Heinrich Zschokke
Die Walpurgisnacht / 1
Heinrich Zschokke

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Kain

Hier holte ich frischen Atem. Alles Geschehene war so gräßlich, so plötzlich – ich konnte selbst nicht daran glauben. Ich sah mich um – aber durch die Kiefern glühte der rote Widerschein der Feuersbrunst. Ich betastete mich, und besudelte meine Finger mit dem Blut des Starosten. Das verrät mich dem Ersten, der mich findet! Dachte ich, und riß mir die befleckten Kleider vom Leibe und verbarg sie in dichtes Gesträuch, und wusch mir die Hände im Tau des Grases rein. So, halb entkleidet, rannte ich auf der Landstraße hin.

»Wer bist du nun?« sprach ich zu mir selbst: »Wer dich erblickt, wird dir nachsetzen. Nur Wahnsinnige oder Mörder laufen im Hemd durch die Wälder; oder ich muß sagen, ich sei beraubt worden. Würde mir ein Bauer begegnen, den ich übermannen könnte, er müßte mir seinen Kittel geben. So wäre ich für die ersten Augenblicke geborgen. Über Tag kann ich im Dickicht der Wälder verborgen bleiben, Nachts meinen Lauf fortsetzen. Aber woher soll ich Nahrung nehmen? Woher Geld?« – Jetzt fiel mir bei, wie ich meine Brieftasche im weggeworfenen Rock gelassen und mich aller Barschaft beraubt hatte.

Ich stand still und unentschlossen. Einen Augenblick dachte ich daran, umzukehren und meine Brieftasche zu suchen. Aber – das Blut des Starosten! ich hätte es nicht wieder sehen mögen, und wäre eine Million zu holen gewesen. – Und zurückgehen, die spielende Feuerglut zwischen den Kiefern beständig vor Augen haben... nein, die Flammen der offenen Hölle lieber! – So wanderte ich weiter.

Da hörte ich das Rasseln eines Wagens – vielleicht eine Feuerspritze und zu Hilfe eilende Bauern. – Jach stürzte ich mich ins Gebüsch, von wo ich die Landschaft beobachten konnte. Ich zitterte wie ein Espenblatt. Da kam langsam, von zwei Pferden gezogen, ein geschmackvoller, offener Reisewagen, und mit Koffern gepackt. Ein Mann saß darin und lenkte die Rosse. Er fuhr immer langsamer, und hielt endlich still nahe vor mir. Er stieg aus, ging um den Wagen herum, besah ihn von allen Seiten; dann verließ er den Wagen und ging abwärts vor mir über die Straße ins Gebüsch.

»Dir wäre geholfen, wenn du im Wagen säßest!« riefs in mir: »Deine Beine sind wie gebrochen. Sie schleppen dich nicht mehr. Du wärest gerettet. Kleider, Geld, schnelle Flucht, Alles wäre vorhanden. Der Himmel will sich deiner annehmen. Benutze den Wink. Der Wagen ist leer. Schwing dich hinein!«

Gedacht, getan. Denn mit Überlegen war kein Augenblick zu versäumen. Jeder ist sich selbst der Nächste; man rettet sich, wie man kann. Verzweiflung und Not haben kein Gesetz. Ein Satz, und ich war aus dem Gebüsch auf der Straße, von der Straße im Wagen. Ich ergriff den Leitriemen, und lenkte die Rosse mit dem Wagen um, von meiner brennenden Heimat ab. Da sprang der Eigentümer aus dem Wald hervor, und in dem Augenblick, da ich die Pferde die Peitsche fühlen ließ, wollte er ihnen in die Zügel fallen. Er stand vor ihnen. Ich schlug heftiger – jetzt mußte Alles gewagt sein. Die Rosse bäumten sich und drangen vorwärts. Der Eigentümer fiel und lag unter den Pferden. Ich fuhr über ihn weg. Er schrie Hilfe. Seine Stimme durchbohrte mich. Es war eine bekannte Stimme – eine geliebte Stimme. Ich traute meinen Ohren nicht. Ich hielt still, und lehnte mich aus dem Wagen, um nach dem Unglücklichen zu sehen. – Ich sah ihn! – Aber – ich schaudere, indem ich's sage – ich sah meinen Bruder, der seine Sachen in Prag unerwartet abgetan, oder andere Ursachen zur Heimreise gehabt haben mußte.

Ich saß da, wie vom Blitz gerührt; gelähmt, erstarrt. Unter mir winselte der Geräderte. Das hatte ich nicht gewollt, nicht gedacht. Ich schleppte mich langsam aus dem Wagen. Ich sank zu meinem geliebten Bruder nieder. Das schwere Rad war ihm über die Brust gegangen. Ich rief mit bebender, leiser Stimme seinen Namen. Er hörte mich nicht mehr; er erkannte mich nicht mehr. Er hatte ausgelitten. Ich war der Verruchte, der ihm ein Leben geraubt hatte, das mir so teuer war, als das meinige. – Entsetzlich, zwei Morde in gleicher Nacht! freilich beide unwillkürlich, beide in der Verzweiflung begangen. Aber sie waren doch begangen, und Folgen des ersten Verbrechens, das ich hätte vermeiden sollen.

