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Mission des Dichters

An das Göttliche glauben
Die allein, die es selber sind.

Die Schule war für Hölderlin Kerker gewesen: voll Unruhe und doch voll leiser, ahnender Angst tritt er nun der Welt, der ihm ewig fremden, entgegen. Was an äußerer Wissenschaft zu lehren war, hat er im Tübinger Stift empfangen, er bemeistert vollkommen die alten Sprachen, Hebräisch, Griechisch, Latein; mit Hegel und Schelling, den Stubengenossen, hat er emsig Philosophie getrieben, und durch Siegel und Brief wird ihm außerdem bezeugt, daß er im Theologischen nicht müßig gewesen, daß er »studia theologica magno cum successu tractavit. Orationem sacram recte elaboratam decenter recitavit«. Er kann also schon gut protestantisch predigen, und ein Vikariat mit Beffchen und Barett wären dem Studiosus gewiß. Der Wunsch der Mutter ist erfüllt, die Bahn steht offen zu bürgerlichem oder geistlichem Beruf, zu Kanzel oder Katheder.

Aber Hölderlins Herz fragt von der ersten Stunde an niemals nach einem weltlichen oder geistlichen Berufe: er weiß nur von seiner Berufung, von seiner Mission höherer Verkündung. In der Schulstube schon hat er – »literarum elegantiarum assiduus cultor«, wie das Zeugnis barock floskelt – Gedichte geschrieben, elegisch-nachahmende zuerst, dann feurig dem Klopstockschen Schwunge nachtastende und schließlich jene »Hymnen an die Ideale der Menschheit« in Schillers rauschendem Rhythmus. Ein Roman »Hyperion« ist begonnen: von der ersten Stunde wendet der Schwärmer entschlossen das Steuer seines Lebens dem Unendlichen zu, dem unerreichbaren Strande, an dem es zerschellen soll. Nichts kann ihn beirren, diesem unsichtbaren Ruf mit selbstzerstörender Treue zu folgen.

Von vornherein lehnt Hölderlin jedes Kompromiß des Berufes, jede Berührung mit der Vulgarität eines praktischen Erwerbs ab, er weigert sich, »in Unwürdigkeit zu vergehen«, zwischen die Prosaik einer bürgerlichen Stellung und die Erhobenheit des innern Berufes irgendeine noch so schmale Brücke zu bauen:

Beruf ist mirs,
Zu rühmen Höhers, darum gab die
Sprache der Gott und den Dank ins Herz mir

verkündet er stolz. Er will rein bleiben im Willen und geschlossen in seiner Wesensform. Er will nicht die »zerstörende« Wirklichkeit, sondern sucht ewig die reine Welt, sucht mit Shelley

some world
Where music and moonlight and feeling
Are one

wo nicht Kompromisse nötig sind und Vermengungen mit dem Niedrigen, wo der Geist rein im reinen, ungemischten Element sich behaupten darf. In dieser fanatischen Unerschütterlichkeit, in dieser großartigen Inkonzilianz gegenüber der realen Existenz offenbart sich, stärker als in jedem einzelnen Gedicht, Hölderlins herrlicher Heroismus: er weiß von allem Anbeginn, daß er mit solchem Anspruch auf jede Sicherung, auf Haus und Heim, auf alle Bürgerlichkeit verzichtet, er weiß, daß es leicht wäre, »glücklich zu sein mit seichtem Herzen«, er weiß, daß er ewig »ein Laie in der Freude bleiben muß«. Aber er will sein Leben nicht als ein braves Geborgensein, sondern als ein dichterisches Schicksal: starr den Blick nach oben gerichtet, unbeugsam die Seele im dürftigen Leibe, entbehrungsvoll den Leib im ärmlichen Gewand tritt er vor den unsichtbaren Altar, dem er Priester wird und Opfer zugleich.

