Heinrich Zschokke
Blätter aus dem Tagebuche des armen Pfarr-Vikars von Wiltshire
Heinrich Zschokke

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Am 28. Dezember.

Es ist gut, das man den ersten Sturm vorüberfahren lasse, ohne seine Verwüstung allzu genau ins Auge zu fassen. Wir haben alle sehr ruhig die Nacht geschlafen; nun sprechen wir von dem Briefe des Doktors Snart und von meiner Amtslosigkeit, wie von einer alten Geschichte. Wir machen allerlei Pläne für die Zukunft. Das Bitterste in diesen Plänen ist, daß wir drei uns notwendig für eine Zeit trennen müssen. Es läßt sich vor der Hand nichts besseres thun, als daß Jenny und Polly in ehrbaren Häusern Dienste zu bekommen suchen, während ich mich auf Reisen begebe, um irgendwo wieder ein Plätzchen und Brot für mich und meine Kinder zu finden.

Polly hat wieder ihre vorige gute Laune angenommen. Sie sucht wieder ihren Traum von der Bischofsmütze hervor und belustigt uns damit. Sie zählt beinahe allzu abergläubig auf das Neujahrsgeschenk des Schicksals. Ich habe wohl zuweilen an den Traum gedacht, aber ich glaube nicht daran.

Sobald der neue Vikar, mein Nachfolger, in Crekelade angekommen sein wird und er in die Geschäfte eintreten kann, übergebe ich ihm meine Pfarrbücher und mache mich auf den Weg, mir ein anderes Brot zu suchen. Inzwischen schreibe ich heute nach Salisbury und Warminster an ein paar alte Bekannte, daß sie trachten, meine Töchter als Köchinnen oder Näherinnen oder Stubenmädchen in achtbaren Familien unterzubringen. Jenny wäre auch eine gute Erzieherin für kleine Kinder.

In Crekelade lasse ich meine Töchter nicht; der Ort ist arm; die Leute sind hier unfreundlich, stolz und haben eine widerliche kleinstädtische Art. Man spricht jetzt von nichts anderem als dem neuen Vikar. Einige bedauern, daß ich fort muß; ich weiß nicht wem es von Herzen geht.

Am 29. Dezember.

Ich habe heute an den Herrn Bischof von Salisbury geschrieben, und ihm meine traurige, hilflose Lage, die Verlassenheit meiner Kinder und meine vieljährigen, treuen Dienste im Weinberge des Herrn lebhaft dargestellt. Er soll ein menschenfreundlicher, frommer Mann sein. Gott regiere sein Gemüt! Unter den dreihundert und vier Kirchspielen der Landschaft Wildshire sollte doch wohl endlich noch ein kleines Winkelchen für mich zu finden sein! Ich verlange ja nicht viel.

Am 30. Dezember.

Die Bischofsmütze aus Pollys Traum muß bald erscheinen, sonst muß ich ins Gefängnis wandern. Nun, sehe ich wohl, ist das Gefängnis unvermeidlich.

Ich bin halb ohnmächtig und strenge mich umsonst an, wieder den alten Heldenmut zu gewinnen. Selbst zu inbrünstigem Gebet fehlt mir's an Kraft; der Schreck ist zu groß.

Ja, das Gefängnis ist unausweichbar! Ich will es mir recht oft sagen, damit ich mich an meine Aussicht gewöhne.

Der Allbarmherzige erbarme sich meiner lieben Kinder! Ich mag es, ich kann es ihnen nicht sagen.

Vielleicht hilft mir noch ein früher Tod von der Schmach. Ich fühle mein Gebein zermalmt; es ist Fieberfrost in meinen Gliedern; ich kann nicht schreiben vor Zittern.

Einige Stunden nachher.

Nun bin ich schon gefaßter. Ich wollte mich in den Arm Gottes werfen und beten, aber mir ward nicht wohl; ich legte mich aufs Bett. Ich glaube, ich habe geschlafen; vielleicht bin ich auch ohnmächtig gewesen. Es sind seitdem drei Stunden vergangen. Die Töchter haben meine Füße mit Kissen bedeckt. Ich bin am Körper matt, aber mein Herz ist doch wieder frisch. Alles, was geschehen ist, was ich gehört habe, schwebt mir vor wie ein Traum.

Also der Fuhrmann Brook hat sich doch erhenkt. Der Herr Alderman Fieldson ließ mich rufen und gab mir die Botschaft. Er hat ein amtliches Schreiben erhalten nebst der Anzeige von meiner Bürgschaft, und daß Brook eine ungeheure Schuldenmenge hinterlassen habe. Er erinnerte mich, darauf zu denken, dem Tuchhändler Withiel zu Trowbridge wegen der hundert Pfund Sterling Genüge zu leisten.

Herr Fieldson hatte wohl Ursache, mich aufrichtig wegen dieses unerwarteten Ereignisses zu bedauern. Großer Gott! Hundert Pfund Sterling! Wie soll ich die aufbringen? Wenn man mir und meinen Kindern alle Habe nimmt, ist sie beim Verkauf keine hundert Schilling wert.

Brook galt sonst für einen rechtschaffenen und sehr reichen Mann. Ich dachte nicht, daß es so mit ihm enden würde. Das Vermögen meiner Frau verschwand während ihrer langwierigen Krankheit; mußte ich doch zuletzt die Äcker, die sie zu Bradford geerbt hatte, unter dem Preise verkaufen. Jetzt bin ich ein Bettler. Ach könnte ich nur noch ein freier Bettler sein.