Meine Augen wurden naß; aber es waren nicht Tränen der Wehmut über den geliebten Toten, sondern Tränen der rasenden Wut gegen mein Schicksal, gegen den Himmel. Nie in meinem Leben hatte ich mich mit einem groben Verbrechen besudelt. Ich war gefühlvoll für das Schöne, Gute, Große und Wahre gewesen. Ich hatte keine süßere Freude gehabt, als am Glücklichmachen. Und nun, ein verdammter Leichtsinn – ein unseliger Augenblick von Selbstvergessenheit – und das – und das frevelvolle Spiel des Zufalls oder der Notwendigkeit hatten mich zum elendesten, verworrensten Wesen unter dem Himmel gemacht. O, prahle doch Niemand mit seiner Tugend, mit seiner Kraft, mit seiner Besonnenheit! – es gehört nicht mehr als eine Minute dazu, in der man seine bessern Grundsätze ein wenig auf die Seite stellt, – nicht mehr als eine Minute, und der Engelreine ist aller Schandtaten fähig. Wohl ihm, wenn sein Verhängnis es besser mit ihm will, als mit mir; und ihm nicht, elenderweise einen Bruder zu rädern, in den Weg legt!

Doch nichts von Moral. Wer sie hier nicht von selbst gefunden hat, für den gibt es keine. Ich will zum Ende meiner Unglücksgeschichte eilen, die kein Dichter jemals schauerlicher ersinnen konnte.

 
Reue

Ich küßte die bleiche Stirn meines Bruders. Da hörte ich Stimmen im Walde. Erschrocken fuhr ich auf. Sollte ich mich ertappen lassen über dem Leichnam des Geliebten, den ich erst berauben wollte, und dann tötete? Ich war, ehe ich mich selbst besann, im tiefsten Gebüsch, und überließ die Leiche nebst Roß und Wagen ihrem Schicksal. Nur der allmächtige Trieb zum Leben wachte noch in mir: alles Andere war tot. – Ich ging in Betäubung durch Strauch und Dorn; wo die Büschung am finstersten, die Verzweigung am dichtesten geschlungen war, dahin eilte ich. »Wer dich findet«, rief s in mir, der wird dich töten, Kain, Brudermörder!«

Ermattet blieb ich auf einem Felsenstein im Innersten des Waldes sitzen. Die Sonne war aufgegangen, ohne daß ich's bemerkt hatte. Ein neues Leben wehete durch die Natur. Die grausenvolle Walpurgisnacht lag hinter mir mit meinen Verbrechen; aber die Kinder derselben gaukelten wie Teufel auf meinem Wege hin. Ich sah meine jammernde Fanny mit den verwaiseten Kindern – ich sah die trostlose Familie meines unglücklichen Bruders – ich sah das Hochgericht – den Henkerszug, den Rabenstein.

Da ward mir das Leben plötzlich zur Bürde. Hätte ich mich doch vom Starost erdrosseln lassen, sprach ich bei mir selbst, ich hätte es ja verdient. Ich war ja ein Verräter an meiner Fanny und an der Treue, die ich ihr tausendmal geschworen. – Oder wäre ich doch umgekehrt, wie das Städtchen hinter mir brannte. Ich hätte Weib und Kind noch einmal küssen und dann nach dem Abschied mich in die Flammen stürzen können. So hätte ich mir doch den Brudermord erspart.

Ich fürchtete das Leben, weil ich mich vor neuen Verbrechen fürchtete, die mir mit jedem Schritt unvermeidlich schienen. So tief hatten mich die bisherigen Ereignisse erschüttert, daß ich glaubte, dem Sünder bringe jeder Atemzug eine Sünde. Ich dachte an Selbstmord – aber auch dazu war ich mittellos. So beschloß ich, mich der Obrigkeit selbst auszuliefern, ihr meine Vergehen reumütig zu bekennen. Dann – freilich unter traurigen Verhältnissen, hatte ich doch noch Hoffnung, meine Fanny, meinen Leopold und August noch einmal in meinem Leben an die Brust zu drücken, Verzeihung von ihnen zu erflehen, und von ihren Tränen begleitet in die Ewigkeit überzuwandern. Ich konnte noch manche häusliche Verhältnisse anordnen, meiner Fanny noch manchen nützlichen Rat und Aufschlüsse über verschiedene Angelegenheiten geben.

Dieser Gedanke gewährte mir einiges Vergnügen. Ich ward ruhiger. Das Leben hatte ich aufgegeben, nun hörten die Furien des Gewissens auf, in mir zu wüten, da sie hatten, was sie wollten.

Ich stand auf und ging; doch wußte ich nicht wohin. In der Betäubung und Höllenangst hatte ich selbst die Gegend vergessen, aus der ich gekommen war. Die Waldung lag finster und dick um mich her. Ich sehnte mich nach dem Schimmer der Feuersbrunst, die sollte mich zu meinen Richtern leiten. Doch gleichviel. Jeder Schritt, jeder Weg mußte mich immer zuletzt dahin bringen.