Dieser Wille, nur an das Ganze des Lebens mit ganzer Seele sich hinzugeben, ist Hölderlins, ist dieses zarten, demütigen Jünglings wahrste und wirksamste Kraft. Er weiß, daß Dichtung nicht mit einem Teil, einem abgelösten und flüchtigen des Herzens und des Geistes, das Unendliche erreicht werden kann: wer das Göttliche verkünden will, muß sich ihm weihen, muß sich ihm opfern. Hölderlins Auffassung von der Poesie ist eine sakrale: der Wahre, der Berufene muß alles darbringen, was die Erde den andern zuteilt, für die Gnade, dem Göttlichen nahe sein zu dürfen, er muß, der Diener der Elemente, selbst unter ihnen wohnen in der heiligen Ungewißheit und der läuternden Gefahr. Von erster Stunde erfaßt Hölderlins Sinn die Notwendigkeit des Unbedingten: noch ehe er das Stift verläßt, ist er entschlossen, nicht Pfarrer zu werden, niemals dauernd an irdische Existenz sich zu binden, sondern einzig »Hüter der heiligen Flamme« zu sein. Er weiß nicht den Weg, aber er kennt sein Ziel. Und aller Fährlichkeiten seiner Lebensschwäche mit wunderbarer Stärke des Geistes bewußt, ruft er sich selbst seligsten Trost zu:

Sind denn dir nicht verwandt alle Lebendigen,
Nährt die Parze denn nicht selber im Dienste dich?
Drum, so wandle nur wehrlos
Fort durchs Leben, und fürchte nichts!
Was geschiehet, es sei alles gesegnet dir.

Und so tritt er entschlossen unter den Himmel seines Schicksals.