Ich muß in's Gefängnis wandern, wenn Herr Withiel nicht großmütig ist. An Zahlung ist nicht zu denken. –

An demselben Tage abends.

Ich schäme mich meiner Schwachheit.

In Ohnmacht fallen! Verzweifeln! Pfui! . . . Und doch an eine Vorsehung glauben und ein Priester Gottes sein! Pfui, Thomas!

Doch nun habe ich alles wieder gut gemacht und gethan, was ich sollte. Den Brief an Herrn Withiel zu Trowbridge habe ich auf die Post getragen. Ich habe ihm mein Unvermögen, die eingegangenen Bürgschaftsverpflichtungen zu erfüllen, ehrlich angezeigt, und daß ihm freistehe, mich in den Schuldturm führen zu lassen. Hat der Mann menschliches Gefühl, so wird er Mitleid fühlen, wo nicht, so lasse ich mich hinschleppen, wohin er will.

Als ich von der Post kam, stellte ich den Mut meiner Kinder auf die Probe. Ich wollte sie auf das Böseste vorbereiten. Ach, die Mädchen dachten männlicher als der Mann und christlich-größer als der Priester!

Ich erzählte ihnen von Brooks Tode, von meiner Bürgschaft, von den möglichen Folgen derselben. Beide hörten mir ernst und ängstlich zu.

»In's Gefängnis?« sagte Jenny leise weinend und nahm mich in ihre Arme. »Ach, du guter armer Vater! . . . Nichts hast Du verbrochen und mußt so Vieles dulden. Aber ich gehe nach Trowbridge; ich werfe mich zu Withiels Füßen, ich stehe nicht auf, bis er Dich freispricht.«

»Nein,« rief Polly schluchzend, »thu' es nicht! Kaufleute sind Kaufleute; sie lassen für Deine Thränen von der Schuld des Vaters keinen Farthing nach. Ich gehe zum Tuchhändler und verdinge mich ihm auf Lebenszeit bei Wasser und Brot zur wahren Leibeigenen, bis ich durch meine Arbeit die Schuld des Vaters abgethau habe.«

Unter solchen Plänen wurden beide allmälich ruhiger, aber sie sahen endlich auch das Eitle ihrer Hoffnungen ein. Zuletzt sagte Jenny: »Wozu doch alle diese fruchtlosen Entwürfe? Erwarten wir die Antwort des Herrn Withiel. Will er grausam sein, so sei er's; Gott ist ja auch im Gefängnisse. Vater! geh' Du in's Gefängnis; vielleicht hast Du es da besser als jetzt mit uns in dem Elend unseres Lebens. Geh', denn du gehst ohne Schuld! Schande ist dabei für Dich nicht; wir beide aber verdingen uns als Mägde und mit unserm Lohn wollen wir Dir alle Bequemlichkeiten verschaffen. Zuletzt schäme ich mich auch des Bettelns nicht. Für einen Vater zu betteln ist etwas Heiliges und Schönes. Von Zeit zu Zeit kommen wir und besuchen Dich; Du sollst gut verpflegt werden. Wir wollen uns nicht mehr fürchten.«

»Jenny, Du hast Recht!« sagte Polly. »Wer sich fürchtet, glaubt an keinen Gott. Ich fürchte mich nicht; ich will recht froh sein, so froh, wie ich's, getrennt vom Vater und von Dir, sein kann.«

Solche Reden erhoben mein Herz. Fleetmann hatte beim Abschiede Recht, als er sagte, ich hätte zwei Engel des Herrn zur Seite.

Am Sylvestertage.

Das Jahr ist geendet. Ich danke dem Himmel, es war mit Ausnahme einiger Stürme ein herrliches, ein freudenreiches Jahr! Zwar hatten wir oft kaum zu essen, doch wurden wir satt. Zwar kamen zu meinem elenden Gehalte oft bittere Sorgen, allein die Sorgen sogar machten ihre Freuden. Nun freilich habe ich kaum so viel Vermögen, um mir und meinen Kindern das Leben noch ein halbes Jahr lang zu fristen; allein wie viele Menschen haben nicht so viel und wissen nicht, wovon den nächsten Tag leben! Meine Stelle habe ich freilich verloren, bin in meinen alten Tagen ohne Amt und Brot . . . es ist möglich, daß ich künftiges Jahr im Gefängnisse wohnen muß, getrennt von meinen guten Töchtern . . . aber Jenny hat Recht, Gott wohnt auch im Gefängnisse! Einem reinen Gewissen ist selbst in der Hölle keine Hölle und schlechten Seelen ist selbst im Himmel kein Himmel. Ich bin sehr glücklich.

Wer entbehren kann, ist reich. Ein gutes Bewußtsein geht über Ehre vor der Welt. Erst wenn man, was die Leute Schande und Ehre zu nennen pflegen, gleichgültig ansehen kann, ist man recht ehrwürdig. Wer die Welt verschmähen kann, hat den Himmel. Ich verstehe das Evangelium von Christo täglich besser, seit ich es in der Schule des Schicksales lese. Die Gelehrten zu Oxford und Cambridge kommentieren nur Buchstaben, den Geist nicht. Die Natur ist die beste Auslegerin des Evangeliums.