Indem ich eine Weile gegangen war, erhellte sich der Forst. Ich kam auf eine schlechte Waldstraße, und schlug sie sogleich ein, unbekümmert, wohin sie gehe.

 
Der Versucher

Ich hörte nahe vor mir Pferde wiehern. Ich erschrak. Die Liebe des Lebens erwachte von neuem. Ich gedachte in die Wildnis zurück zu flüchten. Du hast zwar gefehlt; du bist zwar Verbrecher der entsetzlichsten Art, aber du kannst wohl noch glücklich werden, wenn du dich diesmal rettest. Denn ein vollendeter Bösewicht warst du nie, wenn gleich der leichtsinnigste. So dachte ich, aller Vorsätze vergessend, und mit meinen Gedanken schon in einer fernern Einsamkeit, wo ich, unbekannt der Welt, mit Weib und Kindern unter fremden Namen leben könnte. Aber bei dem Allem war ich doch vorwärts gegangen.

Da erblickte ich, als sich die Straße bog, dicht vor mir Pferde, einen umgestürzten Wagen mit einem zerbrochenen Rade, und zu meinem Entsetzen oder Entzücken daneben stehend – den wohlbekannten Rotrock.

Als er mich erblickte, grinsete er mich nach seiner Gewohnheit an, und sagte: »Willkommen hier! Habe ich nicht gesagt, daß wir uns wieder finden würden? – Ich warte schon die ganze Nacht. Mein Postillon ist in das Städtchen zurück, Hilfe zu holen, und kommt nicht wieder.«

»Er hat dort mehr zu helfen, als hier«, sagte ich, »denn die Stadt ist in vollem Feuer.«

»Dachte ich's doch«, erwiderte er, »denn ich sah es an der Röte des Himmels. Aber was wollen denn Sie im Walde? Was suchen Sie hier? Warum helfen Sie nicht löschen?«

»Ich habe wohl andere Dinge zu löschen, als Holzbrand.«

»Dachte ich's doch. Sagte ich es Ihnen nicht vorher?«

»Retten Sie mich. Ich bin ein heilloser Verbrecher geworden – ich ward leichtsinniger Gatte, Mörder, Mordbrenner, Straßenräuber, Brudermörder, Alles seit dem Augenblick, da Sie mich verlassen hatten; Alles binnen drei Stunden. Und doch, ich schwöre es Ihnen, bin ich kein schlechter Mensch.«

Der Rotrock stampfte mit dem Klumpfuß auf den Boden, da ich dies sagte, als wäre er voll Unwillens. Aber seine Gebärden blieben hart und eisern. Auch gab er keine Antwort. Da erzählte ich ihm das beispiellose Unglück dieser Nacht. Er blieb ganz gelassen.

»Kennen Sie mich nun, und was ich von Ihnen will?« sagte er endlich.

»Meine Seele! meine Seele!« schrie ich: »denn nun fange ich an zu glauben, daß Sie in der Tat der sind, für den ich Sie in Prag, bei mir selbst scherzend, hielt.«

»Und der wäre?«

»Der Satan.«

»So falle vor mir nieder und bete mich an!« brüllte er mit gräßlicher Stimme.

Ich fiel auf die Knie, wie ein Wahnsinniger, vor ihm, und hob die gefalteten Hände, und rief. »Rette mich! – rette mein Weib und meine Kinder vor dem Verderben! Sie sind unschuldig. Bringe uns in eine Wüste, wo wir Brot und Wasser haben und eine Höhle. Wir wollen uns selig machen, wie in einem Paradiese. Aber wische die Erinnerung an die Walpurgisnacht aus meinem Gedächtnis, sonst ist auch im Paradiese die Hölle. Kannst du das nicht, so ist mir's besser, ich sterbe büßend auf dem Hochgericht.«

Wie ich dies sagte, hob er den Klumpfuß und stieß damit verächtlich gegen mich, daß ich rücklings zu Boden taumelte. Ich wollte meine Bitten wiederholen, aber er unterbrach mich und sagte: »Da seht mir den frommen, gefühlvollen Mann! da seht mir den stolzen Sterblichen in der Herrlichkeit seiner Vernunft! da seht mir den Philosophen, der den Teufel wegleugnet und die Ewigkeit in gelehrte Zweifel bringt! Er krönt seine Schandtaten mit der Anbetung des Satans!«

»Daran, Satan, erkenne ich dich«, schrie ich wütend: »daran, daß das sanfte Mitleid in deiner eisernen Brust fehlt, welches doch sonst das warme Menschenherz bewohnt. Ich will auch kein Mitleid von dir, der nur schadenfrohen Hohn kennt. Ich wollte deine Gunst kaufen, mit meiner Seele kaufen. Sie könnte sich ja noch bessern; sie kann ja den Weg zur Reue finden und zur Gnade. Sie könnte dir ja noch entschlüpfen, wenn du sie am sichersten zu haben glaubst.«