Aus dieser Entschlossenheit zur reinen Selbstbewahrung wächst Hölderlins selbstgewolltes Schicksal und Verhängnis. Tragik und innere Lebensnot wird ihm aber dadurch frühzeitig zugeteilt, daß er diesen heroischen Kampf zunächst nicht gegen die Gegenwelt seines Hasses, gegen die brutale Welt also, durchkämpfen muß, sondern – dem Fühlenden furchtbarste Herzensnot – gerade gegen seine liebsten und die ihn am meisten liebenden Menschen. Die wahren Widerparte seines heroischen Willens im Kampf um das Leben als Dichtung sind die zärtlich ihn liebende, die zärtlich geliebte Familie, Mutter und Großmutter, seine nächsten Menschen, die er in ihren Gefühlen nicht verwunden mag und doch früher oder später schmerzhaft zu enttäuschen genötigt ist: wie immer hat das Heldenhafte eines Menschen keinen gefährlicheren Widersacher als gerade die zärtlich Wohlmeinenden, die innig Gutmütigen, die alle Spannung gütlich beschwichtigen wollen und das »heilige Feuer« mit sorglichem Atem niederdrücken zur häuslichen Herdflamme. Und dies ist nun herrlich rührend zu sehen, wie – fortiter in re, suaviter in modo – unerschütterlich im Tiefsten und doch sanft in den Formen, dieser Demütige seine geliebten Menschen ein ganzes Jahrzehnt lang mit Ausflüchten hinhält, sie tröstet und sich dankbar entschuldigt, daß er ihren liebsten Wunsch – Pfarrer zu werden – nicht erfüllt. Ein unbeschreibliches Heldentum des Schweigens und des Schonens ist in diesem unsichtbaren Kampf, denn was ihn zutiefst beseelt und stählt, seine dichterische Berufung, hält Hölderlin keusch, ja schüchtern verborgen. Er spricht von seinen Versen immer nur als von »poetischen Versuchen«, und das Äußerste, was er der Mutter an Erfolg verheißt, klingt nicht stolzer, als »er hoffe, doch einmal sich ihrer Gesinnung würdig zu zeigen«. Niemals pocht er auf seine Versuche, seine Erfolge, im Gegenteil, immer deutet er an, daß er erst am Anbeginn sei. »Ich bin mir tief bewußt, daß die Sache, der ich lebe, edel, und daß sie heilsam für die Menschen ist, sobald sie zu einer rechten Äußerung und Ausbildung gebracht ist.« Aber die Mutter und Großmutter fühlen von ferne hinter den demütigen Worten immer nur die Tatsache, daß er ohne Haus und Stellung leer und fremd in der Welt sinnlosen Phantasmen nachtreibt. Die beiden Witwen, sie sitzen tagein und tagaus in ihrer kleinen Stube in Nürtingen, sie haben jahre- und jahrelang die kleinen Silberstücke an Speise und Kleidung und Kienspan gespart, um den geweckten Knaben studieren lassen zu können. Beglückt lesen sie seine ehrerbietigen Briefe von der Schule, freuen sich mit ihm an Fortschritt und Belobung, teilen seinen Stolz auf die ersten gedruckten Verse. Und sie hoffen, da er sein Studium beendigt, werde er bald Vikar sein, eine Frau nehmen, ein sanftes blondes Mädchen, und sie werden kommen und stolz zuhören dürfen, wie er in irgendeinem schwäbischen Städtchen sonntags das Wort Gottes von der Kanzel spricht. Aber Hölderlin weiß, daß er diesen Traum zerstören muß, nur schlägt er ihn nicht hart entzwei in den teuren Händen – sanft, doch eindringlich schiebt er alle Mahnung an diese Möglichkeit zurück. Er weiß, daß er vor ihnen trotz aller Liebe im Verdacht eines Müßiggängers steht, und versucht ihnen seinen Beruf zu erklären, schreibt ihnen, »daß er in einer solchen Muße nicht müßig gehe, auch nicht auf Kosten anderer nur einen gelegenen Zustand bereite«. Immer betont er in feierlichster Form gegen ihren Verdacht den Ernst und die Sittlichkeit seines Tuns: »Glauben Sie mir«, schreibt er der Mutter respektvoll, »daß ich mein Verhältnis zu Ihnen nicht leichtnehme und daß es mir oft Unruhe genug schafft, wenn ich meinen Lebensplan mit allen Ihren Wünschen zu vereinen suche.« Er trachtet sie zu überzeugen, daß er »den Menschen mit meinem jetzigen Geschäfte ebenso diene wie mit dem Predigeramte«, und weiß doch im Tiefsten, daß er sie niemals überzeugen kann. »Es ist kein Eigensinn«, stöhnt er aus tiefstem Herzen, »was mir meine Natur und meine jetzige Lage bestimmt. Es ist meine Natur und mein Schicksal, und dies sind die einzigen Mächte, denen man den Gehorsam niemals aufkündigen darf.« Doch auch die alten einsamen Frauen verlassen ihn nicht: seufzend senden sie dem Unbelehrbaren ihr Erspartes, waschen ihm Hemden und stricken ihm Socken: viele heimliche Tränen und Sorgen sind eingewebt in jedes Gewand. Aber wie Jahr und Jahr vergeht, ihr Kind immer auf Wanderschaft und gelegentlichem Beruf umgetrieben, für ihre Augen sich ins Wesenlose verliert, pochen sie wieder leise – auch in ihnen ist die zarte nachdrängende Art des Kindes – bei ihm mit dem alten Wunsche nochmals an. Sie wollen ihn seiner poetischen Liebhaberei nicht entfremden, deuten sie ganz scheu an, aber er könnte sie doch mit einer Pfarre vereinen: vorahnend bieten sie ihm des tiefverwandten Mörike Resignation und Idyllik, Teilung des Lebens an die Welt und die Dichtung. Aber hier ist an Hölderlins Urmacht gerührt, an den Glauben an die Unteilbarkeit des priesterlichen Dienstes, und wie ein Banner entrollt er die geheimste Überzeugung: »Es hat mancher«, schreibt er der Mutter auf ihre Mahnung, »der wohl stärker war als ich, versucht, ein großer Geschäftsmann oder Gelehrter im Amt und dabei Dichter zu sein. Aber immer hat er am Ende eines dem andern aufgeopfert, und das war in keinem Falle gut ... denn wenn er sein Amt aufopferte, so handelte er unehrlich an andern, und wenn er seine Kunst aufopferte, so sündigte er gegen seine von Gott gegebene natürliche Aufgabe, und das ist so gut Sünde und noch mehr, als wenn man gegen seinen Körper sündigt.« Doch dieser geheimnisvoll-großartigen Sicherheit der Sendung antwortet niemals der bescheidenste Erfolg; Hölderlin wird fünfundzwanzig, wird dreißig Jahre, und noch immer muß er, kümmerlicher Magister und Freischlucker an fremden Tischen, wie ein Knabe ihnen danken für das gesendete »Wämmesle«, die Schnupftücher und die Socken, immer noch den leisen, von Jahr zu Jahr immer schmerzlicheren Vorwurf der Enttäuschten hören. Er hört ihn in Qual und stöhnt verzweifelt auf zur Mutter: »Ich wollte, Sie hätten einmal Ruhe von mir«, aber immer muß er wieder an die einzige Tür pochen, die ihm in der feindlichen Welt offensteht, und immer wieder sie beschwören: »Haben Sie doch Geduld mit mir.« Schließlich sinkt er nieder an der Schwelle als zertrümmertes Wrack. Sein Kampf um das Leben in Idealität hat ihm das Leben gekostet.