Mit diesen Betrachtungen schließe ich heute das Jahr.

Es ist mir sehr lieb, daß ich seit einigen Jahren dieses Tagebuch fortsetze. Jeder Mensch sollte ein solches führen; man lernt aus sich selbst mehr, als aus den gelehrtesten Büchern, Wenn man sich durch Niederzeichnung seiner Gedanken und Empfindungen gleichsam täglich selbst abmalt, sieht man am Ende des Jahres, wieviel Gesichter man hat. Der Mensch ist sich in keiner Stunde gleich. Wer da sagt, er kenne sich selbst, hat nur Recht in dem Augenblick, da er es von sich sagt, denn da fühlt er sich. Wenige wissen, was sie gestern waren; noch wenigere, was sie morgen sein werden.

Auch dazu ist das Tagebuch gut, daß man festeres Vertrauen auf Gott und Vorsehung gewinne. Die ganze Weltgeschichte lehrt das nicht so lebendig, als die Geschichte der Gesinnungen, Urteile und Gefühle von einem einzigen Menschen binnen zwölf Monaten.

Ich habe auch dies Jahr die Wahrheit des Erfahrungssatzes bestätigt gefunden: ein Unglück kommt selten allein . . . aber wenn die Übel am höchsten gestiegen sind, beginnen wieder die schönen Stunden. Dann bin ich, mit Ausnahme der ersten Erschütterungen, wirklich am vergnügtesten, wenn es am ärgsten geht, denn ich freue mich schon auf das Bessere, was nachkommt, und lache, weil mich nichts anfechten kann. Hingegen bin ich, wenn alles nach Wunsch geht, ängstlich und schüchtern und mag mich nicht der Freude sorglos hingeben, denn ich traue dem Frieden nicht. Das ist das empfindlichste Übel, von dem man sich überraschen läßt. Auch ist es wahr, daß jedes Unglück in der Ferne furchtbarer scheint, als es ist, wenn man es hat. Gewitterwolken sind in der Nähe nie so schwarz, als wenn sie aus der Ferne heranziehen.

Ich habe mir's zur Gewohnheit gemacht, bei allen bösen Vorfällen blitzschnell zu denken: welches können für mich die nachteiligsten Folgen davon sein? . . . Dann mache ich mich ohne weiteres auf das Äußerste gefaßt, und es kommt selten. Auch das finde ich gut. Ich spiele zuweilen wohl mit Hoffnungen, aber ich lasse die Hoffnungen nicht mit mir spielen. Um die Hoffnungen im Zaume zu halten, denke ich nur, wie selten das Glück mir wohl will. Dann weichen alle Träumereien zurück, als ob sie sich vor mir schämten. Wehe dem, der ein Spiel seiner Hoffnungen ist! Er geht tanzenden Irrwischen in die Sümpfe nach.

Am Neujahrstage 1765, des Morgens.

Eine wundervolle und traurige Begebenheit eröffnet dieses Jahr. Folgendes ist der Hergang der Sache.

In der Frühe um sechs Uhr, da ich im Bette liegend über meine heutige Predigt nachdachte, hörte ich an der Hausthür pochen. Polly war schon in der Küche. Sie sprang hinaus, die Thür zu öffnen und nachzusehen, denn so frühe Besuche sind bei uns ungewöhnlich. Es trat ihr in der Dunkelheit des Morgens ein Mann entgegen, der eine große Schachtel in dem Arm hielt und an Polly mit den Worten übergab: Herr — (den Namen verstand Polly nicht) übersendet dem Herrn Vikar die Schachtel, und er möchte Sorgfalt haben für den Inhalt.

Polly nahm mit freudiger Bestürzung die Schachtel. Der Träger derselben entfernte sich. Polly klopfte leise an meine Kammerthür, um zu hören, ob ich wache. Sie kam auf meine Antwort und wünschte mir mit dem guten Morgen zugleich auch Glück zum neuen Jahre und setzte lachend hinzu:

»Siehst Du, Väterchen, daß Polly prophetische Träume haben kann! Hier ist die verkündete Bischofsmütze!«

Nun erzählte sie, wie man ihr das Neujahrsgeschenk für mich übergeben habe. Es verdroß mich, daß sie nicht bestimmter nach dem Namen des unbekannten Gönners oder Wohlthäters gefragt habe.

Während sie hinausging, die Lampe anzuzünden und Jenny aus dem Bett zu rufen, kleidete ich mich an. Ich läugne nicht, daß ich vor Neugier brannte, denn bisher waren die Neujahrsgeschenke für den Vikar in Crekelade ebenso unbedeutend als selten gewesen. Ich vermutete, mein Gönner, der Pächter, dessen Wohlwollen ich erworben zu haben schien, wolle mich mit einer Schachtel voll Kuchen überraschen, und bewunderte seine Bescheidenheit, mir das Geschenk zu übersenden, ehe es Tag geworden.

Als ich ins Wohnzimmer trat, standen Polly und Jenny schon vor dem Tische bei der Schachtel, die sorgfältig versiegelt und von ganz ungewöhnlicher Größe war, wie ich noch nie eine gesehen hatte. Ich hob sie und fand sie ziemlich schwer. Im Deckel waren zwei sauber geschnittene runde Löcher.