Düster entgegnete er mir: »Nein, mein Herr, ich bin der Teufel nicht, wie Sie glauben. Ich bin ein Mensch, wie Sie. Sie waren ein Verbrecher. Jetzt sind Sie ein Wahnsinniger geworden. Aber wer mit seinem bessern Glauben einmal gebrochen hat, der ist auch mit seiner Vernunft bald fertig. – Ich verachte Sie. Und wenn ich Ihnen helfen könnte, wahrhaftig, ich möchte Ihnen nicht helfen. Ihre Seele fordere ich nicht. Sie ist zur Hölle reif, ohne daß der Satan dafür einen roten Heller bietet.«

 
Hoffnung

Eine Weile stand ich zweifelhaft und verlegen vor ihm. Scham und Wut, Reue und Entschlossenheit zu jedem Verbrechen, das mich für den Augenblick retten konnte, kämpften in mir. Ich kann nicht beschreiben, was in mir vorging; denn was die Geschichte des flüchtigen Augenblicks war, würde unter meiner Feder sich zu einem Buche ausdehnen: und doch könnte ich's nicht in aller Klarheit darstellen.

»Wenn Sie nicht der sind, wofür ich Sie halte«, sagte ich endlich, »so müßte ich wünschen, daß Sie es wären. Retten Sie mich, sonst bin ich verloren. Retten Sie mich, denn Sie allein sind an meinem entsetzlichen Schicksal schuldig.«

»So macht's der Mensch!« sagte er grinsend: »Er will immer der Reine sein, und hätte er sich auch im Bruderblut gebadet.«

»Ja, Sie, mein Herr, waren die erste Ursache alles namenlosen Greuels dieser Nacht. – Warum kamen Sie in der Nacht zu meinem Gartenhause, wo ich ruhig und harmlos schlief, um den Anbruch des Morgens zu erwarten? Hätten Sie mich nicht geweckt, wäre Alles nicht geschehen, was geschehen ist.«

»Aber weckte ich Sie zu Treulosigkeit und Mordbrand? So macht's der Mensch. Wenn er Tausende gemeuchelmordet hat, möchte er alle Schuld auf den Bergmann wälzen, der das Eisen aus den finstern Schachten der Erde herauf geholt hat. Herr, auch Ihr Atemholen ist am Verbrechen Ursache, weil Sie ohne Atem es nicht begehen konnten. Aber ohne Atem hätten Sie auch kein Leben gehabt.«

»Warum spielten Sie denn im Garten bei mir die Rolle des Teufels, und sagten so bedeutungsvoll, wer dem Satan nur ein Haar bietet, dessen Kopf zerrt er sich daran nach, wie an einem Seil?«

»Gut das! habe ich darum Lüge gesprochen? Wer könnte die Wahrheit fürchterlicher bezeugen, als Sie selbst? Habe ich das Haar von Ihnen begehrt? oder haben Sie es mir angeboten? – Aber, Herr, da Sie Julien, Ihre erste Geliebte, sahen, da hätten Sie Ihrer Fanny eingedenk sein müssen. Sie vertrauten Ihrer Tugend zu viel, oder vielmehr, Sie dachten an keine Tugend. Religion und Tugend hätten Ihnen gesagt: fliehe heim zum Gartenhaus. Herr, der Mensch, sobald sein Versuchungsstündchen schlägt, darf sich, der Sünde gegenüber, auch das Erlaubteste nicht erlauben. Der erste leichtfertige Gedanke, den man durchschlüpfen läßt, ist das bewußte Haar in des Teufels Klaue.«

»Sie haben Recht. Konnte ich aber das voraussehen?«

»Allerdings konnten Sie.«

»Es war unmöglich. Denken Sie nur an das abscheuliche Zusammentreffen der Umstände.«

»Daran hätten Sie, als eine Möglichkeit, denken sollen. Konnten Sie nicht an den Starosten denken, da Sie sein Weib im Arm hielten? nicht an die Feuersbrunst, da Sie das Licht in das Stroh schleuderten? nicht an den Brudermord, da Sie die Rosse gegen die Brust des Eigentümers antrieben? – denn der, oder ein anderer, jeder Mensch ist Ihr Bruder.«

«Mag sein, aber bringen Sie mich nicht zu größerer Verzweiflung. Sie müssen wenigstens zugeben, daß der erste Fehltritt hätte ohne alle andern Gräßlichkeiten geschehen können, wenn nicht das Schrecklichste zusammengetroffen wäre, was immer zusammentreffen könnte?«

»Sie irren! Was lag denn Schreckliches darin, daß der Starost seine Frau besuchte? was denn Schreckliches darin, daß man in der Scheune Stroh hatte, wie in allen Scheunen? was Schreckliches, daß Ihr unglücklicher Bruder friedlich auf dem Rückweg begriffen war? Nein, Herr, was Sie ein abscheuliches Zusammentreffen heißen, konnte für Sie, wenn Sie auf rechtschaffenen Wegen geblieben wären, ein erfreuliches gewesen sein. Die Welt ist gut, das Gemüt macht sie zur Hölle. Der Mensch ist's, der erst Dolch und Gift macht; außerdem wären die Dinge friedliche Pflugschar oder heilsame Arznei geworden. Denken Sie an keine Rechtfertigung.«