Dieses Heldentum Hölderlins ist darum so unsagbar herrlich, weil es ohne Stolz ist, ohne Siegesvertrauen: er fühlt nur die Sendung, den unsichtbaren Ruf, er glaubt an die Berufung, nicht an den Erfolg. Niemals fühlt er, der unendlich Verwundbare, sich als der hürnene Siegfried, an dem alle Speere des Schicksals zerschellen müssen, niemals sieht er sich als den Siegreichen, Erfolgreichen. Man verwechsle darum nicht Hölderlins namenlose Gläubigkeit an die Dichtung als den höchsten Sinn des Lebens mit einer eigenen, also persönlichen Gewißheit als Dichter: so fanatisch er der Mission vertraute, so demütig fromm war er im Hinblick auf die eigene Begabung. Nichts ist ihm fremder als das männliche, fast krankhafte Selbstvertrauen etwa Nietzsches, der sich als Lebensspruch das Wort gesetzt: Pauci mihi satis, unus mihi satis, nullus mihi satis – ein flüchtiges Wort kann ihn entmutigen, eine Ablehnung Schillers ihn Monate verstören. Wie ein Knabe, ein Schuljunge beugt er sich vor den ärmlichsten Versdichtern, vor einem Conz, einem Neuffer – aber unter dieser persönlichen Bescheidenheit, dieser äußersten Weichheit des Wesens, steht stahlhart der Wille zur Dichtung, die Dienstwilligkeit zum Opfergang. »O Lieber«, schreibt er an einen Freund, »wann wird man unter uns erkennen, daß die höchste Kraft in ihrer Äußerung zugleich die bescheidenste ist und daß das Göttliche, wenn es hervorgeht, nie ohne eine gewisse Demut und Trauer sein kann.« Sein Heldentum ist nicht das eines Kriegers, Heldentum der Gewalt, sondern ein Heldentum des Märtyrers, die freudige Bereitschaft, zu leiden für ein Unsichtbares und sich zerstören zu lassen für seinen Glauben, für seine Idee.

»Sei's, wie dir dünket, o Schicksal« – mit diesem Wort beugt sich der Unbeugsame fromm vor seinem selbstgeschaffenen Verhängnis. Und ich weiß keine höhere Form des Heroismus auf Erden als diese einzige, die nicht befleckt ist vom Blute und vom gemeinen Gieren nach Macht: der edelste Mut des Geistes ist immer ein Heldentum ohne Brutalität, nicht der sinnlose Widerstand, sondern die wehrlose Hingabe an die übermächtige und als heilig erkannte Notwendigkeit.


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