Ich öffnete mit Jennys Hülfe die Schachtel sehr behutsam, weil mir der Inhalt zur sorgfältigen Behandlung empfohlen war. Ein feines weißes Tuch ward abgedeckt und siehe da . . .

Nein, unser Erstaunen ist nicht zu beschreiben. Wir riefen alle, wie aus einem Munde: »Mein Gott!«

Da lag ein junges Kind, etwa sechs oder acht Wochen alt, schlummernd, in das feinste Linnen mit rosafarbenen Seidenbändern zierlich eingehüllt. Es ruhte mit dem Köpfchen auf einem weichen blauseidenen Kissen und war mit einem Bettdeckchen wohl zugedeckt. Die Decke, sowie das Häubchen des Kindes, waren mit den kostbarsten Brabanter Spitzen besetzt.

Wir standen einige Minuten lang stumm betrachtend da. Endlich brach Polly in ein närrisches Gelächter aus und rief:

»Was sollen wir damit anfangen? Das ist keine Bischofsmütze!«

Jenny berührte schüchtern mit der Fingerspitze die Wangen des schlafenden Kindes und sagte mitleidig:

»Du armes Geschöpf, hast Du keine Mutter, oder darfst Du keine haben? . . . Großer Gott, ein so liebenswürdiges, hülfloses Wesen verstoßen! . . . Und sieh nur, Vater, sieh nur, Polly, wie ruhig und vertrauensvoll es schläft, um sein Unglück unbekümmert, als wenn es fühlte, es läge in Gottes Hand! Schlaf nur, du armes, verstoßenes Wesen! Deine Eltern sind vielleicht zu vornehm für Dich, armes Geschöpf und zu glücklich, um ihr Glück durch Dich stören zu lassen. Schlaf nur, wir verstoßen Dich nicht! Man hat Dich ja an den rechten Ort getragen: ich will Deine Mutter sein.«

Wie Jenny so sprach, fielen ein paar große Thränen aus ihren Augen. Ich nahm das fromme, weichherzige Mädchen an meine Brust und sagte:

»Sei seine Mutter! Die Stiefkinder des Schicksals kommen zu den Stiefkindern. Gott prüft unsern Glauben . . . nein er prüft ihn nicht, er kennt ihn schon. Darum mußte uns das verstoßene, kleine Geschöpf zugetragen werden. Zwar wissen wir selbst nicht, wie uns in den nächsten Tagen das Leben fristen, aber der weiß es, welcher uns zu Eltern dieser Waise machte.«

Also entschieden wir uns kurz. Das Kind schlief fort und fort sanft. Unterdessen erschöpfen wir uns in Mutmaßungen über seine Eltern, die wir ohne Zweifel kennen mußten, weil die Schachtel laut Aufschrift mir zugeschrieben war. Polly wußte uns leider vom Träger nicht mehr zu sagen, als sie schon erzählt hatte.

Während das kleine Wesen süß schlummerte und ich meine heutige Neujahrspredigt von der Macht der ewigen Vorsehung durchlief, berieten sich meine Töchter über die Pflege des armen Ankömmlings. Polly freute sich kindisch; Jenny schien sehr bewegt zu sein. Mir war es, als wenn ich mit dem Anfang des neuen Jahres in eine Zeit der Wunder träte, und – sei es Aberglauben oder nicht – als wenn das Kindchen ein mir zugesandter Schutzgeist in der Not wäre.

Ich kann nicht aussprechen, wie heiter ich atmete, wie stillselig meine Gefühle waren.

An demselben Tage abends.

Sehr erschöpft und müde von meinem heiligen Tagewerk kam ich nach Hause.

Bei dem äußerst verdorbenen Wege mußte ich doch meine Wanderung auf dem Lande zu Fuß machen, aber dabei erquickte mich bei der Heimkunft manche frohe Nachricht, die Freude meiner Töchter, das traute Stübchen. Mir stand der Tisch gedeckt und auf demselben eine Flasche Wein zur Stärkung. Es war ein Neujahrsgeschenk von unbekannter gütiger Hand.

Vor allem freute mich der Anblick des muntern Kindes in Jennys Arm. Polly wies mir die schönen Bettchen unseres Pfleglings, das Dutzend seiner Windeln, die wunderschönen Hauben und Nachtjäckchen, welche in der Schachtel gewesen waren . . . dann ein versiegeltes Geldpäckchen mit der Aufschrift an mich, das man zu Füßen des Kindes gefunden hatte, als es erwachte und herausgenommen worden war.