Da schrie ich verzweiflungsvoll auf, denn ich übersah meine ganze Abscheulichkeit. »O!« rief ich, »bis zu dieser Nacht bin ich schuldlos gewesen, ein guter Vater, ein treuer Gatte, ohne Vorwürfe – jetzt bin ich ohne Ruhe, ohne Ehre, ohne Trost!«

»Nein, Herr, auch darin muß ich widersprechen. Sie sind in dieser Nacht nicht erst geworden, was Sie sind, sondern Sie sind es längst gewesen. Man wird nicht in einer Stunde vom Engel zum Teufel, wenn man nicht schon alle Anlagen zum Teufelwerden besitzt. Es fehlte nur an Gelegenheit, daß der inwendige Mensch auswendig wurde. Es fehlte Ihnen die Julie und die Einsamkeit. Im Stahl und Stein schläft das Feuer, wenn man's gleich nicht sieht – nur zusammengeschlagen, es wird schon funkeln. Ein Funke nebenbei fliegt ins Pulverfaß, und eine halbe Stadt mit ihrer Glückseligkeit wird in Schutt und Trümmern gegen den Himmel geschleudert. Lobe mir doch Keiner die frommen Leute, die in stolzer Unschuld den armen Sünder zum Galgen begleiten! – daß ihrer nicht mehrere daran hängen, ist bloß Gunst des Zufalls.«

»So tröste ich mich. So ist, wenn Sie die Wahrheit sprechen, die ganze Welt nicht besser, als ich und Sie dazu.«

»Nein, Herr, Sie irren abermals. Ich gebe Ihnen die halbe Welt preis, aber nicht die ganze. Ich glaube noch an Tugend und Seelengröße, woran Sie eben mit Ihrer vermeinten Seelengröße nie stark glaubten. Aber die halbe Welt, ja! und besonders in unsern Tagen, wo der Grundzug der Gemüter Schlaffheit, Selbstsucht und feige Gleisnerei ist. Das ist auch der Ihrige. Darum stehen Sie auch hier als Verdammter.«

»Sie können Recht haben; aber ich bin nicht besser und schlechter, als alle andern Menschen dieser Zeit.«

»Was Sie sind, das scheint Ihnen die Welt zu sein. Wir sehen nie das Draußen in uns, sondern uns selbst in dem Draußen. Es ist Alles nur ein Spiegel.«

»Um Gotteswillen, Herr!« rief ich außer mir, »retten Sie mich, denn die Zeit verrinnt. Wenn ich schlecht war, könnte ich nicht besser werden?«

,Allerdings. Not bringt Kraft.«

»Retten Sie mich und Weib und Kind! Ich kann besser, ich will besser werden, da ich mit Schaudern sehe, welcher Verbrechen ich fähig war, deren ich mich nie fähig gehalten haben würde!«

»Es kann werden. Aber Sie sind ein Schwächling. Schwäche ist die Säugamme der verruchtesten Taten. Ich will Sie retten, wenn Sie sich selbst retten können. Kennen Sie mich nun, und was ich von Ihnen will?«

»So sind Sie ein Engel, mein Schutzgeist.«

»Ich bin Ihnen nicht vergebens im Garten erschienen vor Verübung der Greuel. Ich warnte Sie. Doch Mut! Wer Glauben und Mut für das Göttliche bewahrt, behält Alles.«

 
Rettung

Indem der Rotrock diese Worte sprach, kam es mir vor, als wenn sein glutfarbenes Kleid wie helle Flammen um ihn brannte; und wie grünes Feuer schoß es um uns her aus dem Boden empor; aber es waren nur die Bäume. Die Farben zuckten vor meinen Blicken wunderbar durch einander. Zuletzt losch Alles aus. Ich lag in Ohnmacht. Ich wußte nichts mehr von mir. Es war mir etwas geschehen.

Dann fühlte ich eine dumpfe Rückkehr des Bewußtseins, im Ohr einen fernen Ton; um's Auge eine Dämmerung von in einander verschillernden Strahlen. Wie Gedanke, Klang und Licht heller wurden, sann ich über meinen Zustand, aber ich konnte nicht ergründen, was mir geschehen sei.

Entweder ist es Ohnmacht, oder Wahnsinn, oder Sterben – dachte ich: Reißt sich die Seele von ihren Nerven, der Geist von seiner Seele los: was bleibt noch? Es geht mit den Sinnen ein Weltall aus, und der Geist schmilzt als unselbständige Kraft ins Reich der Kräfte ein. Dann wäre der Mensch eine Schaumblase, ausgeworfen an der bewegten, ewig wechselnden Oberfläche vom Ozean des Alls; in sich abspiegelnd die grünenden Eilande und die Unendlichkeit des Himmels. Und die abgespiegelten Eilande und Himmel verfliegen mit der Wasserblase, die ins All zurückgeht. – Nein, nein, rief s in mir: darum warst du Verbrecher, weil du den Glauben an Gott und dich selbst verloren, und dich den Hirngespinsten einseitiger Klügelei ergeben hattest. Das gewaltige Geisterall ist kein totes Meer, und der Menschengeist kein Schaum.

