr unähnlich waren, was seinem guten Pfarrer viel Kummer verursachte. Diesen Abend hatte er zur Aufklärung eines großen Teiles seiner Zuhörerschaft, junger Kaufleute, die an den Sonntag Abenden in die katholische Kirche zu strömen pflegten, um einen so hervorragenden jungen Redner wie Lukas zu hören, das Thema der »heiligen Schrift« gewählt. Ein ausgezeichnetes Thema, das Lukas auch sehr gut behandelte. Aber unglücklicherweise wurden unter den unerfahrenen Händen Lukas', der um diese Zeit wahrscheinlich von seiner wachsenden Liebe zu Plato und seinen Schulen durchdrungen war, die Nebenszenen anziehender als das große Mittelbild, bis die Predigt zuletzt in die reinste Verteidigung des Naturalismus ausartete. Es war das alles sehr hübsch gesagt und ungemein schmeichlerisch für die menschliche Natur, und Lukas entging kaum einer Ovation, als er seine glänzende Predigt nach mehreren Zitaten aus dem Buch Thoth mit folgender Stelle aus einem andern schloß:

Er gibt dem Schwachen Stärke und den Starken
Wirft er darnieder; den, der berühmt,
Macht er vergessen und dem Unberühmten
Gibt er Ruhm; ja Er, der Donner schleudert
Von der Höhe und oben thront in Herrlichkeit,
Er macht gerade den Gebückten und verdirbt den Stolzen.
Höre und schaue und beachte! Und mache
In Recht gerade die Wege der Orakel Gottes.

Die »Eklektiker« fanden die Predigt großartig.

Mary O'Reilly bemerkte zu Mrs. Mulcahy: »Habt Ihr jemals so etwas gehört? Wie ein Strom Honig läuft's ihm vom Munde. Ja, ja, das alte Land bringt immer noch die Prediger hervor. Der arme Pfarrer, Gott segne ihn, ist rein nichts gegen ihn. Ich glaube nicht, daß man ihn uns läßt!«

Der Pfarrer nahm einen andern Standpunkt ein. Er betete während des Segens innig um Erleuchtung. Dann begann er nach dem Tee etwas nervös und sorgsam jedes Wort überlegend: »Darf ich mir eine Frage erlauben, Vater Delmege? War ihre heutige Predigt einstudiert oder war sie ex tempore?«

Lukas, der ein Kompliment erwartete, erwiderte prompt:

»Einstudiert natürlich. Ich rede hier nie, ohne mir jedes Wort meines Manuskriptes genau einzuprägen.«

»Das tut mir leid,« gab der alte Herr zögernd zurück. »Ich hoffte, die vielen Unklugheiten Ihrer Predigt auf Rechnung der Eile und Nervosität setzen zu können. Ich kann mir nicht denken, wie ein katholischer Priester solch ungehörige und unüberlegte Dinge ruhig niederschreiben kann.«

»Wieder die alte Eifersucht!« dachte Lukas. »Vielleicht haben Sie die Güte, Sir, sich näher zu erklären. Ich bin mir nicht im geringsten bewußt, etwas Unüberlegtes oder Ungehöriges gesagt zu haben.«

»Es ist sehr wohl möglich,« entgegnete der alte Pfarrer, »daß das Volk nichts davon gemerkt hat. Es kümmert sich ja auch hübsch wenig um diese gelehrten Themata. Haben Sie aber noch nie bedacht, welch' verderblichen oder gar zerstörenden Einfluß Ihre Worte auf die beginnenden Wirkungen der Gnade in den Seelen anderer ausüben können?«

»Sie wissen aber wohl nicht, Sir,« erwiderte Lukas und spielte seinen Haupttrumpf aus, »daß meine Predigten die Hauptanziehung für einen sehr großen Teil unserer getrennten Brüder sind, die an gewissen Abenden in unsere Kirche kommen, um zu hören und belehrt zu werden.«

»Wie lange sind Sie schon hier, Vater Delmege?«

»Fast volle vier Jahre.«

»Wie viele Konvertiten haben bei Ihnen schon Unterricht genossen?«

»Ich kann sie gar nicht zählen.«

»Wie viele haben Sie wirklich in die Kirche aufgenommen?«

Lukas fand, daß er sie leicht an seinen fünf Fingern herzählen konnte. Er wurde verlegen.

»Und wie viele von diesen sind in der Kirche geblieben?« vollendete der Pfarrer seine Fragen.

Lukas mußte zugeben, daß fast die Hälfte wieder zurückkonvertiert hatte.

»So! Und wenn Sie nun um den Grund dieser traurigen Erscheinungen fragen, so werden Sie finden, daß es nur Ihr übertriebener Liberalismus ist, der mir – verzeihen Sie den harten Ausdruck! – eine halbe Apologie des Heidentums zu sein scheint.«

Lukas fühlte sich verletzt.

»Es ist wirklich wahr,« antwortete er, »aber ich weiß nicht, wo ich stehe. Unsere führenden Männer verherrlichen die Gelehrsamkeit, die Liebe zur Forschung, die Aufrichtigkeit gerade der Männer, die ich heute abend zitiert habe; und dieselben Bücher, die ich benützte, sind von unsern führenden Blättern günstig besprochen und warm empfohlen worden. Wollen Sie etwa, ich solle zum Katechismus zurückkehren und erklären: Wer hat die Welt erschaffen?«

»Das wäre das Schlimmste noch nicht. Doch Scherz beiseite, Vater Delmege, ich meine, je eher Sie die Gesellschaft dieser Liberalen und Freidenker aufgeben, desto besser. Ich habe mir oft vorgeworfen, daß ich nicht offen mit Ihnen über die Sache sprach.«

»Mrs. Bluett führte mich in diesen Kreis ein,« verteidigte sich Lukas, »und Katholiken verkehren in ihm; Halleck ist immer dort.«

»Halleck ist ein guter Mensch, aber er hat in die Kirche etwas von des Engländers unverbrüchlichem Recht des eigenen Urteils gebracht. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich diese literarischen Abende aufgeben und mehr nach Ihrem eigenen armen Volke sehen.«

»Ganz wie Sie wünschen, Sir.«

Kurz darauf sprach Lukas in seinen Spiegel hinein: »Die alte Geschichte! Diese Engländer wollen die feine Gesellschaft nur für sich selber haben.«


 << zurück weiter >>