Begierig, von der Herkunft meines kleinen, unbekannten Hausgenossen etwas zu erfahren, öffnete ich das Päckchen. Es enthielt eine Rolle mit zwanzig Guineen und einen Brief, der folgendermaßen lautet:

»Im Vertrauen auf Eurer Wohlehrwürden Frömmigkeit und Menschenliebe übergeben Ihnen unglückliche Eltern ihr teures Kind zur Pflege. Verlassen Sie dasselbe nicht: wir werden einst, wenn wir uns Ihnen entdecken dürfen, dankbar sein! Wir werden auch, was Sie unserem Kinde leisten, aus der Ferne mit unverwandtem Blick beobachten . . . Der liebe Knabe heißt Alfred; er ist schon getauft. Das Kostgeld für das erste Vierteljahr liegt beigeschlossen. Pünktlich wird Ihnen, von drei Monaten zu drei Monaten, die gleiche Summe ausbezahlt werden. Nehmen Sie sich des Kindes an; wir empfehlen es der Zärtlichkeit Ihrer edeln Jenny!«

Als ich den Brief las, sprang Polly hoch auf vor Freuden, und rief:

»Da haben wir die Bischofsmütze! Gütiger Himmel, wie reich werden wir plötzlich! Nun fahre hin, armselige Vikarstelle! . . . Doch sollte ich mich eigentlich nicht einmal so freuen. Nein, der Brief hätte doch wohl auch der edlen Polly Erwähnung thun können!«

Wir lasen den Brief wohl zehnmal; wir trauten unsern Augen nicht beim Anblick des vielen Geldes auf dem Tische.

Welch ein Neujahrsgeschenk! Der schwersten Sorgen um unsere Zukunft war ich plötzlich entbunden, aber auf wie seltsame, unbegreifliche Weise! Ich sann vergebens die Reihe von Menschen durch, die ich kannte, um unter denselben einen einzigen zu entdecken, der vielleicht durch Stand und Geburt gezwungen wäre, seines Kindes Dasein verheimlichen zu müssen, oder der solche Belohnungen für einen christlichen Liebesdienst gewähren könnte. Ich sinne noch immer; ich finde keinen; und doch müssen die vornehmen Eltern mich und die Meinigen genau kennen.

Die Wege der Vorsehung sind wunderbar!

Am 2. Januar.

Das Glück überhäuft mich mit seinen Schätzen. Diesen Morgen erhielt ich abermals ein Päckchen Geld von der Post mit zwölf Pfund Sterling, nebst einem Brief von Herrn Fleetmann. Es ist zu viel: für den Schilling giebt er ein Pfund Sterling zurück. Es muß ihm sehr gut gegangen sein. Auch meldet er das. Ich kann ihm leider nicht danken, da er vergessen hat, seinen Aufenthaltsort zu nennen. Behüte der Himmel, daß ich durch meinen gegenwärtigen Reichtum übermütig werde. Jetzt hoffe ich, Herrn Withiel Brook's Schuld nach und nach in Fristen ehrlich abzahlen zu können.

Wie ich meinen Töchtern sagte, Herr Fleetmann habe geschrieben, war ein neues Fest. Ich begreife nicht, was die Mädchen mit Herrn Fleetmann haben. Jenny wurde rot und Polly sprang lachend zu ihr und hielt ihr beide Hände vor das Gesicht. Da that Jenny, als wäre sie recht böse auf das kindische Mädchen. Ich las Fleetmann's Brief vor:

»Als ich, edler Mann, aus Ihrem Hause ging, ward mir, als ging ich aus meines Vaters Hause wieder in das wüste Leben hinaus! Ich vergesse Sie zeitlebens nicht; zeitlebens nicht, wie wohl mir bei Ihnen war. Noch sehe ich Sie vor mir, in Ihrer reichen Armut, in Ihrer christlichen Demut, in Ihrer patriarchalischen Seelenhoheit. Und die wunderliebliche, flatternde, schmeichelnde Polly; und die . . . ach, für Ihre Jenny giebt es ja kein Beiwort! Welches Beiwort giebt man den Heiligen, unter deren Berührung alles Irdische sich verklärt? . . . Ich werde ewig des Augenblicks gedenken, da sie mir die zwölf Schillinge gab; ewig, ewig, wie sie mir tröstend zusprach . . . Verwundern Sie sich nicht, ich habe die zwölf Shillinge noch, ich gebe sie um tausend Guineen nicht. Ich werde Ihnen vielleicht bald alles mündlich erklären. Ich bin, seit ich atme, nie glücklicher und nie unglücklicher gewesen, als jetzt. Empfehlen Sie mich Ihren holdseligen Töchtern, wenn sich dieselben meiner noch erinnern mögen.«

Aus diesen Zeilen zu schließen, gedenkt er wieder nach Crekelade zu kommen. Es wäre mir lieb; ich könnte ihm meinen Dank bezeigen. Der junge Mensch hat mir vielleicht mit unmäßiger Erkenntlichkeit sein alles gegeben, weil ich ihm damals die Hälfte meiner Barschaft lieh. Das wäre mir leid. Leichten Sinnes scheint er zu sein, doch hat er ein redliches Gemüt.

Dem kleinen Alfred gefällt es bei uns. Das Kind hat heute schon Polly angelächelt, als Jenny es wie eine junge Mutter im Arm trug. Die Mädchen werden mit dem kleinen Weltbürger besser fertig, als ich vermuten konnte. Aber es ist auch ein schönes Kind. Wir haben ihm eine zierliche Wiege gekauft und alle kleinen Bedürfnisse in Fülle angeschafft. Die Wiege steht neben Jennys Bette. Sie wacht Tag und Nacht wie ein Schutzgeist über ihrem zarten Pflegesohn.

Am 3. Januar.