So ungefähr dachte ich, und schlug die Augen auf. Und über mir schwebte, wie von Wolken gehalten, der Alte in freundlichem Ernst; ich sah nicht mehr die harten, eisernen Züge, sondern ein mildes Wesen in seinen verklärten Mienen. Doch blendete mich der Glanz, und ich schloß die Augen bald wieder zu, und träumte fort. Ich konnte kein Glied regen.

Was ist mir oder wird aus mir, dacht' ich; denn mich deuchte, ich hörte Getümmel von Städten und Dörfern an mir vorüberziehen, bald Sausen bewegter Wälder, bald Ströme rauschen und Meeresbrandungen an Klippen, bald Glockenton der Herden und ferne Hirtengesänge.

»Was geschieht mir? wohin komme ich?« seufzte ich leise mit großer Anstrengung.

Über mir hing immer die Gestalt des Alten, und sein Auge war sorgsam auf mich niedergerichtet. »Ich rette dich!« sagte er mit unendlich sanftem Ton: »Fürchte dich nicht mehr. Du hast dein Leben und deinen Tod gesehen. Schwächling, werde Mann. Ein zweites Mal rette ich dich nicht wieder.«

Darauf dämmerte mir es wieder vor meinen Augen, und mir war, als läge ich in einer Felsenhöhle, in welche das Tageslicht durch enge Klüfte hineinschimmerte. Aber der Alte hing noch immer über mir; da sagte er: »Jetzt bist du gerettet und ich verlasse dich. Ich habe deine Wünsche erfüllt.«

»Aber«, seufzte ich, »meine Fanny, meine Kinder! gib sie mir noch in diese Wüste.«

Der Alte sprach: »Sie gehören dir schon.«

»Und das Gedächtnis meiner Greuel wische aus für alle Ewigkeit, wenn du kannst.«

Der Alte sprach: »Ich will es verwischen, es wird dich nicht mehr betrüben.«

Indem er dies sagte, zerfloß es über mir, wie ein Dunst, und ich starrte die grauen Felsen über mir an, und begriff von Allem nichts. Aber mir war unaussprechlich wohl. Und doch glich Alles einem Feenmärchen.

Wie ich noch die Felsen über mir anstarrte, drückte ein unsichtbares Wesen seine Lippen auf die meinigen. Ich fühlte einen warmen Kuß.

 
Die neue Welt

Der Kuß machte mich irdisch. Ich glaubte die Augen offen zu haben, doch merkte ich, daß sie geschlossen waren; denn ich hörte leise Tritte um mich rauschen, und sah doch in der Höhle Niemanden.

Da hauchte mich ein neuer Atem an, und zwei zarte Lippen rührten abermal an die meinigen. Das Gefühl des Lebens trat wieder in meine äußern Sinne. Ich hörte Kinderstimmen flüstern. Traum und Wahrheit schwammen verworren durch einander, und trennten sich immer bestimmter, bis ich zum hellen Bewußtsein und deutlicher äußern Klarheit kam.

Ich spürte, ich liege hart und unbequem. Es war mir, als sei es auf dem Sofa in meinem Gartenhause. Ich tat die Augen auf, und meine Fanny hing über mir. Mit ihren Küssen hatte sie mich erweckt. Unsere Kinder klatschten freudig in die Hände, als sie mein Erwachen sahen, und kletterten aufs Sofa und über mich hin, und riefen eines ums andere: »Papa, guten Morgen, Papa!« – Und mein Weibchen klammerte sich fest um mich; und mit den Augen voller Freudentränen machte es mir doch Vorwürfe, daß ich die ganze kalte Nacht im Gartenhause geschlafen; und wäre Christoph, unser Knecht, nicht vor einer Viertelstunde aus dem Posthause gekommen, und hätte Lärmen mit den Mägden in der Küche getrieben und meine Ankunft verraten, kein Mensch hätte davon gewußt.

Aber der schwere Walpurgistraum hatte mir dermaßen zugesetzt, daß ich lange lag, und weder den Augen noch Ohren zu trauen wagte. Ich suchte die phantastische Höhle der Wüste, und immer war es das Gartenhaus. Da lagen noch Trommeln, Steckenpferde und Peitschen am Boden herum. Auf dem Tisch stand noch Fanny's Strickkörbchen – alles wie ich es gefunden, als ich hier mein Nachtlager wählte.

»Und Christoph ist jetzt erst aus dem Posthaus gekommen?« fragte ich. »Hat er dort die ganze Nacht geschlafen?«

»Freilich, du Wunderlicher!« sagte Fanny und streichelte mir die Wange: »Er behauptet ja, du selbst habest es ihm so befohlen. – Warum auch hier auf dem steinharten Sofa übernachten? Warum hast du uns nicht aus den Betten getrieben? Wie gern wären wir doch zu deinem Empfang bereit gewesen!«

Ich erschrak freudig. »Ihr habt also sanft und ruhig geschlafen die Nacht?« fragte ich.