Heute stieg der Herr Vikar Bleching mit seiner jungen Frau Gemahlin im Wirtshause ab und ließ mich rufen. Ich begab mich sogleich zu ihm. Er ist ein angenehmer Mann, der viel Höflichkeit hat. Er eröffnete mir, daß er mein erwählter Nachfolger im Amte sei; daß er wünsche, seine Stelle, wenn ich nichts dagegen habe, sogleich einzunehmen; daß ich inzwischen das Pfrundgebäude bis Ostern bewohnen könne; er werde einstweilen im Hause des Herrn Alderman Fieldson einige für ihn bereitete Zimmer beziehen.

Ich erwiderte, wenn es ihm Vergnügen mache, wolle ich ihm alle Amtsgeschäfte sogleich übergeben, um desto mehr Freiheit zu haben, mich nach einem andern Dienste umzusehen. Nur wünsche ich, in den Kirchen, in denen ich so lange Jahre das Wort des Herrn verkündigt habe, meinen bisherigen Zuhörern eine Abschiedspredigt halten zu können.

Darauf versprach er, nachmittags zu mir zu kommen, um den Zustand des Pfrundhauses zu besichtigen. Er ist wirklich mit seiner Gemahlin und dem Herrn Alderman am Nachmittag gekommen. Die junge Frau ist hochschwanger, sie scheint etwas stolz und von vornehmer Abkunft zu sein, denn es war ihr im ganzen Hause nichts recht und meine Töchter würdigte sie kaum eines Blickes. Als sie den kleinen Alfred in der Wiege sah, wandte sie sich zu Jenny und fragte: »Sind Sie schon verheiratet?« Die gute Jenny ward blutrot im Gesicht und schüttelte verneinend das Köpfchen, indem sie etwas leise dazu stammelte. Ich mußte dem armen Mädchen aus der Verlegenheit helfen. Frau Bleching hörte meine Erzählung mit großer Neugier an, verzog den Mund und drehte mir den Rücken zu. Ich fand das sehr unanständig, sagte aber nichts. Als ich zu einer Tasse Thee einlud, ward mir's abgeschlagen. Der Herr Vikar scheint den Winken seiner jungen Gemahlin unbedingt gehorchen zu müssen.

Wir waren recht froh, den Besuch los zu werden.

Herr Withiel ist ein trefflicher Mann, seinem Briefe nach zu urteilen. Er bedauert mich wegen meiner unglücklichen Bürgschaft und spricht mir mit der Erklärung Trost zu, daß ich der Zahlung wegen in keine Unruhe geraten solle und wenn ich ihm auch erst in zehn Jahren oder nie zahlen könne. Er scheint mit meinen häuslichen Umständen bekannt zu sein, denn er spielt darauf sehr schonend an. Er hält mich für einen ehrlichen Mann; das freut mich am meisten; auch soll er sich nicht geirrt haben. Ich werde nun selbst, sobald ich kann, nach Trowbridge reisen, und ihm Fleetmann's zwölf Pfund Sterling auf Abschlag meiner ungeheuren Schuld bringen.

Am 8. Januar.

Meine Abschiedspredigt war von den Thränen der meisten Zuhörer begleitet. Nun sehe ich erst, daß ich doch den Gemeinden lieb war. Man hat mir von allen Seiten viel Verbindliches gesagt und mich mit Geschenken überhäuft. Nie habe ich so viele Lebensmittel und Leckerbissen aller Art und so viel Wein im Hause gehabt, als jetzt. Hätte ich ehemals, an manchem Nottage, nur den hundertsten Teil davon besessen, ich würde mich für überglücklich gehalten haben. Jetzt schwimmen wir wirklich im Überflusse, aber ein guter Teil davon ist auch schon wieder ausgewandert. Ich kenne einige arme Familien in Crekelade, und Jenny kennt deren noch mehr als ich. Die lieben Leute freuen sich nun mit uns.

Ich fühlte mein Innerstes von jener Predigt tief ergriffen; unter Thränen hatte ich sie geschrieben. Es war ja ein Scheiden von meiner ganzen bisherigen Welt, von meinem Berufe, von meiner Bestimmung. Ich bin hinweggestoßen aus dem Weinberge, wie ein unnützer Knecht, und habe doch gearbeitet, nicht wie ein Mietling, und habe manche edle Rebe gepflanzt, manches verderbliche Reis hinweggeschnitten. Aber Gottes Wille geschehe!

Am 13. Januar.

Meine Reise nach Trowbridge ist über alle Erwartung gut ausgefallen. Ich kam spät nachts mit müden Füßen in dem alten, freundlichen Städtchen an und konnte mich des Morgens erst spät vom Schlaf ermuntern. Nachdem ich mich sauber gekleidet hatte – seit meinem Hochzeitstage ging ich nicht so zierlich; die gute Jenny hatte für ihren Vater töchterlich gesorgt – verließ ich das Wirtshaus und ging zum Herrn Withiel. Er wohnt in einem prächtigen, großen Hause. Anfangs empfing er mich etwas kalt, als ich aber meinen Namen nannte, führte er mich in sein kleines, aber schönes Arbeitsgemach. Hier dankte ich ihm nun für seine große Güte und Nachsicht, erzählte, wie ich zu der Bürgschaft gekommen und welche harte Schicksale ich bisher getragen; dann wollte ich ihm meine zwölf Pfund Sterling auf den Tisch legen. Herr Withiel sah mich lächelnd und mit einer Art Rührung lange schweigend an, reichte mir dann seine Hand, schüttelte die meinige und sagte: »Ich kenne Sie schon. Ich habe mich genau nach Ihnen erkundigt. Sie sind ein Biedermann. Nehmen Sie Ihre zwölf Pfund wieder zu sich; ich kann es nicht über mein Herz bringen, Sie in Ihren Umständen des Neujahrsgeschenks zu berauben. Lieber füge ich eins bei, das Sie wohl so gütig sind, von mir zum Andenken zu nehmen.« Er stand auf, holte aus einem andern Zimmer eine Schrift, schlug sie auf und sagte: »Sie kennen doch diese Bürgschaft und Ihre Unterschrift noch? Ich gebe sie Ihnen und Ihren Kindern.« Er riß das Papier in der Mitte durch und legte es in meine Hand.

Ich konnte keine Worte finden, so bestürzt war ich. Meine Augen wurden naß. Er sah wohl, daß ich ihm danken wollte und nicht konnte. Er sagte: »Still, still! Keine Silbe mehr, ich bitte Sie! Das ist der einzige Dank, den ich von Ihnen verlange. Ich hätte dem unglücklichen Brook gern die Schuld geschenkt, würde er sich nur offen an mich gewendet haben.« Darauf stellte er mich seiner Gemahlin und seinem Herrn Sohne vor und ließ aus dem Wirtshause mein Bündel holen, worin ich die alten Kleider hatte, und behielt mich in seinem Hause. Es war eine fürstliche Bewirtung. Das Zimmer. in welchem ich die Nacht schlief, die Teppiche, die Betten waren so prachtvoll und köstlich, daß ich mich beinahe fürchtete, davon Gebrauch zu machen. Am folgenden Tage ließ mich Herr Withiel in seiner schönen Kutsche nach Crekelade zurückfahren. Ich schied mit tief bewegtem Herzen von meinem Wohlthäter.

Am 16. Januar.

Gestern war der denkwürdigste Tag meines Lebens. Als wir Vormittags im Zimmer beisammen saßen und ich den kleinen Alfred wiegte, Polly aus einem Buche vorlas und Jenny am Fenster saß und nähte, sprang Jenny plötzlich vom Stuhl auf und sank totenbleich zurück. Wir waren alle erschrocken und fragten, was ihr geschehen sei. Sie erzwang ein Lächeln und sagte: »Er kommt!« Indem ging die Thür auf und in zierlichen Reisekleidern trat Herr Fleetmann herein. Wir begrüßten ihn alle recht herzlich und freuten uns, ihn so unerwartet bald und, wie es scheine, in besseren Umständen wieder zu sehen als das erste Mal. Er umarmte mich, er küßte Polly; er verneigte sich gegen Jenny, die sich noch nicht vom Schrecken erholen konnte. Ihre Blässe entging ihm nicht und er fragte sehr bekümmert um ihr Befinden. Polly erklärte ihm alles. Dann küßte er Jennys Hand, als wolle er ihr abbitten, ihr den Schrecken verursacht zu haben.

Ich befahl Wein und Kuchen zu bringen, meinen Gast und teuern Wohlthäter stattlicher als das erste Mal zu bewirten, aber er lehnte es ab; er könne nicht lange bei uns verweilen; er habe Gesellschaft bei sich im Wirtshause. Doch auf Jennys Bitten gehorchte er und setzte sich, den Wein mit uns zu teilen.

Ich goß für alle Wein ein und wir tranken auf das Wohl unseres Wohlthäters. Fleetmann ging zur Wiege, betrachtete das Kind darin, und als ihm Polly und ich die Begebenheit erzählt hatten, sagte er lächelnd zu Polly: »Sie haben mich also nicht erkannt, als ich Ihnen das Neujahrsgeschenk überreichte?« Wir alle riefen mit unglaublichem Erstaunen: »Wer! Sie?«

Nun erzählte er ungefähr folgendermaßen: »Ich heiße nicht Fleetmann, sondern ich bin der Baronet Cecil Fairford. In einem unseligen, vielfältigen Prozesse hielt meines Vaters Bruder, gestützt auf ältere, zweideutige Verträge, mir und meiner Schwester das gesamte Vermögen unseres verstorbenen Vaters zurück. Wir lebten bis dahin nur kümmerlich von dem, was unsere früher verstorbene Mutter von ihrem wenigen Vermögen hinterlassen hatte. Meine Schwester litt dabei am meisten von der Tyrannei des Oheims, der ihr Vormund war. Derselbe hatte sie schon dem Sohne eines seiner vertrautesten und mächtigsten Freunde zur Gemahlin bestimmt, meine Schwester hingegen sich heimlich dem jungen Lord Sandom zugesagt, dessen Vater aber damals noch lebte, welcher wider dieser Vermählung war. Ohne Vorwissen des Oheims und des alten Lords fand die Vermählung dennoch in geheimnisvoller Stille statt; die Frucht dieser Ehe war der kleine Alfred. Es gelang, meine Schwester auf ein Vierteljahr unter dem Vorwande, ihre Gesundheit herzustellen und Seebäder zu gebrauchen, unter meiner Aufsicht und Verantwortlichkeit aus dem Hause des Vormundes zu entfernen. Nach ihrer Niederkunft war uns sehr darum zu thun, das Kind in gute und unerforschbare Hand und Pflege zu geben. Ich hörte zufällig einen rührenden Zug von der Armut und Menschenliebe des Pfarr-Vikars von Crekelade und begab mich selbst hierher, mich zu überzeugen. Die Art, wie Sie mich aufnahmen, entschied. Ich habe vergessen zu sagen, daß meine Schwester nicht mehr in das Haus des Oheims zurückgekehrt ist, denn schon vor vier Monaten gewann ich gegen ihn den Prozeß und trat in den Besitz meiner, mir rechtmäßig gehörenden väterlichen Güter. Während der Vormund einen neuen Prozeß gegen mich wegen Auslieferung meiner Schwester angestrengt hat, ist vor wenigen Tagen der alte Lord, vom Schlage gerührt, gestorben und mein Schwager erklärt nun seine Vermählung öffentlich. Damit ist der Prozeß zu Ende, auch die Ursache gehoben, das Geheimnis des Kindes länger zu verbergen. Die Eltern sind mit mir gekommen, ihr Kind abzuholen, so wie ich gekommen bin, Sie selbst mit Ihrer Familie abzuholen, wenn Sie meinen Antrag nicht verschmähen. Während des Prozesses, den ich führte, blieb nämlich die Pfarrei unbesetzt, wovon meiner Familie das Patronat zusteht. Es ist an mir, die Pfründe, welche mit den großen und kleinen Zehnten über zweihundert Pfund Sterling einträgt, zu vergeben. Sie, Herr Vikar, haben Ihre Stelle verloren. Ich kann nur glücklich sein, wenn Sie in meiner Nähe wohnen und die Pfarrei annehmen.«