»Nur zu gut!« sagte Fanny: »Hätte mir ahnen können, daß du hier im Gartenhaus wärst – aus dem Schlafe würde nichts geworden sein. Ich würde zu dir geschlichen sein, wie ein Gespenst. Weißt du auch, daß es Walpurgisnacht war, wo die Hexen und Kobolde ihr Wesen treiben?«

»Ich weiß es nur zu gut!« sagte ich, und rieb mir die Augen und lächelte fröhlich, daß alle meine Verbrechen Traum gewesen waren; daß weder Posthaus noch Stadt gebrannt, weder der Rotrock von Prag, noch die längst vergessene Julie mich besucht hatten.

Ich schloß die liebenswürdige Fanny fester und seliger an mein Herz; sie und die Kinder auf meinem Schoß, empfand ich heute lebendiger, als jemals, das Glück des reinen Herzens und guten Gewissens. – Es blühte um mich eine junge Welt; mehr als einmal ward sie mir zweifelhaft, wie neuer Traum. Ich sah oft nach den freundlichen Dächern unsers Städtchens, mich zu überzeugen, daß ich kein brennendes Licht ins Stroh geworfen hatte.

Nie hatte ich im Leben einen zusammenhängendern, klarern, schrecklichern Traum geträumt. Nur zuletzt, wo er sich mit dem Erwachen vermählte, war er phantastischer geworden.

Wir zogen im Triumph durch den schönen Garten ins heitere Wohnhaus, wo mich alles Gesinde freundlich bewillkommte. – Nachdem ich mich umgekleidet hatte, ging ich, beladen mit allerlei Spielwerk für meine Söhne, in Fanny's Zimmer zum Frühstück. Da saß die junge Mutter neben den jauchzenden Kleinen. Jeder neue Anblick der Lieben strömte neues Entzücken durch mich hin. Ich sank schweigend an Fanny's Brust; ich gab ihr mit Freudentränen im Auge das für sie in Prag gekaufte Angebinde, und sprach: »Fanny, heut' ist dein Geburtstag.«

»Noch nie habe ich ihn schöner gefeiert«, sagte sie, »als diesmal! Ich habe dich ja wieder. Ich habe auch deine Freunde und meine Gespielinnen einladen lassen, den Tag deiner Wiederkunft recht fröhlich zu begehen. Gelt, das nimmst du nicht übel? – Nun aber setze dich zu uns. Nun erzähle mir haarklein, wie ist es dir ergangen?«

Aber der drückende Traum stand noch zu nahe vor mir. Ich dachte mich seiner am besten zu entledigen, wenn ich ihn erzählen würde. Fanny horchte und ward sehr finster. »Wahrhaftig«, sagte sie am Ende lächelnd, »man sollte an Hexerei der Walpurgisnacht glauben. Du hast eine ganze Predigt geträumt. Werde frommer, du Frommer, denn gewiß hat dein guter Engel mit dir gesprochen. Schreibe deinen Traum auf. Solch ein Traum ist merkwürdiger, als mancher Lebenslauf. Ich halte, du weißt es, viel auf Träume. Sie bedeuten wohl nichts voraus, aber sie bedeuten doch manchmal uns selbst. Es sind zuweilen die klarsten Seelenspiegelungen!«

 
Der Versucher mit der Versuchung

Ein zwar nicht außerordentlicher, doch immer merkwürdiger Zufall erhöhete an dem gleichen Tage das Anziehende meines Walpurgistraums.

Meine Frau hatte Freunde und Freundinnen aus dem Städtchen zu einem kleinen Familienfest eingeladen. Wir speiseten, wegen der Schönheit des Mittags, in dem obern geräumigen Saal des Gartenhauses. – Der Walpurgistraum war schon in meiner Erinnerung durch eine lieblichere Wirklichkeit halb verwischt.

Da meldete mein Bedienter einen fremden Herrn, der mich sprechen wollte, einen Baron Mannteuffel von Drostow. – Fanny sah, daß ich erschrak. »Du wirst doch nicht«, sagte sie lachend, »vor dem Versucher zittern, wenn er die Versuchung nicht mitbringt; und selbst nicht vor der Versuchung, an meiner Seite?«

Ich ging hinab. Da saß auf dem gleichen Sofa, wo ich geschlafen, leibhaftig der Rotrock von Prag. Er stand auf, begrüßte mich, wie einen alten Bekannten, und sagte: »Sie sehen, ich halte Wort. Ich muß jetzt Ihre liebenswürdige Fanny sehen, die ich aus ihren vertraulichen Briefen ganz zufällig kennen lernte. Werden Sie nicht eifersüchtig. Und – fuhr er fort, indem er in den Garten hinaus zeigte – ich bringe noch ein paar Gäste mit, meinen Bruder und seine Frau. Aber meine Schwägerin kennen Sie schon. Wir sind unvermutet in Dresden zusammengetroffen, und machen nun die Reise, mit einander in Gesellschaft.«

Ich bezeugte ihm meine Freude. Indem trat ein dicker, starker Herr aus dem Garten in das Kabinett, wo wir sprachen; neben ihm ein Frauenzimmer in Reisekleidern. Denke sich Jeder mein Schrecken! – Es war Julie, die Gemahlin des Starosten.

Julie war minder verlegen, als ich, wiewohl sie sich anfangs auch entfärbte. Ich führte nach den ersten Höflichkeiten meine Gäste in den obern Saal hinauf – ich stellte ihnen meine Fanny vor. Der zum Besucher verwandelte Versucher von Prag sagte ihr die schmeichelhaftesten Artigkeiten. »Ich habe«, sagte er, »Sie schon in Prag angebetet, als ich ohne Vorwissen Ihres Gemahls, hinter alle kleinen Geheimnisse kam, die Sie ihm anvertrauten.«

»Ich weiß Alles!« sagte Fanny: »Mit vierzehnhundert Talern bezahlen Sie die Geheimnisse. Sie sind aber bei dem Allem ein böser Mann, denn Sie haben meinem Robert eine unruhige Nacht gemacht.«

»Damit ist's noch nicht abgetan, Fanny«, sagte ich, »denn siehe den lieben Versucher, und dort – ich stellte ihr die Gemahlin des Starosten vor – Julie!«

Weiber sind nie lange verlegen. Sie umarmte Julien wie eine Schwester, und setzte den Versucher rechts, die Versuchung links neben sich. »So weit als möglich von dir!« rief sie mir mit schelmischem Warnen zu.

Fanny und Julie, ob sie sich gleich nie gesehen hatten, waren bald Herzensschwestern, hatten sich ungemein viel zu sagen, und freuten sich, mich zum Gegenstand ihrer Neckereien zu machen. Für mich war das ein ganz eigenes Fest, diese Gestalten neben einander zu sehen; beide liebenswürdig – aber Julie nur ein schönes Weib, Fanny ein Engel.

Julie, wie ich auf den Spaziergängen im Garten von ihr erfuhr, war sehr glücklich. Sie liebte ihren Mann von Herzen, wegen seines edeln Gemütes. Aber für ihren Schwager, den Rotrock, hatte sie die zärtliche, ungemessene Ehrfurcht eines Kindes. Er war, wie sie mir erzählte, ehemals lange Zeit auf Reisen gewesen, und lebte jetzt in Polen auf einem kleinen Gut, nahe bei den Gütern ihres Mannes, als wohltätiger Philosoph, zwischen Büchern und landwirtschaftlichen Arbeiten. Sie sprach von ihm mit Begeisterung, und behauptete, auf Erden wohne kein edlerer Mensch, als dieser. – Ich machte mir dabei die Nutzanwendung, man müsse der Physiognomie nicht allzusehr trauen.

»Warum fragten Sie mich denn in Prag«, sagte ich nachher zu dem ehrwürdigen Rotrock, mit den geheimnisvollen Worten: »Kennen Sie mich nun, und was ich von Ihnen will?« – Denn eben diese Worte waren mir in Prag aufgefallen, und hatten nachher im Traume am wirksamsten wiedergeklungen.

»Aber mein Gott!« rief er: »Ich mochte Ihnen sagen, als ich die Brieftasche brachte, was ich wollte, und mochte es Ihnen noch so nahe legen, daß ich der Finder sei; daß Sie nur Zutrauen zu mir haben, nur einige Kennzeichen des Verlustes angeben sollten: Sie blieben ja zurückhaltend, als wäre ich der verdächtigste Mensch. Und doch sah ich Ihnen die Unruhe an; und doch konnte ich kaum daran zweifeln, den rechten Mann vor mir zu haben.«

Nun erzählte ich ihm meinen Traum. »Herr«, rief er, »die Walpurgisgeister sollen leben! Der Traum verdient ein Kapitel in der Moralphilosophie und Psychologie zu sein. Wenn Sie ihn nicht haarklein aufzeichnen, so schreibe ich ihn selbst nieder, und schicke Ihnen das Ding gedruckt zu. Es sind da wunderbar goldene Lehren. Nur ist mir's doch lieb, daß ich am Ende die Ehre habe, als Engel des Lichts darin zu glänzen, sonst möchte ich das Abenteuer Ihrer Walpurgisnacht nicht weiter erzählen hören.«

Wir brachten mit einander einen seligen Tag zu: ich mit dem wahrhaft weisen Mannteuffel, Fanny mit Julien.

Als wir Abends von einander schieden, und wir die lieben Gäste begleiteten, sagte Fanny zu mir, da wir vor der Tür des Posthauses standen: »Hier wird Abschied genommen, und nicht die schöne Versuchung einen Schritt weiter begleitet! Dein Walpurgistraum enthält auch für mich gute Lehren. Kennst du mich nun, mein Herr, und was deine Fanny von dir will?«


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