Gott allein weiß, wie mir bei diesen Worten zu Mute ward. Meine Augen verdunkelten sich unter Freudenthränen. Ich streckte meine Hände nach dem Manne aus, der mir ein Bote des Himmels ward; ich fiel an seine Brust. Dann umschlang ihn Polly mit Freudengeschrei und Jenny küßte dankbar die Hand des Baronets. Er aber riß sich mit sichtbarer Rührung los und verließ uns.

Noch hielten mich meine entzückten Kinder umarmt, noch vermischten sich unsere Thränen und Glückwünsche, als der Baronet wieder hereintrat, mit ihm sein Schwager Lord Sandom und Dessen Gemahlin. Diese, eine ungemein schöne junge Dame, ging, ohne uns zu begrüßen, zur Wiege des Kindes, kniete vor dem kleinen Alfred nieder, küßte seine Wange und weinte mit ausgelassenem Schmerze und Entzücken.

Nachdem sie sich erholt und sich bei uns allen wegen ihres Betragens entschuldigt hatte, dankte sie in den rührendsten Ausdrücken erst mir, dann Polly. Diese lehnte allen Dank von sich ab, zeigte auf Jenny, die sich ans Fenster zurückgezogen hatte, und sagte: »Meine Schwester dort ist die Mutter!«

Lady Sandom ging zu Jenny und betrachtete sie lange stumm und angenehm überrascht, sah dann auf ihren Bruder zurück mit einem lächelnden Blicke und schloß Jenny in ihre Arme. Die gute Jenny in ihrer Demut wagte kaum aufzusehen. »Ich bin Ihre Schuldnerin!« sagte Mylady. »Was Sie meinem Mutterherzen wohlgethan, kann ich unmöglich vergelten. Machen Sie mich zu Ihrer Schwester, liebenswürdige Jenny, denn Schwestern sollen und dürfen nicht gegen einander rechnen!« Wie sich beide umarmten, trat der Baronet hinzu. »Da steht mein armer Bruder,« sagte Mylady. »Sind Sie nun meine Schwester, so darf auch er Ihrem Herzen näher stehen, liebe Jenny! . . . Darf er?«

Jenny errötete und sagte: »Er ist meines Vaters Wohlthäter.« Die Lady erwiderte: »Wollen Sie nicht die Wohlthäterin meines armen Bruders sein? Blicken Sie ihn freundlich an! Wenn Sie wüßten, wie er Sie liebt!«

Der Baronet nahm Jennys Hand, küßte sie und sagte, als Jenny sie sträubend zurückziehen wollte: »Miß, wollen Sie mich unglücklich sehen? Ich bin es ohne diese Hand!« Jenny, in Verwirrung, ließ ihm die Hand. Da führte der Baronet meine Tochter zu mir und bat, ich solle ihn als meinen Sohn segnen.

»Jenny,« sagte ich, »es geht Dir wie mir! Träumen wir? . . . Wirst Du ihn lieben können? Entscheide Du!«

Sie schlug die Augen zum Baronet auf, der in banger Unruhe vor ihr stand, und warf einen großen, durchdringenden Blick auf ihn; dann nahm sie seine Hand in ihre beiden Hände, drückte dieselbe an ihre Brust, blickte gen Himmel und sagte leise: »Gott hat entschieden!«

Ich segnete meinen Sohn und meine Tochter. Beide umarmten sich. Es war eine feierliche Stille. Aller Augen waren naß. Plötzlich sprang Polly, mit thränenvollen Augen, lachend vor und hing sich an meinen Hals, indem sie rief: »Da haben wirs! Alles Neujahrsgeschenk! Siehst Du, Bischofsmützen über Bischofsmützen!«

Es ist umsonst . . . ich beschreibe diesen Tag nicht. Mein glückliches Herz ist zu voll. Und immer werde ich gestört!


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